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Narrative Strategien in der inszenierten Fotografie - Roland Iselin

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grafie für den Betrachter zu etwas Beson<strong>der</strong>em, es ist etwas sehr Persönliches und nur für diesen<br />

e<strong>in</strong>en Betrachter gültig. Nebst diesem ersten punctum, das mich <strong>in</strong> das Bild h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zieht, mich an es<br />

fesselt, identifiziert Barthes im zweiten Teil se<strong>in</strong>es Büchle<strong>in</strong>s e<strong>in</strong> zweites punctum. 'Nun weiss ich,<br />

dass es noch e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es punctum (e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es "Stigma") gibt als das des "Details". 42 Dieses neue<br />

punctum bezieht sich auf die Zeit, darauf, dass etwas so gewesen se<strong>in</strong> muss, wie es auf dem Foto<br />

zu sehen ist, sonst hätte es gar nicht so abgebildet werden können. Die <strong>Fotografie</strong> e<strong>in</strong>er Person<br />

beweist mir die Existenz <strong>der</strong>jenigen. Und je näher diese Person Barthes steht, desto mehr will er<br />

diese Person <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> als ganzes Wesen mit all ihren Charaktereigenschaften wie<strong>der</strong> f<strong>in</strong>den.<br />

Dieses starke Verlangen nach dem 'wahren' Foto wird fast immer enttäuscht, meist ist auf den<br />

vorhandenen Abbildungen nur e<strong>in</strong>e äussere Ähnlichkeit mit <strong>der</strong> abgebildeten Person auszumachen.<br />

Der Ausdruck, den Barthes mit <strong>der</strong> Wahrheit gleich setzt, 'br<strong>in</strong>gt das Subjekt zum Vorsche<strong>in</strong>.' 43 Es<br />

zeigt quasi die Seele <strong>der</strong> abgebildeten Person, wogegen e<strong>in</strong>e <strong>Fotografie</strong>, <strong>der</strong> es nicht gel<strong>in</strong>gt, diesen<br />

Ausdruck e<strong>in</strong>zufangen, nur e<strong>in</strong>en sterilen Körper abbildet. Das Abbild e<strong>in</strong>er Person, welche 'wahr' ist<br />

und somit überzeugt, bleibt weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e sehr persönliche Angelegenheit und kann nur über den<br />

Affekt, den e<strong>in</strong>e <strong>Fotografie</strong> beim Betrachter auslöst, erfahren werden. Er beschreibt dieses Gefühl<br />

ähnlich <strong>der</strong> Verliebtheit o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Drogenrausch, das sich mit Mitleid (für die Kreatur?) vermischt.<br />

<strong>Roland</strong> Barthes spricht dem Film diese Fähigkeit, e<strong>in</strong> punctum zu haben, ab, da dieser immer<br />

vorwärts strebt und wie das Leben e<strong>in</strong>e Zukunft hat. Der Betrachter hat gar ke<strong>in</strong>e Chance, das<br />

punctum zu f<strong>in</strong>den, welches sich oft nicht beim ersten Betrachten zu erkennen gibt und sich erst bei<br />

längerem H<strong>in</strong>sehen zeigt. Das punctum, das beim Betrachter e<strong>in</strong>en starken Affekt auslöst und sehr<br />

<strong>in</strong>dividuell ist, zw<strong>in</strong>gt diesen förmlich dazu, sich <strong>in</strong>tensiv mit <strong>der</strong> <strong>Fotografie</strong> ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu setzen.<br />

Daneben gibt es das <strong>in</strong>teressierte studium, welches ihn gehorsam <strong>Fotografie</strong>n betrachten lässt, die<br />

z.B. wichtige Zeitereignisse abbilden und über die er, so hat <strong>der</strong> Betrachter das Gefühl, <strong>in</strong>formiert<br />

se<strong>in</strong> muss.<br />

2.1.Das ganz normale Unglücklichse<strong>in</strong> im Film 'Happ<strong>in</strong>ess'<br />

Für mich kann e<strong>in</strong> Film durchaus e<strong>in</strong>e Art punctum besitzen. Dem Film 'Happ<strong>in</strong>ess' 44 schreibe<br />

ich diese Qualität zu. Der Film wirkt auf mich wie e<strong>in</strong> Magnet, speziell e<strong>in</strong>e Szene (die Sofaszene<br />

zwischen Vater und Sohn, auf die ich später genauer e<strong>in</strong>gehe) beschäftigt mich immer wie<strong>der</strong> durch<br />

ihre Intensität und Verdichtung <strong>der</strong> gemachten Aussage. Es ist e<strong>in</strong>e Stelle im Kont<strong>in</strong>uum <strong>der</strong> Filmerzählung,<br />

die e<strong>in</strong> oben erwähntes Etwas besitzt, das mich, den Betrachter, dazu br<strong>in</strong>gt, immer<br />

wie<strong>der</strong> dah<strong>in</strong> zurück zu kehren, und sei es nur mental. Diese Szene lässt sich nicht e<strong>in</strong>fach abschliessend<br />

beantworten und auf die Seite legen, nachdem <strong>der</strong> Film geendet hat.<br />

Der Film dreht sich um das monotone Leben dreier Schwestern <strong>in</strong> Suburbia. Joy ist e<strong>in</strong>e glücklose<br />

Musiker<strong>in</strong>, Helen e<strong>in</strong>e schöne Schriftsteller<strong>in</strong> mit wenig Tiefgang und Trish die konservative<br />

Hausfrau mit zwei K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, Hund und Ehemann Bill. Weiter ersche<strong>in</strong>en die sich <strong>in</strong> Scheidung bef<strong>in</strong>denden<br />

Eltern <strong>der</strong> drei Frauen sowie e<strong>in</strong> sexbesessener, e<strong>in</strong>samer Nachbar von Helen, <strong>der</strong> zu Bill,<br />

dem Psychiater, <strong>in</strong> die Therapie geht. Durch se<strong>in</strong>e gnadenlose Offenheit kontrastiert <strong>der</strong> Film stark<br />

zu an<strong>der</strong>en Filmen zum gleichen Thema. Offen und ohne Scheu thematisiert er <strong>in</strong> starken Bil<strong>der</strong>n<br />

Themen wie Pädophilie, Masturbation und das apathische nebene<strong>in</strong>an<strong>der</strong>her Leben <strong>der</strong> Protagonisten.<br />

Bill lebt e<strong>in</strong> liebloses, pflichtbewusstes Leben. Er vergisst nie, nach den des<strong>in</strong>teressiert<br />

durchgestandenen Therapiestunden, die Milch e<strong>in</strong>zukaufen und nach Hause zu br<strong>in</strong>gen. Er pflegt<br />

e<strong>in</strong>e sche<strong>in</strong>bar offene und emphatische Beziehung zu se<strong>in</strong>em ältesten, elfjährigen Sohn Billy. Dieser<br />

42 Ebd. S. 105.<br />

43 Ebd. S. 119.<br />

44 Solondz, Todd (1998). 'Happ<strong>in</strong>ess', Lionsgate.<br />

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