titel 6. Ethikforum der Stiftung kreuznacher diakonie findet großen Anklang Fachtagung zum Thema „Autonomie trotz(t) Demenz ?!“ (nw) 260 Personen besuchten das 6. Ethikforum der Stiftung kreuznacher diakonie mit dem Titel „Autonomie trotz(t) Demenz ?!“ Vor dem Hintergrund, dass Demenz immer mehr zur Volkskrankheit wird, der Anteil alter Menschen rapide wächst und damit eine Zunahme der Anzahl dementiell Erkrankter einhergeht, entschied sich die Stiftung kreuznacher diakonie , diese Thematik bei einem Ethikforum detailliert zu beleuchten. Demenz ist in einigen Arbeitsbereichen der kreuznacher diakonie ein großes Thema, vor allem in der Seniorenhilfe und den Krankenhäusern. Dabei ist es wichtig, die Lebensqualität dieser Menschen zu verbessern und Mitarbeitende für den Personenkreis zu sensibilisieren. „Für uns geht es darum, das Ethikforum als Anstoß zu nutzen, sich intensiv damit auseinanderzusetzen“, sagte Diakonin Doris Borngässer, Referentin für Diakonik-Ethik der Stiftung kreuznacher diakonie. „Ich bin sicher, dass wir die heute gehörten Ansätze und Beispiele für die Weiterentwicklung unserer Arbeit nutzen können.“ In den kommenden Jahren solle es für Mitarbeitende gezielte Fortbildungen in diesem Bereich geben. Betroffene in eigener Welt In den Fachvorträgen erhielt das Publikum einen breiten Einblick in die Thematik Demenz – allgemein sowie im Speziellen in die Bereiche Altenhilfe und Krankenhaus. „Demenzkranke verstehen am Beispiel der Alzheimer-Demenz“ lautete der von Dr. Michael Grebner, Leitender Oberarzt der Gerontopsychiatrie, Christophsbad Göppingen, gehaltene Vortrag. Dabei ging er auf typische Symptome ein, legte neurologische Befunde vor und beleuchtete anschaulich den Umgang mit Demenzkranken. „Betroffene leben in ihrer eigenen Welt, die wir oft nicht ver- Herausforderung Demenz stehen und in die wir nicht eindringen können. Das logische Denken ist nicht mehr da, und einen an Demenz erkrankten Menschen zu korrigieren, bringt gar nichts.“ 260 Personen folgten der Einladung zum 6. Ethikforum Demenz als Nebendiagnose Der Medizinethiker am Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, Dr. Arnd T. May, referierte am Beispiel von Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe über den Umgang mit Autonomie und Selbstbestimmung und die Frage „Kann ich heute wissen, was ich morgen will ?“ Gilt beispielsweise eine Willensäußerung, die ein Demenzkranker vor seiner Krankheit gemacht hat, auch noch in seinem jetzigen Zustand, oder muss man ihn nun als eine andere Person ansehen ? „Es stellt sich also die Frage nach der Patientenverfügung als Mittel der Verlängerung der Selbstbestimmung oder als Instrument der Versklavung“, so May. „Automonie bei Menschen mit Demenz ?“, fragte Prof. Dr. Marion Großklaus-Seidel, offene tür 4 / 2010 06 www.kreuznacherdiakonie.de Diakonin Doris Borngässer, Referentin für Diakonik-Ethik in der Stiftung kreuznacher diakonie (r.), freute sich über die hochkarätigen Referentinnen und Referenten beim 6. Ethikforum Theologin, Pädagogin und Pflegeethikerin an der Ev. Fachhochschule Darmstadt und gab Anstöße aus der Theorie für die Praxis im Krankenhausalltag. „Immer mehr Patienten mit der Nebendiagnose Demenz werden im Krankenhaus versorgt. Dies bringt einige Probleme und Herausforderungen mit sich“, sagte Großklaus-Seidel und erläuterte dies. Bei der Betonung von Autonomie bestehe die Gefahr, menschlichem Leben, das keine erkennbare Autonomie besitze, die Lebensqualität abzusprechen. „Ich finde, die Betonung der Autonomie sollte nicht das christliche Verständnis von Menschenwürde aushöhlen.“ Konkrete Projekte vorgestellt Auf dem Programm standen außerdem zwei konkrete, bereits laufende Projekte. Die Sozialwissenschaftlerin und Koordinatorin von Projekten bei der Arbeiterwohlfahrt Ostwestfalen- Lippe, Angelika Krafft, stellte „Abschied leben – Sterbebegeleitung in der Altenhilfe“ vor. Um das Ziel von Leben und Sterben in Würde bis zuletzt zu erreichen, seien hohe Anforderungen an alle Beteiligten gestellt. „Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld von Autonomie und Fürsorge.“ Cornelia Plenter, Diplom-Pflegewissenschaftlerin am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, gab einen Einblick in das dreijährige Projekt „Blickwechsel Demenz. Regional“, das seit gut einem Jahr läuft und sich mit der Integration und Vernetzung in der Versorgung von Patienteninnen und Patienten mit Demenz in der Region Herdecke befasst. Sie erläuterte eine Form der Tagesbetreuung im Krankenhaus. Hier haben primär Patienteninnen und Patienten mit Demenz die Möglichkeit, aus dem Krankenhausalltag herausgelöst, gemeinsam zu essen, zu singen und sich auszutauschen. l Geschäftsführerin der Seniorenhilfe kreuznacher diakonie im Interview Angehörige als wichtigste Informationslieferanten (nw) Die Seniorenhilfe kreuznacher diakonie unterhält im Saarland und in Rheinland-Pfalz sechs Altenheime. Ein großer Teil der Bewohner/-innen ist an Demenz erkrankt. Geschäftsführerin Monika Kolling erläutert, welche Besonderheiten damit auf die Einrichtungen zukommen, wie Lebensqualität erhalten werden kann und in welcher Form Angehörige ein- bezogen werden. Frau Kolling, in Deutschland leben aktuell rund 1,3 Millionen Menschen mit Demenz. Können Sie sagen, wie hoch der Anteil in Ihren sechs Senioreneinrichtungen ist ? Monika Kolling: Der Anteil liegt zwischen 40 bis 60 Prozent im stationären Bereich. Das ist je nach Einrichtung unterschiedlich. Die niedrigste Quote hat das Karl Ferdinand Haus in Neunkirchen, die höchste das Luise Deutsch Haus in Schwalbach. Im Elisabeth Jaeger Haus ist die Quote mit 40 Prozent zwar vergleichsweise gering, sie hat sich jedoch in den letzten eineinhalb Jahren fast verdoppelt. Und wie sieht es in der Tagespflege aus ? Tagespflege bieten wir an drei Standorten an. Hier liegt die Quote noch über der im stationären Bereich. Spitzenreiter ist hier das Wichernhaus. Zwei Drittel der Gäste sind an Demenz erkrankt. Die Entwicklung zeigt, dass die Anzahl immer weiter steigen wird. Wird die Seniorenhilfe kreuznacher diakonie dem gewachsen sein und wenn ja, wie ? Wir arbeiten daran. Es gibt einige Proble- me und auch Fragestellungen, denen wir uns stellen müssen. Eine davon ist der jetzt schon beginnende Fachkräftemangel. Ein weiterer schwieriger Punkt ist die momentane integrierte Versorgung. Das heißt, Menschen mit und ohne dementielle Erkrankung leben gemeinsam in Wohnbereich. Wir haben die Probleme erkannt und sind, denke ich, auf einem guten Weg. Wie schaffen Sie es, den an Demenz Erkrankten Lebensqualität zu bieten ? Wichtig ist, dass wir Wohn- und Lebensräume so gestalten, das Menschen mit dementiellen Erkrankungen noch möglichst selbständig leben können. Um ihren Bewe- Herausforderung Demenz gungsdrang auszuleben, bieten wir barrierefreie Häuser mit geschützten Räumen, wie zum Beispiel einen eingezäunten Garten. Außerdem erhalten die Menschen die Beschäftigungsmöglichkeiten, die zu ihnen passen. Und wie gelingt das ? Schon gleich zu Beginn ist eine detaillierte Biographiearbeit nötig. Das heißt, die Menschen erzählen uns aus ihrem Leben. Hier beziehen wir Angehörige stark mit ein. So ist es dann möglich, Angebote ganz individuell auszuwählen. Hier ist insbesondere großes Einfühlungsvermögen der Mitarbeitenden gefragt. Welche Beschäftigungsmöglichkeiten gibt es in Ihren Häusern ? Unser Programm für soziale Betreuung und Beschäftigung „Senior Aktiv“ ist vielfältig. Es reicht von Kegeln und Singen über Ge- dächtnistraining und Kochen bis hin zu Malen und Gehtraining. Im Vergleich zu früher gehen wir immer mehr weg von Angeboten in einem großen Kreis, hin zu Kleingruppen und Einzelangeboten. Es gibt auch nicht mehr den einen Raum, in dem etwas stattfindet. Wir verlagern die Aktivitä- ten in den bekannten Wohnbereich. Heute wird „Senior Aktiv“ ganz individuell gestaltet und angepasst. Musiktherapeuten und Psychologen sprechen davon, dass Alzheimer-Patienten Momente des Erwachens zeigen, wenn sie Musik hören. Können Sie das bei Menschen mit Demenz auch beobachten ? Ja, auf jeden Fall – sowohl mit Instrumentalklängen als auch mit Liedern. Viele kennen plötzlich Textpassagen und singen lauthals mit. Von Seiten der Mitarbeitenden ist es dann wichtig, dies zu loben. Das ist dann natürlich ein Erfolgserlebnis. www.kreuznacherdiakonie.de titel Monika Kolling, Geschäftsführerin der Seniorenhilfe kreuznacher diakonie Menschen mit Demenz leben oft in der Vergangenheit. Finden sich in Ihren Häusern alte Gegenstände und dürfen Bewohnerinnen und Bewohner ihre eigenen Sachen mitbringen ? Jeder darf sein Zimmer individuell gestalten, also eigene Bilder, seinen Lieblingssessel oder Pflanzen mitbringen. Eine Milieugestaltung zum Beispiel mit alten Möbeln oder altem Geschirr gibt es auch. Hier müssen wir aber bedenken, dass unsere Bewohnerinnen und Bewohner zwischen 60 und 100 Jahren alt sind. Es kann also sein, dass ein 90-Jähriger ganz anders auf ein bestimmtes Möbelstück reagiert als eine 60-Jährige. Wie werden Angehörige von Ihnen einbezogen? Angehörige, Freunde und Bekannte sind unsere wichtigsten Informationslieferanten. Wir sind darauf angewiesen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und tun das gern. Bei uns gibt es zum Beispiel Angehörigensprechstunden und –abende zum Austausch. Und alle zwei Jahre machen wir eine Angehörigenbefragung, um herauszufinden, wie zufrieden sie mit der Einrichtung und den Mitarbeitenden sind. Apropos Mitarbeitende – sind diese besonders gerontopsychiatrisch geschult ? In den letzten Jahren gab es durchgängig innerbetriebliche Fortbildungen, beispielsweise zu demenzgerechter Ernährung oder adäquaten Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Demenz. Zudem haben wir Mitarbeitende, die sich zur gerontopsychiatrischen Fachkraft weiterbilden. Das steckt jedoch noch in den Kinderschuhen und wird weiter ausgebaut. Ich lege auch Wert darauf, alle Mitarbeitenden, auch in der Hauswirtschaft oder der Technik, für Menschen mit Demenz und die damit auftretenden Besonderheiten zu sensibilisieren. Vielen Dank für das Gespräch. l 07 offene tür 4 / 2010