17.01.2013 Aufrufe

A4.Texte-ZAPP.pdf

A4.Texte-ZAPP.pdf

A4.Texte-ZAPP.pdf

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

A4. PRESSEFREIHEIT - PRESSEUNABHÄNGIGKEIT<br />

1. MEDIEN UND POLITIK IN DEUTSCHLAND: DER FALL BRENDER<br />

Zusammenfassung :<br />

Der Fall Brender und die Konsequenzen (30.11.2009)<br />

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hat wie kein anderer Journalist Schlagzeilen gemacht. Er ist ein<br />

unabhängiger Mann und deshalb muss er jetzt wohl gehen. Der Verwaltungsrat des ZDF hat sich gegen seine<br />

Vertragsverlängerung entschieden - trotz heftiger Proteste von Staatsrechtlern und Journalisten. Die Politik hat sich<br />

also durchgesetzt - Brender abgesägt. Allen voran: Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Zapp berichtet<br />

über die schamlosen Machtspiele der Politik und den immensen Schaden für den unabhängigen Journalismus.<br />

Roland Koch (CDU) hat seinen Kampf gewonnen. Es wurden Strippen gezogen, monatelang. Das war ein<br />

politisches Gemetzel auf Kosten von Nikolaus Brender, der zehn Jahre lang Chefredakteur des ZDF war. Jetzt ist er<br />

seinen Job los. Seine Unabhängigkeit aber hat er gerettet. Das ZDF dagegen ist vor den Augen aller zum Opfer<br />

politischer Machtspiele geworden. Markus Schächter, ZDF-Intendant, erklärt: „Ich bedaure das außerordentlich,<br />

weil ich mit guten, mit sehr guten Gründen mich für Nikolaus Brender eingesetzt habe.“ Und Michael Jürgs,<br />

Publizist, fragt: „Was zum Teufel muss man eigentlich noch können, damit man sein Amt behält?“ Hubertus<br />

Gersdorf, Professor für Kommunikationsrecht, sagt: „Es ist ein schwarzer Tag, ein schwarzer Freitag, für die<br />

Unabhängigkeit des Journalismus in der Bundesrepublik Deutschland.“<br />

Hinter verschlossenen Türen, in geheimer Abstimmung, hat der ZDF-Verwaltungsrat entschieden. Das Ergebnis<br />

stand vorher fest, auch für die Mitglieder. Dieter Beuermann, Mitglied ZDF-Verwaltungsrat, erzählt: „Na ja, also<br />

wir haben uns nicht angegiftet. Das kann man sagen, es blieb, es war eine Diskussion auf gutem Niveau. Aber es<br />

war keine Sternstunde für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.“<br />

Keine Einflussnahme der Politik<br />

Nikolaus Brender hat sich stets gewehrt, wenn Politiker aufs Programm Einfluss nehmen wollten, und erwartete<br />

das auch von seiner Redaktion. Bei einer Gelegenheit sagte Nikolaus Brender: „Ich darf Sie sehr bitten, wirklich<br />

unabhängig zu bleiben, keine Sympathien für die eine oder die andere Partei zu zeigen. Und vor allem aber auch als<br />

Journalist kritisch zu bleiben.“ Genau das machte ihn zum Problem für die Parteien. Denn Brender ist weder links<br />

noch rechts und damit unberechenbar für die Politiker. Viele haben in diesen Wochen für ihn gekämpft. Bis zuletzt.<br />

Brender wurde überhöht, zur Ikone des unabhängigen Journalismus.<br />

Der Publizist Jürgs meint: „Wie schlimm die Zeiten sind, sieht man daran, dass eine normale anständige<br />

journalistische Haltung, die Brender hat, zum Heldentum stilisiert wird, weil auf der anderen Seite Schurken<br />

zugange sind.“ Und Hubertus Gersdorf sagt: „Die Besonderheit besteht darin, dass in der Vergangenheit solche<br />

politischen Machenschaften eher in Hinterzimmern, im Dunkeln verabredet wurden. Diesmal wird in aller<br />

Deutlichkeit, in der Öffentlichkeit, ohne irgendwelche Umschweife das gefordert, was man möchte und was man<br />

nicht möchte, nämlich politische Einflussnahme auf das Zweite Deutsche Fernsehen.“<br />

Eine angekündigte Entscheidung<br />

Unverhohlen wurde das Ende Brenders angekündigt, schamlos wurde es in die Tat umgesetzt und schließlich auch<br />

noch heuchlerisch begründet. Roland Koch (CDU) dazu: „Ich will auch ausdrücklich sagen, dass es nicht um die<br />

journalistische Integrität von Herrn Brender ging. Dass er ein guter Journalist ist und dass er sicherlich auch in<br />

Zukunft an der journalistischen Arbeit teilnehmen wird, das hat niemand bestritten, und es ist nicht Gegenstand der<br />

Aufgabe des Verwaltungsrats.“<br />

Dieses Bekenntnis ist eine Farce, denn der Verwaltungsrat hat über einen Journalisten gerichtet. In dem Gremium<br />

sitzen Ministerpräsidenten und Parteienvertreter. Ausgerechnet sie können über die bestimmen, die über sie kritisch<br />

berichten sollen. Hubertus Gersdorf: „Die Politik ist Gegenstand einer kritischen Beobachtung durch den<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunk und wenn der zu beobachtende Einfluss auf den Kontrolleur hat, kann man sich<br />

die Kontrolle gleich schenken.“ Ein widersinniger Zustand, weil er Journalisten in Abhängigkeit von Politikern<br />

bringt.<br />

Klage vor dem Bundesverfassungsgericht?<br />

35 Staatsrechtler zweifeln deshalb, ob die Zusammensetzung des Verwaltungsrats überhaupt rechtens ist. Absurd<br />

daran: Nur die Politiker selbst können das vor dem Bundesverfassungsgericht klären. Hubertus Gersdorf: „Hierfür<br />

wäre politischer Mut erforderlich. Dass ein Drittel der Mitglieder des Deutschen Bundestages sich<br />

zusammenraufen, um einen Antrag zu stellen. Theoretisch könnte auch eine Landesregierung einen Antrag stellen,<br />

aber ob sich eine Landesregierung finden wird, das müsste man schauen.“


Öffentlichkeitswirksam beklagt Kurt Beck (SPD) Brenders Abgang. Dabei könnte er als Ministerpräsident von<br />

Rheinland-Pfalz auch handeln. So antwortet Kurt Beck auf die Frage eines Journalisten, ob er klagen werde: „Das<br />

werde ich zuerst mal prüfen und ich habe angeregt, dass all die Verfassungsrechtler und Medienrechtler und<br />

Journalisten und Wissenschaftler und die Politik miteinander zuerst mal in einen Dialog treten und mal prüfen, was<br />

war denn verantwortlich.“<br />

Brenders Rauswurf ist auch Small-Talk-Thema beim Bundespresseball. Und für einen weiteren SPD-<br />

Ministerpräsidenten ein Riesen-Skandal. Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister Berlins, meint auf die<br />

Frage, ob er klagen werde: „Ach, wissen Sie, das ist keine juristische Auseinandersetzung, finde ich. Ich weiß<br />

nicht, ob jemand klagt oder nicht. Ist mir auch ehrlich gesagt relativ egal. Ich finde, da muss ein Aufstand kommen<br />

der Anständigen und diejenigen, die Pressefreiheit verteidigen wollen.“ Er aber könnte die Pressefreiheit<br />

verteidigen, denn auch seine Landesregierung könnte klagen. Michael Jürgs sagt: „Es ist feige. Es ist ganz einfach<br />

fast noch schlimmer als die Schurken, die es angerichtet haben, weil die, die vorlaut getönt haben, wir stehen hinter<br />

Brender und das ist hier die Pressefreiheit und Demokratie, blablablabla, hätten genauso vors Mikrofon gemusst:<br />

Hiermit verkündige ich, der Länderchef von XY werde die Verfassungsklage einreichen. Punkt. Dann wissen wir,<br />

woran wir sind.“<br />

Gesucht: Mut<br />

Auch Intendant Markus Schächter hat verloren und versucht dennoch, sein Gesicht zu wahren - mehr nicht.<br />

Michael Jürgs: „Ich könnte doch deutlich nach außen machen: so nicht. Oder aber ich könnte die Methoden der<br />

Schurken benutzen und sagen, wenn nicht, dann mach ich den hier, dann bin ich weg, dann sucht euch mal einen<br />

anderen. Das geht ja alles. Mir fehlt einfach das, was man früher Mannesmut vor Fürstenthron nannte.“ Dabei ist<br />

gerade Mut bitter nötig im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn immer wieder machen Politiker Machtansprüche<br />

gegenüber den Sendern geltend. Beim ZDF in massivster Weise, aber auch in der ARD. Zu gerne wollen<br />

Staatskanzleien in Programm und Personal hineinregieren und müssen immer wieder abgewehrt werden. Hubertus<br />

Gersdorf meint: „Die Strukturen müssen so geschaffen sein, dass die Politiker nicht das erreichen können, was sie<br />

erreichen wollen, nämlich Einfluss auf die publizistische Tätigkeit zu gewinnen. Deswegen brauchen wir eine klare<br />

Vorgabe, dass Politiker im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht sitzen dürfen.“<br />

Der Vertrag von Nikolaus Brender endet übrigens im März nächsten Jahres.<br />

Autorin/Autor: Josy Wübben, Jasmin Klofta<br />

Zusätzliche Sendungen zum Thema :<br />

Große Solidarität - ZDF wehrt sich gegen politische Intrigen (25.02.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Guten Abend bei Zapp. Die tollen Tage - eigentlich sind sie heute, am Aschermittwoch vorbei. Doch in der<br />

Hochburg Mainz erreichen sie offensichtlich gerade erst ihren Höhepunkt. Beim ZDF ist der Teufel los. Der Grund:<br />

Chefredakteur Nikolaus Brender - unbequem und unabhängig ist er. Und genau deshalb, wollen CDU Politiker<br />

offenbar verhindern, dass sein Vertrag verlängert wird. Statt mit dem Zweiten einfach nur „besser“, wollen sie in<br />

Zukunft „schwarz“ sehen. Der Machtkampf tobt bereits seit Tagen - ein Ende ist nicht absehbar. Grit Fischer und<br />

Josy Wübben über eine närrische Zeit in Mainz, die so gar nicht lustig ist.<br />

Beitragstext:<br />

Wir müssen draußen bleiben. Unsere Kamera ist unerwünscht. Beim ZDF in Mainz ist die Nervosität groß.<br />

Interviews sind deshalb nicht möglich. Insider wissen aber, was sich derzeit hier abspielt. Reporterin: „Wie ist die<br />

Stimmung gerade beim ZDF?“ Klaus Bresser, ehemaliger ZDF-Chefredakteur: „Die kann nicht gut sein. Wer mit<br />

solchen Unverschämtheiten der Parteien zu tun hat, muss sich ärgern.“ Thomas Leif, „netzwerk recherche“: „Was<br />

man von Kollegen hört, ist es so, dass schon als ein massiv - als eine massive Intervention in die innere<br />

Pressefreiheit gesehen wird. Als ein Symbol, dass das ZDF demnach Beute auch dieser Parteien sein soll und das<br />

verschlechtert natürlich das Klima.“<br />

Einfluss im ZDF-Verwaltungsrat<br />

Schlechtes Klima drinnen und große Sorgen draußen. (Zeitungsausschnitt: „FAZ“ Ausgabe vom 22.02.2009) „Das<br />

ZDF wird verstaatlicht“ befürchten viele und fordern den Sender (Zeitungsausschnitt Stuttgarter Zeitung, Ausgabe<br />

24.02.09) „nicht dem Staat ausliefern“. Es geht um Politik und um Politiker. Die wollen ihn loswerden. Nikolaus<br />

Brender - er ist seit 9 Jahren der Chefredakteur des ZDF. Jetzt soll er weg – fordern die Vertreter von CDU und<br />

CSU im ZDF-Verwaltungsrat. Edmund Stoiber, Peter Müller und Roland Koch sind die Wortführer. Keiner von<br />

ihnen wollte mit Zapp reden. Tatsache ist, dass sie und ihre Parteifreunde das Sagen haben im ZDF-<br />

Verwaltungsrat. Lutz Hachmeister, Institut für Medienpolitik: „Im Prinzip, wenn die CDU/CSU will, kann sie auf<br />

eine Nicht-Verlängerung dieses Vertrages hinwirken , also von den rein faktischen Mehrheiten wäre es wohl so,<br />

dass der Vertrag von Nikolaus Brender nicht verlängert wird.“ Thomas Leif, „netzwerk recherche“: „Mein<br />

Eindruck ist der, dass jetzt der konservative Bereich, der satte Mehrheit im ZDF hat, jetzt so etwas Ähnliches haben<br />

will wie eine Machtrendite und deshalb quasi personalpolitische Konsequenzen fordert.“


Gefährliche Einmischung<br />

Klaus Bresser, ehemaliger ZDF-Chefredakteur: „Ich dachte, wir wären längst weiter, hätten das hinter uns, aber es<br />

ist die alte Unverschämtheit, die Unverschämtheit, sich Journalisten auszusuchen, die den Politikern in den Kram<br />

passen.“ Und der ZDF-Chefredakteur passt ihnen nicht. Deshalb gibt es jetzt Protest von drinnen. Prominente ZDF-<br />

Journalisten warnen in einem offenen Brief: Vor einer „gefährlichen Einmischung der politischen Parteien“,<br />

bestehen auf der „journalistischen Unabhängigkeit“ ihres Senders und wehren sich gegen den „politischen Druck.“<br />

Sie sind solidarisch mit ihrem Intendanten, der Brender behalten will. Lutz Hachmeister, Institut für Medienpolitik:<br />

„Das ist schon ein ungewöhnlicher Vorgang, dass sich leitende Mitarbeiter so solidarisch mit ihrem Chef erklären<br />

und es ist sicher sehr, sehr hilfreich in dieser Situation. Also man würde im Journalismus wünschen, dass solche<br />

Dinge häufiger vorkommen und zwar nicht, so aus gratis Mut heraus. Also so nach dem Motto: Den Mann kennen<br />

wir, das ist unser Kumpel, das ist ein netter Chef – also, warum soll der jetzt abgesetzt werden? Sondern wirklich<br />

aus Systemgründen.“<br />

Zeichen des Rückrats<br />

Und deshalb kommt der Protest aus allen Redaktionen des ZDF, politische Überzeugungen spielen keine Rolle.<br />

Und es sind auch manche dabei, die schon heftigen Streit mit ihrem Chefredakteur Brender hatten. Um so<br />

erstaunlicher der gemeinsame Appell gegen politische Einflussnahme. Thomas Leif, „netzwerk recherche“: „Ich<br />

habe mich gefreut. Ein mutiges Signal, wie die „FAZ“ schreibt, der Elite des ZDF. Es ist auch wirklich ein Zeichen<br />

des Rückgrats, so entschieden in die Öffentlichkeit zu gehen, es ist übrigens historisch ganz neu im ZDF. Und es ist<br />

ein Signal für die innere Pressefreiheit in Deutschland. Ein Thema, was ja lange verstaubt war und auch ein<br />

Zeichen für jüngere Kollegen und andere: Es lohnt sich, selbst die Stimme zu erheben und was zu machen.“ Klaus<br />

Bresser, ehemaliger ZDF-Chefredakteur: „Ich kann nicht für das ZDF reden aber ich kann sagen, dass mir jetzt<br />

imponiert, wie alle leitenden und bekannten Mitarbeiter des ZDF sich hinter den Chefredakteur stellen.“ Es gab<br />

schon andere Zeiten.<br />

Warnung vor politischem Einfluss<br />

Immer wieder haben Politiker versucht, ihren Einfluss geltend zu machen. Auch bei der Wahl des jetzigen ZDF-<br />

Intendanten Markus Schächter. Monatelang dauerte die Kungelei der Freundeskreise von CDU und SPD. Hans<br />

Janke durfte vor 7 Jahren kein Programmdirektor werden. Die CDU behauptete, er sei angeblich zu links. Thomas<br />

Leif: „Das Muster ist immer das Gleiche. Es werden bestimmte Figuren identifiziert, die angeblich nicht ins Raster<br />

passen, die angeblich zu kritisch sind. Aber in Wahrheit geht es darum, dass sie sich der Politik, bestimmten<br />

Kreisen in der Politik verschließen und unabhängigen Journalismus betreiben.“ Das hat auch er erlebt – schon vor<br />

über 20 Jahren. Klaus Bresser hatte vor dem politischen Einfluss auf öffentlich-rechtliche Sender gewarnt. Die<br />

Union wollte deshalb seine Wahl zum Chefredakteur verhindern. Klaus Bresser: „Ich war angewiesen darauf, dass<br />

der Sender Selbstbewusstsein genug aufbringt, um mich dennoch durchzusetzen. Das hat er getan, deshalb bin ich<br />

dankbar. Ich hoffe, es wird genauso bei meinem Kollegen Nikolaus Brender sein.“<br />

Gemeine Medienkampagne<br />

Nikolaus Brender hat sich schon mehrfach den Unmut von Politikern zugezogen. Denn Brender bewies immer<br />

wieder seine Distanz zu allen – egal ob Kanzler oder nicht mehr Kanzler. (Ausschnitt „Berliner Runde“ vom<br />

18.09.2005) „Brender: Also ich sage noch mal, Herr Bundeskanzler, das sind Sie ja noch, bis zur Neuwahl -<br />

Schröder: Das bleibe ich auch, auch wenn Sie dagegen arbeiten. Brender: Ob wir dagegen arbeiten? Schröder: Ja.<br />

Brender: Sie haben von Medienmacht und Medienkampagne geredet .Schröder: Ja, zu Recht, wie ich finde.<br />

Brender: Ich weise darauf hin, dass der ARD und dem ZDF dies nicht vorzuwerfen ist. Nicht alles, was Ihnen<br />

passt....Schröder: Der eine sieht es so, der andere sieht es so, Herr Brender. Brender: Nicht alles, was Ihnen nicht<br />

passt, ist eine gemeine Medienkampagne.“ Der Auftritt war spektakulär. Es ging nicht um eine politische<br />

Gesinnung. Für viele war es einfach eine Sternstunde des unabhängigen Journalismus. Thomas Leif: „Der Kern des<br />

Konflikt um Nikolaus Brender ist meiner Ansicht nach kein Links-Rechts-Schema oder die Frage, wie einer<br />

politisch steht, sondern die Positionierung von Brender, der sagte, dass er künftig Beschwerden von Lobbyisten und<br />

von bestimmten politischen Gruppen, die zu weit gehen, öffentlich machen will. Damit hat er im Grunde,<br />

sozusagen das Machtzentrum der Parteien, die Einfluss nehmen wollen auf das Programm, angegriffen und hat sie<br />

an ihrem wichtigsten Punkt getroffen.“<br />

Quote als Maßstab<br />

Lutz Hachmeister: „Offensichtlich untergründig gibt es bei den politischen Parteien immer noch diese Einstellung:<br />

Uns gehört der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Also nicht die Bürger zahlen das Geld, zahlen die Gebühren für den<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern wir die Parteien stellen sicher, dass ARD und ZDF überhaupt Geld<br />

bekommen. Und es zeigt sich heute, dass diese Einstellung offensichtlich noch stärker vorhanden ist, als man<br />

eigentlich denkt.“ CDU-Mann Roland Koch will davon nichts wissen. Heute machte er seinen Unmut öffentlich –<br />

in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Ausführlich begründet er, warum er den ZDF-Chefredakteur loswerden<br />

will. Koch behauptet, dass einige ZDF-Sendungen zahlreiche Zuschauer verloren hätten. Die Quote – für einige<br />

Politiker plötzlich der Maßstab für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Sie werden jetzt mit fadenscheinigen<br />

Argumenten versuchen, seine fachliche Qualifikation anzugreifen. Werden versuchen, das auf eine


Qualifikationsfrage zu reduzieren. Das ist aber meiner Ansicht nach nur eine nachgeschobene Begründung, um<br />

sozusagen aus dem politischen Dilemma rauszukommen.<br />

Postengeschacher nach Farbenlehre<br />

Im heutigen Interview ärgert sich Koch auch über die ZDF-Mitarbeiter, die gegen politische Einflussnahme<br />

protestierten. (Zeitungsausschnitt FAZ vom 22.02.2009): „Ich glaube, keiner der Beteiligten hat sich durch diesen<br />

Brief einen Gefallen getan.“ Eine Drohung? Lutz Hachmeister, Institut für Medienpolitik: „Also, da es 14 Leute<br />

sind, die den Brief unterschrieben haben, kann man nicht jeden Einzelnen aufs Korn nehmen und damit drohen,<br />

deren Verträge nun auch nicht zu verlängern.“ Die nächsten Tage werden zeigen, was sich hier in Mainz<br />

durchsetzt: Postengeschacher nach politischer Farbenlehre oder Personalentscheidungen nach journalistischen<br />

Kriterien. Es bleibt spannend. Klaus Bresser: „Die Staatsferne muss täglich erkämpft werden von Journalisten, die<br />

unkalkulierbar, die unabhängig, die souverän sind.“ Lutz Hachmeister: „Das ZDF kann insgesamt als Gewinner aus<br />

dieser Debatte herausgehen. Auch die Idee eines halbwegs unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks und<br />

wenn das das Ergebnis wäre, dann müsste man sich ja fast mehr solcher Affären herbei wünschen.<br />

Abmoderation:<br />

Der Kampf geht weiter. Und vergessen Sie nicht - er geht uns alle an.<br />

Politiker in den Sender-Gremien (04.03.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Guten Abend. Herzlich Willkommen bei Zapp! Wer hat eigentlich das Sagen beim ZDF? Die Journalisten, der<br />

Intendant oder die Politik. Um diese wichtige Frage geht es nun seit zwei Wochen: Wird der unbequeme und<br />

unabhängige Nikolaus Brender Chefredakteur bleiben? Oder werden CDU und CSU auf dem Lerchenberg<br />

demnächst durchregieren? Der Streit eskaliert - Dabei ist die Sache eigentlich klar. Der öffentlich-rechtliche<br />

Rundfunk soll, so hat es sogar das Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellt, öffentlich, aber – und jetzt<br />

kommt es: staatsfern sein. Er soll informieren und die Macht kontrollieren. Doch: macht er das? Alicia Anker, Tina<br />

Schober und Josy Wübben über den Kampf hinter den Kulissen. Früher wie Heute.<br />

Beitragstext:<br />

Dieser Mann wurde 60, Kurt Beck. Er ist Ministerpräsident und zugleich Vorsitzender des ZDF-Verwaltungsrats.<br />

Und deshalb wurde vor drei Wochen gemeinsam gefeiert – um Kosten zu sparen. Der Schaden ist dennoch groß.<br />

Wilhelm von Sternburg, ehemaliger Chefradakteur Hessischer Rundfunk: „Wie ist es denn eigentlich möglich, dass<br />

ein Ministerpräsident Beck sich die Hälfte seiner Geburtstagsfeier von den Gebühren der ZDF-Zahler zahlen lässt.“<br />

Michael Jürgs, freier Journalist: „Ich glaube, dass man alles vermeiden sollte, um den Verdacht aufkommen zu<br />

lassen, dass vielleicht das ZDF seinem Verwaltungsratsvorsitzendem Beck einen Geburtstag ausrichtet oder einen<br />

Film zeigt und den dann auf die Homepage stellt - das ist zumindest ein bisschen tumb.“ Zumindest ein bisschen<br />

peinlich. Denn der von ZDF-Mitarbeitern montierte Geburtstags-Film ist arg simpel gestrickt. Ausschnitte Kurt<br />

Beck – Geburtstagsfilm: „Dieser Mann schmiedet das Eisen, solange es glüht. Genau. Dieser Mann traut sich heiße<br />

Eisen anzupacken. Ja. Ausrufezeichen setzen, wo andere durch Fragezeichen schlingern. Der Kurt, sagt man hier,<br />

der kann das.“ Acht Minuten über den tollen Kurt Beck. Und alle gratulierten mit dem ZDF-Mikrofon. Bis gestern<br />

konnte jeder den Film sehen – auf der Homepage der rheinland-pfälzischen Landesregierung. Heute wurde das<br />

Video entfernt.<br />

„Murks in Mainz“<br />

Das ZDF bleibt dennoch in den Schlagzeilen. Noch immer nicht ist entschieden, wie es hier weitergeht. Mit ihm.<br />

Nikolaus Brender. CDU-Politiker weigern sich weiterhin seinen Vertrag zu verlängern. Michael Jürgs, freier<br />

Journalist: „Der Angriff gegen Brender ist eine unglaubliche Sauerei und das ist eigentlich die Pflicht eines jeden<br />

anständigen Journalisten – egal, wo er steht. Rechts, links, Mitte, oben, unten – dagegen Stellung zu beziehen.“<br />

Viele Journalisten beziehen diese Stellung. Die linksalternative „taz“ schimpft über den „Murks in Mainz“ . Und<br />

die eher konservative „FAZ“ fürchtet „Das ZDF wird verstaatlicht“ .<br />

Solidarität von ARD-Intendanten<br />

Und heute äußern in Zapp auch einige ARD-Chefs ihren Unmut über die Vorgänge beim ZDF. Fritz Raff vom<br />

Saarländischen Rundfunk befürchtet einen Schaden für das öffentlich-rechtliche System. Heinz Glässgen von<br />

Radio Bremen warnt vor dem Missbrauch parteipolitischer Interessen. Arno Beyer vom NDR wehrt sich gegen<br />

politische Machtansprüche bei Personalentscheidungen. Für Thomas Gruber vom Bayerischen Rundfunk ist das<br />

alles rufschädigend für das öffentlich-rechtliche System.<br />

Einflussbegehren - ein alter Hut<br />

Das ZDF und die Politiker - Krach gab es hier auch schon früher. Heide Simonis, SPD - ehemalige<br />

Ministerpräsidentin Schleswig-Holstein: „Man kann ja fast dem Herrn Koch schon dankbar sein, dass er es so offen<br />

macht. Früher wurde das noch anders gemacht. Da wurde das hinter den Theaterkulissen und hinter den Gardinen<br />

gemacht, da konnte man es nur ahnen.“ Michael Jürgs, freier Journalist: „Die Debatte ist uralt. Das bedeutet, dass<br />

man jedes Mal, wenn sie neu anfängt, als Journalist dagegen hauen muss.“ Dagegen hauen, sich wehren. Um auch<br />

weiterhin kritische Fragen stellen zu können, obwohl manche Politiker das überhaupt nicht mögen. Ausschnitt aus


dem Interview mit Peter Hintze, Sendung: „Panorama Politik und Medien“ vom 07.06.2001: „Hintze: Also lassen<br />

Sie bitte mal solche Unverschämtheiten ausm Raum - wirklich. Dann können Sie das Interview alleine machen –<br />

ernsthaft. Ne also, nein, nein – Ne, ihre Frechheiten können Sie alleine machen.“ Ausschnitt des Interviews mit<br />

Wolfgang Clement, Sendung „Panorama Politik und Medien“ vom 07.06.2001: „Clement: Jetzt lassen Sie mich<br />

mal aufregen! Mensch, hören Sie mir mal zu. Sie sind ja wohl nicht zu retten! Sie glauben jawohl nicht mir ständig<br />

hier dazwischen quatschen zu können. Was glauben Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?!“ Ausschnitt des<br />

Interviews mit Politikerin in der Sendung „Panorama Politik und Medien“ vom 07.06.2001: „Ich mag nicht mehr,<br />

es tut mir schrecklich leid. Ich bin doch bei Ihnen hier jetzt nicht im Kreuzverhör.“<br />

Unabhängige Journalisten unerwünscht<br />

Michael Spreng, ehemaliger Journalist und Politikberater: „Politiker haben ohnehin Schwierigkeiten mit der<br />

Unabhängigkeit von Journalisten insgesamt. Politiker glauben ja, man könne Medien instrumentalisieren und<br />

glauben, wenn sie zu einem Journalisten ein Vertrauensverhältnis haben, dann sei das ihr Kumpel, der nur noch<br />

wohlwollend über sie berichten wird. Also, Politiker haben nach meiner Erfahrung nach wie vor wenig Verständnis<br />

für die Notwendigkeiten des Journalismus und haben häufig ein Problem mit der Pressefreiheit.“ Beispiel: Otto<br />

Graf Lambsdorff bezeichnete manche Reporter, die in der Flick-Affäre recherchierten, als „Todesschwadrone“<br />

(Ausschnitt der Sendung „Panorama Politik und Medien“ vom 07.06.2001) Oder Oscar Lafontaine - er sprach<br />

während der sogenannten Rotlichtaffäre vom „Schweinejournalismus“ (Ausschnitt der Sendung „Panorama Politik<br />

und Medien“ vom 07.06.2001). Oder Joschka Fischer - als Reporter in seiner Vergangenheit wühlten, sprach er von<br />

„5-Mark-Nutten“ (Ausschnitt der Sendung „Panorama Politik und Medien“ vom 07.06.2001).<br />

Brender in der „Berliner Runde“ von 2005<br />

Nikolaus Brender weiß um die Befindlichkeiten von Politikern. Der ZDF-Chefredakteur blieb deshalb auch immer<br />

distanziert. Ausschnitt, der Sendung „Berliner Runde“ vom 18.09.2005: „Brender: Also ich sage noch mal, Herr<br />

Bundeskanzler, das sind Sie ja noch, bis zur Neuwahl. Schröder: Das bleibe ich auch, auch wenn Sie dagegen<br />

arbeiten. Brender: ...das bleiben Sie auch, bis zur Neuwahl eines neuen Bundeskanzlers. Ob wir dagegen arbeiten?<br />

Schröder: Ja. Brender: Sie haben von Medienmacht und Medienkampagne geredet. Schröder: Ja, zu Recht, wie ich<br />

finde. Brender: Ich weise darauf hin, dass der ARD und dem ZDF dies nicht vorzuwerfen ist. Nicht alles, was<br />

Ihnen passt... Schröder: Der eine sieht es so, der andere sieht es so, Herr Brender. Brender: Nicht alles, was Ihnen<br />

nicht passt, ist eine gemeine Medienkampagne.“<br />

Leitungsfunktionen nach Parteibuch besetzt<br />

Er war Chefredakteur des Hessischen Rundfunks. Auch Wilhelm von Sternburg. Auch er hat erlebt, wie Politiker<br />

versuchen, Journalisten in ihre Schranken zu weisen. Wilhelm von Sternburg, ehemalige Chefredakteur des<br />

Hessischen Rundfunks: „Ich hatte ein Angebot des Westdeutschen Rundfunks. Intendant. Sagte ja der WDR. Wir<br />

schüttelten uns die Hand. Drei Tage später kam die Absage. Ich erfuhr später: Da haben die Hessische<br />

Staatskanzlei SPD und die Düsseldorfer Staatskanzlei SPD miteinander telefoniert. Und der Job war verloren. Das<br />

war für mich kein Drama. Aber es ist ein deutliches Zeichen dafür, dass leitende Positionen im öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunk in der Bundesrepublik Deutschland nicht unabhängig besetzt werden.“<br />

Angriff auf den freien Rundfunk<br />

Viele Personalien wurden damals von Politikern mitbestimmt. Sie saßen in den Aufsichtsgremien. Auch beim<br />

Norddeutschen Rundfunk. Doch hier eskalierte der Konflikt Mitte der siebziger Jahre. In Brokdorf wurde das<br />

Atomkraftwerk gebaut. Der NDR berichtete ausführlich über die Polizeieinsätze vor Ort, über die Proteste der<br />

vielen Demonstranten. Konservative Politiker empfanden das alles als zu einseitig. In der NDR-Sendung „Extra<br />

3„wurde der Innenminister von Schleswig-Holstein kritisch befragt. Ausschnitt „Extra 3“, 1976: „Reporter: Es ist<br />

das ganze Gelände abgesperrt worden. Innenminister: Aber nicht von der Polizei. Sprecher: Entweder der Minister<br />

ist schlecht informiert oder alle, die heute in Brokdorf dabei waren, müssen zum Optiker, einschließlich des<br />

Kamerateams von Extra 3.“ Der damalige Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg, war über solche Berichte empört<br />

und attackierte den NDR. Ausschnitt 1976, Gerhard Stoltenberg, CDU damaliger Ministerpräsident: „Wir stellen in<br />

der Wirklichkeit des NDR fest, dass es insbesondere in politisch meinungsbildenden Sendungen etwa im<br />

Fernsehen, doch eine Einseitigkeit in der Grundtendenz gibt, die Überbetonung sogenannter linker,<br />

gesellschaftskritischer Positionen.“ Auch den damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht,<br />

ärgerte einiges an der Brokdorf - Berichterstattung des NDR. Beide CDU-Politiker kündigten den NDR<br />

Staatsvertrag. Die Zerschlagung des NDR drohte. Archivmaterial von 1976 Herr Scharlau: „Mich empört geradezu<br />

die Bedenkenlosigkeit mit der Provinzpolitiker eine historisch gewachsene Institution zerschlagen, als sei es eine<br />

Käsefabrik.“ Heide Simonis: „Es war ein Angriff auf den freien Rundfunk, um es mal ganz vorsichtig zu sagen.<br />

Die Deutschen tun gut daran an der Stelle immer noch und immer wieder und auch in Zukunft sensibel zu reagieren<br />

und zu beobachten.“ Damals protestierten viele gegen diese Staatsvertragskündigung. Das<br />

Bundesverwaltungsgericht rettete den NDR. Die Richter bemängelten einen Formfehler bei der Kündigung des<br />

Staatsvertrags. Nach dem Urteil einigten sich Stoltenberg und Albrecht mit Hamburgs ersten Bürgermeister Klose<br />

auf einen neuen Rundfunk-Staatsvertrag, für alle drei Länder. Der Auszug von Regierungsmitgliedern aus den<br />

NDR-Gremien begann. Werner Hahn, NDR-Justitiar: „Es waren vielleicht Selbstheilungskräfte. Es war


Selbsterkenntnis, ein Prozess, der eben viele Jahre gedauert hat und heute dazu geführt hat, dass Minister,<br />

Staatssekretäre, Ministerpräsidenten weder im Rundfunkrat noch im Verwaltungsrat des NDR vertreten sind“. Und<br />

so ist es bis heute. Politiker sind noch in vielen Gremien tätig, haben aber längst nicht mehr den Einfluss - wie<br />

früher.<br />

Politiker bauen auf Privatfernsehen<br />

Doch viele Politiker wussten um die Macht des Fernsehens. Sie wollten deshalb andere Programme - abseits der<br />

öffentlich-rechtlichen Sender. Die Begründung - Ausschnitt der Sendung „Panorama“ aus dem Jahr 1978, Christian<br />

Schwarz-Schilling, damaliger medienpolitischer Sprecher der CDU: „Solange diese Zustände herrschen, kann<br />

leider - ich betone das - nur durch Personalpolitik die Ausgewogenheit und Vielfalt im Programm hergestellt<br />

werden. Eine sehr viel bessere Möglichkeit wäre es, wenn man durch neue von dem heutigen System unabhängige<br />

Anstalten diese Vielfalt herstellt.“ Unabhängige Anstalten, also private Rundfunksender. Deutschland wurde<br />

verkabelt. Und die Unions-Politiker freuten sich auf das Privatfernsehen. Michael Jürgs, freier Journalist: „Sie<br />

dachten, dass endlich mal diese bösen Linken - also WDR zum Beispiel oder auch der NDR - weg sind von den<br />

Mattscheiben und dann die anderen kommen. Und es hat ja auch ne Zeit gegeben, wo das private Fernsehen,<br />

dargestellt durch diesen Menschen, wie immer der hieß, mit den langen Ohren, Mertes glaub ich - also Kohl-<br />

Interviews machte, die hätte man genauso gut auf der Homepage der CDU senden können.“ Gesendet wurde aber<br />

bei Sat.1. der vielversprechende Titel: „Zur Sache Kanzler“ Sendungsausschnitt „Moderator: Fühlen Sie sich<br />

physisch und gesundheitlich in Form?“ Weiterer Sendungsausschnitt: „ Moderator: Herr Bundeskanzler, Sie stehen<br />

kurz vor Ihrem alljährlichen Fastenurlaub - wie sind Sie persönlich in Form und wie viel Pfund sollen runter? -<br />

Vielen Dank, Herr Bundeskanzler und gute Erholung.“<br />

Die Männerfreundschaft Kohl - Kirch<br />

Er war der erfolgreichste Manager im deutschen Privatfernsehen, Leo Kirch. Er lieferte Filme und Serien. Und mit<br />

Helmut Kohl verstand sich der Medienmogul blendend. Heide Simonis, SPD: „Die waren ja mehr oder weniger fast<br />

sogar schon befreundet. Also, da hat man sich schon erhofft, dass ein freundliches Nennen des Namens in<br />

bestimmten Zeiten, also, was mit dem Wahlkampf zu tun haben könnte, dass das also bei den Privaten besser<br />

rüberkommen würde oder gemacht würde, als bei den anderen.“ Wilhelm von Sternburg: „An den Anfängen, egal<br />

wie man dazu steht, an den Anfängen stand das was ich nenne: Korruption. Das heißt: Ein Bundeskanzler stand auf<br />

der Gehaltsliste von Leo Kirch. Das heißt: Es flossen Wahlspenden an die Parteien von Seiten der Mediengiganten,<br />

die das Private aufbauen wollten.“ Das alles wurde nach der Amtszeit von Helmut Kohl bekannt. Die harten<br />

Vorwürfe wurden nicht von Journalisten privater Sender recherchiert, die unbequemen Fragen stellten Reporter von<br />

den Öffentlich-Rechtlichen. Ausschnitt der Sendung „Panorama“ vom 15.5.2003: „Reporter: Herr Dr. Kohl, guten<br />

Tag, Stuchlik, Panorama, eine Frage: Wofür haben Sie die Gelder von Herrn Kirch bekommen? Dr. Kohl: Ich habe<br />

überhaupt nicht die Absicht, mit Ihnen ein Interview zu machen. Reporter: Warum nicht? Kohl: Von Panorama? Da<br />

wissen Sie doch, was das heißt. Das hat doch mit Journalismus nichts zu tun. Reporter: Für welche Tätigkeit haben<br />

Sie denn die Gelder bekommen? Kohl: Damit ich Ihr Gesicht betrachte und das reicht mir.„ Bei Sat.1 wurde er viel<br />

freundlicher behandelt. Hier übernahm er bisweilen auch selbst die Regie, gab Anweisungen, an die Journalisten.<br />

Ausschnitt Sat.1 :„Reporter: Was war für Sie in dieser Zeit der schönste Erfolg? Kohl: Das geht so net. Der hat ja<br />

noch nicht angefangen gehabt. Fang noch einmal langsam an.“ Doch rasch erkannten die privaten Sender, dass<br />

Politik keine Quote bringt. Und so gab es immer weniger Kohl und Co, dafür immer mehr blanke Busen und<br />

ekliges Dschungel-TV. CDU-Politiker waren frustriert, Kritiker fühlten sich bestätigt. Heide Simonis: “Manches,<br />

was da gezeigt wurde, auch noch gezeigt wird, hat ja unsere schlimmsten Befürchtungen - auch nachträglich noch -<br />

als gerechtfertigt ansehen lassen.“<br />

Politiker im ZDF- Verwaltungsrat<br />

Und jetzt wieder beim ZDF: Diesmal soll er weg - fordern CDU-Politiker. Nikolaus Brender soll bleiben, das<br />

möchte der ZDF-Intendant und viele prominente ZDF-Mitarbeiter. Doch sie können nicht entscheiden, sie sind<br />

Journalisten. Im zuständigen Verwaltungsrat sitzen Politiker. Zwei SPD-Ministerpräsidenten und zwei von der<br />

CDU. Dazu andere, die sich fast alle diesen politischen Lagern zurechnen lassen. Und so werden aus angeblich<br />

unabhängigen Mitgliedern politische Getreue. Für die CDU ergibt das eine klare Mehrheit. Politiker bestimmen so<br />

die Personalpolitik. Werner Hahn, NDR Justitiar: „Die Aufgabe des ZDF besteht ja darin möglichst unabhängig<br />

auch über den Staat zu berichten. Wenn aber der Staat, bzw. Vertreter des Staates maßgeblich die Menschen<br />

auswählt, die genau zu überwachen haben, ob das ZDF ausreichend objektiv über den Staat und anderes berichtet,<br />

dann halte ich das für äußerst problematisch.“<br />

Journalistische Haltung gefragt<br />

Ende März ist die entscheidende Sitzung. Dann zeigt sich, wer im ZDF das Sagen hat. Der Intendant oder die<br />

Politiker. Wilhelm von Sternburg, ehemaliger Chefredakteur Hessischer Rundfunk: “Freier Journalismus heißt<br />

immer, ein Journalist muss sich zwar für das, was er tut verantworten, aber nicht bei denen, die er kontrollieren<br />

soll. Sondern bei der Gesamtgesellschaft.“ Michael Jürgs, freier Journalist: „Es ist ein Angriff auf die moralische,<br />

politische Haltung des Journalismus insgesamt. Nämlich: was dürfen wir, was dürfen wir nicht. Wir, sage ich ganz<br />

bewusst. Und egal, wo wir stehen politisch. Diese Angriffe, den muss man natürlich begegnen.“ Heide Simonis,


SPD, ehemalige Ministerpräsidentin Schleswig-Holstein: „Dass man so brutal hingeht und sagt: Eigentlich ist er<br />

gut aber wir wollen ihn nicht, er hat das falsche - er hat es ja nicht mal - aber er das falsche Parteibuch und, wenn<br />

sich das die Menschen gefallen lassen würden, dann verliere ich den Glauben.“<br />

Überwältigende Unterstützung für Nikolaus Brender (25.11.2009)<br />

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender macht Schlagzeilen und das schon seit Monaten. In diesen Tagen allerdings<br />

besonders fette, denn der ZDF Verwaltungsrat entscheidet jetzt über seine Vertragsverlängerung. Andere haben<br />

sich bereits entschieden. Ein Sturm der Entrüstung fegt durch den Blätterwald, die Solidarität von Journalisten und<br />

Staatsrechtlern mit dem Chefredakteur ist überwältigend. Der Showdown im Fall Brender.<br />

Er ist Buhmann und Lichtgestalt gleichermaßen. Nikolaus Brender wird bewundert, aber auch gefürchtet. So sagt er<br />

bei einer öffentlichen Redakteurskonferenz: „Keine Angst vor mir, kommen Sie näher, rücken Sie uns auf die<br />

Pelle.“ Jemandem auf die Pelle zu rücken schätzt Nikolaus Brender allerdings nur bei solchen<br />

Redakteurskonferenzen. Eigentlich legt er Wert auf Distanz. Nikolaus Brender: „Ich darf Sie sehr bitten, wirklich<br />

unabhängig zu bleiben, keine Sympathien für die eine oder andere Partei zu zeigen. Und vor allem aber auch als<br />

Journalist kritisch zu bleiben.“<br />

Keine Sympathien für die eine oder andere Partei, genau das ist jetzt sein Problem. Ulrike Simon,<br />

Medienjournalistin, meint: „Nikolaus Brender ist jemand, der sich nicht vereinnahmen lässt. Also an und für sich<br />

nicht das Schlechteste für einen Journalisten.“ Manfred Bissinger, Publizist: „Weil er einer der wenigen und<br />

seltenen Exemplare von Journalisten ist, die noch ganz und gar unabhängig sind, sich von niemandem zu<br />

irgendetwas zwingen lassen.“ Hartmann von der Tann, ehemaliger ARD-Chefredakteur, meint: „Und das heißt<br />

andererseits, dass das, was er tun wird, niemals vorhersehbar ist. Und das ist vermutlich das, was die Politik an ihm<br />

stört.“<br />

Claus Kleber sagt im September beim Deutschen Fernsehpreis über ihn: „Ein Chefredakteur, der so an den<br />

Schablonen vorbeidenkt und über sie hinausdenkt, ist Gold wert für öffentlich-rechtliches Fernsehen. Das ZDF hat<br />

einen. Und wenn das Gute gewinnt und der Intendant, dann hat es auch in Zukunft einen.“<br />

Das Gute hat sich lange Zeit durchgesetzt<br />

Fast zehn Jahre lang war Nikolaus Brender Chefredakteur beim ZDF, davor beim WDR. Mutig war er schon<br />

damals. So fragt er in der Sendung „Farbe bekennen“ vom 11. April 1996 den damaligen Bundeskanzler Helmut<br />

Kohl (CDU): „Kohl, der kalte Kanzler. Kann Sie das so unberührt lassen?“<br />

Kohl erwidert: „Ja, weil es doch nicht stimmt.“<br />

Brender: „Mercedes, Vulkan, KHD und andere, warum sagen Sie da nichts?“<br />

Kohl: „Aber Entschuldigung. Das stimmt doch überhaupt gar nicht, was Sie da sagen.“<br />

Brender: „Lassen Sie uns noch mal bei Ihrem Paket bleiben.“<br />

Kohl: „Jetzt komme ich zu meinem Paket. Wir haben...“<br />

Brender: „Verändern Sie das Paket noch? Herr Eppelmann sagt...“<br />

Kohl: „Jetzt sage ich erst mal das Paket und dann reden wir über Veränderungen.“<br />

Was schon Helmut Kohl verärgert hat, möchte sein Parteifreund Roland Koch (CDU) nicht mehr mit ansehen. Er<br />

zieht seit Monaten Strippen. Systematisch betreibt er Brenders Ende beim ZDF und hat bislang das Gegenteil<br />

bewirkt: Brender gilt nun als Ikone des unabhängigen Journalismus. Im Oktober erhielt er den Hanns-Joachim-<br />

Friedrichs-Preis. Der öffentliche Kampf gegen übergriffige Politiker schweißt die Medien zusammen. Frank<br />

Schirrmacher, FAZ-Herausgeber, erklärt: „Es ist viel mehr das Gefühl von Journalisten unterschiedlichster Medien,<br />

dass hier eine elementare Grenze überschritten wird. Es geht hier um die Gefahr eines Eingriffs in die DNA, in das<br />

Erbgut eines Senders.“ Nikolaus Brender selbst meint: „Es geht da ja nicht nur um mich. Ich bin ja nur zufällig ein<br />

Beispiel dafür oder Auswahlexemplar. Es machen ja viele. Die meisten Journalisten, auch im ZDF, auch in der<br />

ARD sind aufrechte Journalisten und ich habe auch einen Intendanten, der hinter mir steht.“<br />

Parteipolitische Interessen<br />

Der Intendant Markus Schächter will Nikolaus Brender zwar vorschlagen, wird ihn aber nicht im Verwaltungsrat<br />

durchsetzen können. Dort sitzen zwei SPD-Ministerpräsidenten und zwei von der CDU. Fast alle anderen lassen<br />

sich diesen beiden Lagern zuordnen. Die angeblich unabhängigen Mitglieder sind Getreue der Parteien mit einer<br />

klaren Mehrheit für die CDU. So regieren Politiker in den Rundfunk hinein.<br />

Ein wahnsinniges Konstrukt, gegen das sich selbst der Springer-Chef Mathias Döpfner zur Wehr setzt. Beim Zeit-<br />

Martinée vom 22. November erklärt Döpfner: „Es geht schon darum, dass diese Art von Selbstherrlichkeit eines<br />

Gremiums, das politisch zusammengesetzt ist, - nach dem Motto: ‚Jetzt sind wir mal dran, Einfluss auf<br />

journalistische Personalpolitik zu nehmen’ - in höchstem Maße beunruhigend ist. Und wenn das so durchgeht und<br />

das Schule macht, dann haben wir ein Problem.“ Manfred Bissinger sagt: „Denn es ist ja eine vollkommen<br />

unmögliche Situation, in der wir uns befinden, dass die Politik, über die berichtet werden soll, bestimmen kann,<br />

wer über sie berichtet.“ Und Ulrike Simon meint: „Meines Erachtens ist der Druck, ist der Schaden bereits da für<br />

den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Weil es ja nicht zum ersten Mal ist, dass parteipolitische Interessen eine Rolle<br />

bei der Besetzung von wichtigen Posten spielen.“


Auch vor der Wahl von Markus Schächter wurden Kandidaten verbrannt. Sie wurden monatelang durch den<br />

Parteienklüngel-Fleischwolf gedreht. Heide Simonis, ehemaliges Mitglied im ZDF-Verwaltungsrat, berichtet: „Da<br />

wird nicht gefragt: Wie gut ist der? Kann einer mal was über den sagen? Sondern es wird gefragt, welcher Partei<br />

gehört der eigentlich an? Und wie rechnen wir ihn, wenn er keiner Partei angehört, den einzelnen Freundeskreisen<br />

zu? Also, das nimmt verrückte Formen an. Und jeder weiß, das ist nicht erlaubt.“<br />

Unterstützung von Juristen<br />

Weil das nicht erlaubt ist, haben zum „Fall Brender“ 35 Staatsrechtler einen offenen Brief verfasst, über den die<br />

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 22. November berichtete. Sie kämpfen gegen zu viele Politiker und<br />

staatliche Einflussnahme im Verwaltungsrat. Einer von Ihnen ist Professor Battis, sein Fachbereich<br />

Verwaltungsrecht. Er meint: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen staatsfreien Auftrag. Aber an ihm<br />

sollen die gesellschaftlichen Kräfte, die relevanten gesellschaftlichen Kräfte mitwirken. Und zu den relevanten<br />

gesellschaftlichen Kräften gehören natürlich auch die Parteien, aber sie sollen ihn nicht beherrschen diesen<br />

Rundfunk, sondern sie sollen mitwirken“. Hartmann von der Tann erklärt: „Wenn es nun eine solche große Menge<br />

von Fachleuten gibt, die ja durchaus nicht alle nur der SPD nahe stehen, die sagen ‚Achtung’ und den Zeigefinger<br />

heben, dann zeigt das einfach, was diese Entscheidung für ein Gewicht hat, also, was da in Gefahr ist.“<br />

Aber Roland Koch lässt sich von der Solidaritätslawine nicht beirren. Er macht weiter mit seinem Kampf gegen<br />

Brender - offensichtlich um jeden Preis. Manfred Bissinger: „Das weiß ich nicht, ob Politiker überhaupt etwas<br />

beeindruckt, was andere zu ihnen sagen. Aber ich hoffe, er wird nachdenklich und überlegt sich, welches Porzellan<br />

er zerschlägt, wenn er bei seiner Position bleibt.“ Hartmann von der Tann meint: „Sie nehmen in Kauf, dass man<br />

bei jedem künftigen ZDF-Chefredakteur nach Brender eigentlich davon ausgehen muss, dass man sagen darf: Das<br />

ist ein Chefredakteur von Gnaden der Politik.“<br />

Ein solcher war Brender nie. Am Freitag aber geht es um viel mehr als nur um ihn oder seinen Nachfolger. Es geht<br />

um einen Anschlag aufs öffentlich-rechtliche System und die Pressefreiheit in ganz Deutschland.<br />

Autorin/Autor: Josy Wübbern<br />

Die Pro-Brender-Populisten in der Politik (02.12.2009)<br />

Nikolaus Brender ist also weg und nicht mehr Chefredakteur des ZDF, weil der hessische CDU-Ministerpräsident<br />

Roland Koch es so wollte. Man kann nicht behaupten, dass das lautlos vonstatten gegangen wäre. Wer was auf sich<br />

hielt, äußerte öffentlich seine Empörung. Journalisten, Publizisten, Intendanten, Herausgeber und vor allem auch<br />

Politiker schimpften laut und deutlich über das ZDF im Würgegriff der CDU. Genützt hat es nichts. Was folgt denn<br />

jetzt eigentlich auf die große Aufregung? Zapp über politische Maulhelden, die ihren großen Worten dann doch<br />

keine Taten folgen lassen.<br />

Gegen Roland Koch (CDU) haben alle gekämpft. Vergeblich. Journalisten, Staatsrechtler und Politiker. Vor allem<br />

die SPD hat sich als Retter der Rundfunkfreiheit inszeniert, als Kämpfer für den unabhängigen Journalismus in<br />

Deutschland. So meinte Kurt Beck (SPD), Ministerpräsident Rheinland-Pfalz: „Damit ist eben ein schwerer<br />

Schaden für das ZDF und für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt entstanden.“ Und Klaus Wowereit<br />

(SPD), Regierender Bürgermeister Berlin, erklärte: „Hier wird ein hervorragender Journalist auf dem<br />

parteipolitischen Tableau der CDU geopfert und das ist ein riesiger Skandal.“ Ein riesiger Skandal aber ist, dass<br />

hinter den Fassaden des ZDF im Verwaltungsrat Regierungsvertreter das Sagen haben. Politiker kontrollieren so<br />

die Journalisten, die eigentlich die Politiker kontrollieren müssten. Eine widersinnige Abhängigkeit. Staatsrechtler<br />

zweifeln deshalb, ob die Zusammensetzung des Verwaltungsrats überhaupt rechtens ist. Hubertus Gersdorf,<br />

Professor für Kommunikationsrecht, meint: „Vielleicht findet sich jetzt endlich der politische Mut, einen Antrag<br />

beim Bundesverfassungsgericht zu stellen, damit das Bundesverfassungsgericht zu diesen zentralen Fragen unserer<br />

Demokratie verbindlich Stellung nehmen kann.“<br />

Politiker sind gefragt<br />

Absurd daran ist, dass nur die Politiker selbst vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können, zum Beispiel eine<br />

Landesregierung wie die von Kurt Beck. Doch Kurt Beck antwortet auf die Frage eines Journalisten, ob er klagen<br />

werde: „Das werde ich zuerst mal prüfen und ich habe angeregt, dass all die Verfassungsrechtler und<br />

Medienrechtler und Journalisten und Wissenschaftler und die Politik miteinander zuerst mal in einen Dialog treten<br />

und mal prüfen, was war denn verantwortlich.“<br />

Michael Jürgs, Publizist, meint: „Es ist feige. Es ist ganz einfach fast noch schlimmer als die Schurken, die das<br />

angerichtet haben, weil die, die vorlaut getönt haben, wir stehen hinter Brender, das ist hier die Pressefreiheit und<br />

Demokratie, hätten genauso vors Mikrofon gemusst: Und hiermit verkündige ich, der Länderchef von XY werde<br />

die Verfassungsklage einreichen. Punkt. Dann wissen wir, woran wir sind.“ Bis heute wird vorlaut getönt, aber<br />

nicht gehandelt.<br />

SPD-Ministerpräsident Klaus Wowereit äußert sich wie seine Parteifreunde gerne zum Fall Brender. Wowereit<br />

meint auf die Frage, ob er klagen werde: „Ach, wissen Sie, das ist keine juristische Auseinandersetzung, finde ich.<br />

Ich weiß nicht, ob jemand klagt oder nicht. Ist mir auch ehrlich gesagt relativ egal.“ Egal. Dabei könnte seine Klage<br />

entscheidend sein. Weiter meint Wowereit: „Ich finde, das muss ein Aufstand kommen der Anständigen und


diejenigen, die Pressefreiheit verteidigen wollen.“ Er könnte den Aufstand anführen und die Pressefreiheit<br />

verteidigen. Doch handeln will er nicht. Die Klage, sie ist ihm ja egal. Für Michael Jürgs besteht „die moralische<br />

Grundhaltung von Wowereit [...] darin, dass er große Worte findet und wenig Taten folgen lässt. [...] Nichts ist<br />

geschehen. Das passt zu dem Bild, was ich vorhin meinte: Die Feigheit derer, die jetzt das Maul aufreißen“.<br />

Rückzug der Politik aus den Gremien?<br />

Monatelang haben vor allem Politiker das Maul aufgerissen, um sich mit ihrem angeblichen Einsatz für Nikolaus<br />

Brender zu profilieren. Denn er gilt als unabhängiger Journalist, als Opfer politischer Machtspiele. Auch der<br />

Bundestag könnte sich nun für mehr Staatsferne beim ZDF einsetzen, so wie es viele Abgeordnete vor Monaten<br />

angekündigt hatten. So meinte Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grüne) im März diesen Jahres: „Wir haben ein<br />

'Staatskanzleirundfunkwesen' in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen und das gehört geändert.“ Lothar<br />

Bisky (Die Linke) sagte damals: „Wir sind für den Rückzug unserer Vertreter, wenn die anderen Parteien<br />

mitmachen, aus den Gremien.“<br />

Die großen Parteien aber wollen sich nicht aus den Gremien zurückziehen und so bleibt den kleinen nur der Weg<br />

vors Bundesverfassungsgericht. Dafür brauchen sie ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages. Gregor Gysi<br />

(Die Linke) sagt: „Wir haben uns bereit erklärt, schon im Vorstand, dass wir Unterschriften leisten werden für eine<br />

Organklage. Nun geht es aber darum, dass das Grüne und wir alleine nicht schaffen, wir brauchen ja ein Viertel der<br />

Abgeordneten des Bundestages und deshalb appelliere ich an die Mitglieder aller anderen Fraktionen, sich dieser<br />

Organklage anzuschließen.“ Und Tabea Rössner (Bündnis 90/Die Grünen) erklärt: „Diese Diskussion ist sehr<br />

wichtig und ich bin optimistisch und hoffe, dass wir genügend Unterstützung bekommen.“<br />

Keine Klage der FDP<br />

Unterstützung müsste eigentlich von der FDP kommen. Sie versteht sich als Partei für Freiheitsrechte. Auch sie hat<br />

schon vor Monaten für mehr Staatsferne plädiert. So meinte Hans-Joachim Otto (FDP) im März: „Es ist<br />

allerhöchste Zeit, die Aufsicht, die Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk grundlegend zu reformieren.<br />

[...] Beenden Sie bitte das unwürdige Spiel der parteipolitischen Pression.“ Die FDP selbst könnte es beenden,<br />

könnte gemeinsam mit den Grünen und der Linken das Verfassungsgericht anrufen. Doch heute regiert sie mit der<br />

CDU. Nun will sie nicht mehr klagen. Und so bleibt das ZDF weiter in den Fängen der Politik trotz aller<br />

Empörung. Hubertus Gersdorf meint: „Die Strukturen müssen so geschaffen sein, dass die Politiker nicht das<br />

erreichen können, was sie erreichen wollen, nämlich Einfluss auf die publizistische Tätigkeit zu gewinnen.<br />

Deswegen brauchen wir eine klare Vorgabe, dass Politiker im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk nicht sitzen<br />

dürfen.“<br />

Autorin/Autor: Josy Wübben, Jasmin Klofta<br />

2. MEDIEN UND POLITIK IN DER WELT : UNTERDRÜCKUNG UND<br />

PROTESTBEWEGUNGEN<br />

Zusammenfassung :<br />

Beeinflussung – Protestbewegungen nutzen die Medien (24.06.2009)<br />

Neda heißt sie und sie hat in der letzten Woche traurige Berühmtheit erlangt. Die Bilder der jungen Frau, die im<br />

Iran während der Protestbewegungen ermordet wurde, gingen um die ganze Welt. Ihr Tod wurde per Handy gefilmt<br />

und die Bilder dann ins Internet gestellt. Und da entfalten sie ihre Wirkung. Für die Protestler im Iran auch eine<br />

Wirkung, die diese brauchen können. Obwohl keiner die genauen Umstände ihres Todes kennt, wirft es erst mal ein<br />

noch schlechteres Licht auf Präsident Ahmadinedschad. Allerdings brauchen Protestbewegungen gerade in solchen<br />

Regimen Medien, um wenigstens etwas Öffentlichkeit herzustellen. Heute läuft das über Twitter und Youtube, aber<br />

jede Revolte hatte zu ihrer Zeit ihre Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen.<br />

Videobilder aus dem Internet. Vor allem dank Youtube erfährt die Welt von den Massenprotesten in Iran. Vor 40<br />

Jahren verlieren die USA den Vietnam-Krieg im Fernsehen und vor Jahrhunderten macht erst der Buchdruck die<br />

Reformation möglich. Schon immer prägen Medien politische Umstürze. Norbert Bolz, Professor für<br />

Medienwissenschaft: „Nicht jede Massenbewegung hatte ihr eigenes Medium, so viele Medien gibt es nicht, aber<br />

es gibt sehr, sehr viel Massenbewegungen. Aber man kann sehr deutlich sehen, dass das jeweils herrschende<br />

Medium die Form der Organisation von Massenbewegungen ganz wesentlich bestimmt hat.“ Die Gewalt in Iran:<br />

Die Demonstranten filmen sie mit Handys und stellen die Videos später ins Internet. Viele Iraner erfahren erst so,<br />

dass wirklich im ganzen Land protestiert wird. Der Exil-Iraner Mehran Barati hält Kontakt zu Freunden in der<br />

Heimat, die den Widerstand organisieren. Mehran Barati, Oppositionspartei “United Republicans of Iran":<br />

„Hauptsächlich Twitter, Facebook und SMS, das sind die Hauptmittel. Seit gestern gibt es auch Twitter auf<br />

persisch. Ich habe hier die erste Seite von gestern hier mitgebracht. Das ist ein Mittel, um die Geheimpolizei und<br />

die Zensur zu umgehen, um das staatliche Monopol über Informationssysteme zu umgehen.“ Norbert Bolz,<br />

Professor für Medienwissenschaft: „Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich als Medienwissenschaftler geradezu


eglückt bin von der Tatsache, dass gerade das Internet immer wieder Wege findet, um die Zensur herum und das<br />

letztlich auch die tyrannischen Regime keine Chance haben, diese Weltkommunikation zu umgehen und sie<br />

auszutricksen. (Ausschnitt Bildschirm „Twitter“). Insofern scheint tatsächlich sich im Iran zu bestätigen, dass die<br />

Stimme des Protests immer noch ein bisschen listiger ist, als die entwickeltste Zensur.“<br />

Kulturrevolution befördert durch Kassetten<br />

Auch dies sind Bilder aus Iran, 30 Jahre alt. Bilder von Protesten gegen den Schah. Schon damals organisierten die<br />

Iraner ihre große Kulturrevolution via Medien. Ihr Anführer Ajatollah Khomeini saß im Exil in Paris. Mehran<br />

Barati, Oppositionspartei “United Republicans of Iran": „Von dort aus hat er ja seine Botschaften per Kassetten in<br />

den Iran geschickt, die x-tausendfach kopiert wurden und im ganzen Land verteilt wurden – in den Moscheen und<br />

in Privathäusern – das war sozusagen ein Mittel, um die Bevölkerung so auf die Straßen zu rufen und für die Sache<br />

des Ajatollahs zu begeistern.“ Und er schaffte es über ein ganzes Jahr, die Massen für seine Revolution zu<br />

begeistern. Dabei endeten Demonstrationen wie diese oft blutig. Trotzdem gaben Khomeinis Anhänger nicht auf.<br />

Mehran Barati, Oppositionspartei “United Republicans of Iran": „Ohne die Verbreitung dieser Kassetten damals<br />

wäre wahrscheinlich die Revolution nicht die geworden, die sie geworden ist.“ Norbert Bolz, Professor für<br />

Medienwissenschaft: „Das war subtil, das war raffiniert und das zeigt auch welches ungeheuer subversive Potential<br />

in den Medien steckt, nachdem wir im Dritten Reich ja nur mitbekommen haben, welches faschistische Potential in<br />

Medien stecken kann.“<br />

Radio war Werkzeug der Nazi-Propaganda<br />

VE 301 – der Volksempfänger war benannt nach dem 30.1., dem Tag, an dem Adolf Hitler Reichskanzler wurde.<br />

Das Radio war das Werkzeug der Nazipropaganda. Josef Goebbels Still, Ton- und Bildausschnitt: „Ich halte den<br />

Rundfunk für das allermodernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, was es überhaupt<br />

gibt.“ Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft: „Der Volksempfänger hat eine kollektive Trance<br />

ermöglicht. Man war versammelt um dieses eine Medium, um diesen einen Sender, denn das kann man sich heute<br />

kaum mehr vorstellen, das war ja ein Radio, dass im Idealfalle tatsächlich nur einen einzigen Sender gebracht hat.<br />

Also die Bündelung der Konzentration der Aufmerksamkeit auf nur eine einzige Quelle und genau das hat der<br />

Volksempfänger in einer extremen Form verwirklicht.“<br />

(Deutscher Soldat am Mikrofon, Bildausschnitt Frontberichterstattung 2. Weltkrieg): „Die Frontberichte der<br />

Propagandakompanien!“ Mit dem Volksempfänger kontrollierte Hitler die Heimatfront. Durchhalteparolen und<br />

Triumphmeldungen brachten die deutsche Öffentlichkeit auf Linie.<br />

Im Fernsehen verlieren die USA den Vietnam-Krieg<br />

Im Vietnamkrieg erhoffte sich auch die US-Regierung gute Nachrichten von der Front. Von hier durften die<br />

Reporter so frei wie nie zuvor berichten und es entstanden Bilder wie diese.<br />

Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft: „Sicher haben die Amerikaner den Vietnamkrieg auch deshalb<br />

verloren, weil die Bevölkerung zu Hause die Bilder des Krieges nicht ertragen hat. Das waren natürlich nicht nur<br />

die Bilder der Verwundeten, das waren auch die Bilder der Bodybacks, die Bilder der nach Hause transportierten<br />

Toten und das waren natürlich auch erste Fernsehbilder des Schreckens, des Napalmschreckens, die in die<br />

Wohnzimmer der Amerikaner hineingesendet wurden.“ Der Vietnamkrieg war ein mediales Desaster für die USA.<br />

Lange unterschätzte die US-Regierung die Macht der Bilder und musste schließlich aufgeben.<br />

Aufnahmen der Montagsdemonstrationen in Leipzig. Diese Bilder waren im DDR-Fernsehen nicht zu sehen. Nach<br />

40 Jahren Diktatur wagten Zehntausende den Aufstand. Bürgerrechtler filmten den Protest heimlich und<br />

schmuggelten die Aufnahmen über die Grenze zu ihm - Roland Jahn. Er sendete sie im Westfernsehen. Roland<br />

Jahn, Redakteur „Kontraste“, ARD: „Also es war total gefährlich, da mit der Kamera unterwegs zu sein. Weil<br />

natürlich, wenn die Stasi, wenn die Polizei sie ertappt hätte, hätte das einige Jahre Gefängnis kosten können.“<br />

Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft: „Man nimmt insgeheim Bilder auf, die eigentlich nicht<br />

aufgenommen werden und gezeigt werden dürfen, schmuggelt sie in den Westen, der Westen spielt sie via<br />

Fernsehen wieder zurück in den Osten. Das hat in der Tat verheerende Wirkungen für das ostdeutsche Regime<br />

gehabt. Einfach deshalb, weil natürlich damals nicht sein konnte, was nicht sein darf.“ (Bildausschnitt<br />

Montagsdemo Leipzig):„Wir sind das Volk! Wir sind das Volk! Wir sind das Volk.“<br />

Roland Jahn, Redakteur „Kontraste“, ARD: „Es war ganz wichtig für die Menschen in der DDR, dass sie gesehen<br />

haben: Da sind andere, die Mut haben, die auf die Straße gehen und die Aufnahmen von Leipzig zum Beispiel, als<br />

70.000 auf der Straße waren, die haben anderen Städten Mut gemacht. Dann sind die Leute auch auf die Straße,<br />

auch in ihren Städten auf die Straße und haben gesagt: Demokratie – jetzt oder nie.“<br />

Reformation dank Buchdruck<br />

Aber auch schon vor 500 Jahren befeuerte ein Medium einen gewaltigen, gesellschaftlichen Umbruch. Martin<br />

Luthers Reformation, ohne den Buchdruck undenkbar. Vor Luther hatte die katholische Kirche die Wahrheit<br />

gepachtet und diese Wahrheit, die Bibel nämlich, gab es, bis Luther sie übersetzte, nur auf Latein. Norbert Bolz,<br />

Professor für Medienwissenschaft: „Wenn aber jeder lesen kann, was die Wahrheit ist, weil es in der Bibel steht<br />

und zwar auf Deutsch, dann ist das eine echte Revolution. Diese Revolution war aber nur möglich, nicht nur weil<br />

Luther übersetzt hat, sondern weil das Übersetzte dann massenweise verbreitet werden konnte und insofern gehört


Gutenberg genau so ein großer Anteil an der Revolution der Reformation, wie Luther selbst.“ Dank Gutenbergs<br />

Buchdruck wurde Luther zum Bestseller-Autor – und die Bibel zum meistverkauften Buch aller Zeiten.<br />

Iran im Juni 2009, hier sind die meisten Drucksachen verboten. Deshalb hat sich die Revolte ihr passendes Medien<br />

gesucht. Das Internet. Das Regime will verhindern, dass Bilder wie diese öffentlich werden. Doch es scheitert.<br />

Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft: „Kommunikation lässt sich weltweit nicht mehr eindämmen, das<br />

heißt, die Menschen merken, dass sie gleichberechtigt ihre Stimme erheben können, dass diese Stimme gehört wird<br />

und dass letztlich die Mächte, die davon leben, dass sie uns zum Schweigen bringen, dass die im Grunde<br />

ausgespielt haben.“ Jeden Tag veröffentlichen die Oppositionellen neue Videos von der Gewalt im Iran. Denn das<br />

Internet ist ihre stärkste Waffe in der Hoffnung auf einen Umschwung.<br />

Autorin/Autor: M. Gizinski, A. Kuqi, J. Wübben<br />

Zusätzliche Sendungen zum Thema :<br />

In Gefahr - Russlands Journalisten werden Freiwild (28.01.2009)<br />

Die öffentlichen Morde an Anastasija Baburowa und Anna Politkowskaja sowie der Überfall auf Michail Betekow<br />

blieben bislang ungesühnt. Die Putin-kritische Nowaja Gazeta fordert inzwischen, Reporter zu bewaffnen.<br />

Anmoderation:<br />

Guten Abend. Journalisten, deren Spielraum immer enger wird - darum geht es heute in Zapp. Folgende Themen<br />

dazu: Unter Druck - Verlage beuten freie Mitarbeiter aus. Und: Zwischen den Fronten - ein Nahost-Korrespondent<br />

wird Schriftsteller. Doch zunächst nach Russland. Nirgendwo sonst in Europa leben Journalisten gefährlicher. Erst<br />

vergangene Woche wurde sie erschossen. Anastassija Baburowa, eine junge kritische Journalistin. Unvergessen<br />

auch sie, Anna Politkowskaja. Sie wurde vor zwei Jahren ermordet. Doch es gibt noch mehr Tote. Die<br />

Pressefreiheit unter Wladimir Putin quasi abgeschafft. Maik Gizinski und Sine Wiegers über mutige Journalisten,<br />

die ihr Leben für die Recherche riskieren.<br />

Beitragstext:<br />

Er hatte sich was getraut. Stanislaw Markelow kämpfte für Pressefreiheit, für Menschenrechte. Dafür musste er<br />

sterben. Der Rechtsanwalt vertrat verfolgte Journalisten, ohne Angst vor den Mächtigen. Vor zehn Tagen wurde er<br />

ermordet. Elena Liptser, Kollegin von Stanislaw Markelow: "Er war sehr mutig. Er hat die schwierigsten Fälle<br />

angenommen und er wusste, dass das gefährlich ist."<br />

"Bitte klärt es auf!"<br />

Mit Markelow starb auch eine Journalistin, Anastassija Baburowa. Sie arbeitete bei der Zeitung "Nowaja Gaseta“.<br />

Jeder hier weiß, wer in Russland kritisch berichtet, lebt in Gefahr. Und doch, auch ihre Familie konnte sie nicht vor<br />

dem Mord schützen. Vater von Anastassija Baburowa: "Wie soll ich jetzt weiterleben? Warum ist sie tot? Bitte<br />

klärt es auf." Aufklären über Hintergründe, in Russland fast unmöglich. Denn hier werden Journalisten<br />

misshandelt, verprügelt, erschossen. Stephan Stuchlik, Russland-Korrespondent, ARD: "Es ist zu einem Punkt<br />

gekommen, wo man von Pressefreiheit an und für sich überhaupt nicht mehr sprechen kann. Wir haben ein Land<br />

ohne jegliche Pressefreiheit, wo es ein Klima der Angst gibt. Ein Klima der Angst, was Journalisten betrifft, ein<br />

Klima der Angst, was Verleger betrifft, ein Klima der Angst, was Redakteure betrifft."<br />

Unabhängiger Journalismus - in Russland undenkbar<br />

Die Journalistin Olga Kitowa recherchierte über Korruption und Amtsmissbrauch. Deshalb bekam sie zu spüren,<br />

wie mit kritischen Reportern im Putin-Russland umgegangen wird. Dieses Polizeivideo zeigt Kitowa nach einem<br />

Verhör. Olga Kitowa (2004), Journalistin: "Es ist lebensgefährlich die Wahrheit zu schreiben, und ‚unabhängig’ ist<br />

für die meisten russischen Journalisten ein Fremdwort. In Moskau wie in der Provinz. Journalistische<br />

Unabhängigkeit, das gibt es meistens nicht."Stephan Stuchlik: "Wir haben ja immer im Kopf, dass es so etwas gibt,<br />

wie eine heroische Ausnahme. Eine Zeitung, wie etwa die "Nowaja Gaseta“, die von vorne bis hinten unabhängig<br />

und kritisch berichten würde. Wie wir uns das im westlichen Stile vorstellen. Das ist naiv. Auch in der "Nowaja<br />

Gaseta“, auch in dieser viel gerühmten Ausnahmezeitung gibt es große Passagen, wo man den angepassten<br />

Journalismus des Putin-Stils finden wird. Etwas anderes könnte sich der Herausgeber, etwas anderes könnte sich<br />

der Verleger ja überhaupt nicht leisten."<br />

Anna Politkowskaja - eine Ikone<br />

Die wenigen kritischen Zeilen, die sich die "Nowaja Gaseta" leistet, schrieb lange Zeit sie, Anna Politkowskaja.<br />

Während des Tschetschenien-Kriegs recherchierte sie in Gefangenenlagern - heimlich. Anna Politkowskaja (†):<br />

"Die haben regelrecht Jagd auf mich gemacht, als sie mitbekommen haben, dass sich da trotz allem ein Journalist<br />

rumtrieb. Ich wurde gejagt, wir mussten schließlich abhauen, ich und meine Begleiter."Das Geiseldrama von<br />

Moskau 2002. Tschetschenische Rebellen hatten sich im Musicaltheater verschanzt. Politkowskaja wagte sich zu<br />

den Geiselnehmern, versuchte zu vermitteln. Anna Politkowskaja (†): "Der Präsident müsste nur die Geiselnehmer<br />

und ihr Anliegen ernst nehmen. Das ist schwierig, aber dann wird hier alles gut ausgehen. Putin hat das Wort."Wo<br />

immer der Staat die Meinungsfreiheit unterdrückte, mischte sich Politkowskaja mutig ein. Anna Politkowskaja (†):<br />

"Ich bin hier, um ein Zeichen zu setzen. Ich bin auf der Seite der Opfer."2006 wurde sie selbst zum Opfer. Ihre


Mörder lauerten ihr vor der Wohnung auf und erschossen sie im Fahrstuhl. Die Ikone des investigativen<br />

Journalismus in Russland getötet. Tausende Menschen zeigten öffentlich ihre Anteilnahme. Und endlich begriffen<br />

auch westliche Medien, wie Russland seine kritischen Journalisten bekämpft - mit System.<br />

Wer waren Annas Mörder ?<br />

Der unermüdlichen "Nowaja Gaseta" wird 2007 der "Henri-Nannen"-Journalisten-Preis verliehen. Chefredakteur<br />

Dmitri Muratow nimmt ihn entgegen. Dmitri Muratow, Chefredakteur "Nowaja Gaseta": "Ich weiß, wem ich heute<br />

die Verleihung dieses angesehenen Preises zu verdanken habe, der in Europa zu den wertvollsten und begehrtesten<br />

zählt. Und zwar, dem Tod der Kollegen, meiner Freunde. Ich möchte mich nicht beklagen und auch nicht um<br />

Schutz bitten. Wir selbst haben es zu unserem Beruf gemacht, diese Zeitung herauszugeben." Mittlerweile sind vier<br />

Männer des Mordes an Anna Politkowskaja angeklagt. Ihnen wird im zentralen Militärgericht in Moskau der<br />

Prozess gemacht. Stephan Stuchlik: "Da gibt es große Probleme mit den Alibis. Beziehungsweise mit den<br />

möglichen Tatzeiten der Leute, die da sitzen. Es gibt Probleme, dass die Biografien möglicherweise nicht passen.<br />

Das heißt, ich habe persönlich genauso, wie viele andere Kollegen, große Zweifel daran, dass auf dieser<br />

Anklagebank wirklich die Leute sitzen, die für den Mord an Anna Politkowskaja verantwortlich sind. Und selbst,<br />

wenn es die Mörder wären, dann stellt sich immer noch die Frage: Wer ist der Auftraggeber?"<br />

Der Anschlag auf Michail Beketow<br />

Auch, wer hinter diesem Anschlag steckt, wird vermutlich nie aufgeklärt. Diesmal ist ein Lokaljournalist das Opfer<br />

- Michail Beketow. Er hatte einen Umweltskandal enthüllt, ein geheim gehaltenes Autobahnprojekt. Und sich mit<br />

Lokalpolitikern angelegt. Michail Beketow 2007, Journalist: "Das ist politischer Terror und der Auftraggeber ist<br />

unserer Bürgermeister. Ich weiß, dass er es war, er hat mir das ja schon persönlich angekündigt. Danke, Herr<br />

Bürgermeister, dass es nur mein Auto war. Sie haben mir ja schon mit schlimmerem gedroht. "Das schlimmere traf<br />

ein. Ein Mordanschlag vor zwei Monaten direkt vor seinem Haus. Seitdem liegt Beketow im Koma, beide Beine<br />

und mehrere Finger wurden amputiert. Nachbarn müssen den Angriff gesehen haben, sagen Freunde, die ihn<br />

fanden. Danila Wolkonskij, 2008, Umweltaktivist: "Der lag da in einer riesen Blutlache auf dem Asphalt. Die<br />

haben ihm den Schädel eingeschlagen, die Beine verdreht. Er hatte ein Loch in der Brust und die Rippen<br />

gebrochen. Und die Nachbarn haben ihn so gesehen und ihn einen Tag so liegen lassen. Die hatten Angst den<br />

Überfall zu melden, verstehen Sie, die müssen ja hier weiterleben. "Stephan Stuchlik: "Das ist das Klima gegen das<br />

Journalisten, wie Anna Politkowskaja, wie Michail Beketow angekämpft haben. Und Sie müssen sich mal<br />

vorstellen, wie viel Courage das kostet, einen einzelnen Menschen in so einem System. Sich allein hinzustellen und<br />

zu sagen, wir machen kritische Berichterstattung, obwohl wir wissen, dass es möglicherweise an unser Wohl, an<br />

das Wohl unserer Familien und an unser Leben gehen kann."<br />

Steuerung der Medien durch den Kreml<br />

Nach außen ist Russland der anständige Partner. Deutschland feiert stabile Beziehungen und gute Geschäfte. Und<br />

obwohl nicht mehr Präsident, ist Wladimir Putin nach wie vor der mächtigste Mann Russlands. Vor kurzem noch<br />

geehrt beim Dresdner Opernball. Sie kannte den anderen Putin. Den Bedrohlichen, der von Anfang an die kritische<br />

Presse mundtot machen wollte. Anna Politkowskaja (†): "Die Stimmung hat sich grundsätzlich verändert. Unter<br />

Jelzin waren wir frei - konnten schreiben was wir wollten. Jetzt haben wir immer Angst, dass diese Ausgabe die<br />

letzte ist, dass sie uns schließen. "Der Kreml mischt sich ein. Die Machthaber hier wollen nichts dem Zufall<br />

überlassen. Wollen die Medien direkt steuern. Stephan Stuchlik: "Es gibt die berühmte Dienstagskonferenz, in der<br />

sämtliche Redakteure sämtlicher wichtigen Zeitungen und Medien in Russland bestellt werden. Nicht direkt in den<br />

Kreml, aber in ein kremlnahes Gebäude, wo ihnen die Macht, wie das so schön heißt in Russland, die Regierenden<br />

sagen, was sie zu veröffentlichen haben und, wie sie es zu veröffentlichen haben. Olga Kitowa, 2004 : "Ich habe<br />

grad das Gefühl, die neueste Geschichte des Landes wird umgeschrieben. Jetzt muss alles sauber sein alles fein,<br />

alles ohne Mängel. Kritischer Journalismus wird nicht mehr gebraucht."<br />

Und so ermorden sie hier mutige Kritiker. Anastassija Baburowa war erst 25 Jahre alt, Stanislaw Markelow 34.<br />

Immer mehr Tote - und immer weniger Journalisten, die in Russland unbequeme Fragen stellen. Stephan Stuchlik:<br />

"Dieser Staat hat kritische Journalisten nicht gerne. Er verfolgt kritische Journalisten auf Umwegen. Und er wird<br />

alles tun, um eine wirkliche Aufklärung von Verbrechen an Journalisten zu verhindern. Russland ist, was<br />

Journalisten angeht, und ich rede jetzt ganz bewusst auch von russischen Journalisten, ein lebensgefährliches<br />

Pflaster. Alles andere wäre eine große Lüge.“<br />

Pressefreiheit - Aufklärungswille und unterdrückte Berichte (06.05.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Das Übel beim Namen nennen, Kollegen in vielen anderen Ländern müssen dafür teuer bezahlen. 19 Journalisten<br />

und Internet-Aktivisten wurden dieses Jahr schon getötet, über 200 sitzen für das, was sie recherchiert, geschrieben,<br />

gesagt oder gefilmt haben, in Haft. Die Zahlen stammen von „Reporter ohne Grenzen“. Vergangenen Sonntag, am<br />

Internationalen Tag der Pressefreiheit, hat die Organisation auf das Schicksal vieler Kollegen aufmerksam<br />

gemacht. Gita Datta über mutige Journalisten und tödliche Recherchen:<br />

Beitragstext:


Dieser Spot soll aufrütteln. Menschen werden misshandelt, gedemütigt, gefoltert. Ohne Pressefreiheit bleiben diese<br />

Opfer unsichtbar. Doch auch die, die über diese Opfer berichten wollen, werden bedroht. Weltweit. Auch in Kenia.<br />

Ein autoritäres Regime betrachtet Journalisten als lästige Störenfriede. Kizito Namulanda, Nachrichtenchef „KTN“:<br />

„Wir leben gefährlich. Ein Auto folgt dir von der Arbeit. Sie meinen es ernst. Du hast Angst um dein Leben. Du<br />

hast Angst um deine Familie.“ Eine berechtigte Angst. Denn nachts zerstören vermummte Geheimpolizisten eine<br />

Zeitungsredaktion. Was bereits gedruckt ist, verbrennen sie. Diese Bilder sind drei Jahre alt. Bis heute hat sich für<br />

Kenias Journalisten nichts geändert. Und deshalb protestieren sie - mit zugeklebten Mündern. Alle sollen es sehen:<br />

In Kenia werden Journalisten mundtot gemacht.<br />

Verhaftet. Wegen Spionage.<br />

Berlin, vergangenen Samstag. Hier wird an alle Journalisten erinnert, die verfolgt und bekämpft werden. Die<br />

Organisation „Reporter ohne Grenzen“ engagiert sich, kämpft auch für die Pressefreiheit - weltweit. Michael<br />

Rediske „Reporter ohne Grenzen“: „Ohne Pressefreiheit erfahren wir nicht, was in der Welt passiert. Wir können<br />

uns keine Urteil darüber bilden, unsere Politik kann nicht ordentlich agieren und die Opfer bleiben unsichtbar.“<br />

Elke Schäfter „Reporter ohne Grenzen“: „Wir haben viele kleine Erfolge zu verzeichnen. Jedem Journalist, jeder<br />

Journalistin, dem/der wir helfen können, auf die eine oder andere Weise, ist sehr viel Wert, ist ein kleiner Erfolg<br />

auf der langen Etappe zur Pressefreiheit.“ Sie kämpfen auch für sie: Roxana Saberi. Die amerikanische Journalistin<br />

hat für britische und US-Medien aus dem Iran berichtet. Im Januar wurde sie verhaftet. Wegen Spionage. So die<br />

fadenscheinige Begründung. Ihre Eltern sind verzweifelt. Vater von Roxana Saberi: “Wir machen uns jetzt schon<br />

monatelang große Sorgen. Uns geht es dabei ziemlich dreckig.“ Mutter von Roxana Saberi: „Alles, was wir von der<br />

iranischen Regierung möchten, ist, dass sie unsere Tochter freilässt.“ Doch diese iranische Regierung verkündet<br />

das Urteil auf einer Pressekonferenz: 8 Jahre Haft. Der Prozess war geheim. Er hatte nur einen Tag gedauert. Ein<br />

Verteidiger war der Journalistin verboten worden. Roxana Saberi - eine Geisel der iranischen Politik.<br />

„Sie haben mir die Beine gebrochen.“<br />

Auch diese Journalistinnen wurden Opfer politischer Machtspiele. Laura Ling und Euna Lee. Die US-<br />

Journalistinnen berichteten für amerikanische Medien aus Nordkorea. Die Armee verhaftete sie. Ihnen droht jetzt<br />

mehr als zehn Jahre Haft. In Arbeitslagern, wie diesen - wegen angeblicher Spionage. Dirk Sager, „Reporter ohne<br />

Grenzen“: „Das Einzige, das „Reporter ohne Grenzen“ in einem solchen Fall machen kann, ist eigentlich dafür zu<br />

sorgen, dass die beiden nicht vergessen werden. Dass ihre Spuren sich nicht verlieren im nordkoreanischen<br />

Gefängnis und Lagersystem. Dass, ja, ihre Fälle auf der Tagesordnung bleiben, mehr kann man in Nordkorea auch<br />

in manchem anderen Ländern nicht tun.“ Das gilt auch für Weißrussland. Yuri Khashchevatski dokumentierte in<br />

diesem Film die Verfolgung von Journalisten. Nach den Dreharbeiten wurde er zusammengeschlagen. Er ist sich<br />

sicher, dass die Schläger im Auftrag der Regierung kamen. Yuri Khashchevatski, Autor des Films „Ploshcha“: „Sie<br />

haben mich verprügelt, mir die Beine gebrochen. Ich kann nicht beweisen, dass sie es waren, aber es war nur einen<br />

Tag nach der Europapremiere meines Films über Lukaschenko.“<br />

„Kein Lebenszeichen“<br />

Eine Mahnwache in Minsk. Betroffene wollen wissen, wo ihre verschwundenen Angehörigen sind: Regimegegner,<br />

Politiker. Journalisten. Swetlana Sawatzkajas Mann arbeitete als Kameramann. Seit Jahren hat sie kein<br />

Lebenszeichen von ihm erhalten. Trotzdem erinnert sie an ihn. Jahr für Jahr. Und stellt immer die gleiche Frage:<br />

Was habt ihr mit meinem Mann gemacht? Doch kritische Fragen sind in Weißrussland unerwünscht. Auch dieser<br />

Spot soll an die erinnern, die kritische Fragen gestellt haben. Und deshalb ermordet wurden. Es wurden viele<br />

Journalisten ermordet: 829.<br />

Abmoderation:<br />

829 - eine erschreckend hohe Zahl. Und hinter jeder verbirgt sich ein Gesicht, ein Schicksal. Über einige haben wir<br />

schon ausführlich in der Vergangenheit berichtet. Wenn es Sie interessiert, dann schauen Sie gerne bei uns im<br />

Internet rein.<br />

Pressefreiheit - Engagement für einen inhaftierten Reporter (01.07.2009)<br />

Ein Einzelfall, der aber beispielhaft für viele steht, ist der Fall David Isaack. Der Journalist hat nicht nur seinen Job,<br />

sondern seine Freiheit verloren und sitzt unschuldig hinter Gittern in Eritrea. Um ihm zu helfen, haben die größten<br />

Zeitungen in seiner Heimat Schweden eine gemeinsame Kampagne gestartet.<br />

Eigentlich sind sie Konkurrenten, heute machen sie gemeinsame Sache: Die Chefredakteure großer schwedischer<br />

Tageszeitungen. Für die Freilassung von Dawit Isaak haben sie 200.000 Unterschriften gesammelt. Der Journalist<br />

sitzt in Eritrea in Haft. Nun Druck beim Botschafter.<br />

Jan Helin, Chefredakteur „Aftonbaldet“: „Besser spät als nie. Dawit Isaak hat fast 8 Jahre im Gefängnis gesessen.<br />

Ständig wurde auf die leise Diplomatie verwiesen. Wir sind der Meinung, fast acht Jahre des Schweigens sind<br />

genug. Das Ziel dieser Kampagne ist es, den Fall wieder in Erinnerung zu rufen.“ Dawit Isaak hat jahrelang in<br />

Schweden gelebt, ist schwedischer Staatsbürger. Als er in sein Heimatland Eritrea zurückkehrte, schrieb er dort<br />

über Meinungsfreiheit und Menschenrechte, kam ins Gefängnis. Die vier größten Tageszeitungen Schwedens<br />

haben jetzt alle gleichzeitig über seinen Fall berichtet. Eine gemeinsame Kampagne mit einem Ziel: Lasst Dawit


Isaak frei. Freiheit für Dawit Issak. Zusätzlich haben die Chefredakteure zur Unterschriftenaktion aufgerufen - für<br />

den Journalisten. Lena K Samuelsson, Chefredakteurin „Svenska Dagbladet“: „Wir hoffen, dass wir mit der<br />

Kampagne Aufmerksamkeit schaffen. Es geht uns darum, Druck auszuüben. Unser Ziel ist es, dass Dawit Isaak<br />

endlich frei kommt. Aber auch uns ist völlig klar, dass unser Engagement allein nicht ausreichen wird.“<br />

Medienrummel<br />

Kritiker befürchten, dass das Engagement der Journalisten die Situation für Dawit Isaak verschärfen könnte, dass<br />

Eritrea verstimmt auf den Medienrummel reagiert. Pressefreiheit gibt es in dem afrikanischen Land nicht, nach<br />

einer Studie von Reporter ohne Grenzen. Der Botschafter Eritreas ist für die Chefredakteure nicht zu sprechen. Er<br />

möchte auf keinen Fall gefilmt oder fotografiert werden. Einer der Chefredakteure bittet schließlich die<br />

Journalisten, zu gehen, damit der Botschafter vielleicht doch die Tür aufmacht. Es sind nicht nur Journalisten, die<br />

sich für Dawit Isaak engagieren. Auch Künstler und Schriftsteller machen mit. Mats Söderlund, Präsident<br />

Schwedischer Schriftstellerverband: „Ich versuche mir vorzustellen, wie still es gerade in Dawids Zelle ist.“ sagt<br />

Schriftsteller Mats Söderlund in einer bewegenden Ansprache. Viele Schweden sind an diesem Abend ins<br />

Stockholmer Kulturhuset gekommen. Mats Söderlund, Präsident Schwedischer Schriftstellerverband: „Ich will<br />

unserer Regierung zeigen, dass sie etwas machen muss. Dass Dawit Isaak endlich freigelassen wird. Er sitzt schon<br />

viel zu lange im Gefängnis.“<br />

Internationaler Druck<br />

Die schwedische Regierung setzt im Fall Dawit Isaak auf leise Diplomatie. Schweden sei nicht mächtig genug, um<br />

Druck auf Eritrea auszuüben. Die Kampagne aber erzeugt eine weltweite Aufmerksamkeit. Leif Öbrink, Freund<br />

von Dawit Isaak: „Ich habe Artikel in französischen, englischen, amerikanischen Zeitungen gelesen. Im Moment ist<br />

der Fall im internationalen Fokus. Das ist toll. Das ist das Einzige, was helfen kann. Schweden ist zu klein, um sich<br />

mit Eritrea zu messen. Wir brauchen den internationalen Druck.“ Fast eine Stunde lang waren die Chefredakteure<br />

beim Botschafter. Für den bleibt Dawit Isaak eine Angelegenheit Eritreas. Schweden möge sich raushalten. Die<br />

gemeinsame Kampagne der vier Zeitungen ist zwar beendet, die vier Blätter wollen aber weiterkämpfen für Dawit<br />

Isaaks Freiheit.<br />

Autorin/Autor: Christoph Schmidt<br />

Die Image-Lüge der chinesischen Regierung (14.10.2009)<br />

Das Bild von China in der Welt – ist das hier: kritische Journalisten werden schikaniert, drangsaliert und inhaftiert.<br />

Pressefreiheit – Fehlanzeige. Gewalt und Zensur – Alltag. Der Ruf der Regierung könnte kaum schlechter sein.<br />

Doch genau das will Peking jetzt ändern. Mit modernsten Mitteln und Milliarden. Daniel Bröckerhoff und Mareike<br />

Fuchs über Chinas neue Imageoffensive!<br />

Genau diese Bilder, gezeigt in allen Nachrichten erfreuen die chinesische Regierung. Xi Jinping, der<br />

stellvertretende Präsident Chinas an der Seite der Bundeskanzlerin, als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.<br />

Mediale Aufmerksamkeit ist hier garantiert. Vor ein paar Tagen: Der Staatschef bei einem noch bedeutenderen<br />

medialen Auftritt. China hatte zum ersten Weltmediengipfel geladen:<br />

Staatschef Hu Jintao: “All media organizations should be dedicated to the lofty cause of peace and development.“<br />

Übersetzung: „:Alle Medien sollten sich dem hehren Ziel des allgemeinen Friedens und der Entwicklung widmen“.<br />

Auch dieser Auftritt ist Teil einer neuen Strategie, China strebt weltweit mehr Medienmacht an.<br />

Jochen Graebert, ARD-Studioleiter Peking: „Bisher ist China mit seiner kommunistisch angestaubten plumpen<br />

Propaganda praktisch wettbewerbsunfähig und deshalb rüstet die chinesische Führung medial auf. Sie will die<br />

kulturelle und die mediale Dominanz des Westens, das Meinungsmonopol des Westens angreifen und wenn<br />

möglich brechen“. Softpower heißt diese Strategie. Einflussnahme über Medien und Kultur. So soll ein positives<br />

China-Bild vermittelt werden. Fast fünf Milliarden Euro genehmigte der Staatsrat um chinesische Medien im<br />

Ausland zu verbreiten. Der Staatssender rund um die Uhr, auch auf russisch und sogar arabisch.<br />

Öffentlichkeit als Schutz<br />

Das Erdbeben von Sichuan 2008. CCTV zeigt helfende Soldaten und Schulen, die in Windeseile aufgebaut wurden.<br />

China als fürsorglicher Staat. Was nicht erwähnt wird: Viele Kinder starben, weil die Schulen schlecht gebaut<br />

waren, ein Fall von Korruption. Der chinesische Künstler Ai Weiwei will dazu nicht schweigen. Er spricht mit den<br />

Eltern der Opfer, fordert Aufklärung. Als er vor wenigen Wochen ins Erdbebengebiet reisen will, stürmen<br />

Polizisten seine Unterkunft, seine Kamera filmt im Dunkeln mit. Ai Weiwei, Künstler: „Sie kamen nachts um drei,<br />

an die 30 Polizisten, sie schlugen die Tür ein, wir stritten miteinander, dann schlugen sie mich und nahmen mich<br />

mit“. Weil er Missstände kritisiert wird er misshandelt und muss bei einem Besuch in Deutschland notoperiert<br />

werden. Ai Weiwei stellt diese Bilder ins Internet, weil er weiß, dass sonst niemand von dem Überfall erfährt. Ai<br />

Weiwei, Künstler: In China hat etwas, was man nicht veröffentlicht, nie statt gefunden, und selbst dann wird<br />

unterstellt, dass es nicht wahr ist. Um die Öffentlichkeit wachzurütteln mache ich alles publik, das mache ich so<br />

seit drei Jahren“.


Makellose Präsentation in den Medien<br />

Über diesen Angriff auf Ai Weiwei hat CCTV nicht berichtet und auch nicht über einen Eklat im Vorfeld der<br />

Buchmesse. Als die chinesische Regimekritikerin Da Qing das Wort ergreift, verlässt die chinesische Delegation<br />

demonstrativ den Saal: „Liebe Gäste, bitte bleiben Sie doch hier und hören Ihrer Kollegin zu“. Doch zuhören<br />

wollen sie nicht. „Wir sind gekommen um Meinungen auszutauschen. Nicht gekommen, um uns in Demokratie<br />

belehren zu lassen“. Dai Qing: „Die chinesische Regierung möchte natürlich nicht, dass Leute wie ich ins Ausland<br />

kommen und sagen: Das stimmt nicht, was ihr da sagt, das ist nicht die Wahrheit. China möchte sich gern makellos<br />

in den Medien präsentieren“.Shi Minh, Journalist: „Man sieht ja das Prinzip 100 Prozent Präsentation, null<br />

Diskussion. Das heißt, ihr sollt nur schlucken, oder ihr sollt auch nein sagen, dann wissen wir, ihr seid unsere<br />

Feinde, aber diskutieren, das sollte bitteschön zumindest nicht so offiziell, nicht so viel, dass es wieder die<br />

Präsentation stört“. Wie bei der 60 Jahr Feier, am ersten Oktober. Die chinesische Führung weiß wirkungsvolle<br />

Bilder zu produzieren: Zeigt ein junges Volk, modern, glücklich und vielfältig. Nicht gern gezeigt werden Bilder<br />

wie diese, nach einem Lebensmittelskandal müssen Regale leer geräumt werden. Der Journalist Zhou Qing hat<br />

auch so einen Skandal aufgedeckt. Kurz danach wird er überfallen. Zhou Qing, Journalist und Autor: „Ich sah aus<br />

wie ein Schwein, weil die versucht hatten mit einer Flasche meine Mundwinkel aufzuschneiden, es war furchtbar“.<br />

Shi Minh, Journalist: „Man kann zum Beispiel von Untergrundgesellschaft auch schwer zugesetzt werden oder<br />

auch getötet werden, solche Fälle gibt es auch. Das ist ein konkreter alltäglicher Fall“.<br />

Panscherei bei Lebensmitteln kann Menschenleben kosten und so will Zhou Qing weiterberichten. Die Gefahr für<br />

sich selbst nimmt er in Kauf. Zhou Qing, Journalist und Autor: „An der Ostküste von China werden viele billige<br />

Arbeitskräfte ausgebeutet, damit wir Chinesen billige Spielzeuge, billige Textilien, billige Produkte ins Ausland<br />

exportieren. Das ist nicht nur eine Gefahr für uns, auch eine Gefahr für die ganze Welt“.<br />

Medienoffensive hat nichts mit Pressefreiheit zu tun<br />

Doch Skandale bremsen das Wirtschaftswachstum und Berichte darüber sind unerwünscht. Und gemäß der neuen<br />

Strategie ermahnt das frisch designte Parteiorgan gezielt ausländische Journalisten, jetzt auch auf englisch. Ihre<br />

Berichte seien voller Vorurteile und westlicher Propaganda. Jochen Graebert, ARD-Studioleiter Peking: „Fest<br />

steht, dass die Medienoffensive Chinas mit Pressefreiheit nichts zu tun hat. Es ist ja auch kein Zufall, dass wir<br />

ausländische Journalisten ausgerechnet jetzt wieder mal heftig attackiert werden, weil wir, so der pauschale<br />

Vorwurf, zu kritisch über China berichten“. Shi Minh, Journalist: „Man wirft es den westlichen Medien das vor,<br />

eben insofern, als eben chinesische Politikmacher sich darüber beklagen, das die Politik im Westen nicht mehr so<br />

viel Einfluss hat, aber dafür die Medien umso mehr. Und insofern versteht sich von selbst, das mit dem<br />

wirtschaftlichen Aufstieg China die Mediale Hoheit sucht.“.Und dabei stören Kritiker nur. Denn Chinas PR-<br />

Maschine soll laufen, es geht um Wirtschaftmacht. Dai Qing: „Diese Softpower ist wie ein Tuch, das alles<br />

Hässliche verdecken soll, alles Unschöne in China. Einfach ausgedrückt kann man es sich vorstellen wie eine<br />

Windel, die den Schmutz am Hintern verdeckt“.<br />

Autorin/Autor: Daniel Bröckerhoff, Maraike Fuchs<br />

Repressionen: Iranische Journalisten auf der Flucht (22.11.2009)<br />

Einschüchterungen, Entführungen, Festnahmen. Pressefreiheit im Iran ist und bleibt Wunschdenken. Seit Präsident<br />

Achmadinischad die Wahlen manipuliert hat, ist die Situation für Journalisten unerträglich. Das Internet ist für<br />

viele die letzte Möglichkeit, frei zu berichten. Doch auch die will ihnen der Staat jetzt nehmen, mit einer<br />

Sondereinheit zur Überwachung von E-Mails und Websites. Mehr als 100 Blogger und Journalisten sitzen im Iran<br />

bereits hinter Gittern. Als einziger Ausweg bleibt vielen nur die Flucht.<br />

Sie hat alles zurückgelassen. Nur einen Rucksack hatte sie dabei, als sie nach Köln kam vor ein paar Wochen.<br />

Mitra Khalatbari war Journalistin im Iran. Preisgekrönt. Aber jetzt musste sie weg, weil sie vom Geheimdienst<br />

bedroht wurde. Mitra Khalatbari beschreibt ihren Weg raus aus dem Iran so: „Ich bin nicht legal aus dem Iran<br />

ausgereist sondern heimlich. Wie viele andere Journalisten auch. Es war eine Flucht.“ In ihren Artikeln ist sie<br />

gegen die Todesstrafe eingetreten und für Menschenrechte. Veröffentlicht hat sie in reformorientierten iranischen<br />

Zeitungen. Nach der Wiederwahl von Hardliner Ahmadinejad am 12. Juni wurde es jedoch für kritische<br />

Journalisten wie sie immer gefährlicher. Mitra Khalatbari meint dazu: „Nach den Wahlen überwachten in den<br />

Redaktionen der reformorientierten Zeitungen je ein Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Zensurbehörde unsere<br />

Arbeit. Sie haben bestimmt, welche Artikel nicht gedruckt werden durften und welche doch.“ Es war Mitte Juni,<br />

die Zeit der Massenproteste gegen die Wiederwahl von Ahmadinejad, als Millionen nieder mit der Diktatur riefen.<br />

Den Aufstand niederknüppeln<br />

Das Regime sah sich in Gefahr. Mitra war dabei, hat fotografiert, obwohl es verboten war, hat den Mut der<br />

einfachen Leute gegen das Regime gesehen. Die brutalen Einsätze der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten<br />

konnte sie jedoch nicht im Bild festhalten: Viel zu gefährlich. Aber sie hat es miterlebt: „Ich habe gesehen, wie ein<br />

Junge von drei bis vier Sicherheitsleuten zusammengeschlagen wurde. Er war dünn und schmächtig, höchstens 17<br />

Jahre alt. Ich fühlte mich ohnmächtig, weil ich nichts machen konnte.“ Im August wurde Ihre Zeitung, die die<br />

Protestbewegung unterstützt hatte, verboten. Danach unterschrieb sie mit vielen anderen Journalisten einen Aufruf


an die Führer der Reformbewegung und die liberale Geistlichkeit, energisch gegen Ahmadinejad vorzugehen. Die<br />

Unterzeichner wurden danach vom Geheimdienst massiv bedroht, auch Mitra Khalatbari: „Ich bin, wie viele andere<br />

Journalisten, eingeschüchtert und telefonisch vorgeladen worden. Aber es hat sich herumgesprochen, dass es keine<br />

gute Idee ist, zu diesen Vorladungen hinzugehen, weil man dann einfach verschwinden und weggesperrt werden<br />

kann, ohne das jemand etwas über deinen Verbleib erfährt.“ Sie hat sich hinausgeschmuggelt, wie mehr als hundert<br />

iranische Journalisten. Eine wahre Fluchtwelle ist im Gange, wie Reporter ohne Grenzen bestätigt. Dietrich<br />

Schlegel von Reporter ohne Grenzen beschreibt die Lage so: „Das ist ein beispielloser Vorgang. Ich würde das<br />

wirklich als Exodus bezeichnen. Denn in dieser Menge, auf Grund dieser Repressionen, denen die Journalisten<br />

ausgesetzt sind, hat es das noch nicht gegeben, auch nicht in anderen Ländern.“ Das Regime ist entschlossen, den<br />

Aufstand niederzuknüppeln. Dutzende Demonstranten starben bereits, Tausende wurden festgenommen. Über die<br />

eingesperrten Journalisten versucht Reporter ohne Grenzen möglichst viele Informationen zu bekommen. Dietrich<br />

Schlegel: „Nach unserer Kenntnis sitzen zur Zeit noch 24 Journalisten und 7 Blogger in Gefängnissen. Sie werden<br />

meistens angeklagt: Umsturz des islamischen Systems oder auch Arbeit für die vereinigten Staaten, für den bösen<br />

Teufel oder für die westlichen Mächte.“<br />

Propagandashow im Plauderton<br />

Im Staatsfernsehen veranstalten regimetreue Journalisten derweil eine schlechte Propagandashow. Der frühere<br />

Vizepräsident und Vordenker der Reformbewegung Mohammad-Ali Abtahi muss nach wochenlanger Haft und<br />

Folter vor laufenden Kameras ein Geständnis ablegen und im Sträflingsanzug Reue zeigen. Die Journalisten im<br />

Gerichtssaal haben sich arrangiert, sind längst Teil des Unterdrückungsapparates. Dann die geschmacklose Zugabe:<br />

Abtahi und ein Mithäftling müssen ein Exklusivinterview geben, in scheinbar entspannter Atmosphäre.<br />

Mohammad-Ali Abtahi sagt in diesem Interview: „Im Gefängnis bin ich sehr gut behandelt worden,“ sagt Abtahi in<br />

erzwungenem Plauderton und fährt fort: „Mit den Vernehmungsbeamten habe ich mich sogar angefreundet. Der<br />

Reporter fragt nach: „Dürfen wir das glauben?“. Mohammad-Ali Abtahi antwortet: „Ja, die Vernehmungsbeamten<br />

waren sehr einfühlsam.“<br />

Mitra Khalatbari kennt die Kollegen vom Staatsfernsehen und meint: „Viele Journalisten im Staatsfernsehen sind<br />

von dem überzeugt, was sie da tun und es kommt ihnen überhaupt nicht in den Sinn, dass die Zuschauer das<br />

Theater nicht mehr glauben.“ Mitra will die deutsche Öffentlichkeit auf die skandalösen Zustände aufmerksam<br />

machen, sie hat angefangen Vorträge zu halten. Nach der Verschärfung der Zensur und der Massenflucht der<br />

Journalisten sind die Bilder, die von den verbotenen Demonstrationen aus dem Iran kommen, nur noch<br />

Amateurbilder. Mitra Khalatbari beschreibt die Lage mutiger Bürger im Land: „Nach den Wahlen sind alle Bürger<br />

zu Journalisten geworden. Jeder hat eine Kamera, alle berichten, verbreiten Nachrichten über das Internet, über<br />

Weblogs. Die Leute versuchen, den Verlust auszugleichen und die Aufgabe der Journalisten selbst in die Hand zu<br />

nehmen.“ Mitra will diesen Stimmen zumindest in Deutschland Gehör verschaffen, damit der Informationsfluss<br />

über den Volksaufstand in ihrem Land nicht abreißt.<br />

Autorin/Autor: Stefan Buchen<br />

3. PRESSEFREIHEIT UND JUSTIZ<br />

Zusammenfassung :<br />

Journalistenfrust - Gerichtsurteile behindern Berichterstattung (27.05.2009)<br />

Hamburg. Sehr attraktive Stadt: Schiffe, Hafen, Elbe. Aber nicht nur bei Touristen ist die Hansestadt beliebt,<br />

sondern auch bei Medienanwälten und ihren Promis. Die allerdings kommen weniger wegen des maritimen Flairs,<br />

als mehr wegen der Hamburger Richter. Anders als bei anderen Verfahren, kann man sich beim Presserecht den<br />

Gerichtsstandort nämlich ziemlich frei auswählen. Egal, ob der Kläger in München, Essen oder Leipzig sitzt,<br />

meistens kann er sein Recht geltend machen, wo er möchte. Naja, und wenn man gegen die Presse gewinnen will,<br />

versucht man es eben gerne in Hamburg. Oder – auch ein Geheimtipp Berlin.<br />

Landgericht Hamburg - Sitzungssaal 335. Jede Woche, immer freitags, treffen sich hier Medienanwälte aus ganz<br />

Deutschland im Auftrag ihrer Mandanten. Auch Rolf Schälike ist jede Woche hier. Immer wieder stellt er fest, dass<br />

viele Kläger und Angeklagte überall wohnen, nur nicht in Hamburg. Rolf Schälike, Gerichtsbeobachter: „Der<br />

Klambt-Verlag sitzt nicht in Hamburg, die Kölnische Zeitung sitzt auch nicht in Hamburg, die Morgenpost ist wohl<br />

hier. Leipziger Verlags- und Druckereihaus sitzt auch in Dresden oder in Leipzig. Der Bayerische Rundfunk. Also<br />

sie sitzen alle nicht hier.“ Dass soviele ortsfremde Medien hier in Hamburg verklagt werden, ist kein Zufall. Die<br />

Kläger, häufig Prominente, erhoffen sich hier günstige Urteile. Und deshalb klagen sie gegen die Medien hier in<br />

Hamburg. Spyros Aroukatos, Anwalt für Medienrecht: „Ich kann sagen aus meiner Erfahrung: Die entscheiden<br />

pressefeindlicher und anspruchstellerfreundlicher als Gerichte am Sitz vieler Redaktionen, die ich vertrete. Das<br />

kann man so sagen.“ Stefan Niggemeier, Medienjournalist: „Es findet bei dieser Abwägung Meinungsfreiheit auf


der einen Seite und Persönlichkeitsrechte auf der anderen, entscheiden die Hamburger Richter eigentlich fast<br />

immer zugunsten des Persönlichkeitsrechts und nicht der Meinungsfreiheit.“<br />

Bessere Chancen?<br />

Und deshalb haben auch sie Schutz vor den Medien bei der Hamburger Pressekammer gesucht. Der damalige<br />

Bundeskanzler Gerhard Schröder wehrte sich gegen die Nachrichtenagentur ddp. Die hatte berichtet, dass Schröder<br />

sich die Haare färben ließe. Weder Schröder noch ddp kommen aus Hamburg. Joschka Fischer verklagte die „Die<br />

Welt“. Die Zeitung hatte mit seinem Foto Werbung gemacht. Auch Joschka Fischer und die „Die Welt“ haben mit<br />

Hamburg nichts zu tun. Caroline von Monaco setzte sich gegen die „Bunte“ durch, weil das Blatt erfundene<br />

Geschichten über die Prinzessin gedruckt hatte. Und wieder: Kläger und Beklagte sind keine Hamburger. Jan<br />

Hegemann, Anwalt für Medienrecht: „Naja, Sie können zum Beispiel in Hamburg sehen, dass die gesamten<br />

Yellow-Press-Verfahren eines Unternehmens, das in Offenburg seinen Hauptsitz hat, mit Klägerinnen und Klägern,<br />

von denen allenfalls zufällig und eher selten jemand aus Hamburg kommt, trotzdem alles in Hamburg verhandelt<br />

wird.“ René Martens, Medienjournalist: „Da kann man natürlich schon vermuten, dass es diese Wahl des<br />

Gerichtsstandes damit zu tun hat, dass sie sich hier bessere Chancen erhoffen. Also wenn es gegen einen verlag aus<br />

dem süddeutschen Raum geht, warum klagt dann jemand, der in München lebt, z.B. hier in Hamburg. “<br />

Das ist nur möglich wegen einer Sonderregelung: Dem sogenannten fliegenden Gerichtsstand. Er erlaubt den<br />

Klägern freie Auswahl des Gerichts, wenn sie sich gegen vermeintliche oder auch tatsächliche<br />

Persönlichkeitsverletzungen zur Wehr setzen wollen. Spyros Aroukatos, Anwalt für Medienrecht: „Durch den<br />

fliegenden Gerichtsstand kann der Kläger zu jedem Gericht gehen, wo theoretisch eine Sendung oder eine Zeitung<br />

erreichbar gewesen ist. Jan Hegemann, Anwalt für Medienrecht: „Das hat die Konsequenz, dass der Kläger sich<br />

aussuchen kann, den Richter, von dem er weiß oder aufgrund bekannter Rechsprechung annehmen darf, dass der<br />

seinem Begehren günstig gesinnt sein wird.“ Und deshalb strömen viele hierher, zum Hamburger Landgericht. Nur<br />

noch eine andere Pressekammer in Deutschland ist bei Klägern ebenso beliebt: das Landgericht in Berlin.<br />

Johannes Weberling, Professor für Medienrecht: „Ich denke, dass die Grundaussage, dass Hamburg und Berlin<br />

betroffenenfreundlicher entscheiden als andere Gerichte, sicherlich zutrifft.“ Spyros Aroukatos, Anwalt für<br />

Medienrecht: „Die Folge ist ganz klar eine Einschränkung der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit. Also, das<br />

kann man meine ich auch so sagen, und deswegen muss hier entgegengewirkt werden.“<br />

Bei Klägern beliebt<br />

Beispiel: Burda-Verlag. Der produziert Titel wie „Focus“, „Bunte“ oder „Freundin“. Burdas Hauptsitz ist<br />

Offenburg. Trotzdem: In mehr als 80 Prozent aller Fälle wird der Verlag in Hamburg und Berlin verklagt. Dabei<br />

kommen fast alle der beklagten Titel aus Süddeutschland. Wie Burda geht es vielen Verlagen. Mit absurden<br />

Folgen. Spyros Aroukatos, Anwalt für Medienrecht: „Jetzt reisen auf beiden Seiten Zeugen, Anwälte und so weiter<br />

und so fort, beide in meinem Fall aus Dresden, beide reisen nach Hamburg und führen dort Prozesse. Es<br />

entscheidet ein Gericht 500 Kilometer weit weg, dem man erst mal erklären musste, wer ist der Anspruchsteller<br />

und wer ist die Zeitung?“ René Martens, Medienjournalist: „Man kann schon sagen, dass der fliegende<br />

Gerichtsstand missbraucht wird, oft genug. Von Anwälten, die sehr genau wissen, welche Gerichte Entscheidungen<br />

fällen, die in ihrem Sinne sind. Und das kann ja nicht im Sinne des Gesetzgebers sein.“ Doch die Zahlen sprechen<br />

für sich. Die Pressekammern in Hamburg und Berlin sind bei Klägern beliebt. Sie haben in den vergangenen Jahren<br />

jeweils mehr als 1000 Fälle verhandelt. 6 mal soviel wie die Pressekammern in den Medienmetropolen Köln oder<br />

München.<br />

Absurde Situation<br />

Auch sie zog es nach Hamburg. Maja von Hohenzollern. Sie liebt Kameras und den großen Auftritt. Mit Medien<br />

hat die Prinzessin also eigentlich kein Problem. Als sich aber die „Dresdner Morgenpost“ einer Strafanzeige ihres<br />

Ex-Mannes annahm, wurde die „Schöne Prinzessin“ („Dresdner Morgenpost“ vom 27.01.2007) ungehalten. Vor<br />

dem Dresdner Landgericht versuchte sie den Artikel über den Betrugsverdacht zu verhindern und scheiterte. Weil<br />

der identische Bericht gleichzeitig im Online-Angebot der „Dresdner Morgenpost“ zu lesen war, klagte Maja von<br />

Hohenzollern erneut. Dieses Mal vor dem Hamburger Landgericht. Und hier bekam sie Recht. Nicht nur für<br />

Medienrechtler eine absurde Situation. Spyros Aroukatos, Anwalt für Medienrecht: „Jetzt haben Sie zwei<br />

Entscheidungen von zwei Gerichten in derselben Sache. Einmal Print, einmal Online und gegenteilige<br />

Entscheidungen. Der Zeitungsbericht darf weiter verbreitet werden, der Onlinebericht darf nicht verbreitet werden.<br />

Was war jetzt recht? Was war Unrecht? Tja, drüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Aber das ist nicht das, was<br />

man Rechtssicherheit nennt.“<br />

Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit<br />

Auch viele Blogger werden häufig in Hamburg verklagt. So auch Stefan Niggemeier. Das Landgericht Hamburg<br />

hatte entschieden, dass er auch für die Leser-Kommentare auf seiner Homepage verantwortlich sei. Stefan<br />

Niggemeier Freier Medienjournalist: „Das Problem ist, dass die Hamburger Richter wirklich im Zweifelsfall gegen<br />

die Meinungsfreiheit entscheiden. Also, dass im Grunde die Richter anscheinend der Meinung sind, es ist viel<br />

schlimmer, wenn irgendwo für eine Stunde oder für ein paar Stunden etwas Unzulässiges stand. Und das muss man<br />

um jeden Preis verhindern, auch wenn das bedeutet, dass im Grunde eine öffentliche Debatte gar nicht stattfinden


kann.“ Und deshalb stehen jetzt immer häufiger solche Sätze in seinem Blog: “Kurze Unterbrechung. Ich bin ein<br />

paar Tage unterwegs und kann die Kommentare nicht kontrollieren.“ Auch viele Zeitungen mussten nach dem<br />

Hamburger Urteil ihre Online-Angebote einschränken. Stefan Niggemeier, Medienjournalist: „Wenn jeder<br />

Kommentar erst freigeschaltet werden muss, was sich dann auch mal ein paar Stunden verzögert, weil jemand mal<br />

nicht am Rechner sitzt oder so, kommt, glaube ich, so eine Diskussion nicht zustande. Also, man schafft es<br />

vielleicht, heikle Äußerungen zu verhindern, aber im Zweifel verhindert man dadurch auch die ganze<br />

Diskussionen.“<br />

Grottenfalsche Interpretationen<br />

Stasi-Spitzel oder IM – inoffizieller Mitarbeiter: Dass jemand Gregor Gysi so nennt, dagegen wehrt sich der<br />

Linkspolitiker mit aller Macht. Auch vor Gericht. Natürlich in Hamburg. Jan Hegemann, Anwalt für Medienrecht:<br />

„An den Hamburger Gerichten, Land- und Oberlandesgericht, hat sich eine Auffassung zum Beweiswert der<br />

Unterlagen, die die Stasi hinterlassen hat, herausgebildet, die für diejenigen, die unter Stasiverdacht stehen,<br />

ziemlich günstig ist.“ Johannes Weberling, Professor für Medienrecht: „Fälle, die mit der Namensnennung von<br />

Stasi-Tätern oder SED-Tätern zu tun haben, werden gerne in Hamburg und Berlin verhandelt, weil diese Gerichte<br />

eine sehr, sehr eigenwillige, ich will nicht sagen, grottenfalsche Interpretationen der Beschlüsse, des<br />

Bundesverfassungsgerichts, zu diesem Thema haben.“<br />

Pressespektakel<br />

Der fliegende Gerichtsstand macht auch dies möglich: Wer klagefreudig ist, kann gleich mehrere Gerichte<br />

bemühen. Gleichzeitig. Dieses Erlebnis hatte auch die ARD-Sendung „Plusminus“. Der Finanzdienstleister AWD<br />

sowie zwei leitende Mitarbeiter hatten gegen einen Bericht geklagt und insgesamt 19 Unterlassungserklärungen<br />

eingefordert. An 8 Gerichten. Jan Hegemann, Anwalt für Medienrecht: „Der fliegende Gerichtsstand erlaubt es<br />

Ihnen, z.B. einstweilige Verfügungen an sechs oder sieben oder zehn Landgerichten gleichzeitig anhängig zu<br />

machen. In der Hoffnung irgendeine der Kammern wird schon die Auslegung finden, die im Sinne meines Antrages<br />

ist, und dann wird die Verfügung erlassen. Auch wenn sie an 5 anderen Kammern nicht erlassen wird.“ Eine<br />

absurde Situation. Und deshalb fordern jetzt manche Medienexperten und Politiker ein Ende dieser<br />

Sonderregelungen. Denn die Urteile aus Hamburg und Berlin zeigen Wirkung. Spyros Aroukatos, Anwalt für<br />

Medienrecht: „Es darf kein Journalist eine Hamburger Schere oder Berliner Schere im Hinterkopf haben und davon<br />

ausgehen müssen: Ja, bei Dir zu Hause darfst Du das sagen, darfst Du das schreiben, aber wenn auch nur ein<br />

Exemplar dieser Zeitung nach Hamburg geht, wenn auch nur ein einziger Internetleser das abruft in Hamburg, dann<br />

ist es verboten.“ Doch vorläufig geht das Pressespektakel weiter. Immer am Freitag. Beim Hamburger Landgericht.<br />

Im Zimmer 335.<br />

Übrigens: Welch Überraschung – weder die Hamburger noch die Berliner Pressekammer wollten hierzu Stellung<br />

nehmen.<br />

Autorin/Autor: Gita Datta und Josy Wübben<br />

Zusätzliche Sendungen zum Thema :<br />

Intimes als Aufmacher (19.04.2009)<br />

Nah ran wollen Journalisten immer. Auch bei ihr: No Angels-Sängerin Nadja Benaissa. Sex, HIV,<br />

Körperverletzung. Seit Tagen ist die Schöne damit in den Schlagzeilen. Doch dürfen Medien tatsächlich öffentlich<br />

über so Intimes berichten? Dürfen Journalisten Vermutungen so behandeln, als ob es Tatsachen wären? Sven<br />

Lohmann und Nils Casjens über die schwierige Gradwanderung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit.<br />

Beitragstext:<br />

Nadja Benaissa. Sie ist Mitglied einer der erfolgreichsten Girl-Groups, der No Angels. Und deshalb für viele Pop-<br />

Fans ein Star. Vielen anderen wurde sie erst diese Woche bekannt: als angeblicher „Todesengel“ („Mopo“,<br />

15.04.09.) Sie sei „HIV-positiv“ und habe, so die Schlagzeilen, einen „Ex-Geliebten mit dem Virus infiziert“.<br />

(„Bild“, 15.04.09). Für Boulevardjournalisten das Thema - Nadja Benaissa. Heribert Prantl, Redakteur<br />

“Süddeutsche Zeitung : „Was ihr hier wie eine Tatsache vorgeworfen wird und was wie eine Tatsache dargestellt<br />

wird, ist derzeit ein Verdacht. Und Berichterstattung über bloße Verdächte muss zurückhaltend sein. Man kann ja<br />

nicht das Ergebnis des Strafverfahrens vorwegnehmen.“<br />

Informationen von der Staatsanwaltschaft<br />

Dass die Medien überhaupt berichten können, verdanken sie der Staatsanwaltschaft. Medienwirksam verhaftete sie<br />

Nadja Benaissa vor einer Woche in dieser Frankfurter Disco und gab bereitwillig Auskunft. Ger Neuber,<br />

Staatsanwaltschaft Darmstadt: „Wir haben festgestellt, dass die junge Frau die selbst HIV-positiv ist, ungeschützten<br />

Geschlechtsverkehr mit mindestens 3 Personen hatte.“ Heribert Prantl, Redakteur “Süddeutsche Zeitung : „Die<br />

Staatsanwaltschaft ging mit Details an die Öffentlichkeit, die nicht an die Öffentlichkeit gehörten. Sie hat den Fall<br />

in einer Weise inszeniert, wie es sich nicht gehört. Und sie hat stigmatisiert. Und all das ist rechtsstaatlich, denke<br />

ich, unmöglich.“


Einstweilige Verfügung gegen die Bild<br />

Rechtsstaatlich unmöglich, aber der Stoff für den Boulevard. Gerüchte werden zu Tatsachen, intimstes öffentlich.<br />

Und nicht nur „Bild“ entdeckt die „Aids-Angst“ und fragt reißerisch: „Wie viele Männer hat Nadja angesteckt?“<br />

(„Bild“, 15.04.2009). Die wehrte sich vor dem Berliner Landgericht. Beauftragte ihre Anwälte, um diese<br />

Berichterstattung zu stoppen – mit Erfolg. In einer Einstweiligen Verfügung wurde der „Bild“ verboten über ihr<br />

„Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung und/oder den Gegenstand der Untersuchungshaft zu<br />

berichten“. (Auszug der Einstweiligen Verfügung).<br />

Angriff auf die Pressefreiheit?<br />

Hans-Ulrich Jörges, Chefredaktion „Stern“: „Das Urteil des Berliner Justiz ist ein Angriff auf die Pressefreiheit,<br />

weil ich davon überzeugt bin, dass man über einen solchen Fall, den ich für ein öffentliches Lehrbeispiel halte,<br />

berichten können muss. Und Schweigegebote in dieser Hinsicht halte ich für falsch. Es geht hier auch nicht um<br />

Persönlichkeitsschutz, sondern hier geht es um ein Strafverfahren.“ Auch „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann<br />

attackiert die „Feinde der Pressefreiheit“ („Bild“, 16.04.2009) im Berliner Gericht. „Wenn schwere Straftaten<br />

Privatsphäre sind, kann die Presse über nichts mehr berichten. Dann kann man die Pressefreiheit auch gleich<br />

abschaffen.“ („Bild“, 16.04.2009). Manche Chefredakteure denken wohl ähnlich, äußern sich in „Bild“ empört über<br />

den angeblichen „Angriff auf die Pressefreiheit“ („Bild“, 17.04.2009). Doch viele denken anders. Heribert Prantl,<br />

Redakteur “Süddeutsche Zeitung : „Man sollte bloß ein bisschen vorsichtig sein, immer gleich die Pressefreiheit in<br />

ihren Grundfesten verletzt zu sehen. Es geht einem ein bisschen so, bei der Verteidigung der Pressefreiheit, wie<br />

demjenigen, der immer bei jeder Gelegenheit und an jedem Tag zweimal Feuer ruft – wenn es dann wirklich<br />

gefährlich wird, glaubt man ihm nicht mehr.“<br />

Trotz Verfügung: die Berichte gehen weiter<br />

Die No Angels mit Nadja Benaissa. Wieder mal in den Schlagzeilen. Diesmal ungewollt. Bis auf weiteres täglich.<br />

Denn trotz des eigentlich noch gültigen Verbots wird weiterberichtet. Hans-Ulrich Jörges, Chefredaktion „Stern“:<br />

„Ich halte das für richtig. Es gibt bestimmte Dinge, an die man sich nicht halten muss, mit dem Risiko, dass man<br />

dafür zur Haftung gezogen wird. Aber ich hätte es in diesem Fall auch getan, wie ja viele andere Medien auch.“<br />

Heribert Prantl, Redakteur “Süddeutsche Zeitung „Bei der Berichterstattung über diese Dinge muss ich ganz, ganz<br />

besonders vorsichtig und zurückhaltend sein. Auch wenn sie mir aus verschiedenen Gründen besonders spannend<br />

erscheinen, aber Pressefreiheit ist auch nicht ein Freibrief zur Befriedigung der öffentlichen Geilheit.“<br />

Abmoderation:<br />

Übrigens: Über die angeblich so gefährdete Pressefreiheit hätten wir sehr gerne mit „Bild“ gesprochen. Doch die -<br />

Sie ahnen es - wollten nicht mit uns reden. Scheint wohl doch nicht so gefährdet zu sein, die Pressefreiheit.<br />

Vielleicht geht es ja doch nur ums Geschäft?<br />

Der Fall Fritzl: Verhandlung ohne Öffentlichkeit (18.03.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Morgen wird man wohl in vielen Zeitungen lesen können, dass die Tochter von Josef Fritzl im Gerichtssaal<br />

anwesend war. Aber wissen kann das niemand. Denn die Presse ist von großen Teilen des Prozesses<br />

ausgeschlossen. Und auch die offizielle Pressekonferenz brachte keine Klärung:<br />

Ausschnitt der Pressekonferenz zum Prozess Fritzl vom 18.03.2009, Franz Cutka, Sprecher Schwurgericht St.<br />

Pölten: „Ich kann das weder bestätigen noch dementieren. Es gibt dazu keinen Kommentar!“ Und trotzdem stand<br />

heute schon in vielen Internetausgaben der Zeitungen: “Sie war da!“ Wenn man nichts genaues weiß, müssen eben<br />

Gerüchte herhalten. In St. Pölten hat man versucht, die Berichterstattung einzudämmen. Und damit schließt man<br />

eben alle aus, die schmierigen Journalisten genauso wie die seriösen. Grit Fischer und Sine Wiegers über das<br />

zweite MEGA-Medien-Ereignis dieser Woche.<br />

Beitragstext:<br />

Hunderte Journalisten aus aller Welt. Alle berichten. Vom Auftakt des „Jahrhundert-Prozesses“. Aber nur wenige<br />

dürfen dabei sein, beim Auftritt des Angeklagten Josef Fritzl. Der Großteil der Verhandlung ist nicht öffentlich.<br />

Und auch die anschließende Pressekonferenz - wenig aufschlussreich. Ausschnitt der Pressekonferenz zum Fall<br />

Fritzl vom 18.03.2009, Franz Cutka: „Wie sich der Angeklagte verhalten hat, kann ich Ihnen nicht sagen, ich war<br />

selbst nicht drinnen. Wie schon erwähnt, war ich nicht im Verhandlungssaal. Ich kann Ihnen nichts sagen, wie die<br />

Reaktion des Angeklagten auf das Video war.“ Eine die drinnen war: Reporterin Gisela Friedrichsen. Sie hatte<br />

einen der begehrten Plätze ergattert, war deshalb gefragt. Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin „Der Spiegel“:<br />

„Unentwegt läutete das Telefon, mein Handy, und da wurde ich von Leuten angesprochen, die da rumstanden.<br />

Jeder wollte wissen, was ich in der Verhandlung drinnen erlebt habe, wie der Herr Fritzl aussah.“ Journalisten<br />

interviewen sich gegenseitig. Aber was wirklich im Gerichtsaal vorgeht, weiß keiner.<br />

Die Öffentlichkeit muss draußen bleiben<br />

Denn die Videoaussage von Fritzls Tochter durfte die Öffentlichkeit nicht sehen. Maria Windhager,<br />

Medienanwältin: „Für mich ist völlig klar, dass hier die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden muss. Also hier geht<br />

es wirklich um derart grausige Details, die mit einer unglaublichen Scham und mit einer Angst verbunden sind für


die Opfer, die haben uns nicht zu interessieren.“ Dabei kennen wir schon alle Details. Vor einem Jahr: Der<br />

Inzestfall von Amstetten geht um die Welt. Über 24 Jahre hatte Josef Fritzl seine Tochter in einem Kellerverlies<br />

eingesperrt, sie vergewaltigt, mit ihr 7 Kinder gezeugt. Die Medien stürzten sich auf den „Inzest-Vater“<br />

(Zeitungsartikel „Bild“ vom 29.04.2008), auf Fotos, jedes Detail des Falls wurde veröffentlicht. Gisela<br />

Friedrichsen, Gerichtsreporterin „Der Spiegel“: „Da ist das psychiatrische Gutachten abgedruckt worden, da ist die<br />

Anklageschrift in allen Einzelheiten abgedruckt worden. Da hat der Verteidiger die Lebensbeichte, eine angebliche<br />

Lebensbeichte des Angeklagten an ein Nachrichtenmagazin gegeben.“ Obwohl schon so viel bekannt ist, muss die<br />

Öffentlichkeit, müssen Journalisten beim Fritzl-Prozess draußen bleiben. Grundsätzlich aber sollen Prozesse<br />

öffentlich sein. Und es soll über Verhandlungen berichtet werden. Sabine Rückert, Gerichtsreporterin „Die Zeit“:<br />

„Der Sinn ist eigentlich, den Bürger an der Wahrheitsfindung zu beteiligen. In aller erster Linie, um ihn<br />

abzuschrecken, damit er sieht, was aus ihm wird, wenn er irgendwelche schlimmen Taten begeht. Aber je weiter<br />

die Aufklärung der Gesellschaft fortschritt eben auch die Kontrolle des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der<br />

Wahrheitsfindung.“ Nur unter bestimmten Bedingungen darf die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden: Wenn der<br />

Täter noch jugendlich ist, wenn es um die Unterbringung Geistigbehinderter geht, und auch wenn es intime Dinge<br />

betrifft. Maria Windhager, Medienanwältin: „Generell geht es schon um die Frage, wie kann sozusagen die<br />

Öffentlichkeit weiterhin die Justiz kontrollieren? Das ist ja unglaublich wichtig im öffentlichen Interesse. Nur das<br />

Ziel ist eben - das muss sachgerecht erfolgen.“<br />

Sensationspresse verändert Prozessberichterstattung<br />

Sachgerechte Berichterstattung bleibt im Fall Fritzl größtenteils auf der Strecke. Wer keine relevanten<br />

Informationen bekommt, flüchtet sich ins Banale. Ausschnitt aus der Pressekonferenz vom 18.03.2009: „Journalist:<br />

Was hat Fritzl heute zum Frühstück gegessen? Und was zum Mittag, wissen Sie das? Franz Cutka: Heute Mittag<br />

hat es Sojalaibchen mit Kartoffelpüree gegeben und im Anschluss daran, zum Abendessen wird es heute<br />

Frankfurter mit Senf und Gebäck geben.“ Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin „Der Spiegel“: „Als Dilemma<br />

sehe ich eigentlich an, dass wenn man einerseits versucht die Medien fern zu halten, dass die Medien dann auf ihre<br />

Weise versuchen aus so einem Stoff eine Geschichte zu machen. Die Seriösen auf ihre Weise, die Unseriösen halt<br />

auf ihre leider unseriöse Weise.“ Da geht es um den „Feigling Fritzl“ (Zeitungsartikel „Hamburger Morgenpost“<br />

vom 17.03.09), darum, wie ein „Monster weint“ (Zeitungsartikel „Bild“ vom 17.03.2009) und wie es ist, hinter ihm<br />

zu sitzen. Sabine Rückert, Gerichtsreporterin „Die Zeit“: „Also die kritische Öffentlichkeit ist doch das gar nicht.<br />

Das sind Journalisten, die aus ganz Europa anreisen und doch nicht um zu erfahren, ob Herr Fritzl das richtige<br />

Strafmaß kriegt. Das ist doch denen scheißegal. Die versuchen doch nur Bilder von dieser Familie zu kriegen.“ Und<br />

wenn das nicht möglich ist, werden andere Bilder kreiert, das animierte Kellerverlies des Josef Fritzl.<br />

(Internetauszug vom www.“bild“.de) Gerade wegen solchem Sensations-Journalismus werden immer mehr<br />

Prozesse ohne eine echte Beteiligung der Öffentlichkeit geführt. Wie im Fall von Susanne Klatten. Die<br />

Unternehmerin war vom ehemaligen Liebhaber Helg Sgarbi erpresst worden, eine peinliche Situation. Zur<br />

Verhandlung vorige Woche musste Susanne Klatten nicht erscheinen und Journalisten beobachteten einen<br />

erstaunlich „kurzen Prozess“ (Zeitungsartikel „Berliner Zeitung“ vom 10.03.2009). Sabine Rückert,<br />

Gerichtsreporterin „Die Zeit“: „Mir war erlaubt anzuhören, was die Anklage, als die Anklageschrift verlesen<br />

wurde. Dann haben wir gehört eine halbstündige oder Viertelstündige Befragung eines Polizeibeamten und dann<br />

ein Urteil. Das wars. Ich habe darüber geschrieben, dass man nichts schreiben kann. Und dass eine Öffentlichkeit<br />

nicht hergestellt war.“ Und auch bei der Verurteilung Dieter Althaus Anfang des Monats war aufgrund des<br />

schnellen „Blitzurteils“ kaum Berichterstattung möglich. Gisela Friedrichsen: „Bei Althaus hat man ganz<br />

offensichtlich Rücksicht genommen auf die berufliche Position. Im Klatten-Prozess war, meiner Meinung nach,<br />

eine Verständigung, hat da stattgefunden vorher, wir machen es schnell und unblutig. Bei Fritzl hab ich den<br />

Eindruck, die österreichische Justiz möchte diese Sache vom Tisch haben und zwar so schnell wie irgendwie<br />

möglich.“ Und deshalb traf hier eine Justiz, die keine Informationen rausgibt, auf zu viele Journalisten, die nur<br />

Emotionen bedienen wollen. Ein Dilemma. Gisela Friedrichsen: „Die Verknappung der Ware – und die Nachricht<br />

ist ja auch eine Ware – die Verknappung dieser Ware führt dazu, dass die Gier umso mehr steigt.„ Die Gier nach<br />

Details, nach Fotos. Die britische „Sun“ hat vergangene Woche ein Bild von Fritzls Tochter und den Kindern<br />

veröffentlicht. Bis jetzt war es in unseren Medien nicht zu sehen - bis jetzt.<br />

Mordfall Michelle: Fahnder-Frust über die Medien (10.09.2008)<br />

Michelle aus Leipzig. Die Achtjährige wurde misshandelt und ermordet. Was die Fahnder seit Wochen ermitteln,<br />

ist nachzulesen in "Bild" und "Dresdner Morgenpost". Die Boulevardblätter veröffentlichten Details zur<br />

Todesursache - Informationen, die die Behördensprecher für sich behalten wollten, um die Ermittlungen nicht zu<br />

gefährden. Das Informationsleck in den eigenen Reihen empört die Ermittler, hatten sie doch eine interne<br />

Nachrichtensperre verhängt. Um den "Maulwurf" in den eigenen Reihen zu finden, ermittelt die Staatsanwaltschaft<br />

jetzt wegen Geheimnisverrats. Zapp über Nachrichtensperren, missverständliche Äußerungen und moralisch<br />

fragwürdige Berichte.<br />

Anmoderation:


Guten Abend! Herzlich willkommen bei Zapp. Es ist der Rücktritt der Woche: Kurt Beck verlässt relativ wortkarg,<br />

aber umso bildreicher die politische Bühne in Berlin. Welche Rolle spielten dabei die Journalisten? Bei uns<br />

erfahren Sie gleich mehr über die medialen Abgründe beim Abgang von Kurt Beck als Parteivorsitzender der SPD<br />

und die medialen Hintergründe beim Abtritt von Stefan Aust als Chefredakteur des "Spiegel". Ein halbes Jahre ist<br />

es her - jetzt plaudert Aust erstmals ausführlich vor der Kamera darüber.<br />

Doch zunächst zu einem Verbrechen, das bereits vor gut drei Wochen geschah und das heute noch mehr Fragen als<br />

Antworten aufwirft: Der Mord an der kleinen Michelle in Leipzig. Viel ist darüber berichtet worden, und wenn<br />

man es genau betrachtet, muss man sagen zuviel. Denn voreilige Berichterstattung könnte die Ermittlungen der<br />

Fahnder stören. Nicht zum ersten Mal. Timo Großpietsch und Josy Wübben über Nachrichtensperren,<br />

missverständliche Äußerungen und moralisch fragwürdige Berichte.<br />

Beitragstext:<br />

Die Martinstraße in Leipzig. Die kleine Michelle geht von ihrer Schule nach Hause, mit einer Freundin, wie jeden<br />

Tag. An dieser Kreuzung verabschiedet sie sich - und wird das letzte Mal lebend gesehen, denn Michelle wurde<br />

ermordet. Das Mädchen aus Leipzig ist nur acht Jahre alt geworden. Seit drei Wochen sucht die Polizei fieberhaft<br />

nach ihrem Mörder. Die größte Sonderkommission in der Geschichte Sachsens ist dem Täter auf den Fersen. Wie<br />

sie ermitteln? Welche Spuren sie verfolgen? Von Anfang an das Thema in den Medien. Michelles Schicksal<br />

bewegt die Menschen und füllt die Titelseiten. "Michelle kämpfte mit ihrem Killer" - jeden Tag gibt es neue<br />

Einzelheiten in der Boulevardpresse: "Fahnder entdeckten Haarbüschel", "Mörder wollte Michelle verscharren",<br />

"Heiße Spur führt in diese alte Gärtnerei".<br />

Wettlauf um Exklusivmeldungen<br />

Ein medialer Wettlauf um Exklusivmeldungen. Die Ermittler sind empört. Ricardo Schulz, Staatsanwaltschaft<br />

Leipzig: "Wir sind natürlich daran interessiert, möglichst unverfälschte Informationen zu bekommen und nicht<br />

vorgeprägte durch die Medien. Und deshalb sind wir schon der Meinung, dass die Ermittlungen zumindest<br />

gefährdet sind." Gefährdet, weil in der Zeitung Details zu lesen sind, die eigentlich nur Täter und Ermittler kennen.<br />

Gefährdet, weil die Zeitungsartikel Zeugen beeinflussen könnten. Die Polizei reagiert, "sucht den Maulwurf" und<br />

verhängt eine strikte "Nachrichtensperre". Thomas Reiche, Landesfunkhaus Sachsen (MDR): "Eine<br />

Nachrichtensperre klingt zunächst natürlich einmal erst mal schwierig, klar. Weil man sich schon überlegt, was<br />

wird mir denn da aus welchem Grund, warum und gegebenenfalls weggesperrt." Norbert Bolz, Professor für<br />

Medienwissenschaften: "Es klingt nach Krieg, nach Ausnahmezustand, also nach einer Situation, in der ein<br />

geregeltes, bürgerliches Leben, auch Nachrichtenleben, nicht möglich ist."<br />

Nachrichtensperre - für die Presse ohne Belang<br />

"Nachrichtensperre" klingt bedrohlich, vor allem für Journalisten. Tatsächlich gilt sie aber nicht für Medien,<br />

sondern allein für die Behörde, die sie verhängt hat. Im Fall Michelle also für die Staatsanwaltschaft und für die<br />

Polizei. Ricardo Schulz: "Im vorliegenden Fall ist es möglicherweise durch die Wahl des Wortes<br />

Nachrichtensperre, die aber im wesentlichen wirklich nach innen gerichtet war, hier zu Irritationen gekommen."<br />

Irritationen, weil das Wort "Nachrichtensperre" bei Journalisten Befürchtungen weckt: Behördenwillkür,<br />

Maßregelung, Pressezensur. Christiane Kohl, "Süddeutsche Zeitung": "Nachrichtensperre klingt nach Ernstfall,<br />

klingt danach irgendwie nach alten Zeiten. Man denkt an Terrorismus." Und an den "Deutschen Herbst", an die<br />

Entführung Hans-Martin Schleyers 1977. Die Pressestrategie bei seiner Geiselnahme hat den Begriff<br />

"Nachrichtensperre" geprägt. Damals berichteten die Medien nur in enger Absprache mit den Behörden über den<br />

Terror. Genau wie 1996 als Jan-Phillip Reemtsma entführt wurde.<br />

Keine Vereinbarung mit der Presse<br />

Um sein Leben zu schützen, vereinbarten Behörden und Medien während der Entführung nicht zu berichten.<br />

Anders im Fall Michelle: Hier haben es die Ermittler versäumt, die Presse konsequent ins Boot zu holen, klare<br />

Vereinbarungen zu treffen. Norbert Bolz: "Wenn man überhaupt auf die Kooperation der Journalisten setzt, dann<br />

natürlich nur in dem man sie einbezieht, in dem man ihre Arbeit würdigt und sie nicht durch einen Affront versucht<br />

auszuschalten. Das muss immer scheitern. Information dringt durch die kleinste Lücke, durch die kleinste Nische,<br />

und der Versuch zu zensieren, wird immer fehlschlagen." In der Sonderkommission Michelle arbeiten 180<br />

Polizisten. Sie sind zur Vertraulichkeit verpflichtet. Dennoch gelangten ständig brisante Details der Fahndung nach<br />

draußen. Dabei haben Journalisten nicht einmal alles veröffentlicht, was sie erfahren haben. Peter Rzepus,<br />

"Dresdner Morgenpost": "Es ist ja immer die Gefahr, dass man wirklich eine Spur zerstört oder einen Hinweis gibt,<br />

der für den Täter wichtiger ist als für die Polizei oder für den Leser, und dass dadurch ein Schaden entsteht, den wir<br />

nicht wollen."<br />

Warten auf den Tabubruch<br />

Der Tabubruch in der vergangenen Woche bei "Bild": "Michelle missbraucht und erstickt". Im Artikel "Die<br />

schreckliche Wahrheit über Michelles Tod", standen Einzelheiten aus dem geheimen Obduktionsbericht.<br />

Verwunderung bei der Konkurrenz. Peter Rzepus: "Da bin ich auch Leser wie jeder andere und staune erst mal,<br />

dass man mit Dingen, die wir auch schon lange wussten, jetzt plötzlich, dass sie auf dem freien Markt sind. Und<br />

nach meinem Gefühl dachte ich hoi, nicht? Hätten wir auch machen können, haben wir nicht gemacht, aber danach,


wenn das auf dem Markt ist, ist das Geheimnis kein Geheimnis mehr." Norbert Bolz: "Zweifellos sind die weniger<br />

seriösen Medien geradezu süchtig nach dem ersten Tabubruch, mit dem sie dann legitimieren können, dass sie<br />

selbst auf diesen Berichterstattungswagen aufspringen. Also, sobald einer die Grenze überschritten hat, kann man<br />

legitimer Weise sagen, jetzt ist auch für mich der Weg offen." Wie für die "Dresdner Morgenpost", denn die zog<br />

nach: "So grausam starb die kleine Michelle", "Michelle: Das Protokoll ihres grausamen Todes". Auch hier Details,<br />

die die Fahnder für sich behalten sollten. Die Staatsanwaltschaft will jetzt das Leck in den eigenen Reihen finden.<br />

Ermittlungen wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen<br />

Unter den Beamten wird ermittelt, wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen. Auch Journalisten geraten ins<br />

Visier. Ricardo Schulz: "Wir müssen prüfen, ob sich auch einzelne Journalisten hier der Anstiftung oder auch der<br />

Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen schuldig gemacht haben." Norbert Bolz: "Das halte ich für sehr,<br />

sehr problematisch. Selbst wenn es nur bei dieser Drohung bleiben sollte, bedeutet das doch ganz schlicht, man will<br />

die Journalisten einschüchtern. Und damit bedroht man unsere oberste Freiheit, nämlich die Pressefreiheit."<br />

Christiane Kohl: "Es könnte sein, dass hier jemand sich gedacht hat: So, also jetzt kommen wir bei den<br />

Ermittlungen nicht so richtig weiter und auch sonst, wir haben irgendwie die Nachrichtenlage nicht so richtig im<br />

Griff, also jetzt mal die Keule raus." Die Keule für Journalisten, die über Michelle berichten. Die<br />

Staatsanwaltschaft räumt jetzt gegenüber Zapp Fehler ein. Ricardo Schulz: "Das man einfach früher aufeinander<br />

zugeht, das muss man sehen. Also, ich sehe auch dieses Verfahren wieder mal als Beleg dafür an, dass man dort nie<br />

auslernt." Die Suche nach Michelles Mörder geht weiter. Es wird ganz sicher neue Konflikte geben zwischen<br />

Fahndern und Reportern - bis zur Erfolgsmeldung: Michelles Mörder ist gefasst.<br />

Abmoderation:<br />

Natürlich hätten wir gerne mit der "Bild" über all das vor der Kamera gesprochen. Doch, wie immer bei der "Bild",<br />

wollte man uns nichts sagen.<br />

4. MEDIENETHIK : DIE « VIERTE GEWALT » IN WINNENDEN<br />

Zusammenfassung :<br />

Die Medienopfer von Ansbach (30.09.2009)<br />

Für die Realität gibt es kein Drehbuch. Keines für den Amoklauf in Erfurt, keines für den in Winnenden. Über<br />

beide Tatorte haben wir berichtet - vor allem über die Sensationsgier der Medien. Beim jüngsten Amoklauf in<br />

Ansbach dann, vor zwei Wochen, ergab sich zunächst ein anderes Bild in den Zeitungen: Die Schüler wurden nur<br />

gepixelt gezeigt, die Würde der Opfer gewahrt. Haben die Medien womöglich dazu gelernt? Zapp auf den Spuren<br />

der Medienmeute!<br />

Das Gymnasium Carolinum in Ansbach. Vor zwei Wochen stürmt hier ein Schüler den Unterricht, verletzt mehrere<br />

Mitschüler mit Brandsätzen und Axthieben. Hunderte Journalisten kommen nach Ansbach. Stellen unentwegt<br />

Fragen. Auch an die Oberbürgermeisterin. Die ist überwältigt vom Ansturm der Medien. Carda Seidel,<br />

Oberbürgermeisterin Ansbach beschreibt die Situation: „Es ist eine Flut von Medien, von entsprechenden<br />

Übertragungswägen, von Teams, die da unterwegs sind. Und die haben sich im Endeffekt eigentlich nur durch die<br />

Polizei, die ja alles abgesperrt hatte, was irgendwo sensibel war, ja im Endeffekt zurückhalten lassen, zum Teil.“<br />

Die Gier nach neuen Bildern, umfassenden Informationen und möglichst auch Emotionen scheint grenzenlos. Das<br />

weiß auch der Schulleiter. Er stellt sich der Presse, in unzähligen Interviews. Der Schulleiter Franz Stark beschreibt<br />

seine Lage: „Ich war noch nie in so einer Situation. Und es geht halt, es ist ein schwieriger Bereich. Sie müssen<br />

sich also schon überlegen, welche Informationen sie rausgeben.“<br />

Einige Journalisten bieten Schülern Geld<br />

Carda Seidel, die Oberbürgermeisterin von Ansbach lobt die umsichtige Reaktion des Schulleiters: „Er hat, denke<br />

ich, nicht so viel Medienerfahrung vorher gehabt, er hat es aber trotzdem sehr gut gemacht und er hat sich wirklich<br />

schützend vor seine Schule, schützend vor seine Schüler gestellt und hat auch deshalb diese doch ziemlich starke<br />

Belastung, die dann zusätzlich durch die Medien entstanden ist auch abgefangen.“ Auf einer Pressekonferenz<br />

wurde er zum Beispiel ganz konkret zum Täter befragt. Franz Stark, Schulleiter Gymnasium Carolinum meint<br />

dazu: „Ich habe dann darauf keine Antwort gegeben, weil ich einfach nicht spekulieren will. Ich kann da keine<br />

genaueren Auskünfte geben. Und dann habe ich gelesen, das ist ein ziemlich bekanntes Presseorgan, da stand dann<br />

so quasi zwischen den Zeilen, ich hätte etwas zu verbergen, weil ich diese Auskunft nicht gebe.“ Doch Journalisten<br />

wollen Auskunft. Auch von den Schülern. Die können das Geschehen nicht begreifen, stehen noch unter Schock,<br />

als sie auf die ersten Journalisten treffen. Franz Stark war erstaunt von den Ereignissen, von denen Schüler ihm<br />

berichteten: „Mich hat also gewundert, was mir Schüler erzählt haben. Dass also Journalisten durch die gesamte<br />

Ansbacher Innenstadt streiften und Leute, die halt wie Schüler aussahen also angesprochen haben, so in der<br />

Hoffnung, dass dort schon der Treffer dabei ist.“<br />

Ein Treffer. Ein Augenzeuge zum Beispiel. Und einige Journalisten gehen noch weiter. Sie bieten Schülern Geld.<br />

Zum Beispiel für ein Foto des Täters. Franz Stark, Schulleiter Gymnasium Carolinum gibt Beispiele: „Oder Geld


dafür, dass man seine Brandwunde zeigt oder das habe ich also aus sehr verlässlicher Quelle – der besagte Schüler,<br />

der aus der 13. Jahrgangsstufe, der sich als Feuerwehrmann hervorgetan hat. Da hat man bis zu 800 Euro geboten,<br />

um seine Handynummer herauszubringen.“ Miese Tricks.<br />

Die Schüler kritisieren die Medien<br />

Doch der Schulleiter und seine Kollegen warnen ihre Schüler vor dem leichtfertigen Umgang mit den Medien.<br />

Franz Stark, Schulleiter Gymnasium Carolinum: „Da haben wir also auch den Schülern nahegelegt, sie sollen sich<br />

überlegen, was sie sagen, weil der Frager ist sicherlich nicht an ihrer Person interessiert, sondern an gewissen<br />

Informationen. Und wir haben ihnen auch nahegelegt, sie haben auch das Recht nichts zu sagen.“ Doch Schüler,<br />

die nichts sagen wollen, sind für Journalisten wertlos. Und so versuchen einzelne mit allen Mitteln an scheinbare<br />

Augenzeugenberichte zu gelangen. Franz Stark gibt ein weiteres Beispiel: „Einem Schüler wurde angeboten gegen<br />

Geld einen vorgefertigten Text vorzulesen und das als eigene Stellungnahme auszugeben.“ In der Fränkischen<br />

Landeszeitung am 21.09.2009 erscheint ein offener Brief der Schüler mit der Überschrift: „Schüler kritisieren<br />

Medien. Die Schüler finden klare Worte für das Verhalten der Journalisten. Sie schreiben: „Manchen Medien<br />

scheint jedoch selbst jegliches Verantwortungsbewusstsein bei der journalistischen Arbeit verloren gegangen zu<br />

sein.“ Und sie verurteilen die Medienjagd wie folgt: „Schüler, die die furchtbaren Ereignisse an ihrer Schule gerade<br />

zu verarbeiten beginnen, werden durch Telefonanrufe von privaten Fernsehsendern in der Hoffnung auf<br />

spektakuläre Informationen ohne Rücksicht auf ihren seelischen Zustand belästigt.“ Nun sind die Journalisten<br />

weitergezogen. In Ansbach herrscht darüber Erleichterung. Franz Stark ist erleichtert: „Also erst einmal sind wir<br />

froh, wirklich froh, dass die alle weg sind und niemand von uns hat also ein Bedürfnis noch irgendwas an die<br />

Presse oder an die Medien weiterzugeben.“ Journalisten haben mit der Tat viele Seiten und Sendungen gefüllt.<br />

Für Dank - kein Platz in den Medien<br />

Über den Einsatz der Helfer wurde dagegen zu wenig berichtet. Die Menschen in Ansbach vermissen in den<br />

Medien Botschaften wie diese: Wir danken der Polizei – für ihren schnellen und mutigen Einsatz! Carda Seidel,<br />

Oberbürgermeisterin von Ansbach betont die Rolle der Helfer: „Das ist wichtig für die Menschen vor Ort, dass da<br />

eben ein Zusammenhalt da ist, dass das mit den Hilfskräften, mit den Einsatzkräften, dass das alles funktioniert hat.<br />

Das wäre eine wichtige Information gewesen. Ich hab auch ne Resonanz dazu gekriegt, nämlich warum ich zum<br />

Beispiel mich nie bedankt hätte. Ich habe mich bedankt bei den Einsatzkräften, aber es ist halt einfach nicht<br />

gesendet worden. Und zwar nicht nur einmal.“ Zwei Wochen sind vergangen seit dem Amoklauf ins Ansbach. In<br />

den Medien darüber nur noch wenig. Die Journalisten sind alle weg. Schüler und Lehrer am Carolinum machen<br />

sich Mut: Videoausschnitt: Zettel mit der Aufschrift: „Wir schaffen es!“. Doch eine Erkenntnis bleibt. Franz Stark<br />

fasst zusammen was Schüler und Lehrer gelernt haben: „Was wir sicherlich mitbekommen haben ist also diese<br />

Aussage, dass, dass Medien die vierte Gewalt sind. Allerdings mit der Betonung auf Gewalt.“<br />

Autorin/Autor: Tina Schober<br />

Zusätzliche Sendungen zum Thema :<br />

Winnenden fünf Wochen danach (19.04.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Guten Abend bei Zapp dem Medienmagazin. Heute - Bei unserem Gastspiel hier im Ersten.Doch jetzt gehen wir<br />

erst mal dahin, wo vor fünf Wochen alle waren. Nach Winnenden. Ein Schüler hatte dort 15 Menschen und am<br />

Ende sich selbst erschossen. Tagelang war der Amoklauf das Thema. Journalisten hatten den Ort regelrecht<br />

belagert. Jetzt - die Karawane ist längst weitergezogen – sind Gita Datta und Anne Ruprecht noch einmal<br />

hingefahren, nach Winnenden. Und haben von den Eltern der Opfer erfahren, wie sie einige dieser Journalisten<br />

erlebt haben, erleben mussten.<br />

Beitragstext:<br />

Sie haben sich versammelt um zu trauern. Diesmal stört kein Journalist das Gedenken, die Medien sind nicht mehr<br />

da. Und so erinnern sich in dieser Woche die Einwohner von Winnenden in aller Stille an das, was hier vor fünf<br />

Wochen geschah: 16 Tote nach einem Amoklauf. Petra Schill, Mutter einer ermordeten Schülerin: „Das war schon<br />

ein schwerer Schlag natürlich, der Tod von unserer Tochter. Und dann kam noch das mit den Journalisten. Und<br />

dass sich die Leute auch wirklich bewusst sind, das hätte jeder sein können. In jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder<br />

Schule. Da sind wir reine Zufallsopfer gewesen.“ Uwe Schill, Vater einer ermordeten Schülerin: „Diese ganze<br />

reißerische Berichterstattung, gerade wenn es jetzt Opfer betrifft, oder die Hinterbliebenen, das tut einfach weh.“<br />

Diese Bilder aus Winnenden schockten alle. Schon kurz nach der Tat sind Reporter vor Ort. Treffen auf<br />

fassungslose Eltern und verzweifelte Kinder.<br />

Rücksichtslose Journalisten<br />

Alles wird gefilmt. Und gesendet. Petra Schill, Mutter einer ermordeten Schülerin: „Schon so wie die aus der<br />

Schule evakuiert wurden, sind schon die ersten Reporter gekommen. Die Kinder haben ja Angst gehabt, um ihr<br />

Leben teilweise, und wollten nur noch heim zu ihren Eltern. Und da sind schon die Journalisten da gestanden und<br />

haben sie gefragt. Also ein Kind muss wohl gefragt worden sein: Wie hast Du Dich gefühlt, wie Deine


Schulkameraden erschossen wurden. Also, das ist das allerletzte.“ Eine Stadt belagert von den Medien. Tagelang.<br />

Nicht alle Journalisten nehmen Rücksicht auf die, die verzweifelt sind. Hardy Schober, Vater einer ermordeten<br />

Schülerin: „Meine Tochter ist da wirklich ermordet worden, sie können sich vorstellen, dass ich da weder zu<br />

jemandem – Kontakt - ich wollte einfach keinen Kontakt haben! Aber die lieben Reporter haben sich da dran nicht<br />

gehalten.“ Petra Schill, Mutter einer ermordeten Schülerin: „So gegen halb 3 haben wir erfahren, von der Polizei,<br />

dass unsere Tochter tot ist. Und so gegen halb fünf ist unser Sohn runtergegangen in sein Zimmer und es hat an der<br />

Tür geklingelt und da hat er im Runtergehen die Tür aufgemacht, weil er gedacht hat, es kommt irgendein Freund<br />

oder ein Bekannter zum Kondolieren. Und dann stand ein Reporter, von irgendeiner Zeitung, nehme ich an, an der<br />

Tür und hat sich auch nicht ausgewiesen, und hat nur gefragt, ob wir Bilder hätten.“ Uwe Schill, Vater einer<br />

ermordeten Schülerin: „Ich fand das recht dreist, unverschämt teilweise, wenn man nicht mal das Beileid<br />

aussprechen kann, einfach an der Tür klingelt und Informationen möchte, Bilder möchte.“<br />

Das Internet als Selbstbedienungsladen<br />

Die Schills geben den Journalisten keine Bilder von ihrer Tochter. In vielen Zeitungen erscheinen sie dennoch:<br />

Fotos von Chantal. Zapp hat jetzt ihr Gesicht verfremdet, das damals offen gezeigt wurde - überall. Uwe Schill,<br />

Vater einer ermordeten Schülerin: „Wir haben nix frei gegeben. Das ist unsere Tochter, um die trauern wir. Das<br />

wollen wir jetzt auch nicht öffentlich machen.“ Petra Schill, Mutter einer ermordeten Schülerin: „Das muss einfach<br />

nicht an die Öffentlichkeit gehen. Da würde es für mich reichen, wenn es heißt, da sind 15 unschuldige Menschen<br />

ermordet worden. Das muss einfach reichen, da braucht man keine Namen und auch keine Bilder dazu.“ Doch die<br />

Journalisten wollen Bilder. Und finden sie. Auf Plattformen, wie „Kwick!“ oder „Schüler-VZ“. Das Internet wird<br />

zum Selbstbedienungsladen für Journalisten. Rücksicht auf die Angehörigen? Fehlanzeige. Und manche<br />

Journalisten durchforsten alles - auf ihrer Jagd nach den Bildern der Opfer. Hardy Schober, Vater einer ermordeten<br />

Schülerin: „Wir waren aber leider im Karnevalsverein tätig. Und da hat man natürlich auch Fotos gemacht von<br />

meiner Tochter und die haben dann beim Karnevalsverein die Bildergalerie durchgeschaut und dann die Fotos<br />

gefunden von meiner Tochter.“ So erscheinen Fotos von seiner Tochter Jana in Zeitungen und Zeitschriften. Der<br />

Vater wurde nicht gefragt.<br />

Unerträglicher Belagerungszustand<br />

Doch es gibt nicht nur Fotos. Sondern auch viel Persönliches. Vieles davon falsch. Chantal „feierte gern“ („Bild“),<br />

sei immer „fröhlich“ („Bild“) gewesen, und trug mit „Vorliebe schwarze Klamotten“ („Bild“), behaupten die<br />

Journalisten. Und noch dreister: „Die Jungs flogen auf sie, aber einen Verlierer wie Tim Kretschmer hätte sie sicher<br />

abgewiesen.“ („Bild“) Uwe Schill, Vater einer ermordeten Schülerin: „Wenn man selber betroffen ist, und man<br />

sieht überall dann die Bilder und Berichte von der eigenen Tochter, die jetzt tot ist, um die man trauert und die<br />

dann teilweise noch verzerrt werden, durch Falschinformationen, dann ist das besonders schrecklich.“ Rücksicht<br />

auf die Gefühle der Angehörigen? Dafür ist häufig wenig Zeit, wenn die nächsten Bilder geliefert werden müssen.<br />

Auch von den Orten, wo man trauern will. Uwe Schill: „Das ist unerträglich, dieser Belagerungszustand. Auch vor<br />

der Schule, wenn man vor der Schule in Ruhe trauern wollte, Kerze abstellen, anzünden, da war man nie<br />

unbehelligt.“ Schließlich sperrt die Polizei die Trauerstelle ab. Manchen Journalisten ist auch das egal.<br />

Archivmaterial: Polizeipressesprecher am Ort des Geschehen: „Das ist jetzt das typische Beispiel!“ Der<br />

Polizeipressesprecher muss immer wieder einschreiten, um die Trauernden vor Reportern zu schützen. Uwe Schill,<br />

Vater einer ermordeten Schülerin: „Da ging es auch lediglich darum die Sensationslust zu befriedigen und das muss<br />

in so einem Fall nicht sein.“<br />

Angst vor Nachahmern<br />

Auch über den Täter wollen die Medien alles wissen. Der 17-jährige dominiert die Schlagzeilen: Alle fragen sich<br />

„Wie wurde so ein netter Junge zum Amokschützen? “Uwe Schill, Vater einer ermordeten Schülerin: „Also ich<br />

halte es für fatal so was. Ich würde mir wünschen, dass man mit so einem Amokläufer umgeht, wie mit einem<br />

Selbstmörder. Dass man den in den Medien ignoriert, dass der nicht erwähnt wird, um mögliche Nachahmungstäter<br />

davon abzuhalten.“ Für die Angehörigen sind die Medien mitverantwortlich wenn Kinder zu Killern werden. Sie<br />

fordern eine andere Berichterstattung. Hardy Schober, Vater der ermordeten Jana: „Dass der Täter nicht mehr<br />

heroisiert wird, dass der Täter nicht mehr als Star hochgelobt wird in den Himmel, weil Jugendliche, die suchen<br />

sich Stars. Und wenn man so ein Vorbild hat, dann können sie davon ausgehen, dass so ein Amoklauf in den<br />

nächsten Jahren bei uns in Deutschland sich wiederholt. Der Stadtfriedhof. Hier wurden viele der Opfer beerdigt.<br />

Ihre Angehörigen und Freunde wollten, dass kein Journalist sie dabei stört. Ein Film- und Fotografierverbot auf<br />

dem Friedhof sollte für diese Ruhe sorgen. Doch nicht alle Journalisten wollten das respektieren. Sie wollten die<br />

Bilder. Notfalls auch heimlich aus der Hecke fotografiert. Petra Schill, Mutter einer ermordeten Schülerin: „Ich<br />

hatte große Befürchtungen, vor allem hatte ich Angst gehabt, wir haben unsere Tochter offen gelassen, dass sich<br />

jeder verabschieden kann. Ich hatte wirklich große Angst, dass noch jemand mit dem Handy in den offenen Sarg<br />

fotografiert. Und ich das am nächsten Tag dann im Fernsehen oder in der Zeitung sehen muss.“<br />

Mehr Pietät und Anstand<br />

Die Albertville Realschule in Winnenden. Hier geschah die unfassbare Tat. Die Kerzen und Blumen wurden diese<br />

Woche weggeräumt. Die Journalisten haben den Ort schon längst verlassen. Uwe Schill: „Das ist ja eine Karawane,


die grast. Oder wie so Heuschrecken, da wird alles leergefressen, und dann wird weitergezogen. Und was man<br />

hinterlässt, das spielt überhaupt keine Rolle.“ Petra Schill: „Die Leute sind eigentlich froh, dass sie weitergezogen<br />

sind. Und hoffen, dass sie nie wieder kommen.“ Reporterin: „Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen von<br />

Journalisten?“ Hardy Schober, Vater einer ermordeten Schülerin: „Dass sie mehr Pietät zeigen. Dass sie mehr<br />

Anstand zeigen.“<br />

Abmoderation:<br />

Bewundernswert offen, die Eltern. Dafür vielen Dank. Auf ihren Wunsch stellen wir das Video dieses Beitrags<br />

übrigens nicht online. Trotzdem: Reinklicken unter www.ndr.de/zapp lohnt sich. Denn über das angesprochene<br />

Fehlverhalten mancher Journalisten und das Verletzen von Persönlichkeitsrechten haben wir schon oft bei Zapp<br />

berichtet.<br />

Winnenden: Stadt im Ausnahmezustand (18.03.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Herzlich Willkommen zu Zapp. Das Medienaufgebot nach dem Amoklauf in Winnenden sprengt wohl alles bisher<br />

Dagewesene. Jeder, der irgendwie Stift oder Mikrofon halten kann, war da. Jeder, der Tim K. schon mal gesehen<br />

hat, und sei es nur, weil er mal neben ihm an der Bushaltestelle stand, wurde vor die Kameras gezerrt. Ein mediales<br />

Unwetter hat sich über dem kleinen Ort entladen. Die Zeitung von Winnenden titelte am Samstag: „Lasst uns in<br />

Ruhe trauern“. Aber die Medien dulden keine Stille. Natürlich müssen Journalisten von so einem Ereignis<br />

berichten. Die Frage ist nur: Wie? Gita Datta und Anne Ruprecht waren in Winnenden und haben solche und<br />

solche Journalisten getroffen.<br />

(Unser Beitrag über Winnenden im Ausnahmezustand sorgt für Diskussionen im Netz, zum Beispiel im Weblog<br />

von Stefan Niggemeier.)<br />

Beitragstext:<br />

(Plakate von Schülern am Schulgebäude): „Lasst uns in Ruhe trauern“, „Keine Presse“ - wütende Botschaften von<br />

Schülern an Journalisten. Die Albertville-Realschule, seit Mittwoch belagert von Übertragungswagen und<br />

Reportern. Der Amoklauf von Winnenden – ein mediales Großereignis. Anwohnerin: „Ich finde es schrecklich! Es<br />

sieht aus wie auf dem Campingplatz und sie erfahren hier nichts Neues, sie sollten das einfach lassen und<br />

abziehen.“ Anwohnerin: „Ich find das total widerlich, wie die Journalisten hier stehen und versuchen irgendwo<br />

noch ein Bild zu ergattern! Ich find das so, ich find das zum Kotzen. Ich finde es richtig widerlich!“ Auch bei der<br />

„Winnender Zeitung“ hat man Erfahrungen mit aufdringlichen Journalisten gemacht. Permanent klingelte hier das<br />

Telefon. Frank Nipkau, Redaktionsleiter „Winnender Zeitung“: „Öffentlich-rechtliche Sender, die Fotos des<br />

Attentäters haben wollten und dafür angeboten haben, den Zeitungsnamen in der Hauptnachrichtensendung<br />

einzublenden, bekannte Wochenmagazine, wo Redakteure anrufen, Herr Nepkau, ich hab hier die Liste mit den<br />

Lehrern, können Sie mir sagen, wer tot ist? Bis hin zu Illustrierten, die nach ganz bestimmten Fotos von getöteten<br />

Lehrern fragten. Also wenn man das erlebt hat, dann ist man einfach nur fassungslos.“<br />

Journalisten als Regisseure des Entsetzens<br />

Mittlerweile liegt die Tat 36 Stunden zurück. Vor der Albertville-Realschule, die immer gleiche Frage: Warum?<br />

Journalisten aus der ganzen Welt können darauf keine Antwort geben. Versuchen dennoch, die Fassungslosigkeit in<br />

Worte zu fassen. Die Medienmaschinerie läuft auf Hochtouren. Reporterin, portugiesisches Fernsehen: „Ich<br />

verstehe, dass die Leute ihre Privatsphäre, ihre Ruhe haben wollen. Aber wir müssen ihnen auch erklären, dass wir<br />

der Öffentlichkeit verpflichtet sind, dass wir zeigen müssen, was in der Welt passiert. Und dies ist eine Tragödie,<br />

die man nicht verschweigen kann.“ Und eine, die die ganze Welt sehen will. Scheinwerfer sind aufgebaut, die die<br />

Trauernden und das Kerzenmeer ausleuchten. Kuscheltiere, Abschiedsbotschaften. Tränen – nichts bleibt den<br />

Kameras verborgen. Die drehen jede Regung. Für das ZDF ist Reporter Anton Jany vor Ort. Er arbeitet seit mehr<br />

als 20 Jahren als Journalist. Hat schon über viele Katastrophen berichtet. Anton Jany, Reporter ZDF: „Als ich am<br />

zweiten Tag zum Schauplatz kam, hatte ich irgendwann das Gefühl, persönlich das Gefühl, das ist der schlimmste<br />

Tag in meinem journalistischen Leben. Es war Jahrmarkt, es war Jahrmarkt. Es war wie ein Gefühl, die ganzen<br />

SNGs, die ganzen Journalisten, Hunderte von Journalisten, die in Trauben, die alle in einer Reihe zum Teil oder in<br />

Trauben irgendwo standen und jeder der vorbeikam, wurde, wurde gleich einvernommen.“ Freitag morgen. Wieder<br />

sind alle da. Vor der Albertville-Realschule. Journalisten suchen nach neuen Interviewpartnern, neuen Bildern,<br />

neuen Geschichten. Sogar am Ort der Trauer. Grenzen werden überschritten. Klaus Hinderer, Polizei-<br />

Pressesprecher: „Nachdem wir festgestellt haben, dass Journalisten direkt, bzw. Kameras, Fernsehteams dort direkt<br />

standen und diese Gedenkgegenstände verrückt haben, haben wir uns heute morgen entschlossen, diesen Bereich<br />

abzusperren.“ Journalisten als Regisseure. Schutzzonen der Polizei werden einfach ignoriert. Klaus Hinderer,<br />

Polizei-Pressesprecher: „Das ist jetzt das typische Beispiel – was Sie jetzt hier sehen.“<br />

Der Polizeipressesprecher muss einschreiten und eine Reporterin stoppen. Nicht zum ersten Mal – in diesen Tagen.<br />

Anton Jany, Reporter ZDF: „In Winnenden ist meiner Meinung nach das Grundrecht auf eine Privatsphäre aufs<br />

Tiefste verletzt worden. Jede Minute irgendwo. Ich habe Verständnis für alle Kollegen, die müssen ihren Job<br />

machen, die müssen was abliefern, weil irgendwo in den Sendern oder Agenturen Auftraggeber sitzen und wir alle


sind fast alle freie Mitarbeiter und wir haben alle einen Riesendruck. Ich hab also Verständnis dafür. Und trotzdem<br />

kann man einen Job verantwortungsbewusst machen – denk ich.“<br />

Kein Meter Raum für Intimes<br />

Auch in Weiler zum Stein ist das längst nicht allen Journalisten gelungen. Hier lebt die Familie des Amokläufers.<br />

Und auch hier waren die Journalisten. In jedem Restaurant, in jedem Geschäft. Auf der Jagd nach immer neuen<br />

Informationen. Sigrid Wolfram, Verkäuferin in Weiler zum Stein: „Die kommen rein, mit Kamera, mit Mikro. Du<br />

wirst regelrecht überfallen. Und dann werden dir die Fragen gleich zugeschrieen und zack, dann sollst du antworten<br />

und wenn du sagst: ´nein danke´, dann geben sie keine Ruh.“ Reporterin: „Wie sieht das genau aus? Keine Ruhe?“<br />

Sigrid Wolfram: „Indem dass sie dich weiter bedrängen, weiterbohren, weiterfragen und teilweise sehr extrem<br />

fragen und wenn du dann wieder sägst: ´nein´, dann kriegst du ganz gewisse Dinge an de Kopf geschmissen. Ob<br />

man denn Schuld sein will, dass man quasi jemand decken will, der so ne Tat begangen hat. Und das ist dann schon<br />

der Hammer.“ Zurück in Winnenden. Endlich gibt es neue Bilder. Vor der Schule legt ein Vertreter der<br />

muslimischen Gemeinde einen Trauerkranz nieder. Und alle Journalisten sind dabei. Die Anteilnahme wird zum<br />

Medienspektakel. Anton Jany, Reporter ZDF: „Dann stehen da noch solche Horden, von Menschen, die sie<br />

bedrängen, die keinen Meter Raum zulassen für intime Sphäre. Es konnte dort keiner ein Gebet sprechen, ohne dass<br />

er angeglotzt wurde von 10 Objektiven.“<br />

Jagd nach Bildern geht weiter<br />

Samstag - Tag 3 nach dem Amoklauf. Auf dem Stadtfriedhof wird das erste Opfer beerdigt. Familie und Freunde<br />

der 16-jährigen Schülerin wollen in Ruhe trauern. Die Polizei hat ein Film- und Fotografierverbot verhängt. Aus<br />

der Distanz dürfen Journalisten filmen. So ist die Abmachung mit der Polizei. Doch es gibt Mittel und Wege, den<br />

Blickschutz Friedhofsmauer zu überwinden. Fürs lukrative Foto vom 1. Sarg. Fotografen und Kameraleute bei ihrer<br />

Jagd nach Bildern, wollen sie jedoch nicht gefilmt werden. Kameramann: „Junge Frau. Ich find’s aber ziemlich<br />

scheiße, dass du dauernd auf uns drauf hältst, um den Zwischenschnitt zu machen, wie scheiße wir Fotografen sind.<br />

Das wir dort oben drüber fotografieren.“ Reporterin: „Aber ihr steht doch dazu, dass ihr das macht? Und dass das<br />

in Ordnung ist?“ Kameramann: „Wir stehen dazu, dass wir unseren Beruf machen müssen, weil wir einfach heute<br />

und hier diese Tage einfach einen Scheiß-Job haben, wie jeder andere auch.“ Am kommenden Samstag ist die<br />

offizielle Trauerfeier in Winnenden. Zehntausende werden erwartet. Darunter viele Journalisten. Die Menschen<br />

hier haben nur eine Bitte: (Zeitungsartikel „Winnender Zeitung“ vom 04.03.2009): „Lasst uns in Ruhe trauern“,<br />

Frank Nipkau, Redaktionsleiter „Winnender Zeitung“: „Wenn man das erlebt hat, dann ist man einfach nur<br />

fassungslos. Weil hier eine Entgrenzung stattfindet, die mit journalistischer Arbeit nicht mehr zu begründen ist.<br />

Unsere Aufgabe ist es zu informieren. Wir können mit Informationen auch den Menschen helfen, dafür müssen wir<br />

aber nicht alles zeigen. Wir müssen nicht alles sagen und wir müssen auch nicht alles wissen.“<br />

Die Medien und der Amoklauf - einfache Fehler, schlimme Entgleisungen (18.03.2009)<br />

Anmoderation:<br />

Jetzt könnte man ja meinen, je mehr Journalisten vor Ort wären, desto größer auch der Erkenntnisgewinn. Aber das<br />

Gegenteil ist der Fall. Jeder will die noch exklusivere Einzelheit haben. Da bleibt für Recherche kaum Zeit. Da<br />

wird nur noch Meldung um Meldung rausgehauen. Und wenn schon die Menschen vor Ort nichts mehr sagen, gibt<br />

es ja immer noch das Internet. Das spuckt zu jeder Frage eine Antwort aus. Ob richtig oder falsch – egal versendet<br />

sich. Marike Schmidt Glene-Winkel und Tina Schober über einen Journalismus, bei dem Schnelligkeit wichtiger<br />

ist, als Recherche.<br />

Beitragstext:<br />

Winnenden. Einige Übertragungswagen sind noch immer da. Und viele andere werden wiederkommen. Am<br />

Samstag zur Trauerfeier. Hunderttausend Menschen werden dann den Opfern des Amoklaufs von Winnenden<br />

gedenken. Den Täter kennt mittlerweile jeder: Tim Kretschmer. Er war 17 Jahre alt. Er ist 21 Jahre alt. Und heißt<br />

auch Tim Kretschmer. Auch über ihn berichteten die Medien. Es begann am letzten Mittwoch – dem Tag des<br />

Amoklaufs. Tim Kretschmer: „Ich bin ganz normal zur Arbeit gegangen und gegen 11 Uhr ungefähr kam eine Info<br />

aus der Verwaltung, dass diverse Nachrichtenportale und Agenturen bei uns angerufen haben, um Infos über mich<br />

zu bekommen, wie ich gelebt habe, oder so. Und ich wusste erst gar nicht wieso. Bis man mir mitteilte, dass ein<br />

Attentat geschehen ist und der Täter genauso hieß wie ich.“<br />

Erste Meldungen werden „getwittert“<br />

Hier in Winnenden geschah die Tat, die ganz Deutschland schockte. Ganz in der Nähe des Tatorts, einer<br />

Realschule, arbeitet eine junge Frau. Ihr Pseudonym im Internet: „tontaube“. Auf der Internet-Plattform Twitter<br />

berichtet sie normalerweise alltägliches aus ihrem Leben. Doch letzten Mittwoch warnte sie ihre Freunde.<br />

„ACHTUNG: In der Realschule Winnenden gab es heute einen Amoklauf, Täter angeblich flüchtig - besser nicht in<br />

die Stadt kommen!!!!“ (Internetauszug 2009 Twitter, von tontaube am 11.03.2009). Sie war früher informiert als<br />

viele der Einsatzkräfte und Journalisten. Auf Twitter schrieb ein Nutzer: „hier fallen die Gaffergeier ein.... ES IST<br />

ZUM KOTZEN“ (Internetauszug 2009 Twitter vom 11.03.2009) Diese „Gaffergeier“ wollten jetzt alles auch von<br />

denen wissen, die so heftig twitterten. Tontaube reagiert genervt. „Liebe Presse: ich weiss doch auch nichts von


dem Verrückten...“ (Internetauszug 2009 Twitter) Und so wurde der Amoklauf von Winnenden zum ersten<br />

„Twitter-Ereignis in Deutschland“ (Internetauszug „tagesspiegel.de“ vom 11.03.09). Viele Leser und<br />

Fernsehzuschauer wurden über das „Gezwitscher im Netz“ (Zeitungsartikel „Süddeutsche Zeitung“ vom<br />

16.03.2009) informiert. Und erfuhren so, was twittern bedeutet: Kurze Mini-Sätze, meist banal, nur selten wichtig.<br />

Und auch viele Medien twittern im Internet fleißig mit. Nicht nur „stern“, „Bild“ und n-tv. Barbara Witte,<br />

Professorin für Journalismus: „Twittern ist so ne Art Aufmerksamkeitssteigerungsinstrument an der Stelle. Und das<br />

ist natürlich ein bisschen die Frage: Was mach ich da als Journalist? Wie weit geh ich? Also, wie weit halte ich das<br />

für legitim Aufmerksamkeit um jeden Preis zu generieren?“ Das fragten sich auch viele, als sie das Twittern der<br />

Focus-Reporter im Internet verfolgten. Die beschrieben ihre Fahrt zum Tatort: „Focus-Reporter passieren erste<br />

Straßenkontrolle“ (Internetauszug 2009 Twitter, von „Focus“). Und wenig später noch banaleres: Ihr Chef habe das<br />

Geld „für zwei Zahnbürsten freigegeben.“ (Internetauszug 2009 Twitter, von „Focus“). Barbara Witte: „Bei so<br />

einem Fall, wie in Winnenden, gehört es wirklich nicht ins Netz. Da sind einfach Grenzen überschritten worden,<br />

die mir zeigen, dass wir Journalisten ja auch ein Stück weit noch lernen müssen, mit diesen neuen Medien<br />

umzugehen.“<br />

Jugendliche werden vor die Kamera gezerrt<br />

Auch der Bremer Tim Kretschmer musste erleben, dass manche Journalisten keine Ahnung von diesen neuen<br />

Medien haben. Und so, wurde er für viele zum Amokläufer von Winnenden. Tim Kretschmer: „Die haben einfach<br />

den Namen in Google eingegeben und zu dem Zeitpunkt gabs noch nicht so viel über einen Tim Kretschmer zu<br />

finden und was zu finden war, war vieles über mich.“ Und die, die seinen Namen googelten erfuhren, dass er IT-<br />

Fachmann ist und gerade seine Ausbildung absolviert. Das alles hatte er selbst in seinen Netzwerk-Porträts<br />

geschrieben. Jetzt wollten Journalisten alles wissen. Tim Kretschmer: „Dann habe ich diverse E-Mails gekriegt und<br />

Nachrichten in facebook und in meinem XING-Profil, warum ich das getan hätte und ob ich jetzt schmerzfrei wäre.<br />

Und dann hab ich auch schon mitbekommen, dass mein Foto von der Firmenwebsite im Twitter veröffentlicht<br />

wurde, dass ich der Täter wäre - das ist über die halbe Welt gegangen.“ Um die Welt gingen auch diese Bilder.<br />

Kinder aus Winnenden. Sie hatten den Amoklauf an ihrer Schule erlebt, standen noch unter Schock. Schülerin: „Ne<br />

Freundin von mir ist da gestorben und ich hab halt fast alles miterlebt. Ich hab halt die Schreie und die Schüsse<br />

gehört.“ Barbara Witte, Professorin für Journalismus: „In dem Moment, in dem ich beispielsweise Jugendliche vor<br />

die Kamera zerre. Oder deren Chats veröffentliche, in meiner Zeitung oder in meiner Fernsehsendung, verlasse ich<br />

ein Stück weit, in so einem Fall - wie jetzt hier in Winnenden - den Bereich des Qualitätsjournalismus - ganz klar!<br />

Und begebe mich auf die Seite des Boulevards. Das muss man wissen, wenn man das tut.“ Manche Journalisten<br />

taten noch mehr. Sie berichteten schon, als sie so gut wie nichts wussten. Sendungsausschnitt RTL Punkt 12 vom<br />

11.03.2009, Sarah Jovanovic, Reporterin: „Es ist kaum zu beschreiben, was hier vor Ort gerade abgeht. Es ist<br />

Wahnsinn, hier blinken die Lichter. Es heißt sogar, dass der Täter hier vor Ort noch um sich springen könnte. Man<br />

hat nicht erwarten können, dass ein solches Großereignis hier heute eintritt. Es ist hier ein Chaos vom Feinsten!“<br />

Das „Chaos vom Feinsten“, war zunächst auf vielen Kanälen zu sehen. Schnelligkeit wurde zum journalistischen<br />

Kriterium. Barbara Witte: „Der Geschwindigkeitshype, der bedeutet auf die Dauer ganz klar einen Qualitätsverlust.<br />

Und der bedeutet einen Vertrauensverlust für den Journalismus, wenn das so weitergeht. Und dann würde das<br />

irgendwann auch heißen, dass der Journalismus an sich in Frage ist. Das kann nicht ernsthaft irgendjemand<br />

wollen.“<br />

Die Trauerstelle wird zur Foto-Fundgrube<br />

Auch für Tim Kretschmer aus Bremen wurde diese Schnelligkeit zum Verhängnis. Seine bloße Namensgleichheit<br />

mit dem Amokläufer aus Winnenden wurde für ihn zur persönlichen Tragödie. Tim Kretschmer: „Ich war einfach<br />

total genervt von der Presse, wie sie arbeiten, es kann ja nicht sein, dass die Leute einfach meinen Namen googeln,<br />

dort etwas über eine Person finden und das veröffentlichen. Obwohl sie nicht wissen, dass ich der Täter gar nicht<br />

bin. Also das wurde nicht hinterfragt. Und daraufhin hab ich dann diese Aktion gemacht.“ Eine Aktion, die ihm<br />

später Leid tun wird. Aus Wut über die schlampige Recherche von Journalisten änderte Tim seine Profildaten im<br />

Internet, behauptete, er suche angeblich Handfeuerwaffen und Schnellfeuerwaffen. Tat also so, als ob er der<br />

Amokläufer sei. Tim Kretschmer: „Diese Aktion war sicherlich nicht korrekt. Ich hab einfach überreagiert auf<br />

Grund dessen, dass die Medien mich so gehetzt und gejagt haben.“ Gehetzt und gejagt von Journalisten. So fühlten<br />

sich auch viele Menschen in Winnenden. Eigentlich wollten sie nur trauern – mit Blumen, Briefen und Bildern. Für<br />

manche Medienleute der Fundort für die Bilder der Opfer. Und deshalb waren viele Winnender wütend - auch über<br />

solche Videos im Internet. Mit den Fotos der Opfer (Internetauszug: www.bild.de) „Hier richtet der Täter ein<br />

Blutbad an. 6 Schüler sterben in diesem Klassenraum: Steffi K., Jaqueline, Vicky, Nicole M, Ibrahim Y. – sie sind<br />

alle 16 Jahre alt.“<br />

Makabere Falschmeldungen in allen Medien<br />

Fotos im Internet – und auf den Titelseiten. Viele davon hatten sich Journalisten im Internet besorgt – in<br />

sogenannten sozialen Netzwerken. Eigentlich nur gedacht für private Kontakte, den Austausch mit Freunden.<br />

Barbara Witte, Professorin für Journalismus: „Das Internet ist per se öffentlich und nicht privat. Und alles was ich<br />

öffentlich mache, ist auch öffentlich. Das heißt aber noch lange nicht, dass jeder Journalist hingehen kann und alles


was irgendwie im Internet veröffentlicht wurde, einfach in seine Zeitung, auf seine Internetseite oder sonst wo<br />

hinstellen oder setzen kann. Das geht natürlich nicht.“ Und es geht doch. Für viele Angehörige der blanke<br />

Zynismus, pure Geschäftemacherei – die Fotos der Opfer von Winnenden. Und skandalös dazu: Wenn die 14jährige<br />

Selina für tot erklärt wird, aber am nächsten Tag wieder lebt und in „Bild“ schildert, wie ihre<br />

„Schulfreundin Chantal sterben musste“. (Zeitungsartikel „Bild“ vom 13.03.2009 ) Dreist auch die<br />

„Fotoverwechslung!“ (Zeitungsartikel „Bild“ vom 14.03.2009 ) über die „Bild“ seine Leser informieren musste.<br />

Sie hatte ein vermeintliches Kinderfoto des Amoktäters abgedruckt. Doch der gezeigte Junge war gar nicht Tim K.,<br />

lebte auch nicht in einer „kranken Welt“ (Zeitungsartikel „Bild“ vom 13.03.2009). Über die „kranke Welt“<br />

mancher Journalisten hat Tim Kretschmer aus Bremen in dieser Woche viel gelernt, lernen müssen. Tim<br />

Kretschmer: „Das ist nicht nur traurig, das ist sehr erschreckend. Also wenn man mal darüber nachdenkt, was man<br />

täglich in der Zeitung liest und eventuell, was man täglich falsches liest.“<br />

5. MEDIENETHIK : JOURNALISMUS UND « PUBLIC RELATIONS »<br />

Zusammenfassung :<br />

Die PR-Branche und ihre Tricks (30.11.2009)<br />

Es ist ein Herzensthema von Zapp. Public Relations, kurz PR. Werbung, die hübsch unauffällig als Journalismus<br />

verpackt ist. Mittlerweile erscheint sie so selbstverständlich und ist so perfekt platziert, dass sie kaum zu enttarnen<br />

ist und dass sich kaum einer darüber aufregt. Wir schon. Denn auf einen PR-Profi kommen nur noch zwei<br />

Journalisten. Zapp über die miesen Methoden einer boomenden Branche.<br />

Mit Tränen sollte die Weltöffentlichkeit auf den Golfkrieg eingestimmt werden. Eine angebliche Augenzeugin aus<br />

Kuwait: „Ich habe im Krankenhaus gesehen, wie irakische Soldaten Säuglinge aus den Brutkästen gerissen haben,<br />

um sie auf dem kalten Fußboden sterben zu lassen.“ Doch der dramatische Auftritt war ein Schauspiel, inszeniert<br />

von einer PR-Agentur. Die Geschichte von den herausgerissenen Babys eine Lüge. Auch Fernsehbilder von einem<br />

Selbstmordanschlag in einer kalifornischen Kleinstadt sind täuschend echt. Doch später wird klar: Deutsche PR-<br />

Profis haben mit dieser Aktion Reklame für einen Kinofilm gemacht. Und sogar in den Nachrichten kommen<br />

Inszenierungen vor. So berichteten die Tagesthemen: „In Berlin hat die Kassenärztliche Vereinigung gegen die<br />

geplante Gesundheitsreform protestiert. Die Ärzte hängten symbolisch Tausende Kittel an den Nagel [...].“ Doch<br />

die demonstrierenden Ärzte waren nur bezahlte Statisten, angeheuert von einer PR-Agentur.<br />

Ulrich Müller von LobbyControl meint dazu: „Wenn es nicht auffliegt, dann wird eben wirklich den Leuten was<br />

vorgegaukelt und man kriegt sozusagen eine deformierte Öffentlichkeit, wo eigentlich nicht mehr offen kritisch<br />

diskutiert wird, sondern die Leute glauben, da kommt was von einer unabhängigen Seite.“ Und Thomas Leif von<br />

„Netzwerk Recherche“ erklärt: „Wir sind jetzt an einem Punkt, wo schon die PR einen dominierenden Einfluss hat<br />

auf die Konstruktion von Öffentlichkeit. Und das Schlimme dabei ist, dass niemandem das auffällt.“ Wie von<br />

Geisterhand gelangen Meldungen in die Medien, die keine sind - für die Öffentlichkeit unsichtbar.<br />

Verdeckte PR<br />

Eine Branche boomt, Public Relations. Sie erfindet Bilder und Geschichten, um die öffentliche Meinung zu<br />

manipulieren, und zwar so, dass niemand es merkt, getarnt als Information. Richard Gaul, Vorsitzender des<br />

Deutschen Rats für Public Relations, sagt: „Wir haben im Rat in den letzten Monaten einige Fälle von verdeckter<br />

PR gehabt, die wir auch dann gerügt haben. Ich glaube nicht, dass es die Mehrheit ist, ich glaube dass die große<br />

Mehrheit der PR tatsächlich seriös ist, das Transparenz-Gebot einhält.“ Doch sind verdeckte PR-Tricksereien<br />

wirklich nur eine Ausnahme? Als die Deutsche Bahn für ihre umstrittene Privatisierung Stimmung machte, wurde<br />

die Öffentlichkeit absichtlich getäuscht. Eine Berliner Agentur präsentierte vermeintlich normale Bahnkunden bei<br />

Youtube, mit einseitigen Statements für die Privatisierung. So meinte ein Mann auf einer Straße: „Ich bin dafür.“<br />

Und eine Frau im Auto erklärte: „Das ist keine schlechte Idee, denn man weiß ja, die Bahn muss ihre Schulden<br />

abbauen, sie muss wirtschaftlicher arbeiten, und ich denke schon, das ist eine gute Idee.“<br />

Ulrich Müller: „Ich glaube dass PR generell ein Interesse hat, nicht aufzufallen, und dass sie das auf verschiedenen<br />

Wegen versucht zu erreichen, entweder dadurch, dass sie den Absender verschleiert oder zumindest in den<br />

Hintergrund rücken lässt.“ Verschleiern, tricksen und tarnen: Die PR-Profis der Bahn unterwanderten auch Blogs<br />

und Internetforen von Zeitschriften und Zeitungen. Zukunftmobil war einer ihrer Usernamen, unter dem sie dreist<br />

für die Bahnprivatisierung warben. Kein Leser wusste, dass diese vermeintlich unabhängigen Blogger hier für die<br />

Bahn unterwegs waren. Thomas Leif meint: „Im Grunde wird die Öffentlichkeit und die Wahrheit auf den Kopf<br />

gestellt. Weil durch die Präsenz solcher Firmen, solcher kommerzieller Interessen in den Sozialen Communities<br />

wird das Bild verzerrt, das Meinungsbild verzerrt und das ist der erste Schritt, um am Ende eine Meinungshoheit zu<br />

haben zu einem Thema.“<br />

Wer steckt dahinter?<br />

Und um Meinungshoheit und Macht kämpften auch sie: Roland Koch und Andrea Ypsilanti. Ypsilanti wollte mit<br />

Hilfe der Linken in Hessen regieren, entgegen aller Versprechen. Auf einer Internetseite - www.wortbruch.info -


protestierte eine Bürgerinitiative und polemisierte „Hessen lass Dich nicht linken!“ Sie forderte auf zu „Rückgrat<br />

gegen Wortbruch“. Der Internet-Protest schaffte es bis in die Medien. Journalisten berichteten über die „Ärger-<br />

Plattform gegen Ypsilanti“ (Focus Online 22.10.08) und die vermeintliche Bürgerinitiative „Kein Wortbruch in<br />

Hessen“ (Faz.net, 12.11.09). Die Initiative schaltete sogar große Anzeigen in der Frankfurter Rundschau und der<br />

Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Thomas Leif erklärt: „Man versucht, die Mittel der normalen<br />

demokratischen Öffentlichkeit, die wir kennen in der Demokratie, zu instrumentalisieren für die Teilbotschaften<br />

und die Interessen der Auftraggeber und der PR-Industrie.“<br />

Denn mit Volkes-Stimme hat diese Aktion nichts zu tun. Die Internetseite ist auf Charlotte Schmidt-Imhoff<br />

angemeldet - eine ehemalige CDU-Abgeordnete aus Frankfurt. Im Impressum taucht Alexander Demuth auf, ein<br />

PR-Profi. Und auch der Kontaktmann Jürg Leipziger entpuppt sich als PR-Mann. Der scheinbar unabhängige<br />

Bürgerprotest ist eine PR-Kampagne aus dem Umfeld der CDU.<br />

PR in der Politik<br />

Auch Politiker wie die langjährige Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) nutzen PR, um sich in Szene<br />

zu setzen. Über sie und ihr umstrittenes Elterngeld gab es erstaunlich viel positive Berichte in Lokalzeitungen und<br />

im Radio. Die Berichte stammten nicht von unabhängigen Journalisten, sondern von einer PR-Agentur. Und viele<br />

Medien brachten die geschönten Meldungen, wie eine penible Analyse des Ministeriums zeigt. Ursula von der<br />

Leyen: Sie trickste und bekam sogar einen Preis für ihre „PR-Leistungen“. Bei der Verleihung 2007 erklärt Ursula<br />

von der Leyen (CDU) in ihrer Dankesrede: „Von Herzen Dank - meine Damen und Herren.[...] Ich will Ihnen<br />

sagen, dass ich ausgesprochen geehrt und glücklich bin, dass ich diesen Preis übernehmen darf. Ich muss noch eine<br />

ganze Weile darüber nachdenken [...]“.<br />

Politiker und PR-Profis als Komplizen bei der täglichen Inszenierung: Unabhängige Journalisten stören da nur.<br />

Thomas Leif meint: „So dass sie eigentlich nur noch diese Polarität haben: Einerseits Blockade von Informationen<br />

bei kritischen Themen und andererseits die große PR-Tunke, wenn man was loswerden will. Dazwischen gibt es<br />

kaum etwas. Also das, was man Diskurs nennt oder was man offene Dialogbereitschaft nennt, das ist sozusagen<br />

total verkümmert.“ Und Ulrich Müller erklärt: „Und wenn das alles sozusagen so stark deformiert ist, durch PR,<br />

gerade durch problematische Methoden von PR, also diese grauen PR-Methoden, dann unterläuft man eigentlich<br />

ein Kernelement oder beschädigt man ein Kernelement von Demokratien.“<br />

Undurchsichtige Methoden der PR-Industrie<br />

Und die Branche redet sie klein: Die Zunft rühmt sich wahrhaftig und offen zu arbeiten. Und sie verweist auf ihre<br />

Selbstkontrolle: Wer gegen die Regeln verstößt und sich dabei auch noch erwischen lässt, bekommt eine Rüge von<br />

den Kollegen. Richard Gaul vom Deutschen Rat für Public Relations: „Allein deswegen, weil es die<br />

Kontrollinstanzen gibt, hat es, hat verdeckte PR oder schwere Regel-Verstöße auf mittlere und lange Sicht keine<br />

Chance. Und ist demzufolge erfolglos.“<br />

Verdeckte PR aber ist erfolgreicher denn je und brancheninterne Kritik wirkungslos. Ulrich Müller: „Sie können<br />

sozusagen nur im Nachhinein, wenn es sozusagen schon mal durch die Medien gegangen ist, oder wenn es<br />

sozusagen Hinweisgeber gibt, die sagen, hier läuft was schief, dann können sie sozusagen nachträglich eine Rüge<br />

aussprechen. Die Rüge hat keinerlei rechtliche Konsequenzen.“ Und die Leser und Zuschauer erfahren erst recht<br />

nichts davon. Bei ihnen bleiben die Inszenierungen als Realität hängen. Die Lügen werden zur Wahrheit. Umso<br />

wichtiger ist es, dass kritische Journalisten sie immer wieder hinterfragen und entlarven. Thomas Leif rät: „Vor<br />

allen Dingen nicht dem Bequemlichkeitsfaktor nachgehen und das leicht aufbereitete Stoffarsenal einfach nutzen.<br />

Sondern sie müssen sagen: Wir müssen an die Originalquellen ran. Wir dürfen uns nicht abwimmeln lassen, wir<br />

haben einen Auftrag der Gesellschaft und sind nicht sozusagen fünftes Rad am Wagen der PR-Industrie.“<br />

Autorin/Autor: Anne Ruprecht<br />

Zusätzliche Sendungen zum Thema « PR »:<br />

PR-Schule - Journalisten als Aushängeschilder (16.09.2009)<br />

Der natürliche Feind des Journalismus ist die PR. PR ist nichts schlimmes, nur mit Journalismus hat es eben nichts<br />

zu tun, das sollte man schön trennen. Das müsste sich spätestens nach dem Schleichwerbeskandal auch in allen<br />

Hierarchie-Ebenen der ARD herumgesprochen haben. Jetzt stellt sich heraus, dass ausgerechnet einflussreiche<br />

ARD-Journalisten als Botschafter für eine neue PR-Hochschule auftreten. Eine Verbindung, die sich eigentlich<br />

verbietet.<br />

Die Speakers Night im Berliner Admiralspalast. Der Höhepunkt beim Kommunikationskongress. Hier geht es um<br />

sehen und gesehen werden. Wie bei den großen Stars. Statement eines Teilnehmers: „Heute hat es glaube ich<br />

jemand sehr gut ausgedrückt. Es ist ein bisschen das Davos für die PR-Branche.“ Statement eines Teilnehmers:<br />

„Man trifft die richtigen Leute, man hat ´ne tolle Unterhaltung, super Show. Und es ist viel Content, also Inhalt<br />

auch.“ Statement eines Teilnehmers: „Es ist insgesamt eine Kontaktbörse für alle, für Journalisten, für<br />

Pressesprecher, also für beide Seiten, die sich da auch sicher näher kommen werden. Auf jeden Fall.“ Statement


einer Teilnehmerin: „Wir leben davon., dass wir gute Kontakte dorthin aufbauen und dann auch entsprechend<br />

umsetzen können in unserer täglichen Arbeit.“<br />

Namhafte Journalisten als Föderer<br />

Bei der täglichen Arbeit umgarnen Pressesprecher Journalisten. Damit die Journalisten positiv berichten und<br />

unbezahlte Werbung machen. Wie die PR-Leute das möglichst geschickt anstellen, können sie jetzt auf einer neuen<br />

Hochschule lernen: der frisch gegründeten Quadriga Hochschule Berlin. In einer Broschüre wirbt die Quadriga für<br />

ihre Studiengänge. Eine 18-monatige Ausbildung kostet zwischen 19.000 und 26.000 Euro. Klaus Kocks, PR-<br />

Berater: „Wir haben ausgezeichnete Journalistenausbildungsstätten, wir haben ausgezeichnete<br />

Kommunikationsuniversitäten. Aber das ist eine PR-Bude, die sich schmückt. Und diejenigen, die dort studieren<br />

und ihre Lebenszeit verbraten, sind die wirklich Geschädigten.“ Mit ihm schmückt sich die Quadriga Hochschule:<br />

Gründungspräsident Peter Voß.<br />

Der ehemalige SWR-Intendant ist ein Journalist der alten Garde. Voß war Reporter, Korrespondent und Moderator.<br />

Bildausschnitt: Voß moderiert: „Entschuldigung, meine Damen und Herren, ich stand auf der Leitung. Das sollte<br />

man verbieten“. Peter Voß legte eine Bilderbuchkarriere hin, war für viele jüngere Kollegen ein Vorbild. Volker<br />

Lilienthal, Professor für Journalistik: „Ich war zunächst sehr überrascht, dass ausgerechnet Peter Voß, ein<br />

namhafter Fernsehjournalist, ein Intendant des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nun ausgerechnet eine PR-<br />

Hochschule leiten will. An seiner Pension kann es eigentlich nicht liegen, die wird recht anständig sein, stelle ich<br />

mir vor. Vielleicht ist es Prestige, die Suche nach einer anderen Aufgabe, nach einer neuen Aufgabe im Ruhestand,<br />

aber da fallen mir noch viel bessere Aufgaben für Peter Voß ein.“ Klaus Kocks, PR-Berater: „Ich glaube, dass Voß<br />

etwas Seriosität absondern soll, wo ansonsten keine ist. Peter Voß selbst findet es durchaus seriös, seinen Namen<br />

für die Quadriga Hochschule herzugeben. Peter Voß, Präsident Quadriga Hochschule Berlin: „Wir brauchen eine<br />

Professionalisierung. Und ich denke als Journalist weiß man auch, dass es auf der PR-Seite wie im Journalismus<br />

selber natürlich auch, das eine oder andere Defizit gibt. Das ist etwas gelagert und deshalb habe ich gedacht, dafür<br />

kann man sich einsetzen.“<br />

Symbiose oder Klüngel?<br />

Auch er sieht Gemeinsamkeiten zwischen PR und Journalismus: Rudolf Hetzel. Er hat die Quadriga-Hochschule<br />

initiiert. Die ist nur eines seiner vielen Projekte. Hetzel hat schon die Deutsche Presseakademie gegründet und<br />

Helios Media. Der Verlag an der Friedrichstraße bringt Zeitschriften heraus, verleiht Preise und verdient auch Geld<br />

dabei - am meisten beim Kommunikationskongress. Statement einer Teilnehmerin: „Für uns Pressesprecher sind<br />

Journalisten die wichtigste Mittlergruppe, das ist natürlich völlig klar und ich denke, umgekehrt ist das genauso.“<br />

Statement eines Teilnehmers: „Jeder profitiert von dem anderen. Der Eine kann ohne den anderen nicht.“ Statement<br />

eines Teilnehmers: „Wir haben die Stories, die sie für ihre Arbeit gebrauchen können. Das heißt, wir sind in einer<br />

Symbiose.“<br />

Mit wichtigen Menschen macht Hetzels Helios sein Geschäft. Der Verlag trommelt die Crème de la Crème der<br />

Berliner Republik zusammen: Politiker, Lobbyisten, Journalisten. Wie hier bei der Verleihung des Politik-Awards.<br />

Thomas Hanke, Handelsblatt: „Da moderieren die Journalisten und schreiben möglicherweise darüber. Die PR-<br />

Leute schauen zu, Politiker geben da ihre Statements ab. Und man kann irgendwie den Eindruck bekommen, das ist<br />

sozusagen ein großes Joint Venture, was es aber in der Wirklichkeit nicht ist und auch nicht sein kann.“ Volker<br />

Lilienthal, Professor für Journalistik: „Das könnte man als Klüngel aus PR und Journalismus sehen. Das gedeiht<br />

natürlich in Berlin sehr gut, weil da sind alle beisammen. Da wird viel zusammen gedealt und dann kommen<br />

manchmal auch sehr zweifelhafte Dinge dabei heraus.“ Zum Beispiel „der Goldene Prometheus“, ein anderes<br />

Klüngel-Event aus dem Hause Helios.<br />

Journalisten: Ein ziemlich eitler Berufsstand<br />

Bekannte Journalisten wie Anne Will und Matthias Matussek gehörten schon zu den Preisträgern. Thomas Hanke,<br />

Handelsblatt: „Helios Media arbeitet mit der richtigen Erkenntnis, dass nicht nur PR-Leute, sondern gerade auch<br />

Journalisten sehr eitle Menschen sind. Muss man einfach selbstkritisch sagen. Wir sind ein ziemlich eitler<br />

Berufsstand und wir sehen uns gerne auf großen, wichtigen Plattformen.“ Selbst Volker Lilienthal hat den<br />

Prometheus vor Jahren angenommen. Volker Lilienthal, Professor für Journalistik: „Heute sehe ich diese<br />

Auszeichnung Goldener Prometheus kritischer. Denn ganz offenkundig gehört er zu einem Konglomerat von<br />

Medienaktivitäten, die nicht nur aus reinem Journalismus und Anerkennung von gutem Journalismus bestehen,<br />

sondern in dem auch viele PR-Interessen, bezahlte PR-Interessen unterwegs sind, wo es auch darum geht,<br />

politische Kommunikation aufgrund bestimmter Interessen auszurichten.“ Klaus Kocks, PR-Berater: „Insgesamt ist<br />

das ein schöner Schein und eine leere Schale, an der alle ihre Freude haben. Und wissen sie, Kirmes ist ja nicht<br />

verboten. Aber Kirmes ist was anderes als Hochschule, als Wissenschaft.“<br />

Zur Zeit sucht die Quadriga-Hochschule noch nach den passenden Professoren. Wer im Quadriga-Kuratorium sitzt,<br />

steht aber schon fest, unter anderem zehn Chefredakteure: Wilm Herlyn von der Deutschen Presse-Agentur,<br />

Thomas Schmid von der Welt, Wolfram Weimer von Cicero, Stefanie Burgmaier von Börse Online, Steffen<br />

Klusmann von der Financial Times Deutschland, Sven Gösmann von der Rheinischen Post, Peter Limbourg von<br />

N24, Christoph Lanz von der Deutschen Welle, die ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann und Wolfgang


Kenntemich vom Mitteldeutschen Rundfunk. Volker Lilienthal, Professor für Journalistik: „Man muss offenbar auf<br />

Journalisten zurückgreifen. Namhafte Journalisten sind natürlich wiederum ein Marketing-Ausweis für diese<br />

Hochschule. Nur ich frage mich: Sollten nicht diese namhaften Journalisten sich eher zum Beispiel für<br />

Qualitätsjournalismus einsetzen?“ Das hätte Zapp auch gerne von den zehn Journalisten erfahren. Aber keiner von<br />

ihnen wollte ein Interview geben. Der Mitteldeutsche Rundfunk warb sogar „herzlich um Verständnis, dass sich der<br />

MDR zu Anfragen des Medienmagazins Zapp generell nicht äußert.“<br />

PR-Leute verkaufen, Journalisten hinterfragen<br />

Die Chefredakteure sprechen offenbar ungern über ihren Rollenkonflikt. Und Peter Voß kann keinen erkennen.<br />

Peter Voß, Präsident Quadriga Hochschule Berlin: „Man kann auch parallele Rollen, das machen wir alle auf<br />

irgendeine Weise. Ein Journalist, der weiß ich, einer kritischen Organisation wie dem Netzwerk Recherche<br />

angehört und ein Buch schreibt, der muss für dieses Buch, der macht Lesungen, der macht für dieses Buch PR für<br />

sich selber, unvermeidlicherweise , deshalb hört der doch nicht auf ein guter Journalist zu sein. Das muss man<br />

sozusagen gleichzeitig auf die Reihe bringen können.“ Ein guter Journalist aber kann nicht gleichzeitig PR machen<br />

und eigene Recherchen zu veröffentlichen ist etwas Anderes als für ein Unternehmen zu werben. Thomas Hanke,<br />

Handelsblatt: „Von der Arbeit her sind wir einfach Gegenspieler. Die PR hat den Auftrag bestimmte Inhalte zu<br />

verkaufen und wir haben den Auftrag, bestimmte Inhalte zu hinterfragen, auch kritisch zu hinterfragen und dürfen<br />

uns da nicht zu, ich will mal sagen, Helfershelfern machen lassen.“ Die PR-Schule hat Helfershelfer gefunden, in<br />

einflussreichen Journalisten, die sich zu Zugpferden machen lassen. Klaus Kocks, PR-Berater: „Es zeigt, glaube<br />

ich, den wirklichen Niedergang des Publizismus. Man ist entsetzt als Leser des Blattes, wenn der Chefredakteur<br />

sich so vertingelt.“<br />

Autorin/Autor: Josy Wübben<br />

Manipulation - Politiker und Prominente schönen ihre Interviews (01.07.2009)<br />

Quizfrage: Was haben Heike Makatsch und Hannah Herzsprung gemeinsam, außer dass sie jung, talentiert und<br />

erfolgreich sind? Sie stutzen Interviews. Entschärfte Aussagen, gestrichene Kommentare, geschönte Fotos – immer<br />

mehr Promis und Politiker wollen im Nachhinein etwas anderes gedruckt sehen, als sie ursprünglich gesagt haben.<br />

Und zensieren ihre eigenen Zitate.<br />

Die deutsche Schauspiel-Elite auf dem roten Teppich, heiß begehrt von den Journalisten. Interviews mit Daniel<br />

Brühl, Katja Riemann und Co sind umkämpft. Auch die Hamburger Obdachlosen-Zeitung Hinz und Kunzt führt<br />

gerne Interviews mit Prominenten. So auch mit der Schauspielerin Martina Gedeck. Doch vor dem vereinbarten<br />

Termin erhielt die Redaktion noch einen Vertrag mit den Bedingungen für das Interview. Birgit Müller,<br />

Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „ Also so was hatten wir noch nie gesehen. Und in diesem Vertrag wurde halt<br />

geregelt, dass nicht nur Zitate autorisiert werden sollten, was wir ja kennen, was wir auch machen, grundsätzlich<br />

machen, sondern eben drei Sätze davor, drei Sätze danach, Bildunterschriften, Überschriften. Es sollte die Größe<br />

der Überschrift auf dem Titel, es sollte auch bestimmt werden, ob oder ob es auf den Titel kommt oder nicht.“<br />

Bildausschnitt: „Gedeck-Interview“ (Hinz und Kunzt, Nr. 187, September 2008) Hinz und Kunzt sollte darüber<br />

auch noch Stillschweigen bewahren. Doch die Redaktion thematisierte stattdessen den versuchten Eingriff in ihre<br />

journalistische Kompetenz in einem Artikel. Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Martina Gedeck war<br />

der Gipfel sozusagen und ist auch nur die Spitze eines Eisbergs. Es ist einfach so, dass es zunehmend der Fall ist,<br />

dass wir ständig irgendwelche Anfragen dieser Art bekommen, dass alles und jeder Pups sozusagen autorisiert<br />

werden soll.“<br />

Wischiwaschi-Erklärung<br />

Und das ist für Zeitungen neu: Denn erst seit einigen Jahren wollen immer mehr Schauspieler bestimmen, was und<br />

wann über sie geschrieben wird. Hanns-Georg Rodek, Kulturredakteur „Die Welt“: „In der Regel kommt mit der<br />

Interview-Bestätigung dann gleich ein Vertrag, in dem ich mit meiner Unterschrift mindestens zwei Dinge<br />

verspreche. Nämlich erstens, das Interview nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt zu veröffentlichen. Das ist okay,<br />

darüber kann man sich einigen. Und gleichzeitig das Interview per Mail an die Agentur oder an den Künstler selber<br />

zu schicken, damit er, ich sage jetzt mal, darin rummalen kann.“ Dieter Wonka, Redakteur „Leipziger<br />

Volkszeitung“: „Gesagt ist gesagt und eigentlich müsste das veröffentlicht werden und der Leser muss ja auch den<br />

Eindruck haben, dass was er dann schwarz auf weiß vor sich sieht, so war das. Das ist ne Illusion.“ In Deutschland<br />

ist es seit den 50er Jahren üblich, dass Interviews vor ihrem Abdruck vom Gesprächspartner genehmigt, also<br />

autorisiert werden. Um sicher zu gehen, dass das Geschriebene auch stimmt. Vor allem bei langen Politiker-<br />

Interviews. Dieter Wonka, Redakteur „Leipziger Volkszeitung“: „Man muss komprimieren in der Regel und<br />

deswegen bin ich im Prinzip eigentlich auch damit einverstanden, wenn Politiker draufschauen wollen im Sinne des<br />

Draufschauen. Das setzt zwei Dinge voraus: Es darf nur drinstehen was gesagt wurde und es muss seriös und nicht<br />

willkürlich zusammengefasst worden sein.“ Michael Haller, Medienwissenschaftler Universität Leipzig: „Wenn<br />

allerdings die Aussage, was man ja oft in der Politik erlebt, zu einer Wischiwaschi-Erklärung umgeändert wird,<br />

dann muss der Journalist die im Interview tatsächlich stattgehabte Formulierung verteidigen. Dann muss er auch


sozusagen dafür kämpfen, dass dieses Interview auch substantiell bleibt und eben nicht zu einem blabla wird.“<br />

Denn die Prominenten streichen mittlerweile auch unliebsame Passagen raus.<br />

Public Relation in eigener Sache<br />

Bei der Schauspielerin Hannah Herzsprung sah ein Interview so aus wie das Bild „Interview mit Hanna<br />

Herzsprung“ (U_Mag, Mai 2009). Viele persönliche Antworten ließ sie nachträglich schwärzen. Michael Haller:<br />

„In früheren Zeiten ging es doch wesentlich mehr um den Informationsgehalt des Interviews, um die Inhalte. Heute<br />

geht es den Interviewten deutlich mehr darum, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen können. Welches Bild<br />

sie von sich sozusagen inszenieren können über das Interview.“ Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt:<br />

„Wenn man PR haben will, also Public Relation in eigener Sache, dann soll er dafür bezahlen und Journalismus ist<br />

nicht dafür da, anderer Leuts tolles Bild zu kreieren. Sondern eigentlich ist Journalismus dafür da, ein echtes Bild<br />

zu zeigen.“ Übertriebener Autorisierungswahn?<br />

Faule Äpfel<br />

Politiker, Prominente Pressesprecher und Agenturen begründen die übermäßige Kontrolle mit schlechten<br />

Erfahrungen. Michael Haller, Medienwissenschaftler Universität Leipzig: „Es gibt inzwischen leider doch sehr<br />

viele Journalisten, die nicht wissen wie man ein gutes Interview führt. Und hinterher dann, ja, wenn sie das dann<br />

transkribiert haben und sehen: Ja so toll ist das aber eigentlich nicht. Da muss ich doch gerne meine Fragen ein<br />

bisschen aufmotzen, damit ich vor meinen Lesern etwas intelligenter erscheine.“ Hanns-Georg Rodek, Redakteur<br />

„Die Welt“: „Ich vergleiche das immer mit faulen Äpfeln. Es gibt bei uns Journalisten und Interviewern tatsächlich<br />

faule Äpfel, die aus Interviews andere Dinge machen, als dringestanden haben. Nur, was die Agenturen jetzt daraus<br />

machen ist, dass sie praktisch sozusagen die ganze Szene mit einem Pflanzenschutzmittel übersprühen, anstatt<br />

einfach die faulen Äpfel rauszuholen.“ Birgit Müller, Chefredakteurin „Hinz und Kunzt“: „Ich hab vollstes<br />

Verständnis, wenn jemand sagt, also ich hab hier drei Äh’s reingebracht und ich hab ein bisschen schludrig geredet.<br />

Ich hab vollstes Verständnis sogar da auch in der Wortwahl noch mal nachzubessern. Wofür ich gar kein<br />

Verständnis habe, ist, wenn inhaltlich was zurückgenommen wird.“<br />

Demaskiert in der Öffentlichkeit<br />

Bildausschnitt: Geschwärztes Interview von Olaf Scholz in der taz (Titel, Thesen, Temperamente – Lügen wie<br />

gedruckt vom 07.12.2003) So wie vom SPD Politiker Olaf Scholz. Vor einigen Jahren erzählte er der taz in einem<br />

Interview vieles. Weniger als die Hälfte sollte die Zeitung davon abdrucken. Wegautorisiert. Die taz wehrte sich -<br />

sie erschien mit der von Scholz geschwärzten Version. Michael Haller, Medienwissenschaftler Universität Leipzig:<br />

„Das hat ihn demaskiert in der Öffentlichkeit als jemanden, der in einem Interview, was er gesagt hat, nachher<br />

nicht mehr stand. Dass er sich schönen wollte. Dass er von sich sozusagen ein anderes Politikerbild vermitteln<br />

wollte, als er es in der Konfrontation mit dem Interviewer selber geboten hat. Und das war natürlich für ihn nicht<br />

unbedingt imagefördernd.“<br />

Drohung im Kopf<br />

Das Image ist auch für Schauspielerin Heike Makatsch enorm wichtig. In ihrem letzten Film „Hilde“ spielte sie die<br />

Hildegard Knef. Filmausschnitt „Hilde“ (NDR, Kulturjournal „Hilde“). Doch nur den ihr wohlgesonnenen<br />

Journalisten gewährte sie ein Interview. Hanns-Georg Rodek, Redakteur „Die Welt“: „In der Welt am Sonntag war<br />

eine Kritik zu den Makatsch-Film „Hilde“, um den es ging, erschienen und die war sehr negativ. Und dann<br />

bekamen wir plötzlich eine Mail, in der uns gesagt wurde: Weil die Kritik über den Film so negativ gewesen sei,<br />

könnten wir jetzt leider kein Interview mit Frau Makatsch führen.“ Nur wer freundlich berichtet und alle<br />

Autorisierungswünsche zulässt, bekommt ein Interview. Schauspieler und ihre Agenturen setzen Journalisten so<br />

unter Druck. Hanns-Georg Rodek, Redakteur „Die Welt“: „Es ist in der Weise ein Druckmittel, als manche freie,<br />

vor allem freie Interviewer natürlich darauf angewiesen sind. Es ist ja Lebensunterhalt Stars zu interviewen und<br />

diese Interviews zu verkaufen. Es ist gegenüber, sagen wir mal großen Redaktionen und angestellten Redakteuren,<br />

ein Druckmittel, das nicht wirklich hilft. Denn wir können eher sagen: Dann neben nicht.“ Birgit Müller,<br />

Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Ich glaube, da sind wir alle viel zu feige geworden. Man hat nämlich immer die<br />

Drohung im Kopf, das war dann das letzte Interview.“ Bei Hinz und Kunzt will man jetzt nicht mehr feige sein und<br />

sich gegen den Autorisierungswahn wehren. Birgit Müller, Chefredakteurin Hinz und Kunzt: „Wenn jemand ein<br />

Interview nicht autorisiert, bzw. wenn ich vorher nicht bestimmten Absprachen zustimme, dann kommen wir nicht<br />

ins Geschäft. Und wir haben beschlossen jetzt, also ganz radikal, dass wir solche Absprachen nicht mehr treffen.“<br />

Autorin/Autor: Grit Fischer<br />

Verdeckte PR – Wie Firmen ihr Image schönen (10.06.2009)<br />

Auch Unternehmen wollen glänzen, ihr Bild in der Öffentlichkeit kontrollieren. Und wenn nötig: Korrigieren. Die<br />

Deutsche Bahn hat es bitter nötig. Und hat sich die Imagepolitur unter Ex Chef Mehdorn deshalb nicht nur einiges<br />

kosten lassen. Sie kam in Sachen PR auch auf sehr kreative Ideen. So kreativ, dass auch Journalisten jahrelang<br />

nichts bemerkt haben. Der gemeinnützige Verein Lobbycontrol hat es aber und hat Licht ins Dunkel gebracht. Gita<br />

Datta und Anna Orth über einen PR Coup der viel zu lange unentdeckt geblieben ist.


Berlin. Potsdamer Platz. Die Zentrale der Deutschen Bahn. Kritische Fragen von Journalisten waren hier oft<br />

unerwünscht. Die Bahn bevorzugte eine andere Form der Kommunikation. Ulrich Müller LobbyControl: „Sie hat<br />

versucht, Externe auftreten zu lassen, die als scheinbar neutral und glaubwürdig gelten und aber eigentlich von der<br />

Bahn bezahlt wurden, ohne dass es erkennbar war. Und dadurch sollten die Leser, Zuschauer und Zuhörer verführt<br />

werden, diese Botschaften als besonders glaubwürdig einzustufen und nicht zu hinterfragen, in welchem Interesse<br />

das eigentlich ist.“ Sie ist eine von denen, die sich dafür zur Verfügung stellten. Stimmung für die Bahn machten.<br />

Sendungsausschnitt: „Mein Name ist Barbara Eligmann.“ Die ehemalige RTL Moderatorin schwärmte zum<br />

Beispiel vom Nachtzug der Deutschen Bahn. Zeitungsartikel „Bild am Sonntag“, vom 08. Juli 2007: „Statt im<br />

Billigflieger irgendwo hinzuhecheln, lieber ein romantisches Abenteuer wagen, das tut nicht nur der Seele gut.„<br />

Auch ihr Kollege Hans Meiser trommelte für die Bahn. Im „Rhein-Ruhr Magazin“ verteidigte er sogar die ewigen<br />

Verspätungen - Zeitungsartikel „Rhein-Ruhr Magazin“ 04/2007: „Ich weiß doch als Bahnfahrer, dass die<br />

Pünktlichkeit des Zuges von vielfachen Faktoren abhängt.“ Mit dem Auto sei man schließlich auch nicht immer<br />

pünktlich. Deshalb sein Fazit: „Also fahre ich Bahn.“ Den Lesern wurde verschwiegen, dass all diese Artikel gut<br />

getarnte PR-Aktionen der Deutschen Bahn waren.<br />

„Schweinerei“<br />

Promis wurden für diese Meinungsmache ebenso mobilisiert wie vermeintlich „normale“ Bahnkunden. Die<br />

äußerten sich bei Youtube positiv zur geplanten Bahnprivatisierung. Ausschnitt, YouTube – Voxpop: „`Ich bin<br />

dafür.´, `Das ist keine schlechte Idee, die Bahn muss wirtschaftlicher arbeiten, sie muss ihre Schulden abbauen -<br />

und ich denke schon, das ist eine gute Idee.´“ Klaus Kocks, PR-Berater: „Das ist nämlich das, was Geheimdienste<br />

Desinformation nennen. Und wenn man diese Geheimdiensttätigkeiten in die Öffentlichkeit überträgt, in<br />

Nichtgeheimdienstbereichen, versucht man zu beeinflussen, zu manipulieren, ohne dass erkennbar ist, wer will das<br />

und wer hat das bezahlt. In sich eine Schweinerei.“ Berlin Mitte. Hier residiert eine der Firmen, die sich unerkannt<br />

für die Bahn engagierte. Ihr Name: berlinpolis. Sie war besonders aktiv. Thomas Leif, „netzwerk recherche“:<br />

„berlinpolis hatte den Auftrag und hat das gesamte Arsenal, was zur Verfügung steht, benutzt und hat über<br />

Kommentare aber auch über Meinungsbeiträge des sogenannten Blogs Öffentlichkeitstexten und anderen Dingen,<br />

immer pro Bahn, also pro Privatisierung und auch pro Positionierung der Deutschen Bahn gearbeitet.“ Sie waren<br />

überall aktiv. In Foren und Blogs von vielen Zeitschriften und Zeitungen. „zukunftmobil“ – einer ihrer Usernamen.<br />

Keiner wusste, dass die Blogger im Auftrag der Bahn Stimmung machten: Für die umstrittene Bahnprivatisierung,<br />

die von vielen abgelehnt wurde. „zukunftmobil“ mischte immer mit. Klaus Kocks, PR-Berater: „Es gibt ganz<br />

krasse Fälle. Man hat ja versucht, Tarifverhandlungen, öffentliche Meinungsbildung während Tarifverhandlungen<br />

zu beeinflussen. Hier purzeln eine ganze Reihe von Grundrechten wie die Dominosteine.“<br />

Suggestiv-Fragen<br />

So wie 2007. Die Lokführer begannen einen wochenlangen Streik. Die Bahn tat alles, um die Position der<br />

Streikenden zu schwächen. Deshalb stellte berlinpolis Suggestiv-Fragen, wie diese: „Soll sich die Gewerkschaft der<br />

Lokführer (GDL) auf das fünfte Angebot der Deutschen Bahn, wonach das Fachpersonal einen eigenen<br />

Tarifvertrag, 4,5 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung von 2000 Euro erhalten solle, zufrieden geben?“<br />

(Forsa im Auftrag von berlinpolis) Das wenig überraschende Ergebnis: 64 Prozent antworteten mit JA. Klaus<br />

Kocks, PR-Berater: „Das ist ganz einfach. Die Manipulierbarkeit, durch und mit Meinungsforschung, besteht darin,<br />

wie ich die Frage stelle. Es gibt die einfachste Form der Suggestivfrage. Stehen Sie gerne morgens vier Stunden auf<br />

dem Bahnsteig und sind Sie für den Streik? Da haben Sie Ihre Antwort.“ Die Antwort, die man eben mit solchen<br />

Fragen erhält: „Haben sie Verständnis, wenn die Lokführer nun wieder zum Streik aufrufen?“ (Forsa im Auftrag<br />

von berlinpolis) Das erwartbare Ergebnis: Die Mehrheit sagt nein. Ein Erfolg für den heimlichen Auftraggeber: Die<br />

Deutsche Bahn. Ulrich Müller, LobbyControl: „Wir wissen, dass die Umfragen, die von berlinpolis gemacht<br />

wurden, die in den Tätigkeitsberichten für die DB auftauchen. Das hat die Bahn uns bestätigt. Das heißt, die<br />

Umfragen sind auch Teil dieser verdeckten PR gewesen.“<br />

Manipulation<br />

Eine verdeckte PR mit dem erhofftem Erfolg. Zeitungsartikel „Die Welt“ vom 19.10.2007: „Lokführer verlieren<br />

Rückhalt“ titeln die einen. Andere behaupten: Zeitungsartikel „Frankfurter Rundschau vom 19.10.2007: „Die<br />

Stimmung kippt“ - gegen die streikenden Lokführer. Die Medien wissen nicht, dass hinter dieser Umfrage die<br />

Deutsche Bahn steckt. Für sie ist es lediglich eine „Forsa-Umfrage“ im Auftrag des „Instituts Berlinpolis“.<br />

Berlinpolis versteht sich als „Ideenproduzent für die nächste Generation.“ Die Agentur behauptet, sie sei eine<br />

„unabhängige und eigenverantwortliche Denkfabrik.“ (Auszug der Homepage berlinpolis) Ein Think Tank.<br />

Thomas Leif, „netzwerk recherche“: „Think Tanks sind in Berlin eigentlich nur verkappte PR-Agenturen. Und<br />

quasi Ableger von Lobby-Organisationen. Sie haben politische Motive und sie benutzen den Begriff Denkfabrik<br />

oder Think Tank um in der Öffentlichkeit seriöser dazustehen.“ Auch renommierte Magazine wie „Capital“<br />

vertrauten auf die vermeintliche Seriosität von berlinpolis. Ihr Chef, Daniel Dettling durfte hier ebenso agitieren,<br />

wie in der „Financial Times“. Zeitungsartikel „Financial Times Deutschland“ vom 23.05.2007 „Freiheit für die<br />

Bahn“ - so seine immergleiche Forderung. Viele Berichte und Kommentare von Daniel Dettling waren Teil der<br />

geheimen Bahn-PR. Klaus Kocks, PR-Berater: „Es führt dazu, dass der Leser, der Zuschauer, der Bürger nicht


mehr erkennen kann, wo eine bestimmte Meinung herkommt. Hat ein Journalist in seiner Weisheit oder Dummheit<br />

so gesagt oder hat es ein Dritter finanziert. Wir erleben hier Fälle, dass Geld geflossen ist, ohne dass erkennbar<br />

wird, wer das Geld bezahlt hat und warum er es bezahlt hat. Das ist wirklich Manipulation.“ Manipulation, weil<br />

niemand wusste, dass die Bahn all die Stimmungsmache finanziert hat. Der neue Bahn-Chef hat jetzt die damals<br />

Verantwortlichen gefeuert. Die Aufklärung aber muss weitergehen.<br />

Natürlich hätten wir gerne mit den Unternehmen gesprochen - aber - Fehlanzeige, die nicht mit uns!<br />

Autorin/Autor: Gita Datta, Anna Orth<br />

Zusätzliche Sendungen zum Thema « Nebenverdienste »:<br />

Nebenverdienste: Wie Fernsehmoderatoren ihre Prominenz vermarkten (17.06.2009)<br />

Worüber kaum einer reden mag: die Nebenjobs von Moderatoren. Jeder, der wie ich hier vor der Kamera steht,<br />

bekommt Angebote Fachtagungen, Preisverleihungen oder Firmenveranstaltungen zu moderieren. Und als freier<br />

Journalist darf man das natürlich auch. Praktisch kann es aber Probleme geben. Denn, kann man einen<br />

Bankdirektor tatsächlich noch kritisch interviewen, wenn man vorher für die gleiche Bank für viel Geld eine<br />

Podiumsdiskussion moderiert hat? Und kann man heute unabhängig über ein Unternehmen berichten, für das man<br />

noch gestern Werbung gemacht hat? Zapp berichtet über den schmalen Grat zwischen der Verlockung, viel Geld zu<br />

verdienen, und der Pflicht, unabhängiger Journalist zu bleiben.<br />

Petra Gerster: ZDF-Nachrichten–Frau, Tom Buhrow: Mister Tagesthemen im Ersten, Claus Kleber: Anchorman<br />

beim ZDF, Anja Kohl: Börsenexpertin im Ersten, Peter Hahne: fürs ZDF in Berlin, Michael Antwerpes:<br />

Sportmoderator im Ersten. Sie alle gelten als kompetent und seriös. Doch sie sind nicht nur als Fernsehjournalisten<br />

aktiv. Sie sind auch begehrt als Referenten und Moderatoren. Petra Gerster: Hier zu Gast bei der Sparkasse. Tom<br />

Buhrow, ihn mögen nicht nur Banken. Claus Kleber, seine Vorträge wollen viele. Anja Kohl, zu Gast bei Energie-<br />

und Wirtschaftsunternehmen. Peter Hahne, Redner in vielen Sälen. Michael Antwerpes: Autofirmen buchen ihn.<br />

Viele wollen Fernsehjournalisten, speziell von ARD und ZDF. Stefan Marotzke, Deutscher Sparkassen-und<br />

Giroverband: „Zwei bzw. drei Punkte sind dabei ganz besonders wichtig: das ist zum einen die Kompetenz, das ist<br />

die Glaubwürdigkeit und natürlich ist es für viele der Gäste, die wir bei den Veranstaltungen haben, auch wichtig<br />

ein Gesicht zu sehen, was man vom Fernsehen von zu Hause her kennt.“ Prof. Ullrich Battis,<br />

Rechtswissenschaftler, Humboldt Uni Berlin: „Journalisten aus Funk und Fernsehen sind populär, man kennt die<br />

Gesichter, man hat das Gefühl, das sind Institutionen, die auch vertrauenswürdig sind.“ Prof. Christian Schicha,<br />

Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Öffentlich-rechtliche Moderatoren haben genau diese<br />

Glaubwürdigkeit, die gefordert wird vom journalistischen Handwerk. Insofern ist es von zentraler Bedeutung für<br />

Unternehmen, dass öffentlich-rechtliche Moderatoren eingekauft werden, um die Glaubwürdigkeit des eigenen<br />

Unternehmens hervorzuheben.“<br />

Gewisser Preis<br />

Einkaufen können Unternehmer, Banken und Verbände die prominenten Fernsehgesichter bei Agenturen. Einige<br />

haben sich auf die Vermittlung und Vermarktung von prominenten Journalisten spezialisiert. Die Bilder, den<br />

Lebenslauf und die Qualifikation kann jeder einsehen – nicht nur im Internet. Wie viel die Agenturen für die<br />

Auftritte ihrer Kunden verlangen, sollen nicht alle wissen. Marco Fiege, Geschäftsführer Agentur „Rex“: „Das sind<br />

allerdings Sachen die wir gar nicht so publizieren möchten, weil jeder Moderator soll das bekommen, was er<br />

letztendlich auch für seinen Vortrag verdient. Und ich glaube, das hat sich in der Branche gut eingependelt.“ Isbaell<br />

Funk, Geschäftsführerin „Econ-Referenten Agentur“: „Natürlich hat so eine Veranstaltung für ein Unternehmen<br />

einen gewissen Werbewert oder PR-Wert. Von daher, ist es klar, dass ein Journalist auch nicht kostenlos einfach<br />

bei einem Unternehmen auftritt. Also das hat natürlich einen gewissen Preis.“<br />

Schlechtes Gewissen?<br />

Diesen „gewissen Preis“ erfahren nur die, die Journalisten tatsächlich buchen wollen. Deshalb ist die Recherche<br />

mühsam. Dennoch: nach vielen Gesprächen hat auch Zapp die Preislisten der Agenturen. Die verlangen für eine<br />

Moderation oder einen Vortrag von Petra Gerster: ca. 14.000 Euro; für Tom Buhrow berechnen sie ca. 20.000<br />

Euro; die gleiche Summe für Claus Kleber; Anja Kohl kommt angeblich für ca. 6.500 Euro; Peter Hahne für ca.<br />

10.000 Euro; Der Agenturpreis für Michael Antwerpes: ca. 8.000 Euro. Unklar bleibt, wie viel die Journalisten<br />

davon selbst erhalten- keine Auskunft dazu von Agenturen und Journalisten. Prof. Christian Schicha,<br />

Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Der Verdacht liegt natürlich nahe, dass die vielleicht ein<br />

schlechtes Gewissen haben oder es könnte schlicht und ergreifend auch sein, dass sie nicht möchten, dass diese<br />

Nebeneinkünfte herauskommen. In der Hoffnung, dass darüber nicht berichtet wird.“ Doch es wird berichtet. Auch<br />

über die Frau, die regelmäßig für die ARD das Geschehen an der Börse präsentiert: Anja Kohl. Ihre Auftritte<br />

abseits der Fernsehkameras sorgen jetzt für Diskussionen: Denn sie moderiert und referiert bei Veranstaltungen, die<br />

auch von Banken und Unternehmen finanziert werden, deren Aktien an der Börse gehandelt werden. In<br />

Firmenprospekten schmückt man sich mit ihren Ratschlägen und ihrem Gesicht. Honorare erhält sie auch für<br />

Auftritte bei Veranstaltungen von Energie-Konzernen. Für manchen Kritiker eine Interessen-Kollision. Prof.


Christian Schicha, Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Börsenexperten sollten sich grundsätzlich von<br />

Vorträgen bei Unternehmen distanzieren. Sie sollten ausschließlich ihrer journalistischen Tätigkeit nachgehen, weil<br />

der Bereich über den sie berichten extrem sensibel ist, extrem abhängig von Stimmungen ist.“<br />

Üppiges Honorar<br />

Im Fernsehstudio ist sie die kompetente Nachrichtenfrau: Petra Gerster. Auch sie verdient gern nebenbei. Eines<br />

ihrer Lieblingsthemen bei Vorträgen: Werden wir richtig informiert? Nicht nur die Sparkassen freuen sich, wenn<br />

die prominente Nachrichtenfrau zu Gast ist – natürlich gegen entsprechendes Honorar. Und alle anderen sollen es<br />

auch erfahren: Petra Gerster war da! Und auch er hat viel zu sagen - außerhalb des Fernsehstudios: Claus Kleber<br />

vom „heute-Journal“. Die, die ihn buchen, wissen: Das üppige Honorar lohnt sich. Denn er füllt die Säle, in den<br />

Städten und in der Provinz. Sein Lieblingsthema: Politik in den USA. Und manche sind nach seinen Auftritten so<br />

begeistert, dass auch sie davon überzeugt sind: mit dem Zweiten sieht man besser! Ein gemeinsames Foto für den<br />

Werbeprospekt. Stefan Marotzke, Deutscher Sparkassen- und Giroverband: „Die Werbewirksamkeit ist insofern<br />

wichtig, als es eben das prominente Gesicht dann für diese spezielle Veranstaltung ist.“ Prof. Christian Schicha,<br />

Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Ich bin nicht der Auffassung, dass speziell<br />

Nachrichtenjournalisten sich für ein Unternehmen instrumentalisieren lassen sollten. Sie sollten sich nicht in<br />

Werbebroschüren für ein Unternehmen ablichten lassen. Das haben sie nicht nötig.“<br />

Gutbezahlte Auftritte<br />

Auch er ist ein prominentes Fernsehgesicht und jetzt häufig unterwegs: Frank Lehmann. Mit dem ehemalige<br />

Börsenexperten der ARD wirbt so manche Firma, wenn er sein Wissen zum Besten gibt. Angeboten wird der<br />

Börsenexperte von der Agentur Nowak, für angeblich 12.500 Euro pro Auftritt. Frank Lehmann, ehem. ARD-<br />

Börsenexperte: „Meine eigentliche Absicht ist nicht, richtig Kohle zu machen, sondern, wenn sie wirklich meine<br />

Honorare sehen, ja , okay.“ 12.500 Euro sagt Nowak. „Nee. Nee, das muss er verdienen. Das muss er verdienen.<br />

Bei mir ist noch nicht mal die Hälfte drauf. Das muss ich ganz, das ist nachzuprüfen. Noch nicht mal die Hälfte.<br />

Also wenn Novak dieses macht, oh dann hat er aber, puh, das ist mir aber neu. Das darf er ja gar nicht!“ Seine<br />

Agentur möchte darüber mit uns nicht reden. Lehmann beteuert: trotz der Honorare lasse er sich nicht<br />

instrumentalisieren. Frank Lehmann, ehem. ARD-Börsenexperte: „Ich nehme ja kein Blatt vor den Mund, also ich<br />

haue dann auch mal drauf. Und gut, ob sie damit nun Werbung machen, dass der authentische Lehmann kommt,<br />

das weiß ich nicht. Auf jeden Fall lehne ich ab, dass sie das irgendwo im Internet ständig bewerben, sondern einmal<br />

und das ist es dann.“ Frank Lehmann ist der einzige Journalist, der mit Zapp über seine gutbezahlten Auftritte in<br />

der Banken- und Wirtschaftswelt redete. Und er weiß genau, dass er trotz seiner Prominenz nicht zu den größten<br />

Abräumern gehört. Frank Lehmann, ehem. ARD-Börsenexperte: „Wenn Sie meine Honorare sehen, dann, dann<br />

lächeln ja einige, die richtig abgreifen und wenn ich mir die Steuer angucke- mein Steuerberater sagt immer: das<br />

sie für diesen Betrag durch die Gegend fahren. Ich verstehe Sie nicht. Aber gut – es macht ja auch Spaß.“<br />

„Der ist käuflich“<br />

Spaß macht es vielen, wenn Sie ihre Fernehprominenz zur zusätzlichen Geldquelle machen können. „Please<br />

Welcome: Mister Sylvester Stallone!"Gut dotierte Auftritte abseits der Fernsehkameras. Schon seit Jahren<br />

kursieren Kataloge von Agenturen mit den Preisvorstellungen für prominente Sportjournalisten. Und seit Jahren<br />

schon die Kritik an diesen Topverdienern der Journalisten. Prof. Ulrich Battis, Rechtswissenschaftler, Humboldt<br />

Uni Berlin: „Wenn ich für Geld- und zum Teil ja auch hohe Beträge- relativ kurze Zeit dort tätig bin, dann besteht<br />

die Gefahr, dass ich meine Unabhängigkeit verliere. Es genügt ja in all diesen Fällen der böse Schein. Es kann<br />

einfach der Eindruck entstehen: Aha, der oder die ist käuflich.“ Auch bei ihm entsteht ein merkwürdiger Eindruck:<br />

Michael Antwerpes. Er ist Sportchef beim Südwestrundfunk und Moderator verschiedener Sportsendungen im<br />

Ersten. Gegen Honorar absolviert er auch Auftritte bei Firmen – besonders für die Autoindustrie. Er lässt sich auch<br />

von denen bezahlen, die in der Sportwelt aktiv mitmischen. Als Sponsoren und Veranstalter. Interessen-Konflikte<br />

sind vorprogrammiert wenn er seine Fernsehprominenz vermarktet. Prof. Christian Schicha,<br />

Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Es regt mich auf, wenn Journalisten neben ihrer Tätigkeit<br />

zusätzlich Möglichkeiten suchen, um sich zu profilieren, um Einkünfte zu bekommen, die sie aufgrund ihrer<br />

Popularität bekommen. Das muss nicht unbedingt etwas mit Sachverstand zu tun haben, sondern es hat eine Menge<br />

mit Prominenz zu tun. Also es regt mich dann auf, wenn letztendlich diese Popularität benutzt wird, um in diesen<br />

Bereich richtig einzusteigen.“<br />

Eingestiegen sind Viele. Und sie alle haben dafür auch eine Genehmigung von ihren Vorgesetzten. Die ist<br />

Voraussetzung für ihre Nebentätigkeit auch als gut bezahlte Moderatoren oder Referenten außerhalb des<br />

Fernsehstudios. Das regeln die Tarifverträge der öffentlich-rechtlichen Anstalten.<br />

Reinhard Binder, ARD-Justitiar: „Für die Festangestellten gelten unsere tariflichen, unsere normalen<br />

arbeitsvertraglichen Regelungen, die vorsehen, dass eine Nebentätigkeit zulässig ist, allerdings angezeigt werden<br />

muss und auch genehmigt werden muss vom Arbeitgeber.“ Der könnte diese Nebentätigkeit verweigern, wenn<br />

absehbare Interessenkollisionen mit dem eigentlichen Job zu befürchten sind. Doch das kommt offenbar nur selten<br />

vor. Isabell Funke, Geschäftsführerin „Econ-Referenzen Agentur“: „Im allgemeinen haben wir eigentlich keine<br />

Probleme, es ist nicht so schwierig die Freigabe zu bekommen.“ Stefan Marotzke, Deutscher Sparkassen- und


Giroverband: „Aus terminlichen Gründen sicherlich, aber nicht aus dem Grund, dass eine Objektivität nicht da<br />

gewesen wäre oder das er eben der Meinung gewesen ist, er kann für diesen Bereich nicht arbeiten, das ist mir nicht<br />

bekannt – nein.“<br />

Höhe des Entgelts<br />

Doch die Sender haben bei der Genehmigung der Nebenbeschäftigung auch nicht alle Informationen. Denn die<br />

Höhe des Honorars muss nicht genannt werden – obwohl die doch so wichtig wäre. Reinhard Bindert, ARD-<br />

Justitiar: „In einem weiteren Sinne ist natürlich auch die Höhe des Entgeltes relevant, dass für eine solche<br />

Nebentätigkeit anfallen kann. Nur, wie gesagt, die Höhe des Entgelts geht gewissermaßen in den direkten privaten<br />

Bereich hinein und den kann der Arbeitgeber nach heutiger Lage grundsätzlich nicht abfragen.“ Prof. Christian<br />

Schicha, Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Ich finde, dass nichts dagegen spricht , dass die Höhe<br />

des Honorars angegeben wird, dass würde für Transparenz sorgen und das würde einfach auch für Glaubwürdigkeit<br />

sorgen.“ Prof. Ulrich Battis, Rechtswissenschaftler, Humboldt Uni Berlin: „Natürlich werden Journalisten es weit<br />

von sich weisen, wenn sie mit Beamten verglichen werden. Aber bei Beamten ist es so und bei mir zum Beispiel<br />

auch. Ich muss, wenn ich Nebentätigkeiten habe, die vorher anzeigen und ich muss angeben wie viel Geld ich<br />

bekomme und wenn ich das noch nicht genau weiß, muss ich es hinterher angeben und zwar auf jeden Cent.“<br />

Reinhard Binder, ARD-Justitiar: „Die Höhe des Nebenverdienstes resultiert ja aus einem Rechtsverhältnis, dass<br />

außerhalb des vertraglichen Verhältnisses zu uns stattfindet. D.h. strenggenommen im privaten Bereich, außerhalb<br />

des Bereichs den die Rundfunkanstalt beeinflussen kann und deshalb sind der Rundfunkanstalt auch sehr enge<br />

Grenzen gesetzt bei der Nachfrage danach, welche Verdienste außerhalb generiert werden.“<br />

Gratwanderung<br />

Auch er generiert außerhalb seiner Tagesthemen etliche Honorare – Tom Buhrow. Alles mit Genehmigung seiner<br />

Vorgesetzten. Er füllt mit seinen Vorträgen die Hallen, wird eingeladen von Sparkassen oder Handwerksmessen.<br />

Gelegentlich interviewt er auch Politiker – finanziert von bekannten Markenartiklern. Mehr als 10.000 Euro soll er,<br />

allein hier, von Henkell und Söhnlein kassiert haben. Für einen Plausch mit den rheinland-pfälzischen<br />

Ministerpräsidenten Kurt Beck. Prof. Christian Schicha, Medienwissenschaftler, Hochschule Düsseldorf: „Wenn<br />

ein Moderator sich einkaufen lässt von einem Unternehmen, dann hat er gleichzeitig das Problem, dass er wieder in<br />

diese andere Rolle zurückfinden muss. Die Frage ist, ob diese Rollen sich miteinander verquicken lassen, ob<br />

letztendlich nicht die Problematik besteht, dass er nicht mehr genau weiß, interviewt er Kurt Beck als Journalist<br />

oder interviewt er Kurt Beck, indem er den Auftrag von einem Unternehmen bekommen hat“. Auch hier war Tom<br />

Buhrow von einem Unternehmen eingeladen. In diesem schicken Hotel sollte er auf einer Veranstaltung der<br />

Deutschen Bank reden – eine halbe Stunde lang vor der Kaffeepause. Thema: die US-Wahlen und die<br />

Weltwirtschaft. Der Vertrag für diesen Auftritt liegt Zapp vor. Demnach verlangte seine Agentur 20.000 Euro. Da<br />

wundern sich manche. Prof. Ulrich Battis, Rechtswissenschaftler, Humboldt Uni Berlin: „Nun es mag ja<br />

Journalisten geben, die abends eine Veranstaltung der Deutschen Bank moderieren und die am nächsten Tag in der<br />

Lage sind, ganz kritische Fragen an den Ackermann zu stellen. Das will ich überhaupt nicht bestreiten, aber darauf<br />

kommt es nicht an. Auch hier gilt wieder der böse Schein.“ Die geplante Veranstaltung im noblen Schloss-Hotel<br />

Grunewald wurde abgesagt – wegen der Finanzkrise. Dennoch bestand die Agentur auf das gesamte Honorar von<br />

20.000 Euro für Tom Buhrow. Es wurde gezahlt. Tom Buhrow – nur einer von vielen Fernsehprominenten auf der<br />

schwierigen Gratwanderung zwischen journalistischer Glaubwürdigkeit und kommerzieller Vermarktung. Doch<br />

genau darüber wollte kein Betroffener mit uns reden.<br />

Doppelmoral<br />

Vielleicht wird auch deshalb nur so wenig darüber berichtet. Focus versuchte es vor zwei Jahren. Unter der<br />

Überschrift „Reden ist Gold“ (Focus, Ausgabe vom 19.11.07) beschäftigte er sich mit den Geschäften der „Stars<br />

von ARD und ZDF“. Über die gut bezahlten Auftritte des Chefredakteurs und Herausgebers des Focus, Helmut<br />

Markwort, wurde natürlich nicht berichtet. Auch mit Zapp wollte er darüber nicht reden. Auch er will lieber<br />

schweigen: Ralf Exel. Er moderiert im bayerischen Regionalfenster von SAT.1 die Nachrichtensendung. Gegen<br />

Geld macht er noch viel mehr. Der Journalist moderiert Wahlkampfveranstaltungen der CSU und bezieht dabei<br />

klare Positionen. Ausschnitt vom CSU Parteitag vom 18. und 19. Juli 2008, Ralf Exel: „Nach diesen letzten<br />

Eindrücken kann es nur ein wunderbarer Wahlkampf und ein perfektes Ergebnis für die CSU werden, Herr<br />

Beckstein!“ Journalisten und ihre Nebeneinkünfte – es betrifft die ganze Branche – private und öffentlichrechtliche.<br />

Doch darüber reden will keiner. Prof. Christian Schicha, Medienwissenschaftler, Hochschule<br />

Düsseldorf: „Das ist ein klassischer Fall von Doppelmoral. Einerseits auf die Politiker mit dem Zeigefinger zu<br />

zeigen, das gleiche auch mit den Managern zu machen. Managergehälter zu recht zu kritisieren. All das kann man<br />

ja tun, aber man sollte selber auch Transparenz walten lassen, hinsichtlich der eigenen Tätigkeit. Wenn Journalisten<br />

unbedingt Geld verdienen möchten und das tun, dann sollen sie es bitte transparent machen und dann kann sich<br />

jeder Zuschauer auch selber Gedanken machen, ob der noch glaubwürdig ist oder nicht.“<br />

Abmoderation:


Und falls Sie sich jetzt genau diese Gedanken machen, auch ich moderiere Veranstaltungen und das ist ja im<br />

Prinzip okay wenn - und das ist entscheidend - Aufwand und Veranstaltungshonorar im Verhältnis stehen und<br />

wenn - wie wir gerade gehört haben - der Nebenjob nicht mit der Berichterstattung kollidiert.<br />

Autorin/Autor: Anne Ruprecht, Timo Großpietsch<br />

Aufregung – Fernsehmoderatoren diskutieren über Nebenverdienste (24.06.2009)<br />

Ein Thema, das bis heute viele Medien aufwirbelt: der Zapp Beitrag der vergangenen Sendung über die<br />

Nebenverdienste von Fernsehmoderatoren. Natürlich war irgendwie klar, dass dieses Thema viele elektrisieren<br />

würde, aber dass es derart für Schlagzeilen sorgt, bis heute, damit hätten wir dann doch nicht gerechnet. Jetzt wird<br />

also heftig in allen Sendern diskutiert: Wie gehen wir mit Nebenverdiensten um?<br />

Die Säle sind voll, wenn sie kommen: Die Fernsehjournalisten. Sie moderieren Veranstaltungen bei Banken und<br />

Unternehmen. Sie kommen hauptsächlich von ARD und ZDF und gelten deshalb als besonders seriös und<br />

glaubwürdig. Was sie für solche Auftritte erhalten, bleibt offen. Angeboten werden sie von Agenturen – zu Preisen<br />

zwischen 6.000 und 20.000 Euro pro Auftritt. Darüber hatte Zapp letzte Woche berichtet und alle berichteten<br />

danach über Zapp. Obwohl diese Nebenjobs viele Journalisten betreffen, standen nur einige wenige plötzlich am<br />

medialen Pranger.<br />

Frank Beckmann, Fernsehdirektor NDR: „Was mir vor allen Dingen nicht gefallen hat ist, dass man es sehr<br />

personalisiert hat. Weil: Es geht da nicht um Einzelfälle, sondern es geht um ein Problem, was man seit vielen<br />

Jahren ja auch schon hat. Weil man auch weiß, dass es viele Jahre auch schon Nebentätigkeiten von Journalisten<br />

gibt und daran ist ja im Prinzip auch nichts auszusetzen. Ein Journalist darf ja Reden halten, er darf auch Vorträge<br />

machen. Wichtig ist ja nur, dass das genehmigt ist.“<br />

Mehr Transparenz?<br />

Diese Genehmigung hatten alle. Doch nach der Höhe der Honorare dürfen die Sender nicht fragen. Das soll sich<br />

jetzt ändern, fordert der ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender: „Im Sender selbst wird natürlich schon gesagt für<br />

wen er arbeitet. Das wird ja auch genehmigt, aber es wird nicht die Höhe des Honorars genannt. Das finde ich nicht<br />

korrekt, ich bin für absolute Transparenz. Wenn ein Journalist eine Nebentätigkeit annimmt, dann soll das auch<br />

veröffentlicht werden. Ende des Jahres, im Internet oder auch in einigen Zeitungen, so wie bei Abgeordneten ja<br />

auch. Der Bürger erwartet von Abgeordneten Unabhängigkeit. Von Journalisten erwartet er Unabhängigkeit,<br />

Glaubwürdigkeit und absolute Transparenz.“ Frank Beckmann, Fernsehdirektor NDR: „Für mich ist natürlich ein<br />

höchstmögliches Maß an Transparenz auch wichtig. Das Problem dabei ist nur, dass können ja nicht nur wir<br />

entscheiden, sondern wir müssen auch gemeinsam diskutieren. Es ist ja auch nicht möglich, dass man rechtliche<br />

Rahmenbedingungen einfach auch überschreitet. Da muss man mit den Mitarbeitern zusammen darüber reden. Ich<br />

gehe davon aus, dass wir das in nächster Zeit auch tun werden.“ „Nach Enthüllungen im NDR-Magazin „Zapp“.<br />

Streit um Nebenverdienste der TV-Journalisten“ Dass etwas getan wird, das wollen jetzt viele nach dem Zapp<br />

Beitrag und jeder soll es wissen. „In der ARD besteht interner Diskussionsbedarf“ (Bild, Ausgabe vom<br />

19.06.2009), stellt ein Intendant fest. Und ein FDP-Politiker fordert in Bild am Sonntag „Mehr Durchblick bei<br />

Zusatzjobs der TV-Moderatoren“ (Bild am Sonntag, Ausgabe vom 21.06.2009).<br />

Die Debatte ist entfacht<br />

Ministerpräsidenten kritisieren öffentlich die derzeitige Regelung bei Nebentätigkeiten und der ARD-Chef Peter<br />

Boudgoust mahnt, die ganze Diskussion mit „kühlem Kopf“ zu führen (SZ, 24.06.2009). Die Diskussion: Wie viel<br />

darf ein Journalist verlangen? Und darf der Sender das erfahren? Oder bleibt es, wie bisher - Privatsache? Frank<br />

Beckmann, Fernsehdirektor NDR: „Die Höhe des Honorars kann durchaus auch ein Kriterium sein, über das man<br />

diskutieren muss. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch das Problem, dass die Höhe eines Honorars in der<br />

Regel von dem entschieden wird, der dieses Honorar zahlt. Das ist im Markt üblich, dass es sehr gute Journalisten<br />

gibt und herausragende Journalisten. Da kann es eben durchaus sein, dass herausragende Journalisten auch ein<br />

Stückchen mehr verdienen, wenn sie beispielsweise Reden halten oder Vorträge machen oder bei einem Podium<br />

moderieren. Ich halte das auch nicht für verwerflich. Die Frage ist nur, brauchen wir dafür auch ein gewisses Maß<br />

an Transparenz? Das herzustellen wiederum halte ich für einen richtigen Weg.“ Nikolaus Brender, Chefredakteur<br />

ZDF: „Die meisten TV-Moderatoren gelangen durch den Sender, auch durch die öffentlich-rechtlichen Sender, zu<br />

ihrer Bekanntheit. Die Glaubwürdigkeit schaffen sie ja nicht einfach im stillen Kämmerlein. Die Glaubwürdigkeit<br />

erlangen sie durch den Auftritt vor der Kamera und gerade deswegen sollten alle, die dieses Privileg haben, auch<br />

eine besondere Verantwortung an den Tag legen. Dazu meine ich, dass die Nebenbeschäftigungen aufgelistet<br />

werden sollten, öffentlich gemacht werden sollten, der Auftraggeber genannt wird und das Honorar genannt wird.<br />

Transparenz ist die beste Disziplin.“<br />

Abhängig vom Geld<br />

Diese Transparenz bei bezahlten Auftritten abseits der Fernsehkameras könnte auch zeigen, ob Journalisten von<br />

solchen Auftritten abhängig wären. Nikolaus Brender, Chefredakteur ZDF: „Wenn ein Journalist mit der<br />

Nebentätigkeit rechnet, wenn er seine Lebenshaltung damit bezahlt, wenn er möglicher Weise Urlaubsreisen und<br />

andere Dinge in sein Alltagsleben mit einberechnet, sozusagen immer mit einem Zusatzauftrag, einem


Nachfolgeauftrag rechnet, dann macht er sich abhängig. Dann macht er sich nicht nur abhängig vom Geld, sondern<br />

macht sich natürlich abhängig auch von denen, die ihm das Honorar bezahlen.“ Die jetzt entfachte Debatte um<br />

Nebenverdienste betrifft viele. Nicht nur die, über die jetzt alle schreiben und nicht nur die, von ARD und ZDF.<br />

Nikolaus Brender, Chefredakteur ZDF: „Problematisch ist es für alle Journalisten. Nicht nur für öffentlichrechtliche<br />

TV-Moderatoren, sondern für alle Journalisten, die jetzt das öffentlich-rechtliche Fernsehen kritisieren.<br />

Zeitungen, Zeitschriften, Magazine die sollten sich mal selbst überlegen, wer denn aus deren Redaktionen auch<br />

Vorträge hält oder sich bezahlen lässt.“ Wie viel Transparenz ist schon heute möglich?<br />

Wie verhalten sich die Zeitungsjournalisten und Moderatoren der Privaten?<br />

Zapp bat einige Chefredakteure um Antworten: Über ihre Nebentätigkeiten, über ihre Honorare, über ihre Auftritte<br />

außerhalb ihrer Redaktionen. Die Antworten kamen prompt. Wir waren überrascht. Sämtliche von uns angefragten<br />

Verlage beteuerten, dass ihre Chefredakteure über keine Agentur angeboten würden. Außerdem gäbe es nur in<br />

wenigen Fällen Honorare für Auftritte außerhalb der Redaktion. Diese würden in aller Regel gespendet. Und wie<br />

halten es die Nachrichtenkollegen von RTL mit ihren Vorträgen und Honoraren? Ihr Chefredakteur und Moderator<br />

Peter Kloeppel teilte uns mit, dass er solche Auftritte ablehne, sie würden die Unabhängigkeit beeinträchtigen. Und<br />

die Moderatoren des RTL-Nachtjournals? Christoph Lang habe dies seit Jahren nicht getan. Seine Kollegin Inka<br />

Eßmüller hatte lediglich eine honorierte Veranstaltung: Die Gage 5.000 Euro. So eindeutig die Auskünfte der<br />

Chefs, so diffus das Verhalten vieler Journalisten - auch der privaten Sender und Zeitungen. Denn er ist kein<br />

Einzelfall: Ralf Exel. Im Regionalfenster von Sat.1 in Bayern moderiert er die Nachrichtensendung. Gegen<br />

Bezahlung moderiert er nebenher CSU-Veranstaltungen. Verkaufter Journalismus der schlimmsten Art. Ausschnitt<br />

vom CSU Parteitag vom 18. und 19. Juli 2008, Ralf Exel: „Nach diesen letzten Eindrücken kann es nur ein<br />

wunderbarer Wahlkampf und ein perfektes Ergebnis für die CSU werden, Herr Beckstein!“ Journalistische<br />

Fehlleistungen, ganz sicher jeden Tag irgendwo in der Republik. Jetzt wird darüber gestritten und nach Lösungen<br />

gesucht. In den meisten Verlagen, aber auch bei Fernsehsendern, gibt es keine verbindlichen Richtlinien zur Frage,<br />

was genau darf ein Journalist? Was nicht? Was ist juristisch legitim, aber ethisch vielleicht angreifbar?<br />

Verhaltenskodex gefordert<br />

Auch beim NDR wird seit Wochen darüber diskutiert – über einen Verhaltenskodex für die Mitarbeiter. Frank<br />

Beckmann, Fernsehdirektor NDR: „Wir haben gerade bei uns in der vergangenen Zeit sehr über einen<br />

Verhaltenskodex nachgedacht und auch mit den weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern darüber gesprochen.<br />

Weil wir es einfach auch wichtig finden, dass wir die Verhaltensregeln für die Mitarbeiter des NDR auch<br />

definieren. Das wir wissen, was in Ordnung ist und was nicht in Ordnung ist. Auch in diesem Rahmen finde ich es<br />

wichtig über Nebentätigkeiten zu diskutieren, auch über Presserabatte zu diskutieren, denn unser wichtigstes Gut ist<br />

natürlich die Glaubwürdigkeit.“ Nikolaus Brender, Chefredakteur ZDF: “Öffentlich-rechtliche Journalisten haben<br />

eine besonders hohe Glaubwürdigkeit. Das lässt sich in allen Umfragen ersehen und weil sie diese hohe<br />

Glaubwürdigkeit vertreten und weil man in sie auch Vertrauen setzt, müssen sie sehr viel korrekter sein, sehr viel<br />

klarer sein, als andere.“ Zu dieser Glaubwürdigkeit gehört es auch, das Beiträge wie diese möglich sind – in einem<br />

System das selbst unter Beobachtung steht. Die Diskussion allerdings muss überall geführt werden. Damit<br />

Journalisten weiterhin Glaubwürdig sind.<br />

Abmoderation:<br />

Was wir, die Zapp Moderatorinnen, zu der Debatte denken, können Sie dort auch im Blog nachlesen.<br />

Autorin/Autor: Timo Großpietsch, Anne Ruprecht<br />

Presserabatte: Wie Journalisten um Prozente feilschen (17.06.2009)<br />

Journalistenrabatte - es gibt etliche: Ob Reisen, Auto, Computer, Handy, Flatscreen, Waschmaschine ...egal was,<br />

Journalisten kriegen es billiger. Die Frage ist, warum? Vielleicht weil kleine Geschenke die Freundschaft erhalten?<br />

Zapp informiert über erwartungsvolle Unternehmen und unbekümmerte Kollegen.<br />

Beitragstext:<br />

Gloria Neugebauer spart, wo sie kann. Sie kriegt Prozente. Weil sie Journalistin ist. Zapp hat die Radio-<br />

Moderatorin, einen Filmkritiker und eine Wirtschaftsjournalistin besucht. Sie sprechen offen über ihre Jagd auf<br />

Schnäppchen. Gloria Neugebauer, freie Journalistin: „Also das hier ist meine Pressekarte von Air Berlin, da gibt es<br />

50 Prozent auf den Flug, 25 Prozent auf ausländische Flüge. Das hier ist meine E-Plus-Karte zum telefonieren, da<br />

gibt es 20 Prozent jeden Monat auf die volle Rechnung, also lohnt sich auch.“ Karin Schrader, freie Journalistin:<br />

„Im Januar sind wir nach Ägypten geflogen. Da gab es halt auch zehn Prozent Presse-Rabatt und sie sehen wir sind<br />

nach Luxor gefahren und haben uns dort die Tempelanlagen angeschaut und haben die Sonne genossen und haben<br />

den Winter etwas hinter uns gelassen.“ André Detroit, freier Journalist „Diesen Flatscreen von Toshiba haben wir<br />

sehr günstig angeboten bekommen und nutzen ihn auch sehr gern. Andererseits die Player haben wir hier von<br />

Panasonic und von Toshiba, die wir auch sehr, sehr günstig angeboten bekommen haben und halt eben mobile<br />

Endgeräte, wie hier von HP ein Notebook, das erfreut sich natürlich auch hoher Beliebtheit.“


Grenzenlose Auswahl<br />

Diese drei Journalisten sind keine Ausnahme. Denn fast drei Viertel aller Journalisten, 74 Prozent, geben zu, dass<br />

sie Presserabatte nutzen. Der Medienwissenschaftler Dominik Stawski hat 1.300 Journalisten befragt, ob und<br />

welche Presserabatte sie in Anspruch nehmen. Dominik Stawsk, Autor Studie Presserabatte: „Das hat mich auch<br />

sehr überrascht, dass eigentlich im Prinzip jeder Journalist Rabatte kennt. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich die<br />

Frage in der Studie so stellen darf. Vielleicht musste ich erst einmal erklären, was Rabatte sind, dass war gar nicht<br />

nötig, jeder wusste Bescheid, jeder wusste und kannte Rabatte.“ Die Auswahl für die Journalisten ist grenzenlos.<br />

Ob beim Urlaub, beim Fliegen oder beim Neuwagenkauf. Meistens gelten für Journalisten Sonderpreise. Gloria<br />

Neugebauer, freie Journalistin: „Die Rabatte selber zu bekommen ist, glaube ich, ziemlich einfach. Also man guckt<br />

einfach auf der Internetseite, welche Anbieter gibt es die Rabatte anbieten, 25 Prozent, 50, also egal was, da ist<br />

wirklich alles mit dabei.“ André Detroit, freier Journalist: „Es gibt sehr. sehr breit gefächerte Spannen, die gehen<br />

von in der Regel von 15 Prozent bei Fahrzeugen aus, bei Lautsprechern zum Beispiel, geht das runter bis zu 50<br />

Prozent.“ Karin Schrader, freie Journalistin: „Urlaube, Flüge, Hotelübernachtungen. Es kam immer ganz drauf an.<br />

Also wenn man etwas benötigt und man guckt in pressekonditionen.de nach, wer denn was anbietet, dann kann<br />

man darauf zugreifen.“<br />

Tabubruch<br />

Unter pressekonditionen.de und journalismus.com steht detailliert, welche Firma wie viel Prozent gewährt. Hier<br />

gibt es Links, die Ansprechpartner und die Telefonnummern. Sebastian Brinkmann, pressekonditionen.de: „17.000<br />

haben meinen Newsletter abonniert. Viele gehen auch so auf die Seite, 60.000 Besucher im Monat.“ Als Peter<br />

Diesler von journalismus.com vor Jahren die Sondertarife im Netz publik machte, brach er ein Tabu. Peter Diesler,<br />

journalismus.com: „Die Reaktion war schon so, dass also manche Kollegen sich wirklich empört und entsetzt<br />

haben über die Frage, dass das jetzt plötzlich für jedermann einsichtig ist und damit auch im Grunde transparent ist,<br />

was es alles für Vergünstigungen für Journalisten gibt.“ Sie fordern von anderen stets Antworten, schweigen aber,<br />

wenn es um sie selber geht. Dominik Stawski, Medienwissenschaftler: „Journalisten berichten über alle möglichen<br />

Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik, aber sie berichten sehr, sehr wenig über das Verhältnis zwischen<br />

Wirtschaft und Journalismus und in dem Fall halt auch über Presserabatte.“ Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für<br />

Journalistik: „Genau die Journalisten, die Presserabatte nutzen, haben ja nun wirklich überhaupt kein Interesse, das<br />

auch noch zum Berichterstattungsgegenstand zu machen.“ Reporter: „Sprich: Der Zuschauer weiß nichts davon?“<br />

Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für Journalistik: „Der weiß nichts davon, der soll ja auch nichts davon erfahren,<br />

denn das ist ja genau das Ziel der Unternehmen die Presserabatte vergeben. Gewogenheit schaffen und damit auch<br />

die Berichterstattung unterdrücken, die nicht so positiv ist.“<br />

Positive Berichterstattung<br />

Zapp wollte von 15 Unternehmen wissen, warum sie Presserabatte anbieten. Nur zwei waren zu einem Interview<br />

vor der Kamera bereit. So der Sprecher der Fluggesellschaft, mit der zehntausende Journalisten zum halben Preis<br />

fliegen, Air Berlin. Hans-Christoph Noack, Sprecher Air Berlin: „Wir wollen sie mit unserem Produkt bekannt<br />

machen und das in einem privaten Erlebnisumfeld und weil wir uns davon versprechen, das sie die Fluggesellschaft<br />

und ihre Leistungen und ihr Produkt und ihr Portfolio besser einordnen können.“ Britt Winter, Sprecherin Maritim<br />

Hotels: „Natürlich haben wir auch ein großes Interesse, das Journalisten unser Produkt, unsere Qualität auch privat<br />

mal kennen lernen können und letzten Endes eventuell sich daraus zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht sogar<br />

eine Berichterstattung ergibt.“ Reporter: „Hoffen Sie durch Presserabatte auf positive Berichterstattung?“ Britt<br />

Winter, Sprecherin Maritim Hotels: „Ja natürlich! Wo immer möglich.“ Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für<br />

Journalistik: „Unternehmen entwickeln vielfältigste Strategien um dorthin zu kommen, zu sagen, wie stelle ich<br />

mein Unternehmen in der Öffentlichkeit positiv dar und da gehören Journalistenrabatte eindeutig mit zu diesen<br />

Strategien, Gewogenheit herzustellen. Also genau das, was Journalisten nicht sein sollten.“<br />

Ruf auf dem Spiel<br />

Und es funktioniert. Journalisten lassen sich offensichtlich kaufen, denn sie lassen sich milde stimmen. Gloria<br />

Neugebauer, freie Journalistin: „Man merkt sich natürlich auch diese Firmen, die diese Presserabatte anbieten. Also<br />

gerade muss ich jetzt sagen, wo ich weiß, das Skoda diesen Presserabatt anbietet, bin ich natürlich auch so ein<br />

bisschen freundlich gegenüber Skoda. Weil ich mir denke, hey, ist eigentlich ein tolles Angebot.“ Karin Schrader,<br />

freie Journalistin: „Ich denke mal, wenn ich eine Reisereportage schreibe und der Urlaub wird halt voll finanziert,<br />

das man sich schon überlegt, ob man nicht die negativen Dinge weglässt.“ André Detroit, freier Journalist: „Geiz ist<br />

geil. Es ist nie verkehrt einen Nachlass in Anspruch zu nehmen.“ Jeder Nachlass aber gefährdet die<br />

Unabhängigkeit. Selbst wenn Journalisten glauben, dass sie zwischen Presserabatten und ihrer Arbeit trennen<br />

können. Selbst wenn sie nicht über die berichten, von denen sie profitieren. Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für<br />

Journalistik: „Journalisten leben von ihrer Glaubwürdigkeit, von ihrem Image, von ihrem Ruf, machen sich aber<br />

offensichtlich keine Gedanken darüber, dass sie mit Presserabatten genau diesen Ruf aufs Spiel setzen.“<br />

Konten und Privilegien<br />

Bei der Jagd nach Prozenten und Rabatten sind einige Journalisten hemmungslos. Sie fragen nicht nur nach<br />

Preisnachlässen, sondern fordern sie. Reporter: „Üben Journalisten auch Druck aus auf Unternehmen?“ Dominik


Stawski, Autor Studie Presserabatte: „Ja, das wurde mir berichtet, also von zwei Unternehmen wurde mir das<br />

konkret berichtet, dass eine Unternehmen hat sogar Angst, sag ich mal, Rabatte abzulehnen, wenn dann Anfragen<br />

kommen, die zum Teil sogar unverschämt sind. Ja, jetzt zitiere ich dieses Unternehmen, dann sorgt man sich<br />

trotzdem so ein bisschen die abzulehnen, weil man fürchtet negative Berichterstattung.“ Viele Firmen lassen sich<br />

von Journalisten regelrecht erpressen. Niemand will es sein Image aufs Spiel setzen und es sich mit den Medien<br />

verderben. Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für Journalistik: „Wenn es soweit kommt, dass Journalisten sich<br />

Presserabatte erzwingen, indem sie sagen: `Ich berichte dann aber nicht, oder ich berichte dann in einer bestimmten<br />

Art und Weise.´ Dann halte ich das schon für fast rechtlich belangvoll. Diese Auswüchse zeigen aber eben, welche<br />

Gefahr für die Glaubwürdigkeit und für die Verantwortung des Journalismus in den Presserabatten liegen.“ Diese<br />

Gefahr sehen nur wenige Journalisten. Viele denken an ihren eigenen Vorteil, ihr Konto und ihre Privilegien.<br />

Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für Journalistik: „Die journalistischen Organisationen, die Redaktionen, die<br />

Redaktionsleitungen selber, müssten hier zu klaren Regeln und Richtlinien kommen, in denen eindeutig gesagt<br />

wird, Presserabatte: Nein! Ohne Ausnahme: Nein!“<br />

Verlockend<br />

Auch der Deutsche Journalistenverband gibt keine klare Haltung vor. Er fordert zur freiwilligen Zurückhaltung auf.<br />

Hendrik Zörner, Deutscher Journalisten – Verband: „Es wäre für Journalisten insgesamt besser und vor allem auch<br />

einfacher, wenn sie auf Presserabatte verzichten würden. Sie laufen dann nicht mehr Gefahr, abhängig zu werden<br />

von Unternehmen, die Presserabatte vergeben.“ Allerdings bietet der DJV auf seiner Homepage „attraktive<br />

Angebote“ an. Zum Beispiel, einen „Vodafone-Rabatt“ oder „spezielle Konditionen“ für den Urlaub. Hendrik<br />

Zörner, Deutscher Journalisten – Verband: „Wir bieten unseren Mitgliedern Vergünstigungen, so wie andere<br />

Organisationen, so wie andere Verbände das für ihre Mitglieder auch machen, das ist insofern völlig in Ordnung.“<br />

Ein Widerspruch: Der Deutsche Journalisten Verband warnt vor Rabatten und bietet sie gleichzeitig selber an.<br />

Klarer dagegen ist die Haltung der Deutschen Journalisten Union, DJU. Die Gewerkschaft lehnt Presserabatte<br />

generell ab. Ulrike Maercks-Franzen, Deutsche Journalisten Union: „Man ist nicht darauf angewiesen. Aber es ist<br />

natürlich wahrscheinlich verlockend, wenn man die Summen liest, und wenn man nicht intensiv über seinen Beruf<br />

und seine Verantwortung nachdenkt, dann denk ich, ist es schon verlockend. Und ich würde nicht ausschließen,<br />

dass die Kollegen da eine gewisse doppelte Moral haben.“ Diese doppelte Moral teilen immerhin drei Viertel aller<br />

Journalisten.<br />

Ein guter Preis kostet<br />

Und deshalb haben die Unternehmen viel zu tun, um jeden Rabattwunsch zu erfüllen. Hans-Christoph Noack,<br />

Sprecher Air Berlin: „Das sind einige Mitarbeiter hier im Hause, die kümmern sich, da wird angerufen, wird ein<br />

Wunsch gemailt, wird ein Wunsch geäußert, dann hinterlegen die Kollegen die Bankverbindung und dann wird das<br />

entsprechend gebucht.“ Britt Winter, Sprecherin Maritim Hotels: „Wir sind für 2008 auch angenehm überrascht<br />

gewesen. Ich denke mal, oder halte es für realistisch, wenn da 2000 Übernachtungen zusammen gekommen sind.<br />

Was eigentlich nicht wenig ist.“ Kaum jemand kann widerstehen. Unternehmen haben mit Journalisten ein leichtes<br />

Spiel. Wenn es ums Geld geht, hört die Moral bei vielen auf. Klaus-Dieter Altmeppen, Professor für Journalistik:<br />

„Bei Presserabatten gibt es, glaube ich, auch nicht die Frage ist das eine noch erlaubt oder das andere nicht.<br />

Sondern im Sinne der Glaubwürdigkeit und der Verantwortung muss man einfach sagen, nein, das sollte für<br />

Journalisten tabu sein.“ Die Realität sieht anders aus, denn viele Journalisten sind sogar stolz auf ihre<br />

Preisrecherchen. Zum Beispiel beim Autokauf. Gloria Neugebauer, freie Journalistin: „Also, ich habe mich sehr<br />

lange erkundigt gehabt, welche Automobilhersteller denn überhaupt noch Presserabatte anbieten. Darunter halt<br />

Skoda, Audi, BMW, alle möglichen. Bin dann durch Zufall auf die Marke Dodge gekommen, weil mir das Auto<br />

halt sehr gut gefallen hat und habe halt gefragt, ja, wie sieht es aus, Presserabatt? Und am Anfang, ja, mal gucken,<br />

sind dann aber doch zu einem guten Preis gekommen.“ Ein guter Preis, aber er kostet die journalistische<br />

Unabhängigkeit.<br />

Autorin/Autor: Timo Großpietsch, Josy Wübben

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!