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Reader - Kritischen JuristInnen an der FU-Berlin

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4 BAKJ-Herbstkongress 2011<br />

Kritisch durch’s Referendariat<br />

Kritische Referendar_innen<br />

Kritische Jurist_innen blicken über den Tellerr<strong>an</strong>d,<br />

sie beschäftigen sich weit mehr als <strong>an</strong><strong>der</strong>e<br />

mit Themen, die nicht zum juristischen<br />

Lehrstoff <strong>an</strong> den Unis gehören, sie kritisieren<br />

die zweigliedrige juristische Ausbildung. Was<br />

uns da aber während des praktischen Ausbildungsteils<br />

erwartet, das weiß, bevor es<br />

losgeht, eigentlich kein Mensch so richtig.<br />

Wir zumindest wussten es nicht. Wie, ich<br />

muss in <strong>der</strong> Staats<strong>an</strong>waltsstation Sitzungs-<br />

Wer Einheitsjurist werden will, krümmt sich beizeiten<br />

Der steinige Weg zum Zweiten Juristischen Staatsexamen<br />

Mit <strong>der</strong> Vereidigung fängt alles <strong>an</strong>. Sprechen Sie mir<br />

nach: »Ich schwöre, dass ich, getreu den Grundsätzen des<br />

demokratischen und sozialen Rechtsstaats, meine Kraft<br />

dem Volke und dem L<strong>an</strong>de widmen, das Grundgesetz für<br />

die Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d und die Nie<strong>der</strong>sächsische<br />

Verfassung wahren und verteidigen, in Gehorsam<br />

gegen die Gesetze meine Amtspflicht gewissenhaft erfüllen<br />

und Gerechtigkeit gegen je<strong>der</strong>m<strong>an</strong>n üben werde.«<br />

Herr A kommt zur Vereidigung im Jackett und mit<br />

Schlips und hängt <strong>der</strong> Eidesformel noch ein kleines »So<br />

wahr mir Gott helfe« <strong>an</strong>. Frau W erklärt, sie verzichte auf<br />

die religiöse Beteuerung, und schon ist klar, dass Frau<br />

W m<strong>an</strong>chmal Sachen <strong>an</strong><strong>der</strong>s macht als <strong>an</strong><strong>der</strong>e. Herr G<br />

erlaubt sich gar, zur Vereidigung in Je<strong>an</strong>s zu erscheinen.<br />

Anlass genug für den Gerichtspräsidenten, ihn nach <strong>der</strong><br />

Zeremonie beiseite zu nehmen und mit eindringlichen<br />

Worten auf die beson<strong>der</strong>e Würde des Gerichts aufmerksam<br />

zu machen, die es zu achten gelte. Zumindest Herr<br />

G hat <strong>an</strong>schließend begriffen, wo er <strong>an</strong>gekommen ist: Im<br />

Apparat, o<strong>der</strong>, mo<strong>der</strong>ner: in <strong>der</strong> Institution. Er ist jetzt<br />

Referendar.<br />

Von Station zu Station dem Zweiten Staatsexamen<br />

entgegen<br />

Als solcher l<strong>an</strong>det er zuerst in <strong>der</strong> sogen<strong>an</strong>nten »Zivilstation«.<br />

M<strong>an</strong> muss sich das Referendariat vorstellen wie<br />

einen Eisenbahnzug, <strong>der</strong> mit wechselnden Geschwindigkeiten<br />

von Station zu Station fährt. Anzahl und Dauer<br />

<strong>der</strong> Stationen unterscheiden sich in den Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

kaum: Ungefähr die ersten <strong>an</strong><strong>der</strong>thalb Jahre fährt <strong>der</strong><br />

Zug die »Pflichtstationen« ab, soll heißen: Aus- und Umsteigen<br />

nicht erlaubt. Alle Referendar/innen müssen eine<br />

bestimmte Zeit <strong>an</strong>s Zivilgericht, zur Staats<strong>an</strong>waltschaft<br />

und in die Verwaltung. Je<strong>der</strong> Referendar muss bei einem<br />

vertretung machen und soll für eine Haftstrafe<br />

plädieren? Meine AG-Leiter_in/ meine<br />

Stationsausbil<strong>der</strong>_in macht rassistische o<strong>der</strong><br />

sexistische Bemerkungen. Was passiert mir,<br />

wenn ich mich verweigere? Wie gehe ich<br />

damit um, plötzlich Vertreter_in des Staates<br />

zu sein? Und was kommt eigentlich d<strong>an</strong>ach?<br />

Diese Fragen möchten wir gemeinsam mit<br />

euch diskutieren.<br />

Frie<strong>der</strong>ike Wapler Erschienen in Forum Recht 2001, Heft 1<br />

Anwalt o<strong>der</strong> einer Anwältin arbeiten. D<strong>an</strong>ach hat <strong>der</strong> Zug<br />

einen kurzen Aufenthalt beim Prüfungsamt, denn nach<br />

den Pflichtstationen werden die Klausuren für das zweite<br />

Staatsexamen geschrieben. Ist diese Hürde genommen,<br />

kommt die »Wahlstation«. Jetzt fährt je<strong>der</strong> noch ein paar<br />

Monate in eine selbstgewählte Richtung: Herr A macht<br />

Station in <strong>der</strong> benachbarten Anwaltsk<strong>an</strong>zlei, weil er sich<br />

dort nach dem Referendariat eine Anstellung erhofft.<br />

Frau W fliegt zur deutschen Botschaft in Sch<strong>an</strong>ghai und<br />

stellt einreisewilligen Chines/innen Visa aus. Herr G<br />

begibt sich in die Rechtsabteilung eines internationalen<br />

Multikonzerns und zieht dafür sogar freiwillig ein Jackett<br />

<strong>an</strong>. Die Wahlstation bietet diese und noch viele <strong>an</strong><strong>der</strong>e<br />

sp<strong>an</strong>nende Möglichkeiten. Aber eigentlich ist sie nur<br />

ein kleiner individueller Umweg, denn die Endstation<br />

ist für alle gleich: Mündliche Prüfung und Entlassung.<br />

Was d<strong>an</strong>ach kommt, ist ungewiss, doch interessiert uns<br />

<strong>der</strong> Weg - das Referendariat. Es versucht, zwei Dinge<br />

zu vereinbaren, die sich eigentlich gut unter einen Hut<br />

bringen lassen müssten: Die Referendar/innen sollen<br />

einen Einblick in die verschiedenen juristischen Berufe<br />

bekommen, und sie sollen auf das Zweite Staatsexamen<br />

vorbereitet werden, das den vielversprechenden Namen<br />

»Praxisexamen« trägt. Um diese Verzahnung zu erreichen,<br />

haben die Referendar/innen in je<strong>der</strong> Station eine<br />

Ausbil<strong>der</strong>in für die Praxiserfahrungen und eine Arbeitsgemeinschaft<br />

für den theoretischen Unterricht.<br />

Immerhin nicht Kaffee kochen.<br />

Das klingt alles sehr schön, passt jedoch in Wirklichkeit<br />

nicht beson<strong>der</strong>s gut zusammen. Denn in <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />

werden den Referendar/innen viele knifflige,<br />

examensrelev<strong>an</strong>te Probleme präsentiert, die sie<br />

in <strong>der</strong> praktischen Ausbildung nur selten wie<strong>der</strong>finden.<br />

In <strong>der</strong> Zivilstation lernen sie in <strong>der</strong> AG beispielsweise<br />

den diffizilen Umg<strong>an</strong>g mit dem »Versäumnis-Teilurteil<br />

und Schlussurteil« und komplizierte Kostenrechnungen

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