PREMIEREN - Piper Verlag GmbH
PREMIEREN - Piper Verlag GmbH
PREMIEREN - Piper Verlag GmbH
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>PREMIEREN</strong> SPEZIAL<br />
Der talentierte Mr. Moers<br />
Fotos von ihm sind echte Mangelware, sein Privatleben ist tabu:<br />
Dafür sind die skurrilen Geschöpfe des Schriftstellers und Comic-<br />
zeichners Walter Moers um so bekannter.<br />
»Es dauert lange, bis man jung<br />
wird«, hat Picasso einmal gesagt.<br />
Der in Mönchengladbach geborene<br />
Walter Moers, Jahrgang 1957,<br />
ist dafür das beste Beispiel: Mit 27<br />
veröffentlichte er den ersten Comic,<br />
beim Romandebüt »Die 13½<br />
Leben des Käpt’n Blaubär« war er<br />
Anfang 40. Mittlerweile marschiert<br />
er stramm auf die 50 zu – und<br />
produziert einem Füllhorn<br />
gleich feinste Flunkerphantastik.<br />
Nur ein kreativer Kindskopf<br />
kreiert Tratschwellen, die<br />
Schiffbrüchige um den Verstand<br />
plappern. Oder ein schizophrenes<br />
Schwert, das mit sich selbst<br />
Rededuelle ausficht.<br />
An Wunderwesen mangelt es<br />
auch im »Schrecksenmeister«<br />
nicht. Die haben im fünften Zamonien-Roman<br />
alle mit Alchimie<br />
und Kochen, mit Essen und dem<br />
Genießen zu tun: blutsaufende<br />
Gebunden € 19.90 (D) / € 20.50 (A) / sFr 34.70, Nov.<br />
Die Kratze Echo<br />
läßt das Mausen nicht:<br />
Ein neues Wesen aus dem<br />
genialen zamonischen<br />
Kosmos.<br />
Ledermäuse, unsichtbarer Kaviar<br />
vom Tarnkappenstör, ein gekochtes<br />
Gespenst.<br />
»Der Schrecksenmeister« ist ein<br />
kulinarisches Märchen. Ein derart<br />
sinnliches Buch, daß man nicht<br />
nur Appetit bekommt, sondern<br />
versteht, warum die halbverhun-<br />
gerte Kratze Echo – eine Katze, die<br />
sprechen kann – einen Teufelspakt<br />
schließt. Echo läßt sich vom<br />
tyrannischen Schrecksenmeister<br />
Succubius Eißpin vor dem qualvollen<br />
Hungertod retten und bis<br />
zum nächsten Schrecksenmond<br />
mästen. Dann aber verlangt er<br />
Echos Fett – und damit geht es<br />
doch ans Leben. Eißpins Plan:<br />
Kratzenfett, freiwillig gegeben,<br />
kann eine Seele binden; die letzte<br />
fehlende Ingredienz des Alchimisten,<br />
um Herr über Leben und<br />
Tod zu werden.<br />
Ganz wie »Die Stadt der Träumenden<br />
Bücher« – diese großartige Liebeserklärung<br />
an die Literatur und<br />
das Lesen – ist es ein Buch aus<br />
Büchern. Anagrammatiker werden<br />
den Verfasser Gofid Letterkerl<br />
leicht entschlüsseln. Wer Gottfried<br />
Kellers Novelle »Spiegel, das<br />
Kätzchen« kennt, errät auch alle<br />
anderen Anspielungen – und kann<br />
ermessen, wie kongenial Moers<br />
diese Vorlage seinem Zamonien<br />
buchstäblich einverleibt.<br />
»Im Führerbunker brennt noch<br />
Licht«, schreibt Moers. Lakonischer<br />
kann man den 30. April 1945<br />
nicht auf den Punkt bringen. Und<br />
auf den Kopf stellen. Keine Spur<br />
von »Untergang«. Hitler harrt unbeirrt<br />
aus: Geschötzt onter drei<br />
Meter germanischem Stahlbätong,<br />
will er den Kräg doch noch gewinnen<br />
– auch ohne Bänzin.<br />
Hatte Moers in den ersten beiden<br />
»Adolf«-Parodien Hitler auf abstruse<br />
Welt- und Zeitreisen geschickt,<br />
so ist nun die Welt zu Gast<br />
beim Menschenfeind. Gandhi,<br />
maskiert als Michael Jackson,<br />
kommt vorbei, Göring, verkleidet<br />
als Eva Braun, der Tod und Gott,<br />
ständig piepst das Handy, klingelt<br />
es an der Bunkertür – alle wollen<br />
Frieden mit ihm machen. Doch<br />
Adolf, die alte Nazi-Sau, will einfach<br />
nicht kapitulieren.<br />
»Der Bonker« überzeichnet genauso<br />
wie »Das kleine Arschloch«.<br />
Das letzte, was Moers interessiert,<br />
sind politisch korrekte,<br />
also humorlose Leser. In diesem<br />
Punkt dürfte er sich mit allen satirischen<br />
Diktatoren-Interpreten von<br />
Charlie Chaplin bis Mel Brooks<br />
einig wissen.<br />
Zugleich liegen die wirklich komischen<br />
Momente in einem Dialog-<br />
und Wortwitz, bei dem der<br />
»Comicer« Moers sichtlich vom<br />
Schriftsteller Moers profitiert.<br />
Etwa bei einem »Telefonstreich«<br />
Churchills, Running Gag des<br />
Buchs, der ein Interview vortäuscht<br />
und auf die Frage nach<br />
der politischen Richtung ein zögerliches<br />
»Äh, äher rächts« zur<br />
Antwort bekommt. Oder in den<br />
Zeichnungen des Alltags-Hitlers.<br />
Denn wie meldet sich eigentlich<br />
der Führer? Hörer am Ohr, den<br />
Blick erwartungsvoll ins Leere gerichtet<br />
– und in der Sprechblase<br />
steht einfach nur »Hitler?«.<br />
Vollends ad absurdum comicum<br />
führt den Gröfaz das zweiminütige<br />
Video auf der Bonus-DVD – mit<br />
Thomas Pigor, einem der feinsinnigsten<br />
Chansonniers und Kabarettisten,<br />
als Sänger. Es zeigt<br />
Trotzkopf Adolf privatissimo auf<br />
dem Badezimmerthron – schwarzer<br />
Humor ist eben immer noch<br />
die beste Arznei gegen die braune<br />
Banalität des Bösen. ■<br />
Schaut ganz schön dumm aus der<br />
Wäsche beziehungsweise dem<br />
Bonker: Hitler, wie Moers ihn sieht.<br />
SP 4397. € 9.90 (D) / € 10.20 (A) / sFr 18.-<br />
SP 4370. € 9.95 (D) / € 10.30 (A) / sFr 18.-<br />
Gebunden € 14.90 (D) / € 15.40 (A) / sFr 26.30<br />
70 PIPER <strong>PREMIEREN</strong><br />
PIPER <strong>PREMIEREN</strong> 71