(2,36 MB) - .PDF - Stockerau
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Es war im Jahre 1012, als eines<br />
Abends ein Fremder in eine <strong>Stockerau</strong>er<br />
Herberge trat und den Wirt in<br />
einer Sprache anredete, die weder<br />
dieser noch einer seiner Gäste verstand.<br />
Weil aber um die damalige<br />
Zeit die benachbarten Ungarn die<br />
Ostmark mit ihren Einfällen bedrohten<br />
und verkleidete ungarische<br />
Kundschafter keine Seltenheit waren,<br />
hielten die <strong>Stockerau</strong>er Herbergsleute<br />
den Fremden für einen Spion<br />
und brachten ihn zum Dorfrichter,<br />
der ihn von seinen Knechten fesseln<br />
und in den Kerker abführen ließ. Das<br />
Verhör, dem der Pilgrim am nächsten<br />
Tage unterzogen wurde, war kurz.<br />
Wiederholt beteuerte der schottische<br />
Wandersmann seine Unschuld, immer<br />
wieder verwies er auf seine<br />
königliche Abstammung und auf<br />
den Umstand, dass er auf der Heimreise<br />
vom Heiligen Lande sei, doch<br />
niemand verstand ihn. So wurde er,<br />
da man ihn für verstockt hielt, nach<br />
qualvollen Martern zum Henkertode<br />
verurteilt, gerichtet und sein Leichnam<br />
den Raben preisgegeben.<br />
Lange mochte er gehangen haben,<br />
allen Wetterunbilden zum Trotz;<br />
denn der Körper verweste nicht, er<br />
behielt seine frische Lebensfarbe.<br />
Diese Tatsache erregte Aufsehen<br />
unter den <strong>Stockerau</strong>ern und ihr Er-<br />
22<br />
GESCHICHTE<br />
Sankt Koloman<br />
staunen wuchs, als eines Tages ein<br />
Bürger berichtete, dass der blattlose,<br />
dürre Baum, an dem der Leichnam<br />
des Gerichteten hing, von neuem<br />
grüne und blühe und der Ast, der<br />
den Prinzen hielt, die ersten Knospen<br />
treibe.<br />
Das Ereignis ließ manchen Bürger<br />
zweifeln an der Schuld des Fremdlings<br />
und bald fanden sich einige<br />
gerecht denkende Männer, die den<br />
Leichnam unter dem Baume bestatteten.<br />
Zwei Jahre waren seither vergangen,<br />
niemand mehr gedachte des einsamen<br />
Grabes draußen im Auwald.<br />
Da trat die Donau aus ihrem Bette<br />
und überschwemmte weithin das<br />
Land; auch die <strong>Stockerau</strong>er litten<br />
schwer unter der Gewalt und Verheerung<br />
der Wogen. Doch siehe vor<br />
einem Orte machten die Fluten halt;<br />
es war Kolomans Grab, vor dem sie,<br />
scheu zurückweichend, sich mauergleich<br />
auftürmten.<br />
Von diesem Geschehnis erhielt auch<br />
Markgraf Heinrich Kunde, der sich<br />
ausführlich Bericht erstatten ließ.<br />
Später ließ er den Leichnam ausgraben,<br />
der war noch immer unverwest<br />
und strömte einen gar herrlichen<br />
Duft aus. Auf Heinrichs Befehl<br />
wurde Kolomans Leiche im Jahre<br />
1014 nach Melk übergeführt und<br />
dort in ein prachtvolles Grab gelegt,<br />
wobei noch manch Wunder geschehen<br />
sein soll.<br />
Zur selben Zeit langte an der Donau<br />
Kolomans treuer Diener Gotthalm<br />
an, der, von heißer Sorge um seinen<br />
Herrn erfüllt, diesem unter unsäglichen<br />
Mühen nachgezogen war. Als<br />
der treue Alte vom Tode seines Herrn<br />
erfuhr, starb er gebrochenen Herzens,<br />
auch er wurde in Melk begraben.<br />
An der Stelle, wo Koloman den Tod<br />
erlitten hatte am heutigen Aurand<br />
gegen Zögersdorf, wurde dann eine<br />
Kapelle errichtet, später zu einer<br />
Kirche erweitert und dazu ein Franziskanerkloster<br />
gebaut, das bis zum<br />
Jahre 1783 bestand und von Josef<br />
II. aufgehoben wurde. Von der alten<br />
Klosterkirche ist nichts mehr erhalten,<br />
vom Kloster selbst nur mehr<br />
ein kleiner Teil.<br />
Aus: H. Huber und Jos. Zaural,<br />
Volkssagen aus dem Bezirk Korneuburg,<br />
Graz 1926, S 101 ff