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BauR 8/2010 LEMBCKE<br />
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator Moritz Lembcke, Hamburg<br />
Adjudikation verfassungswidrig?<br />
Der AKVII hat im Rahmen <strong>de</strong>s 3. Deutschen<br />
Baugerichtstages (DBGT) seine Empfehlungen<br />
an <strong>de</strong>n Gesetzgeber für ein gesetzliches Adjudikations-Verfahren<br />
weiter konkretisiert und<br />
erstmalig eine vertragliche Lösung diskutiert.<br />
Demnach sollen die Anbieter von außergerichtlichen<br />
Streitbeilegungsverfahren eine gemeinsame<br />
Verfahrensordnung unter Berücksichtigung<br />
<strong>de</strong>r Adjudikations-Ordnung für Baustreitigkeiten<br />
<strong>de</strong>s DBGT (AO-Bau-E/DBGT), <strong>de</strong>r<br />
Streitlösungsordnung <strong>de</strong>r Deutschen Gesellschaft<br />
für Baurecht (SL-Bau) und <strong>de</strong>r Schiedsgutachten-Ordnung<br />
<strong>de</strong>r Deutschen Institution<br />
für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS-SchGO) entwickeln<br />
[1]. Während die Empfehlungen für ein<br />
gesetzliches Adjudikations-Verfahrens <strong>auf</strong> <strong>de</strong>m<br />
2. DBGT noch einstimmig verabschie<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n,<br />
mel<strong>de</strong>ten sich nunmehr auch kritische<br />
Stimmen zu Wort: Adjudikation sei verfassungswidrig.<br />
Es „erscheint unter keinem <strong>de</strong>nkbaren<br />
Gesichtspunkt tragfähig und ist auch<br />
rechtsstaatlich be<strong>de</strong>nklich“ [2].<br />
Betrachtet man hingegen die Rechtswirklichkeit,<br />
so muss ernüchternd festgestellt wer<strong>de</strong>n,<br />
dass Baustreitigkeiten nicht mehr justiziabel<br />
sind. Der in Gefahr gesehene Rechtsstaat wird<br />
zunehmend zum Problem. Er hat jahrzehntelange<br />
und unkalkulierbare Bauprozesse hervorgebracht,<br />
<strong>de</strong>ren Kosten im Verhältnis zum Streitwert<br />
entgegen „jeglicher wirtschaftlicher Vernunft“<br />
[3] stehen. Er ist „ineffektiv und unökonomisch“<br />
[4]. Es stellt sich daher die Frage, ob<br />
im Hinblick <strong>auf</strong> die ebenfalls aus <strong>de</strong>m Justizgewähranspruch<br />
quellen<strong>de</strong> Garantie eines effektiven<br />
Rechtsschutzes <strong>de</strong>r Gesetzgeber dazu verpflichtet<br />
ist, ergänzend zum staatlichen Bauprozess<br />
alternative Streitbeilegungsverfahren zu<br />
regeln, um <strong>de</strong>n Justizgewähranspruch wie<strong>de</strong>r<br />
herzustellen.<br />
I. Gesetzliche Adjudikation<br />
1. Justizgewähranspruch<br />
a) Verfassungsrechtliche Grundlage<br />
Nach Ansicht <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts<br />
vermittelt das Rechtsstaatsprinzip einen<br />
Anspruch <strong>auf</strong> Rechtsschutz durch unabhängige<br />
Gerichte, <strong>de</strong>r als Justizgewährleistungsanspruch<br />
bezeichnet wird [5]. In Art.19<br />
1122<br />
Abs.4 GG und Art.92 GG ist dieser Anspruch<br />
speziell geregelt.<br />
Auf die Regelung eines gesetzlichen ADR-Verfahrens<br />
fin<strong>de</strong>t Art.19 Abs.4 GG jedoch keine<br />
Anwendung. „Der Gewährleistungsbereich <strong>de</strong>s<br />
Art.19 Abs. 4 GG ist bereits nicht berührt. Art.19<br />
Abs.4 GG gewährleistet <strong>de</strong>n Rechtsweg nur<br />
gegenüber Maßnahmen <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt.<br />
Der Zugang zu <strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlichen Gerichten<br />
in Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zwischen Privatpersonen<br />
ist nicht Gegenstand dieser Gewährleistung.<br />
Insoweit ist vielmehr <strong>de</strong>r allgemeine Justizgewährleistungsanspruch<br />
maßgeblich, <strong>de</strong>r<br />
seine Grundlage in Art.2 GG i.V.m. <strong>de</strong>m<br />
Rechtsstaatsprinzip hat“[6].<br />
Für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Zivilrechts folgt aus <strong>de</strong>m<br />
allgemeinen Rechtsstaatsprinzip „ein Anspruch<br />
<strong>auf</strong> Zugang zu staatlichen Gerichten,<br />
grundsätzlich umfassen<strong>de</strong> tatsächliche und<br />
rechtliche Prüfung <strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s<br />
nach Maßgabe <strong>de</strong>s jeweiligen Prozessrechts<br />
sowie eine verbindliche gerichtliche Entscheidung“<br />
[7].<br />
Ein vollständiger Ausschluss gerichtlicher<br />
Kontrolle [8] … etwa durch Verwaltungsbehör<strong>de</strong>n<br />
[9] … ist unzulässig, „<strong>de</strong>nn eine je<strong>de</strong>rzeit<br />
frei zugängliche funktionsfähige Justiz ist unerlässlich<br />
zumin<strong>de</strong>st als Orientierungshilfe, aber<br />
auch als eine Art Sicherheitsnetz“ [10]. So wäre<br />
[1] Alle Verfahrensordnungen veröffentlicht unter www.baukonfliktmanagement.com.<br />
Auch eine Kommentierung <strong>de</strong>r AO-Bau-E/DBGT<br />
steht dort zur Verfügung.<br />
[2] Vygen/Joussen, Bauvertragsrecht, Rdnr. 3287. Verhaltener jedoch<br />
Joussen, BauR 2010, 518, 518; Vorwerk, vgl. Jackisch, DS<br />
2010, 164, 164.<br />
[3] Zerhusen, Außergerichtliche Streitbeilegung, Rdnr.13.<br />
[4] Kraus, in: Haft/Schlieffen, §22 Rdnr.11.<br />
[5] BVerfG, Beschluss v. 12. 2.1992 … 1 BvL 1/89 …, BVerfGE 85,<br />
337, 345 f.; BVerfG, Beschluss v. 20. 6.1995 … 1 BvR 166/93 …, BVerf-<br />
GE 93, 99, 107; BVerfG, Beschluss v. 27.1.1998 … 1 BvL 15/87 …,<br />
BVerfGE 97, 169, 185; BVerfG, Urteil v. 7.12.1999 … 2 BvR 1533/94 …,<br />
BVerfGE 101, 275, 294 f.; BVerfG, Beschluss v. 30. 4. 2003 … 1 PBvU<br />
1/02 …, BVerfGE 107, 395, 401; BVerfG, Beschluss v. 7.10. 2003 … 1<br />
BvR 10/99 …, BVerfGE 108, 341, 347.<br />
[6] BVerfGE, Beschluss v. 14. 2.2007 … 1 BvR 1351/01 …, Juris<br />
Rdnr. 24 = NJW-RR 2007, 1073, 1073 ff.<br />
[7] Grzeszick, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Lfg. 48, VII Art 20<br />
Rdnr.133.<br />
[8] Papier, HStR VI, 2.Aufl., 2001, §153 Rdnr.12. Zu Art.19 Abs. 4,<br />
vgl. BVerfG, Beschluss v. 18.1. 2000 … 1 BvR 321/96 …, BVerfGE 101,<br />
397, 407.<br />
[9] Hillgruber, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Lfg. 51, Art. 92<br />
Rdnr. 55.<br />
[10] Hoffmann-Riem, ZRP 1997, 190, 197f.; Hoffmann-Riem, JZ<br />
1999, 421, 421; eingehend Hager, Konflikt und Konsens, S. 51 ff.