Nr. 3/2012 - Lebenshilfe Steiermark
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<strong>Lebenshilfe</strong> <strong>Steiermark</strong> | Thema<br />
Alter und Behinderung<br />
Die Angst vor dem Verlust von<br />
Autonomie und Selbstständigkeit<br />
gehört zu den bedrohlichen<br />
Phänomenen im Umgang mit dem<br />
Alter. Dies gilt gerade für unsere Zeit, wo<br />
fast ausschließlich Produktivität, Leistungsfähigkeit<br />
und Autonomie zählen.<br />
Würdevolles Altern wird gleichgesetzt<br />
mit unverminderter Leistungsfähigkeit<br />
und Schönheit im Alter.<br />
Gutes Altern darf nur fittes Altern sein.<br />
Kein Fältchen darf das Auge trüben. Die<br />
Werbebotschaften für Anti-Aging Produkte<br />
ergehen sich geradezu in einer Tyrannei<br />
des Fitseins. Der Ethiker und<br />
Philosoph Giovanni Mayo meint dazu kritisch:<br />
„Die Bedenklichkeit von Anti-Aging<br />
liegt daher vor allem in der altersfeindlichen<br />
Botschaft, die viele Menschen, die<br />
in Krankheit, mit Gebrechen und Behinderungen<br />
im Alter leben, gerade deswegen<br />
in die Isolation, ja in die Verzweiflung<br />
drängt, weil sie nach dieser Anti-Aging<br />
Seite 8<br />
Konzeption im Grunde alle Möglichkeiten<br />
verspielt hätten, überhaupt ein gutes<br />
Leben zu führen“.<br />
Schreckgespenst Abhängigkeit. Der<br />
moderne Mensch begreift sich als grundlegend<br />
autonomes Wesen und hat ein<br />
gebrochenes Verhältnis zur unabwendbaren<br />
Tatsache, dass jeder Mensch früher<br />
oder später die Hilfe Dritter braucht, um<br />
Jeder von uns braucht die Hilfe anderer – oft fällt es schwer, sich das einzugestehen.<br />
Lebensgestaltung<br />
statt „Fit-sein-<br />
müssen”!<br />
Gegen die Tyrannei der Anti-Aging Welle. Von Martin Hochegger<br />
weiterleben zu können. Für viele ist dies<br />
eine Horrorvision, welche die vierte Lebensphase<br />
und damit auch das Leben mit<br />
Beeinträchtigungen vollkommen zu entwerten<br />
droht. Verkannt wird, dass wir<br />
immer schon und nicht erst im Alter auf<br />
andere Personen angewiesen sind. Das<br />
ganze Leben hindurch brauchen wir Zuwendung,<br />
Beziehungen, Anerkennung,<br />
die Mitwirkung und Hilfe Dritter. Ganz zu<br />
schweigen von den vielen Dienstleistungen,<br />
die wir täglich selbstverständlich und<br />
bezahlt in Anspruch nehmen.<br />
Gut leben mit Behinderung. Auch<br />
Menschen mit intellektueller und mehrfacher<br />
Beeinträchtigung eigneten sich in<br />
den letzten Jahren vermehrt ein selbstbestimmteres<br />
und selbstständigeres<br />
Leben an. Und auch sie sehen sich im Alter<br />
gefordert, das Verhältnis zwischen Autonomie<br />
und Angewiesenheit wieder neu<br />
auszubalancieren. Ein wichtiger Teil der<br />
professionellen Begleitung von Menschen<br />
mit Behinderung besteht in der permanenten<br />
Reflexion dieser Veränderungen<br />
mit den Betroffenen und in der gemeinsamen<br />
Suche nach einer neuen sinnerfüllenden<br />
Gestaltung des Lebens im Alter.<br />
Noch haben wir relativ wenig Erfahrung<br />
in der Begleitung von SeniorInnen mit Behinderung<br />
bis zum Lebensende. Aber zumindest<br />
die wesentlichen Leitthemen<br />
und Leitfragen lassen sich formulieren:<br />
Bereiten wir Menschen mit intellektueller<br />
Beeinträchtigung ausreichend auf<br />
die Phänomene des Älterwerdens und<br />
alt seins vor? Wann ist dafür der richtige<br />
Zeitpunkt?<br />
Wie können wir in verständlicher Art<br />
und Weise erklären, was älter werden<br />
und alt sein bedeutet und was damit<br />
“Demographischer Wandel in<br />
Europa: Weniger Geburten, höhere<br />
Lebenserwartung. In den<br />
nächsten zehn Jahren werden 25 Millionen<br />
Europäer aufgrund hohen Alters<br />
oder einer Behinderung besondere Unterstützung<br />
brauchen.<br />
“<br />
einhergehen kann in physischer, psychischer<br />
und sozialer Hinsicht? Welche<br />
Kompetenzen und Fertigkeiten können<br />
verloren gehen und lernt man,<br />
damit zurecht zu kommen?<br />
Wo können neue Formen des Angewiesenseins<br />
auftauchen? Wie können<br />
wir trotz der oft hohen Unterstützungsbedürftigkeit<br />
weiterhin eine unverwechselbare<br />
Persönlichkeit bleiben,<br />
die ihren Willen zum Ausdruck<br />
bringen kann?<br />
Wie klären wir Menschen mit Behinderung<br />
darüber auf, welche Mö-<br />
das Europäische<br />
Jahr <strong>2012</strong>–<br />
für aktives<br />
Altern, sollte zum Anlass genommen<br />
werden, die rechtlichen Rahmenbedingungen<br />
für Menschen mit Behinderung zu<br />
verbessern: Es braucht Rechtssicherheit<br />
für Leistungen aus der Behindertenhilfe<br />
auch im Alter. Die Leistungen für das<br />
Wohnen und für die Tagesgestaltung<br />
müssen neu überdacht werden. Menschen<br />
mit Beeinträchtigungen müssen<br />
auch im Alter die Möglichkeit haben, aus<br />
den verschiedenen Wohnoptionen eine<br />
Form zu wählen, die ihren Bedürfnissen<br />
entspricht. Gemeindeintegrierten kleinen<br />
Wohnformen sollte hier unbedingt der<br />
Vorrang gegeben werden. Bei der Planung<br />
von Wohnraum und Wohnobjekten<br />
sowie bei der Entwicklung von Betreuungsformen<br />
müssen Menschen mit Lernschwierigkeiten<br />
miteinbezogen werden,<br />
damit eine für sie geeignete Form gefunden<br />
werden kann.<br />
glichkeiten die Medizin mittlerweile<br />
hat, um das Leben zu verlängern?<br />
Über PEG-Sonden und Herz-Lungen-<br />
Maschinen, über die Möglichkeiten<br />
der Schmerztherapie und der Palliativmedizin?<br />
Beinhaltet die Zukunftsplanung bis<br />
zum Lebensende auch die Auseinandersetzung<br />
mit einer möglichen PatientInnenverfügung<br />
– in einfacher<br />
Sprache?<br />
Wir haben in den letzten Jahrzehnten<br />
sehr viele Anstrengungen unternommen,<br />
Menschen mit intellektueller Beeinträch-<br />
Barrierefreier Zugang. Den Zugang<br />
zum Gesundheitswesen und zur Gesundheitsvorsorge<br />
barrierefrei und mit<br />
einer adäquaten Begleitung zu gestalten,<br />
wäre eine weitere Notwendigkeit. In den<br />
Planungen sollten Maßnahmen und Rahmenbedingungen<br />
für gesundes Altern<br />
und Wohlbefinden berücksichtigt werden.<br />
Der Zugang zu gesundheitserhaltenden<br />
Angeboten, Leistungen aus der<br />
Rehabilitation aber auch der medizinischen<br />
und sozialen Pflege für ältere Menschen<br />
mit intellektueller Beeinträchtigung<br />
ist sicherzustellen. Ihr spezieller Bedarf ist<br />
in die Ausbildung von Ärzten und anderen<br />
Gesundheitsberufen zu integrieren.<br />
Im Entwurf des nationalen Aktionsplanes<br />
für Menschen mit Behinderungen sind einige<br />
dieser Ansätze schon angedacht.<br />
Jetzt müssen sie von Bund, Ländern und<br />
Kommunen verwirklicht werden.<br />
Helene Kager ist Geschäftsführerin der<br />
<strong>Lebenshilfe</strong> Radkersburg.<br />
tigung ein „Leben wie andere auch“ zu<br />
ermöglichen und in vielen Bereichen<br />
wichtige Fortschritte gemacht. Entwickeln<br />
wir doch in den kommenden Jahren<br />
gemeinsam mit Menschen mit intellektueller<br />
Beeinträchtigung auch ein auf die<br />
persönlichen Bedürfnisse abgestimmtes<br />
Begleitmodell fürs Leben im Alter, welches<br />
eine gute Lebensqualität bis zuletzt<br />
möglich macht.<br />
Martin Hochegger ist Fachbereichsleiter für<br />
Wohnen bei der <strong>Lebenshilfe</strong> in Graz.<br />
Aktiv Altern<br />
Steigende Lebenserwartung und der allgemeine europäische Trend zum demographischen Altern betreffen<br />
erstmals auch Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung<br />
nähert sich der ihrer Mitmenschen. Von Helene Kager<br />
Die EU hat <strong>2012</strong> zum „Europäischen<br />
Jahr für aktives Altern und Solidarität<br />
zwischen den Generationen” erkoren.<br />
In Zeiten eines demographischen Wandels,<br />
in dem die Jüngeren weniger und<br />
die Älteren mehr werden, sehen die<br />
Staaten es als wichtiges Signal, die Herausforderungen<br />
dieses gesellschaftlichen<br />
Wandels zu meistern und Chancen sinnvoll<br />
zu nutzen. Ziel des Europäischen<br />
Jahres ist es, eine Kultur des aktiven Alterns<br />
zu schaffen – damit sich Menschen<br />
aller Altersgruppen geeint fühlen.<br />
Auch im Alter darf man sich Ziele<br />
setzen; das schenkt Zufriedenheit.<br />
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