Narrative Strategien in der inszenierten Fotografie - Roland Iselin
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Schatten spendet. Der Baum ragt weit über die Strasse und unter diesem steht das Taxi leicht quer<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Strasse. Die Beleuchtung des Taxischilds ist e<strong>in</strong>geschaltet und lässt darauf schliessen, dass <strong>der</strong><br />
Fahrer am Steuer bereit ist für neue Kundschaft. Schräg h<strong>in</strong>ter ihm sitzt e<strong>in</strong> junger Mann, die Hecktüre<br />
auf se<strong>in</strong>er Seite geöffnet. E<strong>in</strong> paar Schritte h<strong>in</strong>ter dem Taxi steht e<strong>in</strong>e junge Frau, bekleidet mit<br />
e<strong>in</strong>em Unterrock, über dem sie e<strong>in</strong>e leichte Jacke trägt. In <strong>der</strong> Hand hält sie e<strong>in</strong>e blaue Tasche. Sie<br />
ist barfuss und ihr Blick ist vor sich <strong>in</strong>s Leere gerichtet [Abbildung 10]. Was ist geschehen? Bezahlt<br />
<strong>der</strong> Mann den Taxifahrer und die Frau wartet darauf, bis diese Transaktion abgeschlossen ist? Aber<br />
warum steht sie barfuss und im Unterrock auf <strong>der</strong> Strasse? Irgendetwas stimmt an dieser Szene<br />
nicht, es muss etwas vorgefallen se<strong>in</strong>, von dem <strong>der</strong> Betrachter nichts wissen kann. Die Szene<br />
impliziert e<strong>in</strong> Vorher, über das uns Crewdson aber im Dunkeln lässt.<br />
Der filmische E<strong>in</strong>druck <strong>in</strong> Crewdsons <strong>Fotografie</strong>n wird auch sehr stark durch se<strong>in</strong>e Lichtführung<br />
unterstrichen. Im oben erwähnten Bild entspricht die Lichtsituation durchaus <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung an<br />
solche Orte. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist sie etwas zu 'sauber', zu perfekt. Es tritt e<strong>in</strong>e Irritation<br />
darüber auf, ob es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirklichkeit nun so aussieht o<strong>der</strong> nicht, ob es sich um dieses wun<strong>der</strong>bare<br />
Filmlicht handelt, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität nicht se<strong>in</strong> kann und uns trotzdem Glauben macht, es sei real.<br />
Dieses Paradox, das Wissen darüber, dass die <strong>Fotografie</strong> und <strong>der</strong> Film re<strong>in</strong>e Fiktion s<strong>in</strong>d und<br />
ich als Betrachter es trotzdem als e<strong>in</strong>e glaubwürdige Realität lese, br<strong>in</strong>gt mich zur Frage, wie<br />
Authentizität <strong>in</strong> (<strong>in</strong>szenierten) Bil<strong>der</strong>n funktioniert. Wie schafft es <strong>der</strong> Künstler, beim Betrachter<br />
diese Überzeugung auszulösen, dass das Gesehene authentisch ist, auch wenn es nur für den<br />
Moment des Betrachtens und des darüber Nachdenkens ist?<br />
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