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PREMIEREN - Piper Verlag GmbH

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Sie Glückspilz. Die meisten Menschen haben wohl<br />

eher zuwenig Zeit ...<br />

Ich weiß nicht, ob das so ist. Ich kenne da nur eine<br />

Untersuchung aus den USA. Die besagt, daß man<br />

sich heute weit weniger Zeit für soziale Belange<br />

nimmt als noch vor 30 Jahren. Dafür spenden die<br />

Amerikaner mehr für Bedürftige. Ob das in Europa<br />

ähnlich ist, weiß ich nicht.<br />

Woher rührt denn bloß dieser allgemeine Zeitmangel?<br />

Die Menschen sind – vorausgesetzt, sie sind nicht arbeitslos<br />

– total in ihre Jobs eingebunden. Immer weniger<br />

müssen immer mehr erledigen. Oft sind beide<br />

Partner berufstätig, und wenn dann noch Kinder da<br />

sind, rennt man der Zeit ständig hinterher.<br />

Paradoxerweise stiehlt einem auch die Leichtigkeit<br />

der Kommunikation jede Menge Zeit – Handys,<br />

E-Mails, alles Zeitfresser. Man ist ständig erreichbar,<br />

kann sich kaum noch zurückziehen. Bislang hatte<br />

man wenigstens im Flugzeug seine Ruhe, und jetzt<br />

fangen sie auch dort schon mit dem Internet an.<br />

Da wäre für Sie eine Zeitmaschine geradezu ideal.<br />

Wenn es sie wirklich gäbe, welches Jahrhundert<br />

würde François Lelord buchen?<br />

Die Belle Époque. Alles war im Aufbruch, man gab<br />

sich schon international, es wurde viel erfunden, die<br />

Natur war noch intakt. Ich hätte gern in Wien gelebt.<br />

Auch die Côte d’Azur um 1900 muß wunderschön<br />

gewesen sein. Und das Reisen war noch ein echtes<br />

Abenteuer. Man reiste einfach los, mußte nicht per<br />

Internet im voraus alles recherchieren und reservieren,<br />

dieser ganze Papierkram war damals nicht<br />

nötig. Die Bürokratisierung unseres heutigen Lebens<br />

ist doch fürchterlich!<br />

Leben Sie deshalb die meiste Zeit des Jahres in<br />

Vietnam?<br />

Ich arbeite für eine karitative Stiftung in Saigon, die<br />

von einem französischen Chirurgen gegründet worden<br />

ist. Es handelt sich um ein Herzzentrum, das<br />

Kinder mit Herzfehlern behandelt, deren Familien<br />

sich die Operation nicht hätten leisten können. Ich<br />

bin zwar kein Chirurg, aber dem Institut sind verschiedene<br />

Praxen angeschlossen. In einer davon<br />

arbeite ich als Psychiater. Da ich leider kein Vietnamesisch<br />

spreche, kann ich nur Patienten aus<br />

Europa oder den USA behandeln. Deren Probleme<br />

sind im großen und ganzen die gleichen, wie ich sie<br />

auch bei meinen Patienten in Paris erlebt habe – allgemeine<br />

Störungen, Eheprobleme, Streß mit dem<br />

Job oder in der Familie.<br />

Was fasziniert Sie so an Asien?<br />

Wenn alles neu und fremd um einen herum ist, fühlt<br />

man sich selbst ein wenig wie neugeboren. Ich liebe<br />

Asien – aber es ermüdet mich manchmal auch. Das<br />

Leben kann anstrengend sein, wenn man in einer<br />

völlig fremden Kultur leben muß. Zum Glück habe<br />

ich die Möglichkeit, mich in zwei Welten zu bewegen,<br />

ich komme ja auch immer wieder gern nach<br />

Paris zurück. Als Schriftsteller habe ich das große<br />

Glück, ein Nomadenleben leben zu können. Asien<br />

kann man ohnehin nicht über einen Kamm scheren.<br />

Jedes Land ist anders, Kambodscha hat nichts mit<br />

Vietnam gemein, China nichts mit Thailand. Seien<br />

es die Menschen, ihre Lebensweise, ihre Philosophie,<br />

die Landschaften. Und genau das macht den<br />

Reiz aus. In Europa haben sich die Länder stark<br />

angenähert. Das Leben in Deutschland unterscheidet<br />

sich doch kaum noch von dem in Italien, Frankreich<br />

oder England.<br />

Und warum ausgerechnet Vietnam?<br />

Vietnam ist sehr ländlich. Wie Frankreich oder<br />

Deutschland vor zwei oder drei Generationen, in der<br />

vielbeschworenen »guten, alten Zeit«. In Vietnam<br />

bin ich in einer Welt, wie ich sie noch in meiner<br />

Kindheit erlebt habe. Die Zeit wird für mich sozusagen<br />

zurückgedreht. Das gefällt mir außerordentlich.<br />

Die Menschen leben noch in familiären Strukturen.<br />

Die Älteren werden hoch geachtet, es gibt keine<br />

Altersheime, die Familie kümmert sich um alles.<br />

Und man nimmt sich Zeit füreinander.<br />

Im Frankreich meiner Jugend hatten die Menschen<br />

auch noch mehr Hoffnung, die Stimmung allgemein<br />

war positiver. Wie eben heute in Vietnam. Dabei lebe<br />

ich gar nicht auf dem Land, sondern mitten im<br />

Herzen von Saigon, im amerikanischen Viertel,<br />

gleich gegenüber dem Theater. Ich liebe die Romane<br />

von Graham Greene – und es ist hier alles noch ein<br />

bißchen so wie in seinen Büchern. Zufälligerweise<br />

hat er in derselben Straße gewohnt. Und sogar<br />

meine Wohnung ähnelt den Beschreibungen in seinen<br />

Geschichten. Für einen Graham-Greene-Fan<br />

wie mich kann es also gar nicht besser kommen.<br />

Heißt das, Sie finden die Inspirationen für Ihre<br />

Bücher in Ihrem Wohnzimmer?<br />

(lacht) Schön wär’s! Die Ideen ergeben sich einerseits<br />

aus den Problemen der Menschen, die mich als<br />

Psychiater konsultieren. Aber natürlich sind das<br />

auch alles Dinge, die mich persönlich beschäftigen.<br />

Nehmen wir das Glück – das sucht doch jeder, oder?<br />

Die Liebe! Wer möchte ihr nicht begegnen? Heutzutage<br />

scheint es ja eher selten zu sein, die große Liebe<br />

AUFTRITT<br />

fürs Leben zu finden. Und die Zeit – nun, wem läuft<br />

sie nicht davon?<br />

Ihnen doch anscheinend nicht. Wenn Sie die Uhr<br />

zurückdrehen könnten, würden Sie dann noch<br />

einmal genauso leben?<br />

Das ist eine sehr gute Frage. Da muß ich wirklich<br />

nachdenken. Mein Leben, so wie es ist, macht mir<br />

nämlich durchaus Freude. Es ist schließlich die<br />

Summe der Erfahrungen meines bisherigen Daseins.<br />

Etwas anders machen? Vielleicht hätte ich damals<br />

einen anderen Beruf gewählt, der es mir<br />

ermöglicht hätte, bereits in jungen Jahren viel zu<br />

reisen. Ich reise nun mal schrecklich gern. Aber je<br />

länger ich über Ihre Frage nachdenke, um so weniger<br />

ist es möglich, sie zu beantworten.<br />

Das Glück, die Liebe, die Zeit – was wäre denn als<br />

logische Fortsetzung dieser Reihe das nächste<br />

Abenteuer von Hector?<br />

Das nächste Thema für Hector? Vielleicht Gott?<br />

Nein, ich weiß es wirklich noch nicht. Es wird sich<br />

wieder etwas ergeben, dessen bin ich gewiß. Und<br />

zwar aus meinem Leben heraus. Ich warte mal in<br />

Ruhe ab, was da auf mich zukommt.

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