Neuropsychiatrische Erkrankungen bei Frauen: Welche ... - Frauenarzt
Neuropsychiatrische Erkrankungen bei Frauen: Welche ... - Frauenarzt
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FORTBILDUNG + KONGRESS<br />
964<br />
<strong>Neuropsychiatrische</strong><br />
<strong>Erkrankungen</strong> <strong>bei</strong> <strong>Frauen</strong>:<br />
<strong>Welche</strong> Rolle spielen<br />
die Hormone?<br />
J. Neulen<br />
Die geschlechtsspezifische Inzidenz verschiedener neuropsychiatrischer<br />
<strong>Erkrankungen</strong> sowie die unterschiedliche Krankheitsausprägung<br />
im Zyklusverlauf bzw. nach der Menopause lassen<br />
einen Einfluss der Sexualhormone vermuten. Zahlreiche Untersuchungen<br />
der vergangenen Jahre haben dies bestätigt und<br />
gezeigt, dass das wichtigste weibliche Sexualhormon Estradiol<br />
eine essenzielle aktive Rolle <strong>bei</strong> der embryonalen Gehirnentwicklung<br />
spielt und im adulten Zentralnervensystem neurotrophe<br />
und neuroprotektive Funktionen übernimmt (1). <strong>Welche</strong><br />
klinisch relevanten Krankheitsbilder durch schwankende Hormonspiegel<br />
verursacht werden und welche therapeutischen<br />
Optionen zur Verfügung stehen, diskutierten Experten im<br />
Rahmen eines interdisziplinären gynäkologisch-endokrinologischen<br />
Workshops am 1. Juli 2006 in Aying.*<br />
Die neuroprotektive Wirksamkeit von<br />
Estrogenen wurde inzwischen experimentell<br />
in verschiedenen Modellen<br />
der Neurodegeneration und ischämischen<br />
Schädigung in vivo und in vitro<br />
nachgewiesen. Als Mechanismen<br />
werden sowohl genomisch als auch<br />
nichtgenomisch vermittelte Effekte<br />
beschrieben. Für die von Estrogenrezeptoren<br />
(ER) unabhängigen Wirkungen<br />
spielen sowohl direkte antioxidative<br />
Eigenschaften als auch eine<br />
FRAUENARZT � 48 (2007) � Nr. 10<br />
Interaktion an möglichen Bindungsstellen<br />
an der neuronalen Membran<br />
eine Rolle. Die über die klassischen<br />
Estrogenrezeptoren α und β vermittelten<br />
Effekte auf die neuronale Gentranskription<br />
stimulieren das Auswachsen<br />
von signalintegrierenden<br />
Neuriten und somit die Spreitung der<br />
neuronalen Fortsätze, steigern die Expression<br />
neurotropher Faktoren und<br />
verstärken die Synthese des zentralen<br />
Neurotransmitters Acetylcholin (2).<br />
*Die Referenten und ihre Themen<br />
Prof. Dr. med. Gabriele Rune, Institut für Anatomie I, zelluläre Neuroanatomie,<br />
UKE, Hamburg: Neurophysiologische Effekte von Sexualsteroiden im Gehirn<br />
Prof. Dr. med. Anke Rohde, gynäkologische Psychosomatik der Universitäts-<br />
<strong>Frauen</strong>klinik Bonn: Therapeutische Ansätze <strong>bei</strong> prämenstruellem Syndrom,<br />
Wochenbett-Depression und menopausaler Depression<br />
Dr. med. Anneliese Schwenkhagen, Praxis für Hormonstörungen und<br />
Reproduktionsmedizin, Hamburg-Altona: Epilepsie und Sexualhormone<br />
Dr. med. Christof Keller, Neurologe, Chefarzt, Alzey: Migräne – therapeutische<br />
Ansätze.<br />
Teilnehmer der Diskussion<br />
Prof. Dr. Dr. med. habil. Winfried Rossmanith, Chefarzt der <strong>Frauen</strong>klinik<br />
Diakonissenkrankenhaus, Karlsruhe<br />
Prof. Dr. med. Christian J. Thaler, gynäkologische Endokrinologie,<br />
<strong>Frauen</strong>klinik im Klinikum der LMU Großhadern, München<br />
Dr. Michael Studen und Dr. Uwe Ernst, Organon GmbH, Oberschleißheim<br />
Eine lokale Aromatase-Aktivität sichert<br />
die elementare Estrogenversorgung der<br />
Neuronen in vielen Hirnregionen. Die<br />
für die endokrine Mammakarzinom-<br />
Therapie eingesetzten Aromatasehemmer<br />
bieten daher laut Prof. Dr. Gabriele<br />
Rune, Hamburg, eine geeignete<br />
Möglichkeit, die Wirkungen von Estradiol<br />
auf die kognitiven Funktionen des<br />
ZNS und speziell im Hippocampus genauer<br />
zu untersuchen.<br />
Aromatasehemmer<br />
verschlechtern Synapsenplastizität<br />
im Hippocampus<br />
Die Ar<strong>bei</strong>tsgruppe um die Hamburger<br />
Anatomin und Zellbiologin konnte in<br />
einem In-vitro-Modell aus hippocampalen<br />
Zellen weiblicher Ratten erstmals<br />
nachweisen, dass Estradiol de novo in<br />
adulten hippocampalen Neuronen synthetisiert<br />
wird (3). Um diesen Befund<br />
zu validieren, wurden die Zellen in einem<br />
serum- und estrogenfreien Medium<br />
kultiviert und über acht Tage mit<br />
dem Aromatasehemmer Letrozol (10 -9<br />
M) behandelt. „Nach der Zugabe von<br />
Letrozol fanden wir eine nahezu<br />
100%ige Reduktion der Estrogensynthese<br />
in adulten Zellen und eine ca.<br />
60%ige Senkung in postnatalen Kulturen“,<br />
berichtete Rune (s. Abb. 1).<br />
Zugleich kam es zu charakteristischen<br />
Veränderungen der Estrogenrezeptoren:<br />
Die Estrogenbehandlung induzierte<br />
eine signifikante Hochregulation<br />
von ERα mit Reduktion von ERβ,<br />
während die Addition von Letrozol das<br />
Gegenteil bewirkte (signifikante Abnahme<br />
ERα). Darüber hinaus fand sich<br />
eine ebenfalls signifikante Herabregulation<br />
sowohl der präsynaptischen<br />
Boutons der Spines als auch der<br />
gesamten Spine-Synapsen nach Zugabe<br />
des Aromatasehemmers. Diese Befunde<br />
seien auch in In-vivo-Studien<br />
bestätigt worden: „Es ist evident und<br />
ganz klar, dass Aromatasehemmer die<br />
Blut-Hirn-Schranke überschreiten“, so<br />
Rune. Die Inhibition der hippocampalen<br />
Estrogensynthese mit Letrozol<br />
hemmte zudem das Axonwachstum<br />
und führte dosisabhängig zu einer Herunterregulation<br />
der Neurogenese so-
Einfluss von Letrozol auf die Estrogensynthese<br />
17β-Estradiol in pg/5 ml<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Kulturmedium<br />
Abb. 1: Der Aromatasehemmstoff Letrozol reduziert dosisabhängig die hippocampale<br />
Estrogensynthese (mod. nach Rune G et al.; Neurochem Res 31, 2006, 145–155).<br />
wie einer Induktion der Apoptose,<br />
letzteres allerdings in sehr geringem<br />
Maß. Letrozol verschlechterte darüber<br />
hinaus die Langzeitpotenzierung (LTP)<br />
im Gehirn als elektrophysiologischer<br />
Ausdruck von Lernen und Gedächtnis.<br />
„Man muss daher davon ausgehen,<br />
dass es eine lokale parakrine Regulation<br />
der Estrogensynthese im Hippocampus<br />
gibt, wo<strong>bei</strong> die Syntheseleistung<br />
regional unterschiedlich ist“, wie<br />
Rune abschließend zusammenfasste.<br />
Inwieweit diese Befunde von klinischer<br />
Relevanz sind, muss in Längsschnittuntersuchungen<br />
<strong>bei</strong> mit Letrozol<br />
behandelten Patientinnen mittels<br />
neuropsychologischer Tests und Kernspintomographie<br />
geklärt werden.<br />
<strong>Welche</strong> Kontrazeptiva<br />
sind für Epilepsiepatientinnen<br />
geeignet?<br />
Letrozol<br />
10 -11 M<br />
Ein „klassisches“ Beispiel hormonassoziierter<br />
neuropsychiatrischer <strong>Erkrankungen</strong><br />
ist die katameniale, zyklusabhängige<br />
Epilepsie. Pathophysiologisch<br />
entscheidend ist laut Dr.<br />
Annliese Schwenkhagen, Hamburg,<br />
da<strong>bei</strong> der zyklische Verlust dämpfender<br />
Neurosteroide, vor allem von Gestagen<br />
und seinem Hauptmetaboliten<br />
Allopregnanolon, und das Überwiegen<br />
der aktivierenden, prokonvulsiven epileptogenen<br />
Steroide Estradiol und Dehydroepiandrosteron<br />
(DHEA-S).<br />
Letrozol<br />
10 -9 M<br />
Letrozol<br />
10 -7 M<br />
Unterschieden werden drei Formen einer<br />
katamenialen Anfallshäufung, wie<br />
sie erstmals von Herzog und Mitar<strong>bei</strong>tern<br />
beschrieben wurden (4). Neben einem<br />
perimenstruellen und einem periovulatorischen<br />
Muster treten <strong>bei</strong><br />
manchen Patientinnen die Anfälle gehäuft<br />
während anovulatorischer Zyklen<br />
auf (defekte Lutealphase, luteales Muster)<br />
(s. Abb. 2). Aufgrund des Defizits<br />
des antikonvulsiv wirkenden Progesterons<br />
und des daraus resultierenden<br />
Überwiegens prokonvulsiver Östrogene<br />
wurde therapeutisch die Empfehlung<br />
der Progesteron-Substitution abgeleitet.<br />
Dieses Prozedere ist laut Schwenkhagen<br />
allerdings nur dann eine Option<br />
für Patientinnen, wenn anhand eines<br />
konsequent geführten Anfallskalenders<br />
der Abfall des Progesterons als Ursache<br />
identifiziert werden kann.<br />
Von großer praktischer Relevanz sind<br />
die Wechselwirkungen zwischen Antiepileptika<br />
und hormonellen Kontrazeptiva<br />
in <strong>bei</strong>derlei Richtungen, wie<br />
Schwenkhagen betonte. Grundlage<br />
dieser Interaktionen ist der enzyminduzierende<br />
Effekt vieler Antiepileptika.<br />
Ihre wesentliche Metabolisierung<br />
erfolgt in der Leber durch<br />
die zwei Enzymgruppen der Cytochrom-P450-0xidasen<br />
sowie der UDP-<br />
Glucuronosyltransferase (UGT). Bei<br />
einer Therapie mit Lamotrigin ist<br />
nach den Worten von Schwenkhagen<br />
nicht nur ein Wirkungsverlust der<br />
„Pille“ zu berücksichtigen, sondern<br />
auch die unter Einnahme von oralen<br />
Kontrazeptiva nachgewiesene Induktion<br />
der UDP-Glucuronyltransferasen,<br />
die zu einer vermehrten Ausscheidung<br />
und damit einem signifikanten<br />
Epilepsie: Wann treten katameniale Anfälle auf?<br />
normaler Zyklus Lutealphaseninsuffizienz<br />
E<br />
150 30<br />
C2 C1 100 25<br />
C3<br />
25<br />
80 20<br />
100 20<br />
15<br />
60 15<br />
50 10<br />
40 10<br />
5<br />
20 5<br />
0<br />
0<br />
1 3 5 7 9 1113 15 171921 23 25 27 1 3 5 7 9 11 13 15 17 19 21 23 25 27<br />
2 µg/ml E2 P ng/ml µg/ml P ng/ml<br />
Zyklustag Zyklustag<br />
Serum-Hormonspiegel<br />
Typ Zyklusablauf Anfallszeitpunkt<br />
C1 normal perimenstruell (Tag -3 bis 3)<br />
C2 normal periovulatorisch (Tag 10 bis 13)<br />
C3 defekte Lutealphase zweite Zyklushälfte (Tag 10 bis 3)<br />
Abb. 2: Unterschiedliche Verläufe katamenialer Anfallshäufungen <strong>bei</strong> Epilepsie-Patientinnen<br />
(mod. nach Herzog AG et al.; Epilepsia 38, 1997, 1082–1088).<br />
FORTBILDUNG + KONGRESS<br />
FRAUENARZT � 48 (2007) � Nr. 10 965
FORTBILDUNG + KONGRESS<br />
966<br />
Abfall der Lamotrigin-Serumkonzentration<br />
führen kann. Das zeigte eine<br />
unter der Leitung von Schwenkhagen<br />
durchgeführte Studie <strong>bei</strong> 30 Epilepsie-Patientinnen,<br />
in der der Abfall<br />
der Lamotrigin-Serumkonzentrationen<br />
nach dreiwöchiger Einnahme eines<br />
oralen Kombinationspräparats<br />
durchschnittlich 50% betrug (5). Eine<br />
ähnliche Situation findet sich<br />
auch in der Schwangerschaft, <strong>bei</strong> der<br />
es aufgrund der erheblich erhöhten<br />
Estrogenspiegel zu einer veränderten<br />
Pharmakokinetik von Antiepileptika<br />
kommen kann. Eine Anpassung der<br />
Epilepsie-Medikation ist daher in dieser<br />
Situation essenziell.<br />
„Um diese Schwankungen auszugleichen,<br />
verwenden wir <strong>bei</strong> Patientinnen<br />
unter Lamotrigin von vornherein den<br />
Langzyklus und steigern die Dosis des<br />
Antiepileptikums nach einem fixen<br />
Protokoll“, so Schwenkhagen (s. Abb.<br />
3). Nach drei Wochen erfolgt eine Messung<br />
der Lamotrigin-Serumkonzentration<br />
und möglicherweise eine Adaptation<br />
der Dosierung, in der Regel ist<br />
eine Verdoppelung der Lamotrigin-Dosis<br />
notwendig. Eine weitere Verhütungsalternative<br />
ist die hormonbe-<br />
Kontinuierliche „Pille“ und Lamotrigin<br />
%<br />
Ausgangswert<br />
LTG<br />
Tagesdosis<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
FRAUENARZT � 48 (2007) � Nr. 10<br />
0<br />
baseline<br />
schichtete Spirale; Depotpräparate hielt<br />
Schwenkhagen aufgrund der Gefahr der<br />
Osteoporose, Gewichtszunahme und<br />
Stimmungsschwankungen <strong>bei</strong> Epilepsiepatientinnen<br />
für nicht geeignet.<br />
Hormone und Psyche –<br />
Interaktionen <strong>bei</strong> der fertilen<br />
und menopausalen Frau<br />
Den Zusammenhang zwischen hormonellen<br />
Veränderungen während des<br />
Menstruationszyklus und psychischen<br />
Störungen erläuterte Prof. Dr. Anke<br />
Rohde, Bonn, anhand des prämenstruellen<br />
Syndroms (PMS). Laut der aktuellen<br />
DMS-IV-Klassifikation (Diagnostic<br />
& Statistical Manual of Mental Disorders)<br />
der amerikanischen Gesellschaft<br />
für Psychiatrie wird die schwere<br />
Form des PMS als Prämenstruelle Dysphorische<br />
Störung (PMDS) bezeichnet.<br />
In der Internationalen Klassifikation<br />
psychischer Störungen (ICD 10) finden<br />
sich keine entsprechenden Kriterien für<br />
das schwere PMS, was zu Schwierigkeiten<br />
in der psychiatrischen Therapie<br />
dieses Krankheitsbildes führt. Das sei<br />
umso bedauerlicher, als heute „durch<br />
viele Therapiestudien und epidemiologische<br />
Untersuchungen klar geworden<br />
fixierte Dosissteigerung<br />
individuelle<br />
Adaption<br />
Tag 3 Tag 7 Tag 10 Tag 20<br />
nach Beginn kontinuierliche „Pille“<br />
Abb. 3: Schema der kontinuierlichen Einnahme oraler Kontrazeptiva im Langzyklus unter<br />
gleichzeitiger Lamotrigin-Medikation <strong>bei</strong> Epilepsiepatientinnen (mod. nach Stodieck S,<br />
Schwenkhagen A; Epilepsie 46, 2005; S 8, 89–90).<br />
Prämenstruelle<br />
Dysphorische Störung<br />
Symptome<br />
�� Ängstlichkeit, Anspannung<br />
�� depressive Verstimmung<br />
�� Affektlabilität<br />
�� Wut/Reizbarkeit<br />
�� Interessenverlust<br />
�� Konzentrationsschwierigkeiten<br />
�� Lethargie, Ermüdbarkeit,<br />
Energieverlust<br />
�� Appetitveränderungen<br />
�� Hypersomnie oder Insomnie<br />
�� subjektives Gefühl des Kontrollverlustes<br />
�� körperliche Beschwerden (Brustspannung,<br />
Gelenkbeschwerden,<br />
Wassereinlagerungen)<br />
Kriterien für die Diagnose<br />
�� ≥5 Symptome, mindestens ein<br />
Kernsymptom<br />
�� 2 Monate prospektive Selbstbeobachtung<br />
�� soziale Beeinträchtigung<br />
Tab. 1: Symptome der prämenstruellen dysphorischen<br />
Störung (DSM IV) (mod. nach<br />
Rohde A, Klemme A, Geburtsh <strong>Frauen</strong>heilk<br />
62, 2002, Suppl. 1, 17–25).<br />
ist, dass <strong>bei</strong> einer Gruppe von <strong>Frauen</strong><br />
tatsächlich ein krankheitswertiges<br />
Syndrom vorliegt“, so Rohde.<br />
Zu den Kernsymptomen eines schweren<br />
PMS im Sinne einer Prämenstruellen<br />
Dysphorischen Störung nach DSM<br />
IV gehören Ängstlichkeit, depressive<br />
Verstimmung sowie Affektlabilität und<br />
Wut/Reizbarkeit (siehe Tab. 1). Körperliche<br />
Beschwerden des PMS, die in<br />
der gynäkologischen Praxis häufig genannt<br />
werden, stehen demnach nicht<br />
im Vordergrund: „Es ist ein eigenständiges<br />
affektives Syndrom“, wie Rohde<br />
betonte. Die Diagnose wird <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />
von mindestens fünf Symptomen<br />
– davon mindestens einem Kernsymptom<br />
– nach zwei Monaten prospektiver<br />
Selbstbeobachtung anhand<br />
eines Zyklustagebuchs und <strong>bei</strong>m Vorliegen<br />
sozialer Beeinträchtigungen gestellt.<br />
Nach diesen Kriterien liegt <strong>bei</strong><br />
3–5% aller <strong>Frauen</strong> im gebärfähigen Alter<br />
eine PMDS vor, was laut Rohde ein
nicht zu vernachlässigendes, klinisch<br />
relevantes Problem darstellt.<br />
Bei leichteren Verläufen ist die Therapie<br />
symptomorientiert, auch die Anwendung<br />
hormonaler Kontrazeptiva im<br />
Langzyklus ist eine gute Alternative.<br />
Bei schwerer Symptomatik haben sich<br />
serotonerg wirkende Antidepressiva<br />
bewährt, deren Effektivität in plazebokontrollierten<br />
Studien sowohl in<br />
kontinuierlicher als auch in intermittierender<br />
Gabe nur in der zweiten Zyklushälfte<br />
gezeigt werden konnte. Interessanterweise<br />
wirken diese Substanzen<br />
<strong>bei</strong> der PMDS wesentlich<br />
schneller als <strong>bei</strong> Depressionen. Das<br />
liegt laut Rohde daran, dass <strong>bei</strong> der<br />
PMDS die Reizbarkeit im Vordergrund<br />
steht, die mit erniedrigten zentralen<br />
Serotoninspiegeln assoziiert ist. Wie<br />
die Psychiaterin betonte, können serotonerg<br />
wirkende Antidepressiva sehr<br />
gut auch von gynäkologisch tätigen<br />
Kolleginnen und Kollegen verordnet<br />
werden. Wichtig sei da<strong>bei</strong> die Information<br />
der Patientin über mögliche<br />
Nebenwirkungen zu Beginn, wie Übelkeit<br />
und Kopfschmerzen, um die Compliance<br />
zu gewährleisten.<br />
Ein weiteres häufiges und ebenfalls<br />
hormonell beeinflusstes Krankheitsbild<br />
sind Depressionen, die im Rahmen<br />
der Schwangerschaft und im<br />
Depressionen in der Perimenopause<br />
einzelne depressive<br />
Symptome<br />
perimenopausales<br />
depressives Symptom<br />
depressive<br />
Episode<br />
Spannungsfeld der Menopause auftreten<br />
können. Unbehandelte postpartale<br />
Depressionen führen sehr schnell in<br />
eine depressive Spirale mit Störung<br />
der Mutter-Kind-Bindung sowie Chronifizierung<br />
und in schweren Fällen<br />
auch Suizidalität. Sie sind nicht zuletzt<br />
auch aufgrund der Prävalenz von<br />
10–15% ein ernst zu nehmendes Problem,<br />
wie Rohde betonte. Antidepressiva<br />
führen in der Regel zu einer sehr<br />
raschen Remission der Symptomatik.<br />
Kleinere Studien zeigen, dass auch die<br />
Zugabe von Estradiol in transdermaler<br />
keine spezifische<br />
Therapie<br />
Hormontherapie<br />
(+ ggf. Antidepressiva)<br />
(+ ggf. Psychotherapie)<br />
Antidepressiva<br />
(+ ggf. Psychotherapie)<br />
(+ ggf. Hormontherapie)<br />
Abb. 4: Therapeutische Optionen <strong>bei</strong> Depressionen in der Perimenopause (mod. nach Rohde<br />
A, 2006).<br />
Form hilfreich sein kann – insbesondere<br />
<strong>bei</strong> therapieresistenten Fällen.<br />
Dies gelte auch für Depressionen in der<br />
Perimenopause und Menopause (s.<br />
Abb. 4). Bei der schweren Menopauseassoziierten<br />
depressiven Episode steht<br />
die Gabe von Antidepressiva an erster<br />
Stelle. Geeignet sind dual wirksame<br />
Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren<br />
(SNRI), die außer<br />
ihrer antidepressiven Wirksamkeit<br />
additive anxiolytische und schlaffördernde<br />
Effekte bieten und häufig auch<br />
positive Auswirkungen <strong>bei</strong> somatischen<br />
Beschwerden bzw. Schmerzen<br />
zeigen. Zudem entfalten einige SNRI<br />
eine eigenständige Wirkung auf klimakterische<br />
Beschwerden und sind daher<br />
eine interessante Alternative,<br />
wenn man keine Hormontherapie<br />
Migräne ohne Aura<br />
�� Dauer: 4 bis 72 h<br />
�� Schmerz: einseitig und pulsierend,<br />
stark, Verstärkung durch<br />
körperliche Aktivität<br />
�� Begleiterscheinungen: Übelkeit,<br />
Photo- und Phonophobie<br />
�� Verlauf: mindestens 5 Attacken<br />
�� Ausschluss symptomatischer<br />
Kopfschmerzen<br />
Tab. 2: Diagnostische Kriterien der Migräne<br />
ohne Aura (nach International Headache<br />
Society, 2004).<br />
FORTBILDUNG + KONGRESS<br />
FRAUENARZT � 48 (2007) � Nr. 10 967
FORTBILDUNG + KONGRESS<br />
968<br />
EURAP – ein internationales Projekt zur Erfassung von<br />
Schwangerschaftsverläufen unter Antiepileptika<br />
Die Einnahme von Antiepileptika während der Schwangerschaft geht mit einem<br />
erhöhten Fehlbildungsrisiko für das Kind einher. Dennoch ist es in der<br />
Regel ratsam, die antiepileptische Medikation während der Schwangerschaft<br />
fortzuführen, da unkontrollierte Anfälle ein Risiko für den Föten darstellen.<br />
Eine differenzierte Einschätzung des teratogenen Risikos, insbesondere für die<br />
neu entwickelten Antiepileptika, ist bisher jedoch nicht möglich. Um diese<br />
Lücke zu schließen, wurde die European Registry of Antiepileptic Drugs and<br />
Pregnancy (EURAP)-Beobachtungsstudie initiiert, in deren Rahmen die Sicherheit<br />
verschiedener Antiepileptika für das ungeborene Kind bezüglich der Häufigkeit<br />
kongenitaler Fehlbildungen und pränataler Wachstumsverzögerungen<br />
untersucht wird. Diese Datensammlung bildet die Grundlage für die Erstellung<br />
eines europäischen Schwangerschaftsregisters.<br />
An der EURAP-Studie können alle Ärztinnen/Ärzte teilnehmen, die <strong>Frauen</strong> betreuen,<br />
die zum Zeitpunkt der Konzeption Antiepileptika einnehmen. Dies ist<br />
unabhängig davon, ob die Behandlungsindikation eine Epilepsie oder eine andere<br />
Erkrankung ist. Der Einschluss sollte möglichst früh, spätestens jedoch<br />
bis zur 16. Schwangerschaftswoche erfolgen. Die für das Register benötigten<br />
Informationen entsprechen denen, die routinemäßig wahrend einer Schwangerschaft<br />
unter Antiepileptika erfasst werden; es sind keine zusätzlichen Untersuchungen<br />
oder Vorstellungstermine notwendig.<br />
Derzeit werden in Europa Netzwerke kooperierender Ärzte aufgebaut. Jede Region<br />
hat einen eigenen regionalen Koordinator und ein eigenes Register. Die<br />
teilnehmenden Ärzte senden die Anmeldungen und Fallberichte ihrer Patientinnen<br />
an die regionalen Koordinatoren, die die Berichte an das EURAP-Zentralregister<br />
in Mailand/Italien weiterleiten.<br />
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:<br />
Prof. Dr. Bettina Schmitz, Koordinatorin EURAP Deutschland<br />
Neurologische Klinik und Poliklinik Charité – Campus Virchow Klinikum<br />
Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin<br />
Tel. +49 30 450450560062, Fax +49 30 450560901<br />
http://www.eurap-germany.de, eurap.germany@charite.de<br />
durchführen möchte, was auch zu einer<br />
entsprechenden Empfehlung der<br />
Nordamerikanischen Menopausegesellschaft<br />
geführt hat (2004).<br />
Rohde berichtete über gute Erfahrungen<br />
mit der Gabe von Johanniskraut<br />
<strong>bei</strong> Patientinnen mit leichten bis mittelschweren<br />
Depressionen, die gerne<br />
ein pflanzliches Antidepressivum einnehmen<br />
möchten. Zu beachten sei da<strong>bei</strong><br />
eine ausreichend hohe Dosierung<br />
(900 mg/Tag über einen Zeitraum von<br />
mehreren Wochen) vor Beurteilung<br />
der Wirksamkeit sowie die Aufklärung<br />
der Patientin über eine abgeschwächte<br />
Wirkung oraler Kontrazeptiva, möglicherweise<br />
auftretende Zyklusunregelmäßigkeiten<br />
sowie die verlängerte<br />
Blutungszeit <strong>bei</strong> geplanten operati-<br />
FRAUENARZT � 48 (2007) � Nr. 10<br />
ven Eingriffen. Abschließend betonte<br />
Rohde die Bedeutung des interdisziplinären<br />
Austauschs zwischen Gynäkologen<br />
und Psychiatern.<br />
Menstruelle Migräne erstmals<br />
in IHC-Klassifikation<br />
aufgenommen<br />
Dr. Christof Keller, Alzey, ergänzte die<br />
Ausführungen über den hormonellen<br />
Einfluss von Estrogenen <strong>bei</strong> neuropsychiatrischen<br />
<strong>Erkrankungen</strong> um den Aspekt<br />
der Migräne, von der mit 12–25%<br />
wesentlich mehr <strong>Frauen</strong> als Männer betroffen<br />
sind (6–8%). Die Attacken gehen<br />
mit pulsierenden, pochenden,<br />
halbseitigen Kopfschmerzen und vegetativen<br />
Begleiterscheinungen einher<br />
(s. Tab. 2 auf S. 967). Bei etwa 10%<br />
der Patienten kommt es vor den Kopfschmerzen<br />
zu einer Aura, meist in Form<br />
von unsystematischen Sehstörungen<br />
mit Wahrnehmung von Lichtblitzen<br />
und Fortifikationen (gezackte Lichtlinien)<br />
sowie Gesichtsfelddefekten.<br />
Die Sonderform der menstruellen Migräne<br />
wurde in der Neuauflage der<br />
„Klassifikation für Kopfschmerzerkrankungen,<br />
Gesichtsneuralgien und Gesichtsschmerzen“<br />
der International<br />
Headache Society (IHS) von 2004 erstmals<br />
als eigenständige Kopfschmerzart<br />
aufgeführt (6). Unterschieden wird da<strong>bei</strong><br />
die rein menstruelle Migräne, die<br />
nur während der Periodenblutung auftritt,<br />
von einer menstruationsassoziierten<br />
Migräne, die während der Menstruation,<br />
aber auch an anderen Tagen<br />
des Zyklus vorkommen kann.<br />
„Migräne ist sicherlich keine psychosomatische<br />
Erkrankung im eigentlichen<br />
Sinn“, so Keller, denn ätiologisch<br />
entscheidend sei die nach dem derzeitigen<br />
Erkenntnisstand meist vorhandene<br />
genetische Disposition. Während<br />
einer spontanen Migräneattacke<br />
kommt es laut Keller über eine Hirnstammefferenz<br />
im Bereich der perimeningealen<br />
Gefäße zu einer Freisetzung<br />
von Entzündungsmediatoren, die in<br />
diesem Areal zu einer entzündlichen<br />
Reaktion im Sinne einer „abakteriellen<br />
Vaskulitis“ führen. Dies induziert<br />
in Verbindung mit einer Gefäßdilatation<br />
das Kopfschmerzerlebnis.<br />
Im Therapiemanagement sei daher<br />
laut Keller zunächst die Information<br />
der Patientin essenziell, dass sie aufgrund<br />
der genetischen Disposition<br />
auf eine Reizüberflutung mit einer<br />
Migräneattacke reagiert. „Typischerweise<br />
treten die Anfälle im Anschluss<br />
an die entsprechende Belastung auf“,<br />
wo<strong>bei</strong> diese sowohl positive als auch<br />
negative Stresssituationen sein können.<br />
Laut Keller ist die Migräne damit<br />
ein Ausdruck des Zusammenbruchs<br />
bestimmter Filtermechanismen im<br />
Hirnstamm, was zur Aktivierung der<br />
beschriebenen pathophysiolgischen<br />
Faktoren führt. Verhaltenstherapeutisch<br />
sei es daher wichtig, die feh-
lende Wahrnehmung einer möglichen<br />
Überlastung zu trainieren und die<br />
Reiz- und Stressregulation entsprechend<br />
zu modulieren. Diese Maßnahmen<br />
können in der Prophylaxe durch<br />
Medikamente mit abschirmender Wirkung<br />
wie β-Blocker und den in dieser<br />
Indikation in den USA eingesetzten<br />
Antidepressiva unterstützt werden.<br />
In der Akuttherapie der leichten bis<br />
mittelschweren Migräneattacke ist<br />
die Gabe von Metoclopramid oder<br />
Domperidon, gefolgt von Azetylsalizylsäure<br />
(ASS, 1.000 mg), das bevorzugte<br />
Vorgehen und in den allermeisten<br />
Fällen auch ausreichend“, so<br />
Keller. Im Bedarfsfall kann ein Triptan<br />
verordnet werden. Bei sehr<br />
schweren Attacken empfiehlt Keller<br />
die intravenöse Gabe von Metoclopramid<br />
und ASS, Sumatriptan subkutan<br />
oder ein orales Triptan. Da die<br />
menstruell gebundene Migräne eher<br />
durch eine länger andauernde und<br />
stärkere Kopfschmerzsymptomatik<br />
charakterisiert ist, bietet sich die<br />
Einnahme eines Triptans mit längerer<br />
Halbwertszeit an. Mit diesem Prozedere<br />
lässt sich das Wiederauftreten<br />
der Beschwerden nach initialer Wirksamkeit<br />
eines Triptans („Recurrence-<br />
Kopfschmerz“) meist verhindern.<br />
Klinische wie auch experimentelle<br />
Studien legen nahe, dass der ursächliche<br />
Zusammenhang von Menstruation<br />
und Migräne vermutlich in<br />
dem physiologischen prämenstruellen<br />
Abfall der Östrogenspiegel liegt.<br />
Um den Östrogenentzug als Auslöser<br />
der menstruellen Migräne zu unterbinden,<br />
kann in Absprache mit dem<br />
behandelnden Gynäkologen/der Gynäkologin<br />
auch eine Estrogen-Gestagen-Gabe<br />
<strong>bei</strong>spielsweise durch die<br />
Anwendung oraler Kontrazeptiva im<br />
Langzyklus oder die kontinuierliche<br />
Gestagen-Gabe durchgeführt werden.<br />
Literatur<br />
1. Belcher S, Zsarnovszky A: J Pharmacol<br />
Exp Ther 299 (2001) 408–414.<br />
2. Behl C, Hoisboer F: Trends Pharmacol Sci<br />
20 (1999) 441–444.<br />
3. Rune G et al.: Neurochem Re 31 (2006)<br />
145–155.<br />
4. Herzog AG et al.: Epilepsia 38 (1997)<br />
1082–1088.<br />
5. Stodieck S, Schwenkhagen A: Epilepsia<br />
45 (2004) S7, 187.<br />
6. IHS: Cephalgia 24<br />
(2004) Suppl 24,<br />
139–140.<br />
Autor<br />
Prof. Dr. med.<br />
Joseph Neulen<br />
Direktor der <strong>Frauen</strong>klinik<br />
für Gynäkologische<br />
Endokrinologie und<br />
Reproduktionsmedizin<br />
Universitätsklinikum Aachen<br />
Pauwelsstraße 30<br />
52074 Aachen