20.01.2013 Aufrufe

Narrative Strategien in der inszenierten Fotografie - Roland Iselin

Narrative Strategien in der inszenierten Fotografie - Roland Iselin

Narrative Strategien in der inszenierten Fotografie - Roland Iselin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

diese Kategorie erweiterte und neue Möglichkeiten schuf. Philip-Lorca diCorcia nutzt diese neuen<br />

Möglichkeiten konsequent. Teilweise beschränkt sich se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>greifen nur noch auf das Aufstellen und<br />

Verstecken von Fotoblitzen und Lichtfallen, <strong>in</strong> welche die ahnungslosen Passanten <strong>in</strong> New York und<br />

Neapel tappen und das Editieren <strong>der</strong> entstandenen Bil<strong>der</strong>. Wie weit man hier noch von <strong>in</strong>szenierter<br />

<strong>Fotografie</strong> sprechen kann, ob es sich nicht um e<strong>in</strong>e Rückkehr zur Street Photography unter an<strong>der</strong>en<br />

Vorzeichen handelt o<strong>der</strong> ob er zu e<strong>in</strong>er neuen Kategorie mit dem von Galassi vorgeschlagenen Titel<br />

neo-documentary gehört, soll hier nicht abschliessend beantwortet werden, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong>e weiterführende,<br />

neue Fragestellung festgehalten werden. Vielleicht lassen sich unser Empf<strong>in</strong>den und<br />

unsere Wahrnehmung von dieser komplexen Welt, die e<strong>in</strong>erseits aus Alltagserfahrungen und<br />

an<strong>der</strong>erseits aus Erfahrungen, die wir über konstruierte Bil<strong>der</strong> gemacht haben, zusammengesetzt<br />

s<strong>in</strong>d, nur noch gültig über solche Hybrid-Bil<strong>der</strong> darstellen und mitteilen. Dank dieser Verb<strong>in</strong>dung von<br />

dokumentarischen und <strong>in</strong>szenierten Elementen können wir unseren <strong>in</strong>neren Bil<strong>der</strong>n entsprechende<br />

Metaphern schaffen.<br />

Wie wir gesehen haben, wirkt e<strong>in</strong>e <strong>Fotografie</strong> auf <strong>Roland</strong> Barthes dann authentisch, wenn sie<br />

bei ihm e<strong>in</strong>en unkontrollierbaren Affekt auslöst. Er will von Etwas im Bild durchbohrt und nicht mehr<br />

losgelassen werden, so dass es ihm nicht mehr möglich ist, e<strong>in</strong>e <strong>Fotografie</strong> e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong>teressiert zu<br />

betrachten und zu analysieren. Dieser Affekt soll ihn dazu zw<strong>in</strong>gen, sich mit Leidenschaft dem Bild<br />

h<strong>in</strong>zugeben. Ich habe dieses heroische, nicht mehr ganz zeitgemässe Verlangen heruntergebrochen<br />

auf e<strong>in</strong>e Anziehung, die mich nicht loslässt und mich dazu br<strong>in</strong>gt, mich mit e<strong>in</strong>em Bild o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Film immer wie<strong>der</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen. Grundsätzlich stimme ich mit Barthes übere<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Fotografie</strong>, und ich dehne es, im Gegensatz zu ihm, auf den Film aus, etwas besitzen muss, welches<br />

unerklärlich bleibt, mich aber anzieht und trifft. Ich kann dieses Etwas benennen, es können die<br />

schlechten Zähne e<strong>in</strong>es abgebildeten Jungen se<strong>in</strong> wie bei Barthes o<strong>der</strong> die Sofaszene zwischen dem<br />

Sohn und se<strong>in</strong>em pädophilen Vater im Film 'Happ<strong>in</strong>ess', die sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong> Gedächtnis gebrannt hat.<br />

Dieses Etwas hat aber ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Gültigkeit, es wird durch e<strong>in</strong>en persönlichen Affekt<br />

bestimmt. Dieser Affekt kann durch die Intensität e<strong>in</strong>es dargestellten Dialoges, durch se<strong>in</strong>e<br />

Inszenierung, ausgelöst werden (Happ<strong>in</strong>ess), o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e nicht genau def<strong>in</strong>ierbare Stimmung,<br />

die etwas auf den ersten Blick Oberflächliches unterwan<strong>der</strong>t und <strong>in</strong> etwas Abgründiges kippen lässt,<br />

wie z.B. <strong>in</strong> den besprochenen Arbeiten Stephanie Schnei<strong>der</strong>s.<br />

Die Frage nach dem narrativen Ansatz <strong>der</strong> verschiedenen Künstler zog sich als roter Faden<br />

durch me<strong>in</strong>e Arbeit. Hans van <strong>der</strong> Meer fügt verschiedene Elemente aus <strong>der</strong> Wirklichkeit zusammen<br />

und schafft so e<strong>in</strong>en Dialog zwischen diesen und dem Betrachter. Es geht bei ihm nicht nur um das<br />

Fussballspiel <strong>in</strong> <strong>der</strong> Prov<strong>in</strong>z, vielmehr zeigt er dem Betrachter den sozialen Kontext, erzählt etwas<br />

darüber, wie die Leute im abgebildeten Ort leben, wie arm o<strong>der</strong> wohlhabend sie s<strong>in</strong>d und welchen<br />

Wetterbed<strong>in</strong>gungen sie ausgesetzt s<strong>in</strong>d. In <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong>, im Gegensatz zum Film o<strong>der</strong> Theater,<br />

wird grundsätzlich die Zeit angehalten, die Narration ist e<strong>in</strong>gefroren und <strong>der</strong> Betrachter ergänzt das<br />

Vorher und Nachher <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf. In e<strong>in</strong>em besprochenen Bild von Gregory Crewdson fragt sich<br />

<strong>der</strong> Betrachter, warum die Frau <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unterrock h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em Taxi auf <strong>der</strong> nächtlichen Strasse<br />

steht und die Männer sich im Taxi nicht zu bewegen sche<strong>in</strong>en. Was ist da passiert? Crewdson<br />

schafft e<strong>in</strong>e Situation, die so, wie <strong>der</strong> Betrachter sie sieht, ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>deutigen S<strong>in</strong>n ergibt und<br />

dadurch Fragen bei diesem auslöst.<br />

DiCorcia ergänzt die offenen, nicht e<strong>in</strong>deutige Situation <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en <strong>Fotografie</strong>n <strong>der</strong> Arbeit<br />

'Hollywood 1990-1992' mit e<strong>in</strong>er Textebene. Den <strong>in</strong>szenierten Situationen, die mit realen Strichern<br />

bevölkert s<strong>in</strong>d, fügt er Angaben zum Herkunftsort <strong>der</strong> Abgebildeten an und teilt dem Betrachter mit,<br />

wie viel er diesen für den Auftritt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en <strong>Fotografie</strong>n bezahlt hat. Dadurch erzählt er dem Betrachter<br />

e<strong>in</strong>erseits, von wo überall die Männer auf <strong>der</strong> Suche nach dem Glück <strong>in</strong> die Traumfabrik<br />

gekommen s<strong>in</strong>d, zeigt auf e<strong>in</strong>er weiteren Ebene, wie käuflich diese geworden s<strong>in</strong>d. In den von<br />

diCorcia im Bild erzählten Geschichten stehen die Stricher oft für das käufliche Glück, das<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!