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Narrative Strategien in der inszenierten Fotografie - Roland Iselin

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2.2. Stephanie Schnei<strong>der</strong> und das unbeschwerte Leben im Wilden Westen<br />

Nun möchte ich die drei Aspekte punctum (im S<strong>in</strong>n des Etwas, das mich immer wie<strong>der</strong> zurück<br />

holt zu e<strong>in</strong>em Bild), studium und die Frage des Authentischen anhand e<strong>in</strong>er Arbeit von Stefanie<br />

Schnei<strong>der</strong> weiter untersuchen. Das studium als Interesse an <strong>der</strong> Welt und was <strong>in</strong> ihr passiert zu verstehen,<br />

ist e<strong>in</strong> Leichtes. Als offene Zeitgenossen wollen wir <strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong> über alles Wichtige, das<br />

uns die verschiedenen Medien zu berichten haben. Als an <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> Interessierter blättere ich<br />

neugierig die Neuersche<strong>in</strong>ungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Buchhandlung durch und besuche entsprechende Ausstellungen.<br />

Dagegen das punctum zu begreifen ist um e<strong>in</strong> Vielfaches schwieriger. Es lässt sich nur über<br />

das eigene Ich verstehen und die Äusserung des Affekts, den es <strong>in</strong> mir auslöst. Es gibt ke<strong>in</strong>en<br />

eigentlichen Grund für das punctum und es stört oft nur das geregelte studium, das bequem e<strong>in</strong>gerichtete<br />

Leben. Es ist mehr wie e<strong>in</strong>e aufwühlende Liebesaffäre, die e<strong>in</strong>e solide Ehe durche<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

und <strong>in</strong> Gefahr br<strong>in</strong>gt. Die Qualität des punctums ist e<strong>in</strong>e plötzliche Zielgerichtetheit, die es beim<br />

Betrachter auslöst. Er weiss, dass er sich damit beschäftigen muss. Durch diese ausgelöste<br />

Leidenschaft, das Zw<strong>in</strong>gende dar<strong>in</strong>, erhält das den Affekt auslösende Bild e<strong>in</strong>e Authentizität, etwas<br />

Reales, welches das nüchterne studium nicht zu erzielen vermag. Dort bleibe ich <strong>der</strong> distanzierte<br />

Betrachter, <strong>der</strong> das Gesehene gleich wie<strong>der</strong> vergisst und sich dem nächsten Gegenstand von<br />

Interesse zuwendet.<br />

Bei den <strong>Fotografie</strong>n <strong>der</strong> deutschen Künstler<strong>in</strong> Stefanie Schnei<strong>der</strong> geht es mir nicht so. Ich<br />

vergesse sie nicht gleich wie<strong>der</strong> nach dem Weglegen des Bildbandes, etwas zieht me<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit<br />

immer wie<strong>der</strong> an. Dem Warum komme ich aber nicht so richtig auf die Spur. We<strong>der</strong> handelt<br />

es sich um e<strong>in</strong>e von mir beson<strong>der</strong>s geschätzte fotografische Bildsprache noch s<strong>in</strong>d die Motive für<br />

mich wirklich <strong>in</strong>teressant. Meist s<strong>in</strong>d junge, hübsche Leute abgebildet, die ke<strong>in</strong>e wirkliche Aufgabe<br />

zu haben sche<strong>in</strong>en. Sie verbr<strong>in</strong>gen ihre Zeit mit Reiten, Wasserpistolen und bunten Perücken. Sie<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> buntes, fröhliches Gegenbild zu den Figuren <strong>in</strong> 'Happ<strong>in</strong>ess', quasi das Vorher, wo das Leben<br />

unbeschwert und leicht ist. Alle Möglichkeiten stehen den Protagonisten offen und sie müssen sich<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal für e<strong>in</strong>e entscheiden. Wenn ihnen die e<strong>in</strong>genommene Rolle nicht mehr passt,<br />

wechseln sie die Perücke und adaptieren e<strong>in</strong>e neue.<br />

Schnei<strong>der</strong> hält sich mit Vorliebe <strong>in</strong> den Weiten <strong>der</strong> Wüstengegenden <strong>der</strong> südwestlichen USA,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe von Hollywood, auf. Dort <strong>in</strong>szeniert sie an wechselnden Orten und mit verschiedenen<br />

Protagonisten Bildsequenzen. In <strong>der</strong> Bildabfolge 'Whiskey Dance (Sidew<strong>in</strong><strong>der</strong>)' 46 sieht man e<strong>in</strong> Paar<br />

vor e<strong>in</strong>er Holzhütte spielerisch um e<strong>in</strong>e Flasche Whiskey streiten. Die Sequenz hat Schnei<strong>der</strong>, wie<br />

alle <strong>in</strong> diesem Buch abgebildeten <strong>Fotografie</strong>n, auf abgelaufene Polaroidfilme aufgenommen. Dadurch<br />

ergeben sich zufällige Fehler und Farbverschiebungen auf den Abbildungen. Bei <strong>der</strong> erwähnten Serie<br />

sieht <strong>der</strong> Betrachter gelbe, flammenähnliche Farbfehler, die sich über das Bild ausbreiten [Abbildung<br />

13]. Was es damit auf sich haben könnte, darauf gehe ich weiter unten genauer e<strong>in</strong>.<br />

Für das studium gibt es e<strong>in</strong>ige Gründe. Der Betrachter will u.a. darüber <strong>in</strong>formiert se<strong>in</strong>, was<br />

sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> aktuellen Kunstszene abspielt. Die Fotograf<strong>in</strong> hat e<strong>in</strong> umfangreiches Buch publiziert und<br />

wird an für den Kunstmarkt wichtigen Orten wie <strong>der</strong> Armory Show <strong>in</strong> New York durch ihre Galerie<br />

aus Los Angeles präsentiert. Sie arbeitet mit e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> zurzeit wichtigeren jungen Regisseure von<br />

Hollywood zusammen. Die <strong>Fotografie</strong>n s<strong>in</strong>d hübsch, <strong>der</strong> Betrachter kann den Bildband durchblättern<br />

und sich dem 'I like/I don't' 47 h<strong>in</strong>geben und sieht dabei schöne Menschen <strong>in</strong> schönen, durch Filme<br />

o<strong>der</strong> eigene Reisen vertrauten Landschaften. Die Farben s<strong>in</strong>d modisch ausgewaschen und die<br />

Inszenierungen er<strong>in</strong>nern an Modestrecken <strong>in</strong> Lifestyle Magaz<strong>in</strong>en. Die Atmosphäre ist heiss, aber nie<br />

zu heiss. Das höfliche Interesse, wie Barthes es nennt, für die Arbeiten genügt für das studium.<br />

46 Schnei<strong>der</strong>, Stefanie (2006). 'Stranger than Paradise'. Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit: Hatje Cantz. S. 62/63.<br />

47 Barthes, <strong>Roland</strong> (1985). 'Die helle Kammer'. Frankfurt am Ma<strong>in</strong>: Suhrkamp. S.36.<br />

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