Zahnimplantate - Teuer - aber auch gut? - Dr. Gerhard Iglhaut
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<strong>Zahnimplantate</strong> - <strong>Teuer</strong> - <strong>aber</strong> <strong>auch</strong> <strong>gut</strong>? -- sueddeutsche.de http://www.sueddeutsche.de/wissen/2.220/zahnimplantate-teu...<br />
Wissen<br />
<strong>Zahnimplantate</strong><br />
<strong>Teuer</strong> - <strong>aber</strong> <strong>auch</strong> <strong>gut</strong>?<br />
18.10.2011, 14:39<br />
Von Wiebke Rögener<br />
Immer mehr Menschen investieren viel Geld und lassen sich<br />
Kunstzähne in den Kiefer schrauben. Angeblich halten die<br />
<strong>Zahnimplantate</strong> <strong>gut</strong>. Tatsächlich fehlen jedoch Studien zu<br />
Komplikationen und Haltbarkeit.<br />
Zum Kühemelken und Schweinefüttern sind die alten Zähne wohl<br />
noch <strong>gut</strong> genug", sagte die Magd Agda aus Astrid Lindgrens<br />
Bullerbü, als sie ein neues Gebiss erhielt. Die schönen neuen<br />
Zähne schonte sie für sonntags. Seitdem sind die Ansprüche an<br />
ästhetischen und funktionalen Zahnersatz gestiegen. Statt eines<br />
Gebisses, das nachts im Zahnputzglas dümpelt, wünschen immer<br />
mehr Patienten <strong>Zahnimplantate</strong>, die fest im Kiefer verankert sind.<br />
Ein Kiefermodell mit Implantaten. Es ist nicht klar, wie <strong>gut</strong> die <strong>Zahnimplantate</strong> im echten<br />
Kiefer tatsächlich halten. (© AP)<br />
Zwar kann sich nicht jeder 1700 bis 4000 Euro pro Kunstzahn<br />
leisten. Aber die Zahl derjenigen steigt, die lieber viel Geld<br />
investieren, als sich mit herausnehmbaren <strong>Dr</strong>itten am rosaroten<br />
Plastikgaumen abzufinden: Ende der 1990er-Jahre implantierten<br />
Zahnärzte in Deutschland etwa 100.000 künstliche Zahnwurzeln im<br />
Jahr, derzeit sollen es nach Angaben des Verbandes der<br />
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Deutschen Dental-Industrie bereits rund eine Million sein.<br />
Jeder 20. Zahnersatz ruhe auf Transplantaten, so die<br />
Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. Doch eine gemeinsame<br />
Statistik über den Erfolg ihres Tuns führen die Zahnärzte nicht. Und<br />
deshalb stehen einige Fragen im Raum: Wie oft eigentlich treten<br />
bei den Implantaten Komplikationen auf? Und wie lange halten<br />
diese überhaupt?<br />
Insgesamt sei die Bilanz <strong>gut</strong>, versichert der Vizepräsident der<br />
Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI), <strong>Gerhard</strong> <strong>Iglhaut</strong>.<br />
Die kritische Anfangsphase, bei der eine künstliche Zahnwurzel,<br />
meist aus Titan, in den Kiefer geschraubt wird und dort etwa drei<br />
bis sechs Monate einheilt, überstünden heute 98 Prozent der<br />
Implantate, schätzt er.<br />
Danach wird über ein Verbindungsstück eine Krone auf der<br />
künstlichen Wurzel montiert. Nach fünf Jahren sollen noch 95<br />
Prozent der Implantate an Ort und Stelle sein, nach zehn Jahren<br />
mehr als 90 Prozent.<br />
Zahlen, die <strong>gut</strong> klingen, die <strong>aber</strong> nicht durch größere Studien belegt<br />
sind. Bei einer Tagung der DGI im vergangenen Jahr nannte<br />
Wilfried Wagner von der Universitätsklinik Mainz höhere Verluste:<br />
Rund 140.000 Implantate gingen im Jahr verloren, schätzt er.<br />
Ursache seien vor allem Entzündungen rund um das Implantat.<br />
Zahnmediziner der Universität Tübingen wollten es genauer<br />
wissen. Sie verfolgten das Schicksal von mehr als 1700 künstlichen<br />
Zahnwurzeln über acht Jahre. In dieser Zeit gingen 15 Prozent der<br />
Implantate verloren.<br />
Moderne Modelle schnitten dabei besser ab als ältere, berichtete<br />
Studienleiter Germán Gómez-Román. Wilfried Wagner nimmt<br />
dennoch an, dass die Verlustrate steigen wird, denn immer häufiger<br />
werde <strong>auch</strong> bei ungünstigen Knochen- und<br />
Zahnfleischverhältnissen implantiert, wo vielleicht doch eher "die<br />
<strong>gut</strong>e alte Prothese" angebracht wäre.<br />
Vergeblich sucht der Patient nach einer Übersicht, welche der rund<br />
1300 verfügbaren Implantat-Modelle am sichersten sind: Ein<br />
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umfassendes Register und damit eine zuverlässige Statistik gibt es<br />
nicht.<br />
Zu wenige, zu kleine und zu schlechte Studien<br />
Auch die Cochrane Collaboration, die medizinische Studien<br />
zusammenfasst und bewertet, wird bei den Implantologen nicht<br />
recht fündig. Deren Experten fahndeten nach Studien, die<br />
beispielsweise klären wollten, ob Implantate mit glatter oder rauer<br />
Oberfläche langfristig besser halten; ob es vertretbar ist, Implantate<br />
sofort zu belasten; wie eine Entzündung rund um das Implantat am<br />
erfolgversprechendsten behandelt wird; oder wie am besten<br />
vorzugehen ist, wenn der Kiefer des Patienten nicht genügend Halt<br />
bietet: Knochen verpflanzen oder lieber künstlichen Knochenersatz<br />
in den Kiefer einbringen?<br />
Die Antwort lautete stets: Es gibt zu wenige, zu kleine und zu<br />
schlechte Studien, um solche Fragen abschließend zu<br />
beantworten.<br />
Das Kölner Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im<br />
Gesundheitswesen (IQWIG) versuchte zu ergründen, ob der Ersatz<br />
fehlender Backenzähne durch Implantate einer herkömmlichen<br />
Prothese überlegen ist. Weder für die Haltbarkeit noch hinsichtlich<br />
der Auswirkungen auf Ernährung oder Lebensqualität fanden sich<br />
genügend aussagekräftige Studien.<br />
"Wir benötigen dringend bessere Studien zu Implantaten, mit<br />
größeren Fallzahlen, und zwar unabhängige Untersuchungen, die<br />
nicht von den Herstellern der Implantate gesponsert werden",<br />
betont <strong>Gerhard</strong> <strong>Iglhaut</strong>. Der Präsident der DGI, Hendrik Terheyden,<br />
fordert <strong>auch</strong> von der Industrie mehr Geld für solche Forschung.<br />
Seit den 1980er-Jahren gelten <strong>Zahnimplantate</strong> als wissenschaftlich<br />
anerkannter Weg der Mundraum-Renovierung. Allerdings haben<br />
sich Verfahren und Materialien immer wieder geändert. Selten<br />
geworden sind dünne, blattförmige Metallverankerungen im Kiefer,<br />
die bei Belastung gelegentlich brechen. Heute wird üblicherweise<br />
eine zylinderförmige Titanwurzel in den Kieferknochen geschraubt,<br />
dann mit Zahnfleisch bedeckt. Erst nach der Einheilung wird dann<br />
in einem zweiten Eingriff eine Krone darauf befestigt.<br />
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Zurückgegangen ist hingegen die Euphorie für Schnellverfahren,<br />
bei denen die Operateure einen Stumpf in die Mundhöhle ragen<br />
lassen oder sogar gleich einen Kunstzahn draufsetzen. "Bei<br />
perfektem Knochen und Zahnfleisch ist das manchmal möglich",<br />
sagt <strong>Iglhaut</strong>. "Aber wann hat man schon perfekte Verhältnisse?"<br />
Wo die <strong>aber</strong> nicht gegeben seien, träten mehr Komplikationen auf.<br />
"Der Werbespruch 'teeth in an hour' (Zähne in einer Stunde) war<br />
ein Marketing-Desaster", schimpft Elmar Esser von der Deutschen<br />
Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG).<br />
"Gar zu groß waren die damit geweckten Erwartungen, gar zu groß<br />
die Enttäuschung, wenn der Kieferknochen nicht genug Halt für<br />
Implantate im Schnellverfahren bot." Der Sprecher der<br />
Konsensuskonferenz Implantologie der Fachgesellschaften, Roland<br />
Hille, warnt: "Zwischenzeitlich hat die Öffentlichkeit häufig den<br />
Eindruck, dass es keine Misserfolge in der oralen Implantologie<br />
mehr gibt." Immer häufiger müssten sich seriöse Ärzte mit irrealen<br />
Werbeaussagen auseinandersetzen.<br />
Die Begeisterung für Implantate, die ganz aus Keramik bestehen,<br />
ist ebenfalls verflogen. "Sie sehen zwar natürlicher aus als<br />
Implantate aus Titan", sagt <strong>Iglhaut</strong>. Aber die hübschen weißen<br />
Aluminiumoxid-Keramiken seien häufig gebrochen. Inzwischen gibt<br />
es stabilere Modelle aus Zirkonoxid, <strong>aber</strong> noch fehlen Studien zur<br />
Langzeithaltbarkeit. Ein Register aller eingepflanzten Implantate,<br />
um dem Datenmangel abzuhelfen, ist indes nicht geplant. "Der<br />
Aufwand, diese Daten zu erfassen, wäre zu groß", meint<br />
Terheyden. Zumindest <strong>aber</strong> sollten Zahnärzte Allergien gegen<br />
Implantate an eine Datenbank melden, die an der Universität<br />
München geführt wird.<br />
Probleme bereiten indes nicht nur die Implantate selbst, sondern<br />
<strong>auch</strong> die mangelnde Qualifikation mancher Zahnmediziner, darf<br />
doch jeder Zahnarzt Implantate setzen, selbst wenn er damit<br />
keinerlei Erfahrung besitzt. Die größte Gefahr gehe von<br />
unerfahrenen Behandlern aus, warnte die DGMKG kürzlich.<br />
Entscheidend für den Erfolg sei die Erfahrung des Arztes.<br />
Ein Implantologe solle schon 150, besser noch 300 Implantate im<br />
Jahr setzen, um die nötige Routine zu haben. Patienten sollten<br />
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nachfragen, ob der Arzt hinreichend chirurgisch qualifiziert ist, sich<br />
regelmäßig fortbildet und seine Praxis von einer Fachgesellschaft<br />
zertifiziert ist. "Implantologie ist ein Bio-Handwerk, und jeder<br />
Heimwerker weiß, dass er etwas besser hinbekommt, was er schon<br />
häufiger gemacht hat", sagt DGMKG-Sprecher Esser.<br />
Nur wer den Tätigkeitsschwerpunkt "Implantologie" auf dem<br />
Praxisschild führen möchte, muss entsprechende Fortbildungen<br />
absolviert und mindestens 200 Implantate gesetzt haben.<br />
Keinesfalls könnten technische Hilfsmittel die Fertigkeiten des<br />
Arztes ersetzen, betont <strong>Gerhard</strong> <strong>Iglhaut</strong>, <strong>auch</strong> sogenannte<br />
3-D-Navigationssysteme nicht, die derzeit von der Industrie intensiv<br />
beworben werden. Mittels Röntgenaufnahmen und<br />
computergesteuerter Planung versprechen sie, den Implantologen<br />
ins Ziel zu führen, so wie das Navi den Autofahrer.<br />
Dem allzu sorglosen Vertrauen auf die Technik wollen<br />
Fachgesellschaften nun entgegenwirken. Sie arbeiten an einer<br />
Leitlinie zum Einsatz der Navigationssysteme, die bis Ende dieses<br />
Jahres fertiggestellt sein soll. Ziel ist es, im Routinefall unnötige<br />
Kosten und Strahlenbelastungen für Patienten zu vermeiden.<br />
"Wenn für viel Geld so ein Gerät angeschafft wird, ist der <strong>Dr</strong>uck<br />
hoch, es häufig einzusetzen", fürchtet allerdings Terheyden.<br />
Vielleicht <strong>auch</strong> dann, wenn man ohne Roboterassistenz<br />
auskommen könnte. "Da gibt es viel Wildwuchs", sagt er. "Es ist<br />
unverantwortlich, wenn die Industrie suggeriert, <strong>auch</strong> ein Anfänger<br />
könne damit problemlos implantieren."<br />
URL:<br />
<strong>gut</strong>-1.1167800<br />
Copyright:<br />
Quelle:<br />
http://www.sueddeutsche.de/wissen/zahnimplantate-teuer-<strong>aber</strong>-<strong>auch</strong>-<br />
sueddeutsche.de GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH<br />
(SZ vom 18.10.2011/mcs)<br />
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