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aia 1 pdf - Slavko Kacunko

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the complete<br />

artintact<br />

komplett<br />

Textarchiv<br />

Vol.1–5 1994–1999


artintact1<br />

CD-ROMagazin<br />

interaktiver Kunst<br />

ZKM/Zentrum<br />

für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Artists’ interactive<br />

CD-ROMagazine<br />

ZKM/Center<br />

for Art and Media<br />

Karlsruhe<br />

Hatje Cantz [1994/2002]


artintact 1<br />

Inhalt<br />

7<br />

Editorial<br />

9<br />

Ars ex machina<br />

Dieter Daniels<br />

Bill Seaman: The Exquisite<br />

Mechanism of Shivers<br />

19<br />

Bill Seaman: Ex.Mech<br />

Dieter Daniels


Jean-Louis Boissier:<br />

Flora petrinsularis<br />

31<br />

Zwei Arten Bücher<br />

zu machen<br />

Jean-Louis Boissier<br />

Eric Lanz:<br />

Manuskript<br />

45<br />

L/Lanz<br />

Anne-Marie Duguet<br />

55<br />

Biografische Notizen:<br />

Künstler<br />

62<br />

Biografische Notizen:<br />

Autoren<br />

64<br />

Impressum<br />

artintact 1


Als Stiftung des öffentlichen Rechts 1989<br />

gegründet, ist das ZKM/Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie Karlsruhe eine<br />

bedeutende institutionelle Initiative zur<br />

Förderung der Produktion und Präsentation<br />

von Medienkunst im Bild- und Musikbereich.<br />

Innerhalb des ZKM konzentriert<br />

sich das Institut für Bildmedien auf Forschung<br />

und Entwicklung in den Bereichen<br />

Computergrafik, Multimedia, Telekommunikation,<br />

Interaktivität, Simulation und<br />

Virtual Reality. Professionelle Künstler aus<br />

der ganzen Welt werden eingeladen, die<br />

hier zur Verfügung gestellten intellektuellen<br />

und technischen Ressourcen zu nutzen.<br />

Viele der am ZKM arbeitenden Künstler<br />

entwickeln interaktive Installationen, die<br />

nur ein relativ kleines Publikum durch<br />

Ausstellungen in Museen, bei Festivals oder<br />

Konferenzen erreichen können. Das Aufkommen<br />

der CD-ROM-Technologie bietet<br />

erstmals ein potentielles Massenmedium für<br />

die Publikation interaktiver Kunstwerke.<br />

Das ZKM hat ein Multimedia-Laboratorium<br />

mit Ausstattung für die Produktion<br />

von CD-ROM aufgebaut. Durch enge Zusammenarbeit<br />

mit dem Cantz Verlag<br />

konnte das CD-ROM-Magazin artintact eingeführt<br />

werden. Es ermöglicht den Gastkünstlern<br />

des ZKM, interaktive Arbeiten zu<br />

kreieren und zu veröffentlichen.<br />

Zwar sind Umgebung und Kontext<br />

der CD-ROM durch den Monitor auf dem<br />

Schreibtisch und die Maus als standardisiertes<br />

Interface festgelegt, dennoch hat die<br />

Editorial<br />

Möglichkeit zur Verbreitung als Massenprodukt<br />

viele Künstler gereizt, eine andere<br />

Version ihrer ursprünglichen Installation<br />

für dieses kompaktere Medium zu entwickeln.<br />

Durch die Abstimmung auf das<br />

CD-ROM-Format sind Arbeiten entstanden,<br />

die wirkungsvolle neue und eigenständige<br />

Kunstwerke sind. Wir sind überzeugt, daß<br />

der Erfolg dieser ersten Versuche andere<br />

Künstler inspirieren wird, die CD-ROM als<br />

gegeigneten Kontext künstlerischen Ausdrucks<br />

zu nutzen. Ohne die Hypertext-<br />

Möglichkeiten der CD-ROM zu leugnen,<br />

haben wir uns entschieden, artintact mit<br />

dem traditionellen Printmedium Buch zu<br />

verbinden, in dem wissenschaftliche Essays<br />

und Abbildungen die interaktiven Kunstwerke,<br />

die auf der CD-ROM präsentiert<br />

werden, begleiten. Somit wird die cd zur<br />

›Galerie‹ und das Buch zum ›Katalog‹.<br />

CD-ROM ist eine der ersten von vielen<br />

neuen Formen des information-highway,<br />

der die Modalitäten von Präsentation,<br />

Publikation und Rezeption/Konsum von<br />

Medienkunst in der nahen Zukunft radikal<br />

erweitern wird. Diese medien-extensive<br />

und letztendlich telematische Verbreitung<br />

von Kunst schafft ein ›virtuelles Museum‹,<br />

das universell zugänglich ist und an den<br />

aktuellen kulturellen Diskursen teilnehmen<br />

läßt.<br />

Jeffrey Shaw<br />

Leiter des Instituts für Bildmedien<br />

am ZKM<br />

7<br />

artintact 1


Ars ex machina<br />

Von Dieter Daniels<br />

›Kann eine CD-ROM ein Kunstwerk sein?‹ Dies mag eine unsinnige Frage<br />

sein, doch sie wird sich zu Beginn eines Projektes wie artintact kaum vermeiden<br />

lassen.<br />

Wenn wir Zuflucht bei der Kunstgeschichte als zuständiger Disziplin<br />

suchen, stellen wir fest, daß es viele Wege und Perspektiven gibt, unter<br />

denen die Geschichte der Kunst durchquert und dargestellt werden kann.<br />

Eine dieser Möglichkeiten ist die Entwicklung der Techniken und Medien<br />

der Kunst. Neben der Ikonografie und der Stilgeschichte ist in letzter Zeit<br />

der Aspekt der Mediengeschichte immer deutlicher in den Vordergrund<br />

gerückt, vor allem hinsichtlich der Frage, inwieweit die Techniken und<br />

Medien die Inhalte der Kunst beeinflussen oder sogar bestimmen.<br />

Dieser Zusammenhang zeigt sich schon lange vor den elektronischen<br />

Medien. Zum Beispiel läßt sich die Entwicklung der druckgrafischen<br />

Techniken – vom Holzschnitt über Kupferstich und Radierung bis zu<br />

Siebdruck und Offset – in enge Beziehung zur sozialen und politischen<br />

Rolle der Künste stellen. Vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist es<br />

ein wesentliches Charakteristikum der Avantgarde, daß Künstler auf die<br />

medialen Bedingungen von Kunst reagieren und sie gezielt verändern und<br />

erweitern. Von den Collagen und Montagen des Kubismus, Futurismus<br />

und Dadaismus bis zu den neuen Formen der 1960er Jahre (Environment,<br />

Installation, Multiple, Performance, Expanded Cinema, Videokunst)<br />

9<br />

artintact 1


10<br />

artintact 1<br />

zieht sich eine Entwicklungslinie, die immer wieder nach der Rolle der<br />

Kunst in einer durch Massenmedien bestimmten Gesellschaft fragt.<br />

Die Geschichte der Avantgarde läßt sich darstellen als eine permanente<br />

Selbstanalyse der Kunst in bezug auf die wissenschaftlichen, technischen<br />

und medialen Innovationen des 20. Jahrhunderts. Aus dieser Selbstanalyse<br />

resultieren unter anderem folgende Erkenntnisse: Das benutzte Medium<br />

bestimmt den kulturellen Kontext, in dem das Werk wahrgenommen<br />

wird. Und: Jedes neue Medium trägt in sich den Anspruch auf eine neue<br />

Definition der sozialen Rolle und ästhetischen Funktion von Kunst.<br />

Dies hat Walter Benjamin bereits in den 1930er Jahren schlüssig zusammengefaßt,<br />

wenn er schreibt, daß ›man vordem vielen vergeblichen<br />

Scharfsinn an die Entscheidung der Frage gewandt hatte, ob die Photographie<br />

eine Kunst sei – ohne sich die Vorfrage gestellt zu haben: ob nicht<br />

durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst<br />

sich verändert habe...‹ 1<br />

Die unvermeidlich auftauchende Frage ›Kann eine CD-ROM ein Kunstwerk<br />

sein?‹ ist also weder durch technische Spezifikationen noch durch<br />

den Verweis auf prominente Künstlernamen zu erledigen. Sie richtet sich<br />

auf die Grenzen unserer Terminologie, die durch dieses neue Medium<br />

einer Überprüfung unterzogen werden muß. Wie nennen wir den Menschen,<br />

der eine CD-ROM verwendet: Betrachter, Leser, Benutzer, user?<br />

Und wie den, der eine CD-ROM macht: Künstler, Autor, Regisseur, Designer,<br />

Produzent?<br />

Wir versuchen also, unsere gewohnten kulturellen Paradigmen der<br />

1. Walter Benjamin: ›Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.‹<br />

– Illuminationen, Frankfurt a. M., 1977, S. 149.


Gattungen Literatur, Film und Kunst in irgendeiner Form auf das neue<br />

Medium zu übertragen, ohne ihm damit gerecht werden zu können. Dies<br />

ist jedoch nicht nur ein Streit um Worte. Es zeigt sich, daß die Gattungen<br />

und Kategorien so stark die ästhetische Wahrnehmung prägen, daß es<br />

schwierig ist, zu einer interdisziplinären Ästhetik zu gelangen, wie sie<br />

multimediale Kunstformen fordern. Die ästhetische Theoriebildung ist<br />

dabei weit hinter der künstlerischen Praxis zurück, denn viele wesentliche<br />

Impulse der Avantgarde dieses Jahrhunderts sind gerade aus einer Interferenz<br />

der Gattungen entstanden. So kam es durch die Begegnung von Impulsen<br />

aus Literatur und Kunst zu einem neuen Verhältnis von Bild und<br />

Schrift in den Werken Mallarmés, den Wortcollagen der Kubisten, den<br />

Kalligrammen Apollinaires, den Parole in Libertà der Futuristen und der<br />

neuen Typografie des Dadaismus, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />

Da alle Beiträge der vorliegenden CD-ROM-Edition aus Installationen<br />

hervorgegangen sind, die als räumliche Situationen im Umfeld der bildenden<br />

Kunst stehen, können wir sie in diesem Kontext diskutieren. Für<br />

den Käufer, der die Datenstruktur, die vorher als Installation im Museum<br />

gezeigt wurde, nun als Edition auf einer silbernen Scheibe im Buchladen<br />

oder Softwareshop erworben hat und sie zu Hause in seinem Bücherregal<br />

oder neben seinen Game-CDs aufbewahrt, ergeben sich jedoch vermutlich<br />

mehr Verbindungen zum Buch oder zu Videospielen als zum Museum.<br />

Und wenn sich in Zukunft das Medium CD-ROM auch nur als Übergang<br />

erweist und wir ähnliche Datenstrukturen on-line durch das Netzwerk erhalten<br />

und deshalb auf solch nette Begleitpublikationen wie das Buch, das<br />

Sie in Händen halten, verzichten müssen – welchem Kontext ordnen wir<br />

das Ganze dann zu?<br />

Der Erfolg der elektronischen Medien beruht auf der Ubiquität ihrer<br />

Inhalte. Dies bedingt eine immanente Tendenz zur Auflösung jeglicher<br />

11<br />

artintact 1


12<br />

artintact 1<br />

kulturell bestimmten Kontexte. Die Verwendung elektronischer Medien<br />

durch Künstler nutzt diese Tendenz zur Auflösung des Kontextes, um<br />

dem als einengend oder wirkungslos empfundenen institutionellen Rahmen<br />

von bildender Kunst zu entkommen. Zugleich leidet die Medienkunst<br />

aber an der Ubiquität der Medien und versucht, sich an skulpturale<br />

und raumbezogene Präsentationen zu klammern, wie sie der problematische<br />

Begriff ›Videoskulptur‹ verkörpert, um nicht ihren fragilen Diskurs-<br />

Hintergrund im kleinen, elitären Bereich der zeitgenösssischen Kunst zu<br />

verlieren.<br />

Dieser Zwiespalt kennzeichnet schon lange vor den elektronischen<br />

Medien alle Versuche, mit neuen Techniken neue Multiplikationsformen<br />

und Distributionswege für Kunst zu finden. Das Problem liegt immer<br />

wieder darin, dem Kult des Originals eine Absage zu erteilen, ohne dabei<br />

aus dem System der Kunst herauszufallen. In den 1960er Jahren gab es<br />

mehrere Ansätze in dieser Richtung, wie etwa die von Daniel Spoerri<br />

begründete Edition mat oder die von George Maciunas edierten Fluxus-<br />

Boxen. Die kinetischen Auflage-Objekte der Edition mat und die für<br />

wenige Dollar per Mailorder angebotenen spielerischen Fluxuseditionen<br />

enthalten bereits den Ansatz zum interaktiven Kunstwerk, das sich erst<br />

dem individuellen Benutzer erschließt und deshalb mehr für den Heimgebrauch<br />

als fürs Museum geschaffen ist. So kann man mittels Jean<br />

Tinguelys Constante indeterminée (Edition mat 1960) kleine alltägliche<br />

Objekte durch schnelle Rotation in virtuelle Volumina verwandeln. Oder<br />

man läßt durch die Kombination zweier Spieluhren in einer Flux-Musicbox<br />

von Joe Jones eine im Prinzip unbegrenzte Zahl neuer Kompositionen<br />

ablaufen. Die Idee des Kunstwerks als interaktives Erfahrungsstück<br />

ist hier bereits vor allen elektronischen Medien realisiert.<br />

Letztlich waren diese Ansätze jedoch wenig erfolgreich, da sie nicht


wirklich in die Alltagskultur vordrangen und schließlich doch der Musealisierung<br />

anheim fielen. Der Prototyp für all diese Versuche und zugleich<br />

für ihr Scheitern sind zweifellos Duchamps Rotoreliefs, ein Set von bedruckten<br />

Pappscheiben, die, auf dem heimischen Plattenteller in Rotation<br />

versetzt, jeweils bestimmte optische Effekte erzeugen. Duchamp hatte in<br />

den 1930er Jahren tatsächlich die Hoffnung, diese Scheiben als preiswertes<br />

Massenprodukt zu vermarkten, was jedoch schon beim allerersten Testlauf<br />

auf der Pariser Erfindermesse des Concours Lepiné 1935 zum völligen<br />

Mißerfolg geriet. Sowohl die Rotoreliefs als auch die Edition mat und die<br />

Fluxusboxen waren Versuche, ein neues Genre oder Medium zu lancieren,<br />

das nicht in die bestehenden Distributionsstrukturen von Kunst paßt<br />

– aber diese letztlich weder überwinden noch verändern konnte.<br />

Vor allem die Rotoreliefs haben überraschende Parallelen zur Idee von<br />

Kunst auf CD-ROM, versuchte Duchamp doch, mit diesen Scheiben eine<br />

neue ›Software‹ auf den Markt zu bringen, die den sonst nur akustisch<br />

funktionierenden Plattenspieler in ein audiovisuelles, d.h. ›multimediales‹<br />

Gerät verwandelt. Tatsächlich vollzieht sich heute die Verwandlung der<br />

vor zehn Jahren auf den Markt gebrachten Audio-cd in einen multimedialen<br />

Datenträger als CD-ROM. Damit hören die Parallelen aber schon auf,<br />

denn Duchamps wenig erfolgreiches Experiment ist natürlich völlig irrelevant<br />

für den CD-ROM-Boom. Es fällt schwer, beides überhaupt zu vergleichen,<br />

da es keinen gemeinsamen Hintergrund gibt. Dies zeigt die generelle<br />

Schwierigkeit, künstlerische Modelle und Visionen in Beziehung zur<br />

industriellen und technologischen Realität zu setzen – sogar wenn die<br />

künstlerische Vision der Technologie um Jahrzehnte vorausgeeilt ist.<br />

Die Idee, Kunst auf CD-ROM zu publizieren, trägt in sich die Geschichte<br />

dieser erprobten, erfüllten oder enttäuschten Versuche einer Grenzüber-<br />

13<br />

artintact 1


14<br />

artintact 1<br />

schreitung. Sie unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von<br />

allen bisherigen Ansätzen: sie versucht ihr Ziel nicht über die Herstellung<br />

und Verbreitung einer neuen Form von Objekten zu erreichen, sondern<br />

ihre Produkte sind kompatibel zu einem Massenmedium, das derzeit<br />

einen großen Zuwachs in seiner Verbreitung erlebt. Kunst auf CD-ROM<br />

hat somit die Chance, an der Ubiquität der elektronischen Medien teilzuhaben.<br />

Daß die Wahrnehmung dieser Chance nicht nur eine Frage der verwendeten<br />

Technik, sondern auch der kulturellen Bedingungen ist, zeigt die<br />

Entwicklung der Videokunst. Als Künstler Mitte der 1960er Jahre begannen,<br />

mit Video zu arbeiten, trafen sie im Fernsehen bereits auf einen übermächtigen<br />

Gegner, der institutionell und kommerziell schon lange vor der<br />

Erfindung von Video etabliert wurde. Die anfangs technisch primitiven<br />

Produkte der Videokünstler hatten nie die Chance, wirklich in die Massenmedien<br />

vorzudringen. Als Anfang der 1980er mit der Verbreitung des<br />

Heimvideomarkts erstmals eine Alternative zum tv entstand, waren die<br />

wesentlichen Entwicklungen der Videokunst bereits in eine andere Richtung<br />

verlaufen.<br />

Die Anfänge von Kunst auf CD-ROM treffen insofern auf eine andere<br />

Situation, als der Markt für digitale Datenträger sich gerade erst entwickelt<br />

und seine offene Struktur genug Nischen für kulturelle Zwecke<br />

bietet – und zu mehr als einer Nische wird es Kunst auf dem CD-ROM-<br />

Markt gewiß nie bringen. Vor allem aber hat sich die gesamte Tendenz der<br />

Medienentwicklung verändert: an die Stelle der flächendeckenden, alles<br />

beherrschenden Massenmedien tritt durch die Vielfalt digitaler Techniken<br />

immer stärker eine Individualisierung einzelner Bereiche. Das Fernsehen<br />

wird sich in Zukunft zu einem interaktiven, breit gestreuten multimedialen<br />

Angebot verändern.


Einer der zentralen Punkte der zukünftigen Medienentwicklung liegt<br />

im Bereich der Gestaltung des Interface, also derjenigen Stelle, an der<br />

Mensch und Maschine in Dialog treten. Der Weg zu einem intuitiven Umgang<br />

mit solchen Benutzeroberflächen und die Entwicklung neuer, nichtlinearer<br />

Darstellungsformen von audiovisuellen Welten ist zugleich eine<br />

der wenigen Stellen, wo künstlerische Arbeit noch eine Rolle bei der Medienentwicklung<br />

spielen kann.<br />

Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Alle drei Künstlerbeiträge auf<br />

artintact befassen sich mit der Relation von Text und Bild – und jeder<br />

liefert neue Vorschläge für eine Verbindung dieser beiden Elemente.<br />

Jean-Louis Boissier läßt uns in zwei Büchern Jean-Jacques Rousseaus<br />

blättern, die beide während Rousseaus Exil auf der Insel Saint-Pierre im<br />

Bieler See entstanden: die erotischen Erlebnisse seiner Confessions stehen<br />

den in sein Herbarium eingeklebten Pflanzen gegenüber, die intime Sprache<br />

begegnet der wortlosen Vegetation. Boissier verbindet diese beiden<br />

Bücher Rousseaus zu einem neuen, virtuellen Buch, dessen kurze Videosequenzen<br />

zum Teil an Originalschauplätzen der Insel Saint-Pierre gedreht<br />

wurden. Die Illustration überbrückt somit die Jahrhunderte zur<br />

Entstehung des Texts – so wie das virtuelle Buch darauf verweist, daß<br />

jedes gedruckte und gebundene Buch letztlich ein ›interaktives Medium‹<br />

ist, das sich dem Betrachter durchs Blättern erschließt.<br />

Eric Lanz formt aus Werkzeugen eine kryptische Zeichenschrift,<br />

deren einzelne Elemente sich erst im Gebrauch zu erkennen geben. Mit<br />

etwas Ironie kann man sich Wittgensteins Dictum, die Bedeutung der<br />

Sprache sei ihr Gebrauch, in Erinnerung rufen. So wie Wittgenstein sich<br />

vieler Beispiele aus dem Bereich einfacher Handlungen und Werkzeuge<br />

bedient, bleibt auch Lanz bei der Vorführung des Faktischen,<br />

ohne daraus eine allgemeine Theorie abzuleiten: Die scheinbar kryp-<br />

15<br />

artintact 1


16<br />

artintact 1<br />

tische Zeichensprache besteht letztlich nur aus Bildern und Beispielen.<br />

Bill Seaman schafft eine komplexe wechselseitige Steuerung von Worten<br />

und Bildern, die den Betrachter zum Komponisten neuer Bild/<br />

Wort/Ton-Folgen macht und die Idee des ›offenen Kunstwerks‹ bis zu<br />

einer Verschmelzung von Dichtung, Musik und Videografie bringt.<br />

Tatsächlich liefert die genannte Geschichte der Avantgarde mit der Interferenz<br />

von Literatur und Kunst von Mallarmé zu den Kubisten, Futuristen<br />

und Dadaisten, aber auch die neue Analyse dieser Fragen durch die<br />

Konkrete Poesie und die Konzeptkunst seit den 1960er Jahren einen entscheidenden<br />

historischen Hintergrund für diese künstlerischen Ansätze.<br />

Vor allem während der 1960er Jahre, auf der Suche nach neuen Distributionswegen<br />

für Kunst, spielte das Künstlerbuch und Buchobjekt eine wichtige<br />

Rolle. Künstler wie Maciunas oder Spoerri, die sich in einer editorischen<br />

Tätigkeit versuchten, haben bewußt einen Mittelweg zwischen dem<br />

Unikat der Kunst und der Publikation des Buches gesucht. Dies führte bis<br />

zu den Anfängen der Medienkunst unter dem Slogan ›Neue Medien für<br />

ein neues Publikum‹.<br />

Im digitalen Medium ist der Kult des Originals obsolet geworden<br />

durch die identische Reproduzierbarkeit des binären Codes. Auf dem<br />

Bildschirm und in der multimedialen Datenstruktur sind Schrift und Bild<br />

per se nicht mehr getrennt. Viele der von der Avantgarde diskutierten<br />

Punkte sind deshalb fast selbstverständlich geworden: Das Kunstwerk ist<br />

kein Unikat mehr, die ästhetische Relation von Sprache und Bild bedarf<br />

einer neuen Analyse und neue Wege der Distribution für multimediale<br />

Produkte müssen gesucht werden.<br />

Soll man vermuten, daß die Forderungen der Avantgarde der 1960er<br />

im digitalen Medium überflüssig geworden sind? Walter Benjamin hat


auch zu diesem Punkt bereits in den 1930er Jahren bemerkenswertes<br />

geschrieben:<br />

Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen,<br />

für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist. Die Geschichte<br />

jeder Kunstform hat kritische Zeiten, in denen diese Form auf Effekte hindrängt, die sich<br />

zwanglos erst bei einem veränderten technischen Standard, d.h. in einer neuen Kunstform,<br />

ergeben können. 2<br />

Ich vermute, an dieser Stelle befinden wir uns mit dem Beginn von Kunst<br />

auf CD-ROM wieder einmal.<br />

2. Walter Benjamin, a.a.O., S. 162f.<br />

17<br />

artintact 1


Bill Seaman: Ex.Mech<br />

Von Dieter Daniels<br />

Zur Annäherung an ein Stück von solcher Komplexität wie The Exquisite<br />

Mechanism of Shivers, kurz Ex.Mech genannt, beginnt man am besten mit<br />

dem Ende. Die credits für das Stück lauten: ›Kamera, Musik, Text, Schnitt,<br />

Stimme, Programmierung, Konzept von Bill Seaman‹. Jede Kategorisierung<br />

von Ex.Mech in der Terminologie von Kunst, Film, Musik, Literatur<br />

oder Medientechnik kann deshalb immer nur einen Teilaspekt des<br />

Ganzen erfassen. Seamans Arbeit ist also das beste Beispiel für die Interferenz<br />

der Gattungen und Medien, die im multimedialen und zugleich interdisziplinären<br />

Kunstwerk zu einer neuen Kunstform führen, die kaum<br />

mehr mit den gewohnten Begriffen zu beschreiben ist.<br />

Seamans persönliche Arbeitsweise war es von Anfang an, alle Elemente<br />

seiner Werke selbst zu schaffen, anstatt sich der gerade in der Medienkunst<br />

üblichen Montage von Zitaten aus tv, Literatur und Musik zu bedienen.<br />

Er läßt sich aber auch nicht auf das im multimedialen Bereich<br />

immer häufigere Teamwork z.B. eines Komponisten, Videomachers und<br />

Programmierers ein, sondern ist einer der wenigen Künstler, der als echtes<br />

›multimediales Multitalent‹ alle Aspekte in einer one man band vereinigt.<br />

Der hierin begründete beachtliche Aufwand ist eine Erklärung dafür,<br />

warum Seamans Werkliste seit 1979 nur neun Videoarbeiten nennt.<br />

Während die früheren Stücke größtenteils Videotapes oder Installationen<br />

sind, ist Ex.Mech bisher das komplexeste Werk Seamans, insofern es<br />

Bill Seaman: The Exquisite Mechanism of Shivers, 1991/94, Screenshot.<br />

19<br />

artintact 1


20<br />

artintact 1<br />

in zahlreichen unterschiedlichen Versionen existiert. Die Grundlage all<br />

dieser Varianten ist ein Videotape von 28 Minuten, mit 33 kurzen Bildund<br />

Musiksequenzen, von denen jede auf einem Satz aus zehn Worten beruht.<br />

Dies führt zu einer Gesamtzahl von 330 Worten, die sozusagen das<br />

poetische Menue des gesamten Werks enthalten. Auf dieser Grundlage<br />

basieren insgesamt fünf verschiedene Varianten der Präsentation und Installation<br />

des Stücks: als lineares Videotape, als lineare Installation mit<br />

zehn Videoprojektionen, als interaktive Installation mit einem Steuerungs-Terminal<br />

und einer Videoprojektion, nur der Sound als Audio-cd<br />

und schließlich die vorliegende CD-ROM-Version. Ex.Mech ist also ein<br />

multimediales Kunstwerk im eigentlichen Sinn. Seine Software ist nicht<br />

mehr an eine bestimmte Hardware gebunden, sondern kann sich in verschiedenen<br />

Formen und Kontexten manifestieren.<br />

In der CD-ROM-Edition kommt vor allem der interaktive Aspekt von<br />

Ex.Mech zum Tragen. Der Prozeß der Interaktivität gibt dem Benutzer<br />

dabei die Möglichkeit, verschiedene Sätze aus den 330 Worten des poetischen<br />

Menues zu kombinieren, die dann jeweils die Abfolge der Videound<br />

Audiosequenzen steuern. Ex.Mech ist also kein völlig offenes System,<br />

aber auch keine Interaktion mit einem klaren Ziel, die ähnlich einem Videospiel<br />

zur Lösung einer bestimmten Aufgabe führen würde. Die Interaktivität<br />

von Ex.Mech führt vielmehr zu einer Begegnung zwischen<br />

Künstler und Benutzer auf halbem Wege: Der Benutzer spielt mit Elementen<br />

der Imagination des Künstlers und ist dazu aufgefordert, aus den<br />

gelieferten Bausteinen neue Kompositionen, d.h. neue Sätze und damit<br />

Bildfolgen und Musiksequenzen, zu montieren. Er kann aber auch dem<br />

Zufall die Auswahl mittels eines sentence players überlassen. Die Grundlage<br />

des Stücks ist also die Generierung von sinnvollen, unsinnigen, banalen<br />

oder poetischen Sätzen mit Hilfe eines Menues von 330 Worten. Diese


Sprachgebilde steuern dann die Bild- und Klangfolgen. Ex.Mech thematisiert<br />

die Überlagerung der drei Ebenen Sprache/Bild/Ton. Aber es geht<br />

nicht nur darum, diese drei Ebenen zusammen ablaufen zu lassen, wie<br />

letztlich jeder Spielfilm auch Text und Musik enthält, sondern es geht um<br />

eine Analyse ihrer wechselseitigen Beeinflussung in unserer Wahrnehmung<br />

und in unserer Bildung von Assoziationen.<br />

Seaman untersucht schon in seinen früheren Arbeiten mit geradezu methodischer<br />

Gründlichkeit verschiedene Beziehungen zwischen Sprechen,<br />

Sehen und Hören. Eine seiner ersten öffentlichen Aktionen Architectural<br />

hearing aids von 1980 zeigt dies in exemplarischer Form: Gemeinsam mit<br />

Carlos Hernandez wurden Besuchergruppen in einem kleinen Bus zu<br />

Ausblickspunkten in der San Francisco Bay gefahren, wo eine im Auto installierte<br />

Stereoanlage zu bestimmten architektonischen Situationen speziell<br />

komponierte Audiostücke abspielte. Die Aktion vollzieht eine Umkehrung<br />

des Verhältnisses von Film und Begleitmusik und transformiert<br />

die Realität im Blick aus dem Autofenster durch den passenden Sound<br />

zum imaginären Film. Bereits hier berührt Seaman die grundsätzliche<br />

Frage der Entstehung von Imagination durch die Verbindung von Sprache,<br />

Blick und Ton.<br />

Eine Fortsetzung findet dies 1985 durch die Installation des Videotapes<br />

S.He in einem Zug von New York nach Hartford, Connecticut. Das<br />

Video zeigt Bilder, die aus eben diesem fahrenden Zug aufgenommen<br />

wurden und die nun als Sound- und Videoinstallation mit vier Monitoren<br />

wiederum die reale Zugfahrt auf eine metaphorische und poetische Ebene<br />

heben.<br />

S.He ist ein ambivalentes Wort, zusammengezogen aus She und He.<br />

Diesem Subjekt zwischen Mann und Frau werden im Text des Videos die<br />

21<br />

artintact 1


22<br />

artintact 1<br />

unterschiedlichsten Qualitäten zugesprochen. Schon Marcel Duchamp<br />

verband die sprachliche Ambivalenz mit der geschlechtlichen Zweideutigkeit,<br />

indem er sein weibliches Alter ego ›Rrose Sélavy‹ als Autor seiner<br />

Sprachspiele auftreten läßt. Genau diesem Vorbild widmet Seaman sein<br />

erstes Video How to revive dead Rroses von 1979.<br />

In dem Video Telling Motions (1986) wird das musikalische Kompositionsprinzip,<br />

Motive zu wiederholen und zu variieren, auf die Bildmontage<br />

übertragen, so daß die gleichen Bilder in immer neuen Folgen<br />

erscheinen und dadurch zu wechselnden Assoziationen führen. Seamans<br />

erste interaktive Videodisk-Installation The Watch Detail (1990) bietet<br />

ein Repertoire von Bild-Ton-Folgen in verschiedenen Kategorien wie<br />

›Holz‹, ›Stein‹, ›Der Flughafen‹, ›Architektur‹ an, wobei jedoch manche<br />

Bilder in mehreren Kategorien Verwendung finden und somit die Möglichkeit<br />

einer klaren Zuordnung wieder in Frage gestellt wird. Die zweifache<br />

Lesbarkeit der Titel gilt auch für diese beiden Werke – motions sind<br />

ebenso Bewegungen wie Emotionen und The Watch Detail kann sowohl<br />

ein kleines Teil als auch eine Besonderheit eines Wächters oder einer Uhr<br />

assoziieren.<br />

In diesen Arbeiten kündigt sich bereits das Thema der grundsätzlichen<br />

Ambivalenz aller Bedeutungen von Worten und Bildern an, das in The<br />

Exquisite Mechanism of Shivers zum Prinzip der Interaktion mit dem<br />

Werk wird. Jedes Wort nimmt durch die Verbindung mit anderen Worten<br />

oder durch die Zuordnung zu einem Bild ständig wechselnde Bedeutungen<br />

an. Shivers kann ebenso ›Splitter‹ wie ›Zittern‹ bedeuten. Sowohl<br />

das Fragmentarische des ›Splitters‹ als auch die Oszillation des ›Zitterns‹<br />

löst passende Assoziationen aus, denn die Sinnzusammenhänge des<br />

Stücks setzen sich aus den 330 Fragmenten des Menues zu Sätzen von oszillierendem<br />

Sinn zusammen.


Worte und Bilder steuern sich gegenseitig: In der Installation liegt der<br />

Schwerpunkt auf der Steuerung über das Wortmenue, auf der CD-ROM<br />

ermöglicht ein neues Interface einen mehr visuellen und intuitiven Zugang<br />

über die Kombination von Bildern. Seaman spricht vom Betrachter als<br />

einem ›Navigator‹ durch das System von Ex.Mech: ›Content is generated<br />

through the viewers process of navigation‹. 1 Die ständig wechselnde Abfolge<br />

der Bilder, Töne und Worte befreit von der Illusion, eine bestimmte<br />

Botschaft transportieren zu können. ›The work becomes a kind of paradox<br />

generator. Words are to images as thoughts are to the receiver/navigator.‹<br />

2<br />

Wir sind es gewohnt, Worte in Bildern zu lesen, zum Beispiel bei tv-Sendungen<br />

oder Filmen mit Untertiteln. Doch Ex.Mech schafft keine 1:1 Relation<br />

von Text und Bild. Deshalb treten interessante Probleme auf, wenn<br />

Ex.Mech in eine andere Sprache übertragen werden soll. Eine einfache<br />

Übersetzung genügt nicht, sondern das ganze Konstrukt der 330 Worte<br />

muß sozusagen nachgedichtet werden, damit die technische ebenso wie<br />

die poetische Funktion erhalten bleibt.<br />

Tatsächlich hat es Bill Seaman auf sich genommen, für die japanische<br />

Version von Ex.Mech, die 1994 am InterCommunication Center (icc) in<br />

Tokio produziert wurde, mehrere Wochen mit einem japanischen Übersetzer<br />

an diesen 330 Worten und ihren möglichen Kombinationen zu arbeiten.<br />

Er hat außerdem die japanische Aussprache gelernt, um die Worte<br />

wie in der englischen Version selbst auf das Video zu sprechen. Und<br />

natürlich mußte auch die ganze Steuerung des Interface ins Japanische<br />

übersetzt werden. Man kann in der Installation von Ex.Mech nun zwi-<br />

1. Bill Seaman in: Ex. Mech, ICC Gallery, Tokio, 1994.<br />

2. Ebd.<br />

23<br />

artintact 1


24<br />

artintact 1<br />

schen der japanischen und der englischen Version hin- und herschalten.<br />

Diese Zweisprachigkeit fügt dem Werk eine neue Dimension hinzu, denn<br />

wir leben mit zunehmender Internationalisierung der Medien in einer<br />

Welt der Untertitel und werden im Multimedia-Bereich völlig neue Möglichkeiten<br />

der Mehrsprachigkeit erleben, d.h. Probleme, die bisher nur für<br />

kommerzielle Software-Entwicklung relevant waren, erhalten eine kulturelle<br />

Dimension.<br />

Die eigentliche Botschaft von Ex.Mech liegt in dieser Überlagerung von<br />

Technik und Inhalt: die poetische Konstruktion und die technische Funktion<br />

können nicht voneinander getrennt werden. Dies berührt grundsätzliche<br />

Fragen der Verbindung von Medien und Kunst, denn es wird<br />

heutzutage zunehmend klar, daß diese Verbindung nicht nur in der Verwendung<br />

von elektronischen Geräten für die Zwecke der Kunst besteht,<br />

sondern daß beide Bereiche ihre Grundlagen in Frage stellen müssen,<br />

wenn es zu einer fruchtbaren Interferenz kommen soll.<br />

Solche Fragen stellen sich jedoch nicht erst seit der elektronischen Ära –<br />

sie haben das Verhältnis von Kunst und Technik von Anfang an begleitet.<br />

Beispielsweise steht Ex.Mech in der Tradition der poetischen Automaten<br />

und der mechanisierten Sprache, einer Tradition, die weit zurückreicht<br />

und die weit entlegene Stellen der Geistesgeschichte miteinander verknüpft.<br />

3<br />

Schon Ende des 13. Jahrhunderts, zur Hochzeit der Scholastik, hat ein<br />

gewisser Raymundus Lullus eine Maschine zur Kombination von theolo-<br />

3. Ich folge hier der besten Darstellung dieser Geschichte der poetischen Automaten und<br />

der Bedeutung der Kombinatorik für den Surrealismus von Hans Holländer: ›Ars inveniendi<br />

et investigandi.‹ – Surrealismus, Hrsg. Peter Bürger, Darmstadt, 1982.


gischen Begriffen aus konzentrischen, drehbaren Scheiben entwickelt, die<br />

als die ›lullische Kunst‹ zum Beweis von theologischen Sätzen zu einiger<br />

Berühmtheit gekommen ist. Einige Jahrhunderte später erwähnt Jonathan<br />

Swift in Gullivers Reisen (1726) eine ähnliche Maschine, die ein Professor<br />

der ›großen Akademie von Lagado im Land Balnibarbi‹ entwickelt hat<br />

und deren Funktionsweise Gulliver folgendermaßen beschreibt:<br />

Sie maß zwanzig Fuß im Quadrat und stund mitten im Saal. Sichtbar waren nur zahlreiche<br />

kleine Holzwürfel, welche mit Fäden locker verbunden und auf allen Seiten mit aufgeleimtem<br />

Papier überzogen waren. Auf ihm stunden alle Wörter ihrer Sprache in verschiedenen<br />

Modis, Temporibus und Deklinationibus in scheinbar völliger Willkür aufgeschrieben. Der<br />

gelehrte Mann bat mich, acht zu geben, da er jetzt die Maschine laufen lasse. Um ihren Rand<br />

waren vierzig Hebel angebracht, wovon jeder Schüler auf seinen Geheiß einen ergriff. Dann<br />

drehten sie nach dem Kommando ihres Lehrers plötzlich um, so daß die Wörter eine ganz<br />

andere Stellung einnahmen. Nun befahl der Meister [...], langsam die verschiedenen Wörterreihen,<br />

wie sie auf der Maschine sichtbar geworden waren, abzulesen. Wo drei oder vier<br />

Wörter, welche einen Satz bilden konnten, zusammenkamen, diktierten sie dieselben den<br />

übrigen vier Schülern [...] in die Feder. [...] Der Professor zeigte mir viele dickleibige Folianten,<br />

welche bereits mit solchen Fragmentsentenzen angefüllt waren; in Kürze gedachte er sie<br />

in Ordnung zu bringen und aus diesem unerschöpflichen Vorrat der Welt ein vollkommenes<br />

System aller Künste und Wissenschaften zu liefern. 4<br />

Im 20. Jahrhundert sind solche kombinatorischen Techniken vor allem<br />

von der künstlerischen Avantgarde zu einer Auseinandersetzung mit einer<br />

immer weniger als Einheit darstellbaren Welt verwendet worden. Die<br />

Collagen und Montagen der Kubisten und Futuristen und die Simultanlesungen<br />

der Dadaisten sind das Vorspiel zu einer methodischen Fassung<br />

dieser künstlerischen Arbeitstechnik im Surrealismus. Entscheidende Impulse<br />

kommen dabei von einer Interferenz der Gattungen: Schriftstellerei,<br />

Malerei und Musik stehen nicht mehr wie zu Zeiten der Renaissance im<br />

4. Jonathan Swift, Lemuel Gullivers Reisen, Berlin, 1935, S. 271f.<br />

25<br />

artintact 1


26<br />

artintact 1<br />

Wettstreit des Paragone gegeneinander, sondern treten in eine wechselseitige<br />

Stimulation durch den Austausch von Modellen, Methoden und<br />

künstlerischen Verfahren.<br />

Ein gutes Beispiel hierfür ist der Cadavre exquis der Surrealisten, der<br />

als kombinatorische Methode von der Literatur auf die bildenden Künste<br />

übertragen wird und ein Paradigma der surrealistischen Suche nach einem<br />

kollektiven Unterbewußten liefert. André Breton gibt im Lexikon des<br />

Surrealismus folgende Definition:<br />

Cadavre exquis – Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine<br />

Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne daß ein Mitspieler von der<br />

jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann. Das klassisch gewordene Beispiel,<br />

das dem Spiel seinen Namen gegeben hat, stammt aus dem ersten auf diese Weise gewonnenen<br />

Satz: ›Le cadavre exquis boira le vin nouveau‹ (Der köstliche Leichnam trinkt den<br />

neuen Wein). 5<br />

Die Geschichte der Sinngenese durch kombinatorische Techniken wird<br />

von den Surrealisten bewußt bis zu Raymundus Lullus und Jonathan<br />

Swift zurückverfolgt – André Breton nennt im ersten Manifest des Surrealismus<br />

sowohl Lullus als auch Swift in der ›Ahnengalerie‹ der historischen<br />

Vorläufer der neuen Bewegung 6 . Der Kreis von der Scholastik über die<br />

Avantgarde des 20. Jahrhunderts bis zum digitalen Zeitalter schließt sich,<br />

indem sich Bill Seaman mit dem Titel seines Exquisite mechanism of shivers<br />

auf den exquisite corpse der Surrealisten und das verwandte Verfahren<br />

zur Herstellung von ambivalenten Sätzen bezieht.<br />

Von den mechanischen Apparaten bei Swift und Lullus über die psychischen<br />

Techniken des Surrealismus bis hin zu den digitalen Medien bei<br />

5. André Breton u.a., Dictionnaire abrégé du surréalisme, Paris, 1938.<br />

6. Siehe dazu ausführlich Hans Holländer, a.a.O.


Seaman werden Worte durch ein Verfahren kombiniert, das nicht der völligen<br />

Kontrolle unterliegt und neue Sinnzusammenhänge provoziert.<br />

Lullus nutzt seinen Apparat für die theologisch begründete Demonstration,<br />

daß jede Gewißheit durch eine andere ersetzt werden kann, um so<br />

den Irrglauben der Heiden zu widerlegen und sie zum Christentum zu<br />

führen. Swift nimmt diese Technik der Welterklärung ironisch aufs Korn,<br />

die Surrealisten machen sie wieder fruchtbar als Grundlage eines anti-aufklärerischen<br />

und nicht-rationalen Weltverständnisses, Seaman nimmt sie<br />

als Mittel zur Schaffung einer Ambivalenz aller Bedeutungen in einer multimedialen<br />

Weltsicht. Die genannte Interferenz der Gattungen in der<br />

Avantgarde ist bei Seaman von vorneherein durch die audiovisuelle Verbindung<br />

von Sprache, Bild und Musik integraler Teil des Werks.<br />

All diesen Visionen von der Scholastik bis heute ist trotz ihrer verschiedenen<br />

Absichten eines gemeinsam: Sie stellen die Frage, ob der Mensch<br />

der einzige ist, der Sinn schaffen kann, oder ob er sich dieses Privileg<br />

mit anderen Instanzen teilen muß, sei es mit Gott wie bei Lullus, mit einer<br />

Welt- erklärungsmaschine wie bei Swift oder mit dem Unterbewußten bei<br />

den Surrealisten. Seamans audiovisuelle Poesiemaschine stellt diese Frage<br />

erneut angesichts des digitalen Zeitalters und berührt damit einen der<br />

zentralen Punkte unserer derzeitigen Kultur, den Allan Turing 1950<br />

mit den Worten formulierte: ›Kann eine Maschine denken?‹. Schon bei<br />

Turing geht es dabei nicht nur um solch simple Aufgaben wie Rechnen<br />

oder Fragen beantworten. In dem nach ihm benannten ›Turing-Test‹<br />

werden zur Untersuchung der Unterschiede zwischen Mensch und<br />

Maschine auch Aufgaben aus dem Bereich der Poesie herangezogen,<br />

die in einem von Turing angegebenen Beispiel für einen möglichen<br />

Testverlauf des Mensch-Maschine-Dialogs allerdings nicht weit führen:<br />

27<br />

artintact 1


28<br />

artintact 1<br />

F: Schreiben Sie ein Gedicht über die Firth of Forth-Brücke.<br />

A: Ich passe; ich könnte nie ein Gedicht schreiben.<br />

F: Addieren Sie die beiden Zahlen 34957 und 70764.<br />

A: (nach einer Pause von 30 Sekunden) 105 621. 7<br />

Der Test fragt, ob der Antwortende A ein Mensch oder eine Maschine sei,<br />

und laut Turing vor allem, ob er männlich oder weiblich sei – letzteres<br />

wird in populären Darstellungen meistens übersehen. Auch bei Turing<br />

verbindet sich die Ambivalenz der Bedeutung von Sprache mit der geschlechtlichen<br />

Ambivalenz, wie schon zuvor bei Marcel Duchamp und erneut<br />

bei Bill Seaman. Der Computer hat laut Turing die Qualität einer<br />

universellen Maschine, in der Tendenz hebt er deshalb die Differenz zwischen<br />

Mensch und Maschine ebenso auf wie diejenige zwischen männlich<br />

und weiblich. Der Computer ist mit einem Begriff Duchamps eine ›Junggesellenmaschine‹<br />

ebenso wie mit Seamans Worten ein World Generator –<br />

so der Arbeitstitel für sein neuestes Projekt. Wir treten der digitalen Welt<br />

deshalb nicht als einem externen Phänomen gegenüber, sondern wir sind<br />

Teil von ihr, ohne es zu wollen oder zu wissen.<br />

Wir befinden uns in der Rolle des ›Navigators‹, wie Seaman seinen Betrachter<br />

nennt. Navigation stammt vom lateinischen navis, d.h. ›Schiff‹,<br />

und liefert Methoden, um auf dem Meer ohne feste Anhaltspunkte doch<br />

eine ungefähre Bestimmung des Standorts vornehmen zu können. Dieser<br />

Terminus des ›Navigierens‹ findet auch bei der Wegfindung durch das ins<br />

Uferlose wachsende und damit immer schwerer überschaubare elektronische<br />

Netzwerk des Internet Verwendung. Bill Seaman bestimmt die Rolle<br />

des Navigators in künstlichen Systemen wie Ex.Mech wie folgt:<br />

7. Allan Turing, ›Kann eine Maschine denken?‹ – Kursbuch Nr.8, März 1967, S. 108.


Die Definition des Wortes ›künstlich‹ steht in Frage, da wir ein zunehmend telematisches<br />

Leben führen, wo ›echte‹ Gefühle und Verhaltensweisen durch abstrakte Strukturen und<br />

Illusionen hervorgerufen werden. So wird die ›Navigation‹ durch das ›Set‹ illusionistischer<br />

Erfahrungen nichtsdestotrotz eine wirkliche Erfahrung. 8<br />

Die digitale Technik hat die Tendenz, ein komplettes Ebenbild, d.h. eine<br />

binäre backup-Kopie der Welt, zu schaffen. Durch das universelle Netzwerk<br />

des Internet in Verbindung mit der universellen Maschine des Computers<br />

wird die ironische Vision von Swift, ›der Welt ein vollkommenes<br />

System aller Künste und Wissenschaften zu liefern‹, in greifbare Nähe<br />

gerückt. Müssen wir uns deswegen Sorgen machen oder können wir uns<br />

weiter der Kunst widmen? Versuchen wir The Exquisite Mechanism of<br />

Shivers wie ein Orakel zum zukünftigen Verhältnis von Mensch und<br />

Maschine zu befragen, so erhalten wir eine Reihe interessanter Antworten,<br />

die jeder Benutzer der CD-ROM um weitere Beispiele bereichern<br />

möge:<br />

A mathematical machine merges with a self reflexive guidance system to transcend the<br />

shifting concept of an egocentric intuition.<br />

A sensual apparatus collides with a cybernetic network to be immersed in the subconscious<br />

memory of an electric mechanism.<br />

A spiritual illusion mixes with a flexible magnetism to amplify the ambiguous history of<br />

a technological identity.<br />

e.t.c.<br />

8. Bill Seaman, ›Anmerkungen und Beobachtungen zu künstlichen Spielen.‹ – Künstliche<br />

Spiele, Hrsg. Georg Hartwagner u.a., München, 1993, S. 329.<br />

29<br />

artintact 1


Zwei Arten Bücher zu machen<br />

Arbeitsnotizen zu Flora petrinsularis<br />

Von Jean-Louis Boissier<br />

Zuerst hatte ich die Intuition, daß das Werk Jean-Jacques Rousseaus geeignet<br />

sei, mich schöpferisch mit den interaktiven Beziehungen der neuen<br />

technologischen Medien auseinanderzusetzen. Und zwar, weil es sich<br />

grundsätzlich mit dem Verhältnis zur Welt beschäftigt. 1 Der Stand der<br />

Technik veranlaßt uns, nach einer Definition von Schrift für die Hypermedien<br />

zu suchen und über die Gestalt des interaktiven Bildschirms<br />

nachzudenken. Damit müßte sich auch das Büchermachen verändern.<br />

Und Rousseau, so habe ich festgestellt, hat ebenfalls zwei Arten des<br />

Büchermachens entwickelt.<br />

Sagen, Zeigen<br />

Das während einer Krise auf der Insel Saint-Pierre angelegte Herbarium<br />

Rousseaus wurde für ihn zum Anlaß, sich über ein neues Verfahren<br />

des Schreibens Gedanken zu machen. Im Alter von fünfzig Jahren wurde<br />

1. Diese Arbeit verdankt wesentliche Impulse der interessierten Teilnahme Raymond<br />

Bellours. Er hat mich eingeladen, darüber einen Vortrag zu halten – ›Le logiciel comme<br />

rêverie‹ im Rahmen des 1990 in Valence abgehaltenen Kolloquiums Cinéma et littérature.<br />

Le temps des machines. Im Kontext der Beschäftigung mit Interaktivität in Alain Resnais<br />

Film Smoking – No Smoking analysiert Raymond Bellour auch Flora petrinsularis in dem<br />

Aufsatz ›Avant, après‹ in Trafic Nr. 10, 1994.<br />

Jean-Lous Boissier: Flora petrinsularis, 1993/94. Screenshot.<br />

31<br />

artintact 1


32<br />

artintact 1<br />

Rousseau ins Exil getrieben. Zunächst fand er Zuflucht in Môtiers, in den<br />

Bergen des Fürstentums Neuchâtel, von wo er 1765 erneut fliehen mußte,<br />

diesmal auf die Insel Saint-Pierre im Bieler See. Verfolgt und an Verfolgungswahn<br />

leidend, sucht er im Schreiben die Ursache für sein Unglück.<br />

Auf der Insel angekommen findet er Gefallen an dem Gedanken, nicht<br />

mehr zu schreiben : ›Eine meiner größten Freuden war es, meine Bücher<br />

immer noch wohl eingepackt zu lassen und kein Schreibzeug zu haben.<br />

[...] Anstatt mit traurigem Papierkram und all diesen Scharteken füllte ich<br />

mein Zimmer mit Blumen...‹. Um die Tage auszufüllen, nahm er sich vor,<br />

›eine Flora petrinsularis anzufertigen und alle Pflanzen der Insel zu beschreiben,<br />

ohne eine einzige auszulassen, und das mit einer Genauigkeit,<br />

die hinreichend wäre, mich den Rest meines Lebens zu beschäftigen.‹ 2<br />

›Beschreiben‹ bedeutet hier pflücken, erkennen, sammeln: eine andere<br />

Art Buch anzulegen. So entstand das mich inspirierende Herbarium:<br />

Alle meine botanischen Spaziergänge, die verschiedenen Eindrücke der Orte, an welchen mir<br />

Pflanzen auffielen, die Gedanken, auf die mich diese Umgebung brachte, die Begebenheiten,<br />

welche dabei vorfielen, – all dies hat Eindrücke in mir hinterlassen, die sich beim Anblick der<br />

Pflanzen erneuern, welche ich an selbigen Orten gesammelt habe. Ich werde diese schönen<br />

Landschaften, diese Wälder, diese Seen, diese Gebüsche, diese Felsen, diese Berge niemals<br />

wiedersehen, deren Anblick allzeit mein Herz gerührt hat. Aber nun, da ich nicht mehr jene<br />

glücklichen Gefilde durchwandern kann, brauche ich nur meine Pflanzensammlung zu<br />

öffnen und sogleich bin ich dorthin versetzt. Die Bruchstücke der Pflanzen, welche ich dort<br />

gesammelt habe, genügen, um mir diesen ganzen herrlichen Anblick in Erinnerung zu bringen.<br />

Diese Pflanzensammlung ist für mich ein Tagebuch der botanischen Spaziergänge, mit<br />

seiner Hilfe kann ich sie von neuem beginnen und sie gewinnen wieder einen frischen Reiz,<br />

es ist, als ob ein Guckkasten sie erneut vor meinem Auge ausbreitet. 3<br />

2. Jean-Jacques Rousseau, Les rêveries du promeneur solitaire, ›Cinquième promenade‹,<br />

Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976, S. 1042, 1043.<br />

3. Les rêveries, ›Septième promenade‹, a.a.O., S. 1073.


Zur gleichen Zeit verstärken sich trotz Entfernung und Isolation die Vorwürfe<br />

gegen ihn. Rousseau beschließt, seine Memoiren zu schreiben – um<br />

sich zu rechtfertigen und um das ihn ständig begleitende Schuldgefühl<br />

zurückzudrängen. Nicht nur die Blumen, sondern auch andere Objekte/Bilder,<br />

andere Erinnerungszeichen werden ihm bewußt, ›kurze Augenblicke<br />

des Taumels und der Leidenschaft‹, ›vereinzelte Punkte auf der<br />

Linie des Lebens‹ 4 , eines schmerzhaften und unbeständigen Glücks.<br />

Auf diese Weise überkommt ihn ein neues und zwingendes Bedürfnis<br />

zu schreiben. Je länger und intensiver er sich damit beschäftigt, um so stärker<br />

wird ein Widerspruch deutlich, den wir beim Übergang vom ersten<br />

›objektiven‹, sozusagen fotografischen Erinnerungsprozeß zur zweiten<br />

Stufe der Bewußtwerdung, dem interaktiven Moment der Interpretation,<br />

erkennen:<br />

Es handelt sich im Folgenden um mein Portrait und nicht um ein Buch. Ich werde sozusagen<br />

in der dunklen Kammer arbeiten; und dafür muß ich nicht mehr können, als genau den<br />

Zügen zu folgen, welche ich erkenne. [...] Indem ich mich gleichermaßen der Erinnerung<br />

eines Eindrucks als auch des dadurch hervorgerufenen Gefühls hingebe, werde ich ein doppeltes<br />

Bild meiner Seele zeichnen und weiß dabei um den Moment der Erfahrung und den<br />

Moment der Beschreibung derselben. 5<br />

Deswegen gibt es in meinem ›Buch‹ zwei Teile: Les estampes (Die Drucke)<br />

und L’herbier (Das Herbarium). Ich bin in den Schweizer Jura gefahren,<br />

um dort meine Herbarienforschungen fortzusetzen und um den für die<br />

Entstehung des Textes der Confessions wichtigen kurzen Liebesszenen<br />

und den Momenten der Bedrohung nachzugehen. Der Versuch, das hypermediale<br />

Werk Flora petrinsularis zu schaffen, folgt der Versuchung, ein<br />

4. Les rêveries, ›Cinquième promenade‹, a.a.O., S. 1046.<br />

5. Jean-Jacques Rousseau, Ebauches des confessions, Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976,<br />

S. 1154.<br />

33<br />

artintact 1


34<br />

artintact 1<br />

Buch zu machen, das, wenn schon nicht ohne Schrift, so doch ohne die<br />

Sprache der Worte auskommt. Das zu Sehen, zu Erfahren gibt, ohne<br />

wahrhaftig etwas zu sagen zu haben.<br />

Buch<br />

Für Flora petrinsularis wollte ich das Modell des Buches erhalten. Ich<br />

hatte mit Vergnügen festgestellt, daß die Technik des Bucheinbandes in<br />

ihrer oft nicht mehr wahrgenommenen, weil heute selbstverständlichen<br />

Zweckmäßigkeit eine erste, wenn auch primitive Form von ›Interaktivität‹<br />

darstellt. Seit Bestehen des Codex in Antike und Mittelalter sind die Seiten<br />

in einer bestimmten Reihenfolge zusammengehalten. Man kann sie einzeln<br />

lesen, sie wiederfinden, sie auswählen, von einer zur anderen blättern.<br />

Die Beteiligung an den virtuellen, gemeinsam nutzbaren, ständig aktualisierten<br />

und offenen Informationsräumen im Netz wird sicher zunehmen.<br />

Man wird aber auch hinterfragen müssen, wo diese Informationen ihren<br />

Ursprung haben, wieviel reale Zeit es beansprucht, sie aufzunehmen und<br />

wie sehr sich dies auf Kosten der zur Reflexion notwendigen Zeit innerhalb<br />

eines beherrschbaren Kontextes auswirkt. Von einem sorgfältig für<br />

die Maschine vorbereiteten interaktiven Programm, das in das Metall<br />

einer CD-ROM (›read only memory‹) gepreßt wird, bleibt von der virtuellen<br />

Erfahrung im Cyberspace nur die dem unabhängigen Leser eigene<br />

Aktualisierung.<br />

Dieser persönliche Aktualisierungsprozeß ist für mich der wesentliche<br />

Grund, an der Entwicklung dieser neuen Arten des Büchermachens teilzunehmen.<br />

Die neuen Bücher werden sich sehr stark von den alten unterscheiden,<br />

schließlich aber vielleicht neben ihnen bestehen können. Es gilt<br />

nun, an der Verschiedenheit dieser beiden Buchformen zu arbeiten.


Flora petrinsularis war zunächst eine Installation6 und konnte im Alkoven<br />

eines Zimmers betrachtet werden. Der Vorgang des Blätterns durch den<br />

Besucher im Buch (einem einfachen, realen Ordner) wird von einer Kamera<br />

aufgenommen und auf dem Bildschirm eines Computers aus dem<br />

Blickwinkel des Betrachters wiedergegeben. Der Ordner liegt zwischen<br />

Betrachter und Maschine, in einem beiden zugehörigen Raum, der den<br />

Zugriff auf das ›Buch‹, sein Double und seine Ausdehnung im numerischen<br />

Gedächtnis, ermöglicht.<br />

In dieser Version also bedeutet die Verwendung eines klassischen Buches<br />

ein Manifest, oder einfacher gesagt, einen Übergangsmodus, einen in<br />

unserer Kultur gebräuchlichen Zugang zur Information. Die Typografie<br />

des Textes mit seinen Zitaten und der getrockneten Pflanzensammlung<br />

hat die Aufgabe, die einzigartige stoffliche Präsenz erfahrbar zu machen.<br />

Und der Akt des ›Umblätterns‹ kann in diesem Falle wörtlich genommen<br />

werden.<br />

Als Teil des automatischen Wiedererkennungsprozesses offenbart das<br />

Buch eine Eigenschaft, die im allgemeinen vernachlässigt wird: der intermediäre<br />

Zustand des ›Zwischen-den-Seiten-Stehens‹, bei dem die Seite<br />

weder geöffnet noch geschlossen ist. Dieser vom Computer als ›Fehler‹ interpretierte<br />

Zustand ergab einen dritten, sich aus der zentralen Dialektik<br />

der Flora petrinsularis entwickelnden: zwischen der direkten, zwar gelungenen<br />

aber eingeschränkten Beziehung der Welt der gepreßten Pflanzen<br />

und der imaginären Rekonstruktion von Erinnerungsszenen, die immer<br />

wieder unterbrochen werden, in der Schwebe sind und sich verschieben,<br />

zwischen diesen beiden Typen von Fetisch also, beiden von Rousseau<br />

6. Zuerst gezeigt im November 1993 zur Multimediale 3, Karlsruhe, dann in Saint-Gervais,<br />

Genf, im Mai 1994.<br />

35<br />

artintact 1


36<br />

artintact 1<br />

inspirierten Arten des Büchermachens, bleibt Raum für einen im einsamen<br />

Müßiggang gepflegten Hang zur Imagination, einer Träumerei<br />

ohne Inhalt, einer Rückkehr zu einem vorgeburtlichen Stadium – zu<br />

dessen Geräuschen –, zu einem willenlos auf dem Bieler See umhertreibenden<br />

Boot:<br />

Das Her- und Zurückfluten des Wassers, sein immerwährendes Geplätscher, das jedoch von<br />

Zeit zu Zeit anschwoll und unaufhörlich an mein Ohr drang und meinen Blick gefangenhielt,<br />

ersetzten die innere Bewegung, welche die Träumerei zum Schweigen brachte und dies war<br />

hinreichend, um mich mein Dasein mit Behagen empfinden zu lassen und um mich der Mühe<br />

des Denkens zu entheben. 7<br />

Der hier beschriebene Prozeß eines Nebeneinanders von Realität und Virtualität<br />

bestimmte die Logik des Programms; deswegen bleibt er in der<br />

CD-ROM-Version filigran erhalten.<br />

Dramaturgie<br />

Das von Rousseau nicht trennbare Gefühl der Schuld soll sich allmählich<br />

auf den Leser/Manipulator übertragen. Mit der gleichen Bewegung<br />

aber wird er von aller Schuld freigesprochen, schließlich sind es nur Bilder,<br />

und außerdem hat in jedem Fall die Maschine die Auswahl getroffen.<br />

Ich nehme hier eine in den Confessions von Rousseau oft beschriebene Situation<br />

aus seiner Kindheit und Jugend wieder auf: Er sieht sich von einem<br />

schuldhaften Verlangen, das ihn angesichts schamhafter Begierde befällt,<br />

freigesprochen, weil er sich einerseits über die Vorgänge im klaren ist, andererseits<br />

durch sein Verharren in der Rolle des Passiven und Einsamen<br />

seinen Partnern immer den ersten Schritt überlassen hat. 8<br />

7. Les rêveries, ›Cinquième promenade‹, a.a.O., S. 1044.<br />

8. Jean Starobinski, L’ Œil vivant, Paris, 1961, S. 107.


Flora petrinsularis ist nicht der Versuch, Rousseaus Utopie nachzuvollziehen.<br />

Es geht auch nicht darum, das Werk Rousseaus neu zu interpretieren<br />

oder zu illustrieren, auch wenn ein solches Unterfangen durchaus<br />

legitim und ausreichend wäre. Vielmehr ist sie mir Ausgangspunkt, innerhalb<br />

der dort angelegten interaktiven Formen nach Situationen, Wahrnehmungen,<br />

Gefühlen und Widersprüchen zu suchen, um sie in einen<br />

auch für uns relevanten und durchaus ironischen Kontext zu stellen.<br />

Genau dies wird durch die Interaktivität möglich, weil sie Präsentation<br />

und Simulation vereint und so die Ambiguität verlängert und sowohl<br />

einen fiktiven und distanzierten Nachvollzug der Rousseau’schen Situation<br />

erlaubt, als auch eine, zumindest provisorische, direkte persönliche<br />

Auseinandersetzung eines jeden Lesers annhand der Zeichen, Bilder und<br />

Gesten ermöglicht.<br />

Der Entwurf einer Dramaturgie für ein interaktives Kunstwerk entlehnt<br />

Elemente aus Literatur, Theater, Musik und Gartenbaukunst. Die<br />

Dramaturgie stellt außerdem die Aussagekraft von Wort und Bild gegeneinander.<br />

Und nicht zuletzt spielt sie mit den gegensätzlichen Prinzipien<br />

von Verlangen und Verbot, Lust und Frustration, Aktion und Passivität,<br />

Entfesselung und Innehalten, Abweichung und Wiederholung, Durchlässigkeit<br />

und Hindernis, Vernunft und Ungewißheit, mit all diesen Begriffen<br />

aus Rousseaus kritischem Vokabular.<br />

Fetisch<br />

Jede Szene wird durch ein Objekt mit Fetischcharakter eingeführt. Ein<br />

Band, eine Spitzenborte, ein Schlüssel, eine Kirsche. Anhand dieser Zeichen<br />

und Bilder ist die Loslösung vom Text, von seiner typografischen<br />

Materialität, seiner Stofflichkeit, am Schatten auf dem Papier erkennbar,<br />

möglich. Auch Rousseau ist so vorgegangen, jeder Voyeurismus bedient<br />

37<br />

artintact 1


38<br />

artintact 1<br />

sich bestimmter Bilder, die, jederzeit wiederabfragbar, zum Fetisch werden<br />

und somit nicht mehr nur Objektcharakter haben, sondern zum Auslöser<br />

für die Einbildungskraft werden können und uns ein intensiveres<br />

Erleben als in der Realität ermöglichen, abrufbar in Einsamkeit und Unschuld.<br />

Die Zeichen sollten gefühlt werden können, ohne sie lesen zu müssen.<br />

›So wie das Schreiben offenlegt, daß die Krise der Sprache von ihren »Bildern«<br />

lebt‹ 9 , so wird bei der Beschäftigung mit Bildern, ungeachtet ihrer<br />

wichtigen repräsentativen Funktion, klar, welch ›geradezu gefährliche Ergänzung,<br />

die die Natur verfälscht, sie bedeuten‹ 10 – Onanismus – und so<br />

wäre die künstlich perfektionistische Konstruktion einer Kommunikation<br />

denkbar, also Kunst, die die natürliche Kommunikation für immer<br />

ersetzt und uns von der Sprache der Worte befreit.<br />

Haptik<br />

Zwangsläufig muß der bestehende Zusammenhang zwischen Sehen<br />

und Berühren konsequent behandelt werden: er ist Voraussetzung für die<br />

mit großer Präzision ausgeführte Tätigkeit des Sammelns, bei der die<br />

Empfindung Sinn stiftet. Schon die Geste, mit der man auf etwas zeigt, ist<br />

besitzergreifend: dabei kann diese Bemächtigung schon einen Verlust an<br />

Realität bedeuten, eine Verschiebung, eine Anpassung, eine sofortige Einordnung<br />

in ein System der Zeichen und der ›Intellektion‹. Etwas ergreifen<br />

heißt, es zu begreifen.<br />

Das Herbarium, eine Sammlung tatsächlich ausgerupfter Pflanzen, die<br />

dazu bestimmt sind, auf ewig real zu bleiben, wird immer einen Aspekt<br />

9. Jacques Derrida, De la Grammatologie, Paris, 1967, S. 19.<br />

10. Jean-Jacques Rousseau, Les confessions, Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976, S.109.


ehalten, der dem zum Zeichen, oder besser gesagt zum Bild werdenden<br />

Objekt, unabhängig von Wahrnehmung und Interpretation seine Zugehörigkeit<br />

zur rohen Wirklichkeit nicht absprechen kann. Gerade diese<br />

Art von Musterbüchern, Sammlungen und Herbarien, die sich von<br />

gewöhnlichen Büchern sehr unterscheiden, ermöglichen anhand ihrer<br />

gepreßten und zwischen den Seiten eingeklemmten, in Indizien verwandelten<br />

Fragmente eine besondere Rezeption als sicht- und entzifferbare<br />

Bilder, als Reliquie oder als Erzählung.<br />

Man vermeidet im allgemeinen, darauf hinzuweisen, in welchem Ausmaß<br />

die Qualität der haptischen Bilderfahrung fotografisch ersetzt werden<br />

kann. Beim automatischen Aufnahmevorgang des Sichtbaren in seiner<br />

strengen Räumlichkeit, mit seiner Subtilität von Materialien und Texturen,<br />

Bewegungen und Vibrationen, wird das wahrhaft Optische beinahe<br />

zwangsläufig taktil.<br />

Cursor und Maus bilden das Standard-Interface des Computers zur<br />

Auswahl eines Gegenstandes mit Hand und Auge, ein wiederum manueller,<br />

ja taktiler Vorgang. Die im interaktiven Raum videografisch eingeschriebenen<br />

Bilder sollen, wenn schon nicht effektiv berührt, so doch ausgewählt,<br />

bezeichnet, mit einer Geste gestreichelt werden. Diese Geste<br />

bleibt natürlich auf Distanz, ›hinter dem Spiegel‹, wie es das Los eines<br />

jeden Bildes ist. Hier überträgt sich unser Körper auf mentaler Ebene und<br />

auch materiell ganz und gar in das Bild, und zwar über einen Umweg im<br />

Inneren der Maschine. Der von meiner Hand geführte und vom Auge wie<br />

eine aktive Projektion gedeutete Pfeil bleibt auf jeden Fall immer im Bild,<br />

auf derselben Ebene wie die Hand, zwischen den Pixeln, von denen kürzlich<br />

gesagt wurde, daß sie von eindringlichster Präsenz seien. Ein solch<br />

manueller Eingriff in die Intimität des Bildes ist unschuldig, um so mehr,<br />

als er dort sensiblen Funktionen, die dem Bild übertragen wurden, begeg-<br />

39<br />

artintact 1


40<br />

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net. Das Bild hat sich, so könnte man sagen, gleichzeitig mit den Figuren,<br />

bei seinem Transfer, so natürlich scheint seine Wiederherstellung, gewisse<br />

Fähigkeiten wie ›fühlen‹ und ›reagieren‹ bewahrt. Die sinnliche Kartographie<br />

des interaktiven Bildes kann dazu führen, daß man die Bedeutung der<br />

Begriffe Karte und Territorium verwechselt.<br />

Tiefe<br />

Ob Buch oder Bildschirm, beide haben als Voraussetzung eine plane<br />

Oberfläche. Diese Flächigkeit ist ebenso dem weißen Blatt Papier, der gepreßten<br />

Blume im Herbarium und der optische Projektion eigen. Man<br />

könnte also versucht sein, reliefartige Oberflächen zu gestalten. Wie die<br />

Figuren in der tiefenlosen Kartenwelt von Alice im Wunderland ›wird<br />

man gleitend auf die andere Seite kommen, denn auf der anderen Seite ist<br />

nichts Anderes, sondern alles nur umgekehrt‹ 11 .<br />

Ich verwende aus der Stereoskopie nur den Vorgang der stereoskopischen<br />

Verdoppelung der Bilder und stelle je zwei gleiche Bilder mit leichter<br />

Verzögerung, wie in einem Kanon, nebeneinander. Vielleicht entsteht<br />

so die von Rousseau in seinem Cahiers des charges von den Illustratoren<br />

geforderte zeitliche Verzögerung: ›Man muß bei den Figuren in Bewegung<br />

erkennen können, wer vorangeht und wer folgt und der Handlung<br />

Zeit geben, sich zu entfalten; sonst wird man den Moment, den es auszudrücken<br />

gilt, nicht erfassen.‹ 12<br />

Im Zuge der Wiederholung und Unterscheidung haben wir hier nun<br />

eine Strategie für den Leser entwickelt, beim Blättern jedes flimmernde<br />

11. Gilles Deleuze, Logique du sens, Paris, 1969, S. 19.<br />

12. Jean-Jacques Rousseau, La nouvelle Héloise, Appendix II, ›Sujets d’estampes‹, Œuvres<br />

complètes, Bd. 2, Paris, 1976, S. 28.


Bild mit einer Hin- und Herbewegung zu berühren, was dazu führt, daß<br />

kein Bild verschwindet, ohne daß man es mit seinem Doppel hätte vergleichen<br />

können, wobei gleichzeitig eine größtmögliche Sparsamkeit im Umgang<br />

mit den Bildern angestrebt wird.<br />

Erklärung<br />

In diesem Fall kann der Leser selbst die Erklärungen für Zeichen und<br />

Bilder abrufen. Er ist Fragensteller und Erklärer in einer Person. Da er<br />

selbst gleichzeitig die Zeichen bezeichnet, richten sich die Bilder an seine<br />

persönliche Subjektivität. Rousseau, der heimlich Madame Basile, die<br />

stickend an ihrem Fenster sitzt, beobachtet, wäre, durch einen Spiegel<br />

verraten, von ihr entdeckt worden. Eine Geste ihrerseits als Aufforderung<br />

zur Annäherung deutend, wirft er sich der jungen, sehr schönen Frau zu<br />

Füßen. Dieser stumme und unschuldige Dialog zweier Bilder13 zeigt uns<br />

eine konkrete Möglichkeit des interaktiven Schauspiels.<br />

Das Kino muß akzeptieren, daß vom Zuschauer keine Antwort zu<br />

erwarten ist. Im Gegensatz zum Fernsehen, das seinem Publikum zur<br />

Zeitgenossenschaft verpflichtet ist und den ›Kamerablick‹, ein festes Stilmittel<br />

des frühen Films, als ›Symbol der Begegnung zwischen Realität und<br />

Betrachter‹ verwendet, ›eine Begegnung, die immer erwünscht, immer<br />

verpaßt und manchmal gestreift wird.‹ 14<br />

Für Flora petrinsularis gilt, daß das Bild – die Kamera – immer den<br />

Standpunkt Rousseaus einnimmt, anders kann er nicht vertreten sein.<br />

Dem Betrachter bleibt nichts anderes übrig, als seinen Platz, der ihm a<br />

priori zukommt, mit Rousseau zu teilen. Er wird, bewußt oder unbewußt,<br />

13. Jean Starobinski, a.a.O., S. 111.<br />

14. Christian Metz, L’énonciation impersonelle ou le site du film, Paris, 1991, S. 22.<br />

41<br />

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42<br />

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dessen Vergnügen und Beschämung teilen müssen. Es scheint hier möglich,<br />

auf zwei Ebenen der Evokation zu arbeiten: zum einen die Ebene der<br />

Begegnung, zum anderen kann der Zuschauer dadurch, daß er tatsächlich<br />

bezeichnet wird, unter den Schauspielern herausgehoben werden.<br />

In einem noch so minimalen interaktiven Programm tauchen doch<br />

Elemente auf, die normalerweise dem Sprachgebrauch persönlicher Beziehungen<br />

vorbehalten sind, die shifters (Kulissenschieber), die Kuppler,<br />

das ›Ich‹ oder das ›Du‹, das ›Hier‹ und ›Jetzt‹, wovon Barthes spricht15 und die, verallgemeinert gesagt, das ›amouröse Fluidum einer Gemeinschaft‹<br />

bilden – man meint, das Rousseau’sche Fest zu erleben, seltene<br />

Gelegenheit einer wahrhaftigen Kommunikation.<br />

Übersetzung: Rebecca Picht<br />

15. Roland Barthes: ›Le shifter comme utopie.‹ – Ders., Roland Barthes par lui-même, Paris,<br />

1975, S. 168.


43<br />

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L/Lanz<br />

Von Anne-Marie Duguet<br />

In einer Zeit, die von schneller technischer Entwicklung geprägt ist und<br />

damit neuen Mythen Stoff gibt, wird ein Künstler zwangsläufig versuchen,<br />

›Verspätungen‹ zu produzieren und Strategien zu entwickeln, um<br />

die neuen Ausdrucksmittel zu untersuchen und gleichzeitig zu kommentieren,<br />

mit ihnen zu spielen und sich in ihnen Spielraum zu verschaffen.<br />

Eine solch schräge, diagonale Annäherung an die Technologie beruht auf<br />

einer Hinterfragung ihres Verhältnisses zu Kultur und Geschichte. Eric<br />

Lanz manifestiert in Anbetracht dieser Entwicklungen ein ausgeprägt<br />

skeptisches Interesse, eine feine Distanz, die nicht ohne Ironie Verhaltensweisen,<br />

Codes und Stereotypen ins Auge faßt, die sich im Zuge des aktuellen<br />

Techniksystems, beispielsweise der Interaktivität, etablieren. Darüberhinaus<br />

zeugt seine Arbeit von einer Beschäftigung mit Erinnerung<br />

und mit der Rolle von Wissen und Geschichte in der Gesellschaft: Fragen,<br />

die immer dringlicher gestellt werden müssen, bedenkt man die wachsenden<br />

Speicherkapazitäten und die Möglichkeiten ›informatischer‹ Datensammlungen.<br />

Heute bedienen sich Künstler in ihren Arbeiten der Archivierung,<br />

Inventarisierung und Sammlung ebenso wie wissenschaftlicher<br />

Konzepte und Methoden. Allerdings werden diese Methoden im Laufe<br />

der Auseinandersetzung verdreht, umgangen und gesprengt, in eine Fiktion<br />

umgewandelt und die technologische Sachlichkeit gegen einen poetischen<br />

Taumel eingetauscht.<br />

Eric Lanz: Manuskript, 1994. Screenshot.<br />

45<br />

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46<br />

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Video ist das bevorzugte Medium der Arbeiten von Eric Lanz, der seit<br />

1983 Videobänder und Installationen realisiert und die Beziehung zwischen<br />

traditionellen Techniken und Technologie zum Hauptthema seiner<br />

Arbeit macht. Ort der Konfrontation, einem Seziertisch gleich, ist das<br />

elektronische Bild. Eric Lanz macht sich die Techniken zu eigen, indem er<br />

sie inszeniert und beschreibt. Dabei treibt er eine Reihe von einzigartigen<br />

Versuchen mit Eigensinn, Sorgfalt und System voran. Mit der klassischen<br />

Erzählung des Kinos verbindet sie nichts, vielmehr sind Einflüsse von und<br />

Berührungspunkte mit dem experimentellen Film, der Archäologie und<br />

Ethnologie und sicherlich mit der bildenden Kunst zu finden.<br />

Seine ersten Arbeiten können den am Anfang der 80er Jahre aufkommenden<br />

›neuen Fiktionen‹ zugeordnet werden; ihre Struktur beruht auf<br />

Logik und Prinzipien der Musik oder der Poesie, in denen der assoziative<br />

Modus über den kausalen Vorrang hat. Erzählerische Elemente, die von<br />

mythologischen Figuren inspiriert werden, bleiben bestehen, sie dienen<br />

dem Künstler aber nur als Vorwand und Grundlage für eine ›imaginäre<br />

Anordnung‹.<br />

Die Titel dieser Arbeiten sind bezeichnend. Sie sind wie ein Alphabet<br />

geordnet: S/Sisyphe, P/Pygmalion, V/Vénus, O/Orphée, E/Echo usw.,<br />

werden später auf einzelne Buchstaben reduziert: T, I, Y, um dann Sans<br />

titre (ohne Titel) oder auch Triptyque (Triptychon) zu heißen, als der<br />

schon dünne Faden eines narrativen Aufbaus vollends verschwunden ist.<br />

Seit 1990 entstehen die Serien Les Matières (Die Materien), Les Outils<br />

(Die Werkzeuge), Les Gants (Die Handschuhe), Les Gestes (Die Gesten),<br />

die formal wie ein Anschauungsunterricht wirken. Zunächst wird eine<br />

zentrale Idee formuliert und ein Prinzip definiert, dessen Erkundung die<br />

verschiedenen Handlungen bestimmt.<br />

Der Bildschirm wird also zum Ort eines Inventars – ähnlich wie die Sei-


ten einer Enzyklopädie oder eines Katalogs, von denen die Surrealisten so<br />

fasziniert waren –, er ist eine Experimentierstätte, wo sich Dinge vergleichen<br />

und ähnliche Vorgänge gegenüberstellen lassen, die nach Form oder<br />

Funktion sortiert sind. Die Anordnung der Gegenstände ist genau festgelegt<br />

und folgt den Regeln einer strengen Geometrie. Geste und Blick werden<br />

entlang des stellenweise sichtbaren Rasters gelenkt, das eine ordnende<br />

Funktion hat und die nahen Gegenstände getrennt hält.<br />

Eric Lanz sammelt, registriert, zählt auf und klassifiziert, all dies mit<br />

einer gänzlich simulierten Genauigkeit. Die taxinomische Tätigkeit mit<br />

dem Ziel, Ordnung in das Universum der Dinge zu bringen, wird aber<br />

ständig überfordert. Sowohl durch das Spiel der Assoziationen als auch<br />

durch die eindringliche Präsenz von Körper und Materie entsteht eine solche<br />

Spannung, daß eine Kontrolle fast unmöglich ist und die Subjektivität<br />

die Oberhand behält. Innerhalb der Sammlung aus ihrem ursprünglichen<br />

Kontext und Gebrauch losgelöst, sind die Werkzeuge nur Teile einer<br />

Liste, werden aber nun ihrem Gebrauch, der Berührung und der Handhabung<br />

zurückgegeben, in ihre alltägliche Situation zurückgeführt.<br />

Das Werkzeug wird nie benannt, es wird in seiner Funktion beschrieben<br />

und kann nur am Bild seines spezifischen Gebrauchs wiedererkannt<br />

werden: schälen, graben, schneiden, usw. ›Das Werkzeug existiert erst mit<br />

der Geste, die es technisch wirksam macht‹, sagt André Leroi-Gourhan1 .<br />

Von Bedeutung ist allein die durch das Werkzeug mögliche Transformation<br />

von Materie.<br />

Unter den uns wohlbekannten Gegenständen, wie zum Beispiel den<br />

Handschuhen oder bestimmten Küchengeräten, gibt es auch seltene, hy-<br />

1. André Leroi-Gourhan, ‘La mémoire et les rythmes.’ – Le geste et la parole, Bd. 2, Paris,<br />

1965, S. 35.<br />

47<br />

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48<br />

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perspezialisierte und deswegen vergessene Gegenstände aus ungewöhnlichem<br />

Material und von extravagantem Aussehen. Die Auswahl der Gegenstände<br />

und die durch Geräusche belebte elektronische Nahaufnahme<br />

ihres Gebrauchs enthebt sie jeder Banalisierung, läßt sie als Kuriositäten<br />

erscheinen. Die isolierte, präzise Handbewegung ist auf die Ausführung<br />

einer ganz spezifischen Funktion beschränkt, deren Aufmerksamkeit auf<br />

jeweils nur einem einzigen Vorgang liegt. Für Unbestimmtes ist kein<br />

Platz.<br />

Es gilt, einen Zugang zu schaffen zu diesen Sammlungen, diesem aus<br />

Werkzeugen und Gesten zusammengetragenen Gedächtnis der modernen<br />

Zeit. Dafür hat Eric Lanz ein zweites Inventar angelegt, nämlich eines von<br />

gängigen interaktiven Prozessen, deren Aufruf- und Bewegungsmodalitäten<br />

er inszeniert. Auswählen, fortfahren, anhalten, zurückkommen,<br />

Geschwindigkeit regeln sind einige elementare Funktionen daraus.<br />

In den ersten Serien zitiert er das Prinzip des touchscreen. Man muß<br />

berühren, um zu sehen. Im Darstellungsprozeß wird ein weiterer Sinn<br />

mobilisiert, der Erkundungsvorgang wird durch den Kontakt zwischen<br />

Körper und Bild ausgelöst: von Gattung zu Gattung, von dieser zum einzelnen<br />

Werkzeug und schließlich zu der Tätigkeit, die es definiert. In Les<br />

Outils 4 und 5 ist die Stimme das Befehlsinstrument.<br />

Ein simuliertes Programm steuert diese Überleitungen. 2 Seine Logik<br />

erschließt sich nicht sofort, man hat zunächst den Eindruck einer Vielschichtigkeit,<br />

die es abzurufen und zu durchdringen gilt. Das Programm<br />

2. So wie in der Serie Les Outils, wo ein Gegenstand unter acht anderen ausgewählt werden<br />

kann und sich acht neue Möglichkeiten ergeben. Der letzte ausgewählte Gegenstand steht<br />

im Zentrum der neun Felder, umlagert von acht anderen, die gemäß acht Parametern<br />

gruppiert sind (Form, Gattung, Funktion, Geste, Objekt, Bereich, Handlung, Prinzip).


entspricht dem inhaltlichen Konzept und erlaubt uns, von einer Handlung<br />

zur nächsten zu kommen oder das richtige Werkzeug für eine gegebene<br />

Situation zu finden.<br />

In diesen Serien werden die verschiedenen Funktionen der Hand<br />

›durchdekliniert‹ : die bezeichnende und die behandelnde Hand, die eine<br />

Handlung auslösende und die sie ausführende, die Hand, die die Materien<br />

berührt, um sie zu erkennen. Die Hand, Ausgangspunkt aller Technizität<br />

und somit Symbol des Handwerks, erhält auch die Funktion eines Interface.<br />

Sie setzt nicht nur das gesprochene Wort frei, wie André Leroi-<br />

Gourhan in Le geste et la parole analysiert (ein Text, über den Eric Lanz<br />

geschrieben hat), sondern ist selbst Teil einer Sprache, ein mediales Instrument.<br />

In seinen jüngsten Arbeiten setzt Eric Lanz sein Inventar der Gesten<br />

und die Simulation virtueller Handhabungen fort, führt sie aber zu einem<br />

anderen Abstraktionsgrad. Wiedererkennung und Ausführung der Gesten<br />

am Bildschirm in den Arbeiten Dictée (Diktat), Synthèse (Synthese)<br />

oder Index (Index) sind über den Gebrauch des Monitors als einem Experimentierfeld<br />

möglich. Im fiktiven Raum des Monitors koexistieren zwei<br />

Aufnahmen von Händen, die sich eigentlich in zwei unterschiedlichen<br />

Räumen befinden. Die eine erteilt der anderen einen Befehl. Durch die unmittelbare<br />

Ausführung des Befehls stehen sich anweisende und ausführende<br />

Geste direkt gegenüber. Ihre Kommunikation wäre jedoch nur<br />

mittels einer Maschine, eines Ortungssystems, einer Berechnung, also<br />

einer zweiten Sprache, denkbar. Objekte oder Instrumente bleiben unsichtbar,<br />

ihre durch die Geste angedeutete Identifikation wird allein über<br />

ein Geräusch bestätigt. Nur die Beziehung der Zeichen zueinander ist von<br />

Bedeutung. Gefragt ist nicht mehr die direkte Berührung, sondern das bezeichnen<br />

und interpretieren.<br />

49<br />

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artintact 1<br />

50 Diese auf dem Bildschirm erscheinenden Hände sind abgeschnitten,<br />

verlangen nach Ergänzung durch einen Körper. Der Körper des Betrachters<br />

kann sich gewissermaßen verlängern und sich in die Position des<br />

Agierenden versetzen. Auch wird durch den kleinen Ausschnitt, die Nahaufnahme<br />

und den Blickwinkel eine Identifikation mit der Kamera nahegelegt.<br />

Diese Aufmerksamkeit für Position und Einbeziehung des Betrachters<br />

in die Bildszene finden wir auch bei Eric Lanz’ Installationen. Sie sind<br />

immer sehr einfach, er arbeitet mit maximal drei auf Sockeln stehenden<br />

Monitoren oder einigen Videoprojektionen. Es gibt keine Sitzgelegenheiten,<br />

die dem Betrachter die Teilnahme an einer Vorführung suggerieren<br />

könnten. Vielmehr ist er aufgefordert, in Bewegung zu bleiben, zu kommen<br />

und zu gehen (als navigiere er in einem Hypermedium), seine Entfernung<br />

zum Bildschirm selbst regelnd, die eine oder andere Sequenz zufällig<br />

auf einem Bildschirm erfassend, selbst über die Zeitdauer entscheidend.<br />

Die einzige ihn direkt beeinflussende und in Frage stellende Intervention,<br />

zum Beispiel in der Installation Y von 1988, wird durch seine eigene,<br />

durch Infrarotsensoren erfaßte Bewegungsveränderung möglich und<br />

führt zu einem Wechsel der gezeigten Sequenz. Gefangen in dieser kurzen<br />

aber tatsächlichen Interaktion wird er zum Gegenstand einer fiktiven<br />

Überwachung. Tatsächlich zeigt eine der Sequenzen ein binoculares Teleskop,<br />

wie es für Panoramen in Gebrauch war. Es scheint den Galerieraum<br />

wie ein Kontrollinstrument abzutasten und richtet, man beachte die<br />

metaphorische Umkehrung, das Auge auf den Betrachter.<br />

Die Videoinstallationen, Multimediawerke par excellence, erlauben es<br />

seit langem, andere Beziehungen zur Repräsentation durchzuspielen. Es<br />

werden andere kinematografische Anordnungen ausgearbeitet, die dem<br />

Betrachter neue ästhetische Erfahrungen ermöglichen und die ihn dazu


führen, unablässig neue Beziehungen innerhalb der verschiedenen Pole<br />

eines Systems zu knüpfen, deren Teil er ist und in dem das Bild nur mehr<br />

ein Element ist.<br />

Manuskript, das Werk, das Eric Lanz für die vorliegende Edition konzipiert<br />

hat, geht von Fotografien seiner Objektsammlung und gefilmten Bildern<br />

für die Serie Les Gestes aus. Der interaktive Prozeß wird hier nicht<br />

mehr nur als Möglichkeit zitiert, er findet statt. Die ironische Distanz, die<br />

durch die videografische Wiedergabe möglich war, ist aufgehoben, statt<br />

dessen kann direkt recherchiert werden und die Dateien können mit Hilfe<br />

von Zugangsmodalitäten abgefragt werden, die auf den Film, die Schrift<br />

und das Lesen zurückgehen.<br />

Wie mit einem Zoom bewegt man sich etappenweise durch einen ersten<br />

Block nicht entzifferbarer Grafiken, um zunächst Zeilen, dann die sie bildenden<br />

Zeichen zu sehen, die man schließlich als Bilder von Werkzeugen<br />

erkennt. Sie sind auf einem weißen Hintergrund angeordnet, sorgfältig<br />

aufgereiht und gruppiert; sie gleichen Buchstaben, die, zu wortähnlichen<br />

Gebilden zusammengesetzt, wie Hieroglyphen einer fremden Schrift erscheinen.<br />

Es ist möglich, eine Zeile vorbeiziehen zu lassen, um ein Werkzeug<br />

auszusuchen, ganz so als führe man auf einer Seite mit dem Finger<br />

eine Zeile entlang. Die Zeilen sind wie eine Videoschleife endlos lesbar, die<br />

Katalogseite setzt sich über den Bildschirm hinaus fort – oder vielmehr<br />

wird hier die Aufteilung in Seiten überhaupt in Frage gestellt. Das<br />

Anklicken eines Gegenstandes öffnet ein Fenster, in dem der entsprechende<br />

Gebrauch vorgestellt wird. Erst dann werden Zeichen und Gegenstand<br />

gegenübergestellt, das interpretierende Auge und die ausführende<br />

Hand.<br />

51<br />

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artintact 1<br />

52 Das Hypermedium erlaubt den nicht-linearen Zugriff auf die gespeicherte<br />

Information, lädt ein, darin spazierenzugehen und verschiedene Medien<br />

zu kombinieren. Wieder handelt es sich hier um die paradoxe Aneignung<br />

einer Technik. Eric Lanz multipliziert nicht die Schichten von Information,<br />

er fügt weder Titel noch Definitionen oder Grafik hinzu, bietet kein<br />

abfragbares Überangebot, genau wie er nie elektronischen Spezialeffekten<br />

verfiel. Er scheint auf eine ausgesprochene Kritik der Technologie zu verzichten,<br />

sich ihrer aber nicht ohne inneren Widerstand zu bedienen. Zwar<br />

beherrscht Eric Lanz die technischen Möglichkeiten, nutzt sie aber minimal<br />

und sozusagen gegen den Strich.<br />

Übersetzung: Rebecca Picht


53<br />

artintact 1


Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Künstler / Artists<br />

Geboren 1945, promovierte 1979 in Ästhetik<br />

und ist Professor und Forschungsleiter<br />

an der Université Paris 8. Als Lehrer, Forscher<br />

und Kurator ebenso wie als Künstler<br />

beschäftigt sich Boissier mit den ästhetischen<br />

Veränderungen von Kunst und Bild<br />

in Verbindung mit Interaktivität und Virtualität.<br />

Seine multimedialen Werke untersuchen<br />

neue Formen von Narration und<br />

Fiktion.<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

Le Bus, interactive video disk, 1985<br />

Pékin, pour mémoire, interactive video<br />

disk, 1986<br />

Anthologie d’images de synthèse scientifiques,<br />

interactive video disk, 1990<br />

Anthologie du virtuel, interactive video<br />

disk, 1992<br />

Globus oculi, interactive installation, 1992<br />

Flora petrinsularis, interactive installation,<br />

1993<br />

Mutatis mutandis, interactive installation,<br />

1995<br />

3e Biennale d’art contemporain de Lyon,<br />

Jean-Louis Boissier<br />

Born in 1945, Jean-Louis Boissier obtained<br />

a PhD in Aesthetics in 1979, and is a professor<br />

and research director at the Université<br />

Paris 8. His work as a teacher, researcher,<br />

curator and artist has been concerned with<br />

the aesthetic changes occurring in images<br />

and the arts in connection with interactivity<br />

and virtuality. His multimedia works explore<br />

new forms of narration and fiction.<br />

CD-ROM, Paris: Réunion des musées nationaux,<br />

1995<br />

Mémoire de crayons, interactive installation,<br />

1995<br />

Actualité du virtuel, CD-ROM, Paris:<br />

Centre Georges Pompidou, 1997<br />

Le billet circulaire, Website, 1997<br />

La deuxième promenade, interactive installation,<br />

1998<br />

La morale sensitive, interactive installation,<br />

Cité des sciences, Paris, 1999<br />

Moments de Jean-Jacques Rousseau, CD-<br />

ROM, Geneva: Centre pour l’image contemporaine,<br />

and Paris: Éditions Gallimard,<br />

2000<br />

55<br />

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artintact 1<br />

56 Einzelausstellungen (Auswahl) / Version originale, Musée d’art contempo-<br />

Selected solo exhibitions<br />

rain de Lyon, Lyon, 1997<br />

Art virtuel, Boulogne Billancourt, 1998<br />

Musée de l’Élysée, Lausanne, 1990<br />

Interactivités, Centre Georges Pompidou,<br />

Centre pour l’image contemporaine,<br />

Geneva, 1994/99<br />

Credac, Ivry, Paris, 1995<br />

Paris, 2001<br />

InterCommunication Center Gallery, Ausstellungen (als Kurator) /<br />

Tokyo, 1995<br />

Studio national des arts contemporains,<br />

Le Fresnoy, 1998<br />

Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Medien-<br />

KunstRaum, Bonn, 1998<br />

Kyoto Art Center, Kyoto, 2000<br />

Exhibitions (as curator)<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

Les immatériaux, Centre Georges<br />

Pompidou, Paris, 1985<br />

Venice Biennale, Venice, 1986<br />

Passages de l’image, Centre Georges<br />

Pompidou, Paris, 1990<br />

Arslab, Turin, 1992<br />

Ars Electronica, Linz, 1992<br />

Multimediale 3, ZKM, Karlsruhe, 1993<br />

Version 1.0, Centre pour l’image contemporaine,<br />

Geneva, 1994<br />

Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />

1994<br />

ISEA ’94, Helsinki, 1994<br />

The Interaction ’95, Gifu, Japan, 1995<br />

InfoArt, Kwangju Biennale, Kwangju,<br />

Korea, 1995<br />

3e Biennale d’art contemporain de Lyon,<br />

Lyon, 1995<br />

Lab 6, Centre for Contemporary Art,<br />

Zamek Ujazdowski, Warsaw, 1997<br />

Electra, Musée d’art moderne de la ville de<br />

Paris, Paris, 1984<br />

Image calculée, Cité des sciences, Paris,<br />

1988<br />

Biennale Artifices, Saint-Denis, Paris,<br />

1990/92/94/96<br />

Machines à communiquer, Cité des sciences,<br />

Paris, 1991–1992<br />

Revue virtuelle, Centre Georges Pompidou,<br />

Paris, 1992–1996<br />

L’image n’est pas seule, Saint-Denis, Paris,<br />

1998<br />

Veröffentlichungen (Auswahl) /<br />

Selected bibliography<br />

‘Dramaturgie de l’interactivité.’ – Vers une<br />

culture de l´interactivité. Colloquium,<br />

Paris: Cité des sciences, 1989.<br />

‘Bambous, pour que poussent les images.’ –<br />

Les Chemins du virtuel. Cahiers du CCI,<br />

Paris: Centre Georges Pompidou, 1989.<br />

‘Le logiciel comme rêverie.’ – Le temps des<br />

machines. Valence, 1990.<br />

‘Machines à communiquer faites œuvres.’ –<br />

La communication, sous la direction de<br />

Lucien Sfez, Paris/La Villette: Presses<br />

Universitaires de France, 1991.<br />

‘Le virtuel s’expose-t-il?’ – Ars technica,


Paris, 1992.<br />

‘Vertus des mondes bornés.’ – Cahiers de<br />

l’Ircam, Paris: Centre Georges Pompidou,<br />

1992.<br />

‘Une esthétique de la saisie.’ – Revue d´esthétique,<br />

Paris, 1994.<br />

Programmes interactifs, catalogue, Ivry-sur-<br />

Seine: CREDAC, 1995.<br />

‘Langages en perspective.’ – Artifices 4, catalogue,<br />

Saint-Denis, 1996.<br />

‘Esthétique du virtuel.’ – Actualité du<br />

virtuel, CD-ROM, Paris: Centre Georges<br />

Pompidou, 1997.<br />

‘Arts du virtuel.’ – Encyclopaedia Universalis,<br />

Paris, 1997.<br />

Geboren 1962 in Biel (Schweiz), studierte<br />

an der Ecole supérieure d’art visuel in Genf<br />

und an der Kunstakademie in Düsseldorf.<br />

Seit 1998 hat er einen Lehrauftrag an der<br />

Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.<br />

Eric Lanz lebt in Düsseldorf und Genf.<br />

Auszeichnungen und Stipendien /<br />

Awards and stipends<br />

Prix Montres Bréguet d’Art Contemporain,<br />

Fribourg, 1993<br />

Siemens Stipend, ZKM, Karlsruhe, 1994<br />

Künstlerhaus Bethanien, Berlin, 1995<br />

Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, 1998<br />

Künstlerdorf Schöppingen, 2000<br />

Eric Lanz<br />

L’image n’est pas seule, catalogue, Paris:<br />

Bibliothèque de l’Université Paris 8,<br />

1998.<br />

‘L’interactivité comme perspective.’ – Traversées<br />

de l’image, Beaux-Arts du Mans,<br />

1998.<br />

‘L’hyper-estampe.’ – Les nouvelles de l’estampe,<br />

Paris: Bibliothèque Nationale,<br />

1999.<br />

‘Le moment interactif.’ – Moments de Jean-<br />

Jacques Rousseau, CD-ROM, Paris:<br />

Gallimard, 2000.<br />

‘Lisibilité, visibilité, jouabilité.’ – Revue<br />

d’esthétique, Paris, 2001.<br />

Born in Biel (Switzerland) in 1962, Eric<br />

Lanz studied at the Ecole supérieure d’art<br />

visuel in Geneva and at the Kunstakademie<br />

in Dusseldorf. Since 1998, he has been<br />

teaching on assignment at the Academy of<br />

Design, Karlsruhe. He lives and works in<br />

Dusseldorf and Geneva.<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

Video-Alphabet, Reihe von Installationen<br />

und Bändern / installation-and-tape series,<br />

1985–1990<br />

Les matières [Die Materien / The Materials],<br />

Reihe von Videos für Monitor /<br />

videotape series for monitor, 1991<br />

Les outils [Die Werkzeuge / The Tools],<br />

Reihe von Videos für Monitor / videotape<br />

series for monitor, 1991–1994<br />

57<br />

artintact 1


artintact 1<br />

58 Les gants [Die Handschuhe / The Gloves],<br />

Reihe von Installationen und Videos für<br />

Monitor / installation-and-video series<br />

for monitor, 1991–1993<br />

Les gestes [Die Gesten /The Gestures],<br />

Reihe von Videoprojektionen / videoprojection<br />

series, 1993–1995<br />

Les mains [Die Hände / The Hands], Reihe<br />

von Videos für Monitor / videotape series<br />

for monitor, 1994<br />

Les pulls; les maillots; les torses [Die<br />

Pullover; die Leibchen; die Büsten / The<br />

Pullovers; The Bodices; The Torsos],<br />

Reihe von Installationen und Videos für<br />

Monitor / installation-and-video series<br />

for monitor, 1995<br />

Les habits [Die Kleider / The Clothes],<br />

Reihe von Installationen und Videoprojektionen<br />

/ installation-and-video-projection<br />

series, 1996–1998<br />

Les choses [Die Dinge / The Things], Reihe<br />

von Installationen und Videoprojektionen<br />

/ installation-and-video-projection<br />

series, 1999–2001<br />

La pâte [Der Teig / The Dough], Video für<br />

Monitor / videotape for monitor, 2000<br />

Intervention, Videoinstallation / video installation,<br />

2001<br />

Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected solo exhibitions<br />

Centre Culturel Suisse, Paris, 1986<br />

Société des Arts, Palais de l’Athénée,<br />

Geneva, 1989<br />

Le Magasin, Centre National d’Art Contemporain,<br />

Grenoble, 1991<br />

Kunsthalle Fri-Art, Fribourg, 1993<br />

Festival Videoart, Museo Cannobbio,<br />

Locarno, 1994<br />

Künstlerhaus Bethanien, Berlin, 1995<br />

Centro dí Arte Contemporanea, Bellinzona,<br />

1996<br />

Fondation Claude Verdan (Handmuseum),<br />

Lausanne, 1997<br />

Saint-Gervais Images (Vitrines), Geneva,<br />

1997<br />

Galerie Bochynek, Düsseldorf, 1998<br />

Forum d’Art Contemporain, Sierre, 1998<br />

Espace Croisé, Lille, 1998<br />

Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, 1999<br />

Kunstverein (Artothek), Bonn, 2000<br />

Schloss Ringenberg, Hamminkeln, 2001<br />

Spiegel, Munich, 2001<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

Von Bildern, Kunsthalle, Bern, 1986<br />

Stiller Nachmittag, Kunsthaus, Zurich, 1987<br />

Centre d’Art Contemporain, Geneva, 1988<br />

Transformacoes, Fundacao Gulbenkian,<br />

Lisbon, 1990<br />

Projekt Schweiz, Kunsthalle, Basel, 1992<br />

Et passim, Kunsthalle, Bern, 1994<br />

Artifices 3, Saint-Denis, Paris, 1994<br />

La revue virtuelle 10, Centre Georges Pompidou,<br />

Paris, 1994<br />

Ohne Titel, Kunsthaus, Aarau, 1995<br />

Multimediale 4, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />

Video Visions, El Hanager Center of Arts,<br />

Cairo, 1995<br />

Burning the Interface, Museum of Contemporary<br />

Art, Sydney, 1996<br />

Version 2.2, Saint-Gervais, Geneva, 1996<br />

Cabines de bain, Schwimmbad La Motta,<br />

Fribourg, 1996


The thing between, Technische Sammlungen,<br />

Dresden, 1996<br />

Nonchalance, Centre Pasqu’Art, Biel/<br />

Bienne, 1997<br />

Nonchanlance revisited, Akademie der<br />

Künste, Berlin, 1998<br />

Serien und Konzepte, Museum Ludwig,<br />

Geboren 1956, erhielt den Master of Science<br />

in Visual Studies 1985 am Massachusetts<br />

Institute of Technology (MIT) und promovierte<br />

1999 am Centre for Advanced<br />

Inquiry in the Interactive Arts (CaiiA),<br />

University of Wales, Newport; als Komponist<br />

und Musiker ist er Autodidakt.<br />

Seaman ist Professor am Department of<br />

Design | Media Arts, University of California,<br />

Los Angeles. In seinen Arbeiten (Installationen,<br />

Virtual Reality, Video, Laserdisk,<br />

computergestütze Medien-, Fotografieund<br />

studiobasierte Audiokompositionen)<br />

untersucht er Verbindungen von Text, Bild<br />

und/oder Ton.<br />

Auszeichnungen (Auswahl) /<br />

Selected awards<br />

First Prize, San Francisco Art Institute<br />

Sound Art, San Francisco, 1979<br />

Best Sound, Geneva International Video<br />

Festival, Geneva, 1985<br />

First Prize, 2nd International Biennal,<br />

Ljubljana, 1985<br />

Awards in the Visual Arts, Rockefeller<br />

Foundation, Winston-Salem, 1986<br />

Cannon Europe Prize, World Wide Video<br />

Bill Seaman<br />

Cologne, 1999<br />

Wash & Wear, Kubus, Hanover and<br />

Hoesch-Museum, Düren, 1999;<br />

Kunsthaus, Hamburg, 2000<br />

Untragbar – Mode, Siemens Kulturprogamm,<br />

Museum für Angewandte<br />

Kunst, Cologne, 2001<br />

Born in 1956, Bill Seaman received an MSc<br />

in Visual Studies from the Massachusetts<br />

Institute of Technology (MIT) in 1985, followed<br />

in 1999 by a PhD from the Centre for<br />

Advanced Inquiry in the Interactive Arts<br />

(CAiiA), University of Wales, Newport. A<br />

self-taught composer and musician, Seaman<br />

holds a professorship at the Department of<br />

Design | Media Arts, UCLA. His work explores<br />

text, image and/or sound relationships<br />

through technological installation,<br />

virtual reality, linear video, computer-controlled<br />

laser disk and other computer-based<br />

media-, photography-, and studio-based<br />

audio compositions.<br />

Festival, The Hague, 1987<br />

National Endowment for the Arts Fellowship,<br />

Washington D.C., 1987<br />

Zone Video Festival Prize, Springfield, 1989<br />

Award of Distinction in Interactive Art,<br />

Prix Ars Electronica, Linz, 1992<br />

Best International Video, Cadíz, 1992<br />

Award of Distinction in Interactive Art,<br />

Prix Ars Electronica, Linz, 1995<br />

International Award for Video Art, ZKM<br />

Karlsruhe, SWF Baden-Baden, ORF<br />

Austria, 1995<br />

59<br />

artintact 1


artintact 1<br />

60 Bonn Videonale Prize, Bonn, 1996<br />

Interaction Design Award, software for virtual<br />

and spatial performances, Hanover,<br />

1998<br />

Intel Research Gift, UCLA, Los Angeles,<br />

2000/2001<br />

Chancellor’s Fund for Academic Border<br />

Crossing, UCLA, with Dr. Ingrid Verbauwhede,<br />

Electrical Engineering, 2001<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

How to Revive Dead Roses, linear video,<br />

1981<br />

Home – Homeostatic Range, linear video,<br />

1981<br />

S.HE, linear video, 1983<br />

The Water Catalogue, linear video, 1984<br />

Telling Motions, linear video, 1986<br />

Boxer’s Puzzle, linear video, 1986<br />

Shear, linear video, 1986<br />

Details from the Book of Notice, site-specific<br />

sign-and-sound installation, 1989<br />

The Design of the Grip, 9-channel video installation,<br />

1989<br />

The Watch Detail, linear video and interactive<br />

video disk, 1990<br />

The Exquisite Mechanism of Shivers, linear<br />

video and interactive video disk, 1991<br />

Abstraction Machine, auto-generative computer-based<br />

work, 1993<br />

Shop and the Necessary Orgy (with Open<br />

City Theatre), interactive video disk for<br />

theatrical production, 1994<br />

Passage Sets / One Pulls Pivots at the Tip of<br />

the Tongue, linear video and interactive<br />

video disk, 1995<br />

The Engine of Desire, linear video and inter-<br />

active video disk, 1996<br />

The World Generator / The Engine of Desire<br />

(with Gideon May), virtual environment,<br />

1996–97<br />

Red Dice / Dés Chiffrés, interactive installation<br />

and linear video, 2000<br />

Exchange Fields (with Regina Van Berkel),<br />

interactive installation and linear video,<br />

2000<br />

Hybrid Invention Generator, computerbased<br />

interactive installation, work-inprogress,<br />

2001<br />

Inversion (with Regina Van Berkel), dance<br />

and interactive installation/set, work-inprogress,<br />

2001<br />

Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected solo exhibitions<br />

Rhode Island School of Design Museum,<br />

Providence, Rhode Island, 1985<br />

Institute of Contemporary Art, Boston,<br />

1989<br />

Experimental Art Foundation, Adelaide,<br />

1992<br />

NTT Media Lab, Tokyo, 1994<br />

Art Gallery of New South Wales, Sydney,<br />

1995<br />

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Medien-<br />

KunstRaum, Bonn, 1996<br />

Sprengelmuseum, Hanover, 1997<br />

c 3 – Centre for Culture and Communication,<br />

Budapest, 1997<br />

Canadian National Gallery, Ottawa, 2000<br />

The Daniel Langlois Foundation, Cinémateque<br />

Québecoise, Montreal, 2001


Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

New Music America, Miami, Florida, 1989<br />

Institute of Contemporary Art, Boston,<br />

Mass., 1989/90<br />

Siggraph, Las Vegas, Nevada, 1991<br />

Frankfurt Art Institute, Frankfurt, 1992<br />

Experimenta ’92, Melbourne, 1992<br />

Bitte Berühren, ZKM, Karlsruhe, 1992<br />

FISEA , Minneapolis, Minnesota, 1992<br />

Ars Electronica, Linz, 1992/95<br />

9th Biennale of Sydney, Sydney, 1992–93<br />

Tomorrow’s Realities, Siggraph, Anaheim,<br />

California, 1993<br />

Artificial Games, Munich, 1993<br />

Ivan Dougherty Gallery, Sydney, 1993<br />

CAVS, MIT 25 Year Retrospective, Cambridge,<br />

Mass., 1994<br />

ISEA ’95, Montreal, 1995<br />

Multimediale 4, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />

Electra, Oslo, 1996<br />

Guggenheim Downtown New York, New<br />

York, 1996<br />

Dutch Electronic Art Festival, Rotterdam,<br />

1996<br />

Serious Games, Barbican Gallery, London,<br />

1997<br />

Wilhelm Lembruck Museum, Duisburg,<br />

1997<br />

IT Conference Exhibition, VR connecting<br />

ZKM, Karlsruhe and Brussels, Belgium,<br />

1997<br />

Surrogate, ZKM Karlsruhe, VR connecting<br />

ZKM and InterCommunication Centre,<br />

Tokyo, 1998<br />

Body Mécanique, Wexner Center for the<br />

Arts, Columbus, Ohio, 1998<br />

Digital Traces, Pittsburgh Art Center, Pittsburgh,<br />

1999<br />

Adelaide Festival, Adelaide, 2000<br />

Vision Ruhr, Dortmund, 2000<br />

Website<br />

http://www.cda.ucla.edu/faculty/seaman/<br />

61<br />

artintact 1


62<br />

artintact 1<br />

Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Autoren / Authors<br />

Dieter Daniels initiierte 1984 die Videonale<br />

Bonn, leitete von 1991–94 die Videothek<br />

am ZKM und ist seit 1993 Professor für<br />

Kunstgeschichte und Medientheorie an der<br />

Hochschule für Grafik und Buchkunst,<br />

Leipzig. Neben zahlreichen Veröffentlichungen<br />

(u.a. Duchamp und die anderen.<br />

Der Modellfall einer künstlerischen Wirkungsgeschichte<br />

in der Moderne, 1992;<br />

Medien Kunst Interaktion. Die 80er und<br />

90er Jahre in Deutschland, mit Rudolf<br />

Frieling, 2000) und Tätigkeiten als Kurator<br />

(u.a. Minima Media, MedienBiennale<br />

Leipzig, 1994) ist Dieter Daniels seit 2000<br />

Co-Redakteur des Internet-Projekts<br />

›medienkunstnetz.de‹.<br />

Jean-Louis Boissier<br />

siehe Seite 55 see page 55<br />

Dieter Daniels<br />

Dieter Daniels initiated the Videonale Bonn<br />

in 1984, was director of the ZKM Video<br />

Library from 1992 to 1994, and since 1993<br />

has been Professor of Art History and<br />

Media Theory at the Leipzig Academy of<br />

Visual Design. As well as authoring and<br />

editing numerous publications (incl.<br />

Duchamp und die anderen. Der Modellfall<br />

einer künstlerischen Wirkungsgeschichte in<br />

der Moderne, 1992; Media Art Interaction.<br />

The 1980s and 1990s in Germany, with<br />

Rudolf Frieling, 2000), and curating many<br />

exhibitions (e.g. Minima Media, Medien-<br />

Biennale Leipzig, 1994), he co-edits the Net<br />

project ‘mediaartnet.org’.


Anne-Marie Duguet ist Professorin an der<br />

Université Paris 1 und leitet dort das Centre<br />

de Recherches d‘Esthétique du Cinéma et<br />

des Arts audiovisuels. Neben ihrer Tätigkeit<br />

als Kuratorin publiziert sie zu Themen<br />

zeitgenössischer Kunst, neuen Technologien<br />

und Video. Sie ist Initiatorin und Herausgeberin<br />

der Publikationsreihe ‘anarchive’,<br />

die DVD-ROM und Internet-Projekte<br />

dokumentiert und Co-Autorin der<br />

ersten Ausgabe Muntadas: Media Architecture<br />

Installations (CD-ROM, 1999) sowie<br />

Co-Autorin des Buchs Jeffrey Shaw – a<br />

user’s manual / eine Gebrauchsanweisung:<br />

Vom Expanded Cinema zur Virtuellen<br />

Realität (1997).<br />

Anne-Marie Duguet<br />

A professor at the Université Paris 1, Anne-<br />

Marie Duguet is head of the Centre de<br />

Recherches d‘Esthétique du Cinéma et des<br />

Arts audiovisuels. Alongside her curatorial<br />

activities, she writes on contemporary art,<br />

new technologies and video. She established<br />

and edits the ‘anarchive’ series documenting<br />

DVD-ROM and Internet projects, and<br />

co-authored the first issue Muntadas:<br />

Media Architecture Installations (CD-ROM,<br />

1999) as well as the book Jeffrey Shaw – a<br />

user’s manual: From Expanded Cinema to<br />

Virtual Reality (1997).<br />

63<br />

artintact 1


64<br />

artintact 1<br />

Herausgeber /<br />

Publisher<br />

ZKM /Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Konzept / Concept<br />

Jeffrey Shaw<br />

Redaktion / Editor<br />

Astrid Sommer<br />

Gestaltung / Design<br />

Holger Jost<br />

Übersetzungen /<br />

Translators<br />

Anina Helmsley<br />

Rebecca Picht<br />

Paul Smith<br />

Mitarbeit /Assistance:<br />

Eddie Shanken<br />

Impressum / Colophon<br />

Benutzeroberfläche /<br />

Interface Design<br />

Holger Jost<br />

Volker Kuchelmeister<br />

CD-ROM-Adaption<br />

der Werke von Eric Lanz<br />

und Bill Seaman /<br />

CD-ROM adaptation<br />

of the works of Eric Lanz<br />

and Bill Seaman:<br />

Volker Kuchelmeister<br />

CD-ROM-Adaption<br />

des Werks von<br />

Jean-Louis Boissier /<br />

CD-ROM adaptation<br />

of the work of<br />

Jean-Louis Boissier:<br />

Jean-Louis Boissier<br />

© 2002 der Essays<br />

bei den Autoren und<br />

ZKM Karlsruhe / Essays<br />

© 2002 by the authors and<br />

ZKM Karlsruhe<br />

© 2002 der Werke bei den<br />

Künstlern / Artworks<br />

© 2002 by the artists<br />

© 2002 der Screenshots bei<br />

den Künstlern / Screenshots<br />

© 2002 by the artists


65<br />

artintact 1


artintact 2<br />

CD-ROMagazin<br />

interaktiver Kunst<br />

ZKM/Zentrum<br />

für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Artists’ interactive<br />

CD-ROMagazine<br />

ZKM/Center<br />

for Art and Media<br />

Karlsruhe<br />

Hatje Cantz [1995/2002]


artintact 2<br />

Inhalt<br />

71<br />

Editorial<br />

73<br />

Walter Benjamin<br />

und die CD-ROM –<br />

Zu einer neuen<br />

Medienform<br />

Christoph Blase<br />

Luc Courchesne:<br />

Portrait One<br />

85<br />

Blind Date im<br />

Cyberspace oder<br />

die sprechende Figur<br />

Jean Gagnon


Miroslaw Rogala:<br />

Lovers Leap<br />

97<br />

Lovers Leap –<br />

Den Sprung wagen:<br />

Einstiegspunkte …<br />

Ausgangspunkte<br />

Timothy Druckrey<br />

Tamás Waliczky:<br />

Der Wald<br />

111<br />

Tamás Waliczky:<br />

Der Wald<br />

Anna Szepesi<br />

121<br />

Biografische Notizen:<br />

Künstler<br />

130<br />

Biografische Notizen:<br />

Autoren<br />

132<br />

Impressum<br />

artintact 2


Auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst<br />

1994 haben wir artintact 1 der Öffentlichkeit<br />

vorgestellt. Dies war ein erster Versuch,<br />

interaktive Medienkunst auf einem adäquaten<br />

und zeitgemäßen Datenträger zu<br />

speichern und gleichzeitig ein ökonomisches<br />

Experiment, in Kooperation mit<br />

einem Buchverlag ein tatsächlich multimediales<br />

Kommunikationspaket auf den<br />

Markt zu bringen. Der überraschende<br />

Erfolg dieser ersten Ausgabe eines CD-<br />

ROM-Magazins interaktiver Kunst des<br />

ZKM/Zentrums für Kunst und Medientechnologie<br />

gab uns recht, und das große<br />

Interesse, das es bei Präsentationen auf<br />

nachfolgenden Festivals, Messen und Ausstellungen<br />

in Leipzig, Berlin, Paris und<br />

Cannes hervorrief, hat unser Konzept bestätigt:<br />

Kein anderer Informationsspeicher<br />

ist derzeit besser geeignet, die mediale Vielfalt<br />

interaktiver Kunstwerke individuell erlebbar<br />

und gleichzeitig multiplizierbar zu<br />

machen als die CD-ROM. In Verbindung mit<br />

einem Buch, das als konventionelles Medium<br />

die Autonomie der künstlerischen<br />

Arbeit selbst unberührt läßt, das sich dieser<br />

aber als Kommentar und kritische Reflexion<br />

zur Seite stellt, ist uns gleichsam die<br />

Vervielfältigung einer kleinen Galerie der<br />

Medienkunst gelungen.<br />

Die zweite Ausgabe von artintact erscheint<br />

zum Medienkunstfestival Multi-<br />

Mediale 4 des ZKM im Mai 1995. Unter<br />

der Leitung von Jeffrey Shaw haben wir<br />

wiederum einige Gastkünstler des Insti-<br />

Editorial<br />

tuts für Bildmedien des ZKM eingeladen,<br />

artintact 2 zu gestalten. Hiermit wollen<br />

wir zum einen unserer Chronistenpflicht<br />

Genüge leisten, indem wir bestimmte<br />

Ergebnisse unserer Forschungs- und<br />

Entwicklungsarbeit aufbereiten und dokumentieren.<br />

Denn die Gastkünstler des<br />

ZKM hinterlassen nicht nur intern ihre<br />

Spuren; sie legen auch ein beredtes Zeugnis<br />

ab für die aufs neue überraschenden Ausdrucksmittel,<br />

die die elektronischen Medien<br />

den Künstlern bieten können. Zum<br />

anderen aber ergibt sich mit der von uns<br />

gewählten Form von artintact als Magazin<br />

oder Journal für die Rezeption der Medienkunst<br />

insgesamt, insbesondere für Werke,<br />

die die Interaktion mit dem Betrachter bzw.<br />

Besucher voraussetzen, eine bisher noch<br />

kaum genutzte Chance: Die üblicherweise<br />

dem Kontext von Ausstellungen oder Festivals<br />

vorbehaltene öffentliche Präsentation<br />

und Auseinandersetzung mit Medienkunst<br />

wird hier als intimes Einzelereignis privatisiert<br />

und gleichzeitig für jedermann zugänglich<br />

gemacht. Wir sehen darin eine<br />

weiteren Beitrag, die Akzeptanz und das<br />

Selbstverständnis der Medienkunst im<br />

Diskurs der Kunst der Gegenwart zu fördern.<br />

Heinrich Klotz<br />

Vorstand des ZKM/Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie Karlsruhe<br />

1989–1998<br />

71<br />

artintact 2


Walter Benjamin und die CD-ROM<br />

Zu einer neuen Medienform<br />

Von Christoph Blase<br />

Zitate von Walter Benjamin, Kapitel Das Kunstwerk im Zeitalter seiner<br />

technischen Reproduzierbarkeit1 , haben wieder verstärkt Konjunktur.<br />

Gedruckt erstmals 1936, werden sie heute mit der Hoffnung herangezogen,<br />

ihre prophetische Weitsicht könnte auch auf die CD-ROM zutreffen:<br />

Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu<br />

erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist. Die<br />

Geschichte jeder Kunstform hat kritische Zeiten, in denen diese Form auf Effekte hindrängt,<br />

die sich zwanglos erst bei einem veränderten technischen Standard, d.h. in einer<br />

neuen Kunstform ergeben. 2<br />

Benjamin bezog dies auf die Fotografie und besonders auf den Film.<br />

Heute kann das Zitat im Hinblick auf die CD-ROM verifiziert werden. Als<br />

konkretes Produkt steht sie hier stellvertretend für den gesamten Bereich<br />

der Neuen Medien. Gleichwohl stellt sie nur einen kleinen Ausschnitt<br />

daraus dar, allerdings jenen, der, was technische Reife, Zugänglichkeit und<br />

Benutzbarkeit betrifft, am weitesten vorangeschritten ist. Mit jeder Million<br />

neuer CD-ROM-Laufwerke läßt sich begründeter von einer neuen<br />

Form im Sinne der Benjamin’schen Kunstform sprechen.<br />

In der aktuellen Bildenden Kunst verstärkt sich seit gut fünf Jahren die<br />

Tendenz, in umfangreichen Kontexten zu arbeiten. Renée Green, Andrea<br />

Fraser, Fareed Armaly, Christian Philipp Müller, Regina Möller, Clegg &<br />

Guttmann, Peter Fend, Carsten Höller, Mark Dion, Stephan Dillemuth,<br />

Jason Rhodes – um wahllos nur einige zu nennen und gleichzeitig deutlich<br />

zu machen, daß es viele sind – lassen ihren Arbeiten eine Recherche<br />

1. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit,<br />

Frankfurt am Main, 1977.<br />

2. Ebd., S. 36f.<br />

73<br />

artintact 2


74<br />

artintact 2<br />

nach Informationen vorausgehen oder erheben diese selber, um anschließend<br />

dieses Material für das Publikum zu inszenieren. Die Ansammlung<br />

von Informationen erreicht dabei einen solchen Umfang, daß kein<br />

Betrachter mehr alles rezipieren kann. Soweit es um Texte, Hefte oder<br />

Bücher, aber auch um Audioinformationen über Kopfhörer geht, kann<br />

zur gleichen Zeit meist jeweils nur ein Betrachter diese Informationen<br />

aufnehmen. Und kaum jemand liest oder hört genau dieselben Stellen wie<br />

der nächste, konzentriert sich auf die gleiche Interviewpassage, schaut<br />

sich dieselbe Videosequenz an, weiß im gleichen Umfang um die stillschweigend<br />

vorausgesetzten Zusammenhänge. Der Betrachter interagiert<br />

also mit dem Kunstwerk nach individuellem Gusto und zieht aus dem<br />

Informationspaket stets nur eine Teilprobe.<br />

Die Kunst provoziert damit eine unbefriedigende Situation, da das<br />

Kunstwerk Verästelungen und Verknüpfungen anbietet, die nur unter<br />

Mühen zu erfassen sind. Man fühlt sich jedoch genötigt, alles erfassen zu<br />

wollen, um wenigstens annähernd den Sinn der Arbeit zu begreifen und<br />

das Gefühl zu haben, sie beurteilen zu können. Regelmäßig bleibt der<br />

Eindruck zurück, etwas verpaßt zu haben, ein Detail nicht zur Kenntnis<br />

genommen zu haben, das vielleicht wesentlich gewesen wäre. So trifft den<br />

Künstler unterschwellig der Vorwurf, er würde ein unstrukturiertes und<br />

auch unerquickliches Sammelsurium anbieten. In Wirklichkeit hat seine<br />

Materialzusammenstellung sehr wohl eine Struktur, was ihr dagegen<br />

fehlt, ist das richtige Medium.<br />

Im Sinne des Benjamin’schen Zitates befindet sich die Kontext-Kunst<br />

der 90er Jahre in jenem Stadium, in dem ›für die volle Befriedigung die<br />

Stunde noch nicht gekommen ist‹, aber sie gleichwohl ›auf Effekte hindrängt‹,<br />

die sich ›zwanglos erst‹, mit der CD-ROM, ›in einer neuen Kunstform<br />

ergeben können‹.<br />

Der Effekt, auf den gezielt wird, der aber in der Ausstellungssituation<br />

nicht erreichbar ist, bildet jene vernetzte Materialfülle, die den Betrachter<br />

überfordert. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ihm noch gar nicht bewußt


ist, daß dieses Angebot nicht vollständig studiert werden muß, sondern<br />

lediglich die Aufforderung zur individuellen Auswahl darstellt. Der Betrachter<br />

wird vor der Kunst zu einem ähnlichen Einzelrezipienten wie der<br />

Benutzer vor dem Computerbildschirm.<br />

Hat er das Material dagegen auf einer CD-ROM, könnte er sich sehr<br />

viel leichter und schneller, auch gezielter durch den mit Text, Bild, Sprache<br />

und Video gefüllten Datenraum bewegen. Die gewollte Struktur, jene<br />

Verknüpfungen, die bestimmte Assoziationen und Erlebnisse im Kopf<br />

des Benutzers auslösen, werden wirkungsvoller und zuverlässiger erreichbar<br />

als in einer Ausstellungssituation. Der Unterschied besteht in<br />

der Kunstform und genau dies macht wiederum die Akzeptanz beim<br />

Publikum aus.<br />

Benjamin weist vor 60 Jahren nach, daß die Dada-Bewegung oder der<br />

Surrealismus vom breiten Publikum nicht akzeptiert wurden, der Film<br />

allerdings sehr wohl: ›So muß dasselbe Publikum, das vor einem Groteskfilm<br />

fortschrittlich reagiert, vor dem Surrealismus zu einem rückständigen<br />

werden‹. 3 Picasso wird abgelehnt, Chaplin dagegen geliebt. Erklärbar<br />

wird dies dadurch, ›daß die Leistungen, die der Film vorführt, viel exakter<br />

und unter sehr viel zahlreicheren Gesichtspunkten analysierbar sind, als<br />

die Leistungen, die auf Gemälden oder auf der Szene sich darstellen‹. 4<br />

Auch die Kontext-Kunst der 90er Jahre wird von einem breiten Publikum,<br />

zu dem auch Galeristen und Museumsleute gehören, nur widerwillig<br />

rezipiert. Ihre Einordnung fällt genauso schwer wie ihr Konsum, man<br />

betrachtet sie nicht als logische Fortentwicklung der boomenden 80er<br />

Jahre. Gleichwohl ist ihre Stärke und Wichtigkeit spürbar. Denn sie, und<br />

nicht die Linie der Videoskulptur von Paik bis Lafontaine, symbolisiert<br />

jene Benjamin’schen ›kritische(n) Zeiten‹, die ›einem veränderten technischen<br />

Standard‹ vorausgehen.<br />

3. Ebd., S. 34.<br />

4. Ebd., S. 34f.<br />

75<br />

artintact 2


artintact 2<br />

76<br />

In der Kontext-Kunst der 90er Jahre wird der Betrachter nicht nur mit<br />

Material überfrachtet und auf eine individuelle Rezeption verwiesen, beides<br />

bei der CD-ROM positive Merkmale, sondern es lassen sich auch weitere<br />

Beobachtungen beschreiben, die aus dem falschen Medium heraus<br />

auf die richtige, die ›neue Kunstform‹ hindeuten. Ähnlich wie Benjamin<br />

dem Dadaismus bescheinigt, ›daß er die Marktwerte, die dem Film in so<br />

hohem Maße eignen, zugunsten bedeutsamerer Intentionen opfert‹ 5 , so<br />

kümmert sich auch der heutige Kontext-Künstler eher wenig um die<br />

Vermarktbarkeit seiner Arbeit, wenn nur seine Reise- und Produktionskosten<br />

halbwegs gedeckt sind, und die Einladung zu einem Symposium<br />

erfreut ihn mehr als der Verkauf einer Arbeit.<br />

Einher damit geht ein ausgeprägtes Interesse an Techniken und Ergebnissen<br />

aus dem wissenschaftlichen Bereich, die teilweise wieder in die<br />

künstlerische Arbeit einfließen. Auch diese Beobachtung findet sich<br />

schon bei Benjamin, wenn er dem Film prophezeit, eine seiner wichtigsten<br />

Funktionen werde sein, ›die künstlerische und die wissenschaftliche<br />

Verwertung der Photographie, die vordem meist auseinander fielen, als<br />

identisch erkennbar zu machen‹ 6 . Die CD-ROM als kleinste haptische Einheit<br />

der Neuen Medien hat ebenfalls die ›Tendenz, die gegenseitige<br />

Durchdringung von Kunst und Wissenschaft zu befördern‹. 7 Dies nicht<br />

zuletzt deshalb, da heute beide Seiten, die Kunst wie die Wissenschaft, mit<br />

denselben Computern und Programmen arbeiten, die ihnen dieselben<br />

Probleme bereiten. Eher am Rande sei bemerkt, daß viele Künstler mit<br />

ihren Computern versuchen, Texte zu produzieren und zu gestalten,<br />

während die Wissenschaftler daran interessiert sind, ihre Ergebnisse zu<br />

visualisieren. 8<br />

5. Ebd., S. 37.<br />

6. Ebd., S. 35.<br />

7. Ebd.<br />

8. Benjamin weist in einer Fußnote auf die historische Analogie in der Renaissancemalerei<br />

hin: ›Auch da begegnen wir einer Kunst, deren unvergleichlicher Aufschwung und


Doch auf welchem Stand ist die CD-ROM? Wie weit ist die schöne<br />

Aussage von Benjamin, ›wenn in der Lithographie virtuell die illustrierte<br />

Zeitung verborgen war, so in der Photographie der Tonfilm‹, 9 weiter gediehen?<br />

Haben wir es mit einem Bastard zu tun, so wie das Fernsehen einer<br />

ist, oder stehen wir ausgehend von Gutenberg, Senefelder und Daguerre<br />

vor dem Ergebnis der durch geschicktes Kreuzen erreichten<br />

idealen Medienzüchtung? Es existiert ein künstlerischer Film, kaum ein<br />

Fernsehen, wird eine künstlerische CD-ROM existieren?<br />

Die Frage kann mit Ja beantwortet werden, auch wenn die Beweislage<br />

noch etwas dürftig ausfällt. Denn selbst die Beiträge auf den artintact CD-<br />

ROMs behandeln jeweils nur Teilaspekte. Sie bedienen sich dieses Trägers,<br />

wurden aber adaptiert aus Installationen, um so auch für ein größeres<br />

Publikum sichtbar zu werden. Dies geschah so geschickt, daß der Benutzer<br />

es nicht bemerkt und selbst jener, der darum weiß, es schnell vergißt.<br />

Wenn wir uns durch den Wald von Tamás Waliczky bewegen, brauchen<br />

wir nicht die riesige Flugsimulatorplattform, das Blättern in einem realen<br />

Buch bei Flora petrinsularis von Jean-Louis Boissier (artintact 1) wird<br />

durch die Bewegung der Maus ersetzt, ohne daß die Arbeit an Intensität<br />

verliert. Die Kommunikation mit dem hinterhältig freundlichen Mädchen<br />

Luc Courchesnes ist vielleicht alleine am Computer sogar angenehmer<br />

als in einer Ausstellungssituation.<br />

Obwohl artintact ein Dokumentationsmedium ist, beweist sie ihre<br />

eigenständige Wirkungskraft, die sogar eine Überlegenheit andeutet.<br />

Denn dieselben Werke legen dem Benutzer in ihrer Ausführung als<br />

deren Bedeutung nicht zum wenigsten darauf beruht, daß sie eine Anzahl von neuen<br />

Wissenschaften oder doch von neuen Daten der Wissenschaft integriert. Sie beansprucht<br />

die Anatomie und die Perspektive, die Mathematik, die Meteorologie und die<br />

Farbenlehre‹. (a.a.O., S. 35.) Empfohlen sei zudem der Aufsatz ›Der Weg zur Welt im<br />

Kopf. Eine Kunstgeschichte der Medien – fast-forward‹ von Beat Wyss im Katalog<br />

RAM. Realität – Anspruch – Medien, S. 15–36, Auslieferung Buchhandlung Walther<br />

König, Köln 1995.<br />

9 Walter Benjamin, a.a.O., S. 11<br />

77<br />

artintact 2


artintact 2<br />

78<br />

Kunstinstallation gewisse Einschränkungen auf. Er muß sich zu einer<br />

bestimmten Zeit zu einem bestimmten Ort begeben, er ist nicht alleine, er<br />

wird beobachtet. Es ist so, als ob man Bücher nur öffentlich lesen könnte<br />

und jeder könnte beobachten, für welche Seiten man sich gerade interessiert.<br />

Das Kunstwerk CD-ROM stellt in seiner Handhabung wie das Buch<br />

etwas höchst Individuelles dar, vorgesehen für nur einen interagierenden<br />

Kopf und damit prädestiniert für den privaten Raum. Die Medieninstallation<br />

vor Ort verhält sich zur CD-ROM-Version wie das Kinoerlebnis zur<br />

Videokassette, nur daß die CD-ROM sehr viel mehr zu bieten hat.<br />

Innerhalb dieses Potentials untersuchen die Beiträge auf artintact 2<br />

isolierte Bereiche – das Bewegen im unendlichen Raum, das Erfassen des<br />

städtischen Raumes, die private Kommunikation mit einer simulierten<br />

realen Person –, die jeweils ein Kapitel in der Grammatik der neuen<br />

Kunstform CD-ROM bilden. Es sind künstlerische Forschungsergebnisse,<br />

die versuchen, in die Geheimnisse der interaktiven und multimedialen Semiotik<br />

vorzustoßen, die ihren Versuchsaufbau nun hinter sich lassen und<br />

mit der Publizierung in CD-ROM-Ausführung gleichzeitig ihren Nutzwert<br />

für gerade dieses Medium CD-ROM beweisen. Die Medienkunst ist<br />

die Forschungsabteilung für das Massenprodukt und die neue Kunstform<br />

CD-ROM. ›Der veränderte technische Standard‹ ist dabei inzwischen so<br />

weit fortgeschritten, daß zukünftige Entwicklungen auch gleich direkt in<br />

seiner Form stattfinden können und werden.<br />

Dabei wird ähnlich wie im Medium Buch nicht alles Kunst sein, aber<br />

es ist müßig, daß wir wieder einmal ›vielen vergeblichen Scharfsinn‹, um<br />

noch einmal Benjamins Worte aufzugreifen, in die Frage stecken, ob CD-<br />

ROM und Neue Medien nun Kunst seien, ›ohne die Vorfrage sich gestellt<br />

zu haben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie‹, die wir hier<br />

durch CD-ROM ersetzen, ›der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert<br />

habe‹. 10 Dies ist zweifellos der Fall, jedoch heute keinesfalls dramatisch,<br />

10. Ebd., S. 22.


da der Vorgang bereits begann, als der Ursprung aller Bilderzeugung, die<br />

Malerei und die Skulptur, erweitert wurden durch technische Medien.<br />

Die Veränderung des Gesamtcharakters Kunst geschieht seitdem nicht<br />

mehr schockartig, sondern in kleinen Wellen. Die CD-ROM ist eine solche<br />

Welle, genauso wie das Radio und das Fernsehen eine waren und das<br />

Internet eine ist. Die stetigen Wellen haben die Kunst immer mehr umspült,<br />

und so gewinnt die Meinung von Markus Lüpertz, daß es an der<br />

Zeit wäre, den Kunstbegriff wieder strikt auf Malerei und Skulptur zu<br />

begrenzen, durchaus Attraktivität.<br />

Man lasse einer solchen Kunst die Aura des Originals und eröffne in<br />

der Reihe der technisch reproduzierbaren Künste ein weiteres Forum für<br />

die CD-ROM. In Wirklichkeit ist dies längst geschehen, die Crux liegt<br />

darin, daß ein zweiter Begriff, der ähnlichen Wert und Nimbus wie das<br />

Wort ›Kunst‹ besitzt, nicht existiert. Doch gewinnt der Ausdruck<br />

›Medien‹ bereits eine integrierende Kraft, die ihn durchaus gleichwertig<br />

neben ›Kunst‹ erscheinen läßt. Die Diskussion über Qualität und Nichtqualität<br />

läßt sich sehr viel effektiver führen, wenn die CD-ROM nicht als<br />

neue Kunstform, sondern als neue Medienform betrachtet wird. Dies ist<br />

allerdings gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß der jahrzehntelange<br />

Kampf um den Kunstcharakter der Fotografie ein Scheingefecht<br />

war. Der Begriff ›neue Medienform‹ für Fotografie ist vielleicht sogar<br />

noch stärker als lediglich eine ›neue Kunstform‹. Der Kunstcharakter<br />

kann zurückgegeben werden, was zählt ist der eigenständige Mediencharakter.<br />

Und einen solchen nimmt als bisherigen Höhepunkt in der<br />

Linie seit Erfindung der Fotografie die CD-ROM für sich in Anspruch.<br />

Doch was macht die Qualität der neuen Medienform CD-ROM aus? Als<br />

bekannt sei vorausgesetzt, daß sie erstaunlich viele Daten aller reproduzierbaren<br />

Medien speichern und interaktiv, also nonlinear, in erstaunlicher<br />

Schnelligkeit wieder ausgeben kann. Daß dies eigentlich noch<br />

immer nicht schnell genug geschieht, daß die Bildqualität zuweilen zu<br />

79<br />

artintact 2


artintact 2<br />

80<br />

wünschen übrig läßt, daß nicht jede Scheibe mit jedem System arbeiten<br />

möchte, all dies sei zudem als Kinderkrankheiten großzügig übersehen.<br />

Gesprochen wird auch nicht über technische Fragen. Es geht einzig um<br />

die Diskussion der inhaltlichen Qualitäten und die Kriterien ihrer Beurteilung<br />

gemessen an jenen Beispielen, wie sie dem Benutzer state of the<br />

art 1995 angeboten werden.<br />

Den bisherigen Produkten haftet noch ein verständlicher Hang zur<br />

Verwendung von bereits vorhandenem Material an und der Reiz liegt<br />

vor allem in der neuartigen Aufbereitung. Dies betrifft Werke wie den<br />

Beatles-Film A Hard Day’s Night, 11 bei dem sich zeitgleich zum Film das<br />

Drehbuch mitlesen läßt, oder Marvin Minsky’s Buch The Society of<br />

Mind12 , das vor allem durch seine mannigfachen Textverknüpfungen<br />

beeindruckt. Auch die zahlreichen CD-ROM über Museen und Kunstsammlungen<br />

orientieren sich stark an den bisherigen Techniken der<br />

Informationsaneignung und stellen vor allem einen riesigen elektronischen<br />

Zettelkasten dar, bei dem sich jeder Zettel bequem aufrufen läßt<br />

und logisch mit allen anderen Zetteln verknüpfbar ist. Aber auch hier<br />

kann man im Informationswust verlorengehen und interessante Details<br />

übersehen. Ein erstes wesentliches Kriterium für die CD-ROM ist somit<br />

ihre gewinnbringende Systematik in der Aufbereitung der Informationen.<br />

Die zur Zeit beste CD-ROM im Kunst-Bereich, jene über den<br />

Louvre13 , ist daher auch eher knapp in ihren einzelnen Kapiteln gehalten.<br />

Sie verweigert sich jedem Versuch, die Texte auszudrucken und setzt<br />

bewußt auf das gesprochene Wort. Dieses ertönt teilweise exklusiv, ist<br />

also nicht mitlesbar, sondern kann nur beliebig oft, natürlich gekoppelt<br />

mit visuellen Informationen, gehört werden. Wer möchte, kann sich<br />

11. The Beatles in A Hard Days Night, CD-ROM, Voyager, 1993.<br />

12. First person: Marvin Minsky – The Society of Mind, CD-ROM, Voyager, 1994.<br />

13. Le Louvre – peintures & palais, CD-ROM, Montparnasse Multimedia, 1994.


durch den Louvre klicken, ohne einen einzigen Text zu lesen. Weitere<br />

Feinheiten, wie zum Beispiel eine Vergrößerung des Bildes, die anstatt<br />

wie üblich statisch zu verharren, mit der Maus abtastbar ist, so daß die<br />

Hand den Blickwünschen des Auges vorauseilt, weisen ebenfalls auf eine<br />

nur der CD-ROM eigene Spezifik der Informationsvermittlung hin.<br />

Was hier auf der Fläche geschieht, ist bei anderen CD-ROM bereits im<br />

Raum möglich. Die Maus bestimmt die Blickrichtung, der Benutzer kann<br />

sich frei bewegen, um sich zum Beispiel in der neuen CD-ROM über die<br />

Barnes-Collection14 die gewünschten Bilder direkt von den Wänden zu<br />

holen oder zunächst einmal das ganze Gebäude zu erkunden.<br />

Es bedarf also einer völlig eigenen Kameraführung, wenn man Realität<br />

für die CD-ROM aufarbeiten möchte. Gefragt sind Panoramaszenen, die<br />

sich nicht nur in horizontaler Richtung, sondern auch vertikal durchfahren<br />

lassen, in deren Tiefe man einzoomen kann und die zudem von einem<br />

Raum in den anderen übergehen. Die CD-ROM ist ein raumabbildendes,<br />

ein raumschaffendes Medium, deren Qualität sich dadurch bestimmt, wie<br />

effektiv sich der Benutzer diesen Raum aneignen kann. Im animierten Bereich<br />

liegen dafür mit Werken wie Freak-Show15 , Myst16 oder der neuen<br />

P.A.W.S. 17 bereits stilbildende Szenarien vor.<br />

Ein weiteres dominierendes Merkmal der CD-ROM bildet die Möglichkeit,<br />

nach journalistischer Methode Zusammenhänge zu ordnen, um<br />

komplexe Sachverhalte effektiv zu präsentieren. So erscheint auf Doors of<br />

Perception 118 das Material einer zweitägigen Konferenz völlig subjektiv<br />

neu zusammengestellt. Es werden schlagwortartig Themenkomplexe wie<br />

›The book ist dead‹, ›New Media are good‹ oder ›Cyberspace will replace<br />

14. A Passion for ART – Renoir, Cézanne, Matisse and Dr. Barnes, CD-ROM, Corbis,<br />

1995.<br />

15. The Residents’ Freak Show, CD-ROM, Voyager, 1994.<br />

16. Myst, CD-ROM, Broderbund, 1994.<br />

17. P.A.W.S., CD-ROM, Voyager, 1995.<br />

18. Doors of Perception 1, CD-ROM, Mediamatic, 1994.<br />

81<br />

artintact 2


82<br />

artintact 2<br />

real space‹ angeboten, darunter ein Balken, der von rechts nach links das<br />

Meinungsspektrum von der Befürwortung bis zur Ablehnung anzeigt.<br />

Die Statements dazu kann man sich durch einfachen Mausklick holen.<br />

Das Interessante ist nun, daß es zu den jeweiligen Themen überhaupt<br />

keine Diskussion auf dem Symposium gegeben hat. Erst die Medienform<br />

CD-ROM machte diese Zusammenstellung möglich, indem sie ohne<br />

Rücksicht auf den ursprünglichen Kontext sich des Materials bedient.<br />

Gleichwohl gibt die CD-ROM Inhalt und Atmosphäre des Symposiums<br />

besser wieder als dies jeder zusammenfassende Kongreßbericht leisten<br />

könnte. In einem solchen Vorgehen liegen hohe Vermittlungschancen,<br />

allerdings erfordert es auch große Verantwortung im Umgang mit dem<br />

Material.<br />

Sehr viel freier kann sich bewegen, wer sein Material für die CD-ROM<br />

nach einem Drehbuch, einem interaktiven Script nur für diesen Zweck<br />

produziert oder beschafft. Die journalistische Methode wird zu einer literarischen.<br />

Material in nie gekannter Fülle wird in einem virtuellen Raumgebilde<br />

angeboten, über das der Benutzer subtil gesteuert anscheinend<br />

frei verfügen kann. So werden sich jene Lebensgefühle, die sich in der 20er<br />

Jahren adäquat in der Literatur spiegelten, in den 60er Jahren im Film,<br />

schon in Kürze über die neue Medienform CD-ROM in die Köpfe der Benutzer<br />

einbrennen. Die CD-ROM ist, neben vielem anderen, auch der ideale<br />

Roman der Kommunikationsgesellschaft.


83<br />

artintact 2


Blind Date im Cyberspace<br />

oder die sprechende Figur<br />

Von Jean Gagnon<br />

Luc Courchesnes Interesse gilt seit langem der Porträtkunst. Schon<br />

1982 – er studierte noch am Massachussets Institute of Technology – entstand<br />

das kurze fünfminütige Video Twelve of us, sein wohl bekanntestes<br />

Videoband, in dem verschiedene in der Halbtotale aufgenommene Personen<br />

versuchen, sich an die Geschichte von den drei Bären zu erinnern.<br />

Jede der Personen ist gefangen genommen von dem ihr eigenen Gesichtsausdruck<br />

und offenbart damit nicht nur die persönlichen Charakteristika<br />

ihres Gesichts, sondern auch die jeweiligen Strategien der Selbstdarstellung<br />

– gegenüber Courchesne, dem Videomacher und darüber hinaus<br />

auch gegenüber uns, den Betrachtern. Der Gesichtsausdruck verändert<br />

sich durch Intonation, Lachen, Kichern, usw. und gibt so in der Situation<br />

der Selbstoffenbarung vor der Kamera die innere Verfassung der Person<br />

wieder.<br />

In Twelve of us verwendete Courchesne ›sprechende Köpfe‹ und den<br />

anekdotenhaften Modus gesprochener Sprache. Dadurch deutete sich<br />

bereits in diesem Werk an, was in den interaktiven Porträts ins Zentrum<br />

rücken sollte: direkte Ansprache des Zuschauers, Dialog und Intersubjektivität.<br />

Er versuchte, verschiedene Aspekte einer Person sichtbar<br />

zu machen, indem er Kindheitserinnerungen wachrief und dadurch eine<br />

intime Verbindung zwischen sich und seinem Gegenstand, bzw. zwischen<br />

diesem und dem Betrachter herstellte, die auf der einfühlsamen Darstellung<br />

von Gesichtern, mündlicher Ausdruckskraft und kollektiven<br />

Erinnerungen basierte.<br />

So war es nur folgerichtig, daß Courchesne begann, sich mit interaktiven<br />

Porträts zu befassen. Er sagt selbst:<br />

Luc Courchesne: Portrait One, 1990/95. Screenshot.<br />

85<br />

artintact 2


artintact 2<br />

86<br />

Ich verwende Hypermedien, um Personen zu porträtieren. Das Porträt einer bestimmten<br />

Person ist die Beschreibung einer Begegnung zwischen ihr und dem Autor. Gemalte<br />

Porträts entstehen über einen längeren Zeitraum hinweg; aus diesem Grund sind sie konzeptueller<br />

als fotografische Porträts. In einem einzigen Bild konzentriert sich die viele<br />

Stunden dauernde Interaktion zwischen Maler und Modell. Die Fotografie hingegen stellt<br />

realistische Porträts her. Das Talent des Porträtfotografen besteht darin, abzuwarten und<br />

den richtigen Augenblick zu erhaschen, den Augenblick, in dem die Person die ganze<br />

Komplexität ihres Daseins ausdrückt. Im Warten auf diesen magischen Moment verbünden<br />

sich der Fotograf und sein Gegenstand. Meine Porträts bestehen aus der Aufzeichnung<br />

der gesamten Begegnung. Aus diesen Aufzeichnungen wird dann Material ausgewählt, um<br />

daraus eine interaktive Struktur zu erstellen, mit dessen Hilfe der Betrachter eigene<br />

Interviews führen kann. 1<br />

Courchesne bezieht sich hier vor allem auf seine Arbeit Family Portrait<br />

von 1993, in der der Gedanke der Begegnung im Mittelpunkt steht und<br />

die dem Betrachter einen Teil der ursprünglichen Begegnung zwischen<br />

dem Maler und den Personen, mit deren Porträts er interagieren kann, zur<br />

Verfügung stellt. Wie steht es dagegen mit dem früheren Werk Portrait<br />

One (1990), in dem wir einer fiktionalen Figur namens Marie begegnen?<br />

Ist die bruchstückhafte Dokumentation einer realen Begegnung wahrhaftiger<br />

als unser Gespräch mit einer fiktiven Person? In gewisser Weise<br />

muß die Antwort ›nein‹ lauten, denn beide Werke beruhen auf unserer<br />

subjektiven Anteilnahme, die für jede Form von Konversation und<br />

Dialog notwendig ist. Beide Arbeiten repräsentieren unsere subjektive<br />

Haltung, unser Sein für andere; sie rühren in uns, den Zuschauern, an die<br />

eigentlichen Grundlagen unserer Subjektivität.<br />

Interaktivität und Intersubjektivität<br />

Portrait One ist ein fiktionales Werk, eine abgegrenzte Begegnung mit<br />

einer Persönlichkeit. Aber im Gegensatz zu anderen interaktiven Arbeiten<br />

ist Portrait One nicht narrativ, wie vielschichtig es auch immer sein<br />

1. ›Family Portrait: The Art of Portraiture.‹ – Luc Courchesne: Interactive Portraits, ed.<br />

National Gallery of Canada, Ottawa, 1994, S. 3.


mag. Es ist so strukturiert, daß der Zuschauer sich mit Marie unterhalten<br />

kann. Durch seine Dialogstruktur beansprucht uns das Werk ebenso<br />

nachdrücklich wie eine ›wirkliche‹ Konversation. Es funktioniert auf<br />

vielen Ebenen, durch non-verbale Chiffren wie Gesichtsausdruck und<br />

Blickkontakt ebenso wie durch verbale Strategien, z. B. der direkten<br />

Anrede.<br />

Portrait One zu erfahren heißt, vereinfacht gesagt, Marie zu begegnen.<br />

Man muß sich auf die junge Frau einlassen, deren Gesicht wir auf dem<br />

Monitor sehen und sich mit ihr unterhalten. Eine andere Möglichkeit, das<br />

Werk zu erleben, gibt es nicht, denn ansonsten würde man sich lediglich<br />

einem statischen Bild gegenüber sehen, kaum belebter als eine Fotografie,<br />

allerdings in weit schlechterer Auflösung. Das Werk ist tatsächlich nur erfahrbar,<br />

wenn man innerhalb der Dialogsituation mit ihm interagiert.<br />

An dieser Stelle sollte ich die bisher verwendeten Begriffe ›Gespräch‹<br />

und ›Dialog‹ präzisieren. Bei der in Rede stehenden Begegnung ist unser<br />

Gegenüber eine Maschine – ein Videomonitor und eine computergesteuerte<br />

Videodisk (oder eine CD-ROM, wie in der vorliegenden Version). Daher<br />

ist das Gespräch oder der Dialog mit Marie natürlich kein wirkliches<br />

Gespräch und die Parameter der Unterhaltung – die Themen, über die wir<br />

reden können sowie die verschiedenen Wege, auf denen sich der Dialog<br />

entfalten kann – wurden vom Künstler vorbestimmt. Aber gleichzeitig<br />

setzt das Werk eine Form verbaler Interaktion in Gang, die viele Charakteristika<br />

des zwischenmenschlichen Austausches trägt. Wir bemerken<br />

zwei gleichzeitig existierende ›Subjekte‹, ein virtuelles (Marie) und ein reales<br />

(den Betrachter). Beide benutzen auf Personen weisende linguistische<br />

Zeichen wie die Pronomina ›Ich‹ und ›Du‹, die eine Äußerung markieren<br />

und kenntlich machen, und die zugleich, laut Francis Jacques2 , jeweils die<br />

wirklichen und virtuellen Personen des dialogischen Austausches sind.<br />

2. Francis Jacques, Dialogiques. Recherches logiques sur le dialogue, Presses Universitaire<br />

de France, Paris, 1979.<br />

87<br />

artintact 2


88<br />

artintact 2<br />

Während sich die Unterhaltung entfaltet, versuchen die Gesprächspartner<br />

durch sogenannte ›Co-Referenzen‹ eine gemeinsame Verständnisebene<br />

zu schaffen. Dafür bedienen sie sich situationsbezogener Indices,<br />

um sich auf den Gesprächskontext zurückzubeziehen. Diese Elemente<br />

können wir in der Tat auch in einem wirklichen Dialog zwischen zwei<br />

Personen finden.<br />

Portrait One unterscheidet sich natürlich erheblich von einem Fotografischen<br />

Porträt. Letzteres bezieht sich immer auf etwas Gewesenes<br />

und letztlich auf den Tod (Barthes), während Courchesnes interaktives<br />

Porträt nur in der Gegenwärtigkeit der Unterhaltung erfahrbar ist, obgleich<br />

es sich, wie wir sehen werden, auf die Vergangenheit beziehen<br />

kann, aber nicht wie auf etwas Gewesenes oder Totes, sondern eher wie<br />

auf etwas, das für immer in der Gegenwart der verbalen Interaktion stattfindet.<br />

Daher verlangt das interaktive Porträt nach mir, dem Gesprächspartner,<br />

und tatsächlich enthüllt es lange nicht so viel vom Porträtierten<br />

wie von mir, der ich mich auf die dialogische Dynamik des Austausches<br />

einlasse. Und daher ist es auch meine eigene subjektive Verortung, die sich<br />

in der Sprache vollzieht, in der sprachlichen Interaktion, im Aus/Tausch:<br />

indem ich mich außerhalb meiner Selbst stelle und die Position wechsele,<br />

indem ich sage, was ich sage und dadurch gegenüber meinem Gesprächspartner<br />

Stellung beziehe. 3 Dieser Aus/Tausch ist auch eine Überwindung<br />

meiner Egozentriertheit, da ich meiner selbst nur habhaft werden kann in<br />

der Begegnung mit einer anderen Person. Daher könnte man behaupten,<br />

der eigentliche Gegenstand von Courchesnes Portrait One sei ich selbst,<br />

der Betrachter.<br />

Subjektivität als Intersubjektivität zeigt sich als wesentlicher Kern<br />

dieser wie auch der folgenden Arbeit Family Portrait. Beide Werke beruhen<br />

auf Sprache und eignen sich daher für eine pragmatische Annäherung<br />

an subjektive Erfahrung. Was macht eine Person aus und was können wir<br />

3. Siehe François Flahault, La parole intermédiaire, Editions du Seuil, Paris, 1978.


über eine andere Person wissen? Gaston Bachelard schrieb, daß das Wissen<br />

über eine andere Person nur in dem besteht, was wir uns vorstellen.<br />

Dies faßt die ganze Bandbreite philosophischer Untersuchungen zu dieser<br />

Frage zusammen. Genauso war es eine der wichtigsten Entdeckungen<br />

der Psychoanalyse, daß Sprache, das gesprochene Wort, den Königsweg<br />

zum Unterbewußten bildet, und daß das Unterbewußte selbst wie eine<br />

Sprache strukturiert ist, um Jacques Lacans berühmtes Diktum zu zitieren.<br />

Wirklich offenbart sich eine Person, indem sie zu mir spricht – und<br />

selbst Descartes’ cogito (Ich denke, also bin ich) scheint sich auf eine tieferliegende,<br />

noch unreflektierte Dimension zu gründen: Ich rede, also<br />

denke ich. Viele Kritiker von Descartes’ brillanten Ausführungen über<br />

das cogito haben den darin enthaltenen Solipsismus hervorgehoben.<br />

Selbst phänomenologische Systeme wie das Sartres leiden daran, die Subjektivität<br />

von sich selbst auszuschließen, da von einer spiegelbildlichen<br />

Beziehung zwischen Ego und Alter ego ausgegangen wird, die auf dem<br />

Blick basiert, besonders in der Liebe.<br />

Das Interessante an Luc Courchesnes Arbeiten ist daher, daß sie Subjektivität<br />

als Intersubjektivität in den Rahmen verbaler Interaktionen<br />

stellen, Gespräch und Dialog, innerhalb der linguistischen Erscheinung<br />

des ›Ich‹. ›Ich‹ zu sagen bezieht sich zunächst auf einen diskursiven Akt,<br />

und erst in zweiter Linie auf den Sprecher. ›Ich‹ unterscheidet sich von<br />

einer anderen Person, dem ›Nicht-Ich‹, und vertritt innerhalb eines Satzes<br />

die Stelle des Subjektes der Aussage. Aber diese Situation kann umgekehrt<br />

werden, wenn der Adressat seinerseits ›Ich‹ sagt. Spätestens hier<br />

sehen wir, daß wir es nicht länger mit dem wohlabgerundeten Subjekt des<br />

cogito zu tun haben oder gar mit dem alles wahrnehmenden Subjekt des<br />

Kinos, sondern vielmehr mit einem fluktuierenden, fraktalen Subjekt im<br />

Aus/Tausch verbaler Interaktion. So wird der jeweils andere zur linguistischen<br />

Funktion innerhalb einer dialogischen Beziehung; das Erkennen<br />

des anderen ist eng mit der Sprachausübung verbunden, bei der beide, das<br />

Subjekt und der andere, beständig die Positionen aus/tauschen.<br />

89<br />

artintact 2


90<br />

artintact 2<br />

Fiktive Gespräche<br />

Aber natürlich ist Marie nicht real. Sie ist Bestandteil eines computergesteuerten<br />

Systems und der Zuschauer interagiert mit ihr, indem er mit<br />

Hilfe der Maus Fragen und Antworten auf dem Monitor auswählt. Die<br />

so geschaffene Dialogsituation fällt in die Kategorie des, nach Francis<br />

Jacques, ›spielerischen Kontextes‹, der eine Form ›verstümmelter Sprache‹<br />

darstellt, im Gegensatz zur ›wahren, aufrichtigen Sprache‹. In dieser<br />

Kategorie finden wir auch das paradoxe ›Ich‹ des Schauspielers und Rimbauds<br />

poetisches ›Ich ist ein anderer‹. Portrait One ist eine spielerische<br />

Repräsentation von Subjektivität als Intersubjektivität. Für den Betrachter<br />

besitzt es mehrere Objektivitätsebenen: die technologische Objektivität,<br />

die ihm die Apparatur entgegenstellt, die Objektivität der durch den<br />

Künstler vorprogrammierten lnteraktionsparameter, die ihm als Gesprächsteilnehmer<br />

zunächst unbekannt sind, die er aber während des<br />

Spiels mit dem System kennenlernen kann. Diese Objektivität gleicht der<br />

Objektivität eines Spiels, das sich durch seine Regeln von den alltäglichen<br />

Handlungen und Verhaltensweisen unterscheidet. Die Spieler müssen<br />

sich den Regeln unterordnen, um spielen zu können und sobald einer von<br />

ihnen mogelt, funktioniert das Spiel nicht mehr. Bei Portrait One muß<br />

man bereit sein, sich dem spielerischen Aspekt des Gesprächs zu beugen.<br />

Portrait One ist, anders als das dokumentarische Family Portrait, fiktional.<br />

Es ist wichtig, den fiktionalen Aspekt des Gesprächs hervorzuheben,<br />

denn er läßt auf, um es noch einmal zu sagen, den spielerischen Charakter<br />

der Sprache alltäglicher Situationen schließen. Die Art und Weise<br />

des fiktionalen Gesprächs steht dem ernsthaften Modus alltäglicher<br />

Handlungen und sozialer Verhaltensweisen entgegen. Das Muster der<br />

ernsthaften Sprache basiert auf Wahrhaftigkeit, dem Garant für die notwendige<br />

Kontinuität sozialer Zusammenhänge. Es basiert auf der Anerkennung<br />

von Rationalität und Effizienz. Neben diesem ernsthaften<br />

Modus des Alltäglichen gibt es die völlig andere Welt der Einbildungskraft:<br />

Tagträume, Spiel, Fiktion, Märchen, Mythen, Witze und ähnliches


mehr. All diese Dinge ermöglichen spezifische Modifikationen unserer<br />

Beziehung zur alltäglichen Realität. So konstituieren der Modus des<br />

ernsthaften Gesprächs und die dabei verwendeten Typen verbaler Interaktion<br />

Realität und konstruieren unsere auf praktische Ziele ausgerichtete<br />

Alltagsrealität. Die Modi des spielerischen Gesprächs weichen vom täglichen<br />

Gebrauch der Sprache – normal und normativ – ab, um eine Flucht<br />

in imaginäre Welten, in denen das Vergnügen herrscht, zu ermöglichen.<br />

Innerhalb dieses Modus’ ist das telos täglicher Leistungsfähigkeit von<br />

Sprache außer Kraft gesetzt, um einer anderen Art von Beziehung zur<br />

Realität und zum anderen Platz zu machen.<br />

Für das Gespräch läßt sich Fiktionalität wie folgt bestimmen: Fiktionalität<br />

ist ein ›Modus der Interaktion, d.h. ein Aspekt der Strukturierung<br />

verbaler Interaktionen in Bezug auf den realitätskonstituierenden Interpretationsakt<br />

des Sprechers‹ 4 . Realität darf nicht als objektiv gegebene<br />

Tatsache betrachtet werden, die durch die Sprache lediglich registriert<br />

wird, sondern sie besteht vielmehr aus einer ganzen Reihe situationsbedingter<br />

Tatsachen, die auf verschiedenartigen Annahmen und Kenntnissen<br />

beruhen, welche ihrerseits von persönlichen und allgemeinen<br />

Wertschätzungen und Intentionen beeinflußt sind. Diese Realitätskonstruktion<br />

manifestiert sich in der Auswahl bestimmter situationsrelevanter<br />

Objekte und Sachlagen. Daher kann eine Handlung (und so auch eine<br />

Sprachhandlung) nur in einem komplexen Kontext verstanden werden.<br />

Fiktion ist kontextkonstituierendes Handeln.<br />

Wenn wir einige Dialogbeispiele aus Portrait One betrachten, können<br />

wir feststellen, daß sowohl die wirkliche Person des Betrachters wie auch<br />

die virtuelle Person Maries unentwegt versuchen, einen entsprechenden<br />

Kontext für ihr Gespräch herzustellen. Als erstes versuchen sie, sich<br />

4. Pierre Bange, ›Une modalité des interactions verbales: Fiction dans la conversation.‹ –<br />

DLRAV. Revue de linguistique, Nr. 34/35, Centre de recherche de l’Université de Paris<br />

VIII, 1986, S. 215.<br />

91<br />

artintact 2


92<br />

artintact 2<br />

selbst zu identifizieren; wer sie sind und welche gemeinsamen Interessen<br />

sie haben könnten. Wenn Marie oder der Betrachter nicht zufrieden sind,<br />

so können sie sich abwenden. Dabei spielt Marie beständig auf ihre eigene<br />

Situation als virtuelles Wesen an:<br />

Sie gefallen mir auch. Leider ist es sehr schwer für mich, vorauszuplanen. Ich habe keine<br />

Zukunft! Ich bin nicht wie Sie …<br />

Ich habe nur meine Vergangenheit. Die Zeit ist für mich stehengeblieben an dem Tag, an<br />

dem ich geworden bin, was ich jetzt bin.<br />

Weil ich ein Porträt bin. Mein wirkliches Dasein ist anderswo.<br />

Aus diesen Ausschnitten können wir ersehen, daß Marie ihre eigene<br />

Situation in der fortdauernden Gegenwart der Vergangenheit ansiedelt,<br />

die jedesmal neu aktualisiert wird, wenn sie einen Dialog beginnt. Dasselbe<br />

gilt für ihren Gesprächspartner, der zugehörige Kontext ist der von<br />

Eingeschlossenheit in eine genau bestimmte Gegenwart. Es ist schwierig,<br />

alle möglichen Dialoge dieses Werkes nachzuzeichnen, aber dennoch sind<br />

die möglichen Kombinationen und Wege nicht unbegrenzt. Aber für den<br />

Betrachter und Gesprächspartner ist die Situation sowohl eine sichere<br />

(ich spreche mit einer vorprogrammierten Person, die nur in der Vergangenheit<br />

lebt und keine Zukunft besitzt) als auch eine ungewisse (ich kann<br />

nicht im voraus wissen, wohin mich meine Auswahl von Fragen und<br />

Antworten führen wird).<br />

Marie ist auch eine Verführerin und weiß das. Aber wie sie selbst sagt:<br />

Es stimmt, daß man Angst haben kann! Angst, geliebt zu werden. Die Liebe des anderen,<br />

die uns bedroht... Sehen Sie... ich könnte Ihnen sagen, daß ich Sie liebe … Ich liebe Sie!<br />

Aber inwieweit bindet mich das? Sie... haben Sie keine Angst?<br />

Mit mir ist es zu einfach. Ich kann nur die unmögliche Liebe sein, ein Umweg, der ohne<br />

Risiko das Verlangen erfüllt.<br />

Was zunächst jenen sogenannten erotisch-pornografischen CD-ROMs ähneln<br />

könnte, die mit den Simulacra der Intimität angefüllt sind, wird hier


dekonstruiert, indem Marie selbst auf die Leere des risikolosen Begehrens<br />

hinweist, das sie auslöst. Im virtuellen Kontext dieser Gesprächssituation<br />

– und hierin besteht der fiktive Teil des Spiels – bleiben illokutionäre Äußerungen<br />

folgenlos. Die Äußerung ›Ich liebe Dich‹ bedeutet Stellung zu<br />

beziehen und damit zu riskieren, daß der andere sich abwendet. Eine solche<br />

Äußerung hat eine illokutionäre Kraft, die die intersubjektive Stellung<br />

der Gesprächspartner untereinander verändert. Aber hier geht natürlich<br />

niemand irgendein Risiko ein:<br />

Ja, aber bei mir bleibt Ihre Geste leider ohne Folgen. Würden Sie sich genauso verhalten<br />

gegenüber der Person, die neben Ihnen steht?<br />

Es stimmt, daß ich unerreichbar bin – und daß Sie mich nicht ändern können. Aber schauen<br />

Sie sich doch die Leute um Sie herum an: sind sie so anders als ich? Sind sie erreichbar?<br />

Einige glauben, daß es unmöglich ist, mit jemand anderem in Verbindung zu treten … daß<br />

es eine großartige Illusion ist.<br />

Ich will Ihnen sagen, was ich denke: die anderen sind ganz nah und doch sind sie weit weg!<br />

Die schöpferischste Geste ist die, die zum Nächsten führt. Eine solche Geste ist niemals<br />

nutzlos. Verbindungen entstehen. Kinder werden geboren. Handlungen werden in Gang<br />

gesetzt, Systeme aufgebaut. All das wegen einer Geste, eines Wortes. Es ist verrückt! Wir<br />

sind das Produkt dieser zwischenmenschlichen Geste … und sie muß auf ewig wiederholt<br />

werden.<br />

Hier berührt Marie eine ethische Frage. Durch das von ihr repräsentierte<br />

leere Verlangen und die Art der Beziehung, die wir zu ihr haben können,<br />

zwingt sie uns, über die Authentizität unserer Anteilnahme und Verantwortung<br />

für Beziehungen im weiteren Rahmen des sozialen Zusammenlebens<br />

nachzudenken. Francis Jacques schreibt: ›Die Realität<br />

einer anderen Person kann nur dem problematisch werden, der sich seiner<br />

Verpflichtung nicht bewußt ist‹ 5 , der Verpflichtung zu Gegenseitigkeit<br />

und Reaktion, in unserem Falle der Verpflichtung zu spielen. Luc Courchesne<br />

stellt die wichtige Frage, wie wir anderen in der telekommuni-<br />

5. Francis Jacques, a.a.O., S. 17.<br />

93<br />

artintact 2


94<br />

artintact 2<br />

kativen Umgebung begegnen können und wie wir uns selbst, durch andere,<br />

begegnen können in einem virtuellen Umfeld wie dem der CD-ROM<br />

oder, allgemeiner gefaßt, im Umgang mit digitalen Medien, die uns zunehmend<br />

umgeben.<br />

In letzter Konsequenz stellt Courchesnes Werk die Frage nach der<br />

Bedeutung der sozialen Gemeinschaft. Eine hochmediatisierte Gesellschaft<br />

wie die unsere ist durch große Einsamkeit gekennzeichnet. Denn<br />

Einsamkeit bedeutet nichts anderes als das Risiko zu scheuen, sich in der<br />

Begegnung mit anderen aus/zutauschen und statt dessen die sichere<br />

Virtualität mediatisierter Begierden und Fantasien vorzuziehen: blind<br />

dates im Cyberspace anstelle der Begegnung von Angesicht zu Angesicht.<br />

Übersetzung: Welf Kienast


9595<br />

artintact 2


Lovers Leap – Den Sprung wagen:<br />

Einstiegspunkte … Ausgangspunkte<br />

Von Timothy Druckrey<br />

Der Begriff ›sehen‹ macht einen wirren Eindruck, weil wir uns vom Sehen als Ganzem<br />

nicht genug verwirren lassen. 1 Ludwig Wittgenstein<br />

I.<br />

Die Entwicklung der Fotografie basiert auf zwei zentralen Voraussetzungen:<br />

Zum einen der Gedanke, die Bildproduktion würde eine feste<br />

Beziehung zu den Ereignissen herstellen; zum anderen der Glaube, die<br />

Wahrnehmung des Bildes würde den Betrachter mit dem zeitlichen Raum<br />

des ursprünglichen Augenblicks kurzschließen. Beide könnten sich als<br />

Mythen entpuppen, wenn sie kritischer Überprüfung ausgesetzt werden,<br />

und beide könnten sich als falsch erweisen, wenn das Bild in seine Entstehungsbedingungen<br />

zurückversetzt wird. Heute wissen wir, daß das<br />

fotografische Bild aus einer Reihe weit komplexerer Beziehungen besteht,<br />

als uns eine rein historische Analyse glauben machen will. Obwohl<br />

das Bild in der Zeitlichkeit wurzelt, wird es durch eine Verbindung zu<br />

fortdauernden Ereignissen bestimmt, die mit bloßer Dialektik nicht ausreichend<br />

erkannt werden kann. Das diskursive Moment – das sich in dem<br />

Moment etabliert, in dem die Welt abgebildet wird – ist nicht auf Subjekt<br />

und Objekt beschränkt, sondern erstreckt sich eher auf einen Prozeß, in<br />

dem Subjekt und Objekt innerhalb eines Repräsentationssystems vermittelt<br />

dargestellt werden.<br />

Nicht zufällig entwickelten sich Fotografie, Technologie und<br />

1. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main, 1967, S.234.<br />

Miroslaw Rogala: Lovers Leap, 1994/95. Screenshot.<br />

97<br />

artintact 2


98<br />

artintact 2<br />

Modernität auf parallelen Pfaden. Die industrielle Revolution und der<br />

Aufstieg des bürgerlichen Wirtschaftssystems verbanden Repräsentation<br />

sowohl mit den materiellen Gütern als auch mit der Beherrschung der<br />

Natur. Mehr als ein bloßes Zeugnis, bildet das Archiv der abgebildeten<br />

Erfahrung, durchkreuzt vom versteinerten Erinnern der Fotografie,<br />

eine Art dynamische Archäologie. Auf eine derart vom Bildkonsum<br />

berauschte Kultur scheint die Charakterisierung des 19. Jahrhunderts als<br />

einer ›Diktatur des Augenscheins‹, wie Martin Jay behauptet, oder als<br />

vom ›Wahn des Sichtbaren‹ besessen, wie Jean Louis Comolli vorschlägt,<br />

auf höchst bestürzende Weise zuzutreffen, jedenfalls was die Beziehung<br />

von Visuellem und Intelligiblen angeht. Es ist zu einer zunehmenden<br />

Verschmelzung von Wissen und Identität mit der Erfahrung von Repräsentation<br />

gekommen.<br />

Innerhalb der Moderne wies Repräsentation zugleich auf Fragen der<br />

Kontrolle und der Macht. In den zwingenden Darstellungen von Walter<br />

Benjamin, George Orwell, Michel Foucault, Martin Heidegger, Edward<br />

Said und vielen anderen erscheinen Bild, Wort, Technologie, Archiv und<br />

Imperialismus eingebettet in die Kontrollstrukturen, die in den Technologien<br />

der Repräsentation wurzeln. Kontingent, episodisch, komprimiert<br />

und zugleich in Echtzeit eingebettet, zwang die Fotografie die Kultur,<br />

ihrem eigenen Dasein als einem historisch-spezifischen und zeitlich<br />

bedingten gegenüberzutreten. Mit der Weiterentwicklung von Technologien<br />

der Reproduzierbarkeit nahm auch die Bedeutung des ›Sichtbarmachens‹<br />

zu. Was aufgezeichnet werden konnte, konnte auch kontrolliert<br />

werden. Empfindung und ihre Überwachung waren wie Szylla<br />

und Charybdis der Repräsentation. Die Beurteilung dieser gegensätzlichen<br />

Beziehung gehört zu den Hauptaufgaben der Fotografiegeschichte.<br />

Wie dieses Problem sich in der sogenannten Post-Fotografie<br />

entwickelt, ist entscheidend, um das Wesen des Bildes in der digitalen<br />

Kultur verstehen zu können. Wirklich gilt es, wie Edward Said schrieb,<br />

›jene Systeme der Repräsentation auszuschalten, die eine unterdrücke-


ische Autorität befördern, da sie jeden Eingriff von Seiten des Repräsentierten<br />

unterbinden beziehungsweise keinen Raum dafür lassen‹. 2<br />

Traditionelle Modelle der Repräsentation scheinen aufgrund ihrer<br />

Rückbezüglichkeit auf und ihrer Anhängigkeit an analoge Beziehungen<br />

zur materiellen Welt jede Wirksamkeit verloren zu haben. An ihre Stelle<br />

tritt die Faszination für das Digitale, das Künstliche, Simulierte und Virtuelle.<br />

Es macht den Eindruck, als könne die Fotografie den Ansprüchen<br />

einer elektronischen Kultur nicht länger genügen; aber angesichts einer<br />

so gänzlich in optische Metaphern versunkenen Erfahrung ist diese<br />

Annahme trügerisch. Die Beschleunigung der Bilder ändert heutzutage<br />

weit mehr als nur die Grundvoraussetzungen für eine optische Epistemologie,<br />

sie setzt nämlich eine kritische Betrachtung in Gang, deren Interesse<br />

mehr der Erkenntnis als der Wahrnehmung gilt. Es scheint an der<br />

Zeit zu sein, die Fotografie jenseits der engen Begrifflichkeiten von<br />

Ästhetik, Erinnerung, Empfindung oder Phänomenologie grundlegend<br />

neu zu orientieren. Das Bild müßte weniger als Signifikat betrachtet werden<br />

denn als Ereignis. Die Idee des Bildes als Ereignis hält zwar an der<br />

entscheidenden Verbindung von Fotografie und Wahrnehmung fest,<br />

erweitert aber seine Berechtigung als lediglich Beschreibendes, indem sie<br />

zum Ausdruck bringt, daß ein Bild auf Erfahrung beruht. Plötzlich<br />

könnte man sich unter der Steuerung des Bildes mehr vorstellen als eine<br />

Untersuchung seiner Bedeutungsträger, nämlich einen dynamischen Prozeß,<br />

in dem das Festhalten des Augenblicks selbst eine Erweiterung erfährt.<br />

Bei allem Trara um Simulation und Künstliche Welten bleibt die<br />

Theorie noch Rechenschaft schuldig über die Wirksamkeit des Bildes als<br />

Erfahrung. Und obwohl die Faszination an Technologien, die vollständige<br />

Immersion ermöglichen, oft munter über Übergangsphänomene<br />

hinwegsehen läßt, bleibt es eine Tatsache, daß die Möglichkeiten der<br />

2. Edward Said, ›The Imperialism of Representation, the Representation of Imperialism.‹<br />

– Wedge Nr. 7/8, New York, 1985, S. 5.<br />

99<br />

artintact 2


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100<br />

Fotografie noch keineswegs erschöpft sind – schon gar nicht im Falle ihrer<br />

Aufnahme in die Domäne des Digitalen. Hier ist vor allem die von<br />

Paul Virilio aufgezeigte Unterscheidung von Simulation und Substitution<br />

interessant und insbesondere die Anerkennung des Bildschirms – sei es<br />

von Fernseher oder Computer – als ›drittes Fenster‹.<br />

II.<br />

Die Welt hat ihre Hauptwurzel verloren, das Subjekt kann nicht einmal mehr Dichotomien<br />

konstruieren, sondern gelangt zu einer höheren Einheit, einer Einheit der Ambivalenz<br />

oder Überdeterminierung in einer Dimension, die zu der des Objekts immer als<br />

Ergänzung hinzukommt. […] Man könnte ein solches System Rhizom nennen. [...] das<br />

Rhizom, das eine Karte und keine Kopie ist. […] Es ist vielleicht eine der wichtigsten<br />

Eigenschaften des Rhizoms, immer vielfältige Zugangsmöglichkeiten zu bieten. 3<br />

Deleuze & Guattari<br />

Miroslaw Rogala beschreibt das Erlebnis von Lovers Leap (Sprung der<br />

Liebenden) in zweifacher Weise. Zum einen als jenen Augenblick, in dem<br />

sich ihm folgender Gegensatz aufdrängte: ›Auf einer Reise von Chicago<br />

nach Jamaica besuchte ich einen Ort namens »Lovers Leap« (ein legendärer<br />

Schauplatz tragischer Liebe – solche Orte gibt es überall auf der<br />

Welt). Dort stand eine militärische Radaranlage und suchte den Himmel<br />

ab. Diese tatsächliche Überraschung bewirkte auch einen konzeptuellen<br />

Sprung.‹ 4 Vereinigung und Entfremdung treffen in dem Augenblick aufeinander,<br />

in dem Gefühl und Technik miteinander in Beziehung treten.<br />

Zum anderen wird Lovers Leap als ›Bewegung in der Perspektive‹ beschrieben,<br />

als ein Projekt, in dem das Bild als Einstiegspunkt fungiert.<br />

Man könnte hier über eine ausgefeilte elektronische Geometrie spekulie-<br />

3. Gilles Deleuze, Felix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie – Tausend Plateaus,<br />

Berlin, 1992, S. 15f., 23f.<br />

4. Miroslaw Rogala, Prace Multimedialne/Multimedia Works, Ausstellungskatalog, Hrsg.<br />

Galeria Arsenal, Bialystok, 1995, unpaginiert.


en, bei der nicht-euklidische Turnübungen in einem computerisierten<br />

Environment ausgeführt werden. Aber Lovers Leap ist in der Tradition<br />

der Fotografie verwurzelt. Sein ›Raum‹ ist keineswegs virtuell. Seine Bilder<br />

sind nicht statisch. Es handelt sich um ein Ereignisbild, ein dynamisches<br />

System, in dem Bewegung und Perspektive zusammenhängen –<br />

nicht als ein Kriterium in der Tradition des statischen Beobachters, sondern<br />

als eine Folge der Neustrukturierung der Erfahrung von Perspektive<br />

als etwas Interaktives. Lovers Leap sieht im Bild eine Herausforderung an<br />

die objektive Geschichte linearer und flächiger Geometrie, indem es die<br />

Begegnung mit dem zufälligen und subjektiven Nebeneinander der Erfahrung<br />

in Betracht zieht. Indem es die Logik des Bildes als feste Form<br />

mißachtet, nutzt Lovers Leap es als Forschungsstätte. Es fällt bei diesem<br />

Werk sogleich auf, daß hier das Bild eine umfassende Ansicht eines<br />

Gegenstandes bieten kann, und zwar durch das Angebot der Partizipation.<br />

Eine der einzigartigen Möglichkeiten interaktiver Formen liegt eben<br />

in diesem Moment, da die Passivität der Betrachtung von der Notwendigkeit<br />

zum Handeln überwunden wird. So wird eine neue Art des Verstehens<br />

erforderlich, die sowohl generierend als auch analytisch vorgeht.<br />

Außerdem wird ein neues Verständnis von Subjektivität erforderlich, das<br />

sowohl der Reflexivität des Bildes als auch dem dadurch ausgelösten<br />

Verhalten Rechnung trägt. Aber die eigentliche Bedeutung interaktiver<br />

Medien besteht in der Ausweitung des Handelns auf die Gestaltung des<br />

Narrativen. In der Verbindung von räumlichen und narrativen Formen<br />

dramatisiert Lovers Leap den Augenblick, ohne dabei auf die einfachen<br />

Verknüpfungsmechanismen von Hypermedien zurückzugreifen. Statt<br />

dessen wird die Räumlichkeit zu einer Sphäre des Handelns und das Bild<br />

zu einem Ort der Reflexion.<br />

Durch die Koppelung des Bildes mit seiner Benutzung impliziert Lovers<br />

Leap mehr als es wiedergibt. Innerhalb des Bildes liegt eine Abfolge von<br />

teils kontrollierbaren, teils unkontrollierbaren Möglichkeiten. ›Dies<br />

101<br />

artintact 2


artintact 2<br />

102<br />

kommt auch‹, wie Rogala anmerkt, ›in der Liebe vor‹ 5 . In dieser neuen<br />

Ordnung von Repräsentation sind Metapher und Eingriffsmöglichkeit<br />

aufs Innigste verknüpft. Sich im Bild zu befinden bedeutet, sich innerhalb<br />

einer Abfolge von Bedingungen zu befinden, die reflexiv sind und sich<br />

gleichzeitig weiterentwickeln. Jede Nuance des Bildes erweitert die Bedeutung.<br />

Sehen wird, ganz wie Bewegung, durch Begehren hervorgerufen.<br />

›Was ist das aber für ein Begehren,‹ fragt Lacan, ›das sich in dem Bild<br />

fängt, sich im Bild festmacht – es aber ebenso motiviert, indem es ja den<br />

Künstler dazu bewegt, etwas, und was, ins Werk zu setzen.‹ 6 Die Inversion<br />

des Subjekts, bedingt durch die interaktive Geste, verlangt eine neue<br />

Form des Nachdenkens über die Stellung des Subjekts. ›Es ist ein strukturelles<br />

Faktum, wenn nicht ein struktureller Effekt, daß der Mensch, wenn<br />

er sich der symbolischen Ordnung fügt, schon von Anbeginn mit seinem<br />

ganzen Sein in ihr aufgeht und von ihr hervorgebracht wird, nicht als<br />

»Mensch«, sondern als Subjekt.‹ 7 In Lovers Leap ist man Gegenstand<br />

eines Spiels unkalkulierbarer Möglichkeiten, wie man seinerseits das Bild<br />

zum Gegenstand unabschließbarer Untersuchungen macht.<br />

›Augen lügen nicht/Sie sind, wohin sie wandern‹ 8 , schrieb Rogala in<br />

einem Gedicht zu seinem interaktiven Theaterprojekt Nature Is Leaving<br />

Us (1989). Das Schreckgespenst der Technik überwältigt in dieser Arbeit<br />

die Fähigkeit zur Reflexion. Rogala schreibt über dieses komplexe Video-<br />

Theaterstück, daß es ›aus der gleichzeitigen Aufrufung sich widerstrebender<br />

Rhythmen zusammengesetzt ist: eine Panorama-Polyphonie aus Urbanität<br />

und Natur, die zur Metapher für die Gleichzeitigkeit von<br />

5. Ebd.<br />

6. Jacques Lacan, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Freiburg im Breisgau, 1978,<br />

S. 99.<br />

7. Hubert Damisch, The Origins of Perspective, Cambridge, 1994, S. 20.<br />

8. Nature Is Leaving Us, A Video Opera by Miroslaw Rogala, Programmheft, The<br />

Goodman Studio Theatre, Chicago, 1989, unpaginiert.


Erfahrungen im modernen Leben wird‹ 9 . Beschleunigung der Erfahrung<br />

ohne Beschleunigung der Reflexion. Nature Is Leaving Us ist Lob und<br />

Tadel gleichermaßen. Seine Botschaft liegt in dem Ungleichgewicht von<br />

Information und Sein. Ausgehend von, wie Paul Virilio es nennt, ›Vektoren<br />

der Darstellung, die im elektronischen Interface das Reich der Empfindungen<br />

berühren‹, fragt er: ›Wie können wir unseren eigenen Augen<br />

nicht mehr trauen und dann so widerstandslos den elektronischen Vektoren<br />

der Darstellung Glauben schenken?‹ 10 Indem der Satz ›Nature is<br />

leaving us‹ metaphorisch in Lovers Leap aufgerufen wird, wird er zum<br />

Ausdruck der Affinität von Wahrnehmungsmechanismen und Bewußtsein,<br />

von Beständigkeit der Wahrnehmung und Unbeständigkeit des Zufalls,<br />

von Technik und Liebe. Durch die Ausweitung dieser Beziehungen<br />

transformieren die Fragen, die im Spielen mit den Bildern von Lovers<br />

Leap aufgeworfen werden, die ›Phänomenologie der Perzeption‹ in eine<br />

Phänomenologie der Rezeption. Und sobald der Vorgang des Sehens<br />

eines Bildes nicht mehr mit Begriffen der Übereinstimmung, sondern des<br />

Verhaltens beschrieben wird, ist auch der ›Sprung‹ aus den Grenzen der<br />

Materialität des Bildes in das Reich des Erkennens getan. Interaktivität<br />

basiert überhaupt auf der Verwirklichung von Erfahrung durch bewußte<br />

Lenkung. Dies wird auf zwei Wegen erreicht.<br />

Lovers Leap verwendet die von Ford Oxaal neu entwickelte Software<br />

Mind’s EyeView 11 sowie ein 12-D-Design Environment von Ludger<br />

9. Miroslaw Rogala, Darrell Moore, ›Nature Is Leaving Us: A Video Theatre Work.‹ –<br />

Leonardo, Vol. 26, Nr. 1, MIT Press, Cambridge, 1993, S. 18.<br />

10. Paul Virilio, The Lost Dimension, Semiotext(e), New York, 1991, S. 52.<br />

11. Lovers Leap hätte ohne die enge Zusammenarbeit mit Ford Oxaal und Ludger<br />

Hovestadt nicht realisiert werden können. Ford Oxaal studierte bis 1979 an der<br />

University of Maryland (Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften) und bis<br />

1992 am Rensselaer Polytechnic Institute in Troy, New York (Master of Science in<br />

Computerwissenschaften). Sein Hauptinteresse gilt der Geometrie, Philosophie und<br />

Malerei; seit 1975 Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Geometrie visueller<br />

Wahrnehmung, woraus Mind’s-Eye-View entwickelt wurde. Seine Studien be-<br />

103<br />

artintact 2


104<br />

artintact 2<br />

Hovestadt12 , um innerhalb des fotografischen Bildes ein Ereignis zu einer<br />

Umgebung werden zu lassen, durch die man navigieren kann. Zwei Fotografien,<br />

die mit einem Fischaugen-Objektiv aufgenommen wurden, erlauben<br />

zusammengesetzt einen Rundumblick von 360˚. Das digitalisierte<br />

Bild ist Einstiegspunkt in eine Erfahrung, die auf der Möglichkeit beruht,<br />

krummlinige Perspektiven als Prozeß wiederzugeben. Das Bild wird tatsächlich<br />

zu einer Geometrie, in die man eintauchen kann, so daß Traditionen<br />

wie z.B. der festliegende Betrachterstandpunkt in Bewegung geraten.<br />

Das einzelne Bild, das so lange als abgeschlossene Form betrachtet wurde,<br />

offenbart neue Möglichkeiten, vielleicht im Sinne des ›physiologischen<br />

Raums‹, von dem Ernst Cassirer gesprochen hat, oder auch einer psychologischen<br />

Optik. Die Verbindung von psychologischen mit mathematischen<br />

Raumkonzepten wirft die wichtige Frage auf, in welcher Hinsicht<br />

Bilder in der Lage sind, Bedeutung zu generieren. Dieser Raum könnte als<br />

eine Erzählform aufgefaßt werden, in der die Beschaffenheit des Augenblicks<br />

episodisch und von unentrinnbarer Gleichzeitigkeit ist. Im narrativen<br />

Raum ist man paradoxerweise Benutzer und Beobachter zugleich.<br />

Lovers Leap als Installation benutzt Mind’s Eye View als Orientierung<br />

innerhalb eines Koordinatensystems. Die Projektion des Bildes<br />

funktioniert über ›drei Parameter: Brennweite, Blickrichtung und Auswahl<br />

der Perspektive, die zwischen der traditionellen Perspektive und<br />

dem vollen 360˚-Blick variieren kann‹. 13 Jeder Stelle im Koordinatensy-<br />

inhalteten ebenso experimentelle großformatige Ölgemälde wie das Erproben geometrischer<br />

Theoreme und die Entwicklung von Unix-Software.<br />

12. Ludger Hovestadt studierte bis 1987 Architektur in Aachen und Wien. Seit 1987<br />

Grundlagenforschung am Institut für industrielle Bauproduktion der Universität<br />

Karlsruhe. 12-D-Design Environment ist das Ergebnis dieser Grundlagenforschung<br />

auf den Gebieten Architektur, CAD und Künstliche Intelligenz. Mit ihm können komplexe<br />

Gebäude in Gruppenarbeit entworfen und betrieben werden: die geplanten oder<br />

gebauten Gebäude werden durch virtuelle Gebäudekomponenten erweitert<br />

13. Miroslaw Rogala, ›Lovers Leap – Interactive Installation‹, unveröffentlichtes<br />

Manuskript, 1994.


stem entspricht eine Bildfolge, die mit deren Variablen verbunden ist. In<br />

der Installation verschmelzen Körper und Auge, die Geste verwandelt<br />

das Bild. Dieser verkörperte Raum basiert nicht nur auf den Möglichkeiten<br />

des einzelnen Bildes, sondern auch auf den Augenblicken, in denen<br />

die räumliche Erzählung von Episoden in Bild und Ton des tatsächlichen<br />

Ortes ›Lovers Leap‹ in Jamaika unterbrochen wird. Diese Augenblicke<br />

lassen die Grenzen zwischen Ort, Technik und Erwartung hinfällig werden<br />

und verlagern durch die Einführung von Diskontinuitäten den<br />

Schwerpunkt weg vom analytischen Bild. In Lovers Leap erinnert der Zufall<br />

daran, daß die Begegnung mit Technologie ebenso zu einem Zusammenstoß<br />

mit Heisenbergs Unschärferelation wie zu einem Rendezvous<br />

mit Repräsentation führt.<br />

Die vorliegende CD-ROM-Adaption betont mehr als die physikalische<br />

Verwandlung die kognitive. Die Bewegung des Auges läßt die des Körpers<br />

weit hinter sich, während das Bild durch die Bewegungen der Maus<br />

verändert wird. Jedoch tut dies der Logik des Werks keinen Abbruch.<br />

Vielmehr wird die Aufmerksamkeit vom Sehen zur Geste gelenkt. Der<br />

materielle Raum wird durch das Interface ersetzt. Der Bildschirm, selbst<br />

geometrischer Rahmen, überträgt das Bild als Projektionsraum. Kartographie<br />

und kognitive Verortung fallen zusammen. Darüber hinaus<br />

drängt die Version für den kleinen Monitor die theatralische Distanz der<br />

Installation in ›das dritte Fenster‹, einen Raum, in dem, wieder Virilio<br />

zitierend, ›das, was dem Auge als ein Nichts erschien, zu einem »Etwas«<br />

wird, und die größte Entfernung Erkenntnis nicht mehr ausschließt‹. 14<br />

14. Paul Virilio, a.a.O., S.41.<br />

105<br />

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106<br />

III.<br />

Die Stadt ist übervoll: Sie wiederholt sich, damit irgendetwas im Gedächtnis haften bleibt<br />

[...]. Das Gedächtnis ist übervoll: Es wiederholt die Zeichen, damit die Stadt zu existieren<br />

beginnt [...]. Der Katalog der Formen ist endlos: Solange nicht jede Form ihre Stadt gefunden<br />

hat, werden immerfort neue Städte entstehen. 15 Italo Calvino<br />

Jedes Instrument in einem Katalog wissenschaftlicher Geräte kann ein Sinnesorgan<br />

sein […]. 16 Norbert Wiener<br />

Calvinos Fabel und die Theorie von Wiener. Mensch-Maschine-Schnittstelle<br />

und die neugefaßte Funktion des Geschichtenerzählens sind verwandte<br />

Phänomene, die für die Entwicklung einer Begrifflichkeit auf dem<br />

Gebiet der interaktiven Medien von Bedeutung sind. Denn wenn das Problem<br />

von Raum und Dauer den Diskurs der Moderne geprägt hat, so sind<br />

die einander bedingenden Probleme von Interface und Erzählung in der<br />

Postmoderne Anzeichen einer wesentlich komplizierteren Situation.<br />

Überkommene Traditionen im Bereich der Öffentlichkeit, der Soziologie<br />

der postindustriellen Welt, der diskreten Präsenz sind einer Form verstreuter<br />

Einbettung – oder besser: Versenkung – des Selbst in die mediale<br />

Landschaft der Tele-Kultur gewichen, in der es kommunikative Praktiken<br />

zu entwickeln gilt, deren Grenzen nicht im materiellen Raum verzeichnet<br />

sind. Die neuen Medientechnologien entwerfen dagegen eine<br />

Geografie der Erkenntnis, der Rezeption und der Kommunikation; diese<br />

entstehen auf Gebieten, deren Stofflichkeit flüchtig, deren räumliche Situierung<br />

ungewiß ist, und deren Präsenz sich eher am Grad der Teilnahme<br />

als an Übereinstimmungen des Ortes bemißt.<br />

Die Erfahrbarkeit der Medien muß von einer erneuerten Theorie der<br />

Beziehung von Rezeption und Repräsentation begleitet werden. Die<br />

Frage nach der Bedeutung von Technologie für die Kreativität geht über<br />

15. Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, München, 1984, S. 24f., S. 161.<br />

16. Norbert Wiener, Mensch und Menschmaschine, Frankfurt am Main, 1952, S. 22.


loße verfahrenstechnische Probleme hinaus. Formen der Erfahrung und<br />

Formen der Erkenntnis können nicht mehr so leicht theoretisiert – geschweige<br />

denn ausgedrückt – werden. Dies in Verbindung mit der Entwicklung,<br />

wenn man so sagen kann, post-optischer Technologien zur<br />

Bildwahrnehmung macht klar, daß digitale Medien mehr als nur neue<br />

Techniken der Repräsentation liefern. Eine umfassende Beschreibung<br />

muß notwendigerweise die schnell veränderlichen Technologien der digitalen<br />

Medien berücksichtigen und die Zufälligkeit der Form als bestimmendes<br />

Prinzip annehmen. Gleichzeitig wird die Fähigkeit, einen algorithmischen<br />

Zusammenhang von Realem und Symbolischen zu denken,<br />

zur Herausforderung für die gesamte Geschichte des Bildermachens.<br />

Die Fotografie ist in Lovers Leap ein Absprungspunkt. Die verwickelten<br />

Beziehungen von Raum und Ein- oder Mehrfach-Perspektive, die<br />

Entwicklung unterschiedlicher Verfahren zur Darstellung krummliniger<br />

Perspektiven, die Fähigkeit des Computers, Geometrie darzustellen, der<br />

Rollenwechsel von Betrachter und Teilnehmer sowie das eher spekulative<br />

Modell vom Raum als Erzählung konvergieren und divergieren gleichzeitig<br />

– Information und Symbolik treffen aufeinander. In der Simulation,<br />

als Sequenz oder als Datenfeld, kann die Information Formen annehmen,<br />

die bewirken, daß das Einzelbild nicht mehr zur Erinnerung eines Ereignisses<br />

dienen kann, sondern daß die Ereignisse selbst als komplexe Anordnung<br />

von Erfahrung, Intention und Interpretation erscheinen. In diesem<br />

Sinne sind die elektronischen Texte eher nicht-linear und kinetisch als<br />

linear und potentiell. Das Bild bietet Übergänge an, nicht Auflösung. Um<br />

es noch treffender zu beschreiben, Lovers Leap formuliert das Problem<br />

der Unterscheidung zwischen physikalischem und visuellen Raum neu,<br />

indem beide miteinander verschmolzen werden: als Erfahrung und interaktiv.<br />

Das Bild der Stadt, der Bedeutungsträger des Gedächtnisses, die<br />

Technologie der Repräsentation: diese Metaphern der Geografie, des<br />

Bewußtseins und der Visualisierung stehen im Herzen von Lovers Leap.<br />

An seiner Peripherie befindet sich ein anderer Einstieg.<br />

107<br />

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Coda<br />

Der ›unübersetzbare‹ Schlußsatz von Edward Tuftes herrlichem Buch<br />

Envisioning Information:<br />

Perhaps one day high-resolution computer visualizations, which combine slightly abstracted<br />

representations along with a dynamic and animated flatland, will lighten the laborious<br />

complexity of encodings – and yet still capture some worthwhile part of the subtlety of the<br />

human itinerary. 17<br />

Übersetzung: Welf Kienast (Mitarbeit Gerald Wildgruber)<br />

17. Edward Tufte, Envisioning Information, Chesire, Ct., 1990, S. 119.


109<br />

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Tamás Waliczky: Der Wald<br />

Von Anna Szepesi<br />

Als unseres Lebens Mitte ich erklommen<br />

Befand ich mich in einem dunklen Wald,<br />

Da ich vom rechten Wege abgekommen.<br />

Wie schwer ist’s, zu beschreiben die Gestalt<br />

Der dichten, wilden, dornigen Waldeshallen,<br />

Die, denk ich dran, erneun der Furcht Gewalt!<br />

Kaum bittrer ist es in des Todes Krallen;<br />

Des Guten wegen, das er mir erwies,<br />

Bericht ich, was im Wald sonst vorgefallen.<br />

Dante, Die Göttliche Komödie,<br />

Erster Gesang, Vers 1–9<br />

Das Werk mit dem Titel Der Wald besteht aus drei Fassungen. Die erste<br />

Version ist eine viereinhalbminütige Computeranimation, die zweite eine<br />

interaktive Installation, die dritte schließlich ist die CD-ROM-Version, die<br />

mit artintact 2 vorgestellt wird. Alle drei Variationen des Werkes ähneln<br />

einander, die visuelle Ebene setzt sich jeweils aus den gleichen Grundelementen<br />

zusammen, aber die ihnen zugrundeliegende Struktur ist unterschiedlich,<br />

entsprechend den technischen Eigenheiten der verwendeten<br />

Medien. Den drei Arbeiten gemeinsam ist der schwarz-weiße, neblige, in<br />

alle Richtungen sich ausdehnende Wald, die visuelle Ausdrucksform der<br />

Ausweglosigkeit.<br />

Die vorliegende Studie möchte den Lesern die wichtigsten Stadien der<br />

künstlerischen Entwicklung Tamás Waliczkys aufzeigen und natürlich<br />

das Kunstwerk Der Wald vorstellen.<br />

Tamás Waliczky wurde in Ungarn geboren und verbrachte seine<br />

Kindheit in einem kleinen Dorf in Südungarn in der Nähe der jugoslawischen<br />

Grenze. Aufgrund dieser geografischen Lage konnte man dort das<br />

jugoslawische Fernsehen besser empfangen als das ungarische, ein wichti-<br />

Tamás Waliczky: Der Wald, 1993/95. Screenshot.<br />

111<br />

artintact 2


112<br />

artintact 2<br />

ger Punkt, weil Zagreb in den 60er und 70er Jahren eine Hochburg der<br />

Animation war und im Fernsehen sehr viele Trickfilme gesendet wurden.<br />

Ihrer Wirkung ist es zuzuschreiben, daß Waliczky als Neunjähriger begann,<br />

Trickfilme herzustellen. Aus technischen Gründen konnte der Ton<br />

der Fernsehsendungen nicht empfangen werden, so daß Waliczky die<br />

Zeichentrickfilme bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr stumm gesehen<br />

hat. Vielleicht liegt hierin der Grund, daß seine Animationen in erster<br />

Linie visuelle Werke sind und die Musik – wenn auch oft ein wichtiges<br />

Gestaltungselement – immer nachträglich zum Bild hinzutritt. Seine<br />

frühen Zeichentrickfilme hat er nicht vertont, auch unter den späteren<br />

Computeranimationen sind stumme zu finden (z.B. Computer Mobiles –<br />

Human Motions, 1987). Die Wirkung der Zeichentrickfilme zeigt sich in<br />

der Anziehung, die zweidimensionale Figuren auf den Künstler ausgeübt<br />

haben. In den späteren Werken sehen wir zwar, daß er virtuos dreidimensionale<br />

Räume aufbaut, aber die Dreidimensionalität steht bei ihm immer<br />

in Anführungszeichen, so daß wir eigentlich eher von zweieinhalb als von<br />

drei Dimensionen sprechen sollten. In seinen Animationen greift das Verhältnis<br />

von Figur und Hintergrund oft auf traditionelle Lösungen des<br />

Zeichentrickfilms zurück.<br />

Nach seiner frühen Beschäftigung mit Trickfilmen lernte Waliczky<br />

autodidaktisch zeichnen und malen. Später hat er drei Jahre im Zeichentrickfilm-Studio<br />

Pannonia in Budapest gearbeitet, aber viel mehr als die<br />

gewerbeübliche Trickfilmproduktion interessierte ihn die Malerei. In<br />

seinen großformatigen Ölgemälden ging es ihm darum, einzelne Gegenstände<br />

oder Menschengestalten unter möglichst sparsamer Verwendung<br />

von darstellerischen Mitteln in ihrer Wesenhaftigkeit zu erfassen. Im Jahr<br />

1988 entsteht auf der Grundlage vergleichbarer Prinzipien die erste<br />

dreidimensionale Computeranimation mit dem Titel Is there any room<br />

for me here? In diesem Videofilm in Schwarzweiß bildet er unter sparsamer<br />

Ausgestaltung der Räumlichkeit eine nächtliche Wohnung mit<br />

ihren Möbeln ab. Mit sensiblen Licht-Schatten-Effekten, die an die Präg-


nanz des Pinselzuges chinesischer Tuschezeichnungen erinnern, hebt er<br />

die Gegenstände aus dem dunklen Hintergrund hervor. Die puritanische<br />

Schönheit der Formen und Bewegungen wird durch eine Cellosuite von<br />

Bach akzentuiert.<br />

Wir gehen nun an den Anfang der 80er Jahre zurück: 1983 verläßt<br />

Waliczky den traditionellen Trickfilmbetrieb und beginnt in einem Softwarestudio<br />

zu arbeiten, in dem vor allem Computerspiele auf amerikanische<br />

Bestellung entwickelt werden, aber auch Software für grafische<br />

Animation. Die verborgenen Möglichkeiten, die in den Computeranimationen<br />

stecken, beginnen ihn zu interessieren, zumal technische Apparaturen<br />

und Möglichkeiten ihn immer schon faszinierten. Die Lieblingslektüre<br />

seiner Kindheit war z.B. das Taschenbuch des Amateurfilms, das<br />

sich unter anderem mit Makrofotografie und der Berechnung von Brennweiten<br />

beschäftigte.<br />

Der Computer wurde über die Möglichkeiten des Geldverdienens<br />

hinaus ein Werkzeug künstlerischen Experiments. Um das Jahr 1987<br />

entstanden die ersten Computeranimationen, die Computer Mobiles, auf<br />

einem Atari 520 ST Homecomputer. Die Programmierer des Softwarestudios<br />

halfen ihm bei der Entwicklung der jeweiligen Software. Alle<br />

späteren Animationen basieren auf ganz oder zumindest teilweise für das<br />

jeweilige Werk individuell entwickelter Software. In seinen ersten Arbeiten<br />

hat Waliczky die Möglichkeit beschäftigt, daß der Ataricomputer aufgrund<br />

seiner Speicherkapazität in der Lage ist, eine bis zu vier Sekunden<br />

lange Animation endlos wiederzugeben. Die Stücke der Computer Mobiles<br />

betitelten Reihe bestehen aus solchen endlosen Sequenzen, aber auch<br />

für spätere Arbeiten ist die Aneinanderreihung von längeren und kürzeren<br />

Sequenzen charakteristisch.<br />

In einem der schönsten Mobiles mit dem Titel Balance hat Waliczky<br />

aus den digitalisierten Fotos einer männlichen und einer weiblichen<br />

Gestalt eine in der Senkrechten endlose Komposition zusammengestellt.<br />

Die beiden in akrobatischen Bewegungen erstarrten Gestalten helfen,<br />

113<br />

artintact 2


114<br />

artintact 2<br />

bremsen oder ziehen sich gegenseitig, und diese zirkusartige Aufführung<br />

wird von der langsam nach oben schwenkenden Kamera verfolgt. Die<br />

kalligrafische Zeichnung dieser Komposition, ihre Vertikalität, wird<br />

wiederkehren in der Konzeption der Bäume, die die Animation des<br />

Waldes konstituiert. In der Serie Computer Mobiles tauchen bereits viele<br />

der künstlerischen und technischen Fragen auf, die in späteren Arbeiten<br />

wiederkehren und für Waliczkys Œuvre charakteristisch sind. So zum<br />

Beispiel das Prinzip der Farbanimation, wo durch Farbwechsel der Eindruck<br />

von Bewegung erreicht wird. Diese Wirkung können wir auch in<br />

den beiden Mobiles Wasservogel und Weinende Frau entdecken. Die<br />

technischen Lösungen, die hier gefunden wurden, ermöglichen wiederum<br />

erst die spezielle Gestalt der Bäume und anderer Hintergrundelemente in<br />

der Animation The Garden.<br />

Nachdem die Serie der Mobiles abgeschlossen ist, arbeitet Waliczky<br />

1988 an der fünfminütigen Computeranimation Pictures. Aus verschiedenen<br />

Fotos aus einem Familienalbum, die digital bearbeitet werden, entsteht<br />

eine virtuelle Bilderreise: eine fiktive Kamera vergrößert einzelne<br />

Details des ersten Fotos und mit jeder Vergrößerung wird ein neues Bild<br />

generiert. So werden immer weiter zurückliegende Momente aus der Geschichte<br />

eines Lebens erkennbar. Das erste und das letzte Bild der Animation<br />

sind identisch, der Kreis schließt sich und die Geschichte endet.<br />

1989 verfaßt Waliczky ein Manifest zur elektronischen Kunst, das er<br />

auf dem Festival Ars Electronica in Linz vorträgt (wo seine Grafik Grammophone<br />

mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica ausgezeichnet<br />

wurde) und später auch auf der Imagina in Monte Carlo. Das Manifest<br />

wird im Katalog der ungarischen Ausstellung Digitart II abgedruckt.<br />

Waliczky berührt darin viele Fragen, die ihn auch in seinen späteren<br />

Arbeiten beschäftigen:<br />

Wenn wir schon mit dem Computer ein dreidimensionales Modell erstellt und an jenem<br />

dem menschlichen Gehirn bisher nicht zugänglichen Erlebnis teilgehabt haben, vor einem<br />

zweidimensionalen Monitor zu sitzen und zu sehen, daß wir eine Statue geschaffen haben,


und zwar dergestalt, daß sich diese Statue im Raum in alle Richtungen ausdehnt, eine<br />

Oberfläche, Masse, Farbe hat und das Licht entweder reflektieren oder absorbieren kann,<br />

mit anderen Worten in jeder Hinsicht eine wirkliche Statue ist und nur eben nach herkömmlicher<br />

Auffassung nicht existiert, dann wird uns bewußt, daß wir uns in einer neuen<br />

Welt so weit vorgewagt haben, daß das Festhalten an traditionellen Begriffen nur noch<br />

kleinliche Haarspalterei sein kann.<br />

Die neue Produktionsweise verändert die Dramaturgie.<br />

Das Verhältnis von Zuschauer und Künstler muß neu definiert werden, da wir vom eindimensionalen<br />

Geschichtenerzählen abweichen.<br />

Die computerbestimmte Bewegung kennt weder Anfang noch Ende. Es gibt keinen Film,<br />

keinen Zelluloidstreifen von meßbarer Länge und keinen Metallträger. Warum halten wir<br />

also an jenen Gewohnheiten fest, die die technische Beschränkung von Filmspule und<br />

Videoband mit sich gebracht haben?<br />

Das Drehbuch zu der Animation The Garden entstand 1991. Die Idee<br />

dazu lieferte eine alte, mehr als ein Jahrzehnt zuvor entstandene Filmaufnahme<br />

auf Super-8, auf der ein kleines Mädchen versunken in einem<br />

dörflichen Garten spielt. In dieser Animation wollte Waliczky die große<br />

Aufmerksamkeit und Entdeckerfreude, mit der ein kleines Kind seine<br />

Umwelt beobachtet, ebenso nachzeichnen wie die Zuneigung, die wir<br />

einem Kind gegenüber verspüren können. Zur Veranschaulichung dieser<br />

Kraftlinien hat Waliczky eine neue Art von Perspektive entwickelt: das<br />

Wassertropfen-Perspektivsystem. Dieses System weicht ab von dem seit<br />

der Renaissance gültigen Perspektiv-Gedanken, für den der Bildbetrachter<br />

der wichtigste Faktor ist, da sich ihm die dargestellte Welt eröffnet und<br />

er mit seiner Betrachtung das Bild vollendet. Das Spiegelbild seines<br />

Betrachterstandpunktes stellt jenen Fluchtpunkt dar, an dem alles<br />

verschwindet. Die Ordnung der Wassertropfen-Perspektive dagegen<br />

gestaltet jeden Gegenstand vom Standpunkt des kleinen Kindes aus, das<br />

sich im Raum bewegt. Wenn sich das Kind einem Gegenstand nähert, vergrößert<br />

sich dieser, wenn es sich entfernt, wird er kleiner. Diese Wirkung<br />

ist für alle Punkte im Raum gültig; dadurch werden die Gegenstände ver-<br />

115<br />

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116<br />

artintact 2<br />

zerrt, die ganze Welt ist kugelförmig und hat das kleine Kind als Mittelpunkt.<br />

Alles hängt ab von seinen Bewegungen, die gezeigte Welt ist seine<br />

eigene Welt. Der Betrachter steht außerhalb dieser Welt und sieht den<br />

Traum eines anderen.<br />

Im synthetischen Raum spielt ein eineinhalbjähriges Kind, dessen<br />

Gestalt der Künstler aus 16mm-Filmaufnahmen digitalisiert hat. Die<br />

Bewegungsabläufe des Kindes wurden im Computer analysiert, Bild für<br />

Bild bearbeitet und im Mittelpunkt des Gartens plaziert. Das Kind bleibt<br />

immer gleich groß und immer im Mittelpunkt des Bildes.<br />

Der von einer Kamera aufgenommene ›wirkliche‹ Darsteller innerhalb<br />

einer computergenerierten Welt ist ein vielfach wiederkehrendes<br />

Element in den Werken von Waliczky. Zum ersten Mal taucht dieses Motiv<br />

(neben vielen anderen) in der Serie Human Motions (oder: Computer<br />

Mobiles) auf, und zwar in der Animation Wheel. Eine digitalisierte und<br />

animierte männliche Gestalt aus einer der Fotoserien von Eadweard<br />

Muybridge läuft ununterbrochen in einem computergenerierten, dreidimensionalen<br />

Rad. Seine Bewegungsenergie wird vollständig dazu benötigt,<br />

das Rad in Gang zu halten.<br />

Die Arbeit an The Garden begann in Ungarn, das Video entstand dann<br />

in Deutschland mit Unterstützung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie.<br />

Waliczky war zunächst als Stipendiat, ab 1993 als Mitarbeiter<br />

des Instituts für Bildmedien am ZKM. Alle nach The Garden entstandenen<br />

Arbeiten, wie z. B. Der Wald, der sich zeitlich anschließt,<br />

entstanden in den Studios des ZKM.<br />

Die erste Fassung von Der Wald entstand als Computeranimation. Der<br />

Anblick des dargestellten Waldes erweckt in uns die Vorstellung eines<br />

dreidimensionalen Raumes, dessen Bauelemente aber zweidimensional<br />

sind. Ausgangspunkt ist die Schwarzweiß-Zeichnung eines kahlen Baumes.<br />

Wie zuvor schon erwähnt, ist dieser Baum direkter Nachfahre des<br />

Balance betitelten Mobiles, das sich aus der kalligrafischen Zeichnung


von menschlichen Gestalten zusammensetzt. Man könnte den Wald auch<br />

als eine lange vertikale Komposition bezeichnen, die endlos abläuft. Die<br />

Wirkung der Endlosigkeit entsteht durch die Möglichkeit grenzenloser<br />

Auf- und Abwärtsbewegungen – für den Betrachter scheint es, als würde<br />

die Kamera sich entsprechend bewegen, ohne allerdings jemals die Baumkronen<br />

oder den Boden zu erreichen. Diese Bewegung der Bäume ist die<br />

erste Bewegungsrichtung der Animation. Die zweidimensionale Zeichnung<br />

des Baumes hat Waliczky vervielfältigt und auf dem Seitenmantel<br />

durchsichtiger Zylinder plaziert. In der Animation steckt hinter dem visuellen<br />

Eindruck des endlosen Waldes nichts anderes als diese sich aus<br />

kleineren und größeren Zylindern zusammensetzende Konstruktion.<br />

Zwischen den Zylindern ist eine virtuelle Kamera plaziert, die uns Bilder<br />

des Waldes liefern kann. Die Kamera ist viel kleiner als der kleinste Zylinder.<br />

So erhalten wir durch das Bild der Kamera keine Informationen darüber,<br />

daß sich die Bäume, die wir auf dem Bild sehen, nicht auf unterschiedlichen<br />

Ebenen hintereinander, sondern auf gewölbten Zylindermänteln<br />

befinden. Wenn sich diese (aus der Perspektive der Kamera riesigen)<br />

Zylinder zu drehen beginnen, entsteht im Betrachter die Empfindung,<br />

daß die Kamera nach rechts oder links schwenkt. Das ist die zweite Bewegungsrichtung,<br />

die Bewegung der Zylinder. Auch die virtuelle Kamera<br />

hat ihre Eigenbewegung: sie kann sich auf einer kreisförmigen Bahn vorwärts<br />

oder rückwärts innerhalb des Waldes bewegen – die dritte Bewegungsrichtung.<br />

Durch die Mischung der drei Arten von Bewegung sind<br />

Bewegungen in alle Richtungen möglich (z.B. diagonal, spiralförmig<br />

usw.). Mit dieser Struktur verändert Waliczky das Koordinatensystem,<br />

das die Grundlage räumlicher Darstellung bildet. Während normalerweise<br />

den drei Richtungen (x, y, z) gerade Vektoren entsprechen, verwendet<br />

Waliczky in seinem eigenen Koordinatensystem in sich selbst zurückkehrende<br />

Bögen, womit er das Gefühl von Unendlichkeit vermittelt: im<br />

Betrachter entsteht die Empfindung, daß aus diesem Wald, der in alle<br />

Richtungen unendlich ist, kein Weg herausführt. Die kahlen Bäume dre-<br />

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118<br />

artintact 2<br />

hen sich kaleidoskopartig nebeneinander. Die Illusion ist vollkommen<br />

und zutiefst erschreckend: die Unendlichkeit des Blickes zeitigt Perspektivlosigkeit.<br />

Der Ton, der die Animation begleitet – Eisenbahngeräusche und Gesang<br />

(eine weibliche Stimme singt das deutsche Kinderlied Grün, grün,<br />

grün) – akzentuiert das Surreale der Bildebene und die Empfindung von<br />

Einsamkeit. Nach Abschluß der Animation auf Video begann Waliczky<br />

zusammen mit Jeffrey Shaw und Sebastian Egner an der zweiten, der<br />

interaktiven Variante des Werkes Der Wald zu arbeiten. Die Animation<br />

wird zum Teil einer interaktiven Installation: Grundlage bildet ein Flugsimulator,<br />

dessen Cockpit durch eine einfache Plattform ersetzt wurde,<br />

auf der sich ein Sessel und ein großer Monitor befinden. Der Betrachter<br />

kann selbst mit Hilfe der Steuerung (in Form eines Joysticks, der sich auf<br />

der Armlehne befindet) die Richtung seiner Bewegung im Wald, der auf<br />

dem Monitor gezeigt wird, bestimmen. Der Flugsimulator reagiert entsprechend,<br />

so daß Beschleunigung, Verlangsamung oder Richtungswechsel<br />

im Raum körperlich empfunden werden kann. Für diese Version hat<br />

Sebastian Egner, der die Programmierung und Steuerung der Plattform<br />

entwickelte, eine neue Bildkonstruktion entworfen, da die auf Zylindern<br />

beruhende Lösung sich aus technischen Gründen hier nicht eignete. In<br />

der neuen Version befinden sich die Zeichnungen der Bäume nicht auf<br />

Zylindermänteln, sondern sie sind im Innenraum eines riesigen Würfels<br />

nach dem Zufallsprinzip angeordnet. Die Kamera bewegt sich im Würfel<br />

entsprechend der Steuerung des Betrachters frei in alle Richtungen. Wenn<br />

die Kamera einen Rand des Würfels erreicht, findet sie sich zwar theoretisch<br />

in einem neuen Würfel wieder, in dem es dieselben Bäume gibt, tatsächlich<br />

tritt sie aber, von der entgegengesetzten Seite kommend, wieder<br />

in den gleichen Würfel ein. So wirkt auch dieser Raum unendlich.<br />

In der vorliegenden CD-ROM-Version hat Waliczky die Struktur der<br />

interaktiven Variante des Werkes Der Wald mit wenigen Abweichungen,


die aufgrund der Eigenheiten des anderen Mediums notwendig wurden,<br />

verwendet. Eine wesentliche Modifikation besteht darin, daß die verwendeten<br />

Farbtöne weiter reduziert wurden. Technisch war dies deshalb<br />

notwendig, weil die geringere Farbinformation eine höhere Projektionsgeschwindigkeit<br />

bedeutet und für Waliczky ein größeres Bildformat und<br />

weichere Bewegungen wichtiger waren als viele differenzierte Grautöne.<br />

An Stelle der Schwarzweißfotografien ähnelnden Welt der ursprünglichen<br />

Bilder mit vielen Abstufungen in Grau verwendet er hier nur reines<br />

Weiß und Schwarz, was die neue Animation betont grafisch erscheinen<br />

läßt. Wir erhalten sozusagen eine interaktive Illustration der ursprünglichen<br />

Animation, die gerade durch ihre Abweichung zum eigenständigen<br />

Kunstwerk wird.<br />

Übersetzung: Susanne Simor<br />

119<br />

artintact 2


Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Künstler /Artists<br />

Geboren 1952 in St-Léonard d’Aston,<br />

Québec, lebt und arbeitet in Montréal. Luc<br />

Courchesne erhielt den Bachelor of Design<br />

in Communication am Nova Scotia<br />

College of Art and Design, Halifax und<br />

den Master of Science in Visual Studies am<br />

Massachusetts Institute of Technology<br />

(MIT), Cambridge. Seit 1986 ist er Professor<br />

an der École de design industriel,<br />

Université de Montréal und seit 1996<br />

Präsident der Société des arts technologiques<br />

(SAT), Montréal. Seine Arbeiten<br />

befinden sich in zahlreichen Sammlungen,<br />

darunter in der National Gallery of<br />

Canada, Ottawa, im ZKM-Medienmuseum,<br />

Karlsruhe und im NTT Intercommunication<br />

Centre, Tokio.<br />

Arbeitsaufenthalte und Stipendien /<br />

Residencies and stipends<br />

Research fellow, Center for Advanced<br />

Visual Studies, MIT, Cambridge,<br />

1984–85<br />

Artist-in-residence, Institut Méditerranéen<br />

de Recherche et de Création (IMEREC),<br />

Marseille, 1991–93<br />

Artist-in-residence, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />

Artist-in-residence, Museum of New<br />

Zealand, Wellington, 1997–98<br />

Luc Courchesne<br />

Born in St-Léonard d’Aston, Quebec, in<br />

1952, Luc Courchesne lives and works in<br />

Montreal. He obtained a Bachelor of<br />

Design in Communication at the Nova<br />

Scotia College of Art and Design, Halifax<br />

and an MSc in Visual Studies at the Massachusetts<br />

Institute of Technology (MIT),<br />

Cambridge. Since 1986, he has been a<br />

professor at the École de design industriel,<br />

Université de Montréal, and since 1996 has<br />

been president of the Technological Art<br />

Society (SAT), Montreal. His works are in<br />

numerous collections, including the<br />

National Gallery of Canada, Ottawa, the<br />

ZKM-Media Museum, Karlsruhe and the<br />

NTT Intercommunication Centre, Tokyo.<br />

Artist-in-residence, International<br />

Academy for Media Arts and Sciences<br />

(IAMAS), Ogaki City, Japan, 2000–01<br />

Auszeichnungen und Förderungen<br />

(Auswahl) / Selected awards and<br />

grants<br />

Grand Prize, Salon mondial des inventions,<br />

Brussels, 1979<br />

Silver Medal, Concours Lépine, Paris, 1980<br />

121<br />

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artintact 2<br />

122 Award of Excellence in Exhibition Design,<br />

Graphisme, Québec, 1984<br />

Project Grants, Canada Arts Council,<br />

1985/89/92/94<br />

Grant, Ministère de la Culture, France,<br />

1991<br />

Honourable Mention, Prix Ars Electronica,<br />

Linz, 1992<br />

Grand Prix, ICC Biennale ’97 , NTT<br />

InterCommunication Centre, Tokyo,<br />

1997<br />

Award of Distinction in Interactive Art,<br />

Prix Ars Electronica, Linz, 1999<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

Videobänder / Videotapes<br />

Bob Rosinsky’s Sister, 1982<br />

Twelve of Us, 1982<br />

Paula, 1983<br />

The Past and Future Wheel, 1983<br />

Letter to the Unknown, 1986<br />

Interaktive Installationen /<br />

Interactive installations<br />

Elastic Movies, 1984<br />

Encyclopedia Ciaroscuro, 1987<br />

Portrait One, 1990<br />

Portrait of Claude Jutra, 1991<br />

Bostonian Suite, 1992<br />

Family Portrait, 1993<br />

Portrait of Paula Dawson, 1994<br />

Hall of Shadows, 1996<br />

Landscape One, 1997<br />

Passages, 1998<br />

Jeu de chaises, 1998<br />

Portrait Collection (for the Museum of<br />

Communication, Bern), 1999<br />

Rendez-vous ... sur les bancs publics, 1999<br />

Panoscope 360, 2000<br />

The Visitor: Living by Number, 2001<br />

Bühnenbild / Stage design<br />

L’après-midi d’un faune, dance performance<br />

by Marie Chouinard, 1987<br />

Chroniques de la lumière, concert by<br />

composer Francis Dhomont, 1989<br />

Präsentationen und Ausstellungen<br />

(Auswahl) / Selected screenings and<br />

exhibitions<br />

MIT Film/Video Spring Screening,<br />

Cambridge, 1983<br />

12éme festival international du nouveau<br />

cinéma et de la video, Montreal, 1983<br />

Institute of Contemporary Art, Boston,<br />

1984<br />

Coastal Extremes, Video Free America,<br />

San Francisco, 1984<br />

Holland Festival, Amsterdam, 1985<br />

New York Film Market, New York, 1985<br />

Art New Vision ’86, Nippon High Technology<br />

Arts Festival, Tokyo, 1986<br />

Gen-Lock, Geneva, 1987<br />

Maison de la culture du Plateau Mont-<br />

Royal, Montreal, 1987<br />

Grey Art Gallery, New York, 1988<br />

Image Forum, Tokyo, 1988<br />

PRIM, Montreal, 1990<br />

Siggraph, 1991/93<br />

TISEA, Third International Symposium on<br />

Electronic Art, Sydney, 1992<br />

Muu Media Festival, Helsinki, 1993<br />

Centre de la Vieille Charité, Marseille,<br />

1990/93<br />

National Gallery of Canada, Ottawa, 1993


Musée d’Art, Nice, 1994<br />

Jan Potter Gallery, Melbourne, 1994<br />

Museum of Modern Art, New York, 1994<br />

Artifices 3, Saint-Denis, Paris, 1994<br />

Power Plant, Toronto, 1995<br />

Triennale di Milano, Milan, 1995<br />

MultiMediale 4, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />

Kwangju Biennale, Kwangju, Korea, 1995<br />

Interaction 95, Gifu, Japan, 1995<br />

DEAF ’96, Rotterdam, 1996<br />

Ars Electronica, Linz, 1996/99<br />

The Art Gallery of New South Wales,<br />

Sydney, 1996<br />

Musée d’art contemporain de Montréal,<br />

Montreal,1996<br />

Multimediale 5, ZKM, Karlsruhe, 1997<br />

NTT InterCommunication Centre, Tokyo,<br />

1997/98<br />

Musée canadien de la photographie contemporaine,<br />

Ottawa, 1998<br />

Avatar, Amsterdam, 1998<br />

Tokyo Metropolitan Museum of Photography,<br />

Tokyo, 1998/2000<br />

Te Papa Tongarewa, Museum of New<br />

Zealand, Wellington, 1998<br />

Musée National des Arts et Traditions<br />

Populaires, Paris, 1999<br />

Kiasma, Museum of Contemporary Art,<br />

Helsinki, 1999<br />

Cité des Sciences et de l’Industrie, La<br />

Villette, Paris, 1999<br />

Musée de la communication, Bern, 1999<br />

Bonner Kunstverein, Bonn, 1999<br />

Siggraph 2000, New Orleans, 2000<br />

Rendez-vous Paris-Belfort, CICV,<br />

Hérimoncourt, 2000<br />

ACM ’01, San Jose, CA, 2001<br />

Art Gallery of New South Wales, Sydney,<br />

2001<br />

The Interaction ’01, Japan, 2001<br />

Website<br />

http://www.din.umontreal.ca/courchesne<br />

123<br />

artintact 2


artintact 2<br />

124 Miroslaw Rogala<br />

Geboren 1954 in Polen; studierte Musik<br />

und bildende Kunst in Krakau (Master of<br />

Fine Arts für Malerei, 1979) und an der<br />

School of the Art Institute, Chicago<br />

(Master of Fine Arts in Video, 1983).<br />

Rogala promovierte 2000 in interaktiver<br />

Kunst am Centre for Advanced Inquiry in<br />

the Interactive Arts (CAiiA), University of<br />

Wales, Newport. Er unterrichtete u.a. am<br />

Department of Computer Graphics, Arts<br />

and Television, Columbia College, Chicago<br />

(1987–1996), am Rennselaer Polytechnic<br />

Institute, Troy, New York<br />

(1991–1993) und war Associate Professor<br />

am Brooklyn College/City University of<br />

New York sowie Leiter des Program in<br />

Performance and Interactive Media Arts<br />

(PIMA, 2000-2001). Seine Arbeiten<br />

befinden sich in zahlreichen Sammlungen,<br />

u.a. Centre Georges Pompidou, Paris,<br />

Musée d’Art Contemporain, Lyon,<br />

Museum of Modern Art, New York und<br />

Museum of Contemporary Art, Chicago.<br />

Auszeichnungen und Förderungen<br />

(Auswahl) / Selected awards and<br />

grants<br />

Grant funded study at the Merce Cunningham<br />

Dance Theatre, New York, 1982<br />

Regional Fellowship Award, National<br />

Endowment for the Arts and the<br />

American Film Institute, 1984–85,<br />

1990–91, 1993<br />

The City of Chicago Department of<br />

Cultural Affairs Commission Award,<br />

1990<br />

New York City State Council for the Arts<br />

Grant, 1991–93<br />

Born in Poland in 1954, Miroslaw Rogala<br />

studied music and fine arts in Krakow<br />

(MFA in Painting, 1979) and at the School<br />

of the Art Institute, Chicago (MFA in<br />

Video, 1983). In 2000, he received a PhD<br />

from the Centre for Advanced Inquiry in<br />

the Interactive Arts (CAiiA), University of<br />

Wales, Newport. His teaching positions<br />

include: Department of Computer Graphics,<br />

Arts and Television, Columbia College,<br />

Chicago (1987–1996), Rennselaer Polytechnic<br />

Institute, Troy, New York<br />

(1991–1993), Associate Professor at<br />

Brooklyn College/City University of New<br />

York, and director of PIMA, Program in<br />

Performance and Interactive Media Arts<br />

(2000-2001). His works are in numerous<br />

collections, among them: Centre Georges<br />

Pompidou, Paris; Musée d’Art Contemporain,<br />

Lyon; Museum of Modern Art, New<br />

York; Museum of Contemporary Art,<br />

Chicago.<br />

American Film Institute Video Festival<br />

Award, 1991<br />

Intermedia Arts Award, National Endowment<br />

for the Arts, 1992<br />

Project Grant, Goethe Institute, Chicago,<br />

1993/95<br />

Artist-in-residence, ZKM, Karlsruhe,<br />

1994–95<br />

International Award for Video Art, ZKM<br />

Karlsruhe, SWF Baden-Baden and ORF<br />

Austria, 1995 (nomination)<br />

Babelfish Award, Interactiva, Potsdam,<br />

Germany, 1995 (artintact 2)<br />

Research Fellowship, online PhD<br />

Research Program, CAiiA,


University of Wales, Newport,<br />

1996–99<br />

Ausgewählte Werke / Selected works<br />

Videobänder und ihre Präsentationen<br />

(Auswahl) / Videotapes and screenings<br />

(selection)<br />

Polish Dance ’80, 1980 – Transcultura/<br />

Transmedia, Exit Art, New York, 1986;<br />

Museum of Contemporary Art, Los<br />

Angeles, 1991<br />

Four Simultaneous Provocations, 1982 –<br />

Video Roma, International Video<br />

Festival, Rome, 1982; The Center for<br />

New Television, Chicago, 1984<br />

Speech, 1982 – Film/Video Festival, Athens<br />

(Ohio), 1982; Anthology Film Archives,<br />

New York, 1984; Centre Georges<br />

Pompidou, Paris, 1987<br />

Questions To Another Nation, 1985 –<br />

International Video Festival, San<br />

Sebastian, 1984; Scan, Tokyo, 1987; 19th<br />

International Video Biennial, São Paulo,<br />

1987; Arsenal Gallery, BWA Bialystok,<br />

1995; Anthology Film Archives, New<br />

York, 1984<br />

Nature Is Leaving Us, 1987–88 – Australian<br />

Video Festival, Paddington,<br />

1988; International Film and Video<br />

Festival, San Francisco, 1989; Museum<br />

of Contemporary Art, Chicago, 1989;<br />

Ars Electronica, Linz, 1990<br />

The Witches Scenes/Macbeth, 1988 –<br />

Walker Arts Center, Minneapolis, 1990;<br />

The Kitchen, New York, 1991; Siggraph,<br />

Chicago, 1992; Iterations,<br />

International Center of Photography,<br />

New York, 1993, Brooklyn Art Museum,<br />

New York, 1990<br />

Instructions Per Second (with Carolee<br />

Schneemann), 1994 – Fylkingen,<br />

Stockholm, 1994; World Wide Video<br />

Festival, The Hague, 1996; International<br />

Festival of Films on Art, Montreal, 1996<br />

Video-, Multimedia- und interaktive<br />

Installationen und ihre Präsentationen<br />

(Auswahl) / Video, multimedia and<br />

interactive installations and places of<br />

presentation (selection)<br />

Pulso-Funktory, (pre)interactive sound and<br />

mixed media installation, 1977 –<br />

Walbrzych, Poland 1977; Centre for<br />

Contemporary Art, Ujazdowski Castle,<br />

Warsaw, 2001; Centre for Contemporary<br />

Art, Krakow, 2001<br />

Questions To Another Nation (sound with<br />

Christopher Wargin), video installation,<br />

1983 – The School of the Art Institute,<br />

Chicago, 1983<br />

Love Among Machines (with A. Osgood,<br />

J. Boesche; music: R. Woodbury), video<br />

installation, 1986 – Morning Dance<br />

Center, Chicago, 1987<br />

Remote Faces: Outerpretation (sound:<br />

Lucien Vector), video performance,<br />

1986 – New Generations, Museum of<br />

Contemporary Art, Chicago, 1986<br />

Nature Is Leaving Us (with U. Dudziak,<br />

L.Vector, R. Woodbury), opera/linear<br />

video, 1987–88 – Chicago International<br />

Art Exposition, Chicago, 1988<br />

Nature Is Leaving Us (with F. Abbinanti, J.<br />

Boesche, L. Book, U. Dudziak, W.<br />

Herterich, B. Jeffrey, W. Myers, A.<br />

Osgood, J. Reitzer, L. Vector, M. Ward,<br />

R. Woodbury), video theatre/multimedia<br />

opera, 1989 – The Goodman Theatre<br />

Studio, Chicago, 1989<br />

Artificial Intelligence: The Last Symposium<br />

125<br />

artintact 2


artintact 2<br />

126 (with K. Nordine, E. Paschke), multimedia<br />

installation, 1992 – Siggraph,<br />

Chicago, 1992<br />

Lovers Leap (with L. Hovestadt, F. Oxaal),<br />

interactive multimedia installation/CD-<br />

ROM, 1995 – MultiMediale 4, ZKM,<br />

Karlsruhe, 1995; V2, Rotterdam, 1995;<br />

3e Biennale d’art Contemporain, Lyon,<br />

1996; Perspektiven, Schlossmuseum<br />

Murnau, Murnau, Germany, 2000<br />

Electronic Garden/NatuRealization, sitespecific<br />

outdoor interactive sound<br />

installation, 1995 – Sculpture Chicago<br />

’96, Chicago, 1996<br />

Divided We Stand/Divided We Speak (with<br />

Art(n), R. Ascott, A. Arsenault; S.<br />

Boyer, A. Cruz, K. Nordine; J. Guo;<br />

U. Dudziak; J. Friedman, W. Herterich,<br />

M. Iber; J. Krieger, M. Rutan, J. Reitzer,<br />

C. Schandelmeier, F. Oxaal), interactive<br />

multimedia laboratory project, 1997 –<br />

Museum of Contemporary Art,<br />

Chicago, 1997<br />

Virtual Photography studies for Divided<br />

We Stand (with Art(n), Allan Cruz),<br />

interactive PHSCplograms, 1997 –<br />

Museum of Contemporary Art,<br />

Chicago, 1997; WRO 2000, Wroclaw,<br />

2000; Centre for Contemporary Art,<br />

Ujazdowski Castle, Warsaw, 2001;<br />

Centre for Contemporary Art, Krakow,<br />

Poland, 2001; Digital: Printmaking<br />

Now, Brooklyn Museum, New York,<br />

2001; Digital Innovation in Printmaking,<br />

Design Arts Gallery, Drexel<br />

University, Philadelphia, 2001<br />

Divided We Sing (vocals by U. Dudziak,<br />

J. Guo, K. Nordine), interactive sound<br />

installation, 1999 – Pittsburgh Center<br />

for the Arts, Pittsburgh, 1999; Universiteit<br />

Eindhoven, Eindhoven, 2000<br />

Divided We See (with J. Friedman, W.<br />

Herterich, R. Harmon, J. Reitzer),<br />

interactive media installation, 2001 –<br />

Drexel University Art Gallery, Philadelphia,<br />

2001<br />

Website<br />

http://www.rogala.org


Geboren 1959 in Ungarn, arbeitet in den<br />

Bereichen Trickfilm, Malerei und Computeranimation;<br />

er verwendet seit 1983<br />

Computer. 1992 erhielt Tamás Waliczky<br />

ein Stipendium des ZKM-Instituts für<br />

Bildmedien und war dort von 1993–97<br />

Mitarbeiter des Forschungsbereichs. Seit<br />

1997 ist er Gastprofessor an der Hochschule<br />

für Bildende Künste Saar, Saarbrücken,<br />

und war 1998/99 Gastkünstler an<br />

der International Academy for Media Arts<br />

and Sciences (IAMAS) in Gifu, Japan. Seine<br />

Arbeiten befinden sich in verschiedenen<br />

Sammlungen, darunter im Centre Georges<br />

Pompidou, Paris, der Oppenheimer<br />

Collection, Bonn und der Scan Video<br />

Gallery, Tokio.<br />

Auszeichnungen / Awards<br />

Third Prize, Digitart Computer Graphics<br />

Festival, Budapest, 1986<br />

Honourable Mention, distinction<br />

Animation, Prix Ars Electronica, Linz,<br />

1988<br />

First and Second Prize, distinctions 2-D<br />

and 3-D, P.L.E.I.A.S. Festival, Paris, 1988<br />

Golden Nica, distinction Computergraphics,<br />

Prix Ars Electronica,<br />

Linz, 1989<br />

Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Art, Prix Ars Electronica, Linz,<br />

1990<br />

Third Prize, distinction Art, Imagina,<br />

Monte-Carlo, 1991<br />

World Graph Prize, Locarno Videoart<br />

Festival, Locarno, 1991<br />

Festival Prize, Internationales Festival des<br />

Animationsfilms, Berlin, 1991<br />

Tamás Waliczky<br />

Born in Hungary in 1959, Tamás Waliczky<br />

is an animator, painter and computer<br />

animator. He has been working with<br />

computers since 1983. He was artist-inresidence<br />

at the ZKM Institute for Visual<br />

Media in 1992, and subsequently joined the<br />

Institute’s research staff (1993-97) until<br />

taking up a guest professorship at the HBK<br />

Saar, Saarbrucken (1997 onward). He was<br />

artist-in-residence at the International<br />

Academy for Media Arts and Sciences<br />

(IAMAS) in Gifu, Japan, in 1998/99. His<br />

works are in various public collections,<br />

among them: Centre Georges Pompidou,<br />

Paris; Oppenheimer Collection, Bonn;<br />

Scan Video Gallery, Tokyo.<br />

Prize for the Best Animated Film,<br />

Hungarian Advertising Film Festival,<br />

Budapest, 1991<br />

Honourable Mention, distinction<br />

Education, IVCA Festival, London,<br />

1991<br />

Special Prize of the Polish Television’s<br />

Channel 2 and the festival’s Art<br />

Director, WRO ’93, Wroclaw, 1993<br />

Honourable Mention, distinction<br />

Animation, Ars Electronica, Linz, 1994<br />

First Prize, distinction 3-D workstation,<br />

Bit.Movie ’94, Riccione, 1994<br />

Special Prize of the Jury, VideoArt<br />

Festival, Locarno, 1994<br />

First Prize, Electronic d’Arte e Altre<br />

Scritture Festival, Torino, Milano,<br />

Bologna, Firenze, Roma, 1994<br />

Commission of Photoarts 2000, Year of<br />

Photography & the Electronic Image,<br />

Huddersfield, UK, 1996<br />

127<br />

artintact 2


128<br />

artintact 2<br />

Award of Distinction in Computer<br />

Animation, Prix Ars Electronica, Linz,<br />

1998<br />

Honourable Mention, distinction<br />

Interactive Art, Prix Ars Electronica,<br />

Linz, 1998<br />

First prize, distinction Animation,<br />

Mediawave festival, Györ, 2000<br />

First prize, distinction Video Art, Asolo<br />

Film Festival, Asolo, 2001<br />

Werke / Works<br />

Computer Mobiles – Human Motions,<br />

computer animations, 1986/87<br />

Pictures, computer animation, 1988<br />

Is there any room for me here?, computer<br />

animation, 1988<br />

Machines, computer graphic series, 1989<br />

Memory of Moholy-Nagy, computer<br />

animation, 1990<br />

Conversation, performance with Tibor<br />

Szemzö, 1990<br />

Studies for The Garden, computer<br />

animation, 1992<br />

The Garden, computer animation, 1993<br />

Der Wald, computer animation, 1993<br />

The Forest, interactive installation with<br />

Sebastian Egner und Jeffrey Shaw, 1993<br />

The Way, computer animation, 1994<br />

Asylphony, computer animation<br />

installation for a composition by<br />

Bojidar Spassow, 10 min., 1995<br />

Sculptures, computer animation/<br />

installation, 1996<br />

Landscape, 3-D computer animation, 1998<br />

Focus, interactive computer installation,<br />

1998<br />

Focusing, CD-ROM, 1998 (publ. in ZKM<br />

digital arts edition 1, ed. ZKM<br />

Karlsruhe, Ostfildern: Hatje Cantz,<br />

1998)<br />

The Fisherman and his Wife, computer<br />

animation, 30 min., 2000<br />

Ausstellungen und Festivals<br />

(Auswahl) / Selected exhibitions<br />

and festivals<br />

Digitart I., Museum of Fine Arts,<br />

Budapest, 1986<br />

Ars Electronica, Linz, 1988/89/90/94/98<br />

Video-Visions, Frankfurt, 1989<br />

Europa Electronica, Napoli, 1989<br />

Scan Video Festival, Tokyo, 1989<br />

Imagina, Monte Carlo, 1990/91/93<br />

Siggraph, 1990/91/92/93<br />

ISEA, International Symposium on<br />

Electronic Art, 1990<br />

Los Angeles International Film Festival,<br />

Los Angeles, 1990<br />

Tendances Multiples, Centre Georges<br />

Pompidou, Paris, 1990<br />

MOMI, Museum of the Moving Image,<br />

London, 1990<br />

Un art de machines?, Exhibition of<br />

Electronic Images, Reze, 1990<br />

Fujita Vente, Tokyo, 1991<br />

IVCA Festival, London, 1991<br />

Video Art, XII. Festival et forum international<br />

de Locarno, Locarno, 1991<br />

Internationales Festival des<br />

Animationsfilms, Berlin, 1991<br />

Le Festival du dessin animé et du film<br />

d’animation, Brussels, 1992<br />

TISEA, Third International Symposium<br />

on Electronic Art, Sydney, 1992<br />

Mediale, Hamburg, 1993<br />

MultiMediale 3, ZKM, Karlsruhe, 1993<br />

Mediawave, Györ, 1993<br />

WRO ’93, Wroclaw, 1993<br />

MUU Media Festival, Helsinki, 1993<br />

London Film Festival, London, 1993


Europa-Europa, Kunst und Ausstellungshalle<br />

der Bundesrepublik Deutschland,<br />

Bonn, 1994<br />

Version 1.0, Geneva, 1994<br />

Techno Art, Ontario Science Centre,<br />

Ontario, 1994<br />

Adelaide Festival, Melbourne, 1994<br />

7. Internationales Trickfilmfestival,<br />

Stuttgart, 1994<br />

Hong Kong International Film Festival,<br />

Hong Kong, 1994<br />

Les Rendezvous d’imagina, Paris, 1994<br />

Irrton, Festival virtueller Irritation, Berlin,<br />

1994<br />

Videonale, Bonn, 1994<br />

MultiMediale 4, ZKM Karlsruhe, 1995<br />

Tokyo Metropolitan Museum of<br />

Photography, Tokyo, 1995/2000<br />

Arslab, Torino, 1995<br />

Biennale de Lyon, Lyon, 1995<br />

The Butterfly Effect, Budapest, 1996<br />

NTT/ICC Gallery, Tokyo, 1996<br />

MultiMediale 5, ZKM, Karlsruhe, 1997<br />

Leeds Metropolitan University Gallery,<br />

Leeds, 1998<br />

The Fruitmarket Gallery, Edinburgh, 1998<br />

DEAF ’98, Rotterdam, 1998<br />

Perspectiva, Budapest, 1999<br />

The Interaction ’99, Ogaki, 1999<br />

MediaTime, Bolzano, 1999<br />

Enter Multimediale, Prague, 2000<br />

Digital Alice, Seoul, 2000<br />

Festival Internazionale del Film sull’Arte,<br />

Asolo, 2001<br />

Anteprima Bovisa, Milano Europa 2000,<br />

Milan, 2001<br />

Fourth Biennale – The World Forum for<br />

Media and Culture, Ogaki, Japan, 2001<br />

Website<br />

http://www.waliczky.com<br />

129<br />

artintact 2


130<br />

artintact 2<br />

Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Autoren / Authors<br />

Christoph Blase ist Chefredakteur der<br />

Kunstkritiksite www.blitzreview.de und<br />

schreibt als freier Mitarbeiter u.a. für die<br />

Frankfurter Allgemeine Zeitung und das<br />

Kunst-Bulletin. Er lebt in Berlin.<br />

Timothy Druckrey lebt in New York und<br />

ist als Kurator, Autor, Redakteur und<br />

Dozent tätig. Er beschäftigt sich mit den<br />

sozialen Auswirkungen der elektronischen<br />

Medien und der Transformation von<br />

Repräsentation und Kommunikation in<br />

interaktiven und vernetzten Umgebungen.<br />

Er war Mitorganisator des internationalen<br />

Symposiums Ideologies of Technology am<br />

Dia Center of the Arts (New York) und<br />

Co-Kurator der Ausstellung Iterations:<br />

The New Image am International Center<br />

of Photography (New York). Er ist<br />

Mitherausgeber von Culture on the Brink:<br />

Ideologies of Technology (1996), net_condition:<br />

art and global media (2000), edierte<br />

Electronic Culture: Technology and Visual<br />

Representation (1999), Ars Electronica:<br />

Facing the Future (2000) und ist verantwortlich<br />

für die Publikationsreihe<br />

Electronic Culture: History, Theory,<br />

Practice (MIT Press).<br />

Christoph Blase<br />

Timothy Druckrey<br />

Christoph Blase is editor-in-chief of the<br />

art-criticism Website www.blitzreview.de,<br />

and a freelance contributor to publications<br />

including the Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung and Kunst-Bulletin. He lives in<br />

Berlin.<br />

Timothy Druckrey, who lives in New<br />

York, is a curator, writer and editor. He<br />

lectures internationally on the social<br />

impact of electronic media and the transformation<br />

of representation and communication<br />

in interactive and networked<br />

environments. He co-organized the international<br />

symposium Ideologies of<br />

Technology at the Dia Center of the Arts<br />

(New York) and co-curated the exhibition<br />

Iterations: The New Image at the<br />

International Center of Photography<br />

(New York). He co-edited Culture on the<br />

Brink: Ideologies of Technology (1996),<br />

net_condition: art and global media<br />

(2000), edited Electronic Culture:<br />

Technology and Visual Representation<br />

(1999), Ars Electronica: Facing the Future<br />

(2000), and is series editor for Electronic<br />

Culture: History, Theory, Practice (MIT<br />

Press).


Jean Gagnon ist seit 1998 Programmdirektor<br />

der Daniel Langlois Foundation,<br />

Montréal. Von 1991 bis 1998 war er<br />

Kurator für Medienkunst an der National<br />

Gallery of Canada. 1994 lehrte er Theorie<br />

und Geschichte der Videokunst an der<br />

Concordia University, Montréal und an<br />

der Carleton University, Ottawa. Er war<br />

als freiberuflicher Fernseh- und Videoproduzent<br />

sowie als freier Kritiker und<br />

Kurator tätig. Zahlreiche Publikationen,<br />

u.a. Pornography in the Urban World<br />

(1988), Kritiken für Le Devoir und<br />

Vanguard und zahlreiche Artikel für<br />

Ausstellungskataloge und wichtige Publikationen<br />

zur Medienkunst.<br />

Anna Szepesi arbeitet als freiberufliche<br />

Kunsthistorikerin, organisiert Ausstellungen<br />

zeitgenössischer Kunst und ist<br />

als Redakteurin von Kunstbüchern, seit<br />

1998 vor allem als Autorin und Fotografin<br />

für verschiedene Architekturzeitschriften,<br />

tätig. Seit 1981 arbeitet sie mit Tamás<br />

Waliczky.<br />

Jean Gagnon<br />

Anna Szepesi<br />

Jean Gagnon has been Director of Programs<br />

at the Daniel Langlois Foundation,<br />

Montreal, since 1998. He was Associate<br />

Curator for Media Arts at the National<br />

Gallery of Canada from 1991 to 1998, and<br />

taught Theory and History of Video Art at<br />

the Concordia University, Montreal, and<br />

the Carleton University, Ottawa, in 1994.<br />

An independent video and television producer<br />

and also a freelance curator and<br />

critic, his publications include Pornography<br />

in the Urban World (1988), reviews for<br />

Le Devoir and Vanguard, as well as numerous<br />

articles for exhibition catalogues and<br />

major publications on media art.<br />

Anna Szepesi is a freelance art historian.<br />

In addition to organizing exhibitions of<br />

modern art and editing art books, since<br />

1998 she has worked primarily as a writer<br />

and photographer for a number of interior<br />

design journals. She began working with<br />

Tamás Waliczky in 1981.<br />

131<br />

artintact 2


artintact 2<br />

132 Impressum /Colophon<br />

Herausgeber /<br />

Publisher<br />

ZKM /Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Konzept / Concept<br />

Jeffrey Shaw<br />

Redaktion / Editor<br />

Astrid Sommer<br />

Gestaltung / Design<br />

Holger Jost<br />

Übersetzungen /<br />

Translators<br />

John Blau<br />

Thomas Fife<br />

Welf Kienast<br />

John Ormrod<br />

Susanne Simor<br />

Benutzeroberfläche /<br />

Interface Design<br />

Holger Jost<br />

Volker Kuchelmeister<br />

CD-ROM-Produktion /<br />

CD-ROM production<br />

Volker Kuchelmeister<br />

Mitarbeit/assisted by:<br />

Silvia Molina Muro<br />

© 2002 der Essays bei den<br />

Autoren und ZKM<br />

Karlsruhe / Essays<br />

© 2002 by the authors and<br />

ZKM Karlsruhe<br />

© 2002 der Werke bei den<br />

Künstlern / Artworks<br />

© 2002 by the artists<br />

© 2002 der Screenshots bei<br />

den Künstlern /Screenshots<br />

© 2002 by the artists


133<br />

artintact 2


artintact 3<br />

CD-ROMagazin<br />

interaktiver Kunst<br />

ZKM/ Zentrum<br />

für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Artists’ interactive<br />

CD-ROMagazine<br />

ZKM/Center<br />

for Art and Media<br />

Karlsruhe<br />

Hatje Cantz [1996/2002]


artintact 3<br />

Inhalt<br />

139<br />

Editorial<br />

141<br />

Das post-gutenbergsche<br />

Buch<br />

Peter Weibel<br />

Ken Feingold:<br />

JCJ-Junkman<br />

153<br />

Interaktion in<br />

Surrealzeit<br />

Erkki Huhtamo


Perry Hoberman:<br />

The Sub-Division of the<br />

Electric Light<br />

165<br />

Klick: Bildlandschaft<br />

als Ruine<br />

Peter Lunenfeld<br />

171<br />

Raum für elektronische<br />

Unruhen<br />

Annika Blunck<br />

George Legrady:<br />

Slippery Traces<br />

179<br />

Die Spur der<br />

Postkarten<br />

George Legrady<br />

183<br />

Detaillierte Spuren<br />

von Geheimnissen<br />

Miklós Peternák<br />

189<br />

Spurensuche<br />

und Mise en scène<br />

Andrea Zapp<br />

195<br />

Biografische Notizen:<br />

Künstler<br />

205<br />

Biografische Notizen:<br />

Autoren<br />

209<br />

Impressum<br />

artintact 3


Schön an Ausstellungen auf CD-ROM ist,<br />

daß sie langlebig sind (zumindest theoretisch,<br />

zumindest solange es die passende<br />

Hardware gibt, um die CD-ROM abzuspielen,<br />

zumindest solange die Daten nicht auf<br />

geheimnisvolle Weise vom Datenträger<br />

verschwunden oder unleserlich geworden<br />

sind), daß sie, auf einem potentiellen<br />

Massenmedium präsentiert, überaus viele<br />

Menschen erreichen können, auch solche,<br />

die gewöhnlich kein Museum betreten und<br />

auch diejenigen, die sich immer erst dann<br />

entschließen, eine Ausstellung zu besuchen,<br />

wenn sie gerade wieder vorbei ist.*<br />

Es sind Ausstellungen ohne von außen<br />

diktierte Öffnungszeiten. Ihr Ereignischarakter<br />

ist vom öffentlichen in den privaten<br />

Raum verlegt; sie können lange im Bücherregal<br />

schlummern, ohne jedoch ganz in<br />

Vergessenheit zu geraten: In einem besonderen<br />

Moment wird man sie wieder zum<br />

Leben erwecken, zu Hause, am eigenen<br />

Computer. Und sie können ein Doppelleben<br />

führen, werden doch diese Ausstellungen<br />

en miniature wiederum eingeladen,<br />

gemeinsam mit anderen aufzutreten in den<br />

›großen‹ Ausstellungen und auf Festivals,<br />

werden also selbst wieder zu Ausstellungsobjekten<br />

und zum gemeinsam mit anderen<br />

erlebbaren sozialen Ereignis.<br />

Die CD-ROM führt ein Doppelleben<br />

noch in anderer Hinsicht: sie kann gleichzeitig<br />

Trägermedium der Ausstellung wie<br />

Mittel des künstlerischen Ausdrucks selbst<br />

sein – jedenfalls entwickelt sie sich in diese<br />

Richtung. artintact als Ausstellungsreihe<br />

reflektiert diesen Prozess: Enthielten die<br />

ersten beiden Ausgaben überwiegend<br />

Werke, die Adaptionen interaktiver<br />

(Raum-)Installationen waren, eingerichtet<br />

und modifiziert, ›kondensiert‹ für die<br />

kompaktere Umgebung der CD-ROM,<br />

Editorial<br />

werden nun Werke vorgestellt, die bei ihrer<br />

Entstehung das Medium, durch das sie sich<br />

dem Publikum präsentieren, im Blick<br />

hatten und – stärker als bislang – die<br />

spezifischen Möglichkeiten dieses multimedialen<br />

Datenträgers (be-)nutzen,<br />

ausloten, oder aber ad absurdum führen. Es<br />

sind Werke, die vom Konzept her nicht<br />

mehr den Raum, die Großprojektion, die<br />

Materialität der Installation mitdenken,<br />

sondern sich auf das Ensemble kleiner<br />

Bildschirm, Maus, ein Gegenüber – ein Ko-<br />

Autor im Idealfall – einlassen.<br />

Die Künstler der dritten Ausgabe von<br />

artintact sind, im Gegensatz zum bisherigen<br />

Konzept, keine Stipendiaten des ZKM.<br />

Das ZKM befindet sich, 1989 gegründet,<br />

noch im Aufbau, arbeitet in provisorischen<br />

Räumlichkeiten über die Stadt Karlsruhe<br />

verteilt. Der Umzug in das künftige<br />

Domizil ist mittlerweile in greifbare Nähe<br />

gerückt. Im Oktober 1997 wird das<br />

Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />

die Eröffnung all seiner Abteilungen<br />

und Sammlungen feiern. Alle Kräfte des<br />

ZKM sind auf Umzug und Eröffnung<br />

konzentriert, so daß das ZKM/Institut für<br />

Bildmedien 1996/97 kein Stipendiatenprogramm<br />

durchführen kann. Wir freuen uns<br />

deswegen besonders, daß es dennoch<br />

möglich war, den jährlichen Turnus des<br />

Magazins artintact beizubehalten und wir<br />

zur dritten Ausgabe die Künstler Ken<br />

Feingold, Perry Hoberman und George<br />

Legrady – alle drei seit langem ›Forscher‹ in<br />

verschiedenen Bereichen der interaktiven<br />

Medienkunst – mit neuen Arbeiten einladen<br />

konnten.<br />

Astrid Sommer, Redaktion<br />

* Vgl. Wunschmaschine Welterfindung.<br />

Hg. Brigitte Felderer. Wien, 1996, S. 1.<br />

139<br />

artintact 3


Das post-gutenbergsche Buch<br />

Die CD-ROM zwischen<br />

Index und Erzählung<br />

Von Peter Weibel<br />

I. (das Besondere Buch)<br />

Der Historiograph Jakob Mennel hat zwischen 1518 und 1521 ein besonderes<br />

Buch mit dem Titel Der Zaiger für Kaiser Maximilian I. herausgegeben:<br />

unter jedem Bild stand ein Satz und diese visuell-textuelle Einheit<br />

stellte jeweils ein Kapitel dar. In ähnlichen Büchern der Buchmalerei<br />

aus dieser Zeit sind Bilder zwischen Texten zu sehen, erläutern kurze<br />

Texte die Bilder und illustrieren die Bilder die Texte. Man möchte meinen,<br />

diese spezifische Form des Buches wäre für Analphabeten gedacht, denen<br />

mit Hilfe von Bildern anstatt von Buchstaben eine Botschaft übermittelt<br />

werden soll. Dem ist aber nicht so, denn damals gehörten die Analphabeten<br />

zu einer Klasse, die gar keinen Zugang zum Buch hatte. Der Zaiger<br />

war, genauso wie andere ›Besondere Bücher‹ (wie schon damals derartige<br />

bebilderte Bücher genannt wurden), selbstverständlich für die lesende<br />

Aristokratie gedacht. Das Besondere an dieser Buchform war, daß die<br />

Verknüpfung von Bild und Text die jeweilige Lesart definierte und unterstützte.<br />

Die Interpretation geschah durch die parallele Darstellung von<br />

Wissen, durch die Suggestionen der parallelen Verarbeitung von Bildund<br />

Textinformation. Die Verknüpfung war also die eigentliche Botschaft.<br />

Hier sehen wir bereits drei Charakteristika der CD-ROM angekündigt,<br />

nämlich Zugang zum Wissen (access), Vernetzung und parallele<br />

Darstellung von Information in mehreren Medien. Klarerweise waren<br />

aufgrund der technischen Beschränkung des gutenbergschen Buches<br />

diesen Eigenschaften Grenzen gesetzt. Für die Weiterentwicklung des<br />

Buches als Typus der Kommunikation mußte also nach einer Technologie<br />

gesucht werden, die diese drei Möglichkeiten optimiert.<br />

141<br />

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142<br />

Der Katalog, wie wir ihn heute als Dokument künstlerischer Arbeiten<br />

kennen, als Verbindung von fotografischen Dokumenten der Kunstwerke,<br />

von Legenden, Kommentaren und theoretischen Essays, ist ein<br />

weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung des ›Besonderen Buches‹<br />

gewesen. Ursprünglich war ja der Kunstkatalog nur eine Liste von Preisen<br />

und der dazugehörigen Werke. Im nächsten Schritt wurden, um den<br />

Kunden einen leichteren Zugang (access) zum Wissen zu gewähren, Abbildungen<br />

der Gemälde neben die Titel gesetzt. Dann wurden Erklärungen,<br />

Erläuterungen inseriert, anfangs nur Einführungen, später Texte von<br />

mehreren Autoren über den gesamten Katalog verstreut, um das Verständnis<br />

des Werks zu vertiefen, den Zugang zum Werk zu erleichtern<br />

und das symbolische Kapital zu erhöhen. Schließlich entstand daraus der<br />

heute übliche Kunstkatalog, ein wahres Kompendium des Wissens, ein<br />

Catalogue raisonné der künstlerischen Werke und Diskurse, dem schon<br />

oft durch die Beigabe eines Tonbandes, einer Schallplatte oder einer CD<br />

auch die akustische Dimension eröffnet wurde. Durch die vielfältige Darstellungsform<br />

des Kunstkataloges gerieten die ihm innewohnenden<br />

strukturellen Probleme außer Sichtweite. Auch im Kunstkatalog bedeutet<br />

die Verknüpfung von Bild und Text die eigentliche Botschaft, legitimieren<br />

die Texte die Bilder und illustrieren die Bilder die Texte. Der<br />

Kunstkatalog von heute ist im Grunde ein versteckter Kampf um Legitimation.<br />

Auf geheime Weise liegen dem Kunstkatalog Diskurse und Strategien<br />

der Legitimation zugrunde, die auf zwei Prinzipien zurückzuführen<br />

sind, nämlich auf die indexikalische und auf die erzählerische<br />

Struktur.<br />

II. (indexikalische Informationssysteme)<br />

Index, Atlas, Lexikon stellen Informationssysteme dar, die sich auf<br />

das Konzept der Enzyklopädie berufen. In diesem Konzept geht der Anspruch<br />

auf eine objektive Information über die Sachverhalte der Welt,<br />

möglichst ohne fiktionale Elemente. Eine enzyklopädische Darstellung


des Wissens der Zeit versteht sich als objektiver Atlas der einzelnen Wissensgebiete<br />

und als systematischer Katalog mit einer indexikalischen<br />

Struktur. Begriffe, Gegenstände oder Wissensgebiete werden alphabetisch<br />

aufgelistet, in Definitionen abgehandelt und in ihrer Entwicklung<br />

monokausal und scheinbar logisch abgeleitet. Dieser Vorstellung von<br />

Wissen liegt die Idee zugrunde, die Welt sei ein Pool von Daten und die<br />

systematische Katalogisierung und Registrierung jeglichen Wissens über<br />

alle Phänomene des Universums sei möglich. Daraus entsteht der universale<br />

Anspruch der Enzyklopädie. Das von der Indexstruktur abgeleitete<br />

und auf der Basis von Daten aufgebaute Informationssystem verspricht<br />

objektives und umfassendes, eben enzyklopädisches Wissen.<br />

Die meisten CD-ROMs sind diesem Enzyklopädiekonzept und der Indexstruktur<br />

verpflichtet. Sie versprechen alle Gemälde und Skulpturen<br />

der Tate Gallery oder des Louvre. Sie versprechen alle Ausgaben einer<br />

Zeitschrift seit ihrem Bestehen. Sie versprechen ein Lexikon aller Buchtitel,<br />

Operntitel und Theaterstücke. Sie versprechen das Wissen der Welt,<br />

feinsäuberlich registriert, alphabetisch geordnet und systematisch katalogisiert.<br />

Die indexikalische Struktur verhehlt aber, daß sie selbst gar kein Wissen<br />

darstellt und daher auch über kein Wissen verfügen kann. Auf die<br />

Frage, was ein Index sei, kann geantwortet werden: z.B. ein Katalog von<br />

Buchtiteln. Durch das Lesen des Katalogs erwirbt man sich aber kein<br />

Wissen, sondern erst durch das Lesen der Bücher selbst. Erst von der indexikalischen<br />

Struktur abweichende Darstellungsmethoden ermöglichen<br />

Wissen. Der Index ist also selbst gar kein Informationssystem, sondern<br />

nur der Schlüssel, der Zugang zu einem Informationssystem. Der Index<br />

als Register der Wahrheit ist eine Illusion. Erst die Immersion jenseits und<br />

hinter die indexikalische Struktur gewährt Wissen. 1<br />

1. Die Erzählungen von Jorge Luis Borges, z.B. Atlas von 1984, kreisen obsessiv um<br />

dieses Problem. (Jorge Luis Borges, Maria Kodama: Atlas. Buenos Aires: Sudamericana,<br />

1984, Anm. d. Red.)<br />

143<br />

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144<br />

III. (narrative Informationssysteme)<br />

Dem gegenüber steht ein Informationssystem, das nicht auf objektiver<br />

Darstellung und systematischer Katalogisierung beruht, sondern auf<br />

Fiktionen, auf unlogischen Verknüpfungen, Umwegen und Unterlassungen,<br />

Unvollständigkeiten und Unsystematik. Diese Vorgehensweise nennen<br />

wir Erzählung. Die Erzählung lebt u.a. davon, daß ihr Fortgang nicht<br />

voraussehbar ist. Sie knüpft ein Netz zwischen Ereignissen und Personen,<br />

dessen Verbindungen nicht immer gleichzeitig enthüllt und sichtbar<br />

werden. Die Narration ist daher per se eine Entdeckungsreise und der<br />

Held des Romans stellt eine Art Reiseführer dar. In der Narration bedeutet<br />

Selektion Information und die Verknüpfung ist die eigentliche Kunst.<br />

Die Narration ist zwar wie der Index ein Strukturkonzept, aber ihre<br />

Struktur ist nicht mechanisch und tot, sondern chaotisch und ›viabel‹. Sie<br />

lebt weniger von den Gegenständen und Personen, die sie darstellt, sondern<br />

eher von den dynamischen Verbindungen, die sie aus den Gegenständen<br />

und Personen herausholt bzw. zugänglich macht.<br />

Index und Narration stellen also zwei konträre Informationssysteme<br />

dar. Der Großteil der heute produzierten CD-ROMs ist von der Indexstruktur<br />

gekennzeichnet. Die Zukunft der CD-ROM ist aber die Narration<br />

auf der Basis von Daten, von Verweisen und Verzweigungen, von<br />

Vernetzungen und Verknüpfungen jenseits der indexikalischen Struktur.<br />

IV. (Hypertext-Paradigma)<br />

Nicht der Text selbst ist die Botschaft, sondern die verzweigte, nichtsequentielle<br />

Form des Textes, der ›Hypertext‹, wie diese Form des Schreibens<br />

in einem Computer-Environment 1965 von Ted Nelson genannt<br />

wurde. Idealerweise ist die Hypertext-Methode nur in dynamischen,<br />

interaktiven elektronischen Systemen möglich. Mit dem Internet, dessen<br />

Ursprünge auf das 1969 gegründete ARPANET2 zurückgehen, entstand<br />

2. Advanced Research Project Agency Network; digitales Informationsnetzwerk,


ein digitales Informationssystem, das indexikalische Struktur als Einstieg<br />

und narrative Struktur als Erforschung der Datenbasis verband. Mit dem<br />

World Wide Web und dem 1993 von Marc Andreesen entwickelten Programm<br />

Netscape, das es ermöglicht, sich durch dieses ständig wachsende<br />

Netzwerk eines weltweiten Computerverbundes zu bewegen, entstand<br />

eine neue Form des Flanierens. Der Zeitgenosse Flaneur bewegt sich<br />

nicht mehr durch eine Stadt, an Schaufenstern und Menschen vorbei, sondern<br />

durch eine weltweit vernetzte Datenlandschaft. Dieses Flanieren in<br />

virtuellen Städten und globalen Datenbanken nennt man ›browsen‹ oder<br />

›surfen‹.<br />

Das Hypertext-Paradigma, das zum weltweiten Computerverbund<br />

führte, bildet mit seinen Eigenschaften des Browsens, der nicht-sequentiellen<br />

Informationsgewinnung, der mosaikartigen Informationsverteilung<br />

und der fragmentierten, sprunghaften, gleichsam quantenhaften Informationsverarbeitung<br />

auch das Zentrum der CD-ROM. Um den<br />

Unterschied zwischen der indexikalischen Struktur einer Bibliothek und<br />

der Vernetzungsstruktur eines Hypertextes zu verdeutlichen, kann man<br />

vereinfachend sagen, daß beispielsweise eine einzige Web-Seite aufgrund<br />

der Hyperlinks die Tür zu allen anderen Seiten des Webs ist. Jede Informationsdatei<br />

ist so strukturiert, daß sie sowohl einen anderen Teil der<br />

gleichen Datei auffinden kann als auch eine beliebige andere Datei. Dabei<br />

sind die Dateien auch nicht wie Bücher in einer Bibliothek auf bestimmte<br />

Orte beschränkt. Neben der Nicht-Sequentialität und der Nicht-Linearität<br />

gehört also auch die Nicht-Lokalität zu den Eigenschaften des Netzes<br />

wie der CD-ROM. Im Web kann praktisch und theoretisch jedes Wort<br />

mit jedem Wort, irgendwo in der Welt, verbunden werden.<br />

Im Hypertext wird der Text präsentiert als eine Art Landschaft, die<br />

zum Teil unsichtbar ist, die erst erforscht werden muß, wo es aber keine<br />

ursprünglich geplant, um bei nuklearen Attacken auch segmentierte Botschaften über<br />

computerisierte telefonische Information transferieren zu können.<br />

145<br />

artintact 3


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146<br />

üblichen Distanzen geben muß. Ich habe nämlich von jedem Punkt der<br />

Landkarte zu jedem anderen Punkt die gleiche Distanz. In einer wirklichen<br />

Landschaft ist das nicht möglich. São Paulo ist von Paris weiter<br />

weg als Rom und Neuilly näher als Wien. Im Hypertext sind die Entfernungen<br />

zwischen Paris, Rom, Neuilly und São Paulo alle gleich.<br />

Die CD-ROM ist der kleine Bruder des Internet, ein konsumorientiertes,<br />

physikalisches Implement des internationalen Webs. Der Untertitel<br />

dieses Essays lautet: ›Die CD-ROM zwischen Index und Narration‹; nun<br />

können wir diese Position des Dazwischen definieren: Es ist das Hypertext-Paradigma,<br />

genauer gesagt, der konstruktive Hypertext. Der Benutzer<br />

verbindet die Punkte, indem er von Datei zu Datei springt und dabei<br />

selbst das Bild oder die Landkarte konstruiert. Die Barriere zwischen<br />

Autor und Leser ist aufgehoben. Der Hypertext ist also ein ungeschriebener,<br />

nicht-linearer Text, der erst vom Leser geschrieben wird. 3 Natürlich<br />

ist der Traum des Hypertexts auch schon in der Gutenberg-Galaxie geträumt<br />

worden, von Giambattista Vico bis Giordano Bruno, von James<br />

Joyce bis John Cage, von Phillip K. Dick bis William Gibson, von Roland<br />

Barthes bis Jacques Derrida, von den Collagen der Dadaisten bis zu den<br />

Cut-ups von William S. Burroughs.<br />

V. (neue Formen der Narration und der Autorenschaft)<br />

Wenn wir sagen, daß die CD-ROM die Form des ›Besonderen Buches‹<br />

fortsetzt, gilt dies nur relativ und eingeschränkt, denn die CD-ROM kennt<br />

die Grenze einer lokalen Seite nicht. Selbstverständlich ist die Datenbank<br />

beschränkt, so wie auch das Alphabet beschränkt ist, aber der Text, den<br />

ich daraus konstruiere, ist im Prinzip unendlich. Wenn also die Narration<br />

im Gutenberg-Zeitalter durch das mechanische Medium – Drucksatz,<br />

Seite, Buch – gekennzeichnet war, durch eine kausale Sequenz von Ereig-<br />

3. Vgl. Michael Choice: Of two minds: Hypertext Pedagogy and Poetics. University of<br />

Michigan Press, 1995.


nissen, wo die Welt in eine starre Abfolge von Buchstaben gefroren<br />

wurde, so handelt es sich beim elektronischen Buch, bei der CD-ROM, um<br />

eine Art Auftauen. Die Narrationsform, die daraus entsteht, könnte man<br />

Anti-Narration (wie wir sie bereits von den großen narrativen Experimenten<br />

des 20. Jahrhunderts von James Joyce bis Marguerite Duras<br />

kennen) nennen, da sie ja nicht-lineare, nicht-kausale, nicht-sequentielle,<br />

singuläre und fragmentarische Abfolgen und Verzweigungen von Information<br />

ermöglicht.<br />

Ebenso wie das Konzept der gutenbergschen Narration problematisiert<br />

die CD-ROM auch das Konzept des gutenbergschen Autors. Der<br />

Autor der CD-ROM ist ein Paradebeispiel für das postmoderne multiple<br />

Subjekt. Der Autor kann der Leser sein oder ein Kollektiv, also ein Netzwerk<br />

von Subjekten auf beiden Seiten der CD-ROM, denn der Benutzer<br />

sorgt ja durch seine Auswahl für die Interpretation und generiert die Information.<br />

Die Autoren der Datenbasis haben dasselbe getan, sie haben<br />

Verknüpfungsmöglichkeiten, Selektions- und Interpretationsmöglichkeiten<br />

vorgeschlagen und angelegt. Es gibt also nicht mehr die strikte<br />

Trennung zwischen dem Autor als Demiurg, als Konstrukteur des Textuniversums<br />

und dem Leser als Bewohner dieses vom Autor entworfenen<br />

Universums, sondern ein Kollektiv von Autoren im historischen Sinn hat<br />

verschiedene parallele Welten vorgeschlagen und der Benutzer, ehemals<br />

Leser, konstruiert aus diesen möglichen virtuellen Welten seine eigene<br />

singuläre, reale Welt. Man könnte also sagen, daß wir es mit einem Anti-<br />

Autor zu tun haben. Die CD-ROM ist das Produkt dieser neuen Form der<br />

Autorenschaft: Interdisziplinäre, kollektive Teams von Autoren stellen<br />

eine Datenlandschaft her, durch die der Surfer als digitaler Flaneur und<br />

Daten-Dandy auf der Suche nach der zugänglichen Information navigiert.<br />

147<br />

artintact 3


artintact 3<br />

148<br />

VI. (Virtualität, Variabilität, Viabilität)<br />

Mit der CD-ROM endet die Ära der Transkription und die Epoche der<br />

Transkodierung beginnt. Vor Gutenbergs Erfindung haben Hunderte<br />

von Mönchen ein vorhandenes Buch von Hand übertragen und dadurch<br />

vervielfältigt. Dabei wurden unabsichtlich Fehler gemacht oder aus ideologischen<br />

Gründen absichtlich Exegesen, Neuinterpretationen eingeführt.<br />

Obwohl ursprünglich die Multiplikation ein und desselben Buches<br />

vorgesehen war, sind bei den Transkriptionen doch immer wieder neue<br />

Bücher entstanden. Die CD-ROM hat das explosionsartig verstärkt. Jede<br />

neue Lesart der Datenbank liefert ein anderes Buch. Dies ist nur möglich,<br />

weil die Information nicht eingesperrt ist wie in einem Buch. Eine Seite ist<br />

eine geschlossene mechanische Maschine mit fixen Bestandteilen. Ein<br />

Buch besteht aus einer bestimmten Anzahl von solchen mechanischen<br />

Seiten, über die der Geist driftet. Durch die elektromechanische Speicherung<br />

der Information bei der CD-ROM nähert sich diese dem Verhalten<br />

von lebenden Systemen. Jede Information wird zu einer Variablen und<br />

jede Seite wird zu einem Feld von Variablen, das unmittelbar mit anderen<br />

Variablen auf anderen Seiten verknüpft werden kann. Die Information ist<br />

eine frei zugängliche und vielfältig bewertbare Variable. War das Buch<br />

mit einer mechanischen Maschine vergleichbar, wird die CD-ROM mit<br />

einem dynamischen System vergleichbar.<br />

Wenn ein System auf einen Input mit einem Output reagiert, der<br />

innerhalb eines limitierten und determinierten Feldes nicht exakt voraussagbar<br />

ist, nennen wir ein solches System ›viabel‹. Es zeigt lebensähnliches<br />

Verhalten. Man könnte also sagen, die CD-ROM nähert sich einem viablen<br />

System. Der Übergang von der Transkription (die Übertragung<br />

einer Botschaft innerhalb eines Mediums) zur Transkodierung (die Übertragung<br />

von einem Medium in ein anderes), wie es bei der CD-ROM der<br />

Fall ist, bezeichnet diesen offenen Horizont der Virtualität, Variabilität<br />

und Viabilität. Das Password zu diesem Horizont ist der Hypertext.


VII. (CD-ROM-Museen)<br />

Die bisherigen CD-ROM-Kataloge der großen Museen der Welt sind<br />

leider noch weit davon entfernt, uns die neuen Möglichkeiten dieses elektronischen<br />

Informationssystems zu zeigen. Sie wiederholen grosso modo<br />

bloß die indexikalische Struktur normaler und traditioneller Kataloge. Sie<br />

sind eine Art elektronischer Versandkatalog, in dem alle vorhandenen<br />

Werke bildlich und textlich aufgelistet sind. Es gibt aber schon einige CD-<br />

ROMs, die die neuen narrativen Möglichkeiten des CD-ROM-Kataloges<br />

demonstrieren und sogar darüber hinaus echte CD-ROM-Ausstellungen<br />

bzw. -Museen sind. Die vorliegende artintact-Edition beispielsweise enthält<br />

Kunstwerke, die eigens für das Medium der CD-ROM geschaffen<br />

worden sind und daher weit über die Möglichkeiten einer im realen Raum<br />

stattfindenden Ausstellung und die damit einhergehenden einschränkenden<br />

Verhaltensregeln im Umgang mit Kunstwerken hinausgeht.<br />

Der bildnerische Vorläufer der CD-ROM im 20. Jahrhundert kann im<br />

tragbaren Koffermuseum, der Boîte-en-Valise von Marcel Duchamp<br />

(oder Rrose Sélavy, seinem weiblichen Alter ego), gesehen werden. Die<br />

Idee dazu hatte Duchamp 1914, als er 14 Notizzettel und eine Zeichnung<br />

fotografierte und sie in Originalgröße auf Fotopapier vervielfältigte.<br />

Einzeln auf Kartonstücke aufgeklebt, wurden diese in Standardschachteln<br />

für Fotoplatten, in einer Auflage von drei Exemplaren, zusammengefaßt.<br />

4 1934 möchte Duchamp erneut eine Auswahl von Notizen zusammenfassen.<br />

Es sind nun aber über 70 Notizen und darüber hinaus eine<br />

ganze Reihe von Fotos und Diagrammen, die die Entwicklung der Arbeit<br />

Le Grand Verre aufzeigen. So entsteht die Boîte Verte, in einer Auflage<br />

von über 300 Exemplaren. 5 In fortgesetzter Arbeit werden aus Reproduktionen<br />

zuletzt Miniatur-Repliken. Statt einer Aneinanderreihung in<br />

4. Boîte de 1914 (Schachtel von 1914). Anm. d. Red.<br />

5. ›Le Grand Verre‹ (›Das Große Glas‹), ›La Boîte Verte‹ (›Die Grüne Schachtel‹), beide betitelt:<br />

La Mariée mise à nu par ses Célibataires, méme (Die Braut von ihren Junggesellen<br />

nackt entblößt, sogar). Anm. d. Red.<br />

149<br />

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150<br />

der linearen Sequenz eines Buches werden die 94 Elemente der Schachtel<br />

zu einem Ensemble zufälliger Kombinatorik. 1941 beginnt Duchamp,<br />

eine de Luxe-Version seiner ›Boîtes‹ herzustellen, die Boîte-en-Valise, die<br />

›Schachtel im Koffer‹. Diese Schachtel ist ein Miniaturmuseum, das grosso<br />

modo das Gesamtwerk von Duchamp in modifizierten, faltbaren Miniaturmodellen<br />

enthält: 69 Werkminiaturen (von Gemälden, Zeichnungen,<br />

Objekten, Ready-mades), verpackt in über 300 ›Boîtes‹, 24 davon deklariert<br />

als Boîte-en-Valise – gleichsam eine Retrospektive in Kofferform.<br />

Es ist zu vermuten, daß der Gedanke, ein Lebenswerk in einer großen<br />

Schachtel zusammenzufassen, auf Stéphane Mallarmé zurückgeht, und<br />

zwar einerseits auf das Gedicht Un coup de dés jamais n’abolira le<br />

hasard 6 , andererseits auf das nie vollendete große Projekt Le Livre 7 , in<br />

dem Mallarmé all sein Wissen und den ganzen Kosmos zusammenfassend<br />

darstellen wollte. Die Verteilung der Worte und Zeilen in großen Abständen<br />

über die weißen Seiten eines Buches (›Würfelwurf‹) erlaubt zahllose<br />

Möglichkeiten der Verknüpfung zwischen den Zeilen und Worten, die<br />

immer wieder verschiedene Lesarten und Bedeutungen ergeben. Mallarmés<br />

›Würfelwurf‹ ist also ein erstes Beispiel der Netzstruktur, der zufälligen<br />

Kombination, des multiple choice bzw. random access, der mehrfachen<br />

Auswahlmöglichkeit bzw. des Zufallszugangs zu einem Text oder<br />

Werk. Diese Netzstruktur und Zufallskombinatorik hat die extremsten<br />

Positionen des Gutenberg-Buches am Höhepunkt der Moderne gekennzeichnet<br />

und bereits entscheidende Charakteristika für das postgutenbergsche<br />

Buch – die CD-ROM – vorgegeben.<br />

Die neuen tragbaren Museen, die neuen Schachteln in Kofferform<br />

sind die silbrigen Scheiben der CD-ROM. Die Künstler, die sich mit der<br />

CD-ROM als Medium der Ausstellung, als neues Medium des Museums<br />

6. Ein Würfelwurf wird nie aufheben den Zufall, in einer ersten Fassung 1897 erschienen<br />

(in der Zeitschrift Cosmopolis), 1914 in Buchform.<br />

7. Le Livre (Das Buch), vgl. Jacques Scherer: Le ›Livre‹. Paris: Gallimard, 1957. Anm. d.<br />

Red.


eschäftigen, schaffen Werke, die die Möglichkeiten dieses elektronischen<br />

Mediums ausnutzen. Duchamps handgemachte ›CD-ROM‹ enthielt<br />

Werke, die für Ausstellungen im realen Raum, in der realen Zeit gemacht<br />

wurden. Die Künstler der vom ZKM herausgegebenen CD-ROM machen<br />

eigens elektronische Werke für eine elektronische ›Boîte-en-Valise‹, für<br />

virtuelle Räume, für eine Architektur im Cyberspace und für ein Flanieren<br />

bzw. Browsen in digitalen Museen. Der mit der CD-ROM angebotene<br />

Reichtum an Interaktivität und Variabilität wird für neue Formen der<br />

Begegnung mit Kunst, und zwar mit neuen Formen der Kunst, auf innovative<br />

und komplexe Weise benutzt. So kalt dieses elektronische Miniaturmuseum<br />

auch wirken mag, so groß ist dennoch der Erfahrungsreichtum,<br />

den es anbietet. Die für die vorliegende CD-ROM produzierten<br />

Kunstwerke entwerfen einen gültigen Horizont für die neuen Erfahrungsmöglichkeiten,<br />

die die elektronischen Medien anbieten.<br />

Der elektronische CD-ROM-Katalog der Zukunft wird das Territorium<br />

Artis über die historischen Beschränkungen einer Ausstellung (die<br />

durch die begrenzte physikalische Zugänglichkeit der Kunstwerke und<br />

der Information, durch die physikalischen Grenzen des Ausstellungsraumes<br />

und der Objekte sowie durch die begrenzte kuratorielle Autorenschaft<br />

gegeben sind) weit hinaus ausdehnen. Der elektronische CD-ROM-<br />

Katalog wird ein eigenes Territorium Artis bilden, das den klassischen<br />

Ausstellungen in vielen Fällen überlegen sein wird. Der Weg vom Katalog<br />

als begleitendes, dienendes Instrument der Kunstausstellung führt über<br />

seine Emanzipation als eigenständiges Medium sogar zur eventuellen Ersetzung<br />

des Ausstellungsmediums. Es besteht dabei natürlich die Gefahr,<br />

daß durch diese Kunst als Konserve die ästhetische Erfahrung als sinnliche<br />

Erfahrung verloren geht.<br />

151<br />

artintact 3


Interaktion in Surrealzeit<br />

oder Wie spricht man mit einer Puppe<br />

im magnetischen Spiegel?<br />

Von Erkki Huhtamo<br />

… diese ›Interaktivität‹ – eine neue Verführung, ein weiterer Bühneneffekt … Klar! Was<br />

sonst könnten wir uns je vorgestellt haben? Daß wir, ohne zu wissen, was das ist, ein<br />

›Kunstwerk‹ schaffen könnten, das ›sich selbst‹ kennt, ohne darin seinen Schöpfer zu<br />

reflektieren? 1 Ken Feingold<br />

Ein älterer, respektabler Professor, Ehrenmitglied der finnischen Akademie,<br />

bereits im Ruhestand, sagte mir einmal – ich war damals noch ein<br />

junger Student an der Universität: ›Ich glaube, in meinem ganzen Leben<br />

hat es nur einen einzigen Leitgedanken gegeben: diese ernste, sachliche<br />

Sorte von Menschen – sie erschienen mir immer irgendwie lächerlich.‹<br />

Ohne die stimulierende Wirkung seiner Lieblingssorte italienischen Rotweins,<br />

von dem er schon einige Gläser getrunken hatte (sein Fachgebiet<br />

war die Renaissance und er war Boccaccio-Spezialist), hätte er vielleicht<br />

die Worte etwas anders gewählt, hätte ›beschränkt‹ statt ›lächerlich‹ gesagt.<br />

Die Aufgabe, über Ken Feingolds Arbeiten zu schreiben, ließ diese<br />

lang ›vergessene‹ Szene unerwartet aus meinem Unterbewußtsein auftauchen.<br />

Ja, langsam beginne ich, die Verbindung zu erkennen. Nicht, daß<br />

Ken Feingold etwa dem ehrwürdigen Professor (der schon vor einigen<br />

Jahren von uns ging, und zwar – typisch – während eines Banketts, gerade<br />

1. Ken Feingold: ›The Magnetic Mirror‹, 1992/93 (unveröffentlichtes Manuskript; eine<br />

andere Version, ohne dieses Zitat, erschien in Cameraworks, San Francisco,<br />

Spring/Summer 1993).<br />

Ken Feingold: JCJ-Junkman, 1995. Screenshot.<br />

153<br />

artintact 3


artintact 3<br />

154<br />

als er dabei war, eine Rede zu halten) auch nur im geringsten ähnelte.<br />

Aber er ist offensichtlich ein zumindest entfernter Verwandter. Feingold<br />

ist ein ›artifex doctus‹, dessen Arbeiten – so ernst die zugrunde liegenden<br />

Themen und Motive auch sein mögen – uns immer an die Relativität, die<br />

Ungewißheit und Unbeständigkeit unserer Fragen und Einschätzungen<br />

auf diesem winzigen Planeten erinnern. Mit seinem schlauen Verstand<br />

und seinem spöttischen Lächeln weist er sein Publikum immer wieder<br />

daraufhin, nicht alles (oder vielmehr: überhaupt nichts) für bare Münze<br />

zu nehmen. Die Dinge sind nie, was sie scheinen. Immer gibt es eine andere<br />

Perspektive, und dann wieder eine andere. Die ›Wirklichkeit‹ entzieht<br />

sich uns; ihre Darstellung kann uns eine vorübergehende Ahnung<br />

geben, sollte aber nicht fälschlicherweise für ›das Ding an sich‹ gehalten<br />

werden. Um das zu erreichen, muß Feingold zuweilen sein Publikum<br />

schier zum Wahnsinn treiben. Obwohl viele es letztendlich begreifen,<br />

gibt es doch immer diese ›ernste, sachliche Sorte von Menschen‹, denen<br />

das Wesentliche des ›Feingoldschen Universums‹ entgeht, aber das sind<br />

ohnehin hoffnungslose Fälle.<br />

Im Laufe seiner Karriere hat Feingold unterschiedlichste Ausdrucksmittel<br />

benutzt, von Malerei bis Video und weiter zu interaktiven Installationen,<br />

Telerobotik, multimedialen CD-ROMs und Internetforschung.<br />

Besonders in den neunziger Jahren wendeten sich seine Arbeiten den<br />

unterschiedlichen (persönlichen, psychologischen, ideologischen, ökonomischen)<br />

Auswirkungen der fortschreitenden ›Mediatisierung‹ und<br />

Digitalisierung der Kultur zu (Themen, die bereits in seinen frühen<br />

Videoarbeiten verschiedentlich behandelt werden). Obwohl Feingold<br />

seine Fähigkeiten als Programmierer und Techniker gut zu nutzen weiß,<br />

ist seine künstlerische Orientierung eher philosophisch und konzeptuell<br />

als technologisch. Er benutzt die neueste Technik nicht zum Selbstzweck<br />

(wie manche ›Künstler-Techniker‹ dies tun), sondern als Mittel, um über<br />

ihre soziale und psychologische Bedeutung zu reflektieren – besonders<br />

über die Anomalien und Paradoxa, die ihre Anwendung immer begleiten,


eingeschlossen die Fragen nach ›armseligem Design‹ oder ›schlecht funktionierender‹<br />

Technik. Feingolds Arbeiten können als Meta-Kunstwerke<br />

bezeichnet werden, als technologische Stücke, die die Technologie in<br />

unterschiedlicher Umgebung oder Gestalt (indirekt) spiegeln. 2<br />

Ohne Zweifel bedeutet die Entwicklung der elektronischen und digitalen<br />

Medien und insbesondere ihr Zusammenschluß zu einflußreichen<br />

kulturellen, ideologischen und ökonomischen Kräften einen gewaltigen<br />

Schritt. Aber selbst wenn man nur soviel sagt, bedeutet das bereits, sich<br />

der Idee des Fortschritts zu unterwerfen (mit ständiger technischer<br />

Weiterentwicklung als eine der wesentlichen Folgen), ohne sich zunächst<br />

die Frage nach seinen Voraussetzungen zu stellen. In der Gründerzeit der<br />

digitalen Ära neigte man zu naiven Annahmen – und zu sofortiger Mythenbildung<br />

– über die Segnungen, die die Einführung immer besserer<br />

und ›interaktiverer‹ Apparate und die Ausweitung des Zugangs zum Cyberspace<br />

nahezu unausweichlich hervorbringen würden. Das nahe bevorstehende<br />

technologische Paradies auf Erden, erreichbar über den<br />

›elektronischen Superhighway‹ – der ultimative Mythos des ausgehenden<br />

20. Jahrhunderts – wurde von Regierungen wie von Unternehmen angepriesen;<br />

viele naive (und bisweilen unschuldige) Navigationsgenossen im<br />

Strom der Bits haben sich dem Chor angeschlossen und beleben die Slogans<br />

der Unternehmen unter dem Deckmäntelchen eines ›individuellen‹<br />

oder ›demokratischen‹ Vorhabens. Das Internet, wo jeder ein Verleger<br />

sein kann, oder ein Seifenopernstar (ganz ohne Silikon-Körperteile), oder<br />

Mitglied der ersten ›wirklich egalitären Gemeinschaft‹ – wenn auch einer<br />

virtuellen –, erhebt Anspruch darauf, das utopische Reich zu sein, das ein<br />

Thomas Morus, ein Robespierre oder ein Saint-Simon nicht liefern<br />

konnte.<br />

2. Detaillierter gehe ich auf diese Thematik ein in meinem Aufsatz: ›Seeking Deeper<br />

Contact: Interactive Art as Metacommentar.‹ – Convergence (UK), Bd. 1, Nr. 2<br />

(Autumn 1995), S. 81–104.<br />

155<br />

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artintact 3<br />

156<br />

Wird es ›Junkmen‹, Datenmüllmänner, in diesem utopischen Reich<br />

geben? Ken Feingold scheint das anzunehmen – was also, wenn sich herausstellt,<br />

daß das Web aus nichts als Ramsch und Plunder, aus ›junk‹,<br />

besteht? Feingolds erste Arbeit für CD-ROM, JCJ-Junkman (1995), kann<br />

als metaphorischer Kommentar auf die ›verkabelte Welt‹ gelesen werden.<br />

Ist das Programm gestartet, taucht JCJ (oder Jimmy Charlie Jimmy, die<br />

Attrappe eines Bauchredners, die schon in einer früheren Installation<br />

Feingolds verwendet wurde) auf dem Bildschirm auf mit seinen starren,<br />

glasigen Augen, stumm, umgeben von einem schwarzen Raum voll<br />

unzähliger, kurz aufleuchtender Bilder (eine Art ›Web-bites‹, kleine<br />

Häppchen aus dem Netz, wie sich herausstellen wird). Der Benutzer sieht<br />

sich einer Situation ohne Anleitung oder Erläuterung gegenüber (typisch<br />

für Feingolds Œuvre), und beginnt wahrscheinlich, auf die aufblitzenden<br />

Bilder zu klicken, versucht, sie zu ›erhaschen‹. Ist sie oder er schnell genug,<br />

läuft eine Tonsequenz ab (oder vielmehr: kann ablaufen). Jimmy<br />

Charlie Jimmy öffnet sein klapperndes Mundwerk und beginnt, wiederverwertete<br />

Tonschleifen vorzutragen: verschiedene Stimmen, verschiedene<br />

Sprachen, merkwürdige Toneffekte. Manchmal können wir ganze<br />

Sätze erhaschen, manchmal eher unverständliche Fragmente – oder es<br />

passiert gar nichts. Das Ergebnis ist ein kakophonischer und aleatorischer<br />

Refrain, den der Mund einer lächerlichen Attrappe auf den Benutzer<br />

speit.<br />

Man beginnt, sich über die gegenwärtige Medienrealität (oder besser:<br />

Medienvirtualität) Gedanken zu machen, vor allem über das Internet (aus<br />

dem sämtliche Bilder und Töne kommen, auch wenn das zu Anfang nicht<br />

besonders auffällt). Ein chaotisches Durcheinander, ein Ort voller Datenmüll,<br />

ein Szenario der x-Millionen Kanäle. Zappen und surfen in diesem<br />

›Schrottplatz‹ der elektronischen Medien löscht alle geläufigen Syntaxen,<br />

alle Bedeutungszusammenhänge und produziert fragmentierte Subjektivität,<br />

schizophrene Ichs – dafür ist die brabbelnde Puppe natürlich nichts<br />

weiter als ein ›magnetischer Spiegel‹, unsere eigene ›Ersatz-Subjektivität‹


(ganz wie die traditionelle Bauchredner-Attrappe). Durch Verschieben,<br />

Nach-außen-Verlagern und Umformen unserer Wünsche macht JCJ-<br />

Junkman die andere Seite der Utopie sicht-(und hör-)bar: die fortschreitende<br />

Automatisierung und Vorprogrammierung unserer Wünsche. Die<br />

Wahl, die wir haben, ist wirklich eine Pseudo-Wahl: wir haben keinerlei<br />

Möglichkeiten, den Fluß des Datenmülls, den wir bereits verinnerlicht<br />

haben, zu kontrollieren; wir können lediglich damit spielen oder etwas<br />

hinzufügen. 3 Der Datenmüllmann, der aus uns geworden ist, sammelt<br />

den Müll nicht, um ihn auszusortieren oder ihn etwa wiederzuverwerten<br />

im ökologischen Sinn des Wortes. Wenn wir vielleicht auch anders denken:<br />

wir wiederholen doch nur den Kreislauf des Schrotts, der unseren<br />

Verstand mit der Medienrealität verbindet. 4 Die Schleife ist endlos (und<br />

entsprechend hat JCJ-Junkman weder Anfang noch Ende, ist keine<br />

Erzählung mit einem besänftigenden Schluß).<br />

JCJ-Junkman gibt uns Gelegenheit, unser Verhältnis zur online-Welt zu<br />

überprüfen; darüber hinaus befragt diese Arbeit auch unsere Beziehung<br />

zu Computern im allgemeinen. Wie Feingolds frühere Werke, z. B. The<br />

Surprising Spiral (1991) und where I can see my house from here so we are<br />

(1993/94), stellt auch JCJ-Junkman die Idee der Interaktivität in Frage,<br />

diesen anderen einflußreichen Mythos des ausgehenden 20. Jahrhunderts.<br />

›Interaktive Medien‹ (eigentlich ›interaktives Allerlei‹) wurde angeboten<br />

als das Heilmittel gegen alle Übel, die von der Hegemonie der traditionellen<br />

›Einbahn-Medien‹ mit ihren entfremdenden und usurpatorischen<br />

3. Feingold hat ein Programm geschrieben, das dem Benutzer erlaubt, ›Müll‹ aus dem<br />

Internet online der Welt von JCJ-Junkman hinzuzufügen. (Die artintact-Version beinhaltet<br />

diese Möglichkeit noch nicht.)<br />

4. Der grundlegende theoretische Text zum Thema Recycling im Umfeld der kommerziellen<br />

Medien (allerdings in Bezug auf das Fernsehen) ist: Beverle Houston: ›Viewing<br />

Television: The Metapsychology of Endless Consumption.‹ – Quarterly Review of<br />

Film Studies, Summer 1984, S. 183–195.<br />

157<br />

artintact 3


artintact 3<br />

158<br />

Eigenschaften ausgingen. Auf wundersame Weise reißen die interaktiven<br />

Medien den ›Couch Potato‹, den Dauerglotzer, von seinem Sofa und verwandeln<br />

ihn in einen aktiven ›Protagonisten‹, in den Schöpfer seiner eigenen<br />

Medienrealitäten und -fantasien. Im Gegenzug werden die interaktiven<br />

Medienmaschinen smart und beherbergen jede Menge ›intelligente<br />

Agenten‹. Das Resultat ist eine ›kreative Konversation‹, eine ›Mensch-<br />

Maschine-Interaktion in Echtzeit‹, die zu einer Art Symbiose von<br />

Mensch und Maschine führt. Schließlich wird daraus eine quasi Kopf-zu-<br />

Kopf-Kommunikation, ein hybridisiertes Bewußtsein auf höherer<br />

Ebene.<br />

Schon in The Surprising Spiral befaßte sich Feingold mit zwei entscheidenden<br />

Voraussetzungen für Interaktivität: der Idee (und dem Ideal)<br />

von Interaktion in Echtzeit und dem Bedürfnis nach einem ›pädagogischen<br />

Subtext‹ – einem eingebauten Übungskurs für den Benutzer.<br />

Feingold programmierte die Reaktionen auf Aktionen des Benutzers als<br />

entweder in Echtzeit oder verzögert; sie könnten auch durch einen vorherigen<br />

Benutzer hervorgerufen sein. Es gibt keine Möglichkeit, das<br />

genau festzustellen. Feingold nahm weder ›Pläne‹ noch ›Menüs‹ in die<br />

Arbeit auf, nicht einmal einen Hinweis darauf, daß die Arbeit ›interaktiv‹<br />

ist – der Besucher findet es selbst heraus oder eben nicht. In where I can<br />

see my house from here so we are, einer telerobotischen Arbeit zwischen<br />

drei Orten, verbunden durch das Mbone-Internet, können die Teilnehmer<br />

kleine (wirkliche, nicht virtuelle) Teleroboter fernsteuern, die sich<br />

innerhalb einer von Spiegeln begrenzten Arena befinden. 5 Die Teilnehmer<br />

kommunizieren mit den Robotern durch ›Sinnesorgane‹ (Video-<br />

Augen, Mikrofon-Ohren). Erneut hat Feingold die Situation bewußt<br />

verkompliziert. Die geringe Übertragungsrate des Mbone und die irreführende<br />

Wirkung der Spiegel machen es schwer, sich zu orientieren oder<br />

5. Meine Beschreibung der Arbeit bezieht sich auf die Version, die beim Interactive Media<br />

Festival in Los Angeles (4.–8. Juni 1995) gezeigt wurde.


auch nur zu erkennen, ob man mit einer ›Puppe‹ spricht oder mit seinem<br />

eigenen Spiegelbild. Die Bewegungen der Roboter werden außerdem<br />

durch ihre ›Nabelschnüre‹ – sichtbare Kordel – eingeschränkt. Das Wahrnehmungschaos<br />

verstärkt sich noch durch gelegentliche Unfälle, ein<br />

Roboter verheddert sich z.B. in seiner Nabelschnur und fällt um, oder das<br />

ganze System bricht zusammen. 6<br />

In JCJ-Junkman setzt Feingold die Beschäftigung mit diesen Themen<br />

fort. Wie bereits erwähnt, gibt es zu der Arbeit keine Bedienungsanleitung,<br />

und sie hat weder Anfang noch Ende. Die Bilder erscheinen<br />

unvorhersehbar und zufällig auf dem Bildschirm. Für die meisten der<br />

potentiellen Benutzer ist eine CD-ROM entweder eine elektronische<br />

Enzyklopädie oder ein Computerspiel. Dieser Erwartungshorizont wird<br />

bewußt und vollkommen enttäuscht, und der Benutzer wird dazu<br />

gedrängt, seine Beziehung zu diesem Medium zu überdenken (die andere<br />

Möglichkeit wäre, die CD-ROM als Frisbee zu benutzen). Feingold handelt<br />

Interaktion in ›Echtzeit‹ ab, indem er die Bilder so sehr beschleunigt,<br />

daß das Interagieren nahezu unmöglich wird (normalerweise werden<br />

Computersysteme ja wegen ihrer Langsamkeit kritisiert!). Das Ergebnis<br />

ist in der Tat eine Art Interaktion in Surrealzeit! Gleichzeitig wird die Idee<br />

des ›Dialogs mit Multimedia‹ und der ›intelligenten Agenten‹ ad absurdum<br />

geführt – es gibt zwar einen Partner oder ›Agenten‹ auf dem Bildschirm,<br />

aber eher als verzerrte Spiegelung der eigenen (mediatisierten)<br />

Subjektivität des Benutzers. Indem Feingold dem kommunikativen Akt<br />

Lärm (im kybernetischen Sinn des Wortes) hinzufügt, zerstört er die<br />

Konventionen von Kommunikation – nicht um Anarchie zu erzeugen,<br />

sondern um die vorherrschenden Meinungen (ob naiv oder kalkuliert)<br />

6. Mit seiner eigenen Charakterisierung der Arbeit trifft Feingold ins Schwarze: ›Ein virtueller<br />

Maskenball, ein MOO mit Spiegeln, ein Puppentheater mit Fernbedienung, eine<br />

Welt von »waldos«, eine dieser unerträglichen Höllen, oder der Beginn einer neuen Art<br />

öffentlicher Räume …‹ (›Notes on recent works.‹ – http://www2.sva.edu/ken/).<br />

159<br />

artintact 3


artintact 3<br />

160<br />

über Medien und Technologie der philosophischen und künstlerischen<br />

Überprüfung zu unterziehen. Die Interaktion liegt vornehmlich in der<br />

Tatsache, daß es dem Benutzer überlassen bleibt, daraus seine Schlüsse zu<br />

ziehen.<br />

Wie wichtig dieser zeitgenössische Bezugsrahmen auch ist, so ist er doch<br />

nicht der einzige. Feingolds Arbeiten führen auch einen historischen und<br />

theoretischen Dialog (oder besser: Polylog). Sie sind aufgeladen mit sorgfältig<br />

durchdachten kulturellen Bezügen. Das mag zwar nicht immer sofort<br />

ins Auge fallen, gibt den Arbeiten aber Solidität und weist ihnen einen<br />

Platz innerhalb semantischer und zeitbezogener Raster zu. Ein gutes<br />

Beispiel ist die Installation Childhood/Hot & Cold Wars (The Appearance<br />

of Nature) (1993), die verschiedenste Elemente versammelt (eine Standuhr,<br />

die gleichzeitig ein Videoscreen ist, ein durchsichtiges, kugelförmiges<br />

Interface, die Tür eines Vorstadthauses, eine Replik der ›Atombombenkuppel‹<br />

von Hiroshima) und so zu einer Art Zeitmaschine wird, die die<br />

Funktionsweise des Gedächtnisses wachruft. Die persönlichen Erinnerungen<br />

des Künstlers werden dabei gemischt mit ›objektivierten‹ Spuren<br />

einer Ära (den Film- und Fernsehausschnitten der fünfziger Jahre). 7 OU<br />

(1992–96), eine noch nicht abgeschlossene Arbeit, beschäftigt sich mit einer<br />

anderen Art von Archäologie, indem sie den Anfängen von Interaktivität<br />

bei alten Automaten und der ökonomischen Art und Weise, in der<br />

hier der ›Austausch‹ zwischen dem Kunden und der Maschine vor sich<br />

ging, nachspürt. OU ist eine weitere sprechende Puppe, ein anthropomorphisierter<br />

Wahrsage-Automat, der harte US-Dollars verlangt, ehe er<br />

bereit ist, dem Betrachter seine selbstgebraute Wirtschaftsphilosophie<br />

7. Mehr über die Ideen, die hinter dieser Arbeit stecken, findet sich in: Ken Feingold:<br />

›Childhood/Hot & Cold Wars (The Appearance of Nature).‹ – Iterations: The New<br />

Image, Hg. T. Druckrey, New York City und Cambridge, Mass.: International Center<br />

of Photography und MIT Press, 1993, S. 162–167.


mitzuteilen. 8 Eine raffinierte Art, zwischen der mechanisierten Unterhaltung<br />

des 19. Jahrhunderts und dem heutigen Kunstmarkt (ganz zu<br />

schweigen vom Web und seiner Funktionsweise) eine Brücke zu schlagen.<br />

Woher kommen die Puppen und Roboter in Feingolds Arbeiten? Man<br />

kann an alle möglichen Einflüsse denken. Da gab es z.B. die Bauchredner<br />

mit ihren grotesken Puppen-›Familien‹, die P.T. Barnum im 19. Jahrhundert<br />

ausstellte. 9 Man könnte sogar behaupten, daß die physische Entkörperlichung<br />

der Stimme, wie sie von diesen Illusionisten praktiziert<br />

wurde, deswegen so populär wurde, weil ›in der Luft lag‹, was das<br />

virtuelle Bauchreden ankündigte und was die neuen Telekommunikationsmethoden<br />

bald jedem beibringen sollten: die elektrische Übertragung<br />

der Stimme. In ähnlicher Weise könnte man auch darüber spekulieren,<br />

warum ›Buffalo Bob‹ Smith’ sprechende Puppe Howdy Doody<br />

einer der ersten Superstars des frühen amerikanischen Fernsehens<br />

wurde. 10 Genauso könnte man an Hans Bellmer und die Surrealisten denken.<br />

Oder an Kokoschkas Puppe, seine Begleiterin. Oder an die Entwikklungslinie<br />

von den klassischen Automaten zu den kybernetischen<br />

Kunstwerken der sechziger Jahre, dargestellt von Jack Burnham. 11 Oder<br />

an die Science Fiction der fünfziger Jahre. Und vielleicht auch an die intelligenten,<br />

mit Video-Augen ausgestatteten Missiles, die Stars des Golfkrieges<br />

…<br />

8. Mechanische Wahrsage-Automaten enthielten oftmals simulierte menschliche<br />

Figuren, die sprechen und sich bewegen konnten oder die die Vorhersage des<br />

Schicksals auf einem Streifen Papier durch einen Schlitz ausgaben. Ein Automat aus<br />

den sechziger Jahren, der Zoltan hieß, las die Zukunft durch einen Telefonhörer. (Vgl.<br />

Bill Kurtz: Slot Machines and Coin-Op Games. London: The Apple Press, 1991,<br />

S. 110.)<br />

9. Vgl. Philip B. Kunhardt Jr., Philip B.Kunhardt III & Peter W. Kunhardt: P. T. Barnum:<br />

America’s Greatest Showman. New York: Alfred A. Knopf, 1995, S. 254 f. u.a.<br />

10. Vgl. Rick Marshall: History of Television. London: Bison Books, 1986, S. 22 f.<br />

11. Jack Burnham: Beyond Modern Sculpture. New York: Georg Braziller, 1968; vgl. vor<br />

allem die Kapitel fünf und acht.<br />

161<br />

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162<br />

Sei es wie es will, für Feingold ist es letztendlich wichtiger, was eine<br />

Puppe sagt als was eine Puppe ist (sie ist auf jeden Fall ein Medium). Einer<br />

der wichtigsten Subtexte seines gesamten Œuvres ist die Beschäftigung<br />

mit Sprache als dem organisierenden Prinzip unserer Wahrnehmung. Seit<br />

seinen frühen Videoarbeiten (wie 5dim/Mind, 1983 und The Double,<br />

1984) hat Feingold sich bemüht, vorherrschende Syntaxen zu dekonstruieren<br />

und auf neue Konfigurationen und Taxonomien hinzuarbeiten. Das<br />

gilt auch für seine jüngsten Projekte im Web. 12 Die Logik des menschlichen<br />

Gehirns liefert das zentrale Modell. Dadaistische und surrealistische<br />

Einflüsse kann man gelegentlich spüren. 13 Die aleatorische Poesie<br />

der Dadaisten und das automatische Schreiben der Surrealisten trifft auf<br />

den Einfluß von Persönlichkeiten wie Jean Cocteau, Jorge Luis Borges,<br />

Alain Robbe-Grillet und Octavio Paz. Eine der letzten Arbeiten Ken<br />

Feingolds, Orpheus (1996), kann wie eine Hommage an Cocteaus großen<br />

Film Orphée (1950) gelesen werden. Orpheus, eine weitere sprechende<br />

Puppe, die Feingold an einem schwer zu erreichenden, aber doch nicht zu<br />

weit entfernten Ort plazieren möchte, gibt rätselhafte Sätze von sich,<br />

komponiert aus einem der Hauptthemen von Cocteaus Film: den poetischen,<br />

surrealen Nachrichten, die der Tod übers Radio sendet. Sie sind das<br />

semantische Grundmaterial für Feingolds Variationen. 14<br />

12. Vgl. ›REKD=HARDCORE PORNOGRAPHIE‹ und ›The Amazing Buttonizer‹, zu finden<br />

unter http://www2.sva.edu/ken/.<br />

13. Eine Analyse der Einflüsse in The Surprising Spiral liefert Regina Cornwell: ›Interactive<br />

Art: Touching the Body in the Mind.‹ – Discourse, Bd. 14, Nr. 2 (Spring 1992),<br />

S. 213f.<br />

14. Feingold erklärt: ›Der Text/die Texte in Orpheus entstanden folgendermaßen:<br />

Zunächst benutzte ich die (übersetzten) Originalsätze aus Cocteaus Film – all die<br />

Wendungen, die übers Radio gesprochen werden, der Reihe nach – als grammatikalische<br />

Matrix. Die Matrix ist somit eine Art Querschnitt des ursprünglichen<br />

Drehbuchs, wobei nur ein einziger Aspekt des Filmes beachtet wird – der Radiotrick,<br />

den der Tod arrangiert, um Orpheus in die Unterwelt zu locken, die »gefundenen<br />

Texte« aus dem Medium, die Orpheus hypnotisieren. Danach fügte ich Worte von mir


In diesem Sinne sind die kakophonischen Stimmen und Geräusche,<br />

die aus JCJ-Junkmans Mund kommen, keinesfalls planlos oder nur beschränkt<br />

auf den Kontext des Internets. In der Interaktion mit der Arbeit<br />

produziert der Benutzer ›Poesie‹, eine einzigartige Bild-Ton-Collage,<br />

verwandt mit den dadaistischen und surrealistischen Bemühungen. Inmitten<br />

des Lärms werden vielleicht neue linguistische Idiome wahrgenommen.<br />

Aber man sollte eine solche Interpretation nicht zu weit treiben.<br />

Im Falle eines wirklich ›offenen Werkes‹ (Umberto Eco), wie wir es<br />

hier vor uns haben, wird jede/r die ihr/ihm eigene Lesart finden. Es ist<br />

ebenso Teil des Spiels, daß für einige Benutzer eine einzige aufregende,<br />

gefährliche Sampling Session – oh, meine schmerzenden Handgelenke –<br />

mit JCJ-Junkman ausreicht. Oder vielleicht wird diese eine schon zuviel<br />

sein, aber das ist nicht Feingolds Problem.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer<br />

als mögliche weitere Worte innerhalb der Matrix hinzu. Das Computerprogramm<br />

zieht aus der Matrix nach dem Zufallsprinzip Worte jedesmal durch die<br />

Endlosschleife des gesamten Stückes. So wurde z.B. der Satz »Silence goes faster backwards«<br />

(»Rückwärts vergeht das Schweigen schneller«) aus Cocteaus Film zu einer<br />

Matrix, zu der »Zeit«, die »langsamer« und »seitwärts« vergeht, hinzugefügt wurde.‹<br />

(Zitiert aus einem Brief Feingolds an den Autor vom 25. Juni 1996.) Auch wenn<br />

Cocteau streng genommen nie wirklich ein Surrealist war, sollte man doch den<br />

Einfluß der surrealistischen automatischen Poesie nicht vernachlässigen. Einige der<br />

›152 auf den neuesten Stand gebrachten Sprichwörter‹, die Éluard und Péret 1925 veröffentlichten,<br />

ähneln durchaus den Sätzen Cocteaus und Feingolds: ›Kaltes Fleisch<br />

löscht kein Feuer‹, ›Welke Haut steigt himmelwärts‹, ›Wer Wimpern sät, wird Stroh<br />

ernten‹, usw. (Vgl. Paul Éluard, Benjamin Péret: 152 Sprichwörter auf den neuesten<br />

Stand gebracht, hg. und übersetzt von U. Hörner und W. Kiepe. Gießen: Anabas,<br />

1995, Nr. 44, 48, 53. Die Originalfassung, ›152 proverbes mis au goût du jours‹,<br />

erschien erstmals in La Révolution Surréalistes, Hg. Bureau de recherches surréalistes,<br />

Paris, 1925. Anm. d. Red.)<br />

163<br />

artintact 3


Klick: Bildlandschaft als Ruine<br />

Von Peter Lunenfeld<br />

Diese Zeitspanne der Vernachlässigung muß ebenso sein wie eine gewisse Diskontinuität;<br />

religiös und künstlerisch ist beides wesentlich. Hierauf beziehe ich mich, wenn ich davon<br />

spreche, daß Ruinen notwendig sind: Ruinen liefern den Anreiz für Restaurierungen und<br />

für eine Rückkehr zu den Ursprüngen. 1 J. B. Jackson<br />

In der Vorführkabine startet ein 35-mm-Projektor und The Big Easy,<br />

eine Detektivgeschichte in New Orleans, beginnt mit einer langsamen<br />

Kamerafahrt bei Tageslicht durch die Marschlandschaften von Louisiana.<br />

Es wird dunkler und die Fahrt wird schneller, um schließlich durch den<br />

nächtlichen Stadthimmel hinunter auf Charles Moores klassisch inspirierte<br />

postmoderne Persiflage zu fahren – die Piazza d’Italia. Da es ein<br />

Krimi ist, gibt es natürlich auch eine Leiche im Brunnen, mit dem Gesicht<br />

nach unten. 2<br />

Als ich diesen Film zum ersten Mal sehe, kenne ich die Piazza d’Italia<br />

nur von Bildern in Architekturbänden. Aber hier sieht die Piazza – mit<br />

ihren hell erleuchteten falschen Säulen, ihren fließenden ›Wetopen‹ (diesen<br />

witzig-tropfenden Metopen) und der topographischen Karte des italienischen<br />

Stiefels – verführerischer aus als je zuvor. Schließlich ist es ein<br />

Film, und Menschen, Orte, Dinge haben im Film nun einmal besser auszusehen.<br />

3<br />

1. J. B. Jackson: The Necessity For Ruins. Cambridge, Mass.: MIT Press, 1980, S.101.<br />

2. Der Große Leichtsinn. USA, 1987. Regie: Jim McBride.<br />

3. Die Piazza d’Italia (1976–79) ist eine der bekanntesten Arbeiten des amerikanischen<br />

Architekten Charles W. Moore (1925–1993). Heinrich Klotz beschreibt die Piazza<br />

d’Italia als das ›wohl treffendste Beispiel postmodernen Bauens‹ in seinem enzyklopädischen<br />

Überblick Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960-1980.<br />

Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg & Sohn, 1984, S. 137.<br />

Perry Hoberman: The Sub-Division of the Electric Light, 1996. Screenshot.<br />

165<br />

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artintact 3<br />

166<br />

Einige Jahre später, und ich gehe zum ersten Mal durch das Zentrum<br />

von New Orleans. Plötzlich stehe ich vor einer Ruine. Neonröhren fehlen<br />

oder sind zerbrochen, das Wasser wurde schon vor Jahren abgestellt,<br />

die Mauern sind rissig, der Putz blättert ab – ein merkwürdiges Bild der<br />

›witzigen‹ Konstruktion, deren Stahlrahmenkonstruktionen ursprünglich<br />

mit Stein verblendet waren und wo sich nun durch die Auswirkungen<br />

von Zeit und Vandalismus das eine vom anderen trennt. Die Piazza d’Italia<br />

braucht – nicht mehr als anderthalb Jahrzehnte nach ihrer Fertigstellung<br />

– keine Leiche mehr, um dem Schauplatz eines Verbrechens zu ähneln.<br />

Der Diskurs über zeitgenössische Architektur endet zu oft am Tage<br />

der Einweihung. Vielleicht sollte er seine Paradestücke wieder einmal<br />

aufsuchen und sehen, wie sie sich ihrer Umgebung, ihren Bewohnern und<br />

unerwarteten Nutzungen anpassen – und selbst ihrem ungerechten,<br />

ihrem schändlichen Schicksal. 4<br />

Weitere Jahre vergehen und ich bin wieder in New Orleans. Ich<br />

schaue mir den Prototyp von Perry Hobermans The Sub-Division of the<br />

Electric Light (Die Unterteilung des elektrischen Lichts) an. Ich bin aus<br />

Los Angeles gekommen, Hoberman aus New York – diese seltsame Triangulation,<br />

die Messe, Konferenz und Vortragsreihe auf die Geographie<br />

ausüben, hat uns im Schatten der Piazza d’Italia zusammengeführt. Es<br />

mag zwar Hobermans erstes Projekt speziell für CD-ROM sein, aber es<br />

steht in der Tradition seiner langjährigen und leidenschaftlichen Bemühungen,<br />

die Verknüpfungen von Technologie, Bildern und Nostalgie<br />

sichtbar zu machen. Hier, im Kontext der Piazza, läßt der Bildschirm die<br />

Landschaft der Bilder plötzlich als Ruine erscheinen.<br />

Klick. Uralte Projektoren surren in einer diffusen, phosphor-erleuchteten<br />

Leere. Klick, und die Projektoren erfüllen ihre Bestimmung; sie<br />

4. Besonders informativ ist Stewart Brand bezüglich dieser Nachlässigkeit des Architekturdiskurses<br />

in How Buildings Learn: What Happens After They’re Built. New<br />

York: Viking, 1994.


projizieren. Die Bilder, die sie quer durch den virtuellen Raum des Monitors<br />

werfen, bestehen aus Amateurfilmen, gefundenem Filmmaterial,<br />

Familiendias. Die Bildlandschaft ist eine genau kalkulierte Nostalgiemaschine,<br />

ausgerichtet an unseren Erinnerungen eines früheren Medienzeitalters:<br />

die Zeit der hellen Glühbirnen, der fotochemikalischen Lösungen,<br />

reflektierenden Oberflächen und Staubkörnchen, die ins Leben, ins<br />

Licht wirbeln. Hoberman unterteilt unsere kulturelle Erinnerung an<br />

Licht im Dienste der Medien. Im Monitor beschwört er die Projektion,<br />

um uns an die stetig zunehmende Geschwindigkeit zu erinnern, mit der<br />

wir Medientechnologien konsumieren und anschließend entsorgen – und<br />

daran, daß man mit jedem Schritt, mit dem man etwas gewinnt, auch<br />

etwas verliert. Zu einem Zeitpunkt, da der leidenschaftlichste Traum des<br />

Computermarktes sich mit ›full-screen, full-motion Video‹ zusammenfassen<br />

läßt, ist Hoberman ein Ikonoklast, der den Bildschirm zertrümmert,<br />

unterteilt und mit dessen vorgetäuschten zweieinhalb Tiefendimensionen<br />

spielt.<br />

Klick, und ein Szenario beginnt: ein alter 8-mm Bell & Howell-Projektor<br />

surrt in einer Ecke des Monitors ins Leben und erfüllt die Erwartungen<br />

nach Interaktion. Ein weiterer Klick, diesmal auf das verkleinerte<br />

Filmbild eines Babies, das auf einer Leinwand gurrt und gluckst, die<br />

schräg zum Projektor hängt – die Erwartungen werden herausgefordert.<br />

Dieser Klick beschwört den Alptraum eines jeden Filmvorführers herauf:<br />

das Bild wird unscharf, verrutscht, bleibt stehen und brennt von innen<br />

nach außen durch. Heute aber haben wir Angst davor, daß die Systeme<br />

abstürzen und nicht, daß ein Film sich verklemmt und in Flammen aufgeht<br />

– was die Frage aufwirft: Was geschieht mit alten Alpträumen, wenn<br />

sie niemand mehr träumt?<br />

Klick, und einer der kaum fertiggestellten Räume wird von einer Projektion<br />

überflutet. Ein überdimensionierter Ball rollt an der Wand entlang,<br />

fängt das Licht ein, transformiert es; eine Erinnerung daran, daß das<br />

bewegte Bild nicht immer an der sich vergrößernden Bildschirmdiagona-<br />

167<br />

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168<br />

len gemessen werden sollte. Klick, und die Projektion nimmt die Merkmale<br />

dessen an, worauf sie projiziert wird. Klick, und man wird an das<br />

große Vergnügen erinnert, das in der Unterbrechung, der Manipulation<br />

und der Einstellung des projizierten Lichts verborgen lag.<br />

Das Spielen mit Licht ist nicht einfach eine ästhetische Geste, es muß<br />

auch als Manipulation von Zeit gesehen werden, als Ergebnis der Tatsache,<br />

daß wir uns der Gesetze der Relativität und des Mantras des 20. Jahrhunderts<br />

– E = mc2 – bewußt sind. The Sub-Division of the Electric Light<br />

thematisiert auch die Parzellierung und Neuzuteilung von Zeit, die die<br />

dynamischen Medien mit sich bringen. Godard sprach vom Film als<br />

Wahrheit, 24 mal pro Sekunde; Videorekorder machten den Zeitsprung<br />

zu einem phänomenologischen Allgemeinplatz; der heilige Gral der<br />

Computergrafik ist die ›Echtzeit‹-Anwendung; die Ästhetik des World<br />

Wide Web wird zumindest ebenso von der Wartezeit zwischen den Bildern<br />

bestimmt wie von den online-Bildlandschaften selbst.<br />

Hoberman spielt genau diese Verbindung zwischen dem Visuellen<br />

und dem Zeitlichen gegeneinander aus. Klick, und jedes Szenario offenbart<br />

sich als einzigartig (oder als Gag, je nachdem), entweder durch einen<br />

weiteren Klick oder durch eine Bewegung der Maus: der Film läuft rückwärts,<br />

Lichtquellen verschieben sich, Dias klemmen, Objekte rotieren<br />

oder verformen sich; und einmal bewegt sich die Leinwand nach vorne<br />

bzw. nach hinten, einen Zeitgleiter im Raum schaffend. Klick, und Zeit<br />

wird verräumlicht. Klick, und Raum wird verzeitlicht. Hoberman<br />

schrieb zu diesem Projekt: ›Ich möchte etwas machen, bei dem Zeit niemals<br />

ganz anhält – aber nicht etwas, das einen in einem automatischen<br />

Uhrwerk gefangen hält – etwas, das es dem Benutzer erlaubt, mit Zeit zu<br />

spielen, das Zeit formbar macht – aber nicht etwas, daß es dem Benutzer<br />

erlaubt, Zeit zu kontrollieren (was sowieso unmöglich wäre).‹ 5<br />

Dieses Zitat ist auch eine Beschreibung von Erinnerung, dieses unfaß-<br />

5. Aus der e-mail-Korrespondenz des Künstlers mit Lorne Falk vom 27. Juni 1996.


aren Irgendwo, wo ›Zeit etwas Formbares ist‹. Und Erinnerung ist<br />

wesentlich in The Sub-Division of the Electric Light. Es gibt vergessene<br />

Erinnerungen: Edisons elektrische Glühbirne als Widerlegung der allgemein<br />

verbreiteten Überzeugung des 19. Jahrhunderts, daß die Domestizierung<br />

der künstlichen Beleuchtung im kleinen Maßstab unmöglich<br />

sei. 6 Es gibt schwache Erinnerungen: Verwaltungsbeamte, die den Desktop-Computer<br />

als Freizeitbeschäftigung des Hobbyisten ad acta legen –<br />

nichts, was dem Mandarin-Kastensystem der Großrechner gefährlich<br />

werden konnte. Es gibt persönliche Erinnerungen aus einer weit zurückliegenden<br />

Vergangenheit: Verwandte, die seltsame Maschinen hervorholen,<br />

um ihre Familienfilme zu zeigen oder die Dias ihrer Reisen. Es gibt<br />

professionelle Erinnerungen: Maschinen (der Apple II), Plattformen (der<br />

Amiga), Hardware (der Nadeldrucker), Software (Wordstar), Speichermedien<br />

(die 51 ⁄4"-Diskette) – sie waren einmal wesentlich für die Arbeit<br />

mit Computern, heute sind sie nur noch wie abgelegte Kleidungsstücke<br />

oder sogar schon endgültig ausgemustert.<br />

6. ›1877 schrieb Fontaine, ein angesehener französischer Ingenieur und Wissenschaftler,<br />

ein Buch über das Glühlampenlicht, in dem er seine Überzeugung zum Ausdruck<br />

brachte, daß die Unterteilung des elektrischen Lichts, d.h. die Entwicklung kleiner<br />

Beleuchtungseinheiten des elektrischen Lichts analog zu den Beleuchtungseinheiten<br />

der Gasversorgung, unmöglich sei … William H. Preece erläuterte in einem Vortrag vor<br />

der Royal United Service Institution am 15. Februar 1879: »Es ist jedoch leicht nachweisbar<br />

(und das heißt unter Beachtung ganz exakter und wohlbekannter wissenschaftlicher<br />

Gesetze), daß in einem Stromkreis, in dem die Stromstärke konstant ist,<br />

und in den wir zusätzliche Lampen einfügen, dann, wenn diese Lampen in einem einzigen<br />

Stromkreis, d. h. in Reihe verbunden sind, sich das Licht im umgekehrten<br />

Verhältnis zur Quadratzahl der Lampen im Stromkreis verändert, und daß, in der<br />

Parallelschaltung verbunden, das Licht sich vermindert, wie die Kubikzahl der eingefügten<br />

Lampen. Folglich ist eine Unterteilung des elektrischen Lichtes eine Illusion.«‹<br />

– Francis Jehl: Menlo Park Reminiscences, Band I. New York: Dover Books, 1990;<br />

Nachdruck der Ausgabe von 1937, Dearborn, MI: The Edison Institute. (W. H. Preece<br />

hier zit. nach: Ronald W. Clark: Edison. Übers. von L. Nürnberger, Frankfurt a.M.:<br />

Societäts-Verlag, 1981, S. 92. Anm. d. Red.) Mein Dank an den Künstler, mir die Quelle,<br />

die ihn zum Titel des Projektes inspirierte, zur Verfügung zu stellen.<br />

169<br />

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170<br />

Zurück also zur Architektur und zur postmodernen Ruine der Piazza<br />

d’Italia. Wir können sehen, daß der größte Teil der elektronischen Kunst –<br />

eher früher als später – das Schicksal des Mooreschen Monuments teilt:<br />

Das Silberoxid, das sich von den Ein-Zoll-Videobändern ablöst; die Pioniertaten<br />

im Bereich von Audio und Video, geleistet auf Computersystemen,<br />

für die es heute weder Handbücher noch Ersatzteile gibt; sogar die<br />

CD-ROM selbst, die von Anfang an als Übergangslösung bezeichnet<br />

wurde. So ist Perry Hoberman, dessen Arbeiten so oft auf Performances<br />

aufbauten, ein emblematischer Künstler für die CD-ROM. Es ist vielleicht<br />

ein Fehler, The Sub-Division of the Electric Light als Kunst-Objekt anzusehen,<br />

denn das impliziert eine gewisse Dauerhaftigkeit und Beständigkeit,<br />

die die Arbeit und ihr Medium nicht bieten. Man sollte es vielmehr<br />

als Performance denken, denn Performances, im Gegensatz zu<br />

Monumenten, hinterlassen keine Ruinen; sie hinterlassen Erinnerungen.<br />

Übersetzung: Angelika Haarkamp, Astrid Sommer


Raum für elektronische Unruhen<br />

Von Annika Blunck<br />

Mit seinen interaktiven Arbeiten richtet Perry Hoberman die Aufmerksamkeit<br />

auf die Begriffe Masse und Medium, um sie zu hinterfragen und<br />

um überkommene und oft einseitige Kritik zu differenzieren. Geradezu<br />

mit Emphase arbeitet Hoberman daran, die Wirklichkeitsmächtigkeit der<br />

Massenmedien zu brechen. Wo diese eben noch den Rezipienten mit Informationen<br />

bedienten und fast unmerklich sein Interesse definierten,<br />

greift er nun selbst in das Geschehen ein.<br />

Durch das Angebot zur Handlung, das vom interaktiven Kunstwerk<br />

gemacht wird, ergibt sich die Möglichkeit, den übertragenen Informationsgehalt<br />

selbst mitzubestimmen. Der Betrachter schert aus der Herde<br />

der andächtig Glotzenden aus und kann nun sein Verhalten als Individuum<br />

zum ausgestellten Werk selbst bestimmen. Die Macht des Mediums<br />

wird dadurch nicht nur gebrochen, sondern auch gestärkt. Weil der<br />

Informationsgehalt des Kunstwerks mitgestaltet werden kann, verliert er<br />

seine Macht, autoritär einen Wirklichkeitsausschnitt zu bestimmen. In<br />

diesem Moment wird auch der handelnde Betrachter an seine eigene Vermittlungsleistung<br />

erinnert, es entsteht ein zunächst ungewohnter Raum<br />

zwischen Mensch und Bild.<br />

Es ist der Traum der interaktiven Kunst, Begegnungsmöglichkeiten<br />

und Interaktionsangebote zu schaffen. Der im Werk angelegte Zwischenraum<br />

erlaubt es jedem Betrachter, seine Rolle immer wieder neu zu definieren<br />

und zu gestalten. Ebenso wie Hoberman gegenüber den Massenmedien<br />

ein neues Bewußtsein etablieren will, fordert er auch eine neue<br />

Art der Auseinandersetzung mit den Technologien. Deshalb setzt er in<br />

seiner Kunst etablierte Technologien ein, die aus den Laboren von Regierungen<br />

und Militäreinrichtungen, von Wirtschaft und Unterhaltungsindustrie<br />

kommen und die sich längst in unserem Alltagsleben auf eine<br />

171<br />

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172<br />

schwer durchschaubare Art festgesetzt haben. Sie zeichnen sich in der<br />

Nutzung durch gemeinsame Eigenschaften aus: Interaktivität, Unscheinbarkeit,<br />

die zeitweise in absolute Unsichtbarkeit umschlägt, und schließlich<br />

Unentbehrlichkeit.<br />

Aus dem Zusammenspiel dieser Eigenschaften baut sich das technologische<br />

Machtpotential auf. Und für Hoberman gilt es, dieses zu brechen:<br />

Die von den Geräten dem Benutzer allenthalben abgeforderten Reaktionen<br />

sind nämlich nicht unbedingt auf Emanzipation angelegt, sondern<br />

immer auch darauf, den Benutzer in ein Spiel hineinzuziehen, das letztlich<br />

gar nicht sein Spiel ist. Und es sind nur wenige, die einen Abstand<br />

gegenüber solchen Interaktionsangeboten halten können und dagegen<br />

einen praktischen Widerstand entwickeln, der sie davor bewahrt, nach<br />

vorgegebenen Regeln handeln zu müssen. Mit ein wenig Glück kann man<br />

im Rahmen einer Präsentation technologischer Neuentwicklungen zwischen<br />

all den Apparaturen jene Jugendlichen entdecken, deren einziges<br />

Ziel es ist, Unerläßlichkeit und Unsichtbarkeit der Technologien zu<br />

hintertreiben – indem sie mit ihrem Wissen die Macht der Systeme brechen<br />

und die Maschinen zum Absturz bringen.<br />

Perry Hoberman träumt mit seinen Werken den Traum der interaktiven<br />

Kunst weiter. Allerdings verwendet er die etablierten Technologien<br />

gerade dazu, auf den so notwendigen Widerstand aufmerksam zu machen,<br />

ihn einzubeziehen und zu fördern. Aus diesem doppelten Anliegen<br />

heraus – Interaktion nämlich dort herzustellen, wo sie bislang verweigert<br />

wird, und Interaktion dort zu verweigern, wo sie ein falsches Freiheitsversprechen<br />

gibt – entwickelte er zusammen mit Nick Philip 1995 die Installation<br />

Cathartic User Interface, kurz: CUI 1.0. Hier kann jeder dem<br />

Destruktionszwang, dem man zuweilen gegenüber dem eigenen Computer<br />

ausgesetzt ist, freien Lauf lassen: Mit einem Ball zielt man auf an der<br />

Wand befestigte Computertastaturen. Sobald man diese getroffen hat, erscheint<br />

eine aus dem Computeralltag bekannte, aber modifizierte User-<br />

Warnung auf dem Bildschirm. Manchmal wird dabei von den Besuchern


so hart geworfen, daß die Armaturen selbst stark beschädigt werden. Die<br />

Manipulation der Programmierung, die in den ›bösartigen‹ User-Warnungen<br />

sichtbar wird, verdeutlichen dem Benutzer seine Machtlosigkeit<br />

gegenüber dem Medium: die dramatisch formulierten Anzeigen verweisen<br />

auf das Ausgeliefertsein im Umgang mit Computertechnologie. Auch<br />

wird in diesen Momenten an reale Erfahrungen aus dem Alltagsleben erinnert<br />

und die Projektionsfläche von CUI um den eigenen Bildschirm zu<br />

Hause erweitert. Hoberman wählt die Technologien also nicht, um ihrem<br />

Dasein einen originär künstlerischen Sinn zu geben, sondern vielmehr um<br />

ihre eigentliche ›Berufung‹ zu pervertieren und so letztlich die Kunst des<br />

gesellschaftlichen Zusammenspiels zu thematisieren.<br />

Diese künstlerische Strategie – Sichtbarmachung der Technologien<br />

entgegen der einseitigen Ausrichtung von Massenmedien – wird von Hoberman<br />

immer wieder in gleichen Ebenen angelegt: ein Innenraum als<br />

Projektions- bzw. (Inter-)Aktionsfläche; ein Außenraum als Reaktionsraum;<br />

neugierige und aktive Besucher als Partner. Im Unterschied zu den<br />

meisten multimedialen interaktiven Kunstwerken ist der Außenraum, in<br />

dem sich der gesamte Interaktionsprozeß abspielt, sehr wichtig: er bestimmt<br />

die Atmosphäre, ist Kommunikationsraum und Landschaft zur<br />

Kunsterfahrung. Dieser Raum soll bei Hoberman nicht unscheinbar und<br />

vergessen sein, sondern bewußt um den Innenraum erweitert werden.<br />

Die dunklen ›Kästen‹, in denen die interaktiven Kunstwerke nur allzu oft<br />

präsentiert werden, dienen der vermeintlichen Immersion, dem Wunsch,<br />

den Benutzer ganz und gar in der Endlosigkeit der computergenerierten<br />

Bilder einzufangen, so daß er meint, die wirkliche Welt weit hinter sich<br />

lassen zu können.<br />

Dagegen will Perry Hoberman die Zusammengehörigkeit und gegenseitige<br />

Abhängigkeit dieser beiden Orte betonen. Und so entstand 1985<br />

Dead Space/Living Rooms, in der der Innenraum ein rein fiktionaler oder<br />

virtueller Raum war. An vier aufeinanderfolgenden Sonntagen wurde<br />

jeweils ein Science-Fiction-Film aus den 30er bzw. 50er Jahren gezeigt;<br />

173<br />

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174<br />

gemeinsam war diesen vier Filmen die Beschäftigung mit Tod und Auferstehung.<br />

Nach jeder Vorstellung wurde das Material des vorgeführten<br />

Filmes in die Installation integriert: Stehende Bilder wurden zwei- und<br />

dreidimensional auf jede sich im Ausstellungsraum bietende Fläche projiziert.<br />

Mit stereoskopischen Brillen bewegten sich die Zuschauer durch<br />

den Bilder-Raum, der mit einer Ton-Collage aus einzelnen Dialogen der<br />

Filme und den Filmmusiken unterlegt war. Bewegung kam in die unbeweglichen<br />

Bilder durch computergesteuerte Diaprojektoren, Überblendungen<br />

und die Tonspur. Im Laufe des Ausstellungszeitraums vermischten<br />

sich die Filme, beeinflussten einander, bildeten neue Erzählungen.<br />

Schließlich integrierte Hoberman sein eigenes Porträt in die Projektion<br />

und sprengte damit den Projektions- und Illusionsrahmen, die Grenzen<br />

zwischen Fiktion und Wirklichkeit waren verschoben.<br />

Indem sich der Besucher seine eigene Geschichte durch die Bewegung<br />

im Raum erschließt, verliert das Massenmedium Film seine dominante<br />

Machtposition, es ist zum Rohmaterial des Zuschauers geworden. Thema<br />

ist hier nicht das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mensch und Maschine,<br />

sondern die Neudefinition von Wirklichkeiten unter Verwendung<br />

und durch Brechung alter Illusionsmechanismen. Kreiert werden diese<br />

individuellen Wirklichkeiten jedoch inmitten einer hochtechnologischen<br />

Gesellschaft, in einer Umwelt, in der die neuentwickelten elektronischen<br />

Geräte einander selbstverständlich und manchmal unbeachtet ablösen. Es<br />

ist diese Apparatewelt, die Hoberman in seinen Arbeiten thematisiert,<br />

denn ihr Verständnis ist Voraussetzung für den intelligenten Benutzer,<br />

den interagierenden und kooperierenden Menschen.<br />

Perry Hoberman wendet sich deshalb der Unscheinbarkeit der elektrischen<br />

Haushaltsgeräte zu. Es gelang ihm mit Faraday’s Garden (1990)<br />

auf humoristische Weise, all diese unscheinbaren Gegenstände, die im<br />

täglichen Leben selbstverständlich präsent sind, sichtbar und spürbar zu<br />

machen und gleichzeitig die Absurdität all der ›Höher-Besser-Weiter‹-<br />

Werbeslogans zu verdeutlichen. Mit der selbstverschuldeten Technolo-


gie(ohn)macht wurde man auf einem Spaziergang durch Hobermans<br />

elektronischen Garten konfrontiert. Er konstruierte eine Szenerie aus unzähligen<br />

bekannten elektrischen Geräten: von längst veralteten und vergessenen<br />

Rührbesen, Toastern, elektrischen Messern, Ventilatoren bis hin<br />

zu den neuesten Filmprojektoren, Radios und Fernsehapparaten, deren<br />

Kabel wie Wurzeln herabhingen. Während man an den diversen Objekten<br />

vorbeiflanierte, aktivierte man, ohne sich dessen zuerst bewußt zu<br />

sein, über die am Boden liegenden Fußmatten die einzelnen Schalter der<br />

Geräte. Damit fand sich jeder Besucher von Faraday’s Garden immer in<br />

seiner eigenen, sich ständig verändernden Geräuschkulisse, die sich mit<br />

den Geräuschkulissen der anderen Spaziergänger mischte. Und wenn<br />

jeder seine ›elektrifizierte Umgebung‹ auch selbst beeinflussen konnte,<br />

entziehen konnte man sich ihr nur, indem man den Raum verließ …<br />

… und in das Bar Code Hotel (1994) eintrat. Hier finden sich die bereits<br />

beschriebenen Strategien wieder. Diese interaktive Installation besetzt<br />

einen ganzen Raum als Interface. Vollständig mit Strichcodesymbolen<br />

tapeziert, kann er von mehreren Teilnehmern gleichzeitig genutzt<br />

werden. Mit von der Decke herabhängenden Strichcode-Lesestiften kann<br />

jeder Gast die schwarz-weißen Informationen einscannen und so an das<br />

(unsichtbare) Computersystem vermitteln. Indem man einen der auf<br />

Würfeln aufgedruckten Strichcodes einscannt, verschafft man sich einen<br />

eigenen Repräsentanten in der virtuellen Umgebung. Nun kann man mit<br />

weiteren Strichcodebefehlen das Verhalten, die Bewegungen, die Position<br />

des Objektes verändern: es kann sich drehen, kann atmen, sich ausdehnen<br />

oder einen anderen Gegenstand verfolgen. Auch stellt sich nach einigen<br />

dieser interaktiven ›Gehversuche‹ heraus, daß die unterschiedlichen Objekte<br />

der einzelnen Gäste eigene Charakteristika aufweisen, die von ihrer<br />

spezifischen Größe oder ihrem Alter abhängig sind. Ständig verändert<br />

sich die virtuelle Umgebung und zwingt die einzelnen Gäste zu agieren<br />

und zu reagieren. Jedoch ist eine hundertprozentige Einschätzung der<br />

Lage durch unspezifische Strichcodebefehle wie ›Mauerblümchen‹ oder<br />

175<br />

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176<br />

›Angst‹ ausgeschlossen. So ergeben sich auch hier wieder unendlich viele<br />

Szenarien, die einmalig und nicht vorhersehbar sind und zu denen sich<br />

jeder Teilnehmer immer wieder neu verhalten muß. Dem universalen<br />

schwarz-weißen Produktcode gilt die zentrale Aufmerksamkeit! Wo<br />

sonst nur Informationen abgelesen werden, ist nun eine Rückkoppelung<br />

eingebaut, die Aktionen auslöst. Der Strichcode ist die Sprache, in der<br />

man sich auf der Projektionsfläche verständigt. Und die, die sich dort verständigen,<br />

stehen im realen Raum und entfalten in ihm die gruppendynamische<br />

Spannung.<br />

Die Besonderheit der Werke Hobermans ist, daß man in ihnen immer<br />

eine kleine Lücke findet, durch die man den alten Beziehungsmustern<br />

entkommen kann, die zwischen den etablierten Technologien und ihren<br />

versierten Nutzern gespannt sind. Die Lücke öffnet eben jenen ungewohnten<br />

Zwischenraum, in dem die Grenzen zwischen Mensch und Bild<br />

sich immer wieder neu definieren. Diese Lücke ist das Unvorhersehbare,<br />

das Nicht-Programmierte, hier kann sich die Mündigkeit und Verantwortung<br />

des zeitgenössischen Kunstfreundes etablieren. Diese Lücke<br />

nutzt der aktive Betrachter, um Innen- und Außenraum zu einem Kommunikationsraum<br />

mit eigener Zeitrechnung zu verbinden. Die Agierenden,<br />

sobald sie einmal in den Innenraum eingetreten sind, bauen eine Beziehung<br />

zu den anderen Agierenden auf, Bündnisse werden gestiftet, die<br />

konstant erweitert und erneuert werden müssen. Deutlich werden so<br />

auch die Schwierigkeiten, Hoffnungen und oft genug das Scheitern des<br />

gesellschaftlichen Zusammenspiels. Die eigene lokale Bestimmung wird<br />

durch die Intention der Beteiligung überschritten und fällt schließlich mit<br />

der Intention der anderen in der neuen Raumkonzeption zusammen. All<br />

diese Werke beteiligen die Individuen als Individuen, schaffen eine kleine<br />

Welt, die bearbeitbar ist, und erinnern damit die Handelnden an ihre Vermittlungsleistung,<br />

die bei der Konstitution von Gesellschaft notwendig<br />

ist.<br />

Denkt man dieses Konzept konsequent zuende, könnte man behaup-


ten, daß Perry Hobermans Kunstwerke sich als Medium mit dem Anspruch<br />

ausweisen, die vielen Betrachter als Individuen einzubeziehen, um<br />

ihnen die Verantwortung zur Kooperation und Kollaboration immer<br />

wieder neu zu übergeben.<br />

177<br />

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Die Spur der Postkarten<br />

Von George Legrady<br />

Fotografie ist Erinnerung, die Spur eines Originals. Im postmodernen Zeitalter […] ist die<br />

Vergangenheit zu einer Sammlung von Fotografien, von Film- oder Fernsehbildern geworden.<br />

Wie die Replikanten [im Film Blade Runner] haben wir die Aufgabe, Geschichte<br />

zurückzugewinnen, indem wir sie reproduzieren. 1 Giuliana Bruno<br />

I.<br />

Slippery Traces ist eine non-lineare, visuelle Erzählung, durch die der<br />

Zuschauer in einem Netz aus 230 Postkarten navigiert. 2 Die Postkarten<br />

sind entsprechend der Bedeutungen, die sie im wörtlichen oder übertragenen<br />

Sinn besitzen, untereinander verbunden und in Gruppen geordnet.<br />

Jede Postkarte enthält ca. fünf ›Hot Spots‹ oder Verbindungen zu etwa<br />

zehn anderen Karten. Indem der Benutzer einen der Hot Spots anklickt,<br />

gelangt er zu einem anderen Bild und konstruiert so eine Sequenz miteinander<br />

verbundener Bilder. Diese Sequenz kann abgerufen werden, so daß<br />

die entstandene ›Meta-Erzählung‹ und die durch die persönliche Wahl geschaffenen<br />

Verbindungen nachvollziehbar sind.<br />

Die 230 Postkarten wurden ausgewählt aus meiner Sammlung von<br />

über 2000 Karten, die ich in den letzten 20 Jahren zusammengetragen<br />

habe. Nach der Grundauswahl wurden die Karten in 24 Kategorien geordnet.<br />

Aus diesem Prozeß der Klassifizierung tauchten Themen auf wie<br />

Natur/Kultur, Kolonialismus, Zukunft, Militär, Industrie, die Exotisierung<br />

des Anderen, Landschaftsansichten, moralische Erzählungen u.a.m.<br />

1. Giuliana Bruno: ›Ramble City: Postmodernism and Blade Runner.‹ – Alien Zone, Hg.<br />

Anette Kuhn. London: Verso, 1990, S. 193.<br />

2. Die Installations-Version von Slippery Traces beinhaltet 230 Postkarten. Aufgrund urheberrechtlicher<br />

Erwägungen wurde die CD-ROM-Version um ca. 50 Postkarten (vor<br />

allem aus jüngerer Zeit) reduziert. (Anm. d. Red.)<br />

George Legrady: Slippery Traces, 1996. Screenshot.<br />

179<br />

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180<br />

Bilder, die keine eigene Kategorie bildeten, wurden dem nächstliegenden<br />

Themenbereich zugeordnet. Dadurch erweiterte sich die Bedeutung der<br />

Gruppierung und es ergab sich ein Dialog, der den Kategorien über die<br />

einfache Klassifizierung hinaus eine erzählerische Aufgabe zuwies.<br />

Hinter dieser Auswahl von Postkarten steckt die Absicht, einen<br />

Überblick, einen Weltblick zur Verfügung zu stellen, der in kultureller<br />

wie ideologischer Hinsicht zeigt, wie die Mitte des 20. Jahrhunderts im<br />

Rahmen von globaler Entwicklung, Tourismus und kulturellem Austausch<br />

fotografisch repräsentiert wurde. Andere Kriterien waren kulturell<br />

bedeutsame Inhalte oder visuell interessante Kompositionen, die eine<br />

durch Fotografie geprägte Wahrnehmung verdeutlichen. Die Auswahl<br />

zielt nicht darauf ab, die Totalität der historischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts<br />

darzustellen.<br />

In den frühen siebziger Jahren konzentrierte sich die künstlerische<br />

Fotografie auf die Entwicklung einer persönlichen Sichtweise. Postkarten<br />

wurden als konventionalisierte Zeichen verstanden, produziert nach<br />

ökonomischen Kriterien (des Tourismus vor allem), denen man einen von<br />

persönlichen Vorstellungen geprägten ästhetischen Wert absprach. Betrachtet<br />

man aber dieselben Postkarten von einem kritischen, sozialen<br />

Standpunkt aus, erhalten sie eine tiefere Bedeutung. Postkarten sind, da<br />

sie kulturelle Erwartungen und Überzeugungen kondensieren, ideologisch<br />

belastet. Sie zeigen in verschlüsselter Form, wie die Kultur, die sie<br />

hervorgebracht hat, die Welt sieht. Sie sind kodierte Darstellungen des<br />

Möglichen und des Unmöglichen (des Wirklichen und des Vorgestellten).<br />

Sie sind mythische, totemische Spuren, deren Bedeutungen sich im Laufe<br />

der Zeit enthüllen und die ideologischen Erzählungen und semiotischen<br />

Kodierungen an die Oberfläche gelangen lassen. Im Laufe der Zeit verwandelt<br />

sich das, was sie erzählen, wird durch andere Interpretationen<br />

wiederhergestellt oder neue Lesarten ergeben sich.


II.<br />

Seinen Ursprung hat Slippery Traces in einer Diashow mit zwei<br />

Projektoren, mit der ich erforschen wollte, wie sich die Bedeutung von<br />

Bildern verändert, wenn sie einander gegenübergestellt werden. Bilder<br />

werden im allgemeinen in Beziehung zu anderen gesehen, und so wie<br />

Worte, die zu Sätzen zusammengesetzt werden, schwingen sie gegeneinander,<br />

dehnen sich ein wenig aus, passen sich an, verändern unmerklich<br />

ihre Bedeutung durch die Gegenüberstellung, durch Assoziationen,<br />

Erweiterungen, Unterschiede usw. Übertragen in die non-lineare, dynamische<br />

Umgebung des Computers nehmen die Bedeutungsänderungen<br />

exponentiell zu: die Bilder sind aus ihrer linearen Stellung im Diamagazin<br />

befreit und werden nun aufgrund von Kriterien, die ein Computerprogramm<br />

definiert, in immer neue Beziehungen zueinander gebracht. Das<br />

Ergebnis ist ein imaginäres, drei-dimensionales, nervenzellenartiges<br />

Netzwerk, in dem alle 230 Bilder kreuz und quer mit über 2000 Verbindungen<br />

verknüpft sind und so eine Einheit bilden. Die Verbindungen<br />

oder Hot Spots haben thematisch etwas gemeinsam mit den Bildern, die<br />

sie aufrufen. Jedesmal, wenn ein Betrachter einen Hot Spot anklickt, um<br />

zu einem anderen Bild zu gelangen, webt sie oder er einen Pfad in dieses<br />

dichte Labyrinth der Verbindungen, der in eine Datenbank aufgenommen<br />

wird.<br />

Ein Ziel des Projekts ist es, den Betrachter in einer Umgebung, die<br />

durch meine Wahrnehmungsfilter bestimmt ist, seinen eigenen Wünschen<br />

folgen zu lassen. Mit Wahrnehmungsfilter meine ich nicht nur die<br />

Art und Weise, wie ich die Postkarten kategorisiert habe, sondern vor<br />

allem die Art, wie sie innerhalb der Programmstruktur funktionieren: die<br />

Art des Betrachtens steht im Gegensatz zum tatsächlichen Inhalt der Karten.<br />

Die Bedingungen, denen der Blick des Betrachters unterworfen ist,<br />

wurden durch die Programmierung kodiert, besonders durch die Benutzung<br />

dynamischer Datenbankstrukturen. Datenbanken, wie sie im Herz<br />

unserer sozialen Institutionen zu finden sind – von Marketing über Straf-<br />

181<br />

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182<br />

register bis zu Adressenlisten – existieren als Ergebnis statistischer Daten,<br />

die unsere Tätigkeiten erzeugen, und werden dazu benutzt, unsere kulturelle<br />

Umgebung neu zu definieren. Slippery Traces macht sich die organisatorischen<br />

Strukturen der Statistik zu eigen und benutzt sie, um sie für<br />

eine Analyse zu öffnen. Zusätzlich integriert der Ablauf von Navigation<br />

und Sequenzenbildung in Slippery Traces die Form und Funktion von<br />

Datenbankstrukturen als kreatives Werkzeug und unterstreicht eine<br />

philosophische Annäherung an Programmierung als ästhetische Praxis.<br />

Das Interface-Design von Slippery Traces bestimmt den Akt des<br />

Sehens in besonderer Weise. Es unterstützt ein ›forschendes Sehen‹, ein<br />

›Suchen und Erobern‹, einen technologischen Blick im Stil von ›Visionsmaschinen‹<br />

oder wie im Film Terminator veranschaulicht. In dieser<br />

fragmentierten ›Sehumgebung‹, die ständig in Bewegung ist, muß der<br />

Betrachter den Akt des Betrachtens tatsächlich stoppen (durch Einfrieren<br />

der Mausbewegung), um das ganze Bild sehen zu können. Als zentrales<br />

Modell für Slippery Traces fungiert die Bildanalysemaschine aus dem<br />

Film Blade Runner, mit deren Hilfe der Protagonist Deckard in die Fotografien<br />

der Replikanten hineingeht, um nach Spuren zu suchen. Deckard<br />

benutzt eine technische ›Sehprothese‹ 3 , um in das fotografische Bild einzudringen<br />

und durchbricht so die räumlichen Grenzen der traditionellen<br />

Fotografie – er bewegt sich durch das Bild. Er zwingt es, das Gesicht einer<br />

Frau zum Vorschein zu bringen – etwas, das er sucht, das aber anfangs<br />

nicht im Bild war: Er erfindet das Bild neu, um es seinen Wünschen anzupassen.<br />

Ein wichtiger Bezugspunkt für die Erzählweise in Slippery Traces ist<br />

Alain Robbe-Grillets L’année derniére à Marienbad4 , vor allem im Hin-<br />

3. Elissa Marder: ›Blade Runner’s Moving Still.‹ – Camera Obscura, No. 27, September<br />

1991, John Hopkins University Press, S. 102.<br />

4. Letztes Jahr in Marienbad. Frankreich/Italien, 1961. Regie: Alain Resnais, Drehbuch:<br />

Alain Robbe-Grillet (als gleichnamige Buchausgabe in der Übersetzung von Helmut<br />

Scheffel, München, 1961). (Anm. d. Red.)


lick auf die Matrix nicht-linearer Verbindungen. Die Struktur von Slippery<br />

Traces ist inspiriert durch die Art, wie der Film Zeit und Raum umstrukturiert,<br />

so daß Vergangenheit und Gegenwart, hier und dort verwoben<br />

und Bilder in verschiedenen Sequenzen wiederverwendet werden,<br />

um unterschiedliche Bedeutungen zu produzieren. Die Interaktion funktioniert<br />

im wesentlichen dadurch, daß sie dem Betrachter die Entwikklung<br />

der Erzählung in die Hand gibt. Der Betrachter sieht sich – um mit<br />

Robbe-Grillet zu sprechen – in die Lage versetzt, ›das Werk seinerseits zu<br />

erfinden‹.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer<br />

Detaillierte Spuren von Geheimnissen<br />

Von Miklós Peternák<br />

Jede Fotografie ist Teil eines größeren Bildes, das es nicht gibt, nicht<br />

geben kann. Sie rahmt einen einmaligen, unwiederholbaren und doch abbildbaren<br />

Moment der Außenwelt ein, dort und damals, irgendwann und<br />

irgendwo. Der Betrachter, Jedermann, der diese selbstgefertigte oder gekaufte<br />

Ansichtsreliquie besitzt, besitzt sie nur zeitweise: als Gegenstand,<br />

Erinnerung, Abdruck eines unbewußten Wunschbildes, als Erlebnisersatz,<br />

Ansichtsessenz. Die Ansicht kann sich im Bewußtsein auf natürlichem<br />

Weg durch einen zufälligen Eindruck oder durch die bewußte oder<br />

unbewußte Betätigung eines beliebigen Apparates – z.B. eines Fotoapparates<br />

– zu einem Bild formen. Die Bilder, die so zustande gekommen sind,<br />

lassen sich entweder von einer beliebigen Ansicht herleiten oder sie machen<br />

etwas sichtbar, was zuvor (so) nicht sichtbar war. In jedem Fall sind<br />

sie einem zweiten Akt des Sehens ausgesetzt, bei dem das Bild nurmehr in<br />

seiner nicht mehr veränderbaren Form zur Kenntnis genommen werden<br />

183<br />

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184<br />

kann. Wird einem Betrachter ein Bild vorgesetzt, so ist immer er gefragt;<br />

die Repräsentation ist die einzige Möglichkeit, mit der ursprünglichen<br />

Ansicht oder dem Ursprung der Ansichtskonstruktion in Verbindung zu<br />

treten.<br />

Es gibt nicht ein Bild ›im Allgemeinen‹, es kann immer nur ganz konkret<br />

dieses eine, bestimmte Bild geben, über das wir sprechen, das wir in<br />

diesem bestimmten Moment sehen, und es ist dabei ganz unwesentlich,<br />

wieviele an welchem Ort und zu welcher Zeit dieses Bild betrachten oder<br />

betrachtet haben und schon ›dasselbe‹ gesehen haben. Das Bild, das wir<br />

sehen und über das wir sprechen können, ist in jedem Fall Akteur einer<br />

doppelten Beziehung, Element einer Verhältnisgleichung zwischen der<br />

Bildaufnahmesituation, wie sie einmal existierte, und der gegenwärtigen<br />

Bildbetrachtungssituation. Die Spur, der sichtbare Ausschnitt des unwiederholbar<br />

Vergangenen (z.B. die entstehende Fotografie), verhält sich<br />

also zu der bestimmten Situation dort und damals wie die konkrete, nicht<br />

analysierbare Ansichtskomposition (die fertige, vorhandene Fotografie),<br />

zu der von der Konvention bestimmten Interpretation des Betrachters,<br />

die auf das ewig Gegenwärtige trifft. Diese Verhältnisgleichung trifft vermutlich<br />

nur auf das fotografisch hergestellte Bild wirklich zu, und nur<br />

von der Fotografie läßt sich sagen, daß sie der Ausschnitt eines größeren<br />

Bildes ist, das nicht bekannt ist und deshalb auch nicht gedeutet werden<br />

kann. Das Gemälde, die Grafik usw. stellen hingegen ein Ganzes dar –<br />

jedenfalls in der Hinsicht, daß es über die Bildfläche und den Rahmen<br />

hinaus nichts gibt und nichts geben kann.<br />

Derjenige, der das Bild zeigt, ist ebenso wichtig wie der Betrachter:<br />

Was sagen z.B. die Eltern, wenn sie die Fotografie ihres Kindes zeigen,<br />

und was sagt ein Privatsammler, wenn er dasselbe Bild in den Händen<br />

hält? Was sagt ein Fotograf, der seine Aufnahme eines berühmten Gebäudes<br />

zur Vervielfältigung als Ansichtskarte vorschlägt, und was sagt der<br />

Architekt, der das Gebäude entworfen hat, von diesem Bild? Oder was<br />

sagt der Tourist, der auf die Rückseite dieser Ansichtskarte schreibt, daß


er dort war, es gesehen habe – vielleicht ohne sich die Karte überhaupt anzuschauen;<br />

das überläßt er dem Adressaten, dem Leser (›fernsehen‹ dank<br />

postalischer Vermittlung). Der Betrachter ist immer in einer anderen Zeit<br />

als der Zeit des Bildes.<br />

Eine Fotografie ist eine undynamische Beobachtungsform; sie ist Öffentlichkeit<br />

im Geheimen und Verborgenen. Ihre Existenz birgt die Gefahr<br />

in sich, daß nichts mehr vollständig verschwinden kann, sondern sich<br />

vielmehr nur in Raum und Zeit verschiebt und unkontrollierbar wird.<br />

Das Geheimnis kommt ans Licht, damit der Akt des Sehens beobachtet<br />

werden kann und zu einem Rätsel wird. Merkwürdig, daß die Postkarten<br />

– die ja größtenteils gemacht werden, um nicht dort zu sein, wo sie entstanden<br />

sind, sondern um diesen Schauplatz an andere Orte reisen zu lassen<br />

– zu Wächtern jener Zeit werden, die zu diesem Schauplatz gehört.<br />

Der Poststempel und die auf die Karte geschriebenen Zeilen werden zu<br />

einer zufälligen Chronologie des Zeitraums vom in ungewisse Ferne reichenden<br />

›Es war einmal‹ bis zum Heute. Das offenliegende Bild, das zur<br />

Versendung bestimmt ist, ist eines der seltsamsten Bilder: Es wird auf der<br />

Ansichtskarte mit beliebigen banalen persönlichen Nachrichten kombiniert.<br />

Auch wenn die Nachrichten in einige wenige Gruppen sortiert werden<br />

können, bedeuten drei Millionen verschickter Postkarten mit dem<br />

›Diskos von Phaistos‹ doch drei Millionen verschiedene Adressaten.<br />

Die Postbriefkarte und die nachfolgende Ansichtskarte sind ein Produkt<br />

der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. In einem populären<br />

historischen Überblick heißt es: ›Die Idee wurde erstmals 1865<br />

auf dem 5. Deutschen Postkongreß in Karlsruhe von dem preußischen<br />

Rat Dr. Heinrich von Stephan vorgetragen [ ... ]. Er schlug die Einführung<br />

eines Postblattes in der Größe eines Briefumschlages mit eingedrucktem<br />

Postwertzeichen vor.‹ Man verwarf damals den Vorschlag, da man<br />

meinte, die offene Form der Mitteilung stehe im Widerspruch zum garantierten<br />

Postgeheimnis. Die Postkarte setzt sich jedoch durch, und mit der<br />

185<br />

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artintact 3<br />

186<br />

Zeit kommt auf die ursprünglich der Nachricht vorbehaltenen Rückseite<br />

eine Abbildung, die die schriftliche Mitteilung auf die Anschriftenseite<br />

der Karte verdrängt. Das Bild selbst wird also zur Nachricht, schmuggelt<br />

das mißachtete Geheimnis wieder ein, und trägt – sicherer als im Briefumschlag<br />

– auf seiner Rückseite die meist stereotypen Zeilen des Absenders.<br />

Manchmal natürlich verlangt eine Nachricht mehr Platz und kehrt auf die<br />

Bildseite zurück, bricht deren Integrität und gestaltet sie unwillkürlich<br />

wieder zu einer Schreibfläche um.<br />

Heutige Ansichtskarten zeigen fotografisch hergestellte Bilder und<br />

kaum Text, allenfalls eine einfache Ortsbezeichnung. Die Existenz der<br />

Ansichtskarte ist ein unleugbarer Beweis und ein Antrieb für die Kommunikation<br />

zwischen dem ›Ich‹ und der ›Welt‹. Die im Laufe des Jahres<br />

eintreffenden Karten muß man – wenn man sie nicht sofort wegwirft –<br />

irgendwo verstauen, sie hierhin und dorthin legen. Das Ordnen in Gruppen<br />

aber ist eine Minimalform der Systematisierung, das, falls sich der<br />

rechte Zeitpunkt ergibt, unwillkürlich zur Kontextsuche und Kontextbildung<br />

führen kann. Kairos (der Gott des günstigen Zeitpunkts) ist vom<br />

entscheidenden Augenblick nicht zu trennen: Jede Fotografie ist das<br />

Zeichen eines entscheidenden Augenblicks, also ein günstiger Zeitpunkt<br />

zur Antwort. Als einzig richtige Antwort auf unlösbare Gleichungen<br />

kann man wieder nur eine günstige Situation schaffen, und zwar durch<br />

Ordnen und Umgruppieren. Segmentierung und Klassifikation sind aus<br />

der Linguistik bekannte Verfahren, um Bedeutung zu generieren. Da das<br />

Ausgangsmaterial aber kein sprachliches ist, müssen nur die Rahmen<br />

markiert werden. Rahmen können sich nur innerhalb der Bilder befinden;<br />

durch sie läßt sich das Unbegreifbare handhaben: Die markierten –<br />

ausgewählten und gerahmten – Bereiche können nun in einen Dialog<br />

treten, die Gliederung ermöglicht eine klare Zuordnung.<br />

Wo aber befinden sich die Rahmen? Der ursprüngliche Rahmen – der<br />

Bildrand, die Bildgrenze – wirft mehr Fragen und Rätsel auf als Möglichkeiten<br />

der Deutung; das ist das Assoziationsabenteuer des Interpreten.


Die Konvention der analytischen Betrachtung ist an die jeweilige Zeit gebunden<br />

und ändert sich im großen und ganzen alle 150 Jahre. Dieser Zeitraum<br />

läßt sich gerade am Beispiel der Geschichte der Fotografie aufzeigen<br />

und vielleicht auch beweisen. Man kann also behaupten, daß etwa<br />

anderthalb Jahrhunderte erforderlich sind für die Herausbildung bzw.<br />

Veränderung einer visuellen oder semantischen Konvention (gemeint ist<br />

eine Periode, in der die Konvention entsteht, sich ausbreitet, allgemein<br />

akzeptiert wird und parallel dazu sich schon wieder die Ablösung durch<br />

eine neue Konvention abzeichnet, die die vorherige schließlich ganz<br />

ersetzt). Die Authentizität der Fotografie, ihr sogenannter dokumentarischer<br />

Wert, ist dafür ein Beispiel. Seit Erfindung der Fotografie war<br />

Authentizität Gegenstand zahlloser Diskussionen und Interpretationen;<br />

über einen Punkt aber war man sich zumindest bis in die jüngste Zeit<br />

einig: Was auf der Fotografie zu sehen ist, war zum Zeitpunkt und an dem<br />

Ort, an dem die Fotografie aufgenommen wurde, tatsächlich ›vor der Kamera‹,<br />

denn sonst hätte es nicht abgebildet werden können. Diese Konvention<br />

ging mit dem Aufkommen des Computers rettungslos verloren.<br />

Der dokumentarische Wert wird unkontrollierbar und Bezeichnungen<br />

wie ›Fälschung‹ oder ›Manipulation‹ verlieren in diesem speziellen Kontext<br />

und in der gegenwärtigen Periode einer sich ausbreitenden neuen<br />

Konvention ihren Sinn. Alles ist wieder Fiktion, und wenn etwas keine<br />

Fiktion ist, könnte es eine sein. Dies ist die Botschaft des digitalen Bildes,<br />

das nicht überprüfbar ist, aber zu einer Bildgattung gehört, die exakter ist<br />

als alle vorherigen.<br />

So ist also alles beisammen, damit die Slippery Traces entstehen können.<br />

Es gibt nichts schöneres als 230 Ansichtskarten, die ich nie zusammen<br />

sehen kann, sondern nur Teile von ihnen in Gruppen oder Ausschnitte<br />

der einzelnen Bilder, ohne aber an diejenigen Details herankommen zu<br />

können, die sich in den eingefügten Markierungen befinden. Die Bruchstücke<br />

vervollständigen sich durch fortschreitende Fragmentierung;<br />

187<br />

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188<br />

wählt man einen markierten Ausschnitt, verschwindet das Bild, um seinen<br />

Platz einem anderen zu überlassen: die nicht-lineare Logik folgt einer<br />

holistischen Strategie – die Enthüllung von Details wird immer zufälliger,<br />

doch gleichzeitig auch immer konsequenter und weckt so ein Gefühl für<br />

das Ganze und den Wunsch nach Vollständigkeit.<br />

Wir könnten uns fragen, was passiert, wenn wir die Bilder ihres<br />

ursprünglichen historischen Kontextes berauben, sie wiederverwerten/<br />

benutzen, sie neu entdecken und neu einordnen. Doch es dürfte nun klar<br />

sein, daß es den Kontext nie gegeben hat, daß er immer erst gerade jetzt<br />

geschaffen wird. So, wie Geschichte nicht ohne den Geschichtsschreiber,<br />

der sie aufschreibt, existiert, muß auch die Bildgeschichte konstruiert<br />

werden, um die Kommunikation zwischen Welt, Mensch und Bild<br />

bewußt zu machen. Die unfaßbare Anhäufung von Bildern, dieses unartikulierte<br />

Chaos von Ansichtsmonaden, das weder Vorläufer noch<br />

Nachkommen hat, ist nicht uns ausgeliefert, sondern im Gegenteil:<br />

solange wir keinen Kontext schaffen, sind wir die beladenen, chaotischen<br />

Diener der Vergangenheitsentropie. Wenn wir keinen Kontext schaffen,<br />

liegt dies vielleicht daran, daß es einfacher für uns ist, unbemerkt durch<br />

die Finger des Fortschritts von Information/Geschichte zu gleiten, ohne<br />

Spuren zu hinterlassen.<br />

Übersetzung: Hannelore Schmör


Spurensuche und Mise en scène.<br />

Einige Gedanken zur Montage<br />

als offenem Zwiegespräch<br />

zwischen Autor und Zuschauer<br />

Von Andrea Zapp<br />

Vor mir liegt ein zerknittertes, vergilbtes Stückchen Papier. Darauf steht die geheimnisvolle<br />

Notiz: ›Koppelung = P‹ und ›Zusammenprall = E‹. Dies ist die materialisierte Spur eines feurigen<br />

Gefechts zum Thema Montage zwischen mir – E – und Pudowkin – P. Mittlerweile ist<br />

folgendes zum Brauch geworden: In regelmäßigen Abständen kommt er spätabends bei mir<br />

vorbei, und wir fallen hinter verschlossenen Türen übereinander her. So auch hier. Als Zögling<br />

der Kuleschowschen Schule verteidigte er eifrig den Montagebegriff als Koppelung von<br />

Abschnitten. ›Ziegelsteine‹. Ziegelsteine, die in Reihen einen Gedanken darlegen. Ich hielt<br />

ihm meinen Standpunkt über Montage als Zusammenprall entgegen. Ein Punkt, an dem<br />

durch Zusammenprall zweier Gegebenheiten ein Gedanke entsteht. 1<br />

Sergej Eisenstein<br />

Ansichten<br />

Americana, Bild 1, ›Beach Cartoon‹. Eine bunte Comic-Szenerie am<br />

Strand, ich möchte näherschauen, bewege das Fadenkreuz wie ein Zielfernrohr<br />

über die Bildfläche, ein metallisches Stakkato scheint jeden<br />

Millimeter festzuhalten. Ich wähle eine markierte Fläche in der Einstellung,<br />

im Hot Spot eine Bikinischönheit der fünfziger Jahre, ›someone<br />

with specific expectations‹ – die Bildunterschrift verspricht mir weitere<br />

Details. Aber der simplen Logik folgt die Enttäuschung, ich befinde mich<br />

nun über den Dächern einer amerikanischen Stadt, ein Seiltänzer balanciert<br />

die Stange hoch über den Köpfen der Zuschauer. Americana, Bild 2,<br />

›Wire walker‹. Someone with specific expectations? Ich fokussiere die<br />

Menschen am Boden, ›an expecting crowd‹. Und werde in eine Urlaubs-<br />

1. Sergej Eisenstein: ›Jenseits der Einstellung.‹ – Das dynamische Quadrat. Schriften zum<br />

Film, Leipzig, 1988, S. 72–89.<br />

189<br />

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190<br />

landschaft geschleudert, Orangenbäume am Meer, schneebedeckte Berge<br />

im Hintergrund, Americana, Bild 3. Gegenprobe in der abrufbaren<br />

Sequenzdarstellung: Mein bisheriger Weg reiht sich auf; in meiner Vision<br />

von Americana träumt das Pin-up-Girl von einem Mann mit Mut zum<br />

Risiko, im Land wo Milch und Honig fließen …2 Spurensuche<br />

Momentaufnahmen prallen zusammen, ein Gedanke wird zur persönlichen<br />

Ideologie. George Legrady umschreibt seine Arbeit als ein Aufeinandertreffen<br />

der kulturellen und ideologischen Perspektive des Künstlers<br />

mit der des Zuschauers. Die Postkarten spitzen diese Hintergründe zu,<br />

aber vor allem bedeuten sie ihm viel, entstammen offenbar einem persönlichen<br />

Archiv, in welchem romantische Schnappschüsse neben bedeutsamen<br />

Ereignissen ihren Platz eingenommen haben. Welche Bezüge der<br />

Autor hier selbst setzt, läßt sich nur erahnen.<br />

Das Blättern und Entdecken von Menschen, Orten und Plätzen in<br />

Legradys prall gefülltem Album führt zu einem eher metaphorischen und<br />

zufälligen Kontakt mit dem Autor innerhalb der interaktiven Schichten.<br />

Eine Analogie zur Montagetheorie Sergej Eisensteins schält sich heraus,<br />

er betrachtete das Filmemachen grundsätzlich als einen Prozeß, der dem<br />

Zuschauer Material in die Hand gibt und zum eigenen Denken und Handeln<br />

motiviert. Nur so kann sich ein komplexer und intellektueller Dialog<br />

zwischen Zuschauer und Werk entspinnen, eine Ebene, die mithin für die<br />

Konzeption interaktiver Medien eine der ersten Voraussetzungen ist.<br />

Im Fadenkreuz<br />

Die frühe Montagephilosophie Eisensteins allerdings war getragen<br />

vom erzieherischen Duktus, die Aussage als allgemeingültig anzuerken-<br />

2. Die CD-ROM-Version von Slippery Traces beinhaltet die beschriebenen Postkarten nicht<br />

mehr (siehe auch Anm. 2, S. 179). Anm. d. Red.


nen. Die Gestaltungsmomente in Slippery Traces hingegen sind explizit<br />

individuell, sie gehen über eine rein identifikatorische Nähe zum Inhalt<br />

hinaus und weisen dem Zuschauer eine aktive Aufgabe zu: Er übernimmt<br />

sowohl die Rolle des Dramaturgen als auch des Regisseurs und Kameramanns,<br />

die Bildfläche als Navigationsmetapher hebt diesen Tausch bewußt<br />

hervor. Das visuelle Material präsentiert sich im Scrollverfahren und<br />

Zooming als zu erkundendes Terrain, als Set oder Location. Der interaktive<br />

Zugriff verbildlicht sich im Fadenkreuz, welches das umherschauende<br />

Kameraauge repräsentiert, so daß der Zuschauer den gewählten<br />

Aufnahmewinkel plazieren kann. Die reduzierte Tonebene untermalt<br />

und unterstreicht nur diesen einen Vorgang, das Positionieren der Einstellung<br />

und den letztendlichen ›Schuß‹. Die Textinformation bezieht sich<br />

ähnlich einer Drehbuchvorlage auf essentielle Fakten – ›Arabic bride‹,<br />

›Snow-topped mountains‹, ›Hut in the background‹. Zusätzlich läßt sich<br />

der Gesamtaufbau des Bildes und der einzelnen Links, somit der vorgegebene<br />

und aufzulösende Gestaltungshintergrund, lokalisieren und dechiffrieren.<br />

Die dem Zuschauer übertragene Verantwortlichkeit für die eigentliche<br />

Narration – die Erstellung einzelner Sequenzen und Bedeutungszusammenhänge<br />

– kommt der Mise en scène sehr nah. Ein ausgeprägt achronologischer<br />

und episodenhafter Charakter prägt das gesamte Werk und<br />

knüpft so wiederum an filmische Traditionen der assoziativen Montage<br />

an. George Legrady setzt in seinen Erläuterungen einen direkten Bezug<br />

zum fragmentarischen, non-linearen Prozess des Nouvelle Vague-Films.<br />

Und durchbricht darüber hinaus diese Metapher, indem die für den Film<br />

typische Form der Erzählzeit als einem Closed Circuit ad absurdum<br />

geführt wird durch das unendliche, offene und niemals in der gleichen<br />

Konstellation wiederkehrende Navigationsprodukt.<br />

191<br />

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192<br />

Point of View<br />

Und dennoch – die beabsichtigte Zufälligkeit der Sequenzen und das<br />

filigrane und zerstiebende narrative Geflecht individueller Points of View<br />

führen ebenso wieder zurück zur filmischen Sprache – das der Filmwahrnehmung<br />

eigene Potential des stillen Beobachtens schwingt mit in der<br />

detektivischen und fokussierenden Navigation. Der suchende Blick wie<br />

durch ein Schlüsselloch manifestiert sich im Abtasten des Bildes und Aufspüren<br />

der Hot Spots. Das Medium Postkarte übernimmt in seinem<br />

speziellen und privaten Wert für den Künstler eine verstärkende symbolische<br />

Funktion: Der unsichtbare Dialog mit dem Autor anhand persönlich<br />

bedeutsamer Augenblicke, Déjà-vues und vergilbter Lieblingsstücke<br />

erinnert an das unerlaubte Aufziehen von Schubladen, an ein Herumstöbern<br />

in einem visualisierten Tagebuch; Interesse und Neugierde verbinden<br />

sich zu einem unterschwelligen Spannungsbogen.<br />

Grenzüberschreitungen<br />

Slippery Traces ist in vielerlei Hinsicht eine individuelle Reise durch<br />

unterschiedliche Kulturen, Epochen und historische Ereignisse. Die ›Ansichts‹karte<br />

als Abbild und das in der ersten Erkundung des Screens zuweilen<br />

schmerzliche Stoßen an den Bildrand werden bewußt aufgelöst in<br />

der Dynamik der unvorhersehbaren Verknüpfung von Ort und Zeit. Die<br />

Momentaufnahme erscheint nun vielmehr als kultureller Code für ein<br />

fortschreitendes Nomadentum, in dem die Menschen zu virtuellen Wanderern<br />

und die Bilder und Orte flüchtig werden. Die gewählte Form der<br />

Montage als Kollision von Schauplatz, Inhalt und individueller Formgebung<br />

verdichtet und vernetzt räumliche und zeitliche Ebenen und vermag<br />

so aus den Grenzen des Bildrahmens und Informationsrasters auszubrechen.<br />

Und damit in übertragenem Sinne aus vorgefaßten Formen medialer<br />

Sehgewohnheit sowie technologisch und gesellschaftlich abgesteckter<br />

Territorien.<br />

George Legrady sieht die computerisierte Erfassung und Festlegung


von Informationen als derzeit bestimmend für das soziale Dasein. Die ästhetischen,<br />

physischen und psychischen Nahaufnahmen und Grenzüberschreitungen<br />

der ›interactive database‹ in Slippery Traces setzen kreative<br />

und subjektive Kontrapunkte, sowohl für den Autor als auch für den Zuschauer.<br />

So formulieren wir die Anforderungen an ein Szenarium. Der traditionellen Form des<br />

›Drehbuchs‹ mit seinen Einzelnummern wird damit ein gefährlicher Stoß versetzt. Das Szenarium,<br />

das schlimmstenfalls von einem gewöhnlichen Handwerker seines Faches geschrieben<br />

wird, liefert die traditionelle optische Beschreibung dessen, was dem Zuschauer zu<br />

sehen bevorsteht. Das Geheimnis aber liegt darin, durch das Szenarium die Kette der Erlebnisse,<br />

die dem Zuschauer bevorstehen, zu schmieden! 3 Sergej Eisenstein<br />

›Ziegelsteine‹ werden zu Gedankengängen geordnet, die der Zuschauer<br />

goutiert.<br />

›Kettenglieder‹ werden zu realen Ereignissen geschmiedet, die dem<br />

Zuschauer bevorstehen.<br />

›Slippery Traces‹ führen zu imaginären Orten und Bedeutungsgefügen,<br />

die jeder einzelne Zuschauer für sich selbst entdeckt.<br />

3. Sergej Eisenstein: ›Drehbuch? Nein: Kino-Novelle!‹ – Frankfurter Zeitung, 4.2.1930,<br />

S.2. Zit. nach: Theorie des Kinos. Ideologiekritik an der Traumfabrik, Hg. Karsten Witte,<br />

Frankfurt/M., 1972, S. 96–98.<br />

193<br />

artintact 3


Biografische Notizen /Biographical Notes<br />

Künstler / Artists<br />

Geboren 1952 in Pittsburgh, USA, studierte<br />

am Antioch College und am California<br />

Institute of the Arts in Valencia, wo er 1974<br />

den Bachelor of Fine Arts und 1976 den<br />

Master of Fine Arts erhielt. Seine Arbeiten<br />

befinden sich in zahlreichen Sammlungen,<br />

u.a. Centre Georges Pompidou, Paris,<br />

Museum of Modern Art, New York,<br />

Nagoya City Art Museum, Nagoya, ZKM-<br />

Medienmuseum, Karlsruhe und Kiasma<br />

Museum of Contemporary Art, Helsinki.<br />

Ken Feingold wird von der Postmasters<br />

Gallery, New York, vertreten.<br />

Stipendien und Auszeichnungen<br />

(Auswahl) / Selected stipends and<br />

awards<br />

National Endowment for the Arts<br />

(Washington DC), fellowships,<br />

1979/81/88<br />

New York State Council on the Arts,<br />

production awards, 1985/88/91<br />

The Andrew Mellon Foundation, research<br />

fellowship, India, 1982<br />

The McKnight Foundation Fellowship for<br />

Artists, 1984<br />

The Contemporary Art Television Fund,<br />

Ken Feingold<br />

Ken Feingold was born in Pittsburgh, USA,<br />

in 1952. He studied at Antioch College and<br />

received a BFA (1974) and MFA (1976) in<br />

Fine Arts from the California Institute of<br />

the Arts, Valencia. His artworks have been<br />

included in numerous museum collections<br />

– among these, the Centre Georges Pompidou,<br />

Paris, the Museum of Modern Art,<br />

New York, the Nagoya City Art Museum,<br />

Nagoya, the ZKM-Media Museum, Karlsruhe,<br />

and the Kiasma Museum of Contemporary<br />

Art, Helsinki. He is represented by<br />

Postmasters Gallery, New York.<br />

Boston, video production award, 1985<br />

The Bush Foundation Fellowship for<br />

Artists, Southern Asia, 1986<br />

The Checkerboard Foundation, video<br />

postproduction award, 1987<br />

The Jerome Foundation, video installation<br />

production award, 1987<br />

US-Japan Friendship Commission Creative<br />

Artists’ Exchange Program,<br />

research fellowship, Japan, 1988,<br />

undertaken 1990<br />

Bonn Videonale Prize, Bonn, 1992<br />

Interactive Media Festival Awards exhibitions,<br />

Los Angeles, 1994/95<br />

195<br />

artintact 3


artintact 3<br />

196 Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Art, Prix Ars Electronica, Linz,<br />

1996<br />

DNP Internet ’97 Interactive Award,<br />

Tokyo, 1996<br />

Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Media, ID. Magazine, New York,<br />

1997 (artintact 3)<br />

Fundación Telefónica, Vida 3.0 award,<br />

Madrid, 2000<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

Filme / Films<br />

Mechanism Film (Supendulum Camera),<br />

2 min., 16mm, 1970<br />

Room, 3 min., 16mm, 1970<br />

Evidence, 1 min., 16mm, 1972<br />

Text and Context, 7 min., 16mm, 1972–73<br />

Reference Text, 3 min., 16mm, 1972–73<br />

Neutral Density, 8 min., 16mm, 1973<br />

Comparative Anatomy, 10 min., 16mm,<br />

1974<br />

Local Option, 12 min., 16mm, 1974<br />

Subject, 5 min., 16mm, 1974<br />

Four Incidents With Translations, 12 min.,<br />

16mm, 1974<br />

‘With Photos ...’, 9 min., 16mm, 1975<br />

The World Gets a Funny Light this Time of<br />

Day, 18 min., 16mm, 1976<br />

Hysteria, 30 min., 16mm, 1977<br />

Videobänder / Videotapes<br />

Speak Falling, 30 min., 1972<br />

Literal Illustration, 8 min., 1975<br />

In a Vacuum, 4:30 min., 1975<br />

Jumps, 2:30 min., 1975<br />

Secret Life, 11 min., 1978<br />

Narrow Jokes, 13 min., 1978<br />

Water Falling From One World to Another,<br />

36 min., 1980<br />

Purely Human Sleep, 28:43 min., 1980 –81<br />

Allegory of Oblivion, 168:30 min., 1981<br />

Relays that Destroy Instants, 35:15 min.,<br />

1981–1983, comprised of: Snakebite,<br />

0:42 min., 1983; Scattered Witness, 2:40<br />

min., 1982; Hell, 9:19 min., 1981;<br />

Region of Extreme Examples, 8:23 min.,<br />

1981; New Building Under the Water,<br />

11:38 min., 1982<br />

5dim/MIND, 29 min., 1983<br />

The Double, 29 min., 1984<br />

Irony (The Abyss of Speech), 28:50 min.,<br />

1985, Music: Ratso Harris, coproduction<br />

of Contemporary Art Television<br />

Fund, WGBH-TV, Boston and The<br />

Kitchen, New York<br />

India Time, 45:54 min., 1985–87<br />

The Smallest Particle, 7:53 min., 1986–87<br />

In Shadow City, 13 min., 1988, collaboration<br />

with Constance De Jong, Music:<br />

David Behrman, produced by The<br />

Kitchen, New York<br />

Un Chien Délicieux, 18:45 min., recorded<br />

1986, written and edited 1991<br />

La Vida es una Herida Absurda (with Nora<br />

Fisch), 3 min., recorded 1985, written<br />

1989, edited 1995<br />

Installationen / Installations<br />

Subject with Four Footnotes, 1975<br />

A. O. O. P. L. C. I. T. V. V. T. M. (An Object<br />

or Person Left Cooking is the Virtuoso<br />

Violinist Trifling Matter), installation<br />

series, 1976–78<br />

Previews of the Modern World, 1978<br />

Shortwave, 1978<br />

Sexual Jokes, 1979<br />

Red Cell, 1979<br />

Time Bomb, 1979


Ride for the 20th Century, 1979–80<br />

Who Do You Love?, 1980<br />

Signs Nos. 1–15, installation series, 1980–83<br />

July 24, 1895/Sleeping Room, 1983/88<br />

The Lost Soul, 1988<br />

The Surprising Spiral, 1991<br />

Jimmy Charlie Jimmy, 1992<br />

Childhood/Hot & Cold Wars, 1993<br />

where I can see my house from here so we<br />

are, 1993–94<br />

Orpheus, 1996<br />

Interior, 1997<br />

Séance box No.1, 1998–1999<br />

Head, 1999–2000<br />

Sinking Feeling, 2001<br />

If/Then, 2001<br />

Self Portrait as the Center of the Universe,<br />

2001<br />

Einzelausstellungen /<br />

Solo exhibitions<br />

Millennium, film exhibition, New York,<br />

1974<br />

Claire S. Copley Gallery, Los Angeles,<br />

1975<br />

Whitney Museum of American Art, New<br />

York, 1979<br />

Walker Art Center, Minneapolis, 1979<br />

Video Viewpoints: Ken Feingold, The<br />

Museum of Modern Art, New York,<br />

1985<br />

Galerie René Coelho, MonteVideo,<br />

Amsterdam, 1992<br />

Postmasters Gallery, New York, 1999/2001<br />

Gruppenausstellungen und Festivals<br />

(Auswahl) / Selected group exhibitions<br />

and festivals<br />

Southland Video Anthology, Long Beach<br />

Museum of Art, Long Beach, 1975<br />

Artists’ Space, film screening, New York,<br />

1975<br />

Films in exhibitions, Whitney Museum of<br />

American Art, New York, 1975/76<br />

Walker Art Center, Minneapolis, retrospective<br />

film screening, 1978; video<br />

screening, 1983<br />

Biennial Exhibition, Whitney Museum of<br />

American Art, New York, 1983/85/89<br />

Los Angeles Contemporary Exhibitions<br />

(L. A. C. E.), Los Angeles, 1983/91<br />

Film Festival Berlin, Berlin, 1984<br />

Museo Palazzo Fortuny, Venice, 1984<br />

The Institute of Contemporary Art,<br />

Boston, 1984/85/87<br />

Signs, The New Museum of Contemporary<br />

Art, New York, 1985<br />

Videonale Bonn, Bonn, 1986/88/92/94<br />

L’epoque, la mode, la morale, la passion,<br />

Centre Georges Pompidou, Paris, 1987<br />

Contemporary Art in Context, The<br />

Museum of Modern Art, New York,<br />

1988<br />

Image World, Whitney Museum of American<br />

Art, New York, 1988–89<br />

Installations, The Asia Society, New York,<br />

1988<br />

Nagoya City Art Museum, Nagoya, 1990<br />

Dream, The Museum of Modern Art, New<br />

York, 1990<br />

Video Art Internacional, Museo Nacional<br />

de Bellas Artes, Buenos Aires, 1990<br />

Fact/Fiction, The Museum of Modern Art,<br />

New York, 1991<br />

European Media Art Festival, Osnabrück,<br />

1991<br />

197<br />

artintact 3


artintact 3<br />

198<br />

Bitte berühren, ZKM, Karlsruhe, 1992<br />

Kunsthallen Brandts Klædefabrik, Odense,<br />

1992<br />

MUU Media Festival, Helsinki, 1992<br />

Rotterdam Film Festival, Rotterdam, 1992<br />

VideoFest Berlin, Berlin, 1992<br />

Desmontaje: Film, Video/Appropriacion,<br />

Reciclaje, Institut Valencia d’Art<br />

Modern, Valencia, 1993 [touring<br />

exhibition]<br />

Between Word and Image, The Museum of<br />

Modern Art, New York, 1993<br />

American Avante-Garde Film and Video<br />

Programs, Gallery Puskinskaya 10-10,<br />

St. Petersburg, 1993<br />

Iterations: The Digital Image, International<br />

Center of Photography, New York,<br />

1993–94<br />

Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />

1994/95<br />

Homens Surrealismus, Museum of Contemporary<br />

Art, Gent, 1995<br />

Artists and the New Technologies Conference,<br />

Guggenheim Museum Soho, New<br />

York, 1995<br />

Biennale d’Art Contemporain de Lyon,<br />

Lyon, 1995–96<br />

Can You Digit?, Postmasters Gallery, New<br />

York, 1996<br />

Technology in the Nineties, Museum of<br />

Modern Art, New York, 1997<br />

Interact! Key Works of Interactive Art,<br />

Wilhelm Lehmbruck Museum,<br />

Duisburg, 1997<br />

Beware! In Playing the Phantom You<br />

Become One (production of Centre<br />

Georges Pompidou), Documenta X,<br />

Kassel, 1997<br />

Password: Ferdydurke, Postmasters<br />

Gallery, New York, 1997<br />

ICC Biennale ’97, InterCommunication<br />

Centre, Tokyo, 1997<br />

Glut/Fest, Kunsthalle, Dusseldorf, 1998<br />

Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />

Visual Extension – Fantasy and Reality,<br />

National Museum of Contemporary<br />

Art, Seoul, 1998–1999<br />

Dark Room, Museo Universitario Contempránero<br />

de Arte, Mexico City, 1999<br />

Lasipalatsi Film and Media Centre,<br />

Helsinki, 1999<br />

Pacific Film Archive, Berkeley, 1999<br />

net_condition, ZKM, Karlsruhe,<br />

1999–2000<br />

Alien Intelligence, Kiasma Museum of<br />

Contemporary Art, Helsinki, 2000<br />

Cyborg I, Kapelica Gallery, Ljubljana,<br />

2000<br />

Urban Futures, MTN Art Institute,<br />

Johannesburg, 2000<br />

SHIFT-CTRL: Computers, Games & Art,<br />

Beall Center for Art & Technology, UC<br />

Irvine, Irvine, 2000<br />

Video Time, The Museum of Modern Art,<br />

New York, 2000–01<br />

Under the Skin, Wilhelm Lehmbruck<br />

Museum, Duisburg, 2001<br />

In the Field of Letters. The Future of<br />

Literature, Neue Galerie Graz am<br />

Landesmuseum Joanneum, Graz, 2001<br />

Devices of Wonder, J. Paul Getty Museum,<br />

Los Angeles, 2001–02<br />

Website<br />

http://www.kenfeingold.com


Geboren 1954 in Cambridge, Mass.<br />

Installations- und Performance-Künstler,<br />

arbeitet mit den verschiedensten Medien –<br />

von völlig veraltet bis zum neuesten Stand<br />

der Technik. Perry Hoberman wird von der<br />

Postmasters Gallery, New York, vertreten<br />

und lehrt z.Zt. an der School of Visual Arts,<br />

New York.<br />

Stipendien und Auszeichnungen /<br />

Stipends and awards<br />

National Endowment for the Arts (Washington<br />

DC), fellowship, 1984<br />

New York Foundation for the Arts<br />

Fellowship, 1985/89<br />

Engelhart Foundation Award, 1985<br />

Archetype Award for Overall Excellence,<br />

Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />

1995<br />

New York Foundation for the Arts<br />

(Computer Art), New York, 1997<br />

Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Media, ID. Magazine, New York,<br />

1997 (artintact 3)<br />

First prize, arts’_edge prize for interactive<br />

multimedia works, Perth, Australia,<br />

1998<br />

Award of Distinction in Interactive Art,<br />

Prix Ars Electronica, Linz, 1999<br />

Grand Prix, ICC Biennale, Tokyo, 1999<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

Simulcasts, projection installation, 1982<br />

Out of the Picture, 3-D-projection installation,<br />

1983<br />

Smaller Than Life, 3-D-projection performance,<br />

1983<br />

Perry Hoberman<br />

Perry Hoberman was born in Cambridge,<br />

Mass., in 1954. An installation and performance<br />

artist who works with a wide<br />

variety of media ranging from utterly<br />

obsolete to state-of-the-art, he is represented<br />

by Postmasters Gallery, New York.<br />

He currently teaches at the School of Visual<br />

Arts, New York.<br />

Dead Space/Living Rooms, 3-D-projection<br />

installation, 1985<br />

Return to Sender (with Bill Obrecht), 3-Dprojection<br />

performance work, 1985<br />

Seven Wonderful Children We Have Never<br />

Seen (with Haim Steinbach), performance,<br />

1986<br />

Meat and Potatoes, interactive installation,<br />

1986<br />

Inferno, performance, 1987<br />

Revenge of Debris, 3-D-projection performance,<br />

1988<br />

No Salesman Will Call (with Christian<br />

Marclay), performance, 1989<br />

Means of Egress, interactive installation,<br />

1990<br />

Faraday’s Garden, interactive appliance<br />

installation, 1990<br />

Empty Orchestra Café (with SFAI<br />

students), neo-karaoke performance<br />

event, 1991<br />

Interstate, 3-D-projection performance,<br />

1991<br />

Runway, interactive appliance performance,<br />

1992<br />

Zombies, Has-Beens and Excess Baggage,<br />

sculpture installation, 1992<br />

Bar Code Hotel, interactive installation,<br />

1994<br />

Symphonic Appliance Orchestra, machine<br />

performance, 1995<br />

199<br />

artintact 3


artintact 3<br />

200<br />

Faraday’s Islands, interactive appliance<br />

installation, 1995<br />

Cathartic User Interface 1.0 (with Nick<br />

Philip), interactive installation, 1995<br />

Systems Maintenance, interactive installation,<br />

1998<br />

Lightpools o El Ball del Fanalet (with<br />

Galeria Virtual), interactive installation,<br />

1998<br />

Timetable, interactive installation, 1999<br />

C.U.I 2.0 (with Nick Philip), interactive<br />

installation, 2000<br />

ZOMBIAC (Zone Of Monitor-Based<br />

Inter-Amnesiac Contact), interactive<br />

installation, 2000<br />

Workaholic, interactive installation, 2000<br />

Einzelausstellungen /<br />

Solo exhibitions<br />

Out of the Picture, Hallwalls, Buffalo,<br />

New York, 1983<br />

Out of the Picture, Wake Forest University<br />

Fine Arts Gallery, North Carolina,<br />

1983<br />

Inside Out, Galerie Pon, Zurich, 1984<br />

Dead Space/Living Rooms, Capp Street<br />

Project, San Francisco, 1985<br />

Postmasters Gallery, New York,<br />

1985/86/88/90/92/2000<br />

Faraday’s Garden, Museum of Contemporary<br />

Art, Dayton, Ohio, 1991<br />

Bar Code Hotel, Walter Phillips Gallery,<br />

Banff Centre for the Arts, Alberta,<br />

Canada, 1994<br />

Faraday’s Islands, Boston University,<br />

Mass., 1995<br />

Unexpected Obstacles, Otso Gallery,<br />

Espoo, Finland, 1997<br />

Sorry We’re Open, Postmasters Gallery,<br />

New York, 1997<br />

Systems Maintenance/Faraday’s Garden,<br />

Cornerhouse Gallery, Manchester, 1998<br />

Lightpools or El Bal del Fanalet, Fundació<br />

Joan Miro, Barcelona, 1998<br />

Systems Maintenance/Faraday’s Garden,<br />

Ferens Gallery, Kingston-Upon-Hull,<br />

England, 1998<br />

Unexpected Obstacles, ZKM-Media<br />

Museum, Karlsruhe, 1998<br />

Faraday’s Garden, Hull Time Based Arts,<br />

Kingston-Upon-Hull, England, 1999<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

Constructed Color, Hayden Gallery, MIT,<br />

Boston, Mass., 1982<br />

Dark Rooms, Artists Space, New York,<br />

1983<br />

Between Science & Fiction, São Paulo<br />

Biennial, São Paulo, 1985<br />

Modern Machines, Whitney Museum at<br />

Philip Morris, New York, 1985<br />

Biennial Exhibition, Whitney Museum,<br />

New York, 1985<br />

Future Histories: The Impact of Changing<br />

Technology, Anderson Gallery, Richmond,<br />

Virginia, 1985<br />

The Fairy Tale, Artists Space, New York,<br />

1986<br />

CinemaObject, The Kitchen at City<br />

Gallery, New York, 1986<br />

Paintings/Objects, Postmasters Gallery,<br />

New York, 1986<br />

TV Generations, Los Angeles Contemporary<br />

Exhibitions, Los Angeles, 1986<br />

Film in the Cities, Minneapolis,<br />

Minnesota, 1986<br />

Poetic Justice, Ward-Nasse Gallery, New<br />

York, 1988<br />

Springworks, New York Hall of Science,<br />

New York, 1990<br />

The Living Room, San Francisco, 1991


Technorama, Barbara Toll Gallery, New<br />

York, 1992<br />

Art Show, Siggraph ’92, Chicago, Ill., 1992<br />

Machine Culture, Siggraph ’93, Anaheim,<br />

Cal., 1993<br />

Images du Futur 93, Montreal, 1993<br />

Cyber Art, Ars Electronica, Linz, 1994<br />

Resurrections: Objects with New Souls,<br />

William Benton Museum, Hartford,<br />

Connecticut, 1994<br />

Arc Gallery, International Media Festival,<br />

Los Angeles, 1995<br />

CeBIT ‘95, Deutsche Telekom stand,<br />

Hanover, 1995<br />

Electra, Henie-Onstad Art Centre, Oslo,<br />

1996<br />

Le laboratoire, Artifices 4, Saint-Denis,<br />

Paris, 1996<br />

Constriction, Pierogi 2000, Brooklyn, 1996<br />

Can You Digit?, Postmasters Gallery,<br />

New York, 1996<br />

Password: Ferdydurke, Postmasters<br />

Gallery, New York, 1997<br />

The Art of the Accident, DEAF ’98, Rotterdam,<br />

1998<br />

Cyber, Lisbon, 1999<br />

Interaction, ICC Biennal ’99, NTT Inter-<br />

Communication Center, Tokyo, 1999<br />

Cyberarts 99, Ars Electronica, Linz, 1999<br />

Beyond Technology, Brooklyn Museum of<br />

Art, New York, 1999<br />

Perspective, c 3 , Müscarnok, Budapest,<br />

1999<br />

Vision Ruhr, Dortmund, 2000<br />

Alien Intelligence, Kiasma Museum of<br />

Contemporary Art, Helsinki, 2000<br />

Microwave Festival, Hong Kong, 2000<br />

Website<br />

http://www.perryhoberman.com<br />

201<br />

artintact 3


artintact 3<br />

202<br />

Geboren 1950 in Budapest, kanadischer<br />

Staatsbürger seit 1961, lebt seit 1981 in<br />

Kalifornien. Von 1996 bis 2000 war<br />

Legrady Professor für elektronische<br />

Medien an der Merz Akademie in Stuttgart,<br />

z. Zt. ist er Professor für Digitale Medien an<br />

der University of California, Santa Barbara.<br />

Zuvor war er u.a. an der University of<br />

Southern California, am California Institute<br />

for the Arts in Los Angeles und an der<br />

University of Western Ontario in London,<br />

Kanada, tätig. Seine künstlerischen und<br />

wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen<br />

sich mit den kulturellen Auswirkungen der<br />

Technologieentwicklung im Hinblick auf<br />

Repräsentation und Gesellschaft. Er<br />

begann seine künstlerische Karriere 1970<br />

mit Fotografie, lernte 1981 Computerprogrammierung<br />

und verband beides Mitte der<br />

8oer Jahre. Seit 1992 entwickelt er alle<br />

Arbeiten mit interaktiven Medien.<br />

Jüngste Stipendien und Auszeichnungen<br />

(Auswahl) / Selected recent<br />

stipends and awards<br />

Honourable Mention, distinction<br />

Computer Graphics, Prix Ars<br />

Electronica, Linz, 1988<br />

Canada Council Computer-Aided Media<br />

Award, 1992/93, 1994/95, 1997/98<br />

Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Art, Prix Ars Electronica, Linz,<br />

1994<br />

New Voices, New Visions prize, Voyager<br />

Co., Wired and Interval Research, 1994<br />

Visual Artist Fellowship, National Endowment<br />

for the Arts, Washington, 1994<br />

George Legrady<br />

George Legrady, who was born in Budapest<br />

in 1950, has been a Canadian citizen<br />

since 1961, and resident of California since<br />

1981. From 1996 to 2000, he was Professor<br />

of Electronic Media at the Merz Academy<br />

in Stuttgart, and currently holds a position<br />

as Professor of Digital Media at the University<br />

of California, Santa Barbara. Prior<br />

appointments include: University of<br />

Southern California and California Institute<br />

of the Arts in Los Angeles, University<br />

of Western Ontario in London, Canada.<br />

His work and research have focused on the<br />

cultural impact of emerging technologies<br />

on representation and the social environment.<br />

He took up photography in the early<br />

1970s, learned computer programming in<br />

1981 and integrated the two in the mid-<br />

1980s. Since 1992, all his work has been in<br />

interactive media.<br />

Artslink, National Endowment for the<br />

Arts, Washington, 1996<br />

Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Media, ID. Magazine, New<br />

York, 1997 (artintact 3)<br />

Residency, Akademie Schloss Solitude,<br />

Stuttgart, 1997<br />

Residency, c 3 Media Center for Culture<br />

and Communication, Budapest, 1998<br />

international media art award, ZKM,<br />

Karlsruhe, 2000 (nomination)<br />

The Daniel Langlois Foundation for Art,<br />

Science and Technology, Montreal,<br />

2000


Installationen (Auswahl) / Selected<br />

installation works<br />

Equivalents II, interactive computer<br />

installation with text and four dyptichs<br />

(eight digital prints), 1992–94<br />

An Anecdoted Archive from the Cold War,<br />

interactive laser disk and CD-ROM<br />

installation, 1994<br />

[the Clearing], interactive work on disks,<br />

1994<br />

Slippery Traces, interactive installation and<br />

CD-ROM, 1996<br />

Tracing, interactive installation, 1997–98<br />

A Sense of Place, interactive installation,<br />

1998<br />

Transitional Spaces, interactive installation,<br />

1999<br />

Pockets Full of Memory, online and museum<br />

installation, 2001<br />

Ebner, Stolz & Partners Project, installation<br />

for Ebner, Stolz & Partners, Stuttgart,<br />

2001<br />

Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected solo exhibitions<br />

George Legrady: Interactive Media Art,<br />

Rovaniemi Art Museum, Rovaniemi,<br />

Finland, 1995<br />

Open Space Gallery, Ansel Adams Center,<br />

San Francisco, 1996<br />

George Legrady: From Analogue to<br />

Digital, National Gallery of Canada,<br />

Ottawa, 1997<br />

Tracing, Kunst- und Ausstellungshalle der<br />

Bundesrepublik Deutschland,<br />

MedienKunstRaum, Bonn, 1997–98<br />

Canadian Museum of Contemporary<br />

Photography, Ottawa, 1998<br />

Tracing, Museum of Contemporary Art,<br />

Los Angeles, 1998<br />

Transitional Spaces, Rotunde, Siemens<br />

Headquarters, Munich, 1999<br />

Los Angeles Metro Rail Commission, 2001<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

Digital Photography, San Francisco<br />

Camera Works, San Francisco, [touring]<br />

1988–89<br />

Fotografie, Wissenschaft, Neue Technologien,<br />

Kunstmuseum Dusseldorf,<br />

1989–90<br />

Les Hypermédias: revue virtuelle, Centre<br />

Georges Pompidou, Paris, 1994<br />

Artifices 3, Saint-Denis, Paris, 1994<br />

ISEA ’94, Helsinki Museum of Contemporary<br />

Art, Helsinki, 1994<br />

New Langton Arts Gallery, San Francisco,<br />

1994<br />

Fifteen Years of Ars Electronica, Ars<br />

Electronica ‘94, Landesmuseum, Linz,<br />

1994<br />

Iterations: The Digital Image, International<br />

Center for Photography, New York,<br />

1994<br />

In|Out of the Cold, Center for the Arts,<br />

Yerba Buena Gardens, San Francisco,<br />

1994<br />

Obsessions: from Wunderkammer to<br />

Cyberspace, Rijksmuseum Twenthe,<br />

Enschede, 1995<br />

ISEA ’95, Montreal, 1995<br />

V2 Festival, Rotterdam, 1995<br />

VideoFest, Berlin, 1995<br />

Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />

1995<br />

6th Fukui International Video Biennale,<br />

Fukui, Japan, 1995<br />

The Butterfly Effect, Soros Center for<br />

Contemporary Art, Mücsarnok,<br />

203<br />

artintact 3


artintact 3<br />

204<br />

Museum of Fine Arts, Budapest, 1995<br />

Biennale d’Art Contemporain de Lyon,<br />

Lyon, 1995–96<br />

Photography After Photography, Siemens<br />

Kultur Programm, Munich, [touring]<br />

1995–97<br />

European Media Art Festival, Osnabrück,<br />

1996<br />

Everybody’s Talking, Gemeente Museum<br />

Helmond, Helmond, Netherlands,<br />

1996<br />

Can You Digit?, Postmasters Gallery, New<br />

York, 1996<br />

Das digitale Wort, Word Up Festival,<br />

Vienna, 1996<br />

Deep Storage, Haus der Kunst, Munich,<br />

[touring] 1996–98<br />

Burning the Interface, Museum of Contemporary<br />

Art, Sydney, [touring]<br />

1996–98<br />

Selected Memories, Palais des beaux-arts de<br />

Bruxelles, Brussels, 1997<br />

Dawn of the Magicians, National Gallery,<br />

Prague, 1998<br />

Verbindingen / Jonctions, Palais des beauxarts<br />

de Bruxelles, Brussels, 1998<br />

Anticipation – Version 5.0, Centre d’art<br />

contemporain, Saint-Gervais, Geneva,<br />

1999<br />

Interactive Frictions, University of Southern<br />

California, Los Angeles, 1999<br />

Contact Zones, Cornell University, Ithaca,<br />

NY, [touring] 1999–2000<br />

ISEA, Ecole Nationale des Beaux-Arts,<br />

Paris, 2000<br />

Pockets Full of Memories, Centre<br />

Beaubourg/Pompidou, Paris, 2001<br />

New Media, Klaus Peter Goebel Gallery,<br />

Stuttgart, 2001<br />

Website<br />

http://www.georgelegrady.com


Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Autoren /Authors<br />

Annika Blunck studierte Kunstgeschichte<br />

(MA, Freie Universität Berlin) und ist Mitarbeiterin<br />

des Social Interface Design<br />

Teams bei Philips Design, Niederlande. Sie<br />

konzipierte zuvor verschiedene Projekte<br />

für internationale Medienkunstausstellungen<br />

und war von 1995 bis 2001 wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin am ZKM-Institut<br />

für Bildmedien, wo sie an verschiedenen<br />

interdisziplinären, EU-finanzierten Forschungsprojekten<br />

arbeitete. Ihr Interesse<br />

gilt der 3D-Visualisierung von Information,<br />

der Beziehung von realen und digitalen<br />

Welten sowie der Evaluation interaktiver<br />

Installationen im Hinblick auf die<br />

verwendete Informationstechnologie.<br />

Geboren 1958 in Helsinki, Gastprofessor<br />

an derUniversityof California,Los Angeles<br />

(UCLA), Department of Design | Media<br />

Arts. Erkki Huhtamo arbeitet als Forscher,<br />

Dozent und Kurator im Bereich der<br />

Medienkultur. Er publizierte zahlreiche<br />

Studien über die Geschichte der Medien<br />

und die Ästhetik der Medienkunst, hält<br />

weltweit Vorlesungen und realisierte<br />

Fernsehserien für das finnische Fernsehen.<br />

Als Kurator war er für wichtige Medien-<br />

Annika Blunck<br />

Erkki Huhtamo<br />

Annika Blunck (MPhil. in art history, Freie<br />

Universität Berlin) is member of the Social<br />

Interface Design Team at Philips Design in<br />

the Netherlands. Before joining Philips Design<br />

she developed a number of different<br />

projects for international media-art exhibitions.<br />

From 1995 to 2001, she worked as research<br />

associate at the ZKM-Institute for<br />

Visual Media on a number of interdisciplinary<br />

research projects funded at European<br />

level. Her interest focuses on 3-D information<br />

visualization, the relationship between<br />

physical and digital worlds, and the evaluation<br />

of interactive installations in relation to<br />

Information Technology.<br />

Born in Helsinki in 1958, Erkki Huhtamo is<br />

an associate professor at the Department of<br />

Design | Media Arts, University of California,<br />

Los Angeles (UCLA). A researcher,<br />

educator and curator working in the field of<br />

media culture, he has published numerous<br />

studies on media history and the aesthetics<br />

of media art, lectured widely around the<br />

world, and has written and directed television<br />

series for Finnish television. His curatorial<br />

credits include major media-art exhi-<br />

205<br />

artintact 3


artintact 3<br />

206<br />

kunstausstellungen verantwortlich, u.a. für<br />

die Retrospektiven zu Toshio Iwai (1994),<br />

Perry Hoberman (1997) und Paul DeMarinis<br />

(2000) sowie für die Gruppenausstellung<br />

Alien Intelligence (2000). Huhtamo<br />

arbeitet derzeit an einem Buch zur Medienarchäologie<br />

(MIT Press).<br />

Peter Lunenfeld gründete ›mediawork: The<br />

Southern California New Media Working<br />

Group‹ und ist Professor am Graduiertenprogramm<br />

für Mediendesign am Art<br />

Center College of Design, Pasadena. Er ist<br />

Autor von Snap to Grid: A User’s Guide to<br />

Digital Arts, Media, and Culture (2000),<br />

und Herausgeber von The Digital Dialectic:<br />

New Essays on New Media (1999). Er<br />

ist verantwortlicher Redakteur der Publikationsreihe<br />

Mediawork Pamphlets (MIT<br />

Press), die sich mit den Schnittstellen von<br />

Kunst, Technologie und utopischem<br />

Unternehmertum beschäftigt.<br />

George Legrady<br />

siehe Seite 202 see page 202<br />

Peter Lunenfeld<br />

bitions, such as retrospectives devoted to<br />

Toshio Iwai (1994), Perry Hoberman<br />

(1997) and Paul DeMarinis (2000) and the<br />

group show Alien Intelligence (2000). He is<br />

currently working on a book about media<br />

archaeology (MIT Press).<br />

Peter Lunenfeld is the founder of ‘mediawork:<br />

The Southern California New<br />

Media Working Group’. He is a professor<br />

in the Media Design graduate programme<br />

at the Art Center College of Design,<br />

Pasadena. Author of Snap to Grid: A<br />

User’s Guide to Digital Arts, Media, and<br />

Culture (2000), and editor of The Digital<br />

Dialectic: New Essays on New Media<br />

(1999), he is the editorial director for the<br />

Mediawork Pamphlets series (MIT Press)<br />

on the intersections of art, technology and<br />

utopian entrepreneurship.


Geboren 1956 in Esztergorn, Ungarn, lebt<br />

in Budapest. Miklós Peternák war von<br />

1981–87 Mitglied des Béla-Balázs-Studios,<br />

Budapest, arbeitete von 1981–83 an der<br />

Ungarischen Nationalgalerie und von<br />

1983–87 am Forschungsinstitut für Kunstgeschichte<br />

der Ungarischen Akademie der<br />

Wissenschaften. Seit 1991 leitet er das<br />

Intermedia-Institut an der Akademie der<br />

Schönen Künste und seit 1997 die Stiftung<br />

c 3 : Center for Culture and Communication,<br />

Budapest. Zahlreiche Film- und<br />

Videoproduktionen sowie Artikel- und<br />

Buchveröffentlichungen.<br />

Geboren 1944 in Odessa, studierte Literatur,<br />

Film, Mathematik, Medizin und<br />

Philosophie in Wien und Paris. Durch seine<br />

Aktivitäten als Künstler, Ausstellungskurator<br />

und Kunst- und Medientheoretiker<br />

wurde er zu einer zentralen Figur der<br />

europäischen Medienkunst. Peter Weibel<br />

hat zahlreiche Bücher und Essays über die<br />

Geschichte und Zukunft der visuellen<br />

Medien veröffentlicht und seit 1976 an<br />

vielen Universitäten und Akademien in<br />

Europa und den USA gelehrt. Er leitete<br />

von 1984 bis 1989 das Media Department<br />

der New York University, Buffalo, und<br />

gründete 1989 das Institut für neue Medien<br />

an der Städelschule in Frankfurt/Main. Von<br />

1986 bis 1995 war er künstlerischer Berater<br />

und später künstlerischer Leiter der Ars<br />

Electronica Linz, von 1993 bis 1998<br />

künstlerischer Leiter der Neuen Galerie am<br />

Landesmuseum Joanneum in Graz und<br />

1993–99 Österreich-Kommissar der<br />

Biennale von Venedig. Seit 1999 ist Peter<br />

Weibel Vorstand des ZKM Karlsruhe.<br />

Miklós Peternák<br />

Peter Weibel<br />

Miklós Peternák was born in Esztergom,<br />

Hungary, in 1956. He was a member of the<br />

Béla-Balázs-Studio, Budapest (1981–87),<br />

worked at the Hungarian National Gallery<br />

(1981–83) and at the Research Institute for<br />

Art History at the Hungarian Academy of<br />

Sciences (1983–87). Since 1991, he has been<br />

head of the Intermedia Department at the<br />

Hungarian Academy of Fine Arts, and<br />

since 1997 director of c 3 : Center for<br />

Culture and Communication Foundation,<br />

Budapest. He has produced several films<br />

and videos and published numerous<br />

articles and books. He lives in Budapest.<br />

Born in Odessa in 1944, Peter Weibel<br />

studied literature, medicine, logic, philosophy<br />

and film in Paris and Vienna. He<br />

became a central figure in European media<br />

art on account of his various activities as<br />

artist, media theorist and curator. Peter<br />

Weibel has published numerous books and<br />

essays on the history and future of visual<br />

media, and since 1976 has lectured widely<br />

at universities and academies in Europe and<br />

the US. After heading the digital arts<br />

laboratory at the Media Department of<br />

New York University in Buffalo from 1984<br />

to 1989, he founded the Institute of New<br />

Media at the Städelschule in Frankfurt-on-<br />

Main in 1989. Between 1986 and 1995, he<br />

was in charge of the Ars Electronica in<br />

Linz as artistic consultant and later artistic<br />

director, and from 1993 to 1998 he was<br />

curator at the Neue Galerie Graz. He<br />

commissioned the Austrian pavilions at the<br />

Venice Biennale from 1993 to 1999. Peter<br />

Weibel has been Chairman and CEO of the<br />

ZKM Karlsruhe since 1999.<br />

207<br />

artintact 3


artintact 3<br />

208<br />

Geboren in Deutschland, lebt zur Zeit in<br />

Manchester und arbeitet als Dozentin und<br />

Medienkünstlerin. Ihre Projekte beschäftigen<br />

sich mit digitalen Netzwerken als<br />

Modell für digitales Drama und für Benutzerbeteiligung.<br />

Andrea Zapp studierte<br />

Film- und Medientheorie sowie russische<br />

Sprache und Literatur (MA 1990). Sie<br />

unterrichtete an der Hochschule für Film<br />

und Fernsehen, Babelsberg, sowie in<br />

Lehraufträgen an den Universitäten<br />

Marburg, Leipzig, Liverpool u.a. und ist<br />

Co-Herausgeberin von New Screen Media.<br />

Cinema/Art/Narrative (Buch und DVD,<br />

British Film Institute London/ZKM<br />

Karlsruhe, 2001). Informationen über ihre<br />

Aktivitäten sind unter zu<br />

finden.<br />

Andrea Zapp<br />

Born in Germany, Andrea Zapp currently<br />

lives in Manchester and works as a lecturer<br />

and media artist. Her projects focus on<br />

digital networks as a model for digital<br />

drama and user participation. After studying<br />

film and media theory, Russian language<br />

and literature, she taught at the<br />

Academy for Film and Television in<br />

Babelsberg and was a guest lecturer at<br />

universities including Marburg and Leipzig<br />

in Germany and Liverpool in Britain. She is<br />

co-editor of New Screen Media. Cinema<br />

/Art/Narrative (book and DVD,<br />

British Film Institute London/ZKM<br />

Karlsruhe, 2001). Her activities are documented<br />

at .


Herausgeber /<br />

Publisher<br />

ZKM / Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Konzept / Concept<br />

Jeffrey Shaw<br />

Redaktion / Editor<br />

Astrid Sommer<br />

Gestaltung / Design<br />

Holger Jost<br />

Übersetzungen /<br />

Translators<br />

Angelika Haarkamp<br />

Thomas Morrison<br />

Emma Roper-Evans<br />

Hannelore Schmör<br />

Astrid Sommer<br />

Englisches Lektorat /<br />

English proofreading<br />

Thomas Morrison<br />

Impressum /Colophon<br />

CD-ROM-Produktion /<br />

CD-ROM production<br />

Volker Kuchelmeister<br />

Mitarbeit / assisted by:<br />

Kevin Mc Tavish<br />

Wolfgang Münch<br />

Titel-Animation /<br />

Title animation<br />

Holger Jost<br />

Soundtrack:<br />

Torsten Belschner<br />

(Kooperation ZKM/<br />

Institut für Musik<br />

undAkustik)<br />

© 2002 der Essays bei den<br />

Autoren und ZKM Karlsruhe<br />

/ Essays © 2002 by the<br />

authors and ZKM Karlsruhe<br />

© 2002 der Werke bei den<br />

Künstlern / Artworks<br />

© 2002 by the artists<br />

© 2002 der Screenshots bei<br />

den Künstlern / Screenshots<br />

© 2002 by the artists<br />

209<br />

artintact 3


artintact 4<br />

CD-ROMagazin<br />

interaktiver Kunst<br />

ZKM/Zentrum<br />

für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Artists’interactive<br />

CD-ROMagazine<br />

ZKM/Center<br />

for Art and Media<br />

Karlsruhe<br />

Hatje Cantz [1997/2002]


artintact 4<br />

Inhalt<br />

215<br />

Editorial<br />

217<br />

Theater der<br />

Erinnerung<br />

John G. Hanhardt<br />

Marina Grˇzinić&<br />

Aina S ˇ mid: Troubles with<br />

Sex, Theory & History<br />

231<br />

Geschlecht,<br />

Geschichte, (Sub-)<br />

Kultur: Eine Revision<br />

Kathy Rae Huffman<br />

239<br />

Troubles with Sex,<br />

Theory & History<br />

oder Videoprozesse<br />

der Wiederaneignung<br />

Marina Grˇzinić


Dieter Kiessling:<br />

Continue<br />

249<br />

Unsichtbare Medien<br />

Carina Plath<br />

258<br />

Verweiser<br />

Astrid Sommer<br />

Anja Wiese :<br />

trance machine<br />

263<br />

Medien-<br />

Impressionismus<br />

Tilman Baumgärtel<br />

277<br />

Biografische Notizen:<br />

Künstler<br />

287<br />

Biografische Notizen:<br />

Autoren<br />

290<br />

Impressum<br />

artintact 4


In allen Fiktionen entscheidet sich ein<br />

Mensch angesichts verschiedener Möglichkeiten<br />

für eine und eliminiert die<br />

anderen; im Werk des schier unentwirrbaren<br />

Ts’ui Pên entscheidet er sich –<br />

gleichzeitig – für alle. Er erschafft so verschiedene<br />

Zukünfte, verschiedene Zeiten,<br />

die ebenfalls auswuchern und sich verzweigen.*<br />

Jorge Luis Borges<br />

1941 imaginiert Borges nicht nur die Auflösung<br />

des linearen Erzählens im ›unendlichen<br />

Buch‹, sondern geradezu prophetisch<br />

die Wucherungen des nicht-linearen Erzählens.<br />

Als Literat und Archivar hätte<br />

Borges gewußt, daß sich für zukünftige<br />

Generationen auch eine unscheinbare CD-<br />

ROM als von unschätzbarem (Sammler-)<br />

Wert erweisen kann, so sie denn einen<br />

Schatz birgt. Zur Eröffnung des eigenen<br />

Hauses im Oktober 1997 kann das ZKM/<br />

Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />

inzwischen auf eine Sammlung von Kunstschätzen<br />

ganz spezieller Art blicken: artintact<br />

ist eines der wenigen originären Beispiele<br />

spezifischer Konzepte für das<br />

Medium CD-ROM, wie sich immer deutlicher<br />

zeigt. Was sich bei der zweiten Ausgabe<br />

noch als ›kleine Galerie‹ darstellte, ist<br />

mit nunmehr vier Editionen ein facettenreicher<br />

Querschnitt der Medienkunst. Jede<br />

Edition wirft ein anderes Licht auf Ideen<br />

und Konzepte künstlerischer Praxis angesichts<br />

der vielfältigen Verzweigungen, die<br />

das Medium programmatisch bietet.<br />

Das ZKM widmet sich dezidiert dem Experimentieren/Produzieren<br />

und dem Sammeln.<br />

Dieses auch kritisch zu reflektieren<br />

und diskutierend zu begleiten, darin liegt<br />

der Erfolg von vier Jahren artintact. Der<br />

Editorial<br />

Internationale Videokunstpreis, von ZKM<br />

und Südwestfunk ebenfalls im jährlichen<br />

Turnus vergeben, kann 1997 auf eine sechsjährige<br />

Tradition zurückblicken. Im Zuge<br />

der diesjährigen Öffnung des Preises auch<br />

für CD-ROM und Internet-Kunst fügt es<br />

sich aufs beste, daß diese beiden ZKM-<br />

Initiativen zur Förderung und Verbreitung<br />

von Medienkunst nun eine synergetische<br />

Verbindung eingehen, denn mit Dieter<br />

Kiessling und Marina Grzˇinić &Aina Sˇ mid<br />

sind ehemalige Preisträger vertreten, wobei<br />

letztere mit ihrem Werk für artintact endlich<br />

den ihnen bereits 1993 zugesprochenen<br />

Förderpreis umsetzen konnten.<br />

Die Erzählung als die Realisation einer<br />

zeitlichen Folge von Ereignissen wird im<br />

barocken Universum der beiden Sloweninnen<br />

Grzˇinić & Sˇ mid zu einem lehrreichen<br />

Pfad durch die europäische Geschichte.<br />

Dieter Kiesslings minimalistische Konzeptkunst<br />

operiert mit dem Dualismus linearen<br />

Erzählens, das nur immer neue Anfänge<br />

kennt. Anja Wieses Semantik aus Licht und<br />

Ton ist dagegen eher raumbezogen und ein<br />

weiteres Beispiel der Modifikation eines<br />

Installationsprojekts für die interaktive<br />

Fläche. Bei allen Künstlern handelt es sich<br />

um Premieren insofern, als sie hier erstmals<br />

interaktive Kunstwerke geschaffen haben –<br />

die jedoch nicht so sehr spielerisch als vielmehr<br />

kritisch die Parameter unserer Entscheidung<br />

für einen bestimmten Weg in der<br />

Zeit und im Raum analysieren.<br />

Rudolf Frieling<br />

Kurator der ZKM/Mediathek 1994–2001<br />

* Jorge Luis Borges: ›Der Garten der<br />

Pfade, die sich verzweigen.‹ – Fiktionen.<br />

Erzählungen, Frankfurt/M., 1992, S. 86.<br />

215<br />

artintact 4


Theater der Erinnerung:<br />

Film und Video in einem Zeitalter<br />

der Neuen Medien<br />

Von John G. Hanhardt<br />

Die folgenden Bemerkungen bieten eine historisch-kritische Reflexion<br />

des Anspruchs der Neuen Medien auf eine Vorrangstellung vor den dominierenden<br />

Medien unserer Zeit: Film und Video. Wir befinden uns<br />

heute in einer Übergangsperiode, in der Kommunikationsmedien und<br />

-technologien Autorität und kulturelle Präsenz über ihren Ursprung im<br />

Kino und dessen einflußreiche Stellung erhalten. Die deutliche historische<br />

und theoretische Spur, die Film und Video in diesem Jahrhundert<br />

hinterlassen haben, kann in einem breitgefächerten Spektrum ihrer Geschichte<br />

als ästhetischer Diskurs gesehen werden, der sowohl Formen populärer<br />

Unterhaltung als auch der Avantgarde-Bewegung, die ich hier<br />

diskutieren möchte, einbezieht.<br />

Am Ende des 20. Jahrhunderts sind verschiedene Medien ins Blickfeld<br />

von Künstlern wie kapitalistischem Markt gerückt. Ein Beispiel dafür ist<br />

die Holografie, die, obwohl Teil der Installationskunst, niemals als eigenständiges<br />

Medium kreativen Ausdrucks akzeptiert wurde – von einigen<br />

wenigen Künstlern abgesehen. Obwohl in Wissenschaft und Militär,<br />

Kommerz und Unterhaltung eingesetzt, ist es dem Medium Holografie<br />

nicht gelungen, sich als eine nützliche, multi-diskursive Form, die auch in<br />

der Kunstwelt berücksichtigt wird, zu konstituieren. Vielleicht werden in<br />

Zukunft Wissenschaft, Technologie und Populärkultur einen Rahmen<br />

und Kontext etablieren, in dem die Holografie ihren Platz hat und in dem<br />

sie auch als künstlerisches Medium eingesetzt wird. Bislang betrachten<br />

wir die Holografie als ein Medium, das, von wenigen individuellen Aus-<br />

217<br />

artintact 4


artintact 4<br />

218<br />

nahmen abgesehen, lediglich eine spezialisierte Technologie ohne kritischen<br />

Kontext, ohne ausgereiften ästhetischen Diskurs geblieben ist.<br />

Die Herausforderungen an jedes neue Medium sind komplex und<br />

vielfältig: Es muß durch ein Gefüge von Fertigkeiten, durch die Präsenz<br />

einer Reihe von anerkannten Werken Autorität herstellen und durch die<br />

dialektische Verbindung von Künstler und Medium eine Sprache, eine<br />

spezifische Ausdrucksweise entwickeln. Dies entsteht in einem Prozeß,<br />

in dem die Vision des Künstlers das Medium transformiert und einen<br />

überzeugenden Diskurs entfaltet, der in der Lage ist, eine Verbindung zu<br />

den visuellen und linguistischen Sprachen der Kultur herzustellen – nicht<br />

nur durch Zitieren und Aneignen, sondern durch die Schaffung von Präsenz<br />

und durch die Einbeziehung der Imagination. Um einen ästhetischen<br />

Diskurs zu ermöglichen, müssen die spezifischen Eigenschaften<br />

des Mediums die Bildgestaltung bestimmen, sie müssen das Werk formen,<br />

so daß eine intertextuelle und komplexe Verbindung innerhalb und zwischen<br />

den visuellen, performativen und zeitabhängigen Künsten entstehen<br />

kann. Diese Transaktionen, deren Zeuge der Betrachter ist und an denen<br />

er teilhat, ermöglichen eine Reflexion über die Art und Weise, wie wir<br />

die uns umgebende Welt sehen und verstehen.<br />

Ein sinnvoller ästhetischer Diskurs kann sich nur dann entwickeln,<br />

wenn die CD-ROM kognitive Bedeutung aufgrund ihrer spezifischen<br />

Eigenschaften entfaltet: der komprimierten Zeit, der Mischung von stehenden<br />

und bewegten Bildern, der Integrierung von Ton, der intertextuellen<br />

Bewegung innerhalb des illusionistischen Raumes des Bildschirms,<br />

der direkten, interaktiven Beteiligung des Betrachters, um nur einige zu<br />

nennen. Die CD-ROM befindet sich an einem kritischen Punkt innerhalb<br />

der Entwicklung von Technologien der Kommunikation und Bilderzeugung.<br />

Sie hat die Möglichkeit, die Medienkünste des nächsten Jahrhunderts<br />

zu beeinflussen und zu erweitern – aufgrund ihrer Eigenschaft,<br />

einen interaktiven Austausch mit dem Betrachter zu initiieren. Mit jedem<br />

Betrachten müssen wir nicht nur Neues über den Text, sondern auch über


uns selbst erfahren können. Bislang ist die CD-ROM lediglich ein Instrument,<br />

eine Technologie, und wegen ihrer eingeschränkten Verbreitung<br />

und Zugänglichkeit ist sie ein Diskurs, an dem nur wenige teilhaben können.<br />

Herausragende Beispiele künstlerischer CD-ROM-Projekte deuten<br />

aber darauf hin, daß die CD-ROM durchaus ein kreatives Medium sein<br />

kann. Darüberhinaus wird sie in erster Linie im Kontext von Lehre und<br />

Museum eingesetzt, denn ihre Möglichkeiten im Hinblick auf Reproduktion<br />

und Didaktik sind offensichtlich. Um aber zu einem eigenständigen<br />

ästhetischen Diskurs zu werden, muß die CD-ROM Teil eines größeren<br />

Projektes sein, das die Imagination des Individuums wie der Gesellschaft<br />

anregt und unterstützt. Film und Video haben das im Laufe ihrer langen<br />

und komplexen Geschichte erreicht, und alle neuen Medien werden zur<br />

Zeit an dem historischen Paradigma dieser dominierenden Medien des<br />

bewegten Bildes gemessen.<br />

Die CD-ROM muß durch radikale Transformationen oder durch die<br />

Bereicherung der Traditionen der Expression eine Verbindung zur Welt<br />

herstellen, zu der sie einen Beitrag leistet. Andernfalls wird es der CD-<br />

ROM wie dem Hologramm ergehen, das noch auf seinen großen Auftritt<br />

wartet oder aber ganz im Archiv technologischer Experimente verschwinden<br />

wird. Die CD-ROM darf nicht bloß eine Leseerfahrung wiederholen<br />

oder sich als imaginäre Wunderkammer (im Orig. dt.) betrachten.<br />

Sie muß vielmehr zu einer Sprache werden, der wir zuhören müssen,<br />

die Geschichten erzählt, die wir lesen wollen, die multitextuelle Erfahrungen<br />

vermittelt, die wir wieder und wieder machen wollen, und die sich<br />

mit Theorien und Ideen befaßt. Dies sind die Mittel, um eine Erkenntnistheorie<br />

des Wissens und der Erfahrung zu konstruieren. Wir sind gespannt,<br />

ob die CD-ROM ein bloß temporäres Phänomen sein wird oder<br />

ein nachhaltiger Diskurs, ein Körper des Wissens, eine Erfahrung, die wir<br />

teilen und bewahren wollen.<br />

Um die multimediale Umgebung der sich entwickelnden Technologien<br />

besser erfassen und kritisch beleuchten zu können, möchte ich mich<br />

219<br />

artintact 4


artintact 4<br />

220<br />

sowohl auf das Verhältnis von Videos und Multimediainstallationen zu<br />

der historischen Verbindung von Film- und Videokunstpraktiken konzentrieren<br />

als auch darauf, wie diese Geschichte die Entwicklungen der<br />

neuen Technologien der Bilderzeugung und -verbreitung vorwegnimmt<br />

und bereichert. Schließlich werde ich kritisch die Rolle der kuratorischen<br />

und institutionellen Praktiken der Museen in Beziehung zur Konstruktion<br />

dieser Geschichte betrachten, sowie die Möglichkeiten dieser Institutionen<br />

im Hinblick auf die Zukunft unserer visuellen (Medien-)Kultur.<br />

Ich möchte betonen, daß dieser Essay notwendigerweise selektiv vorgeht<br />

und einige wenige Beispiele – die aus der Geschichte der Medienkunst der<br />

usa stammen – aus dem komplexen Netzwerk der Themen in Bezug auf<br />

die neue(n) Rolle(n) des Betrachters in der Konstruktion und Rezeption<br />

des ästhetischen Textes herausgreift.<br />

Während der hundertjährigen Geschichte des bewegten Bildes, der<br />

Entwicklung vom Film zum Fernsehen, ist die selbstreflexive Integration<br />

des Künstlers und des Zuschauers in den Text des Kunstwerks eine rhetorische<br />

Trope gewesen, die eingesetzt wurde, um ihn als Produktionsprozeß<br />

kenntlich zu machen und auf strategische Weise die traditionelle<br />

Bedeutung und Funktion des Kunstwerks in der Gesellschaft zu destabilisieren.<br />

Die im folgenden beschriebenen Werke verlangen nicht nur eine<br />

radikale Neustrukturierung des Mediums und der Produktionsbedingungen,<br />

sondern sie kritisieren auch die textuellen und ideologischen<br />

Kodes der populären Massenmedien und Unterhaltungsindustrien. Sie<br />

dekonstruieren die erkenntnistheoretischen Fundamente der Medien, indem<br />

sie die Komplexität der Interaktion des Betrachters mit dem zeitbezogenen<br />

Kunstwerk hervorheben. Auf diese Weise setzen sie sich als<br />

wichtige Referenzpunkte in Beziehung zur Verknüpfung von technologischen<br />

und kognitiven Fragen, die sich, so möchte ich behaupten, innerhalb<br />

der expandierenden multimedialen Umgebung globaler Ökonomien<br />

und Kulturen neu stellen.<br />

Ich beginne mit dem Medium Video, das Künstler anzog, da man mit


ihm sofort und unmittelbar bewegte Bilder aufzeichnen konnte. Mit<br />

Closed-Circuit- und Mehrkanal-Installationen versuchten die Künstler,<br />

auf Entwicklungen der Technologie zu reagieren und gleichzeitig neue<br />

Werkzeuge der Bilderzeugung zu entwickeln oder vorhandene zu modifizieren.<br />

Innerhalb einer interdisziplinären und multimedialen Kultur des<br />

Experimentierens in den sechziger und siebziger Jahren fanden Künstler<br />

Wege, ihre Arbeiten außerhalb der traditionellen Kunst- und Medienwelt<br />

zu realisieren.<br />

Um einen Aspekt dieser Tradition zu illustrieren, möchte ich mit den<br />

frühen Projekten des in Korea geborenen Künstlers Nam June Paik und<br />

des Deutschen Wolf Vostell beginnen, die sich kritisch mit der Institution<br />

und dem Modell des Fernsehens auseinandersetzten und versuchten, das<br />

Fernsehen und sein Instrumentarium zu transformieren. In einer Zeit, in<br />

der Künstler die Institutionen und die Bedingungen der Kunstproduktion<br />

in Frage stellten, eigneten sich Paik und Vostell den Fernsehapparat<br />

an – noch vor der Erfindung des Portapak Mitte der sechziger Jahre. Aus<br />

der von Fluxus und Happening inspirierten Transformation wurde eine<br />

Zersetzung und Neuformung des Mediums Fernsehen. Dies wurde durch<br />

die als ›dé-collage‹ bezeichnete Strategie (ein von Vostell 1959 geprägter<br />

Begriff) erreicht, mit der das Fernsehbild verzerrt und der Betrachter in<br />

eine neue Beziehung zum Fernsehapparat gebracht wurde. Paik begann<br />

1963, während seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Parnass,<br />

Wuppertal, den Fernseher als Objekt in die Kunst zu integrieren. Zur<br />

gleichen Zeit, in der Ausstellung TV Dé-Collage in der Galerie Smolin in<br />

New York, verzerrte Vostell gesendete Fernsehbilder und begrub einen<br />

Fernseher beim yam-Festival in New Jersey während einer Performance<br />

(mit den Künstlern Allan Kaprow und George Brecht). Paik bot Künstlern<br />

und Benutzern ein interaktives Modell von Video und Fernseher an;<br />

in seinen Händen wurde das Medium zu einem neuen Instrument, mit<br />

dessen Hilfe er die Bilder aus der Kathodenstrahlröhre formen konnte.<br />

Seit den frühen ›dé-collage‹-Experimenten, in denen der Fluß der gesen-<br />

221<br />

artintact 4


artintact 4<br />

222<br />

deten Fernsehbilder unterbrochen und gestört wurde und die in<br />

Videobändern wie Videotape Study #3 (1967–69, produziert von Nam<br />

June Paik und Jud Yalkut) erhalten sind, arbeitete Paik an der radikalen<br />

Neubestimmung des Mediums Fernsehen. Er behandelte es als abstraktes<br />

Medium der bewegten Bilder, und die Entwicklung des Paik-Abe-Video-<br />

Synthesizers ermöglichte ihm und anderen Künstlern, das aufgenomme<br />

Bild zu verändern, zu kolorieren, es zu transformieren.<br />

In den sechziger und Anfang der siebziger Jahre beschäftigten sich<br />

Künstler ebenfalls mit dem Film. Auf radikal neue Weise versuchten sie,<br />

die mechanischen Mittel der Aufnahme bewegter Bilder zu erweitern. Die<br />

gleichzeitig stattfindende Transformation von Filmen in Installationen<br />

bewirkte ein außergewöhnliches Zusammentreffen mit Entwicklungen<br />

im Videobereich und sprach für eine genauere Betrachtung der Einflüsse,<br />

die beide Medien in diesem entscheidenden Zeitraum gegenseitig aufeinander<br />

ausübten.<br />

Andy Warhols Schlüsselrolle in den sechziger Jahren in Bezug auf die<br />

Transformation der Kunstproduktion wurde in der Factory verkörpert,<br />

jenem Ort, an dem Warhol seine Persona gestaltete, den Prozeß des<br />

Filmemachens und dessen Materialität radikal neu dachte, die Beziehung<br />

von Filmemacher und Betrachter zum kinematografischen Apparat und<br />

zum Filminhalt veränderte. In Empire (1964) filmte Warhol ununterbrochen<br />

das Empire State Building aus einer statischen Perspektive und<br />

benutzte dazu 30-Meter-Filmrollen. Projiziert als 16-mm-Film in<br />

Stummfilmgeschwindigkeit, hat dies den Effekt einer erbarmungslosen<br />

Aufnahme, die die Bedingungen des Aufnehmens selbst hervorhebt und<br />

die Beziehung des bewegten Bildes zu den Begriffen Zeit und Repräsentation<br />

verdeutlicht.<br />

Die Trennung von Bild und Ton ist zentral für die Konstruktion und<br />

die Beteiligung des Betrachters in Hollis Framptons Film Nostalgia<br />

(1973). Das Bild bleibt hier konsequent hinter der Tonspur zurück. Jedesmal,<br />

wenn man eine Beschreibung hört, nimmt man das korrespondie-


ende Bild vorweg, und gleichzeitig weist jedes Filmbild zurück in die<br />

Vergangenheit der vorhergehenden Beschreibung. Auf diese Weise ist der<br />

Betrachter niemals in der Lage, den Moment der Gegenwart zu bestimmen.<br />

Die Ungleichzeitigkeit von Bild und Ton verlangt vom Betrachter,<br />

innerhalb des Films die Beziehungen, Mehrdeutigkeiten und Widersprüche<br />

zu analysieren, die die direkte Folge der nicht-zufälligen Struktur<br />

sind. Am Ende des Films weist die letzte Beschreibung des Erzählers auf<br />

ein Bild, das man niemals zu sehen bekommt – statt in der Ekstase eines<br />

versprochenen letzten Bildes endet der Film mit Bildern als Erinnerung<br />

und Sprache als Spur des Vergangenen.<br />

Die Beispiele legen nahe, daß diese Art von materialistischer Behandlung<br />

des Films, die als strukturalistische Filmbewegung bezeichnet<br />

wurde, interessante Parallelen und Beziehungen zur Konzeptkunst, zu<br />

prozeßorientierten Bewegungen in der Kunst dieser Zeit, zur Body- und<br />

Performance-Art sowie zu verschiedenen von Videokünstlern verfolgten<br />

Themen aufweist. Künstler, die mit beiden Medien arbeiten, behandelten<br />

die Analogie zwischen dem Prozeß des Betrachtens und dem des Bewußtseins<br />

als erkenntnistheoretisches Problem: So wie in diesen Beispielen<br />

Film bzw. Video durch Verzerrungen gefiltert wird, ist jede Wahrnehmung<br />

von Welt durch das individuelle Bewußtsein vermittelt. Das elektronische<br />

Medium Video wurde von Künstlern mit Hilfe verschiedener<br />

Strategien transformiert, um das Bild als Prozeß im Raum neu wahrzunehmen<br />

– entweder durch raumbezogene Installationen oder, im Falle<br />

des Fernsehapparats, indem der Betrachter als ›Empfänger‹ des gesendeten<br />

Programms angesprochen wurde. Das intertextuelle Wesen solcher<br />

Arbeiten, die Untersuchung des Mediums und der reflexive Bildaufbau<br />

sind Aspekte, die ich kurz anhand einer Auswahl künstlerischer Videoprojekte<br />

beschreiben möchte.<br />

In Bill Anastasis selbstreflexiver Arbeit Transfer (1968) beziehen sich<br />

ein Videomonitor und eine Kamera auf ihre Energiequelle – die Stromzufuhr,<br />

die die Apparate in Gang hält. Dieser selbstreflexive Einsatz des<br />

223<br />

artintact 4


artintact 4<br />

224<br />

Closed-Circuit-Systems wurde von Bruce Nauman mit seiner Installation<br />

Live/Taped Video Corridor (1969) aufgenommen: Am Ende eines<br />

schmalen Gangs, der aus zwei Wänden gebildet wird, befinden sich zwei<br />

Monitore übereinander. Einer von ihnen zeigt ein zuvor aufgenommenes<br />

Videoband des Gangs, der andere eine live Closed-Circuit-Aufnahme<br />

desselben Raums. Geht man den Gang entlang, kann man sich selbst in einem<br />

der Monitore sehen, während der andere den leeren Gang zeigt.<br />

In der Videoinstallation Mem (1973) von Peter Campus betreten die<br />

Betrachter einen vollkommen dunklen Raum, der mit Schwarzlicht beleuchtet<br />

ist. Eine Kamera, die sich im Raum befindet, nimmt den Körper<br />

des Betrachters auf und projiziert das Bild schräg auf eine Wand der Galerie.<br />

Auf diese Weise wird der Körper des Betrachters gleichzeitig Gegenstand<br />

und Mittel des vervollständigten Kunstwerks, das sich mit der (immateriellen)<br />

Dynamik des Prozesses enthüllt.<br />

Die Trope der Videokamera als drittes Auge der Wahrnehmung und<br />

der Selbsterkenntnis kann in Bill Violas einflußreichen Arbeiten beobachtet<br />

werden. In seiner Installation He Weeps for You (1979) nimmt die<br />

Kamera mit einem Makro-Objektiv einen sich formenden Wassertropfen<br />

auf. Der Tropfen landet anschließend auf der Oberfläche eines Tamburins.<br />

Das Auftreffen ist über Lautsprecher extrem verstärkt, so daß es<br />

wie ein lauter Schlagzeugton klingt. Das Mikrobild wird durch die Projektion<br />

auf eine Leinwand ebenfalls vergrößert. In diesem Fall erzeugt die<br />

Kamera ein Bild in Echtzeit als Teil einer Installation, die die Videokamera<br />

und -apparatur als neue Mittel, die Welt um uns herum zu sehen, erkennt.<br />

Violas I Do Not Know What It is I Am Like (1986), ein brillantes<br />

89-minütiges Videoband, ist die Suche nach Transzendenz und Selbsterkenntnis<br />

mit der Kamera als Instrument zur Konstruktion einer erkenntnistheoretischen<br />

Untersuchung des Wissens.<br />

Gary Hills Arbeiten setzen den Gebrauch von Video als erkenntnistheoretisches<br />

Werkzeug fort. Das Videoband Incidence of Catastrophe<br />

(1987/88) ist von dem Text Thomas der Dunkle des Autors und Philo-


sophen Maurice Blanchot inspiriert. Der Künstler selbst wird in die Phänomenologie<br />

des geschriebenen/gedruckten Textes eingewoben, indem<br />

sein Körper und sein Auge mit dem Text verschmelzen. Durch die Wölbung<br />

des Papiers und die gedruckten Buchstaben prägt sich die Sprache<br />

tief in unser Bewußtsein ein. Wir versuchen, der Entfaltung der Sprache<br />

und der Imagination durch Wahrnehmung in diesem eindrucksvollen<br />

Videoband zu folgen.<br />

Ich konzentriere mich auf diese Künstler, da sie für die Entwicklung<br />

von Strategien zur Untersuchung der erkenntnistheoretischen Aspekte<br />

von Repräsentation Beispiele geben. Technologie und Körper und die<br />

Frage nach ihrer gegenseitigen Bedingtheit im sozialen Umfeld werden<br />

zum Gegenstand einer ganzen Reihe formaler Strategien. Diese Strategien<br />

beziehen den Betrachter als integralen Bestandteil des Prozesses der Bilderzeugung<br />

ein. Ich bin außerdem der Meinung, daß diese Arbeiten die<br />

Protokolle der Kunstwelt mit ihrer vordergründigen Sichtweise von<br />

Ästhetik als kontemplativer und passiver Erfahrung konfrontieren.<br />

Wenn auch die Vielzahl der Zuschauerreaktionen einerseits und die phänomenologischen<br />

Interpretationen andererseits den Mythos vom passiven<br />

Betrachter in Frage gestellt haben, so sind es doch vor allem die Aktionen<br />

und Schriften dieser und anderer Künstler, die in formalen wie<br />

kritischen Begriffen die Vorstellung vom passiven Film- und Fernsehzuschauer<br />

als falsch entlarvt haben und die Auflösung der Grenzen zwischen<br />

Medien, Materialien und Diskursen, die wir heute in den neuen<br />

Entwicklungen der interaktiven Medienkünste beobachten können, vorweggenommen<br />

haben.<br />

Ich möchte mit einigen aktuelleren Beispielen von Installationen<br />

schließen, die sehr direkt Fragen historischer Erinnerung, Gender, Sexualität<br />

und Rasse behandeln, indem sie den Betrachter als Teil des sozialen<br />

und politischen Umfelds ansprechen. Es handelt sich dabei um Projekte,<br />

die formale und narrative Strategien verwenden, um die Autorität von<br />

Kunst, Museum und Technologie zu erschüttern. Sie erreichen dies durch<br />

225<br />

artintact 4


artintact 4<br />

226<br />

die direkte Konfrontation und Herausforderung des Betrachters. Ich<br />

beginne mit Francesco Torres The Haywain (1991), in dem als Bezugspunkt<br />

ein Gemälde von Hieronymus Bosch verwendet wird, das als<br />

Mittel der Reflexion über die Geschichte des Spektakels als karnevaleske<br />

Erscheinung und Form des politischen Widerstands dient. Die Arbeit<br />

verwendet Projektionen von Videobildern, Close-Ups der Oberfläche<br />

des Bosch-Gemäldes, zwischen die Sequenzen von Filmaufnahmen der<br />

studentischen Aufstände in Paris von 1968, Freudenfeuer in den Straßen<br />

spanischer Städte, die auf eine vorindustrielle Widerstandsbewegung<br />

zurückgehen sowie Bilder von Obdachlosen im heutigen Spanien geschnitten<br />

sind. Von LKWs überrollte Fahrräder verweisen schließlich auf<br />

den Tiananmen Platz und verkomplizieren unsere Lesart von Geschichte<br />

und Gewohnheit, von der Rolle des öffentlichen Raumes, der etwas anderes<br />

als ein bürgerlicher sozialer Ort sein könnte, noch mehr. Die Arbeit<br />

konfrontiert den Betrachter mit einem Spektakel, das ihn auffordert, Kultur<br />

und Politik nicht als Vergangenheit, sondern als bedeutsame Zeichen<br />

des Widerstands zu sehen, die heute anders eingesetzt werden müssen.<br />

Installationen können ebenso der konzeptuellen Neubestimmung der<br />

Medien als Mittel der Entlarvung ideologischer Bestimmungskodes dienen.<br />

In der Videoinstallation Out of the Corner (1990) entwickelt Adrian<br />

Piper eine überzeugende erkenntnistheoretische Reflexion über die soziale<br />

Konstruktion ethnischer Identität innerhalb der westlichen Gesellschaften.<br />

Ein Videoband Pipers erscheint auf einem großen Monitor, und<br />

wir hören ihr zu, wie sie über sich selbst und über ihre Eltern (sie hat einen<br />

weißen und einen schwarzen Elternteil) spricht. Sie erzählt, wie sie das<br />

Gesetz aufgrund ihrer Hautfarbe kategorisiert. Mehrere Videokanäle,<br />

Performer, Texte, Sprachen und Fotografien in der Installation verwickeln<br />

den Betrachter in eine subtile und dramatische Beziehung zu<br />

Sprache und Bild und entlarven die linguistischen Konventionen, die den<br />

täglichen sozialen Austausch bestimmen.<br />

Künstler bewegen sich heute auch zwischen den Medien, sie arbeiten


auf allen Ebenen technologischer Bilderzeugung und Kommunikation.<br />

Ein aktuelles Beispiel eines multimedialen Kunstwerks, das verschiedene<br />

Räume und Technologien einbezieht, ist Shu Lea Cheangs Bowling Alley<br />

(1996), das sie am Walker Art Center, Minneapolis, realisierte. Der Galerieraum<br />

war über Video mit einer Bowlingbahn in einem Vorort von<br />

Minneapolis verbunden. In der Galerie selbst war eine Bowlingbahn aufgebaut,<br />

außerdem gab es Projektionen von Bildern und Texten, die Sport<br />

und Bowling als Metaphern persönlicher Geschichten und verherrlichter<br />

Sexualität einsetzten. Über eine Website war das Projekt jedem Internetbenutzer<br />

zugänglich und operierte so auf mehreren Ebenen. Dieses<br />

multidimensionale Gemeinschaftsprojekt schuf Erzählweisen aus den individuellen<br />

und kollektiven Sprachen des Sports, der hier zu einer multitextuellen<br />

Metapher für die Definition des Körpers in öffentlichen und<br />

privaten sozialen und sexuellen Räumen wurde. Solche Projekte verneinen<br />

die traditionelle Definition des passiven Betrachters als Teil eines stabilen<br />

öffentlichen Bereichs. Die Künstler setzen die interaktiven Möglichkeiten<br />

der Wahrnehmung innerhalb multikultureller und sozialer<br />

Räume ein.<br />

Ich habe in diesem Text versucht, die Geschichte unabhängiger<br />

Videokunstpraktiken sowie ihre komplexen, vielschichtigen Formen und<br />

Themen zu reflektieren. Wenn wir das tun, müssen wir die Zukunft bedenken<br />

und anerkennen, daß Video als Medium nicht länger einem<br />

Grenzbereich angehört, sondern daß es Teil eines sich entwickelnden<br />

multimedialen Sets für Produktion und Distribution, bestehend aus virtueller<br />

Realität, CD-ROM, dvd (digitale Videodisk bzw. Digital Versatile<br />

Disk) und Websites, ist. Daraus ergeben sich neue Fragen, z.B. ob der virtuelle<br />

Raum simulierter Umgebungen eine neue Grundlage für das bewegte<br />

Bild und ein erweiterter Text der Medienkünste werden wird, ob<br />

interaktive Technologien zunehmend die Sprachen und Erfahrungen der<br />

Bildrezeption privatisieren oder ob sie zur Quelle hyperbolischer Unterhaltung<br />

als privater Zerstreuung werden. Die starke Ausdehnung der me-<br />

227<br />

artintact 4


artintact 4<br />

228<br />

dialen Umgebung führt dazu, daß die Idee einer visuellen Kultur in die<br />

einer komplexen Medienkultur transformiert wird.<br />

Es ist dringend notwendig, daß wir dieses Paradigma durch eine erneute<br />

Untersuchung der Modelle unserer jüngsten Vergangenheit theoretisieren.<br />

Es wäre außerdem hilfreich, wenn wir das ganze Spektrum der<br />

künstlerischen, gesellschaftlichen und kollektiven Nutzung von Medien<br />

auf niedrigem technischen Niveau ebenso berücksichtigen wie die Frage,<br />

auf welche Weise Zugang zu höchstentwickelter Hardware gewährt<br />

wurde und wird. Wir können an diesen Beispielen untersuchen, wie heute<br />

neue Möglichkeiten für Künstler etabliert werden und wie am besten ein<br />

wachsendes und sich veränderndes Weltpublikum erreicht werden kann.<br />

Ich möchte schließlich vorschlagen, am Ende dieses Jahrhunderts unsere<br />

Ziele und Möglichkeiten der Präsentation von historischen und<br />

neuen Arbeiten in den Museen zu überdenken. Schauen wir auf die enormen<br />

Veränderungen aller Bereiche unserer Gesellschaft, so wird deutlich,<br />

daß die gesamte Geschichte des Museums (einschließlich aktueller Entwicklungen<br />

seiner Funktionen und Aufgaben) bislang zu wenig untersucht<br />

und theoretisiert wurde. Während wir verstärkt daran arbeiten, die<br />

Vergangenheit der Medientechnologien zu bewahren und zu interpretieren,<br />

indem wir sie zu anderen Disziplinen in Beziehung setzen und versuchen,<br />

ihre Zukunft zu verstehen, sind wir gleichzeitig mit knapper werdenden<br />

finanziellen Mitteln für kulturelle Belange konfrontiert. Das<br />

führt zu der Frage, welche Möglichkeiten das Museum in Bezug auf die<br />

Unterstützung sehr verschiedener künstlerischer Praktiken und auf die<br />

Einbeziehung eines sich verändernden Publikums hat.<br />

Denn im Zentrum der komplexen Veränderungen und Herausforderungen<br />

steht das Publikum: Ein weltweites, in Bewegung geratenes Gemisch<br />

aus Gemeinschaften und Kulturen, das durch die Aneignung einer<br />

uniformen populären Kultur und durch die innovative Entwicklung<br />

lokaler und transkultureller Modelle das historische Paradigma der westlichen<br />

Kunstwelt und dessen nationalen Status destabilisiert und heraus-


fordert. Auf welche Weise die Ökonomien des Internets und die politischen<br />

Kulturen globaler Netzwerke eingesetzt werden, wird sich auf die<br />

Zukunft der im Schwinden begriffenen und isolierten traditonellen westlichen<br />

Kunstwelt (einer Kunstwelt, die sich allzu oft mit ihren festungsartigen<br />

Museen und den geschlossenen Paradigmen der Kunstproduktion<br />

den Herausforderungen und der Kritik verweigert), kritisch auswirken.<br />

Um zu überleben, müssen die Kulturinstitutionen einem Wandel ins Gesicht<br />

schauen. Es wird notwendig sein, daß wir die Entwicklung neuer<br />

Produktionsökonomien und neuer Gemeinschaften kultureller Praktiken<br />

unterstützen und die Kunstwelt zu einer grundsätzlichen, kritischen<br />

Debatte über die Art und Weise, wie Museen Kunst und Kultur repräsentieren<br />

und definieren, bringen. Dies führt bis zu den historischen Beständen<br />

in den Archiven und Sammlungen der Museen. Indem das Museum in<br />

einen kritischen Dialog mit der Geschichte und den unterschiedlichen<br />

Kunstpraktiken der Medienkünste – von Film bis Video und der intertextuellen<br />

Multimedialität von CD-ROM und Internet – einbezogen wird,<br />

wird es zu einem Ort, der dem Publikum die aktive Teilnahme an einer<br />

sich ausdehnenden globalen Medienkultur ermöglicht.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer<br />

229<br />

artintact 4


Geschlecht, Geschichte, (Sub-)Kultur:<br />

Eine Revision<br />

Von Kathy Rae Huffman<br />

Interpretation von Geschichte und Kultur ist Bedingung für eine künstlerische<br />

Perspektive. Unser Weltbild, das politischer Indoktrination (d.h.<br />

Erziehung) unterliegt, steht in Beziehung zur sozialen Stellung, zum Geschlecht<br />

und zur Religionszugehörigkeit. Welche Möglichkeiten gibt es,<br />

diese begrenzte Sichtweise zu überschreiten? Martin Heidegger bezeichnet<br />

das ›Erleben‹ als eine ›Erscheinung der Neuzeit‹. 1 Künstler, die sich<br />

verschiedenster Medien bedienen, um Vorstellungen und das Leben um<br />

sie herum aufzuzeichnen, nutzen historische Bezüge für eine intellektuelle,<br />

psychologische und persönliche Sichtweise. Video eröffnete völlig<br />

neue Möglichkeiten, einen Standpunkt zu beziehen. Als persönliches<br />

Mittel, durch den ›Echtzeitmodus‹ und die Möglichkeit, das Aufgenommene<br />

sofort wiederzugeben, veränderte sich die Beziehung zwischen<br />

Subjekt, Betrachter und Künstler. Durch die prekäre Beziehung zum<br />

Fernsehen mußte man sich mit Themen wie der ›Ökonomie der Fülle‹<br />

auseinandersetzen und Video wurde, wie David Ross bemerkt, ›schnell<br />

aufgenommen von einer entfremdeten und tief zynischen Generation von<br />

Medienkünstlern, geschult an und beschäftigt mit postmoderner, postideologischer<br />

Politik von Identität und mißtrauisch gegenüber allen Insti-<br />

1. Martin Heidegger: ›The Age of the World Picture.‹ – Electronic Culture, Hg. Timothy<br />

Druckrey, New York: Aperture, 1996, S. 47. Vgl. Martin Heidegger: ›Die Zeit des Weltbildes.‹<br />

– Holzwege, Gesamtausgabe Bd. 5, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 1977,<br />

S. 69.<br />

Marina Grˇzinić & Aina S ˇ mid: Troubles with Sex, Theory & History, 1997. Screenshot.<br />

231<br />

artintact 4


artintact 4<br />

232<br />

tutionen, ihre eigene eingeschlossen.‹ 2 Das Fernsehen, der gigantische<br />

Marktplatz der Gesellschaft, war/ist die internationale Stimme politischer<br />

Überzeugungskraft und ökonomischer Macht.<br />

Medienkunst etablierte sich im Osten erst in den achtziger Jahren. Im<br />

Gegensatz zu der wichtigen Rolle, die sie in der internationalen Medienpraxis<br />

spielten, hatten Frauen in Osteuropa hier nur eine völlig marginale<br />

Stellung. Slavenka Draculić schrieb als Antwort auf die Frage einer Feministin<br />

nach dem Einfluß von (osteuropäischen) Frauen auf den öffentlichen<br />

Diskurs: ›Um Gottes Willen, was meint sie bloß? Es gibt so gut wie<br />

keine öffentliche Auseinandersetzung, außer über Politik. Frauen haben<br />

keinen Einfluß, sie haben ja kaum eine Stimme. Alle Medien sind nichtfeministisch,<br />

es gibt keine feministischen Medien. Worüber wir allenfalls<br />

reden könnten, wäre das Fehlen von Einfluß, Stimme, Auseinandersetzung,<br />

feministischer Bewegung.‹ 3 Diese Situation, die in den siebziger<br />

Jahren hingenommen worden war, begann in den achtziger Jahren für<br />

viele junge Frauen unerträglich zu werden. Sie waren über die feministischen<br />

Praktiken im Westen gut informiert, entwickelten aber aufgrund<br />

der nur eingeschränkt möglichen internationalen Kontakte einen eigenen<br />

Diskurs theoretisch fundierter Kunst und literarischer Arbeiten, in denen<br />

der politische Kontext eng mit einem starken und zuversichtlichen Frauenbild<br />

verwoben war.<br />

Die Entwicklung von Video zu Medienkunst in den Arbeiten von Grzˇinić<br />

& Sˇ mid beginnt mit ihren sorgfältig ausgearbeiteten Film- und Videoexperimenten<br />

– Werken, die den Einfluß der Medien auf die komplexe<br />

Kultur, in der sie leben, zitieren. Wie Vanesa Cvahte bemerkt: ›Die acht-<br />

2. David A. Ross: ›Radical Software Redux.‹ – Clicking In: Hotlinks to a Digital Culture,<br />

Hg. Lynn Hershman Leeson, Seattle: Bay Press, 1997, S. 346.<br />

3. Slavenka Drakulić : Wie wir den Kommunismus überstanden – und dennoch lachten.<br />

Berlin: Rowohlt, 1991, S. 147.


ziger Jahre waren eine Periode, während der visuelle Medien wie Kino<br />

und Fernsehen die Welt mit Bildern überfluteten, die sich auf Bilder aus<br />

diesen Medien beziehen und nicht auf Bilder der menschlichen Umgebung.‹<br />

4 Von den ersten Werken an beginnt sich eine komplexe Genealogie<br />

herauszubilden, eine Analyse der Propaganda didaktischer und<br />

klassischer Filme, des Fernsehens, von Kunstwerken. Grzˇinić & Sˇmid etablieren so eine Machtposition, die sie als Frauen, als Künstlerinnen<br />

und als Intellektuelle in der post-kommunistischen Gesellschaft einfordern.<br />

Außerdem ist der Beitrag, den sie zur Entwicklung einer<br />

Medienästhetik in Slowenien leisten, ebenso von Bedeutung wie ihre<br />

zahlreichen eigenen Präsentationen, die diese Ästhetik einem größeren,<br />

neugierigen und anerkennenden internationalen Publikum bekannt<br />

machen.<br />

Video in Jugoslawien war in den achtziger Jahren stark von der Filmtradition<br />

beeinflußt und machte regen Gebrauch von ikonischen und<br />

symbolistischen Zeichen. So wurde z. B. der rote Stern (der in der staatlich<br />

kontrollierten politischen Propaganda allgegenwärtig war) von vielen<br />

KünstlerInnen benutzt, aber nicht als das pro-nationalistische Symbol<br />

der Regierung, sondern in Anerkennung der Tatsache, daß dieses<br />

Symbol Identität zwischen Menschen unterschiedlicher Überzeugungen<br />

stiften konnte. Seine Benutzung war das erstaunlichste Beispiel eines<br />

künstlerisch eingesetzten politischen Zitats während der einmaligen politischen<br />

Geschichte der antifaschistischen/prokommunistischen Ideologie.<br />

›Die künstlerische Praxis der achtziger und neunziger Jahre offenbart<br />

die Notwendigkeit einer Neubewertung und Beurteilung der vermittelten<br />

Bilder, die neue Bedeutungen erzeugen.‹ 5 In dunklen, melancholischen<br />

Werken, die ein romantisches Unbehagen dem täglichen Leben gegenüber<br />

evozierten, wurde die Wiederverwertung alter Bilder und alter<br />

4. Media in Media, Vanesa Cvahte (Kuratorin), Katalog, scca Ljubljana, 1996, S. 20.<br />

5. Ebd.<br />

233<br />

artintact 4


artintact 4<br />

234<br />

Propaganda (mit engem Bezug zum öffentlichen Leben im Sozialismus<br />

und zu Tito) offensichtlich. Für die jugendliche Untergrundszene, wild<br />

und voller Selbstüberschätzung, war in der jugoslawischen Republik kein<br />

Platz. Belgrad duldete sie an ›unwichtigen‹ Orten wie der sˇkuc-Galerie<br />

in Ljubljana. Obwohl die sˇkuc-›Szene‹ fortschrittlich war, gemessen an<br />

osteuropäischen Standards, gab es viele Unterschiede zwischen slowenischen<br />

MedienkünstlerInnen und ihren NachbarInnen in Österreich, Italien<br />

und Ungarn.<br />

Für slowenische VideokünstlerInnen war die Produktion in den 80er<br />

Jahren ein großes Problem. Am sˇkuc (Studentisches Kunst- und Kulturzentrum)<br />

stand eine Videokamera zur Verfügung. Es gab aber keine einzige<br />

Medienabteilung an Universität, Kunstakademie oder Schulen. Die<br />

einzige Möglichkeit war, mit der privaten Ausrüstung, die KünstlerInnen<br />

für die Realisierung kommerzieller Aufträge angeschafft hatten, zu produzieren.<br />

Wie in vielen anderen osteuropäischen Ländern auch wurden<br />

hier KünstlerInnen zu Sponsoren ihrer KollegInnen, etablierten sich kooperative<br />

Beziehungen, wurden Fähigkeiten und Talente ausgetauscht.<br />

Es gab keine private oder staatliche finanzielle Unterstützung, keinen<br />

Vertrieb, keine Karriere für MedienkünstlerInnen. Selbst das Beschaffen<br />

von Abspielgeräten war ein Problem; oftmals wurden sie von ausländischen<br />

Institutionen (Goethe-Institut, Institut Français) geliehen. Die<br />

Produktionsbedingungen waren so schwierig, daß die Fertigstellung einer<br />

neuen Videoarbeit zu einem größeren Unterfangen wurde. Aber das<br />

Interesse an Video nahm zu, und die slowenischen VideokünstlerInnen<br />

wurden schließlich aufgrund ihres besonderen Stils und ihrer Energie bekannt.<br />

The Axis of Life von Grzˇinić & Sˇ mid erhielt bei der Dritten Internationalen<br />

Videobiennale Cankarjev Dom 1987 den ersten Preis. Ein provozierendes<br />

Werk, und die einzige Arbeit von Frauen unter den Einreichungen,<br />

die ernst genommen wurde. Grzˇinić & Sˇ mid wurden als ›junge<br />

Künstlerinnen‹ eingestuft, die in ›Amateurformat‹ (vhs) arbeiteten. Da-


mals wurde vhs mit Heimvideo assoziiert und als naiv angesehen aufgrund<br />

der niedrigen technischen Qualität. In einem Land, in dem viele<br />

Fernsehkameraleute einen Magister in Filmgeschichte besaßen, zählten<br />

solche Unterscheidungen viel. Aber die Ästhetik der schlechten technischen<br />

Qualität zog alle ausländischen Jurymitglieder in ihren Bann und<br />

wurde als glaubwürdige Sichtweise interpretiert. Wir zollten dem überzeugenden<br />

Beitrag dieser Frauen Anerkennung. The Axis of Life war auf<br />

U-matic low band in einem privaten Studio produziert worden, aber es<br />

war eine ›semi-professionelle‹ Arbeit, die durch die Adaption eines<br />

künstlichen Stils das ästhetische Bewußtsein des vhs-Formats bewahrt<br />

hatte.<br />

Die beiden vorhergehenden, sehr erfolgreichen Internationalen<br />

Videobiennalen (1983 und 1985) in Ljubljana hatten den einheimischen<br />

Intellektuellen einige Gelegenheit gegeben, sich mit dem Genre vertraut<br />

zu machen. Beeinflußt von Punk und Neuer Musik waren Grzˇinić &<br />

Sˇ mid in den achtziger Jahren bereits sehr aktiv in der slowenischen off-<br />

Szene gewesen. Der Preis machte sie von Amateuren (eine Kategorie, die<br />

von der Jury nie ernsthaft unterstützt worden war) zu anerkannten<br />

Künstlerinnen. Dies war wichtig in der dortigen Szene, denn im jugoslawischen<br />

System der achtziger Jahre war – wie in den meisten anderen osteuropäischen<br />

Ländern auch – Anerkennung gebunden an akademische<br />

Titel, soziale Klasse und die durch die Arbeiten gewonnene Reputation.<br />

Universitäts- und Filmakademieabschlüsse waren die Eintrittskarte zu<br />

speziellen ›Clubs‹. An diesen Orten (wie auch im Schauspieler-, im<br />

Schriftstellerclub usw.) fanden regelmäßig Diskussionen über Politik, Leben<br />

und Kultur statt, oft bis in die frühen Morgenstunden. Die alternative<br />

Kultur war sehr lebendig, aber die Grenzen waren klar gezogen.<br />

Viele jugoslawische Arbeiten wurden vom Fernsehen unterstützt,<br />

weil der ›Kunst‹ keine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Deswegen<br />

konnten die Künstler sich mit vielen Themen beschäftigen, auf unterschiedlichsten<br />

Bedeutungsebenen. Es würden noch ein oder zwei Jahre<br />

235<br />

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236<br />

vergehen, bis nicht nur die Arbeiten, sondern auch die Produzenten und<br />

Filmteams Ziel politischer Untersuchungen geworden waren. Das nationale<br />

Kulturprogramm ›TV Galerie‹, produziert von Dunja Blazˇević ,<br />

unterstützte Arbeiten von ›Autoren‹ und sendete sie von Belgrad aus in<br />

einem monatlichen Programm. Es hatte nur für sehr wenige Projekte<br />

Platz und bot den KünstlerInnen keine finanzielle, wohl aber technische<br />

Unterstützung und die Chance des Vertriebs durch das nationale Fernsehen.<br />

Slowenische VideokünstlerInnen hatten bis dahin wenig Kontakt<br />

zum lokalen Fernsehen gehabt, aber dies änderte sich nun. 6 Anfang<br />

der neunziger Jahre begann das ›Nationale Slowenische Fernsehen‹,<br />

KünstlerInnen zu unterstützen, die in der Lage waren, gut gemachte<br />

Inhalte zu liefern. Grzˇinić & Sˇ mid waren unter den Ersten, die vom Fernsehen<br />

wahrgenommen wurden.<br />

In den Videoarbeiten von Grzˇinić & Sˇmid wirkte die Oberfläche bereits<br />

wie ein Interface – ein frühes Anzeichen dafür, daß die Entwicklung<br />

hin zu Multimedia (Internet und CD-ROM) nur eine Frage der Zeit war.<br />

In Labyrinth führten sie ein Hypertextmodell ein, das nach Interaktion<br />

verlangt. Die kreisenden Verweise auf Filme durch die Verwendung der<br />

Techniken von Remake und Zitat sind eine weitere entschiedene Form<br />

der Nutzung unterschiedlicher Medien. Bezüge zum Bürgerkrieg im Ex-<br />

Jugoslawien der neunziger Jahre wurden bereits in Bilocation hergestellt,<br />

einer Arbeit, die durch die Vorfälle im Kosovo 1989 ausgelöst wurde. In<br />

diesem Video, besessen von Politik und historischen Präzedenzfällen,<br />

verwoben mit der ästhetischen Struktur des Films, werden Kunst und<br />

Propaganda zu Synonymen. Grzˇinić & Sˇmid sind hier wieder einen<br />

Schritt weitergegangen auf der Suche nach Lösungen mit dem Medium<br />

Video, die zu neuen Ausdrucksformen führen können. ›Wir befinden uns<br />

in allen Medien, in allen Körpern, an allen möglichen Orten zugleich.‹ 7<br />

6. Ein Video von Miha Vipotnik (Co-Direktorin der Videobiennale) wurde 1984 gesendet,<br />

eine gefeierte Ausnahme.<br />

7. Marina Grzˇinić im folgenden Artikel, S. 247.


Die Arbeit Transcentrala (mit irwin8 ) entwickelt den Prototyp einer<br />

Schnittstelle mit interaktiven Formaten (was es bisher so in Slowenien<br />

nicht gegeben hatte), indem Information rekontextualisiert wird durch<br />

sich überlagernde Texte, Bilder und Geschichten, wobei die Arbeit vor allem<br />

Ideen der achtziger und neunziger Jahre neu untersucht. Grzˇinić &<br />

Sˇ mid befinden sich heute, Ende der neunziger Jahre, in einer Phase des<br />

Übergangs von Film zu Multimedia. Axis of Life, ihre Internetseite auf<br />

dem Ljudmila-Server9 , läßt all ihre künstlerischen Arbeiten in einer interaktiven<br />

Spielshow zirkulieren. In der CD-ROM erlaubt ein Interface<br />

dem/der BetrachterIn Wahlmöglichkeiten, zumindest in dem Maße wie<br />

es die Künstlerinnen in ihrem eigenen politischen Umfeld erfahren haben.<br />

Mit der ihnen eigenen Sensibilität spielen Grzˇinić & Sˇ mid die Betrachter-<br />

Innen aus: je mehr man Kontrolle ausüben möchte, desto weniger hat<br />

man die Macht dazu. Es ist das alte sozialistische Spiel vom ›Wiederverwerten<br />

[…], »Säubern« und Wiederverwenden‹ 10 , das die Menschen glauben<br />

lassen sollte, sie hätten die Kontrolle über ihr tägliches Leben.<br />

Grzˇinić & Sˇmid weigern sich, sich austricksen zu lassen. Marina<br />

Grˇzinić erklärt:<br />

[…] in den achtziger Jahren versuchten wir, den gegenkulturellen Diskurs, die Mentalität<br />

und die Haltungen in Bezug auf Institutionen zu überwinden. Wir kämpften dafür, unsere<br />

eigenen Institutionen und unsere eigenen Kommunikationsnetzwerke bilden zu können<br />

[…], wir wollten die Bedingungen für unsere eigenen sozialen und mentalen Strukturen<br />

schaffen. 11<br />

8. Die Gruppe irwin, die Kunst als Abbild des Staates versteht, ist seit 1984 Teil des<br />

slowenischen Künstlerkollektivs ›Neue Slowenische Kunst‹ (nsk). Sie besteht aus den<br />

Künstlern Dusˇan Mandić, Miran Mohar, Andrej Savski, Roman Uranjek und Borut<br />

Vogelnik. Grzˇinić & Sˇ mid arbeiten mit irwin zusammen und realisierten das Video für<br />

Transcentrala, eine Installation, die erstmals 1995 im slowenischen Pavillon auf der<br />

Biennale von Venedig gezeigt wurde.<br />

9. http://www.ljudmila.org/quantum.east<br />

10. Cvahte, a.a.O., S. 20.<br />

11. Marina Grˇzinić: ›Art and Culture in the 80’s: The Slovenian Situation.‹ – IRWIN-NSK<br />

Embassy Moscow, Katalog, Hg. Ridzˇhina Galerie, 1992, S. 43f.<br />

237<br />

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artintact 4<br />

238<br />

In der CD-ROM bietet sich die spielerische Interaktion als Lösung für die<br />

Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart an. Es handelt sich hier<br />

um einen nachdenklichen, künstlerischen Prozeß, der von Grˇzinić &<br />

Sˇ mid kontinuierlich mit ihren Videoarbeiten entwickelt wurde. Da dies<br />

auch eine Kunst für das Fernsehen ist, bezieht sie sich auf Fernsehen, Sex<br />

und Propaganda. Die Arbeiten von Grˇzinić & Sˇmid bezwingen die alles<br />

durchdringenden kulturellen Bilder, die sie zitieren, und eröffnen eine<br />

Alternative, die uns eine persönliche, provozierende Beziehung zu Geschichte<br />

und Kunst ermöglicht.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer


Troubles with Sex, Theory & History<br />

oder Videoprozesse der Wiederaneignung<br />

– Wiederverwertung<br />

verschiedener Körper,<br />

Geschichten und Kulturen durch Video<br />

Von Marina Grˇzinić<br />

Ein verführerischer Frauenkörper, genau oberhalb der Brust abgeschnitten;<br />

an dieser Stelle beginnt plötzlich Blut herauszuspritzen: rot, dickflüssig,<br />

klebrig, ›real‹ – zumindest so real wie es die Transformation der statischen<br />

Abbildung des Blutes in eine der Überschwemmung des Körpers<br />

auf dem Bildschirm zuläßt. Der Körper, das Gesicht mit dem strahlenden<br />

Lächeln krümmt sich nicht vor Schmerzen oder Entsetzen, sondern in<br />

sinnlichem Entzücken. Es bereitet ihr (der Hauptdarstellerin) offensichtlich<br />

Vergnügen, sie tut nichts als rhythmisch zu atmen, während das Blut<br />

strömt. Es ist der Anfang des Videobandes The Axis of Life (Grzˇinić &<br />

Sˇ mid, 1987), und diese Szene mit der blutigen Madonna bezieht sich sowohl<br />

auf die Popikone Madonna als auch auf Caravaggios Gemälde<br />

Judith und Holofernes von 1598; der Körper wird hier heroisch exponiert<br />

und zugleich stigmatisiert.<br />

Die nächste Szene zeigt zwei Schauspielerinnen als Brustbilder, die –<br />

wie gewaltige Hügel oder Objekte – in eine synthetisch hergestellte rötliche<br />

Wüste eingepaßt sind. Am Horizont sind die letzten Buchstaben des<br />

Wortes ›Hollywood‹ zu sehen. Wie Jean Narboni es ausdrückte: ›Nicht<br />

nur Wahrnehmung und Gefühle stimmen nicht überein, sondern ebensowenig<br />

die Gesichter, die wahre Territorien sind.‹ 1 Ein Gesicht zu trans-<br />

1. Zit. in Pascal Bonitzer: Le Champ aveugle. Paris: Edition Cahiers du Cinéma/<br />

Gallimard, 1982.<br />

239<br />

artintact 4


artintact 4<br />

240<br />

formieren muß nicht unbedingt heißen, es als Territorium zu benutzen,<br />

durch das man spazieren kann – man kann es auch verdoppeln (oder multiplizieren,<br />

wie im Falle der Verdreifachung einer der Schauspielerinnen<br />

innerhalb eines Bildes), oder verleihen.<br />

In The Moments of Decision (Grzˇinić & Sˇ mid, 1985) leiht sich eine der<br />

Schauspielerinnen das Gesicht der Hauptdarstellerin aus dem gleichnamigen<br />

slowenischen Film von Frantisˇek Čap aus den fünfziger Jahren. So<br />

wird die Geschichte aus dem Film im Videobild fortgesetzt, erweitert<br />

durch neue ikonografische Elemente und live acting. Indem die weibliche<br />

Rolle aus Čaps Film exponiert wird, wird aus dem Partisanenfilm eine<br />

melodramatische Liebesgeschichte. Zeigt der Prozeß des Einpassens<br />

eines Filmes in ein Videoband nicht ein bestimmtes Schicksal des Films<br />

an, oder, allgemeiner, Originaltreue, vom Videostandpunkt aus gesehen?<br />

Am Ende des Jahrhunderts wird sich Video zu einem ›Betrachter‹ entwickelt<br />

haben, denn es ermöglicht uns, die Oberfläche zu lesen, durch sie<br />

hindurchzuschauen und die Zukunft zu erkennen. Christine Buci-<br />

Glucksmanns Worte paraphrasierend können wir sagen, daß Video eine<br />

Position einnimmt, in der ›Augen sehen können wie Augen sehen‹. 2<br />

›Ich habe alles durch Beobachten gelernt. Ohne diese Bilder würden wir<br />

gar nicht existieren‹, sagt die männliche Hauptfigur in dem Videoband<br />

Bare Spring (Grzˇinić & Sˇ mid, 1987). Dieses ›Road Video‹, den ›Road Movies‹<br />

Wim Wenders’ gewidmet, versucht, die Empfindsamkeit und Besonderheit<br />

der Rock-Generation der achtziger Jahre in Slowenien/Ex-Jugoslawien<br />

zu porträtieren. Die Identität dieser Generation wird nicht<br />

durch eine Psychologie des Individuums dargestellt, sondern durch die<br />

Gestaltung eines neuen visuellen und kulturellen Raums. Entsprechend<br />

gibt es im Videoband keine Psychologisierungen (entgegen den Erwar-<br />

2. Vgl. Christine Buci-Glucksmann: La folie du voir: de l’esthétiques baroque. Paris: Ed.<br />

Galilée, 1986.


tungen der Realismusdoktrin), außer wenn sie wesentlicher Bestandteil<br />

eines ›Zitats‹ oder eines ›Klischees‹ sind. Die beschriebenen Vorgänge resultieren<br />

in einem Körper des Bildes, dargeboten zum endlosen Abspielen,<br />

Einfügen und Verändern. In diesen Videoarbeiten werden wir Zeugen<br />

des Aktes der Inbesitznahme von Dokumenten, Fotografien, Bildern,<br />

Gesichtern und Körpern, die immer wieder als Typen, Prototypen und<br />

Stereotypen reproduziert werden – eine Art doppelter Verneinung von<br />

Identität und Körper.<br />

In dem Video A Girl with Orange (Grzˇinić & Sˇmid, 1987) wird eine<br />

Kopie von René Magrittes Dies ist keine Pfeife als Schlüsselszene verwendet.<br />

Die Bedeutung des Bildes wird im Kontext der Interpretation Michel<br />

Foucaults deutlich. 3 Die Benutzung von Zitaten und die Methode des<br />

Wiederverwertens legen Fragen nach Originalität und Wiederholung<br />

nahe, nach Realität und Simulation durch Medien. In A Girl with Orange<br />

ist die gesamte Umgebung real, die Szenen wurden in einem verlassenen<br />

Schloß gedreht, in einer Wohnung, auf der Straße, in einer Werkstatt.<br />

Auch wenn in den meisten Fällen die Orte, an denen die Videos entstanden,<br />

negativ belegt sind, ist ihre Position in der Machtstruktur des sozialen<br />

Systems nicht klar auszumachen: Es handelt(e) sich um private Wohnungen,<br />

Schlafzimmer, Badezimmer.<br />

Viele Videokünstler haben Alternativen zu den dominierenden Formen<br />

(post-)kommunistischer Repräsentation entwickelt, auch durch<br />

›Miß-Repräsentation‹. ›Miß-Repräsentationen‹ bieten, im Gegensatz zu<br />

den gängigen Modellen, selten das erwartete Vergnügen der Identifikation<br />

mit einer positiven Erzählung oder einer heldenhaften Figur. Auf der<br />

Basis dessen, was von der Repräsentation ausgeschlossen wurde (des<br />

nicht-repräsentierten Objekts), wird versucht, die Repräsentation zu zerstören,<br />

und zwar indem Bedeutung aus seiner Abwesenheit geschaffen<br />

wird und auf diese Weise (nach Jo Anna Isaak) die Mittel untersucht wer-<br />

3. Vgl. Michel Foucault: Dies ist keine Pfeife, München/Wien: Hanser, 1997.<br />

241<br />

artintact 4


artintact 4<br />

242<br />

den, mit deren Hilfe Subjekt und Körper produziert werden. 4 Ziel ist die<br />

Dezentrierung des Subjekts bis zu dem Punkt, an dem es statt Außen oder<br />

Innen eine starke dynamische Beziehung zwischen Außen und Innen,<br />

Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Kunst und Natur und schließlich<br />

zwischen Realität und Fiktion gibt.<br />

Die Stellung des Körpers im sogenannten post-sozialistischen bzw.<br />

post-kommunistischen oder post-kapitalistischen Kontext und im Verhältnis<br />

zu Geschichte und Theorie kann sehr genau anhand von Bilocation<br />

(Grzˇinić & Sˇ mid, 1990) erfaßt werden. Bilokation bedeutet, daß sich<br />

Körper und Geist gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten befinden. Es<br />

ist der passende Begriff für eine Skizzierung der Wirkungsweise des Mediums<br />

Video und für die Beschreibung von Geschichte im Verhältnis zum<br />

Körper. Der Körper wird als Waffe gegen die Amnesie verwendet, indem<br />

die Spannung in einer Weise verlagert wird, die uns zu einem tieferen Verständnis<br />

von Erinnerung und Geschichte, jenseits des Mediums Video,<br />

führt. Aber nicht nur das. Die Art und Weise, wie der Körper hier dargestellt<br />

wird, macht deutlich, daß der Körper im Video nichts als die Bildauflösung<br />

ist! In Bilocation wird originales dokumentarisches Material<br />

vom ›Bürgerkrieg‹ im Kosovo (einem Gebiet im Süden Ex-Jugoslawiens,<br />

das durch nationale Unruhen und Konflikte zwischen der albanischen<br />

und serbischen Bevölkerung erschüttert wurde) verwendet, das vom slowenischen<br />

Fernsehen aufgenommen wurde, und mit der imaginären Welt<br />

synthetischer Videobilder konfrontiert. Es entstehen Bilder von (historischen)<br />

Orten, durch die unsere eigenen Erinnerungen psychotisch und<br />

erotisch zugleich werden.<br />

Indem ich versuche, einige unserer Strategien der Wiederverwertung<br />

verschiedener Körper, Geschichten und Kulturen durch Video zu<br />

verallgemeinern, kann ich sagen, daß diese Prozesse besonders zwei<br />

4. Vgl. Jo Anna Isaak: ›Women: The Ruin of Representation.‹ – Afterimage, April 1985.


Bereiche reflektieren: 1. Körper in Beziehung zur Sexualität und dem<br />

›gesellschaftlichen Körper‹ und 2. Geschichte in Beziehung zur Politik.<br />

1. In den achtziger Jahren kam es zu einer Übersexualisierung des Mediums<br />

Video, die nicht nur die Folge künstlerisch-politischer Reflexion<br />

der Unterdrückung von Sexualität in Sozialismus und Kommunismus<br />

war, sondern auch der Versuch einer Distanzierung/Dissoziation des<br />

Mediums von seinen Geschwistern Film und Fernsehen. Dieser Prozeß<br />

erfolgte durch Externalisieren dessen, was als Sexualität wahrgenommen<br />

wurde, so, wie man es aus der Tradition des Untergrundfilms (Rainer<br />

Werner Fassbinder, Rosa von Praunheim, Andy Warhol) gelernt und<br />

übernommen hatte. Diese Filme waren in den achtziger Jahren in den<br />

Untergrundclubs Ljubljanas zu sehen gewesen. Die Externalisation von<br />

Sexualität zeigte sich in offen dargestellter Pornografie und der Vermischung<br />

schwuler, lesbischer und transvestiter sexueller Haltungen<br />

(gender-bending). Dieser Prozeß läßt sich sehr einfach erklären: Sexuelle<br />

Stereotypen ebenso wie Muster bürgerlichen Rechts wurden im und vom<br />

Untergrund nicht nur konsumiert, sondern auch sofort in Wohnungen<br />

und Schlafzimmern vor der vhs-Videokamera inszeniert. In diesen Arbeiten<br />

beantwortete die Maskerade der Wiederaneignung nicht nur die<br />

einfache Frage nach der Herstellung von künstlerischer oder subversiver<br />

Identität, sondern setzte auch einen Prozeß der Auseinandersetzung mit<br />

verschiedenen Realitäten in Gang, um doppeldeutige, nicht-ausbalancierte<br />

Situationen und Identitäten zu schaffen.<br />

In Osteuropa eigne(te)n sich die Künstler das Videomedium durch<br />

Begehren, Obszönität, Pornografie, Politik und Geschichte an. Das Medium<br />

verlor seine Unschuld, da es ein Index der Zeit und subjektiver Politik<br />

wurde. In Rußland passierte dasselbe; man muß sich nur den spirituellen<br />

Zustand Rußlands nach dem Kollaps der herrschenden Ordnung in<br />

den achtziger Jahren in Erinnerung rufen. Laut Slavoj Zˇ izˇek herrscht(e)<br />

eine Atmosphäre purer, mystischer Spiritualität, der gewalttätigen Verneinung<br />

von Körperlichkeit einerseits, begleitet von einer Besessenheit<br />

243<br />

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244<br />

von Pornografie und sexueller Perversion andererseits. Zynisch könnte<br />

man sagen, daß das perfekte Westeuropa in sein makelloses Bild das unvollkommene<br />

ehemalige Osteuropa aufnehmen muß.<br />

2. Sozialistische Gesellschaften funktionierten aufgrund einer<br />

schmerzhaften Zuflucht zu einem psychotischen Diskurs, mit dem<br />

versucht wurde, die Nebeneffekte relevanter Interpretationen und<br />

Produktionen zu neutralisieren: Verstecken, Maskieren, das Neuschreiben<br />

von Geschichte. Gegenwärtige politische und soziale Veränderungen<br />

repräsentieren eher den Wunsch nach Übernahme und Wiederaneignung<br />

von Geschichte als eine Sehnsucht nach der Vergangenheit. Und zwar<br />

nicht als Mittel, wieder von der Geschichte des Kommunismus – mit all<br />

ihren Deformationen – Besitz zu ergreifen, sondern um sich der blinden<br />

Vergeltung, dem Nationalismus und Rassismus zu verweigern, der aus<br />

den ›Ruinen des Krieges‹ entstehen kann und entsteht. Video ist auch das<br />

Auge der Geschichte.<br />

Das Videoband Three Sisters (Grzˇinić & Sˇ mid, 1992) zeigt eine andere<br />

Art der Visualisierung des klassischen Stücks Drei Schwestern von Anton<br />

P. Čechov – und bezieht sich auf einen völlig veränderten politischen und<br />

künstlerischen Kontext. Es kann auch als Versuch verstanden werden,<br />

über den Zerfall des Kommunismus zu sprechen, über Rassismus, Nationalismus<br />

und über die neue politische Maschinerie von Markt und Kapitalismus.<br />

So enthält das Video beispielsweise das Remake einer berühmten<br />

Benetton-Werbung. Es beschäftigt sich auch mit der Beziehung<br />

Čechov–Eisenstein (bezugnehmend auf Panzerkreuzer Potemkin von<br />

1925) und der Beziehung Čechov–Brian De Palma (bezugnehmend auf<br />

den Film The Untouchables – Die Unbestechlichen von 1987). Das Video<br />

wirkt wie eine virtuelle Explosion des ›rotierenden Hakenkreuzes‹; Splitter<br />

dieser Explosion führen uns zu den Eingeweiden der postkommunistischen<br />

Bedingungen, die nicht nur mit ›Blut und Schlamm‹ gesättigt<br />

sind, mit Kadavern und Monstern, sondern auch mit überaus haarsträubenden<br />

Utopien, Visionen, Strategien, dem Bewußtsein der Apokalypse<br />

und des Selbst am Ende des Jahrtausends.


In Three Sisters ist der letzte Ungehorsam des klischeehaften transvestiten<br />

Körpers (derselbe wie der der Heldin aus Liliana Cavanis Film Der<br />

Nachtportier von 1973) ihr Satz am Ende des Videos: ›Ich werde leben‹. Es<br />

geht nicht um eine Strategie des ›Fakes‹, sondern um die Entwicklung von<br />

Taktiken des Widerstands – wie es Homi K. Bhabha über eine besondere<br />

Art von Subjekt sagen würde, konstruiert im Moment des Zerfalls. Und<br />

hier mache ich das Gegenteil von Godard, der, die französische Nouvelle<br />

Vague überdenkend, sagte: ›Es ist kein Blut, es ist rot‹. Wir können dagegen<br />

vom Körper im Kommunismus lernen, daß ›es nicht rot ist, sondern<br />

Blut‹ – eine Art traumatische Wirklichkeit entsteht auf der Oberfläche des<br />

Videobildes in der (post-)kommunistischen Ära.<br />

Peter Weibel folgend5 können wir z.B. über die Idee nachdenken, was<br />

es bedeutet, eine historisch definierte Position zu verlassen, die – selbst in<br />

der Kunst – die natürliche Welt unserer Sinne imitiert. Unsere Erfahrung<br />

von Raum, Position usw. hängt von dem ab, was wir ›natürliches Interface‹<br />

nennen. Der Körper ist beispielsweise eine natürliche Schnittstelle,<br />

durch die wir einen natürlichen Zugang zu Raum und Zeit haben. Wir<br />

interpretieren die Medien aufgrund dessen, was wir durch die natürlichen<br />

Schnittstellen unserer Sinne und Organe erfahren, kanalisiert und vermittelt<br />

durch eine Ideologie der Natürlichkeit, die die Künstlichkeit der<br />

Medien verneint. Aber die heutigen Medien zeigen uns, daß es die<br />

Möglichkeit eines künstlichen Interfaces gibt: die Medien selbst. Das<br />

bedeutet, laut Weibel, daß Marshall McLuhan, als er die Medien als<br />

Erweiterung des Menschen definierte, versäumte, sie als künstliche<br />

Erweiterung zu bezeichnen. Wir sehen darüberhinaus in diesem künstlichen<br />

Raum der Medien, daß das grundlegende Konzept der Konstruktion<br />

5. Vgl. Peter Weibel: ›Ways of Contextualisation or The Exhibition as a Discrete Machine.‹<br />

– Place, Position, Presentation, Public. Hg. Ine Gevers, Maastricht und Amsterdam: Jan<br />

van Eyck Akademie und De Balie, 1992. Dt. vgl. u.a.: Peter Weibel: ›Kontextkunst. Zur<br />

sozialen Konstruktion von Kunst.‹ – Kontext Kunst. Hg. von Peter Weibel, Köln: Du-<br />

Mont, 1994, S. 1–68.<br />

245<br />

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von Raum, Zeit und Körper ein Beispiel von Nicht-Natürlichkeit ist.<br />

Dasselbe läßt sich von der CD-ROM Troubles with Sex, Theory &<br />

History sagen. Die Arbeit beginnt mit einer reinen Zufalls- oder Möglichkeitsoperation,<br />

die vom Benutzer ausgelöst wird, indem dieser zwischen<br />

zwei Zahlen, 1 oder 2, auswählt. Der Benutzer ist ein Spieler. Die Zahlen<br />

führen ihn zu verschiedenen Bildern, Texten und Interaktionen, wobei<br />

das gesamte Material aus den Videos, Filmen und theoretischen Arbeiten<br />

von Grzˇinić & Sˇ mid aus den Jahren 1982 bis 1997 stammt. Es wird hier in<br />

vier Wertekategorien eingeteilt: von -- zu -+ und von +- zu ++. Die Bilder<br />

und Interaktionen handeln einerseits von Funktionen und Redundanzen,<br />

andererseits von Sinn und Unsinn, Zufall, Schicksal, Leere. Es ist unmöglich,<br />

sich durch die vier verschiedenen ›Erzählstränge‹ zu bewegen, ohne<br />

diese dabei, abhängig von unserer eigenen Geschichte, Intimität, unseren<br />

Vorurteilen und Klischees, zu verändern. Anders als bei den meisten CD-<br />

ROMs ist es hier nicht möglich, frei zwischen den einzelnen Ebenen hinund<br />

herzuspringen, beliebig vor- und zurückzugehen. Hat man sich einmal<br />

für 1 oder 2 entschieden, muß man diesen Pfad bis zum Ende gehen –<br />

oder die Arbeit verlassen. Troubles with Sex, Theory & History ist eine<br />

Schnittstelle zwischen mindestens zwei Kraftfeldern: Zwischen einer<br />

Form des Inhalts, die aus reinen Kontingenzen besteht, und einer Art des<br />

Ausdrucks, die mit den interaktiven Antworten des Benutzers verknüpft<br />

ist und einen Prozeß der Übersetzung aus einer allgemeinen in eine persönliche<br />

Ordnung von Geschmack, Wissen, Ideen und ethischer Haltung<br />

in Gang setzt.<br />

Von hier aus können wir uns problemlos in der Videografie von<br />

Grzˇinić & Sˇmid vor- und zurückbewegen, da die Videoarbeiten und die<br />

CD-ROM übereinstimmen. In Labyrinth (Grzˇinić & Sˇ mid, 1993) werden<br />

wir Zeugen der Nebeneinanderstellung von künstlich konstruierten surrealistischen<br />

Bildern, die auf Magrittes Gemälden (Das vogelessende<br />

Mädchen, Die zentrale Geschichte, Die Liebenden u.a.) basieren, und<br />

dokumentarischen Aufnahmen aus den Flüchtlingslagern in Ljubljana, in


denen in den neunziger Jahren bosnische Flüchtlinge leben. Weitere<br />

Ebenen aus Zitaten aus anderen Filmen und Bildern produzieren ein<br />

Klischee, oder, besser gesagt, stellen alles in einen neuen Kontext. Dasselbe<br />

kann man vom Körper sagen; der Körper ist ein Artefakt, zusammengeschustert<br />

aus anderen Artefakten, und nicht aufgrund tiefgehender<br />

Lebenserfahrungen. Nicht, weil etwa unser Leben nicht natürlich sein<br />

könnte, sondern weil es ununterbrochen die Künstlichkeit des Rituals<br />

reproduziert. Unser Traum, weit weg zu gehen, den Dimensionen unseres<br />

Selbst, das ein Nichts ist, zu entfliehen, wird hier durch die Umkehrung<br />

des Körpers in Zeit und Raum und Raum in der Zeit verwirklicht. Es<br />

wird deutlich, welche Auswirkungen durch technische Eingriffe in die<br />

Linearität der Zeit erreicht werden können; das Rückwärtsgehen durch<br />

einfachen Wechsel der Laufrichtung des Videobandes ist manchmal der<br />

angemessenste Maßstab unserer Gefühle und Gedanken.<br />

›Alles, Überall, Jede/r‹ ist das Schlagwort der neunziger Jahre, das zu<br />

einer Verwirrung der Körper, Konzepte und Strategien führt, zu einem<br />

Gefühl des Subjekts, ›aus den Fugen zu geraten‹. Wir befinden uns in allen<br />

Medien, in allen Körpern, an allen möglichen Orten zugleich. Das Subjekt<br />

wird zu der Annahme gezwungen, daß sie oder er nicht das ist, was sie<br />

oder er zu sein dachte, sondern jemand/etwas anderes. Die Position der<br />

Identität wird neu bestimmt, es geht nicht darum, eine neue Identität zu<br />

erzeugen, sondern um etwas wesentlich Radikaleres: den vollständigen<br />

Verlust von Identität.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer<br />

247<br />

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Unsichtbare Medien<br />

Von Carina Plath<br />

Bei einer Beschreibung von Dieter Kiesslings Videoarbeiten kann man die<br />

Materialität der Geräte, die minimalistische Reduktion der Installationen,<br />

die schwarze Verschwiegenheit der Bestandteile nicht unerwähnt lassen.<br />

Die Verknappung der Mittel und die Konzentration auf einen Sachverhalt<br />

sind ihr markantes Kennzeichen. Neben diesen äußeren Merkmalen ist<br />

jedoch eins wesentlich: in den Arbeiten gerät etwas in den Blick, das oft<br />

als unsichtbar beschrieben wird. Es handelt sich um die sogenannten<br />

›neuen Medien‹.<br />

Woraus resultiert diese Unsichtbarkeit? Der schnelle Wechsel der informativen<br />

Bilder sowie ihre ›inhaltliche‹ Überfrachtung entzieht die<br />

›neuen Medien‹ einer sinnlichen wie begrifflichen Verfolgung. Ihre Unsichtbarkeit<br />

ist jedoch weniger durch das tatsächliche Scheitern unserer<br />

Sinnesorgane, denn durch ihre Programmierung auf eine funktionale<br />

Sichtweise bestimmt. Schon McLuhan hat es deshalb vorgezogen, anstelle<br />

von der Unsichtbarkeit der Medien von einer Blindheit des Beobachters<br />

ihnen gegenüber zu sprechen. Sein Satz ›Das Medium ist die Botschaft‹<br />

wies darauf hin, daß der eigentliche Inhalt einer Medienkritik das Medium<br />

selbst als Bedingung einer Maßstab- und Schemaveränderung unserer<br />

Wahrnehmung sein müßte. 1<br />

1. Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle (Understanding Media, 1964). Aus dem<br />

Engl. v. Meinrad Ammann. Dresden, Basel: Verlag der Kunst, 1995. Teil I,1: ›Das Medium<br />

ist die Botschaft.‹ S. 21–43. Zur Blindheit des Beobachters siehe S.23.<br />

Dieter Kiessling: Continue, 1997. Screenshot.<br />

249<br />

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250<br />

Trotz vieler weiterer Aufforderungen, endlich zum ›Wesen‹ der Medien<br />

vorzudringen, gibt es wenig theoretische Versuche, das zu tun. Dies<br />

hat zahlreiche Gründe, von denen hier nur zwei benannt werden sollen.<br />

Erstens ist das bloße Medium tatsächlich unsichtbar: Fernsehen ohne Bild<br />

ist ›an sich‹ nicht existent. Der immaterielle Vorgang bedarf eines ›Inhalts‹,<br />

an dem er sich zeigen kann. Zweitens ist die Medienkritik immer<br />

Teil des Programms, das sie untersucht. Da das Denken inzwischen in<br />

medialen Kategorien erfolgt, ist die es vermittelnde Sprache genauso kritisch<br />

wie affirmativ.<br />

Das Werk ist hier gegenüber dem Text eindeutig im Vorteil. Der<br />

direkte, unvermittelte Zugriff des Künstlers auf die Apparate scheint<br />

die einzige Möglichkeit zu sein, die unsichtbaren Voraussetzungen der<br />

Medialität sichtbar zu machen. Die Medien lassen sich nicht entblößen,<br />

sondern nur hintergehen. Es gilt, eine Überlistungsstrategie zu finden, bei<br />

der sie mit ihren eigenen Mitteln geschlagen, von sich selbst eingenommen<br />

werden. In den Arbeiten von Dieter Kiessling ist eine solche Strategie<br />

gelungen. Sie besteht darin, die ›neuen Medien‹ in Situationen zu bringen,<br />

die ihnen nicht entsprechen: eine Kamera wird auf sich selbst gerichtet,<br />

ein Monitor zeigt sein eigenes Abbild. Aus diesen Rückkopplungen ergeben<br />

sich ›Kurzschlüsse‹, bei denen die Geräte gerade dadurch, daß sie<br />

aus unserer Sicht nicht ›richtig‹ funktionieren, ihre Funktionsweisen<br />

offenbaren. Der Inhalt von Kiesslings Medien sind sie selbst. 2 Sie werden<br />

zur Selbstanalyse mißbraucht und beobachten schließlich nur noch ihr<br />

eigenes Tun.<br />

2. Dies gilt nicht nur für die ›neuen Medien‹, sondern auch für herkömmliche Werkstoffe<br />

wie beispielsweise Steine, die Kiessling in anderen Arbeiten behandelte. Siehe dazu den<br />

Katalog des Städtischen Museum Abteiberg Mönchengladbach 1989/90 und den Katalog<br />

der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf 1994. Zur weiteren Einführung in die Videoarbeiten<br />

und Projektionen siehe den Katalog der Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen<br />

1995 sowie den Aufsatz der Verfasserin: ›Kurzschlüsse. Zu den Videoarbeiten von<br />

Dieter Kiessling.‹ – Das Kunst-Bulletin, 5/97, S. 10–17.


Der Reiz, der von den neuen Medien auf Kiessling gewirkt haben mag,<br />

ist der Widerspruch zwischen dem Grad der Abstraktion, die etwas in<br />

dem Maße erlangt, in dem es nur als Vermitteltes existiert und seiner konkreten,<br />

alltäglichen Präsenz und Akzeptanz. Ein Beispiel für dieses Interesse<br />

sind Kiesslings Uhrenarbeiten (1985–88). Wie die Uhr für den Begriff<br />

der Zeit steht und Begriff und Objekt in eins fallen, wird durch einen<br />

simplen Eingriff des Künstlers bewußt, wenn sich das Vertauschen von<br />

Stunden- und Minutenzeiger unmittelbar auf den Zeitbegriff niederschlägt.<br />

3 Ebenso vertritt das jeweilige technische Bild nicht nur sein Medium,<br />

sondern eine ganze Vorstellungswelt und kann zu deren selbstbezogener<br />

Reflexion verleitet werden.<br />

Kiessling interessiert sich für die Grundlagen. Bevor er den Theorien<br />

des Verschwindens der Realität folgt, setzt er bei den fundamentalen<br />

Fragen an, die sich schon stellen, wenn man einen Fernseher nur einschaltet.<br />

Man könnte, in Anlehnung an Roland Barthes’ Untersuchungen<br />

zur Fotografie, von einem ›ontologischen Wunsch‹ des Künstlers gegenüber<br />

den ›neuen Medien‹ sprechen. Da das Medium ›an sich‹ jedoch ungreifbar<br />

ist, versucht er zunächst, das Umfeld abzutasten. Das bedeutet,<br />

über die Untersuchung der materialen Eigenschaften hinaus, die Vorurteile<br />

und Begriffe, die ein Medium umgeben und bestimmen, fragwürdig<br />

zu machen.<br />

In einer der ersten Arbeiten Kiesslings durchleuchtet die Kamera den<br />

mikrokosmischen Aufbau des Fernsehbildes. Sie nimmt einen kleinen<br />

Ausschnitt des Monitorbildes auf und gibt ihn stark vergrößert an den<br />

Monitor zurück. Das bunte Raster, aus dem jedes Fernsehbild besteht,<br />

wird flimmernd auf der Mattscheibe sichtbar (Raster, 1982). Doch vergleichbar<br />

dem Blick durch das Mikroskop auf ein mit bloßem Auge nicht<br />

zu erkennendes Lebewesen, wird auch hier nur die Unerreichbarkeit<br />

3. Zu den Uhrenarbeiten siehe den Text von Dierk Stemmler im Kat. Museum Abteiberg<br />

Mönchengladbach 1989/90, unpaginiert.<br />

251<br />

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252<br />

bewußt. Daß uns demonstriert wird, was wir normalerweise nicht sehen,<br />

zeigt uns nur, daß wir es nicht sehen können.<br />

In einer weiteren Arbeit ist der Fernseher von hinten geöffnet (o.T.,<br />

1989). Eine Kamera nimmt das Innenleben des Geräts von der Seite auf<br />

und gibt es an den Schirm weiter. Farbige, elegant geschwungene Kabel,<br />

das sanfte Auswölben der metallisch glänzenden Röhre, die Kleinteiligkeit<br />

der Platinen verraten eine verborgene Schönheit, die der Technik<br />

fremd zu sein scheint. Nicht nur der Akt der Öffnung des Geräts, sondern<br />

gerade die Tatsache, daß dieses Innere als Bild auf dem Monitor erscheint,<br />

macht die Apparatur ästhetisch interessant. Doch wie verhält sich das Abbild<br />

des Innenlebens zu seiner Funktion? Die Bloßlegung der Elektronik<br />

der ›black box‹ sagt uns noch lange nicht, wie wir den Vorgang der Bildgewinnung<br />

und das mediale Bild verstehen und bewerten sollen.<br />

In Kiesslings Videoinstallationen gibt es keine Erzählung. Er setzt bevorzugt<br />

den ›Closed circuit‹, die zeitgleiche Aufnahme- und Abspielmöglichkeit<br />

der Videokamera, ein. Jeder Teil des Kreislaufs, das Motiv, die<br />

Kamera, die Kabel, der Monitor, das Abbild, ist nicht nur vorhanden,<br />

sondern wird in einer formal geschlossenen Anordnung präsentiert. Zudem<br />

arbeitet Kiessling ausschließlich mit dem dauerhaften Videobild. Es<br />

wird wider seine Natur zum Stillstand gebracht, gezwungen, sich auf<br />

einen Sachverhalt zu konzentrieren und sich somit selbst zu zeigen. Der<br />

gedankliche Prozeß, der sich bei der Betrachtung der Installationen in<br />

Gang setzt, ist so nicht auf einen Ablauf gerichtet, sondern auf die sinnvolle<br />

Verbindung der einzelnen Teile der Installation. Dabei stößt man<br />

auf den Widerspruch, daß man alle Teile eines funktionalen Zusammenhangs<br />

sehen und sie dennoch nicht logisch verbinden kann. Durch die<br />

Geschlossenheit der Situation und die Simultanität von Ding und Bild<br />

entstehen gedankliche Paradoxa, denen man sich nur durch den Abbruch<br />

des gedanklichen Nachvollzugs entziehen kann. Man ist mit einem Zeitvakuum<br />

konfrontiert, in dem kein Raum für Projektionen des Betrachters<br />

zu sein scheint.


In der Installation Kerze (1988) ist eine nicht brennende Kerze in einem<br />

dunklen Raum deshalb zu sehen, weil sie von ihrem strahlenden Abbild<br />

auf dem nahen Monitor Licht erhält. 4 Das Abbild, das seinerseits<br />

ohne die reale Kerze undenkbar ist, ist damit ebenso von ihr abhängig,<br />

wie es ihre Erscheinung zugleich bestimmt. Durch seine Funktion als<br />

Lichtquelle gewinnt es einen realen, der realen Kerze äquivalenten Status.<br />

Der Grad der Fiktion der Kerze, die nicht brennt und im Dunkeln trotzdem<br />

zu sehen ist und des Abbilds der Kerze, dessen Entstehung mysteriös<br />

erscheint, ist annähernd derselbe. Hier wird ein doppeltes Spiel gespielt:<br />

indem die gegenseitige Abhängigkeit von Ding und Abbild überstrapaziert<br />

wird, erhält das Abbild eine Souveränität, die es wiederum aus<br />

diesem Abhängigkeitsverhältnis zu entlassen scheint. Das technische Bild<br />

ist damit emanzipiert von seiner realen Vorgabe. Die Frage, was zuerst da<br />

war, die Kerze oder das Bild der Kerze, läßt sich nicht klären. 5<br />

Die gleichberechtigte Existenz von Gegenstand und Bild wird um das<br />

Spiegelbild in einer Arbeit von 1988 (o.T.) erweitert. Eine Kamera nimmt<br />

die Reflexion ihres Umraums und ihrer selbst auf einem ausgeschalteten<br />

Monitor auf. Sie gibt das Bild direkt an einen zweiten Monitor weiter, der<br />

den aufgenommenen Reflex zeigt. Zugleich reflektiert sein Glasschirm<br />

wieder den realen Raum mit der Kamera: Aufnahme der Reflexion und<br />

4. Die Kerze, die in einem dunklen Raum steht, muß zu Beginn einmal mit einer Lampe angestrahlt<br />

werden, damit sie für die Kamera sichtbar wird. Im weiteren Verlauf erhält sich<br />

der Kreislauf mit Hilfe der Kamera, die die Kerze aufnimmt und des Videobilds, das die<br />

Kerze anstrahlt, jedoch selbst aufrecht.<br />

5. Hier sei die Beschreibung des Wandels durch die neuen Medien von Marshall McLuhan<br />

zitiert, die für die Arbeit Kerze geschrieben zu sein scheint: ›So kam es zum größten<br />

Umschwung durch die Elektrizität, die der Aufeinanderfolge ein Ende bereitete, indem<br />

sie alles instantan machte. Mit der instantanen Geschwindigkeit wurden uns die Ursachen<br />

der Dinge wieder deutlich bewußt, was nicht der Fall gewesen war, als man die<br />

Dinge in der Folge und damit in der Verkettung sah. Anstatt die Frage zu stellen, was zuerst<br />

war, das Huhn oder das Ei, schien es plötzlich so, daß das Huhn eine Idee des Eis sei,<br />

um weitere Eier zu bekommen.‹ McLuhan, a.a.O., S. 28.<br />

253<br />

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›reale‹ Reflexion durchdringen sich. Das aufgenommene Spiegelbild hält<br />

die Kamera konstant fest. Es erlangt dadurch einen größeren Realitätsgehalt<br />

als das sich mit dem Betrachter bewegende, flüchtige Spiegelbild: der<br />

Widerschein, der als ungewiß gilt, erhält durch die Aufnahme einen positiven<br />

Status. Andererseits ist das Abbild der Reflexion nur schemenhaft<br />

erkennbar, aus einer unbestimmten Tiefe des Bildschirms scheint es hervor.<br />

Die Präsenz des leuchtenden Fernsehbildes, von dem man sich kaum<br />

abwenden kann, wird hier widerlegt mit einem Bild, das auch bei näherem<br />

Hinsehen ungreifbar scheint.Die Kamera wird mehr und mehr dematerialisiert,<br />

so daß am Ende eine schemenhafte Erscheinung übrigbleibt, die<br />

sich von ferne andeutet. Das technische Bild wird damit in Zweifel gezogen.<br />

Die Sprache gerät hier ins Taumeln, sie hat keine Begriffe, um die Realitätsgehalte<br />

zu differenzieren. Anstelle der Entlassung aus dem begrifflichen<br />

Denken, die uns die schnellen Bilder im Alltag gewähren, stellen die<br />

visuellen Rätsel Kiesslings die begriffliche Klärung erneut auf die Probe.<br />

In der zeitgleichen Konfrontation von Gegenstand und medialem Bild<br />

verunklären sich die Zustände gegenseitig, werden die Abhängigkeiten<br />

fraglich. Die Simultaneität von dreidimensionalem Gegenstand und<br />

zweidimensionaler Oberfläche offenbart eine Verschiedenheit, die wir<br />

nicht benennen können.<br />

Das magnetisch aufgezeichnete, analoge Videobild stellt sich aktuell<br />

als Übergangsstadium zwischen der Fotografie und der digitalen Bilderzeugung<br />

dar. Im Gegensatz zum digitalen Bild kann es sich nicht von der<br />

Außenwelt lösen. Gerade weil es, wie die Fotografie, eine Bindung an die<br />

Realität aufrechterhält, bleibt die Frage nach dem Verhältnis von Realität<br />

und Bild weiterhin brisant.<br />

Die Magie des technischen Bildes ist ein Produkt ihres Gebrauchs.<br />

Einige Arbeiten von Kiessling zeigen, indem sie diese Magie herzustellen<br />

und zu beschwören wissen, wie die alltägliche Haltung gegenüber den<br />

neuen Medien grundsätzlich irrational geprägt bleibt. Der Bannkreis der


medialen Macht wird von uns selbst erzeugt, indem wir sie stets in Bezug<br />

auf uns wahrnehmen. In der ›anderen‹ Realität der medialen Bilder versagen<br />

unsere Sinne. Sie können, von der Position der Medien aus beurteilt,<br />

nicht mehr ›richtig‹ wahrnehmen: das flimmernde, sich ständig erneuernde<br />

Bild wird als einheitliche Fläche gesehen, der Schnitt ist nur als<br />

Wechsel wahrnehmbar. Wo die Sinne versagen, werden die Sachverhalte<br />

zu Glaubensfragen. Da die Realität der technischen Bilder sich unserer rationalen<br />

wie sinnlichen Erfassung entzieht, setzen wir auf das Glaubensbekenntnis<br />

zur Simulation. Aus Technik wird Magie.<br />

Medium: das Wort deutet das Rätsel bereits an. Das Mittlere, das dazwischen<br />

liegt, der Mittler, der keine eigene Identität besitzt, außer daß er<br />

die Funktion zu über-mitteln hat. Das Medium, daß uns Botschaften<br />

überbringen kann, auf die wir keinen direkten Zugriff haben. Medial bedeutet<br />

entfernt.<br />

Beschwörend spricht ein im Dunkeln waberndes Bild zu uns: ›STAY‹<br />

(STAY, 1991). Diese Botschaft aus der medialen Welt mahnt, innezuhalten<br />

im Rausch der Bilder. Die introspektive Videokamera, die gegen<br />

ihre eigenen Bedingungen spricht, läßt Kiessling zu einem meditativen<br />

Instrument werden. ›STAY‹: aus der bloß funktionalen Anzeige scheint<br />

ein Befehl zu werden. Wie ein großes Auge zeichnet sich das Objektiv im<br />

Dunkeln auf der Wand ab. ›Stay with me‹: Die Kamera erhält darüberhinaus<br />

den komischen Effekt eines Geräts, das um Gesellschaft bettelt.<br />

Die Aufgabe der Kamera, sachliche Aufnahmen von der zu beobachtenden<br />

Umwelt zu liefern, wird durch ihre Introvertiertheit ins Absurde<br />

getrieben.<br />

Der Videokamera kommt in den Installationen Kiesslings eine besondere<br />

Aufgabe zu. Sie ist der Analytiker, der die anderen Geräte oder sich selbst<br />

untersucht. Dadurch, daß ihre Beobachtungsgabe ins Zentrum gerückt<br />

wird, wird die naive Gleichsetzung von Auge und Kamera hintergangen.<br />

Indem das Bild nicht unseren Erwartungen entspricht, zeigt es seine<br />

255<br />

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256<br />

Eigendynamik deutlich. In Kiesslings Arbeiten entsteht gerade durch das<br />

bloße Funktionieren der Apparate, das in seiner sturen Selbstgenügsamkeit<br />

absurde Züge annimmt, die Irritation.<br />

Die Geräte machen alles unter sich aus. In einer Arbeit von 1995 (o.T.)<br />

stehen sich zwei Kameras wie in einem Duell frontal gegenüber, nehmen<br />

unaufhörlich ihr Gegenstück auf. Der zu ihnen gestellte Monitor zeigt die<br />

Vorderansicht einer Kamera, eindringlich öffnet sich das schwarze Auge<br />

des Objektivs. Die auf dem Bildschirm zu sehenden Kabel verraten den<br />

Videomischer: die unzähligen Aufnahmen der zwei Kameras fließen in<br />

das eine, sich stetig erneuernde Bild. Die Potenz des sich stetig aktualisierenden<br />

Bildes scheint durch die Speisung von zwei Geräten verdoppelt.<br />

Dieser Eindruck steigert den Kontrast zwischen dem ›Schußwechsel‹ und<br />

der mahnenden Präsenz der einen, lauernden Kamera. Doch der Blick auf<br />

ihr Äußeres bedeutet nur eine weitere Leerstelle. Es ist nicht von Bedeutung,<br />

welche Kamera wir sehen können, eine Kamera ist wie die andere, in<br />

der stetigen Reproduktion ihrer selbst gefangen.<br />

Dieter Kiessling setzte die sinnlose Wiederkehr des Gleichen schon in<br />

seinem Film Paternoster (1987), in dem der Kreislauf der Kabinen zum<br />

Symbol der Redundanz der Bilder wurde, ein. Die sich selbst reproduzierende<br />

Schleife findet sich als zeitliche Form in weiteren Arbeiten wie dem<br />

Mauerfilm von 1982 und auch in der Arbeit o.T. (1982): ein senkrecht gekippter<br />

Filmprojektor zieht ein herabhängendes Stück Zelluloid in sich<br />

hinein und projiziert es dabei auf den Boden. Der Film zeigt den gegenläufigen<br />

Vorgang: in ihm gleitet ein dunkles Band herab und häuft sich<br />

mit der Fortsetzung des Films auf dem Boden, bis schließlich sein letztes<br />

Stück vom Projektor herabfällt. Am Ende ist das reale Filmband aufgespult,<br />

der ›Film im Film‹ liegt auf der Erde. Die beiden Abläufe heben sich<br />

gleichzeitig auf, als wenn nichts geschehen wäre. In all diesen Arbeiten<br />

wird der Betrachter Zeuge absurder Geschehen, die im Moment ihres Beginnens<br />

immer schon abgeschlossen sind. Als Bilder, deren Informationen<br />

nur um sich selbst kreisen, werden sie zu Gleichnissen für die strukturelle<br />

Immanenz des medialen Systems.


Das ständige Abseits des Betrachters, das in Kiesslings Installationen formal<br />

pointiert wird, ist nicht nur ein Kennzeichen der spezifischen Situation,<br />

sondern ein Wesensmerkmal der Medien. Es scheint keine Möglichkeit<br />

zu geben, einen subjektiven Standpunkt zu gewinnen. Stets bleibt der<br />

nichtssagende Blick auf die Oberfläche. Dieser Äußerlichkeit weiß Dieter<br />

Kiessling jedoch eine positive Wendung zu geben. Indem die Apparatur<br />

sich auf einmal selber bewacht, gerät der Mensch aus dem Brennpunkt<br />

und erhält gerade dadurch neuen Spielraum.<br />

Vilém Flusser hat in seiner Studie Für eine Philosophie der Fotografie<br />

die Möglichkeiten beschrieben, die einen Freiraum für den Menschen in<br />

einer automatisierten Welt schaffen könnten. Nach ihrer Aufzählung<br />

kommt er zu dem Schluß: ›Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen.‹ 6<br />

Kiessling tut genau das. Er verkehrt die Spielregeln: jetzt versagen nicht<br />

mehr unsere Sinne im Blick auf die Geräte, sondern die Geräte im Blick<br />

auf sich selbst. In ihrer Selbstbezogenheit werden die Medien zu dem, was<br />

sie sind: nicht mehr und nicht weniger als ein Medium.<br />

6. Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography,<br />

1994, S. 73.<br />

257<br />

artintact 4


artintact 4<br />

258<br />

Verweiser<br />

Von Astrid Sommer<br />

Am Nullpunkt der Malerei: Ein weißer Strich von bestimmter Länge auf<br />

dem Boden des Ausstellungsraumes, an seinem Ende ein Gipsblock in<br />

fragiler (dynamischer) Position, das Werkzeug, mit dem der Strich gezogen<br />

wurde, aber dessen eigentliche Bestimmung es nicht ist, eine Spur zu<br />

hinterlassen (o.T., 1983). Die wesentlichen Elemente der zeichnerischen<br />

Bilderzeugung sind hier versammelt, und sie markieren den dazu notwendigen<br />

Vorgang, ohne zu diesem Zweck ein Bild her/darstellen zu<br />

müssen. Es geht allein um die Essenz des Zeichnens/Malens, die Voraussetzungen<br />

des Abbildungsprozesses, oder, mit Lambert Wiesing: ›an die<br />

Stelle der Abbildung und Interpretation einer sichtbaren Wirklichkeit<br />

tritt die Erzeugung von Sichtbarkeit.‹ 1 Roland Barthes fragte im Reich der<br />

Zeichen: ›Wo beginnt die Schrift? Wo beginnt die Malerei?‹ 2<br />

Konsequent und kontinuierlich widmete sich Dieter Kiessling in den<br />

vergangenen 15 Jahren vor allem der Befragung und Erforschung der<br />

Bilderzeugung und -wiedergabe durch technische (analoge) Medien:<br />

Fernseher, Videokamera, Diaprojektor. So projiziert in o.T. (1994) ›ein<br />

Diaprojektor […] mit dem Licht der Projektionsbirne diese selbst auf die<br />

Wand, ohne daß ein Bildträger zwischen Objektiv und Lampe geschaltet<br />

wird.‹ 3 Das Bild der Glühlampe gibt Auskunft über die Funktionsbedin-<br />

1. Lambert Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes. Hamburg, 1997, S. 267.<br />

2. Roland Barthes: Das Reich der Zeichen. Frankfurt/M., 1981, S. 35.<br />

3. Werkbeschreibung Dieter Kiessling, in: Dieter Kiessling. Projektionen und Videoinstallationen.<br />

Kat. Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen, 1995, S. 36.


gungen des Diaprojektors, über die elektrische Bilderzeugung selbst, es<br />

tritt als ›anschauliche Reflexion seiner eigenen Grundlage auf: seiner<br />

Sichtbarkeit‹ 4 – durch Licht.<br />

Der Computer, die Universalmaschine und offensichtlich prägendes<br />

Element unserer postindustriellen Gesellschaften am Ausgang des 20.<br />

Jahrhunderts, kann unter anderem auch der Bilderzeugung dienen. Konsequenterweise<br />

fragt Dieter Kiessling in Continue aber nicht (nur) nach<br />

dem Wesen der digitalen Bilderzeugung, sondern nach dem Wesen der<br />

Funktionsweise der Maschine überhaupt.<br />

Wir wissen um die Unerbittlichkeit der vom binären Code bestimmten<br />

Maschine. Sie reagiert auf 0/1, auf Ja/Nein, Entweder/Oder, Quit<br />

oder Continue. Sie ist unbestechlich und duldet keine Kompromisse, kein<br />

›Vielleicht‹. Sie kennt keine Zwischenräume zwischen 0 und 1. Weitergehen<br />

oder beenden? Die Frage ist die Essenz unserer Wahlmöglichkeiten<br />

gegenüber der Maschine. Gegenüber einem interaktiven Kunstwerk, das<br />

nach den Strukturen der digitalen Maschine funktioniert. Weitergehen<br />

oder beenden? Ja oder Nein? Schwarz oder Weiß? Gehen wir weiter, so<br />

vervielfältigt sich die Frage scheinbar unendlich in scheinbar unendlich<br />

viele immer gleiche Wahlmöglichkeiten: Weitergehen oder beenden? Sich<br />

einlassen oder sich abwenden? Dieser Prozeß in der Auseinandersetzung<br />

mit einem Kunstwerk wird hier vor Augen geführt. Ebenso die Banalität<br />

unserer Wahlmöglichkeiten: Ja oder Nein? 0 oder 1? Weiter oder Beenden?<br />

Tatsächlich ist die Unendlichkeit begrenzt: Ein Pixel ist die kleinste,<br />

unteilbare Einheit eines digitalen Bildes, und wenn die Stufe überschritten<br />

wird, in der jedes zweite Pixel mit ›Quit‹ und die anderen mit ›Continue‹<br />

belegt sind, gibt es keine weiteren Vervielfältigungen, sondern nur<br />

noch Zufallsoperationen.<br />

Als Mutterland der modernen Mathematik gilt Indien, und der usbekische<br />

Mathematiker Mohammed ibn Musa al-Chorezmi (um 780 bis<br />

4. Wiesing, a.a.O., S. 268.<br />

259<br />

artintact 4


artintact 4<br />

260<br />

nach 847), der nach Indien gegangen war, um seine mathematischen<br />

Kenntnisse zu vervollkommnen, gab, so wird erzählt, dem Algorithmus<br />

seinen Namen. Er zeigte Lösungsmethoden für quadratische Gleichungen,<br />

und dafür bediente er sich des auch der sogenannten Weizenkornlegende<br />

innewohnenden Logarithmensystems. Die Weizenkornlegende<br />

wird im allgemeinen mit den Ursprüngen des Schachspiels in Verbindung<br />

gebracht und liest sich so:<br />

Der weise Erfinder des Schachspiels habe sich vom König als Lohn nur Weizenkörner<br />

nach dem Prinzip erbeten: fürs erste Feld auf dem Schachbrett eins, fürs zweite zwei, fürs<br />

dritte vier, fürs vierte acht, fürs fünfte sechzehn usw. Das allgemeine Erstaunen über diese<br />

scheinbare Bescheidenheit wandelte sich beim König zum blanken Entsetzen, als sich<br />

schließlich herausstellte, daß allein für das 64. Schachfeld die ungeheure und nicht aufbringbare<br />

Summe von 9 223 372 036 854 775 808 Weizenkörner notwendig und damit insgesamt<br />

18 446 744 073 709 551 616 Weizenkörner erforderlich gewesen wären. In einem Buche<br />

wurde anschaulich demonstriert, daß ganz Europa und große Teile Afrikas hätten mit Weizen<br />

bedeckt werden müssen, wenn man dieser Bitte entsprechen wollte. 5<br />

Dank der Erkenntnisse al-Chorezmis wird später (im 11. Jahrhundert)<br />

die unaussprechlich große Zahl der Weizenkörner mit der etwas handhabbareren<br />

Größe 16 16-1 angegeben. Als ob Dieter Kiessling jetzt in der<br />

Umkehrung das Unfaßbare bestätigen wollte und dabei zugleich auf die<br />

historischen Anfänge der modernen Rechenkunst und damit auf die Ursprünge<br />

des Computers verweist, zeigen sich in Continue anschaulich die<br />

ersten Ebenen der Berechnung der Anzahl der Weizenkörner – und in der<br />

sechsten Ebene gleicht der Bildschirm tatsächlich einem Schachbrett.<br />

Doch selbstverständlich ist auch die Fläche des Bildschirms nicht ausreichend,<br />

um die Dimensionen, mit denen hier gehandelt wird, darzustellen.<br />

Auf der 19. Ebene hat der Betrachter 153 600 mal die Möglichkeit, ›Continue‹<br />

zu wählen, doch ist diese Zahl fast nur noch theoretisch von Bedeutung,<br />

da exakte Entscheidungen kaum mehr möglich sind. Schon in der<br />

20. Ebene, also, wenn man es überträgt, erst zu Beginn der dritten Reihe<br />

5. Joachim Petzold: Schach – Eine Kulturgeschichte. Leipzig, 1986, S. 13.


des Schachbretts, zeigt sich dem Betrachter nur noch eine einheitlich<br />

graue Fläche, mit der die Wahlmöglichkeit zur Zufallsentscheidung geworden<br />

ist.<br />

Zwar haben wir es hier scheinbar mit Verzweigungen zu tun (mit den<br />

Unterteilungen der Wahlmöglichkeiten), aber eigentlich handelt es sich<br />

um eine Einbahnstraße (›die Technik der Einbahnstraße ist der des Spielers<br />

verwandt‹ 6 ): Man kann nur immer wieder von vorne beginnen, und<br />

man wird immer wieder den exakt gleichen Weg gehen. Aber dies mit<br />

Vergnügen, denn Continue gaukelt uns nichts vor von den falschen Unendlichkeiten,<br />

für die das Medium CD-ROM allseits gepriesen wird, sondern<br />

führt uns an das andere Ende, oder, wenn man will, den Anfang: zum<br />

Nullpunkt des binären Codes.<br />

6. Theodor W. Adorno: ›Benjamins Einbahnstraße.‹ – Ders.: Über Walter Benjamin.<br />

Frankfurt/M., 1990, S. 29.<br />

261<br />

artintact 4


Medien-Impressionismus<br />

Zu Anja Wieses trance machine*<br />

Von Tilman Baumgärtel<br />

Eine Geschichte hat einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende.<br />

Ein Satz hat einen Anfang und ein Ende. Subjekt, Prädikat, Objekt,<br />

Nebensatz und Hauptsätze.<br />

Geschichte besteht aus historischen Ereignissen. Aus Schlachten, Krönungen,<br />

Friedensschlüssen, Wahlen, Verträgen, dem Tod von Soldaten,<br />

der Bombardierung einer Brücke, dem Einmarsch der Alliierten.<br />

Im Raum gibt es oben und unten, links und rechts, Dinge, die im Vordergrund<br />

stehen, und Dinge, die sich im Hintergrund befinden.<br />

Die Wirklichkeit ist das große Ungeordnete. Sie gibt sensomotorische<br />

Signale ab, überflutet uns ununterbrochen mit audio-visuellen Daten.<br />

Das gilt nicht nur im verdichteten, mediatisierten Leben in der Großstadt;<br />

die Summe dessen, was man wahrnehmen und wissen kann, überschreitet<br />

schlichtweg überall die Aufnahmefähigkeit des Menschen. Dem<br />

Daueransturm des Wahrnehmbaren entgehen wir, indem wir unsere<br />

Kanäle gegen diesen Input teilweise abschotten. Um die Schwemme von<br />

Wirklichkeit verarbeiten zu können, organisieren wir unsere Sinnesein-<br />

* In der Buchausgabe von artintact 4 befindet sich zu den Arbeiten von Anja Wiese ein<br />

Text von Barbara Köhler. Die Autorin hat einer Wiederveröffentlichung nicht zugestimmt.<br />

Der vorliegende Text ist ein Originalbeitrag für diese DVD-Ausgabe. (Anm.<br />

d. Red.)<br />

Anja Wiese: trance machine, 1997. Screenshot.<br />

263<br />

artintact 4


artintact 4<br />

264 drücke und wir versuchen, ihrer Herr zu werden, indem wir einiges<br />

hervorheben, anderes unterdrücken. So wird aus dem, was wir erlebt<br />

haben, eine Geschichte, die Eindrücke und Wortbrocken in unserem Gehirn<br />

ordnen sich zu Sätzen. Die Dinge, die in der Welt geschehen, werden<br />

Geschichte oder vergessen, der Raum, der uns umgibt, erscheint als ein<br />

Ort mit Richtungen, mit oben und unten, links und rechts, Osten und<br />

Westen, Süden und Norden.<br />

Die Arbeiten von Anja Wiese arbeiten an dieser und gegen diese Ordnung<br />

der Dinge. In ihren Sound- und Video-Werken arbeitet sie mit den<br />

Daten, die auf unsere Augen und Ohren einströmen, aber sie zerteilt diesen<br />

Strom der Phänomene in kleine Einheiten, in ein Set von genau dosierten<br />

Reizen. Auch wenn ihre Arbeiten zunächst den Eindruck eines<br />

homogenen großen Ganzen vermitteln, geht es bei ihnen nicht um Synthese,<br />

sondern um Analyse, um die Isolierung und Neukombination von<br />

Ton- und Bildelementen. Dazu benutzt sie vor allem technische Medien:<br />

Tonbänder mit Endlosschleifen, Diktiergeräte, digitale Klangspeicher,<br />

Video.<br />

Anja Wiese betreibt eine Art Medien-Impressionismus. Ihre Methode<br />

erinnert in vieler Hinsicht an den historischen Impressionismus, welcher<br />

der direkten, heterogenen Widergabe unserer Wahrnehmung von Sinnesreizen<br />

den Vorrang gegenüber homogenisierenden Darstellungen des<br />

Ganzen gab. In der impressionistischen Malerei stehen die flüchtigen<br />

Reize des Lichts und der Atmosphäre, stehen Stimmungen und Erscheinungen<br />

im Mittelpunkt. Diese Impressionen entstanden nach Ansicht der<br />

Impressionisten durch den direkten Aufprall der Welt auf die Sinne. Es<br />

sind keine voll ausgebildeten Wahrnehmungen, sondern etwas von Wissen<br />

und Erfahrung zum Teil noch Unberührtes und Ungeformtes.<br />

Auch Anja Wiese liefert in ihren Arbeiten immer wieder solche ›Impressionen‹:<br />

statt eines totalisierenden Gesamtbilds bietet sie Ausschnitte<br />

und Bruchstücke von Wirklichkeit. Und so wie die Impressionisten in


ihrer Malerei eine Faszination mit den flüchtigen, irisierenden Eigenschaften<br />

von Farben und Licht zu Gemälden werden ließen, beschäftigt<br />

sich auch Anja Wiese in so gut wie allen ihren Werken mit Ephemerem:<br />

mit bewegten Bildern, flüchtigen Tönen und dem Licht, das auch für die<br />

Impressionisten eine so große Rolle gespielt hat. Ihre Arbeiten bekommen<br />

dadurch eine kristallisierende, ambivalente Qualität, die an die Sinne<br />

appelliert, ohne sinnlich zu sein, die den Phänomenen analytisch auf den<br />

Grund geht, ohne darum steril, abstrakt oder kalt zu sein. Während die<br />

Impressionisten versuchten, ihren eigenen ›naiven Blick‹ auf die Flut der<br />

Erscheinungen zu dokumentieren, geht es in Anja Wieses Arbeiten allerdings<br />

eher darum, Bedingungen zu schaffen, die dem Betrachter wieder<br />

einen von Vorprägung freien Blick auf die Phänomene erlauben – ein<br />

›jungfräuliches Sehen‹ (oder im Fall von Wieses Klanginstallationen:<br />

Hören), von dem in der Literatur über den Impressionismus so oft die<br />

Rede ist.<br />

Wer ein impressionistisches Gemälde aus nächster Nähe betrachtet,<br />

sieht oft nur Farbfelder und -punkte, die zunächst gar nichts ›darstellen‹.<br />

Erst wenn man weiter zurücktritt, entsteht aus diesen Fragmenten ein<br />

Bild. Die Impressionisten wollten in ihren Gemälden und Zeichnungen<br />

ihre eigene flüchtige, subjektive und bruchstückhafte Wahrnehmung<br />

festhalten und zeigten darum ihre ›Sicht der Welt‹ auf der Leinwand in<br />

kleine Farbfelder zerlegt. In kleine sensomotorische Wahrnehmungsfelder<br />

zerlegt erscheint die Wirklichkeit auch in den Arbeiten von Anja<br />

Wiese: Satzfetzen, Lichtpunkte und -felder, Videobilder, die der Betrachter<br />

zu eigenen Kompositionen zusammensetzten muss.<br />

Friedemann Malsch hat ein Environment von 1987, das als raumbezogene<br />

Arbeit für die Galerie Brusten in Wuppertal entstand und den bezeichnenden<br />

Titel Unbezähmbare Ambivalenz trägt, so beschrieben:<br />

Anja Wiese hatte Folien auf die Fenster geklebt, die sie mit unendlicher Geduld in vielen<br />

Arbeitsgängen purpurrot bemalte, in der farbigen Fläche jeweils unterschiedliche<br />

Binnenstrukturen hinterlassend. Diese Folien tauchten den Raum in ein diffuses, aber<br />

265<br />

artintact 4


artintact 4<br />

266<br />

äußerst intensives rotes Licht, das in seiner Aggressivität fast körperlich zu spüren war.<br />

Dazu ertönte eine serielle Montage mit starker Rhythmik vom Band, die aus zwei Sätzen<br />

bestand: ›Seien Sie ganz offen! Sagen Sie die Wahrheit!‹ Die Wirkung der Farbe war in der<br />

Tat so stark, dass der eintretende Besucher keine Möglichkeit hatte, sich im Raum zu<br />

orientieren; zu sehr war er mit den sinnlichen Eindrücken und der Abwehr der penetranten<br />

Aufforderung beschäftigt. Der Künstlerin war es gelungen, sich über die Dominanz der<br />

Architektur und ihrer Geometrie hinwegzusetzen, mehr noch: durch die Erzeugung eines<br />

Farbraums gelang ihr die Auflösung des Zentralraums in einen diffusen, struktur- und<br />

hierarchielosen Raum. 1<br />

Der letzte, hervorgehobene Teil liest sich fast wie die Beschreibung eines<br />

impressionistischen Gemäldes, etwa eines späten Monet. Auch in vielen<br />

anderen Arbeiten erzeugt Wiese diffuse, struktur- und hierarchielose<br />

›impressionistische‹ Situationen, so auch in ihrer Arbeit trance machine<br />

(1997), um die es in diesem Aufsatz gehen soll. Das CD-ROM-Projekt hat<br />

sich aus dem akustischen Environment Die Einzige (1995) entwickelt.<br />

Diese Arbeit soll im Folgenden im Zusammenhang mit ihrem übrigen<br />

Werk diskutiert werden, weil ich zeigen will, dass die Fragen und Themen,<br />

die bei Die Einzige im Mittelpunkt stehen, auch in ihren übrigen<br />

Arbeiten in modifizierter Form eine Rolle spielen: Genauso wie diese<br />

Arbeit die Erzählungen und Statements, mit denen sich ein Subjekt als<br />

Ich, als Person konstruiert, auseinander nimmt und in ihren Einzelteilen<br />

sichtbar macht, so zergliedert Anja Wiese in anderen Arbeiten andere<br />

Erzählungen, Geschichte, Orte. Das Raum-Zeit-Kontinuum ist in diesen<br />

Werken aufgebrochen. Sprache, Geschichte, Biografie, Raum sind keine<br />

Einheit mehr, sondern aufgelöst in einem opalisierenden Feld von Wahrnehmungsreizen.<br />

Die Einzige und trance machine repräsentieren die – fiktive oder<br />

tatsächliche – Biografie einer namenlosen, weiblichen Person. Die Selbst-<br />

1. Friedemann Malsch, ›Wagner, Jansen, Rentmeister, Wiese. Galerie Brusten, 28.8.1987–<br />

17.1.1988‹. – Kunstforum International Bd. 93, März 1988, S. 304 (meine Hervorhebung,<br />

T.B.).


auskünfte des sprechenden Ichs stellen diese Arbeiten dar und demontieren<br />

sie gleichzeitig. Der Benutzer/Betrachter von trance machine sieht<br />

auf dem Computermonitor ein rechteckiges, schwarzes Feld, auf dem 32<br />

graue Kreise rotieren, die wie stilisierte Tonbandspulen aussehen. Wenn<br />

der Benutzer einen dieser Kreise mit der Maus anklickt, hört er ein Satzfragment,<br />

das sich einige Male wiederholt und dabei langsam verklingt. Je<br />

mehr dieser Spulen er aktiviert, desto mehr Satzteile bekommt er zu<br />

hören, die zu einem Klangteppich, zu einem mehrschichtigen stream-ofconsciousness<br />

verschwimmen. Es ist eine Art innerer Monolog, der nur<br />

darauf zu warten scheint, abgerufen zu werden. Die Sätze werden alle von<br />

derselben weiblichen Stimme mit einem leicht ausländischen Akzent gesprochen.<br />

Manchmal vertauschen sich zwei Spulen, wenn man eine von<br />

ihnen anklickt, wechseln dann ihre Orte und ihre Drehrichtung. Jeweils<br />

vier Satzfragmente ergeben einen vollständigen Satz, zwischen den vier<br />

›zusammenpassenden‹ Spulen erscheint eine schmale graue Linie. Ansonsten<br />

bieten die grauen Spulen auf schwarzem Grund wenig visuelle<br />

Abwechslung und man konzentriert sich schnell auf das, was es zu hören<br />

gibt:<br />

Ich fühlte mich manchmal leicht und frei.<br />

Es war schwierig für mich, in unangenehmer Umgebung auszuharren.<br />

Ich hatte eine große Vorstellungskraft, viel zu viel, um mit dem Tatsächlichen zufrieden<br />

zu sein.<br />

Ich war hilfsbereit und großzügig.<br />

Ich war weich und zerbrechlich, aber ich wollte es nicht zeigen.<br />

Der Schlaf gehörte zu meiner Arbeit.<br />

Herausforderungen ließen mich nicht ruhen.<br />

Die Sätze, die die trance machine produziert, sind Reflexionen einer<br />

anonymen Frau, die einem trotz aller Selbstbeschreibung nicht näher<br />

kommt. Man kann darüber spekulieren, um wen es sich dabei handelt.<br />

Sind es autobiografische Betrachtungen der Künstlerin? Oder die Gedanken<br />

einer ausgedachten Person? Der ausländische Akzent macht die Sätze<br />

267<br />

artintact 4


artintact 4<br />

268 fremd. Je nachdem, in welcher Kombination man sie hört, scheinen sie<br />

auf eine Lebenskrise oder eine Phase der Selbstfindung hinzuweisen.<br />

Manchmal wirken sie traurig, manchmal weise, manchmal meint man<br />

Selbstmitleid zu hören, manchmal sachliche Einsicht in das eigene Wesen.<br />

Alle Sätze sind in der Vergangenheitsform, so dass es den Anschein hat,<br />

als spräche die Frau von einem vergangenen Leben.<br />

trance machine ist als CD-ROM-Arbeit für den Computer entworfen. Als<br />

eine Art digitales Multiple ist sie nicht auf ein Museum oder eine Galerie<br />

angewiesen, um gezeigt oder betrachtet zu werden, sondern kann mit<br />

nach Hause genommen und auf dem eigenen Computer angesehen werden.<br />

Das erlaubt einen privateren und genaueren Umgang mit der Arbeit,<br />

was zu den vertraulichen Offenbarungen der Frauenstimme passt. Man<br />

kann sie wieder und wieder ansehen/-hören, man ist nicht – wie bei Die<br />

Einzige – auf einen bestimmten Raum mit einer bestimmten Größe angewiesen,<br />

um die trance machine zu benutzten. Schon der Titel suggeriert,<br />

dass man sich mit der Arbeit längere Zeit beschäftigen kann, ja, dass sie<br />

einen umgeben soll wie ein länger anhaltender Rauschzustand.<br />

Anders als viele andere Arbeiten für computerbasierte Medien – wie<br />

CD-ROM oder Internet – ist die technische Natur des Rechners bei trance<br />

machine kein vorrangiges Thema. Zwar nutzt trance machine dessen<br />

genuine Eigenschaften: sie arbeitet mit der Verbindung von verschiedenen<br />

multimedialen Elementen wie akustischen Samples und Animationen.<br />

Sie erlaubt dem Benutzer, in Echtzeit mit der Arbeit zu interagieren,<br />

und sie stellt hypertextuelle Verbindungen zwischen verschiedenen,<br />

diskreten Elementen her. Damit ist die Arbeit durchaus medienspezifisch,<br />

weil sie so mit keinem anderen Medium dargestellt werden<br />

könnte. Doch sie ist nicht selbstreferentiell in Bezug auf ihr Medium; der<br />

Computer selbst ist kein Thema der Arbeit, sondern nur künstlerisches<br />

Mittel zum Zweck. Nur in einer Hinsicht ist die trance machine von dem<br />

Computer abhängig, auf dem sie läuft: Die Menge an Sound, die man


erzeugen und gleichzeitig hören kann, hängt vom Arbeitsspeicher des<br />

jeweiligen Rechners ab. Die Arbeit ist so programmiert, dass der Arbeitsspeicher<br />

(und die Klangfragmente, die in ihm gespeichert sind) im Betrieb<br />

fortlaufend gelöscht wird, damit die trance machine nicht stehen bleibt.<br />

trance machine entstand aus der Installation Die Einzige, die Anja Wiese<br />

1995 in den Düsseldorfer Kesselwerken als akustisches Environment gezeigt<br />

hat. Aus ihr stammen auch die Sätze oder Samples, die sie für die<br />

CD-ROM verwendet und so aus dem physischen Raum in den virtuellen<br />

Raum des Computers überträgt. War Die Einzige eine Art Gedicht, das<br />

in den Raum verpflanzt worden war, ein dreidimensionales, in einem ehemaligen<br />

Großraumbüro ausgebreitetes Selbstgespräch, so versetzt trance<br />

machine diese Sätze in eine Situation von größerer Nähe, die derjenigen<br />

ähnlicher ist, in welcher solche Selbstbeschreibungen normalerweise<br />

geäußert werden.<br />

Barbara Köhler beschreibt die Installation so:<br />

Die Einzige besteht aus 64 digitalen Klangspeicher- und Abrufeinheiten in Plexiglasboxen<br />

mit Blinkelement und Bewegungssensor, die im Abstand von einem Meter schachbrettartig<br />

am Boden eines dunklen Raumes angeordnet sind. Das Begehen der Installation aktiviert<br />

das Blinken und die Stimmen, jeder Satz wird in gleichbleibender Lautstärke ca. eine<br />

Minute lang wiederholt. Einerseits ließe sich mit Duchamp sagen, dass so der<br />

Betrachter/die Betrachterin das Kunstwerk macht, andererseits aber auch, ergänzend und<br />

präzisierend, dass sie zum Teil des Kunstwerks gemacht werden, das die Künstlerin in dieser<br />

Absicht gemacht hat. Das Gehen setzt die Arbeit in Gang, der Rhythmus der Schritte<br />

erzeugt einen (anderen) Rhythmus des Sprechens, jeder Weg eine Art Geschichte, einen<br />

möglichen Zusammenhang der Sätze. 2<br />

In beiden Arbeiten lässt Wiese die verschiedenen Satz-Elemente –<br />

ähnlich wie bei den Zufallsoperationen, mit denen John Cage bei seinen<br />

Kompositionen gearbeitet hat – durch arbiträre Akte (Gehen bzw.<br />

2. Barbara Köhler, ›Die Grammatik der Ersten Person Singular.‹ – artintact 4. Hg. ZKM<br />

Karlsruhe, Ostfildern: Hatje Cantz, 1997, S. 105.<br />

269<br />

artintact 4


artintact 4<br />

270<br />

Klicken) des Betrachters miteinander in Beziehung treten. Das verbindet<br />

sie mit vielen anderen ihrer Installationen, Klang- und Videoarbeiten,<br />

deren Gegenstand das audiovisuelle Rohmaterial unserer Erfahrung ist.<br />

Sie zerlegt die Wirklichkeit, wie wir sie uns normalerweise ordnen und<br />

zur leichteren Aufnehmbarkeit zurecht legen, in kleine Einheiten, und<br />

zergliedert große Erzählungen in kleine Teile. Wo andere mit Hilfe dieser<br />

Medien aus den Phänomenen der Dingwelt eine Synthese schaffen,<br />

nimmt sie die Erscheinungen auseinander und unterzieht sie einer künstlerischen<br />

Analyse.<br />

Ihre Methode wird dann besonders deutlich, wenn man sie damit vergleicht,<br />

wie Ton und Bild, ihre bevorzugten künstlerischen Materialien,<br />

›normalerweise‹ medial organisiert werden. Konventionelle Spiel- oder<br />

Dokumentarfilme ordnen ihr Material entlang eines Zeitstrahls und konstruieren<br />

aus ihren disparaten Elementen eine Story. Ähnlich verfährt ein<br />

Hörspiel oder ein Radiofeature mit Tönen. Film/Video und aufgezeichneter<br />

Ton gehorchen dabei einer streng linearen Ordnung. Wie ein Zug,<br />

der von Bahnhof zu Bahnhof, von Station zu Station fährt, spulen sie<br />

Ereignis nach Ereignis, Bild nach Bild, Ton nach Ton ab. Darin unterscheiden<br />

sich die Installationen Anja Wieses von ›normalen‹ Filmen oder<br />

Hörstücken: Muss der Zuschauer oder -hörer einem Film oder Hörspiel<br />

folgen, kann er sich zu ihren Arbeiten verhalten.<br />

Die Klang- und Videoinstallationen von Anja Wiese lösen die Bilder<br />

und die Töne aus der rigiden, linearen Ordnung und verlagern sie vom<br />

zweidimensionalen Ablauf in den dreidimensionalen Raum: die verschiedenen<br />

Ton- und Klangelemente spulen sich nicht mehr in einer vorgegebenen<br />

Reihenfolge ab, sondern überlassen es dem Betrachter, sich seinen<br />

Weg durch diese Daten zu suchen. Er kann sie abgehen oder an ihren einzelnen<br />

Elementen verweilen. Die Installation Geschichte (1992) löst so<br />

zum Beispiel historische Schilderungen zu einem Klangteppich auf, den<br />

der Betrachter selbst wieder in seine Einzelteile zerlegen und so wieder<br />

sinnvoll machen kann. Die Künstlerin beschreibt die Arbeit so:


Aus den Lautsprechern ertönen die persönlichen Geschichten von zwei Frauen, die die<br />

Zeit, in der Bunker in Betrieb waren, selbst miterlebt haben. Ihre Geschichten erzählen<br />

vom Leben in der nationalsozialistischen Diktatur und vom Zweiten Weltkrieg aus der<br />

Sicht von Zivilistinnen. Die Lautsprecher sind im Raum vernetzt an den Wänden angebracht.<br />

Alle Cassettenrecorder spielen gleichzeitig, so dass in der Mitte des Raumes ein allgemeines<br />

Gewisper zu hören ist. Die Wand erzählt, flüstert ihre Geschichte: das Prinzip<br />

der Gleichzeitigkeit von persönlichem Er-Leben, die Relativität der Einzelnen in<br />

Konfrontation mit dem Zeitgeschehen, der Wert des menschlichen Lebens in seiner<br />

Einzigartigkeit, die Vernetzung der Erinnerung, das Herumgehen von Lautsprecher zu<br />

Lautsprecher, das Lauschen und Sprechen, die eigene Stimme vermischt mit den vorhandenen<br />

[…]. 3<br />

Auch bei der Installation Verborgene Worte (1999), die für einen der<br />

Brückentürme der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Brücke von Remagen<br />

entstand, zeichnen Diktiergeräte an der Wand ein vielschichtiges Geschichtsbild.<br />

Computerstimmen rezitieren aus sieben Kriegstagebüchern<br />

aus verschiedenen Kriegen: dem Ersten Weltkrieg, aus Belgrad während<br />

der Bombardierung durch die NATO, aus dem Kosovokrieg, aus dem<br />

Augenzeugenbericht einer Frau aus Erpel (dem Ort, an dem einer der beiden<br />

Brückenköpfe stand) über den Zweiten Weltkrieg. In diesen<br />

Arbeiten zerfällt Geschichte in eine Vielheit einzelner Stimmen. Der Betrachter<br />

schafft durch Bewegung im Raum seine eigene Montage der geschilderten<br />

Vorgänge. Auch bei Die Einzige entsteht durch die Bewegung<br />

des Betrachters ein jeweils anderes Arrangement der Sätze, das allerdings<br />

in diesem Fall durch seine Bewegungen erst ausgelöst wird. So ergeben<br />

sich neue Zusammenhänge, Gegenüberstellungen, Kontraste, Überschneidungen.<br />

Die Installation Beep Little Signal (1997) treibt das Spiel mit der räumlichen<br />

und akustischen Desorientierung des Betrachters noch weiter als<br />

die oben von Friedemann Malsch beschriebene Arbeit Unbezähmbare<br />

3. Anja Wiese, ›Geschichte_History.‹ – Anja Wiese. Hg. Stadt Neuss – Der Oberstadtdirektor,<br />

Kulturforum Alte Post, Neuss, 1998, unpaginiert.<br />

271<br />

artintact 4


artintact 4<br />

272 Ambivalenz: Kleine akustisch-visuelle Signalgeber erzeugen unabhängig<br />

von einander alle zwei Minuten einen kurzen Piepton mit gleichzeitigem<br />

Lichtsignal. ›Die Installation wurde in Essen im Dunklen gezeigt. Hier<br />

werden die roten Lichtsignale jeweils für die kurze Dauer ihres Aufleuchtens<br />

zu Orientierungspunkten im Raum.‹ 4 Auch Civilized Animism<br />

(Gedichtmaschine) (1994) verschränkt Raum und Klang miteinander:<br />

[Die Arbeit] besteht aus 16 hintereinandergeschalteten, kreisförmig angeordneten<br />

Tonbandgeräten. Über die Tonköpfe der Maschinen wird eine Tonbandschleife transportiert.<br />

Die Lautstärke der Geräte ist unterschiedlich justiert, auf den Raum abgestimmt. Die<br />

Tonspur setzt sich zusammen aus hintereinanderkopierten, 1-Meter langen Tonsequenzen,<br />

auf denen eine menschliche Stimme (die der Künstlerin) Tierlaute imitiert. Die<br />

Lautsequenzen wiederholen sich auf unregelmässige Weise und es entsteht so ein (maschinell<br />

erzeugtes) Stimmen-/Lautorchester, das durch den Raumhall noch verstärkt wird. 5<br />

Noch weiter geht die Tonband-Installation Zeitmaschine (1994), die<br />

in den Flottmann-Hallen in Herne gezeigt wurde. Bei dieser Arbeit können<br />

die Besucher selbst über ein Mikrofon auf ein Endlosband sprechen,<br />

das von einem Tonbandgerät zum nächsten läuft, während von anderen<br />

Tonbändern vorher aufgenommene Klänge und Texte kommen:<br />

Das Aufgenommene wird […] mehrfach nacheinander abgespielt, von Tonband zu<br />

Tonband laufend, bis es wieder von einem anderen, präparierten Tonband gelöscht wird.<br />

[Die Installation] ist ein sich selbst und den Ort seiner Ausstellung reproduzierendes und<br />

thematisierendes Kunstwerk. 6<br />

Es wäre naheliegend, diese von Bewegungsmeldern, Mouse-Klicks oder<br />

das Sprechen in Mikrofone gesteuerten oder beeinflussten Arbeiten ›in-<br />

4. Anja Wiese, ›Beep Little Signal.‹ – Anja Wiese, a.a.O., unpaginiert. Die Arbeit wurde<br />

1997 im Forum Bildender Künstler, Essen und in der Galerie Gaby Kraushaar, Düsseldorf,<br />

gezeigt.<br />

5. Inke Arns, ›Gedicht(-Maschine).‹ – Minima Media – Handbuch zur Medienbienale<br />

Leipzig 1994. Hg. Dieter Daniels, Oberhausen: Pitt Verlag und Leipzig: Mencke Presse,<br />

S. 94.<br />

6. Anja Wiese, ›Zeitmaschine.‹ – Unterholz. Katalog zur Ausstellung in den Flottmann-<br />

Hallen Herne, 29.1.–13.3.1994. Hg. Stadt Herne, Emschertalmuseum, S. 42.


teraktiv‹ zu nennen. Doch dieser Begriff ist in den letzten Jahren zu Recht<br />

in Verruf geraten, und er trifft die Arbeiten von Anja Wiese auch nicht<br />

richtig. Als ›interaktive Medienkunst‹ galten in den 80er- und 90er-Jahren<br />

vor allem computerbasierte Arbeiten, bei denen der Betrachter durch<br />

Knopfdruck oder durch das Bedienen von Trackballs oder anderen Eingabeinstrumenten<br />

das Geschehen – in der Regel auf einem Bildschirm<br />

oder einer Videoprojektion – steuern und verändern konnte. Kritiker<br />

warfen vielen dieser Arbeiten zu Recht vor, dass die Wahlfreiheit der<br />

Betrachter durch die Setzungen des Künstlers stark eingeschränkt sei.<br />

Dem Publikum böte sich nicht – wie der Begriff ›interaktiv‹ suggeriert –<br />

die Möglichkeit zu wirklicher Interaktion mit der Arbeit, sondern lediglich<br />

zum Abrufen eines Programms oder einer Reihe von vorgegebenen<br />

Abläufen. Der Betrachter/Benutzer würde nicht zum Mitschöpfer des<br />

Werks, wie von einigen Künstlern und Theoretikern behauptet, eher reagiere<br />

er wie eine Art pawlowscher Hund auf Schlüsselreize, vorprogrammierte<br />

Alternativen und Handlungsvorgaben, bei denen er lediglich ausführe,<br />

was ihm der Künstler vorgesetzt habe. Im extremsten Fall würden<br />

derartige Arbeiten eine Manipulation des Betrachters darstellen statt ihn<br />

in das Entstehen oder das prozesshafte Existieren des Kunstwerks einzubeziehen.<br />

Anja Wieses Arbeiten sind nicht in diesem Sinne interaktiv, obwohl<br />

viele von ihnen ohne die Teilnahme der Betrachter lediglich Ansammlungen<br />

von Geräten, von toter Hardware wären. Doch in den meisten ihrer<br />

Installationen stellt Wiese ihr Publikum nicht vor einfache Alternativen<br />

oder lässt sie mit einem Set von Wahlmöglichkeiten alleine, wie viele interaktive<br />

Arbeiten dies tun. Vielmehr schafft sie für den Zuschauer und<br />

-hörer einen Möglichkeitsraum, in dem er sich selbst mit großer Freiheit<br />

bewegen kann.<br />

Die sensorischen Erfahrungen, die sie ihm bietet, mögen im Einzelfall<br />

verwirrend, ja sogar desorientierend sein. Doch ihre Arbeiten bieten dem<br />

Publikum immer die Möglichkeit, zu dem Gegenstand, zu den Klängen<br />

273<br />

artintact 4


artintact 4<br />

274 und Bildern, die sie ihm zur Verfügung stellt, eine Position einzunehmen<br />

– und das oft in einem sehr konkreten, physischen Sinn. Man kann sich<br />

um ihre Installationen herum, an ihnen vorbei oder in sie hinein begeben<br />

und dadurch zwar nicht das Werk mitschaffen, aber auf jeden Fall eine<br />

Vielzahl verschiedener sinnlicher Erfahrungen auslösen. Dabei stehen die<br />

einzelnen Elemente, aus denen sich diese Erfahrung speist, von vornherein<br />

fest, und Anja Wiese macht kein Geheimnis daraus, dass ihr Publikum<br />

keine Möglichkeit hat, an diesen Vorgaben etwas zu verändern. Trotzdem<br />

sind ihre künstlerischen Werke vieldeutiger, ambivalenter, in ihrem<br />

Sinn und in ihrer medial vermittelten Sinnlichkeit weniger fixiert als die<br />

meisten Werke der ›interaktiven Medienkunst‹.<br />

In vielen Arbeiten [von Anja Wiese] sind die Betrachter auch Beteiligte. Sie stehen ihnen<br />

nicht, jenseits einer ästhetischen Grenzziehung, gegenüber, sondern sind als Zeugen mitten<br />

in die Rauminstallationen hineingestellt. Sie greifen gewollt oder ungewollt, eher aber<br />

zufällig als willentlich, in den Ablauf des Gezeigten und des zu Hörenden ein. 7<br />

Die Arbeiten von Anja Wiese geben nie vor, ihrem Publikum völlige<br />

Freiheit bei der Re-Konstruktion des Materials, das sie vorlegt, zu lassen,<br />

doch sie ermöglicht ihrem Publikum eine Wahl, die über die simple Entscheidung<br />

zwischen einer Reihe von festgelegten Alternativen hinausgeht.<br />

Dabei scheinen ihre Arbeiten oft psychische Wahrnehmungsvorgänge<br />

nachzuvollziehen. Wenn sie einzelne Teile aus dem großen wahrgenommenen<br />

Ganzen herausschält und zu neuen, kursorischen und vielschichtigen<br />

Wahrnehmungsfeldern organisiert, kommt sie der Art und<br />

Weise, wie wir die Wirklichkeit sinnlich aufnehmen, näher als das ein<br />

konventioneller, linear geordneter Film oder ein Hörspiel könnte. In diesem<br />

Sinne sind ihre Arbeiten ›impressionistisch‹: so wie Cézanne von sich<br />

gesagt hat, er male Farbflecken, so arbeitet Anja Wiese mit visuellen und<br />

akustischen ›Flecken‹. Diese zu ordnen und in einen sinnhaften Zusammenhang<br />

zu setzen, überlässt sie dem Betrachter.<br />

7. Thomas Brandt, ›Unbezähmbare Ambivalenz.‹ – Anja Wiese, a.a.O., unpaginiert.


Die kleinen ›Klangflecken‹, die akustischen Samples, die sie in trance<br />

machine dem Betrachter liefert, sind lediglich kursorische Hinweise auf<br />

die Person oder den Bewusstseinszustand, den sie mit dieser Arbeit darstellen<br />

will. Die Arbeit zeichnet kein Bild der Frau, die durch die trance<br />

machine zu uns spricht, sie gibt uns lediglich einige karge, unpersönliche<br />

Hinweise auf Gestimmtheiten und Selbstbeschreibungen, aus denen wir<br />

uns ein eigenes Bild von dem Charakter machen müssen, der sich hier zugleich<br />

offenbart und doch nur wenig von sich preis gibt. Es ist keine große<br />

Selbstdarstellung, keine Heldengeschichte. Was uns die trance machine<br />

erzählt, ist ohne Pathos.<br />

Am Impressionismus wird gerne das Skizzenhafte der Bilder hervorgehoben,<br />

und auch trance machine zeichnet nur ein flüchtiges Portrait der<br />

Frau, die sich hier ausdrückt. trance machine ist wie ein Brettspiel organisiert.<br />

Wenn man lange genug auf die verschiedenen Spulen klickt, ordnen<br />

sich schließlich alle zu Vierergruppen und die Klangfragmente zu vollständigen<br />

Sätzen. Die dünnen, grauen Linien zwischen den Spulen scheinen<br />

einen Zusammenhang zwischen dem Gesagten herzustellen – und<br />

hinterlassen den Betrachter mit dem Wunsch, dass das, was nun übrig geblieben<br />

ist, nicht alles ist, was über die Person, die sich in trance machine<br />

darstellt, zu sagen ist.<br />

275<br />

artintact 4


Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Künstler / Artists<br />

Marina Grzˇinić, geboren 1958 in Rijeka<br />

(früher Jugoslawien, heute Kroatien), lebt<br />

und arbeitet seit 1977 in Ljubljana. Sie promovierte<br />

in Philosophie an der Philosophischen<br />

Fakultät und ist wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin am Institut für Philosophie an<br />

der ZRC SAZU (Wissenschafts- und Forschungszentrum<br />

der Slowenischen Akademie<br />

für Wissenschaft und Kunst), Ljubljana.<br />

Sie arbeitet außerdem freiberuflich als Medientheoretikerin,<br />

Kunstkritikerin und Kuratorin.<br />

Aina S ˇ mid, geboren 1957 in Ljubljana,<br />

lebt und arbeitet in Ljubljana. Sie studierte<br />

Kunstgeschichte an der Philosophischen<br />

Fakultät in Ljubljana und arbeitet als Redakteurin<br />

eines Kunst- und Designmagazins.<br />

Marina Grzˇinić und Aina S ˇ mid beschäftigen<br />

sich seit 1982 mit Videokunst.<br />

Sie haben seitdem in mehr als 30 Videokunstprojekten<br />

zusammengearbeitet, einen<br />

Kurzfilm und zahlreiche Video- und Medieninstallationen<br />

sowie mehrere Fernsehproduktionen<br />

und Dokumentarvideos realisiert.<br />

Marina Grzˇinić & Aina S ˇ mid<br />

Marina Grzˇinić was born in Rijeka (formerly<br />

Yugoslavia, today Republic of Croatia)<br />

in 1958, and has lived and worked in<br />

Ljubljana since 1977. She gained a PhD in<br />

Philosophy at the Faculty of Philosophy<br />

and works as researcher in the Institute of<br />

Philosophy at the ZRC SAZU (Scientific and<br />

Research Center of the Slovenian Academy<br />

of Science and Art), Ljubljana. She is also active<br />

as an independent media theorist, art<br />

critic and curator.<br />

Aina S ˇ mid was born in Ljubljana in<br />

1957, lives and works in Ljubljana. She is an<br />

art historian (Faculty of Philosophy, Ljubljana)<br />

and works as contributing editor for<br />

an art and design magazine.<br />

Marina Grzˇinić and Aina S ˇ mid have<br />

been involved in video art since 1982. Since<br />

that time, they have collaborated in more<br />

than 30 artists’ video projects, made a short<br />

film, and produced numerous video and<br />

media installations. They also directed several<br />

video documentaries and television<br />

productions.<br />

277<br />

artintact 4


artintact 4<br />

278<br />

Auszeichnungen (Auswahl) /<br />

Selected awards<br />

First prize, 3rd international video<br />

Biennial Cankarjev Dom, Ljubljana,<br />

1987<br />

First prize, Biennial video manifestation<br />

Video Susreti, Sarajevo, 1991<br />

First prize, Videonale 5, Bonn, 1992<br />

Special Award, German Award for Video<br />

Art, 1993<br />

First prize for an original video music<br />

composition at Il Coreografo<br />

Elettronico, Naples, 1994<br />

Award, 10th Festival TTVV Riccione, 1995<br />

Award, 38th San Francisco International<br />

Film Festival, San Francisco, 1995<br />

First video award and award as best<br />

women video artists, 1. International<br />

Video Festival, Buenos Aires, 1995<br />

Silver soire award winner, 39th San<br />

Francisco International Film Festival,<br />

San Francisco, 1996<br />

First prize, Video festival, Nuremberg,<br />

2000<br />

Stipendien (Auswahl) /<br />

Selected stipends<br />

Grant of the International Agency U.S.A.<br />

for video art research in New York,<br />

Boston, Chicago, Los Angeles and San<br />

Francisco, 1988 (Marina Grzˇinic´)<br />

Grant as resident artists at The Art Studio,<br />

Banff Centre for the Arts, Banff,<br />

Canada, 1990 (Grzˇinic´ & S ˇ mid)<br />

Fellowship of the Japan Society for the<br />

Promotion of Science, Tokyo, 1997/98<br />

(Marina Grzˇinic´)<br />

Apex curatorial fellowship, New York,<br />

2001 (Marina Grzˇinic´)<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

Trenutki odločitve (Moments of Decision),<br />

video, 1985<br />

Os zˇivljenja (Axis of Life), video, 1987<br />

Doma (At Home), 16 mm film, 1987<br />

Gola pomlad (Bare Spring), video, 1987<br />

Deklica z oranzˇo (The Girl With Orange),<br />

video, 1987<br />

Z ˇ ed (Thirst), video, 1989<br />

Bilokacija (Bilocation), video, 1990<br />

Moscow Portraits, video and video installation,<br />

1990<br />

Sejalec (The Sower), video and video<br />

installation, 1991<br />

Tri sestre (Three Sisters), video, 1992<br />

Z ˇ enska, ki nenehno govori (The Woman<br />

Who Constantly Talks), video, 1993<br />

Labirint (Labyrinth), video and video performance,<br />

1993<br />

Transcentrala, video and video installation,<br />

1993<br />

Rdeči čeveljčki (Red Shoes), video, 1994<br />

Luna 10, video and video installation (The<br />

Butterfly Effect of Geography), 1994<br />

Zgodba o metulju (The Butterfly Story),<br />

video and video installation (The<br />

Butterfly Effect), 1994/95<br />

A3 – Apatija, Aids in Antarktika (A3 –<br />

Apathy, Aids and Antarctica), video<br />

and video installation (The Butterfly<br />

Effect), 1995<br />

IRWIN CD-ROM, Model 2000, computer<br />

graphics and animation, 1995<br />

Os zˇivljenja (Axis of Life)<br />

, Website, 1996<br />

Post-socialism + Retro avant garde +<br />

IRWIN, video, 1997<br />

Dan D (Day D), video, 1997<br />

Zvezdogled (Stargazer), video, 1997<br />

LUNA PARK, interactive video installation,


produced by the ICC Biennial ’97,<br />

Tokyo, 1997<br />

O muhah s trznice (On the Flies of the<br />

Market Place), video, 1999<br />

NET.ART.ARCHIVE ,<br />

Website and<br />

interactive multimedia installation,<br />

1999<br />

SILENCE SILENCE SILENCE, video, 2001<br />

Präsentationen (Auswahl) /<br />

Selected screenings<br />

World Wide Video Festival, Den Haag,<br />

jährliche Teilnahme / annually<br />

1986–1995<br />

European Media Art Festival, Osnabrück,<br />

1988/1990/1994/1995/1997<br />

Muu Media Festival, Helsinki, 1990<br />

Videonale, Bonn, 1992<br />

International Video and TV Festival,<br />

Montbeliard, 1992<br />

Grand Prix Video Danse, Paris, 1993<br />

Viper, Lucerne, 1994<br />

London Film Festival, London, 1994<br />

Oberhausen Short Film Festival,<br />

Oberhausen, 1994/1995<br />

Pandæmonium, London Film Festival,<br />

London, 1996<br />

Mediopolis, Berlin, 1996<br />

Videoformes, Clermont-Ferrand, 1996<br />

Fundació La Caixa, Mediatheque,<br />

Barcelona, 1999<br />

Viper, Basel, 2000<br />

14. Stuttgarter Filmwinter, Stuttgart, 2001<br />

Ausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected exhibitions<br />

Information Center of the Museum of<br />

Modern Art, Ljubljana, 1991<br />

Europa, Europa. Das Jahrhundert der<br />

Avantgarde in Mittel- und Osteuropa,<br />

Bonn, 1994<br />

I and the Other (Ik + De ander) at the<br />

Beurs Van Berlage, Amsterdam, 1994<br />

Video Viewpoints, Museum of Modern<br />

Art, New York, 1994<br />

ICC Biennial Manifestation, Tokyo, 1997<br />

net_condition, Steirischer Herbst, Graz,<br />

1999<br />

After the wall, Moderna Museet,<br />

Stockholm, 2000<br />

Positionen, Museum 20 Jahre, Vienna,<br />

2000<br />

Broadway gallery 450, New York, 2001<br />

(solo exhibition)<br />

Bibliografie (Asuwahl) /<br />

Selected bibliography<br />

Bücher und Texte von Marina Grzˇinić /<br />

Books and texts by Marina Grzˇinić<br />

Marina Grzˇinić , Alesˇ Erjavec, Ljubljana,<br />

Ljubljana. Ljubljana, 1991.<br />

Marina Grzˇinić, In a Line for Virtual<br />

Bread. Time, Space, the Subject and<br />

New Media in a Year 2000. Ljubljana,<br />

1996.<br />

––, Fiction Reconstructed. New Media,<br />

Video, Art, Post Socialism and the<br />

Retro-Avant-garde. Essays in Theory,<br />

Politics and Aesthetics, Ljubljana,<br />

1997.<br />

Spectralization of Technology: From<br />

Cyberfeminism to Elsewhere and Back.<br />

279<br />

artintact 4


artintact 4<br />

280<br />

Eds. Marina Grzˇinić , Adele Eisenstein,<br />

Maribor: MKC, 1999.<br />

The Body Caught in the Intestines of the<br />

Computer. Eds. Marina Grzˇinić , Adele<br />

Eisenstein, Maribor: MKC, 2000.<br />

Marina Grzˇinić, ‘Exposure Time, the<br />

Aura, and Telerobotics.’ – The Robot<br />

in the Garden: Telerobotics and<br />

Telepistemology in the Age of the<br />

Internet. Ed. Ken Goldberg<br />

Cambridge, Mass.: MIT Press, 2000.<br />

––, ‘Strategies of Visualisation and the<br />

Aesthetics of Video in the New<br />

Europe.’ – Culture and Technology in<br />

the New Europe: Civic Discourse in<br />

Transformation in Post-Communist<br />

Nations. Ed. Laura Lengel, London:<br />

Geboren 1957 in Münster, lebt in Düsseldorf<br />

und Karlsruhe. Studium an der Kunstakademie<br />

Münster 1978–86. 1997 Gastprofessur<br />

an der Hochschule für Künste<br />

Bremen, seit 1997 Professur für Medienkunst<br />

an der Staatlichen Hochschule für<br />

Gestaltung Karlsruhe.<br />

Stipendien und Auszeichnungen /<br />

Stipends and awards<br />

Production Prize, Videonale Bonn, 1986<br />

Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, 1990<br />

Förderpreis des Kulturkreises im BDI, 1990<br />

Caspar-von-Zumbusch-Preis, 1990<br />

Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen,<br />

1991<br />

Special Award, First German Award for<br />

Video Art, 1992<br />

Arbeitsstipendium des Kunstfonds<br />

Bonn, 1993<br />

Ablex Publishing Company, 2000.<br />

––, Fiction Reconstructed. Post Socialism<br />

and the Retro-Avantgarde. Vienna:<br />

Edition selene, 2000.<br />

––, ‘Spectralization of Europe.’ – net_condition.<br />

Eds. Timothy Druckrey, Peter<br />

Weibel, Cambridge, Mass.: MIT Press,<br />

2000.<br />

The Last Futurist Show. Ed. Marina<br />

Grzˇinić, Ljubljana, 2001.<br />

Gallery Dante Marino Cettina – Future<br />

perspectives. Ed. Marina Grzˇinić,<br />

Umag: Gallery Marino Cettina, 2001.<br />

Website<br />

Dieter Kiessling<br />

http://www.ljudmila.org/quantum.east/<br />

Dieter Kiessling was born in Munster in<br />

1957, and lives in Dusseldorf and Karlsruhe.<br />

He studied at the Kunstakademie, Munster,<br />

from 1978 to 1986. He was visiting professor<br />

at the Bremen Academy of Art in 1997,<br />

and in the same year was appointed Professor<br />

of Media Art at the State Academy of<br />

Design, Karlsruhe.<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

(o.T. = untitled)<br />

Filmarbeiten / Film works<br />

Mauerfilm (Wall Film), film performance,<br />

1982<br />

o.T. (aufwärts/abwärts laufender Film / upward/downward<br />

running film), film installation,<br />

1982<br />

o.T. (Wasseroberfläche / Water surface),<br />

film installation, 1986


Videobänder / Videotapes<br />

Vorhänge (Curtains), 1982/86<br />

Ausgrabung (Excavation), 1982/87<br />

Fallende Scheibe (Falling Disk), 1986<br />

Fallende Scheibe 3 (Falling Disk 3), 1986<br />

Paternoster, 1987<br />

Fallende Scheibe 4 (Falling Disk 4), 1992<br />

Videoinstallationen / Video installations<br />

Raster, 1982/86<br />

Pendelnder Fernseher (Pendulum TV),<br />

1982<br />

o.T. (Rückansicht der Bildröhre / rear view<br />

of picture tube), 1984<br />

Fallende Scheibe 2 (Falling Disk 2), 1986<br />

o.T. (eingeschalteter/ausgeschalteter<br />

Fernseher / TV set switched on /off),<br />

1988<br />

o.T. (Kerze /candle), 1988<br />

o.T. (Seitenansicht der Bildröhre / side view<br />

of picture tube), 1989<br />

o.T. (Seitenansichten zweier Kameras / side<br />

view of two cameras), 1990<br />

STAY, 1991<br />

o.T. (Video walkman), 1991<br />

Zug (Train), 1992<br />

o.T. (Fernseher mit umgekehrt eingesetzter<br />

Bildröhre / TV set with inverted picture<br />

tube), Fernseherskulptur / TV set sculpture,<br />

1992<br />

Schleuderstern, Fernseherskulptur / TV set<br />

sculpture, 1992<br />

o.T. (Projektion des Rasters eines LCD-<br />

Videoprojektors /projection of the<br />

raster of an LCD video projector), 1993<br />

o.T. (großer Fernseher auf schmalem<br />

Sockel / big TV set on narrow base),<br />

1993<br />

o.T. (rote Glühbirne / red bulb), 1994<br />

o.T. (Fernseher versetzt auf Sockel,<br />

stehend / TV set shifted on base,<br />

upright), 1994<br />

Ventilator, 1994<br />

o.T. (digital gemischte Vorderansichten<br />

zweier Kameras / digitally mixed frontal<br />

views of two cameras), 1995<br />

o.T. (zwei gemischte Ansichten eines<br />

Stabes, mehrere Fassungen / two mixed<br />

views of one rod, several versions), 1995<br />

o.T. (Gegenüberstellung zweier Kameras<br />

und eines Fernsehers / juxtaposition of<br />

two cameras and a TV set), 1995<br />

Staub (Dust), 1996<br />

o.T. (Reflexe zweier Lampen / reflections<br />

of two lamps), 1996<br />

o.T. (3/4 Kameras /3/4 cameras), 1997<br />

Würfel 2 (Dice 2), 2000<br />

Staub 2 (Dust 2), 2000<br />

Objective, 2001<br />

Projektionen / Projections<br />

o.T. (projizierte Neonwerbung / projected<br />

neon advertisement), Diaprojektion /<br />

slide projection, 1987<br />

o.T. (Akropolis / Acropolis), Diaprojektion<br />

/ slide projection, 1987<br />

o.T. (Projektion der Projektionsbirne /<br />

projection of the projection bulb), Projektion<br />

/ projection, 1994<br />

o.T. (Projektion auf vier Nägel / projection<br />

onto four nails), Projektion / projection,<br />

1994<br />

Skulpturen / Sculptures<br />

o.T. (Gipsblock, Strich / plaster block, line),<br />

Skulptur/Zeichnung / sculpture/drawing,<br />

1983<br />

o.T. (Gipswürfel, zwei Striche / plaster<br />

cube, two lines), Skulptur / Zeichnung /<br />

sculpture/drawing, 1983<br />

281<br />

artintact 4


artintact 4<br />

282<br />

o.T. (Kalksandsteine und Betonkeil / sandlime<br />

bricks and concrete wedge), 1984<br />

o.T. (Uhrenwaage /clock scales), 1986<br />

o.T. (Kalksandsteine, Papiertüten / sandlime<br />

bricks, paper bags), 1986<br />

o.T. (Kalksandsteine und Holzkeil / sandlime<br />

bricks and wooden wedge), 1986<br />

Das Messer (The Knife), 1988<br />

o.T. (Zigarettenverpackungskartons /<br />

cigarette cartons), 1989<br />

Die Taschenlampe (The Flashlight), 1989<br />

Schränkchen (Small Cabinet), 1992<br />

Teleskop (Telescope), 1992<br />

o.T. (Glasscheibe, zwei Nägel / glass pane,<br />

two nails), 1995<br />

o.T. (Zwei Fotolampen / Two photolamps),<br />

1999<br />

Verschiedene Fotoarbeiten seit 1987 /<br />

Diverse photo-works since 1987<br />

Ausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected exhibitions<br />

(Kat. = Katalog / catalogue)<br />

Einzelausstellungen /<br />

Solo exhibitions<br />

Galerie Hake, Munster, 1987; Wiesbaden,<br />

1988<br />

Städt. Museum Abteiberg, Mönchengladbach,<br />

1989 (Kat.)<br />

Thomas Backhauß Galerie, Dusseldorf,<br />

1991<br />

Räume für neue Kunst, Rolf Hengesbach,<br />

Wuppertal, 1994/1996/2001<br />

Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen,<br />

1995 (Kat.)<br />

Kunstraum, Wuppertal, 1996<br />

Saint-Gervais Genève, Geneva, 1997<br />

Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

Videonale, Bonn, 1986/1988/1990 (Kat.)<br />

Elektronische Künste, Wissenschaftszentrum,<br />

Bonn, 1986 (Kat.)<br />

Infermental 6, Edition Vancouver, 1987<br />

Ars Electronica, Linz, 1987<br />

Neues Video aus der BRD, Museum für<br />

Gegenwartskunst, Basel, 1987 (Kat.)<br />

2nd Fukui International Video Biennal,<br />

Fukui, Japan, 1988 (Kat.)<br />

Video-Skulptur retrospektiv und aktuell<br />

1963 –1989, Kölnischer Kunstverein,<br />

Cologne; Kongresshalle, Berlin; Kunsthaus,<br />

Zurich, 1989 (Kat.)<br />

Multimediale, ZKM, Karlsruhe,<br />

1991/1993/1995 (Kat.)<br />

Wortlaut, Galerie Vaclava Spaly, Prague,<br />

1991 (Kat.)<br />

Avantgarde Reflex Ost-West, Altes<br />

Rathaus, Potsdam, 1992 (Kat.)<br />

Gegenbilder, Ausstellung in Münsteraner<br />

Kirchen, Munster, 1993 (Kat.)<br />

Medienbiennale, Leipzig, 1994 (Kat.)<br />

Videoskulptur in Deutschland seit 1963,<br />

Kunsthalle, Rostock; Centrum<br />

Beeldende Kunst, Groningen; World<br />

Wide Video Centre, The Hague; Museum<br />

van Hedendaagse Kunst, Ghent;<br />

Circulo de Bellas Artes, Madrid; Galeria<br />

Zach˛eta, Warsaw, 1994 (Kat.)<br />

Videobrasil, Sesc Pompeji, São Paulo, 1994<br />

(Kat.)<br />

Art & Electronics, Pao Gallerys, Hong<br />

Kong Arts Centre, Hong Kong, 1995<br />

(Kat.)<br />

European Media Art Festival, Osnabrück,<br />

1995 (Kat.)<br />

Kwangju Biennale, Kwangju, Korea, 1995<br />

(Kat.)


Electronic Undercurrents, Statens Museum<br />

for Kunst, Copenhagen, 1996 (Kat.)<br />

Objekt Video, Oberösterreichische Landesgalerie,<br />

Linz, 1996 (Kat.)<br />

Der Traum vom Sehen, Gasometer, Oberhausen,<br />

1997<br />

Video Positive: Escaping Gravity, Cornerhouse,<br />

Manchester, 1997 (Kat.)<br />

Galerie Gaby Kraushaar, Dusseldorf, 1997<br />

Zones of Disturbences, Steirischer Herbst,<br />

Graz, 1997 (Kat.)<br />

Minimal / Maximal, Neues Museum<br />

Weserburg, Bremen, 1998 (Kat.)<br />

Blickwechsel, Museum für Neue Kunst,<br />

ZKM, Karlsruhe, 1998<br />

11th Biennale of Sydney, Sydney, 1998<br />

(Kat.)<br />

Kunstpreis der Böttcherstrasse in Bremen,<br />

Kunsthalle, Bremen, 1999 (Kat.)<br />

Contact Zones: The Art of CD-ROM, Centro<br />

de la Imagen, Mexico City, 1999<br />

(Kat.)<br />

Minimal /Maximal, Centro Galego de Arte<br />

Contemporanea, Santiago de Com-<br />

postela, Spain, 1999 (Kat.)<br />

Rewind to the Future, Bonner Kunstverein,<br />

Bonn; Neuer Berliner Kunstverein,<br />

Berlin, 1999 (Kat.)<br />

Orbis Terrarum, Plantin-Moretus<br />

Museum, Antwerp, 2000 (Kat.)<br />

One of those Days, Mannheimer Kunstverein,<br />

Mannheim, 2000 (Kat.)<br />

Die Künstlerstiftung, 25 Jahre Karl<br />

Schmidt-Rottluff Stipendium, Kunsthalle<br />

Dusseldorf, 2000 (Kat.)<br />

Big Nothing, Staatliche Kunsthalle, Baden-<br />

Baden, 2001 (Kat.)<br />

Vor-Sicht Rück-Sicht, 8. Triennale Kleinplastik,<br />

Fellbach, 2001 (Kat.)<br />

Minimal / Maximal, Chiba City Museum of<br />

Art, Chiba; The National Museum of<br />

Art, Kyoto; Fukuoka Art Museum,<br />

Fukuoka, Japan, 2001 (Kat.)<br />

Website<br />

http://www.dieter-kiessling.de<br />

283<br />

artintact 4


artintact 4<br />

284<br />

Geboren 1962 im Ruhrgebiet, Deutschland.<br />

Sie studierte Bildende Kunst an der Kunstakademie<br />

Münster und Sozialwissenschaften<br />

an der Westfälischen Wilhelms Universität<br />

Münster. 1985 wechselte sie an die<br />

Kunstakademie Düsseldorf und wurde 1989<br />

Meisterschülerin von Guenther Uecker.<br />

1992 beendete sie ihr Studium mit dem ersten<br />

Staatsexamen und absolvierte anschließend<br />

ein Zusatzstudium der Audiovisuellen<br />

Medien an der Kunsthochschule für Medien<br />

in Köln. 1993–96 war sie künstlerische Mitarbeiterin<br />

an der Fakultät Gestaltung der<br />

Bauhaus Universität Weimar, seit 1996 ist<br />

sie Professorin für Gestaltungslehre, Rauminszenierung<br />

und Video im Fachbereich<br />

Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld.<br />

Anja Wiese arbeitet mit neuen und alten<br />

Medien im Raum. Sie lebt in Düsseldorf.<br />

Werke / Works<br />

Lichtinstallationen / Light installations<br />

Tresor (Safe), 1986<br />

Lichtwürfel und Windmühle Kalkar (Light<br />

Cube and Windmill, Kalkar), 1988<br />

Sysiphus’ Atem (Sysiphus’ Breath), 1989<br />

Hommage à Richard Long, 1989<br />

Leucht-Turm (Light-Tower), 1991<br />

Klang- und Tonbandinstallationen /<br />

Sound and tape installations<br />

Romeo & Julia (Romeo & Juliet), 1988<br />

Das Pfingstwunder (The Pentecostal<br />

Miracle), 1990<br />

Erstes Rätsel (First Puzzle), 1992<br />

Zeitmaschine (Time Machine), 1994<br />

Anja Wiese<br />

Anja Wiese was born in the Ruhr district of<br />

Germany in 1962. She began her studies<br />

with Fine Arts at the Kunstakademie in<br />

Munster, and Social Sciences at the Westfälische<br />

Wilhelms Universität, Munster. In<br />

1985, she changed to the Kunstakademie in<br />

Dusseldorf, graduated in 1992, and completed<br />

a supplementary course of studies in<br />

Audiovisual Media at the Academy of<br />

Media Arts, Cologne. From 1993 to 1996<br />

she worked as artistic collaborator at the<br />

Design Faculty of the Bauhaus Universität,<br />

Weimar; since 1996 she has been Professor<br />

of Design Studies, ‘Rauminszenierung’ and<br />

Video in the Design Faculty of the Fachhochschule<br />

Bielefeld. She employs both<br />

new and traditional media in her installations<br />

and environments. She lives in Dusseldorf.<br />

Civilized Animism/Gedichtmaschine<br />

(Civilised Animism/Poem Machine),<br />

1994<br />

Hier-Jetzt Unterbrecher (Here-and-Now<br />

Interruptor), Tonbandinstallation / tape<br />

installation, 1996<br />

Erfassungsbereich (Registration Range), interaktive<br />

Klanginstallation / interactive<br />

sound installation, 1996<br />

Kriegstagebuch, Audio-Installation mit<br />

Diktiergeräten/Elektronik / audio<br />

installation with dictaphones and<br />

electronic equipment, 1999<br />

Videoinstallationen / Video installations<br />

Himmel auf Erden (Heaven On Earth),<br />

1993<br />

Zerteiler (Divider), 1995


Imperials, Audio-Videoinstallation für 21<br />

Monitore / audio-video installation for<br />

21 monitors, 1998<br />

Seven, Audio-Videoinstallation für 7 Monitore<br />

/ audio-video installation for<br />

7 monitors, 2000<br />

Environments<br />

Unbezähmbare Ambivalenz (Untameable<br />

Ambivalence), 1987<br />

Ähnliche Einsamkeit (Similar Loneliness),<br />

1987<br />

Geschichte (History), 1992<br />

Die Einzige (The Singular One), Interaktives<br />

Environment / interactive environment,<br />

1995<br />

Andere / Others<br />

Dschungelmusik (Jungle Music), Hologramm<br />

/ hologram, 1985<br />

To maintain the system, that’s stupid, I<br />

mean, Beschallung / acoustic irradiation,<br />

1986<br />

East-West-Drawing, Fax Konzept / fax<br />

concept, 1994<br />

Die Dritte Person (The Third Person)<br />

(mit/with Barbara Köhler), Wandinstallation<br />

mit Text auf Glas / wall installation<br />

with text on glass, 1998<br />

Ausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected exhibitions<br />

(Kat. = Katalog / catalogue)<br />

Einzelausstellungen /<br />

Solo exhibitions<br />

Galerie Brusten, Wuppertal, 1987<br />

Galerie Raum 1, Dusseldorf, 1989<br />

Vereinigte Kesselwerke, Dusseldorf, 1995<br />

Kunstraum Dusseldorf, 1996 (Kat.)<br />

Kulturforum Alte Post, Neuss, 1998 (Kat.)<br />

Seven, ehemalige Synagoge, Drensteinfurt,<br />

2000<br />

Gruppenausstellungen(Auswahl) /<br />

Selected group exhibitions<br />

Gesehen, Akademieforum in Munster,<br />

1985<br />

Das Programmatische Sommerloch,<br />

Galerie Raum 1, Dusseldorf, 1986<br />

Raumformungen, Galerie der Hochschule<br />

der Künste, Braunschweig, 1987<br />

Das Geheimnis einer Jungen Haut,<br />

Emschertalmuseum Herne, 1988<br />

Forum Junger Kunst, Städtisches Museum<br />

Kalkar, 1989 (Kat.)<br />

Fremde, Galerie Maerz, Linz, 1990<br />

Knotenpunkt, ehemaliges Stasi-Hauptquartier,<br />

Chemnitz, 1990<br />

Forum Junger Kunst 91, Kunsthalle zu<br />

Kiel; Städtische Galerie Wolfsburg;<br />

Museum Bochum, 1991 (Kat.)<br />

Exakte Vertrauensgrenzen, Künstlerhaus<br />

Dortmund, 1991<br />

Tiefgang – Bildräume im Schloßbunker,<br />

Mannheim, 1992 (Kat.)<br />

Zehn Jahre Künstlerhaus Dortmund,<br />

Künstlerhaus Dortmund, 1993 (Kat.)<br />

The 7th Pusan Biennial, Pusan Cultural<br />

Center, South Korea, 1994 (Kat.)<br />

Medienbiennale, Leipzig, 1994 (Kat.)<br />

Klang-Telefon, Munster, 1995<br />

49. Bergische Kunstausstellung – Raumgreifende<br />

Kunst, Deutsches Klingenmuseum/Städtische<br />

Galerie Solingen,<br />

1995 (Kat.)<br />

Dialoge – Die verlorene Idee von der Ordnung<br />

der Dinge, Atatürk Kulturzentrum<br />

Istanbul; Kunstpalast Dusseldorf,<br />

285<br />

artintact 4


artintact 4<br />

286<br />

1996 (Kat.)<br />

Oir es Ver/Hören ist Sehen, radio project<br />

with exhibition, Expouniversidad ’96,<br />

Universidad De Antioquia, Medellin,<br />

1996 (Kat.)<br />

Letzter Aufguß, Saunaabteilung des ehemaligen<br />

Wellenbades Dusseldorf, 1996<br />

(Kat.)<br />

Un-Frieden. Sabotage von Wirklichkeiten,<br />

Kunstverein und Kunsthaus Hamburg,<br />

1996–97 (Kat.)<br />

Labor-Techno, Forum Bildender Künstler,<br />

Essen, 1997 (Kat.)<br />

Kimchi und Sauerkraut, Galerie Münsterland,<br />

Emsdetten1997, (Kat.)<br />

Galerie Gaby Kraushaar, Dusseldorf, 1997<br />

Am Fenster (mit/with Barbara Köhler),<br />

Landtag NRW, Dusseldorf, 1998<br />

Verborgene Orte, Brücke von Remagen,<br />

Erpel, 1999 (Kat.)<br />

Warum ist Zeichnung so schön, Galerie<br />

Gaby Kraushaar, Dusseldorf, 1999<br />

Bleibe!, Akademie der Wissenschaften,<br />

Berlin, 2000 (Kat.)<br />

Hören ist Sehen/oir es ver/to hear is to see,<br />

Austrian Cultural Institute Istanbul,<br />

Tercera, Bienal de Radio, Mexico, 2000<br />

(Kat.)<br />

von Haus zu Haus, Westdeutscher Künstlerbund<br />

im Museum der Stadt/Städtische<br />

Galerie Lüdenscheid, 2000 (Kat.)<br />

Gruppenausstellung koreanisch-deutscher<br />

Künstler in Seoul/Südkorea, Städtisches<br />

Museum, Seoul, 2001 (Kat.)<br />

Videos von Künstlern, Kunsthalle, Recklinghausen,<br />

2001<br />

total 3000, Projekt im Einkauszentrum, Essen-Altenessen,<br />

2002<br />

Kunstverein Münsterland (mit/with Suse<br />

Wiegand), Coesfeld, 2002<br />

Website<br />

http://www.anjawiese.de


Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Autoren / Authors<br />

Geboren 1966 in Würzburg, Redakteur der<br />

Berliner Zeitung. Tilman Baumgärtel ist<br />

Mitglied der Medieninitiative mikro e.V.,<br />

Berlin, und Mitgründer und Moderator von<br />

Rohrpost, einer Mailingliste für Netzkultur.<br />

Im Sommersemester 2000 hatte er eine Vertretungsprofessur<br />

für Medienwissenschaft<br />

an der Universität Paderborn und im Sommer<br />

2001 war er Gastdozent an der Kunstakademie<br />

Riga. Veröffentlichungen: Vom<br />

Guerillakino zum Essayfilm: Harun Farocki<br />

– Werkmonographie eines Autorenfilmers<br />

(1998), net.art – Materialien zur Netzkunst<br />

(1999), net.art 2.0 – Neue Materialien zur<br />

Netzkunst (2001).<br />

Tilman Baumgärtel<br />

Marina Grzˇinić<br />

siehe Seite 277 see page 277<br />

Tilman Baumgärtel was born in Würzburg<br />

in 1966. He is on the editorial staff of the<br />

Berliner Zeitung newspaper in Berlin,<br />

where he is also active in the ‘mikro’ project<br />

and a presenter of Rohrpost, a Net-culture<br />

mailing list that he co-founded. He was<br />

commissary professor of media studies at<br />

Paderborn University in summer semester<br />

2000, and guest lecturer at the Art Academy<br />

of Riga, Lithuania, in summer 2001. Publications:<br />

Vom Guerillakino zum Essayfilm:<br />

Harun Farocki – Werkmonographie eines<br />

Autorenfilmers (1998), net.art – Materialien<br />

zur Netzkunst (1999), net.art 2.0 – Neue<br />

Materialien zur Netzkunst (2001).<br />

287<br />

artintact 4


artintact 4<br />

288<br />

John G. Hanhardt ist leitender Kurator für<br />

Film und Medienkunst am Solomon R.<br />

Guggenheim Museum, New York. Zuvor<br />

war er über 20 Jahre Abteilungsleiter und<br />

Kurator für Film und Videokunst am Whitney<br />

Museum of American Art, New York.<br />

Er kuratierte dort u.a. die Ausstellungen<br />

Re-Visions: Projects and Proposals in Film<br />

and Video (1979), eine Retrospektive zu<br />

Nam June Paik (1982) sowie die erste<br />

Warhol-Museumsretrospektive The Films<br />

of Andy Warhol (1988). Außerdem war er<br />

für die Videoauswahl der Whitney Biennalen<br />

von 1975 bis 1995 verantwortlich. Von<br />

1972–74 war er Koordinator für Film am<br />

Walker Art Center, Minneapolis. Er hat an<br />

verschiedenen Universitäten und Hochschulen<br />

unterrichtet, u.a. an der Columbia<br />

University und am School of the Art Institute<br />

of Chicago.<br />

Kathy Rae Huffman ist seit 2000 Leiterin<br />

der Hull Time Based Arts, Hull. Von<br />

1998–2000 war sie Gastprofessorin für<br />

elektronische Kunst und Leiterin des Programms<br />

Electronic Media Arts and Communication<br />

(EMAC) am Rensselaer Polytechnic<br />

Institute, Troy, New York. Als<br />

freiberufliche Kuratorin, Künstlerin, Autorin<br />

und Netzwerkerin lebte sie von 1991–98<br />

in Österreich. Als Autorin schreibt Huffman<br />

u.a. für Telepolis, Rhizome, ISEA und<br />

andere online-Magazine. Zu ihren aktuellen<br />

Projekten als Kuratorin gehört [e]dentity,<br />

ein Programm, das Videoarbeiten von<br />

Künstlerinnen vorstellt und zeigt, auf welche<br />

Weise sich weibliche Identität in online-Umgebungen<br />

ausdrückt.<br />

John G. Hanhardt<br />

Kathy Rae Huffman<br />

John G. Hanhardt is Senior Curator of Film<br />

and Media Arts at the Solomon R. Guggenheim<br />

Museum, New York, where for over<br />

20 years he was Curator of Film and Video<br />

and Head of the Department at the Whitney<br />

Museum of American Art. During that<br />

time he curated exhibitions including Re-<br />

Visions: Projects and Proposals in Film and<br />

Video (1979), the retrospective Nam June<br />

Paik (1982) and, as the first museum retrospective<br />

devoted to Warhol, The Films of<br />

Andy Warhol (1988). Additionally, he made<br />

the film and video selections for the Whitney<br />

Biennials from 1975 to 1995. He was<br />

Film Coordinator at the Walker Art Center<br />

in Minneapolis from 1972 to 1974. He has<br />

taught at a number of institutions, including<br />

Columbia University and the School of the<br />

Art Institute of Chicago.<br />

Before being appointed director of Hull<br />

Time Based Arts in 2000, Kathy Rae Huffman<br />

was from 1998 to 2000 Associate Professor<br />

of Electronic Art, and director of<br />

EMAC, the Electronic Media Arts and<br />

Communication program, at Rensselaer<br />

Polytechnic Institute, Troy, New York.<br />

From 1991 to 1998, she was based in Austria<br />

as a freelance artist, curator, writer and networker.<br />

She writes for Telepolis, Rhizome,<br />

ISEA and other online journals. Huffman‘s<br />

recent curatorial work includes [e]dentity, a<br />

program of video works by women showing<br />

how female identity is expressed in online<br />

environments.


Geboren 1966 in Münster (Westfalen), lebt<br />

in Münster. Carina Plath studierte Kunstgeschichte,<br />

Klassische Archäologie und Romanistik<br />

in Münster, Bologna, München<br />

und Bochum, promovierte über Maria<br />

Nordman und die kalifornische Kunst der<br />

70er Jahre und war als Kunstkritikerin u.a.<br />

für Das Kunst-Bulletin, Zürich, tätig. Von<br />

1999–2001 nahm sie am Kuratorenprogramm<br />

des Center for Curatorial Studies,<br />

Bard College, New York, teil und kuratierte<br />

dort die Ausstellung image a new.<br />

Seit 2001 ist sie Direktorin des Westfälischen<br />

Kunstvereins Münster.<br />

Astrid Sommer studierte Angewandte<br />

Theaterwissenschaft in Giessen und<br />

arbeitet als freiberufliche Redakteurin,<br />

Dramaturgin und Übersetzerin, u.a. seit<br />

1993 für das ZKM-Institut für Bildmedien.<br />

Carina Plath<br />

Astrid Sommer<br />

Carina Plath was born in Munster, Westphalia,<br />

in 1966. After studying art history,<br />

classical archaeology and Romance languages<br />

and literatures in Munster, Bologna,<br />

Munich and Bochum, she obtained a PhD<br />

on Maria Nordman and 1970s Californian<br />

Art. She was an art critic for journals including<br />

Das Kunst-Bulletin, Zurich. From<br />

1999 to 2001, she attended the Center for<br />

Curatorial Studies, Bard College, New<br />

York, where she curated the show image a<br />

new. She was appointed director of the<br />

Westfälischer Kunstverein, Munster, in<br />

2001.<br />

A graduate of theatre studies, Astrid Sommer<br />

works as a freelance editor, dramaturg<br />

and translator, and has been associated with<br />

the ZKM-Institute for Visual Media since<br />

1993.<br />

289<br />

artintact 4


artintact 4<br />

290 Impressum /Colophon<br />

Herausgeber /<br />

Publisher<br />

ZKM/Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Konzept / Concept<br />

Jeffrey Shaw<br />

Redaktion / Editor<br />

Astrid Sommer<br />

Gestaltung / Design<br />

Holger Jost<br />

Übersetzungen /<br />

Translators<br />

Thomas Morrison<br />

Astrid Sommer<br />

Englisches Lektorat /<br />

English proofreading<br />

Thomas Morrison<br />

CD-ROM-Produktion /<br />

CD-ROM production<br />

Volker Kuchelmeister<br />

Mitarbeit / assisted by:<br />

Kevin McTavish<br />

Wolfgang Münch<br />

© 2002 der Essays bei den<br />

Autoren und ZKM Karlsruhe<br />

/ Essays © 2002 by the<br />

authors and ZKM Karlsruhe<br />

© 2002 der Werke bei den<br />

Künstlern / Artworks<br />

© 2002 by the artists<br />

© 2002 der Screenshots bei<br />

den Künstlern / Screenshots<br />

© 2002 by the artists


291<br />

artintact 4


artintact 5<br />

CD-ROMagazin<br />

interaktiver Kunst<br />

ZKM/Zentrum<br />

für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Artists’interactive<br />

CD-ROMagazine<br />

ZKM/Center<br />

for Art and Media<br />

Karlsruhe<br />

Hatje Cantz [1999/2002]


artintact 5<br />

Inhalt<br />

297<br />

Editorial<br />

299<br />

PVC – Performance<br />

VideoComputer<br />

Gerhard Johann<br />

Lischka<br />

Forced Entertainment &<br />

Hugo Glendinning: Frozen<br />

Palaces (Chapter One)<br />

311<br />

Gute Orte<br />

Tim Etchells<br />

321<br />

Der Raum der<br />

Performance<br />

Peggy Phelan


Agnes Hegedüs:<br />

Things Spoken<br />

331<br />

Die Künste des Selbst<br />

Tjebbe van Tijen<br />

Masaki Fujihata:<br />

Impalpability<br />

355<br />

Vom Berühren des<br />

Unfaßbaren<br />

Hans-Peter Schwarz<br />

360<br />

Sehen, Berühren,<br />

Imaginieren<br />

Masaki Fujihata<br />

371<br />

Biografische Notizen:<br />

Künstler<br />

380<br />

Biografische Notizen:<br />

Autoren<br />

383<br />

Impressum<br />

artintact 5


Es ist kein Zufall, daß – wie im vorliegenden<br />

Band Agnes Hegedüs und Masaki Fujihata<br />

– viele der in den bisherigen artintact-<br />

Ausgaben vorgestellten Medienkünstler<br />

mit ihren Hauptwerken auch im ZKM-<br />

Medienmuseum vertreten sind.<br />

Das Medienmuseum ist als produktives<br />

Kunstmuseum konzipiert worden und<br />

versucht, diesem Anspruch gerecht zu<br />

werden, indem es die Medienkunst nicht<br />

von einem Stand der Abgeschlossenheit<br />

betrachtet, die zeitgenössische Avantgarde<br />

nicht musealisiert und damit in ihrer subversiven<br />

Stoßrichtung entschärft. Das<br />

Medienmuseum will vielmehr Erfahrungen<br />

mit einer Kunst ermöglichen, die nicht auf<br />

objekthafte Artefakte fixiert ist, sondern<br />

einen Rezeptionsprozeß auslöst, der, vom<br />

realen Raum des Museums ausgehend, sich<br />

in die virtuellen Räume erstreckt, die von<br />

den verschiedenen Medienkünstlerinnen<br />

und -künstlern mit sehr unterschiedlichen<br />

und immer eigen-sinnigen architektonischen<br />

Konzepten errichtet werden. Die<br />

ephemere, die ›wilde‹ Moderne ist ja immer<br />

wieder der wichtigste Motor einer Erneuerung<br />

der formalen und inhaltlichen Struktur<br />

der Kunst des 20. Jahrhunderts gewesen.<br />

Aufgehoben wurde sie allerdings meist nur<br />

in literatischen Formaten oder in archivalischen<br />

Beispielsammlungen, selten oder nie<br />

in den Dauerausstellungen großer Museen.<br />

Das hat seinen Grund nicht nur in der<br />

traditionellen objektorientierten Interessenslage<br />

der Museen, sondern auch im<br />

Anspruch der Künstler, die ja gerade die zu<br />

engen Grenzen der traditionellen Kunstinstitutionen<br />

aufsprengen wollen. Mit dem<br />

Editorial<br />

mehr oder weniger freiwilligen Verzicht,<br />

das Museum als Treffpunkt zwischen<br />

Künstler, Kunstwerk und Publikum zu<br />

nutzen, verschärft sich aber gleichzeitig<br />

einer der grundlegenden Konflikte im<br />

Verhältnis zwischen Avantgardekünstler<br />

und Kunstpublikum: Die Rezeption von<br />

Kunst, gerade auch diejenige von neuen,<br />

ungewohnten künstlerischen Ausdrucksformen,<br />

ist immer auf das Vergleichen mit<br />

anderen Kunstwerken und vor allem auf die<br />

zeitlich nicht eingegrenzte Möglichkeit,<br />

Erfahrung mit dem Neuen zu machen,<br />

angewiesen.<br />

Durch die enge Zusammenarbeit mit<br />

dem ZKM-Institut für Bildmedien und dem<br />

ZKM-Institut für Musik und Akustik gelingt<br />

es dem Medienmuseum, gemeinsam<br />

mit Künstlern, Wissenschaftlern und auch<br />

mit den Besuchern, eine Plattform für diese<br />

Erfahrung zu errichten, auf der die Kunstwerke<br />

nicht in musealer Distanz erstarren,<br />

sondern den Besuchern, aber auch den<br />

Künstlern selbst immer wieder neue Perspektiven<br />

zur Veränderung ihrer Denkund<br />

Sehweisen bieten. Das Medienmuseum<br />

richtet seinen Blick nicht nur in die<br />

Geschichte hinein, sondern auch in die<br />

Zukunft, betrachtet sich als Wegbegleiter<br />

einer Kunst, die, und das zeigen nicht zuletzt<br />

die drei in dieser Ausgabe von artintact<br />

vorgestellten künstlerischen Arbeiten, ihre<br />

Grenzen noch lange nicht ausgelotet hat.<br />

Hans-Peter Schwarz<br />

Direktor des ZKM-Medienmuseums<br />

1992–2000<br />

297<br />

artintact 5


PVC 1<br />

PerformanceVideoComputer<br />

Projektion und Reflexion /<br />

Produktion und Rezeption<br />

Von Gerhard Johann Lischka<br />

Unser Leben wickelt sich heute in extremem Maße in der Polarisierung<br />

von Geist und Körper ab: von Mediatisierung und Verkörperung. Überzeitliche<br />

Images prallen auf unseren vergänglichen Körper. Wir möchten<br />

die körperlichen Gebrechen besiegen, spüren aber die irdische Schwere,<br />

der die Medien scheinbar entkommen. Da unser Körper jedoch selbst ein<br />

Medium (der Gesellschaft) ist, kann dieser Konflikt, wird er poetisch angegangen,<br />

sowohl in den (neuen) Medien als auch in der darstellenden<br />

Kunst (der Körperkunst, der Performancekunst etc.) auf mannigfache<br />

Art gelöst werden. Im Hier und Jetzt als Ereignis und verdichtete Atmosphäre<br />

des Zusammenseins und in künstlerisch bewältigten Medien, die<br />

in dauerhaften Formen Inhalte vermitteln.<br />

1. Unter dem Kürzel PVC engagieren wir uns seit einigen Jahren für künstlerische/poetische<br />

Äußerungen, die in den Bereichen Performance, Video und Computer geschaffen<br />

werden. Dabei signalisiert das ›Werden‹ unsere Vorstellung von der Dynamik der Entfaltung<br />

und Offenheit in diesen Bereichen. Sie orientiert sich an Aktivität und Experiment,<br />

an Dialog und der Konstruktion von Sinn. Wobei die Beteiligung am Prozeß der<br />

Rezeption und Produktion im Zentrum der ständigen Suche liegen.<br />

Gerade im Rahmen der Kunst macht sich heute ein ihr eigentlich zuwider laufender<br />

Konservatismus breit, der nur noch das bereits Bekannte, Etablierte und Erfolgreiche als<br />

Kunst (= Qualität) definiert. Der Wiedererkennungsfaktor ist zum Garanten für Werte<br />

geworden, die aber auch erkämpft werden mußten, nicht gegeben waren. Eine Ideologie<br />

des Besser- und Bescheidwissens erstickt die Offenheit des Kunstwerkes, sowohl auf<br />

Seiten der Produzenten als auch auf der der Rezipienten.<br />

So ist bei aller Bewunderung der neuen Museumspaläste und -kathedralen das Kon-<br />

299<br />

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300<br />

Unser Weltbild ist der Prozeß der Reflexion und Projektion auf der<br />

von innen und von außen bespielten ›Leinwand‹ unserer Wahrnehmung.<br />

Deshalb sind wir alle Interfaces, Mediatoren oder Kreateure im Fluß der<br />

Mediatisierung. Wir sind Produzenten und Rezipienten an der Schnittstelle<br />

zwischen Individuum und Gesellschaft. Wir sind auf uns gestellt<br />

und doch immer mit den anderen, auch gegen sie. Dieses ständige Hin<br />

und Her, dieses Oszillieren unserer Wahrnehmung und Handlungen<br />

macht uns zu Akteuren des Dramas des Lebens, dem kein Lebewesen entkommt.<br />

Auf einer alltäglichen Basis sind wir alle Darsteller einer oder<br />

mehrerer Rollen, die wir mal besser, mal schlechter zu spielen imstande<br />

sind. In diesem Drama ist jeder Hauptdarsteller, sich am nächsten und,<br />

solange die Kraft und Energie reicht, willentlich und unwillentlich beteiligt.<br />

Und unweigerlich endet das Spiel für jeden mit dem Tod.<br />

Der Tod ist das große Mysterium, um das sich Religion und Kunst<br />

ranken und entwickeln konnten. Der Tod ist ein Abschied für immer,<br />

weshalb er in vielen Kulturen als Ankunft im Anderswo gedeutet wird.<br />

Damit seine Brutalität gebrochen und der Schmerz, der uns und uns Nahestehenden<br />

damit beigefügt wird, gelindert wird, haben wir Vorstellungen<br />

des jenseitigen Lebens etabliert, die in diesem Jahrhundert jedoch<br />

servieren von aktueller Kunst wichtiger als das Diskutieren (Akzeptieren und Verwerfen)<br />

von Kunst, als der poetische Akt. Was doch widersinnig ist. Wir werden vom Gegebenen<br />

überrollt, von einem feststehenden Zustand, der unsere Vorstellungskraft nicht<br />

entflammt, sondern eben fixiert.<br />

Die den Performances, Videos und dem Computer innewohnenden Möglichkeiten<br />

werden selbstverständlich im selben Maße für eine Konsolidierung verwendet, wie das<br />

bei der Museifizierung der Fall ist. Performance ist Show und Soap Opera, Videos sind<br />

Sex-and-Crime-Filme oder der zumeist phantasielose Haufen von Musik-Videoclips,<br />

und der Computer dient dem Business und ist das Business. Diese klischierte Verwendung<br />

von PVC erzwingt geradezu einen anderen, einen freien Umgang mit diesen Medien.<br />

Wir sind auf der Suche danach, indem wir uns auf Projekte einlassen, die anderes<br />

projizieren und dies wiederum reflektieren. Wir hinterfragen unsere Repräsentationen,<br />

um neue Konstruktionen zu präsentieren.


üchig geworden sind. An die Stelle des Jenseits mit seinen Ewigkeitsprophezeiungen<br />

von Freude oder Qual, von Himmel und Hölle, treten<br />

die in der Kunst angelegten Qualitäten mit Langzeitwert. Und ganz allgemein<br />

soll sich das Glück nicht erst im Jenseits einstellen, sondern im<br />

Hier und Jetzt erfüllen, in Verehrung diesseitiger Werte und Images und<br />

der Sättigung des Hungers nach Erlebnissen.<br />

So gesehen hatten wir ehemals Heilsversprechungen für das Jenseits<br />

und heute Wunscherfüllung im Diesseits. Sobald aber Werte von längerer<br />

Dauer ins Spiel kommen, werden sie von der Kunst repräsentiert. Ihre<br />

Mittler und Gestalter sind die Künstler. Sie begeben sich auf die Suche<br />

nach dem Drama im Drama oder nach einem das Drama des Lebens überhöhenden,<br />

längere Zeit für verbindlich erachteten Ausdruck für dieses in<br />

einer nun gebrochenen, indirekten Form.<br />

Doch wie kommen wir mit der Direktheit des künstlerischen Ausdrucks<br />

zu künstlerischen Werten, ohne eine auf lange Zeit hin angelegte<br />

Form? Zunächst, indem wir Direktheit als Unmittelbarkeit so definieren,<br />

daß sie in ihrer momentanen Form aus vielen mittelbaren Schritten sich<br />

gebildet hat. Viel Erfahrung steht hinter ihr, viele Einflüsse und das Wechselspiel<br />

mit der allgemeinen Situation. Als weiteres Konstituens der Performancekunst<br />

genannten Direkt-Darstellung gilt, daß sie als einzelne<br />

Aufführung ein Teil im System des Performancekünstlers ist. Erst die<br />

Kette der Performances weist den Künstler als solchen aus. Wir sehen<br />

Entwicklungen, Verwerfungen, Brüche usw., doch immer so, daß ein poetischer<br />

Funke den Unterschied zum Üblichen markiert, zum Alltagsdrama.<br />

Schließlich sind Performancekünstler/innen Magier der Verdichtung<br />

von Zeit, womit Werte auch während der Dauer einer Aufführung<br />

eine Form finden können, die in nichts der Langzeit-Dauer üblicherweise<br />

als Kunst bezeichneter Objekte nachstehen. Und nicht zuletzt gibt es in<br />

der Performance verwendete Objekte und produzierte Fotos, Filme und<br />

Videos, die als Relikte einer später vollzogenen mentalen Vergegenwärtigung<br />

dienen.<br />

301<br />

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302<br />

Spreche ich vom Drama des Lebens, so bedeutet das auch eine Art von<br />

Inszenierung, eine Form. Es gibt und gab keine ›primitiven‹ Menschen,<br />

sondern Sozietäten, die einen gewissen Lebens-Stil haben und hatten, ein<br />

Inter-esse verfolg(t)en. Dabei ist der Stil diejenige Form, welche dem<br />

Körper und seiner Darstellung im Rahmen der gesellschaftlichen Normen<br />

gestattet wird. Spricht man heute gerne vom Lifestyle, so ist damit<br />

gleichfalls die Norm gemeint. Nur ist diese nicht mehr einer alle verbindenden<br />

Ideologie oder einem kulturellen Universalismus unterworfen,<br />

sondern einem Diktat der Mode, das keinem Geschmack mehr entspricht,<br />

einer oft überdrehten Masche gehorcht, die als Stimulus dem Kommerz<br />

dient. In einer dauernd von Reizen überfluteten Wahrnehmung ist die<br />

Masche die notwendige Übertreibung, damit überhaupt wiederum Aufmerksamkeit<br />

entsteht.<br />

Diese Übertreibung – oft eine spleenige Geschmacklosigkeit, oft<br />

Späße mit Vulgarismen, oft schlichter Blödsinn usw. – entwickelte sich<br />

mit den Illusionsmedien und der damit parallel sich entfaltenden Werbung,<br />

die auch alles unternimmt, um aufzufallen. Wie der Pfau das Rad<br />

schlägt und mit seinen ›tausend Augen‹ in seinen Bann zieht, also gefügig<br />

macht, so reagieren wir auf das Ausgefallene. Damit wird das Übliche<br />

herabgesetzt und für banal erklärt. Aber auch das ›Natürliche‹ wird nicht<br />

nur diskriminiert, sondern vom Künstlichen, besser gesagt vom Mediatisierten,<br />

ausradiert. Lifestyle ist Medienmasche, Marken- und Logodiktat,<br />

Leben in der Mediatisierung.<br />

Lifestyle ist das Sein zwischen Information – oder was in dem Rahmen,<br />

in den wir als ›Leinwand‹ eingespannt sind, darzustellen gelingt.<br />

Unser Interesse folgt den Lebensumständen, der Zeit und ihren Gegebenheiten,<br />

dem Raum und seinen Zwängen. Wir drücken unsere Interessen<br />

aber auch aus, wir bekennen Farbe, wir integrieren uns in einen Code, der<br />

von Gleichgesinnten erkannt wird. Wir halten uns an Äußerlichkeiten,<br />

die Zeichen von Identität sind, gerade auch in Differenz zu anderen, nicht<br />

verwendeten Codes, die von anderen Gruppen okkupiert sind.


So spricht selbst Stillosigkeit von einem Stil, einer Lebenshaltung,<br />

einem Bekenntnis zu etwas. Stil ist eben Kommunikation, ist ein Zeichen.<br />

Und wenn alles auch ein Zeichen für etwas ist, respektive als Zeichen für<br />

etwas interpretiert werden kann, so ist Stil das Repertoire und die Anhäufung<br />

der Zeichen, die eine Zuordnung gestatten. Bestimmt gibt es dabei<br />

auffällige, direkt penetrante Zeichen, übliche, versteckte und heimliche<br />

Zeichen. Ihr Zusammenspiel ergibt ein stilistisch offenes oder geschlossenes<br />

System, in dem wir uns stark oder schwach definieren, in dem wir das<br />

Individuelle betonen oder uns eher in der Gesellschaft auflösen.<br />

Je nach Betätigung ist die Stilfrage auch mehr oder weniger virulent,<br />

legen wir Wert auf Distinktion. Zum Teil haben wir auch gar keine Lust,<br />

dem Stil eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wir greifen dann<br />

aber trotzdem zu Formen, die für sich sprechen. Unser Tun ist also immer<br />

mit Formen verbunden, die sich in entsprechenden Medien gebildet<br />

haben oder die gebildet werden. Unsere Interessen münden in Aktivitäten,<br />

die wiederum intersubjektiv besehen Interaktionen sind. Was<br />

Aktionen insofern relativiert, als sie, für oder gegen etwas geführt, eigentlich<br />

immer Inter-Aktionen sind.<br />

Auch in der Produktion von Waren, Wissen etc. wird eine direkte Aktion,<br />

ein direkter Zugriff immer mehr durch entsprechende Maschinen,<br />

Programme und Hilfsmittel unterschiedlichster Art gebrochen. Das Unmittelbare<br />

wird durch diverse Stufen des Mittelbaren gesiebt, so daß das<br />

Grobe sich verfeinert, das Direkte abgelenkt, kultiviert wird. Es fragt sich<br />

dann nur, inwieweit wir diese Brechungen ertragen und ob uns nicht<br />

›urtümliche‹ Gelüste durch die Hintertreppe der Emotionen überkommen.<br />

Also wie weit wir uns ›bilden‹ lassen, wo die Evolution nicht weiterführt,<br />

wo wir an die Grenze der Sublimation stoßen. Wo unsere Sinne<br />

krass unterfordert nur noch in die Fernsinne (AudioVision) münden und<br />

Nähe nicht mehr erfahrbar wird.<br />

Die AudioVision oder Mediatisierung hat mit dem Erfolg des Fernsehens<br />

in der Nachkriegszeit begonnen und immer neue Hürden der Inte-<br />

303<br />

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304<br />

gration einer noch ›realistischeren‹ Darstellungsform genommen, bis wir<br />

heute von einem digitalen Universum der Multimedia umgeben sind, das<br />

zu unserer Reality wird, zu unserem globalen Heim. Das Bild, der Ton<br />

und der Text berücken uns in High Fidelity. So mündet alles im neuen<br />

Delta der Venus, aus dem wir geboren werden. Die Enden dieser Dreifaltigkeit<br />

heißen PVC und wir bewegen uns zwischen ihnen, verschmelzen<br />

mit ihnen, um uns wiederum von ihnen loszureißen.<br />

Wenn auch ältere Medien wie Theater, Film und Radio etc. sich nicht<br />

nur behaupten können, sondern nicht wegzudenken sind, so hält doch<br />

das Fernsehen das Zentrum der Aufmerksamkeit besetzt. Die global erfaßte,<br />

am Bildschirm (Monitor) erscheinende Berichterstattung und<br />

Show hat parallel zur globalen Wanderung (Tourismus) die Bewegung als<br />

Bewegung zur unaufhörlichen Migration hochstilisiert. Man sieht zum<br />

Auto-, Zug- oder Flugzeugfenster hinaus und in den Bildschirm und in<br />

die Windows hinein. Die Grenze des unaufhörlichen Bilderflusses ist nur<br />

der Rahmen, der ihn als Reduktion von allem zu fassen vermag. Lärm,<br />

Rauschen, Sound und Gerede dringen an unsere Ohren. Vieles bleibt versehentlich<br />

unerhört. Oder haben wir es doch wahrgenommen? So wie das<br />

Zelluloid des Films noch negativ sichtbar ist und insofern der Moderne<br />

zuzurechnen, so ist der Magnetismus des Videobandes und das digitale<br />

Prinzip des Computers ein typischer Ausdruck der Postmoderne, nur<br />

apparategestützt lesbar. Das Analoge macht immer mehr dem Digitalen<br />

Platz und die Atome den Bits.<br />

Video hat sich mit dem Fernsehen und gegen es entwickelt. Zunächst,<br />

indem das Gehäuse als Box entleert, überzogen oder mit anderen Gehäusen<br />

kombiniert wurde und die Bilder am Bildschirm manipuliert wurden.<br />

Dann wurden andere Inhalte präsentiert, die Message lautete nicht-konform.<br />

Gegen den massenhaften Erfolg der TV-Sender blieb jedoch Video-<br />

Kunst bis heute ein Randphänomen. Sie kommt im Fernsehen selber<br />

praktisch nicht vor – hieß auch die erste Videogalerie Fernsehgalerie –, sie<br />

überlebt in Ausstellungen und auf Festivals. So marginal Video-Kunst in


Erscheinung tritt, so erfolgreich ließ sich die Video-Überwachung in<br />

Szene setzen, so daß sie zusammen mit dem Fernsehen unser Leben<br />

optisch im Griff hat. Passives und aktives Sehen verschränken sich zur<br />

Allgegenwärtigkeit von Monitor und Kamera, sie sind der geschlossene<br />

Kreislauf der Mediatisierung.<br />

Um den Funken Poesie am Monitor aufleuchten zu sehen, arbeiten<br />

Videokünstler/innen mit einem breiten Spektrum von Bildsprachen, die<br />

dem üblichen Fernseh-Reality-Bild, der phantasielosen Kameraposition<br />

und Bildkomposition entkommen, diesem Mythos des ›realistischen‹<br />

Bildes, das sich dokumentarisch verankert. Auf diese andere Weise gelingt<br />

es, das Bild als künstlerische Komposition zu verstehen und eine Bilddichte<br />

zu erreichen, die uns tatsächlich in die Ferne, in die Mehr- und Vieldimensionalität<br />

des Lebens blicken läßt. Denn hinterfragen wir das Fernsehen<br />

und die Videoüberwachung als das Janushaupt unserer Tage, so<br />

müßten wir sie schon lange als Nahsehen bezeichnen. Wir sehen etwas,<br />

das uns nahe, oft zu nahe kommt, ja, uns die Ferne raubt. Das Zoom ist<br />

dafür genauso der Beweis wie die Sichtbarmachung der Makro- und<br />

Mikrowelten: Nichts bleibt unbesehen, doch unser Blickwinkel ist verengt.<br />

Wir als Betrachter der Fernsehsendungen haben immer das Nachsehen.<br />

Vorsicht ist bei der herrschenden Bilderwelt auch nicht gefragt,<br />

aber die brutale Aufsicht zu allem und jedem. So bedeutet ›Action!‹ nicht<br />

nur, daß sich auf dem Set die Schauspieler in Szene setzen, es bedeutet<br />

auch die Vorherrschaft eines Film-Genres, das Bewegung pur bietet.<br />

Wird aber Video mit ›Ich sehe‹ übersetzt, haben wir bereits damit den<br />

Hinweis auf eine andere Bilderwelt, die uns Sehen als Genuß und Lust<br />

verspricht, also ›zärtliche‹ Bilder der Mitteilung bietet. Optische Kommunikation<br />

als Verfügungskraft über das visuelle Alphabet, das dem<br />

Hang der platten Aufsicht als visuellem Analphabetismus die Stirn bietet.<br />

Sehen heißt einsehen, die Konstruktion des Weltbildes mit dem Dritten<br />

Auge der Weitsicht, des Durchblicks, der Bilderlust zu unternehmen.<br />

305<br />

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306<br />

Unser Drittes Auge als der Bauchnabel zur Welt und die neuronale<br />

Schnittstelle haben mit dem Computer als universaler Maschine ein<br />

künstliches Pendant erhalten. Auf der reduzierten Basisentscheidung –<br />

ob Strom fließt oder nicht – baut sich ein paralleles Universum auf, das<br />

sich als globales Gehirn etabliert, als Schaltstelle von Information. Als<br />

energetisches Feld dem Magnetfeld ähnlich, umspannt ein Computernetz<br />

den Erdball, um in Global Cities Information als Macht zu bündeln. Der<br />

ägyptische Schreiber wurde durch den Computerspezialisten ersetzt, der<br />

das Programm festlegt und die Syntax bestimmt. Speicherkapazität und<br />

Geschwindigkeit des Zugriffs definieren die Möglichkeiten des Systems,<br />

dem gerne künstliche Intelligenz zugesprochen wird.<br />

Aufgeteilt in Hardware und Software (res extensa und res cogitans),<br />

spricht das Interface durch Tastatur, Maus und Monitor zu uns und wir<br />

durch diese zu ihm, auf dem Display lassen sich parallele und serielle<br />

Schnittstellen anfügen. Ist die kleinste erscheinende Informationseinheit<br />

ein Pixel, so ersehen wir, wie durch eine Verdichtung und Auflösung des<br />

Punkterasters und die zur Verfügung stehenden Bits und Bytes eine<br />

zweite Realität aus dem ›Nichts‹ entsteht, die von 0-Dimensionalität sprechen<br />

läßt, dem Counterpart unserer 4-dimensionalen Welt. Das Endliche<br />

trifft auf das Unendliche und sie erscheinen momentan als Hypertext, der,<br />

ununterbrochen fortgeschrieben, über-, durch- und miteinander viele<br />

Gestalten annehmen kann.<br />

Hat sich der Computer als Rechenmaschine und Codeknacker<br />

etabliert, später in viele Bereiche integriert und heute als Informationsknoten<br />

im Netz installiert, so kann man vermuten, daß die Bits eine ähnliche<br />

Bedeutung für dieses parallele Universum haben wie die Gene für<br />

die Lebewesen. Was bestimmt als Basiseinheit bereits wieviel von den Systemen<br />

in ihren verschiedenen Erscheinungsformen? Wie künstlich ist<br />

das scheinbar Natürliche und wie natürlich werden sich künstliche Welten<br />

darstellen oder gar erschaffen lassen?<br />

Wie immer der Computer sich weiterentwickeln läßt oder sich selber


entwickelt, bleibt doch die Frage, wie wir im Unterschied zum Bewußtsein<br />

der menschlichen Gattung das der Flora und Fauna und den Maschinen<br />

zugerechnete Bewußtsein beurteilen. Respektive, welches Bewußtsein<br />

wir wie einstufen und fördern. Überschätzen wir dabei unsere Form<br />

von Bewußtsein, die in der Sinnfrage gipfelt und eine Wertepyramide auftürmt?<br />

Wie stark ist das Unbewußte am Bewußtsein beteiligt, wenn dieses<br />

belegbar ist, jenes sich aber versteckt hält? Wo beginnt das Bewußtsein<br />

der Maschinen, um an welchem Punkt in Konkurrenz zu unserem<br />

Bewußtsein zu treten?<br />

Diese Fragen drängen sich auf, wenn wir den Zwang zum Erfolg (Performance),<br />

die Dominanz des Fernsehens und das Eindringen des Computers<br />

in alle erdenklichen Bereiche feststellen müssen. Wenn PVC in<br />

ihrer etablierten Form eine fundamentale Trias unserer Zeit bilden. Und<br />

da jedes Medium als ein in seinen Elementen dynamisches System variabel<br />

ist, hat es viele Gesichter, kann es in seinem Gebrauch auch ganz<br />

anders, als Anti-Medium (Re-Medium) erscheinen. Jede Vorderseite hat<br />

eine Rückseite, wo Licht ist, ist Dunkelheit, wo Erfolg ist, ist Mißlingen.<br />

Doch wer weiß, was wohin führt? Außer man hat das Verlangen, in den<br />

Medien nicht nur bereits die Botschaft zu sehen. Sondern bei einer anderen<br />

Verwendung (als Anti-Medium) das jeweilige Medium als Mittel zu<br />

einem befreiten und befreienden Zweck zu verstehen, bei der Feststellung,<br />

daß Medien üblicherweise der Konformität dienen.<br />

Stellen wir die Bewußtseinsfrage, heißt das auch, daß wir eine Meta-<br />

Ebene der Beobachtung konstruieren, von der aus wir überprüfen können,<br />

welche Operationen wie durchgeführt werden. Diese Beobachtungsposition<br />

setzt sich aus Projektion und Reflexion zusammen, aus<br />

einem Dispositiv, das sich gegenseitig ergänzt und durch Produktion und<br />

Rezeption vervollständigt wird. Dieser Chiasmus, diese doppelte Verschränkung<br />

von Innen und Außen gewährt eine Position, von der aus die<br />

Doppelbödigkeit der Medien, hier von PVC, durchschaut werden kann<br />

und die Ambivalenz zum Tragen kommt, nicht nur die Immanenz des<br />

Etablierten.<br />

307<br />

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308<br />

Projektion und Reflexion sind die Grundmechanismen unserer<br />

Ästhetik. Wir tasten mit unserem Gedächtnis ab, in welchen Rahmen wir<br />

– was es auch sei – einfügen können. Wir analysieren, indem wir bereits<br />

Bekanntes und Strukturiertes auf das Neue projizieren. Dann überlegen<br />

wir, welche Bezüge wir herstellen können. Wir reflektieren über die Bedeutung<br />

dessen, was wir sehen, hören etc., um Struktur und Bedeutung<br />

aufeinander abzustimmen. Dieser Prozeß ist sowohl produktiv als auch<br />

rezeptiv, wir lernen etwas dazu, haben eine Erfahrung gemacht und nehmen<br />

sie auf. Unser Weltbild wird ergänzt und wir sind auf Neues vorbereitet,<br />

auf anderes.<br />

Seit der forcierten Mediatisierung durch die elektronischen Medien<br />

steigt der Produktions- und Rezeptionsdruck in einem früher nicht gekannten<br />

Maße. Und weil die Produktionsmittel und die für die Verteilung<br />

der Produkte notwendigen Distributionskanäle in der Hand weniger<br />

sind, werden wir zunächst zur Rezeption gezwungen, der ›Gehirnwäsche‹<br />

durch die Medien ausgesetzt. Wir werden zur Aufnahme des<br />

Zeitgeistes gefügig gemacht. Bis wir die Produktion selber in die Hand<br />

nehmen, den Mechanismus durchschauen und unser eigenes Weltbild,<br />

unsere Produkte vertreten wollen. Denn schließlich können wir Rezeption<br />

nicht ohne Produktion denken, sie bedingen sich gegenseitig als gespaltene<br />

Einheit: Rezeption ist auch Produktion, und Produktion baut<br />

auf Rezeption auf. Wieviel müssen wir rezipiert haben und wieviel Information<br />

verarbeiten, um die Fähigkeit zu sinnvoller Produktion zu erreichen,<br />

um zu einer eigenen Meinung zu kommen, geschweige denn so Bescheid<br />

zu wissen, daß daraus eine Produktion im konstruktiven Sinne<br />

entsteht?<br />

Je mehr heute rezipiert werden muß, desto diversifizierter wird sich<br />

die Produktion darstellen, aber auch desto konformer werden die<br />

Produkte sein. Je größer also die Masse der Rezipienten ist, desto<br />

klischierter und nichtssagender wird das Produkt der Rezeption sein. Die<br />

Basiseinheit für Rezeption und Produktion ist zunächst der innere Dia-


log/Monolog, dann der Dialog zwischen zwei und mehreren Partnern,<br />

bis der direkte Kommunikations-Zusammenhang von der Vermittlung<br />

durch die Medien übernommen wird. Die Mediatisierung folgt dann den<br />

bekannten Mustern direkter Kommunikation, bietet jedoch durch die<br />

Masse an Information ein Bombardement an Rezeptions-Forderungen,<br />

das die Rezeption in sich zusammenfallen läßt. Deshalb ist es fraglich, ob<br />

eine massenhafte Schaltung von Sender und Empfänger, von Produktion<br />

und Rezeption je den Zwängen der Klischierung entkommen kann. Die<br />

Einsicht, daß Rezeption mentale Produktion ist, sollte uns aber darin<br />

überzeugen, daß Produktion auf hohem Niveau selten, eine Ausnahme<br />

ist. Es gibt ›much ado about nothing‹, viel Redundanz und Small talk,<br />

doch selten haben wir einen Geistesblitz: er ist eine erneute Schaltstelle<br />

für ein anderes Verständnis von Rezeption und Produktion. Der Funke<br />

der Poesie leuchtet sowohl in uns auf als auch an einem entsprechenden<br />

Produkt, das uns zu uns bringt.<br />

309<br />

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Gute Orte<br />

Performance, Fotografie,<br />

imaginärer Raum<br />

Von Tim Etchells<br />

Beauftragt, über die eigene Arbeit zu schreiben, kämpft er damit, einen<br />

Rahmen, eine Stimme, einen Ausgangspunkt zu finden. Es ist die Geschichte,<br />

die er wieder und wieder erzählen muß, und während des Erzählens,<br />

des Kämpfens darum fürchtet er den Moment, da sie aufhört, noch<br />

irgendetwas zu bedeuten – wie ein Lied, das man zu oft gesungen hat.<br />

Es wird dunkel draußen. Die Nacht schon voller Sirenen und Autos.<br />

1994. In einem Zimmer, in dem mein Sohn schläft. Von irgendwoher aus<br />

dem Netz lade ich QTVR-Filme1 , Szenen und Objekte herunter, alle stark<br />

komprimiert. Die Lobby eines Hotels in Vegas. Die Berliner Mauer bei<br />

Sonnenuntergang. Ein Tunnel in einer unbestimmten Stadt. All das<br />

kommt in Sheffield durch eine Telefonleitung an, mit 14.400 bps, und es<br />

sieht nach einer Bildauflösung von 640 x 480 aus. Irgendwann, lange nach<br />

Mitternacht, ein Streifen Wüste. Blauer Himmel und brennender Sand.<br />

Mit den Übergängen oder den Proportionen stimmt etwas nicht – beim<br />

Abspielen verformt sich die Wüste, sie wackelt, verschwimmt beim Hindurchbewegen.<br />

Es gefällt mir, wie dieser Ort sich anfühlt, diese schimmernde<br />

Halbwelt aus Bildern und Pixeln.<br />

In einer letzten Szene sehe ich eine Person – ein festgefrorener Typ, der<br />

1. QTVR: QuickTime Virtual Reality. Programm zur Bearbeitung von Fotografien zu Panoramen,<br />

durch die (virtuelle) räumliche 360°-Bewegungen möglich sind. (Anm. d.<br />

Red.)<br />

Forced Entertainment & Hugo Glendinning: Frozen Palaces (Chapter One), 1996–98.<br />

Screenshot.<br />

311<br />

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312<br />

einen Kaffee durch ein Studio trägt. Unbeweglich und unlösbar. Er verfolgt<br />

mich. In diesem Zimmer für immer verharrend, während ich mich,<br />

suchend, durch den Raum bewege. Eine Geschichte, deren Fortsetzung<br />

ich nur träumen kann. Er ist ein Hinweis.<br />

Eine Treppe hinuntergehend<br />

läßt es sich gut gruseln<br />

Über digitale Arbeiten sprechen als vollkommen verbunden mit der übrigen<br />

Arbeitsweise, als einfach eine andere Art und Weise, sich den Obsessionen<br />

und Problemen anzunähern, die man bereits anderswo untersucht<br />

hat, als weiteren ›natürlichen‹ Halt auf dem Weg zwischen Theater, Fotografie,<br />

Performance und Installation. Du weißt, daß es hier vor allem um<br />

Fragen von Interaktion und konstruierter Präsenz geht, um Virtualität<br />

und Raum, um Verkörperung, Geschwindigkeit, um vermittelte Intimität<br />

und um ›Lesen‹. Aber all das sind Dinge, die dich schon vorher beschäftigt<br />

haben. Scherben hinterlassen, aus denen Geschichten entstehen können,<br />

leere Fragmente, Bilder, Farben in die Luft werfen und anderen die Entzifferung<br />

überlassen.<br />

In einem Spiegelkabinett<br />

läßt es sich gut schießen<br />

Unser Interesse an der Interaktion von Performance, Orten und Fotografie<br />

weiterverfolgend, ist der Ausgangspunkt für Frozen Palaces eine<br />

Serie von Panoramaszenen, in einem Haus inszeniert für die Kamera. Jede<br />

Szene bezieht zahlreiche ›Charaktere‹ oder Performer ein. Fotografiert<br />

und anschließend mit QTVR als Panoramen bearbeitet, durch die man navigieren<br />

kann, erkunden die untereinander verbundenen Szenen, wie der<br />

Titel nahelegt, komplexe Ereignisse in einem Moment des Einfrierens.<br />

In dem weitläufigen Haus von Frozen Palaces steht die Zeit still – und


der Stillstand wird als psychische Problematik dargestellt. Von Liebesaffären<br />

zu Mord, von geisterhaften Schwebezuständen zu Parties und<br />

trunkenen Halluzinationen – die Ereignisse des Stücks sind angehalten in<br />

einem banalen oder bedeutsamen Moment, und die Betrachterin allein hat<br />

die Freiheit, sich zu bewegen, nachzuforschen, Entdeckungen zu machen.<br />

Beschränkt auf die Augenpräsenz bewegt man sich mit der unbehaglichen<br />

Leichtigkeit eines Steadycam-Traums durch Ereignisse, in die man nicht<br />

eingreifen kann – ein Gefühl, das beides sein kann: ganz und gar unheimlich<br />

oder pures 20. Jahrhundert.<br />

Über die Dächer<br />

läßt es sich gut jagen<br />

Vielleicht begann die Arbeit, die wir gemeinsam mit Hugo Glendinning<br />

gemacht haben, in mancherlei Hinsicht mit den Aufnahmen von PR-<br />

Fotos für unsere Performances. So wie der Markt für Theater strukturiert<br />

ist, bedeutete die Herstellung des Werbematerials bis zu einem gewissen<br />

Grad immer auch die Konstruktion einer Fiktion im Vorfeld der eigentlichen<br />

Theaterarbeit. Die Andeutung einer Welt, eines Ereignisses oder<br />

einer ›Show‹, die noch gar nicht existiert. Schnappschüsse imaginierter<br />

Aktionen in Bühnenbildern, die bestenfalls provisorisch sind, kurze<br />

(Aus-)Blicke auf eine mögliche Zukunft. Vielleicht führte uns diese<br />

Tatsache letztendlich zu Projekten, in denen die Fotografie das wesentliche<br />

oder sogar das einzige Medium war. ›Performance‹ als singulärer<br />

Moment, aufgeschnappt während einer 125stel Sekunde. Nichts weiter.<br />

Wenn ich zurückschaue auf die ersten Aufnahmen für unsere Theaterstücke<br />

Let The Water … (1986) und 200% (1987) wird klar, daß selbst<br />

diese Momente, in pragmatischer Stimmung inszeniert, ein eigenes Leben<br />

haben, unabhängig sind. Tatsächlich lernten wir, daß solche Fotografien<br />

aus den ersten Probentagen sehr schnell die Qualität von Schlüsselszenen<br />

für den eigentlichen Arbeitsprozeß erlangen konnten. Die Bilder von den<br />

313<br />

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314<br />

ersten Aufnahmen mit Hugo zu sehen, bedeutet(e) oftmals eine Klärung,<br />

eine Kristallisation – eine Reihe flüchtiger Blicke auf die eigene Arbeit,<br />

klar und scharf durch die Anwesenheit des Auges eines anderen.<br />

Auf einem Spielplatz<br />

läßt es sich gut lieben<br />

Unser erster Impuls bei der Arbeit an Performances war, etwas zu bauen –<br />

eine rohe Konstruktion aus Materialien früherer Bühnenbilder, ein flüchtiges<br />

Arrangement aus wenigen Objekten oder Elementen (Vorhang,<br />

Tisch, Plane, Gerüst). Wenn wir Performances auf diese Weise entstehen<br />

ließen, diskutierten wir darüber, wie ein Raum oder ein Gegenstand<br />

Aktionen bestimmt oder nahelegt – ein Tisch verlangt, daß man sich<br />

darauf setzt, ein Durchgang winkt nach einem Reisenden, ein Vorhang<br />

will geöffnet werden. Es gab Räume, die die Performance auf bestimmte<br />

Weise sozialisierten, indem sie die Performer dazu brachten, miteinander<br />

zu interagieren, während andere Räume den sozialen Rahmen außer<br />

Kraft setzen konnten, die Performer einander entfremdeten, sie isolierten,<br />

trennten. Man mußte sich mit den unterschiedlichen architektonischen<br />

Strukturen der Theater auseinandersetzen – dem Sortiment der<br />

Spielstätten, Bühnen, Black-Boxes, Proszenien, Studiobühnen, von<br />

denen jede auf ihre Weise bestimmte Gesten ermöglichte und andere<br />

unerreichbar werden ließ. Für uns war der konstruierte Theaterraum, die<br />

reale Theaterarchitektur immer Bestandteil unserer Debatte, ebenso ein<br />

Ausgangspunkt wie Text, Soundtrack, Aktion oder Kostüme.<br />

In unseren Arbeiten, die nicht für Theaterräume, sondern für Galerien<br />

und den öffentlichen Raum konzipiert waren, gingen wir ebenfalls von<br />

dieser Frage nach dem konstruierten theatralen Raum (was läßt er dich<br />

tun?) aus und übersetzten sie in die reale Welt, arbeiteten die speziellen<br />

Eigenschaften von Bussen, Bibliotheken, alten Fabrikhallen, Treppenhäusern,<br />

Kellern heraus – bezogen auf die Art und Weise, wie diese Orte


(wie alle anderen auch) soziale Beziehungen herstellen, Beziehungen des<br />

Blicks, Beziehungen der Performance, Möglichkeiten der Fiktion.<br />

Im Juli 1994 (Dreams’ Winter) liefen Performer das Rund des Lesesaals<br />

der Zentralbibliothek von Manchester entlang, kletterten auf die<br />

Tische, riefen in die weitläufige Kuppel, warteten auf das Abklingen des<br />

Echos. Nicht gerade das, was man in einer Bibliothek tun sollte, sondern<br />

eher, was man dort gerne tun würde – eine Art Eingriff ›gegen‹ das Alltägliche<br />

dieses Raums, eine Umkehrung seiner Funktion, und, in gewisser<br />

Weise, jedenfalls aus unserer Sicht, eine Voodoo-Transformation. Was<br />

sagte der Bibliotheksdirektor nach der ersten Performance dieses Stücks?<br />

Daß das Gebäude nun nie mehr ganz dasselbe sein würde. Wir nahmen<br />

diesen Kommentar wörtlich. Zumindest in dem Sinne, in dem die Dusche<br />

nach Psycho nicht mehr diesselbe ist.<br />

In einer belebten Straße<br />

läßt es sich gut innehalten und denken, man sei verliebt<br />

In der Arbeit mit Hugo Glendinning setzten wir diesen Dialog mit den<br />

Räumen und Städten, in denen wir lebten und arbeiteten, fort – wir benutzten<br />

die reale Welt als eine Serie durchscheinender fotografischer<br />

Hintergründe, die Unterführungen in der Nähe unseres Probenraumes<br />

als zeitweiliges Filmset. Indem wir flüchtige Eingriffe in einem vor allem<br />

aus Beton bestehenden Kontext vornahmen, sahen wir Performance und<br />

Fotografie als eine Art transformatorische Magie, als Voodoo der chemischen<br />

Zusammensetzungen. Die Straßen sind nicht mehr dieselben, nachdem<br />

du in ihnen gespielt hast, dich manifestiert hast, auf dem Parkplatz<br />

am Stadtrand – Julian Maynard Smith2 beschrieb es mir einmal als ›die<br />

fiktionalen Teile unseres Selbst‹.<br />

2. Julian Maynard Smith: Architekt, gründete 1980 in London die Performance-Gruppe<br />

Station House Opera. Die Projekte der Gruppe beschäftigen sich vor allem mit der Beziehung<br />

zwischen den Menschen und ihrer Umgebung. (Anm. d. Red.)<br />

315<br />

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316<br />

In einem Auto<br />

läßt es sich gut streiten oder weinen<br />

Wir bereiten die Aufnahmen für Frozen Palaces in einer Straße in der<br />

Nähe der Brick Lane vor. Es ist Vormittag und Robin liegt, lachend, nackt<br />

in einer Badewanne, die mit roter Flüssigkeit gefüllt ist. Bereit zu sterben.<br />

Vielleicht könnten wir das Projekt sehen als die Erschaffung spekulativer<br />

Geschichte – das Überschreiben eines realen Hauses mit den Fotografien<br />

merkwürdiger Ereignisse, die niemals ›wirklich‹ stattgefunden<br />

haben. Das Haus ist in diesem Falle eine Erinnerung an das, was imaginiert<br />

werden wird, eine Art Umkehrung der Zeit. Wie A. mir schrieb, in<br />

der disjunktiven Klarheit von Stichworten:<br />

… Es sind Bilder, die dich zwingen, eine Geschichte zu erfinden, mit Hilfe der Spuren in den<br />

Bildern. Aber ›in Wirklichkeit‹ gab es nicht viel mehr als diese Spuren. Keine Geschichte dahinter.<br />

Imaginierte Geschichte, imaginierte Erinnerung …<br />

Viele unserer Arbeiten im Theater- und Performancebereich funktionierten<br />

auf diese Weise – Scherben von Erzählungen, die nichts als Scherben<br />

waren, die aber die Körpersäfte aktivierten, daraus eine Geschichte zu<br />

machen – die Betrachterin als explizite Autorin, ein beweglicher Verbindungspunkt,<br />

Verstreutes zusammenführend. Punkte. Scherben. Zeichen.<br />

In Speak Bitterness (1994) war es die Litanei der Bekenntnisse, jedes einzelne<br />

eine Mikro-Erzählung, in Club of No Regrets (1993) waren es die<br />

fragmentarischen Szenen aus nicht existierenden Polizeiserien und Fernsehfilmen,<br />

in Emmanuelle Enchanted (1992) und in der elfstündigen Performance<br />

12am: Awake & Looking Down (1993) waren es Charaktere,<br />

die umhertrieben, ohne Kontext, doch trugen sie ihre Geschichten mit<br />

sich als auf Pappschilder gekritzelte Namen – Jack Ruby, Eine Stewardess<br />

die ihre Scheidung vergißt, Verlorene Lisa, Der Geist Banquos – Namen<br />

wie Gepäck, wie allgemeines Kulturgut, und zuviel davon. Die Charaktere<br />

(70 oder mehr) tauchten auf in endlosen stummen und immer wieder


neuen Kombinationen, wie ein erzählerisches Kaleidoskop, an das die<br />

Betrachterin ihr Auge pressen und ihrer Einbildungskraft freien Lauf<br />

lassen muß.<br />

Am Meer<br />

läßt es sich gut über die Zukunft sprechen<br />

An nichts glauben. Nicht an Gott. Nicht an ein Leben nach dem Tod. Und<br />

nicht an Geister. Und nicht an Kräfte, Energien oder sonst irgendetwas.<br />

An nichts, nichts, nichts.<br />

Und dabei immerzu über Gespenster, Spuk, Schatten, Träume und<br />

Anwesenheiten sprechen. Denn wenn das Kulturelle politisch ist, was unzweifelhaft<br />

zutrifft, dann ist es auch der Ort, an dem wir verfolgt werden<br />

(von unseren Geschichten, unserer Geschichte) und die Sprache, in der<br />

wir unsere eigenen Gespenster produzieren – und das Mittel, mit dem wir<br />

unsere Gespenster am Ende austreiben müssen.<br />

Ein Zimmer mit Ausblick auf die Stadt<br />

ist ein guter Treffpunkt für Polizisten und Kriminelle<br />

Habe ich dir erzählt, daß in unserer Theaterarbeit Let the Water … (1986)<br />

die vier Protagonisten versuchen, mit der Vorstellung ihres eigenen Todes<br />

umzugehen, und daß die beste Möglichkeit, die sie finden können, bedeutet,<br />

ihren eigenen Tod als Filmtod zu spielen? Eine Reihe fast komischer<br />

Tomatenketchup-Splatterszenen, ein Spiel, das zum Ritual wird, das<br />

immer fantastischer, immer brutaler, verzweifelter, romantischer wird<br />

und schießlich außer Kontrolle gerät. Biologie (Tod) und Kultur sind<br />

vollkommen ineinander verwoben. In Quizoola! (1996), unserem Sechs-<br />

Stunden-Marathon der 2000 Fragen, die in beliebiger Reihenfolge gestellt<br />

und beantwortet werden können, gibt es eine Frage, die lautet:<br />

Wie waren Schmerz und Trauer, bevor es das Fernsehen gab?<br />

317<br />

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318<br />

Und die Antwort, die ich mir immer vorgestellt habe:<br />

Das ist unmöglich zu beantworten.<br />

Blutend, zusammengesunken vor dem Kühlschrank,<br />

läßt es sich gut sterben<br />

Interface. Für Red Room (Installation, 1993) strukturierten wir den Raum<br />

wie eine sich allmählich entwickelnde Erzählung, in der die Betrachterin<br />

die Hauptrolle spielte. Mit einer Taschenlampe auf Entdeckungsreise,<br />

visuelle und erzählerische Fragmente aufspürend, erreichte man einen<br />

Gang, den man passieren mußte, Schulter an Schulter mit den Wänden –<br />

das Stück war nicht mehr und nicht weniger als eine Begegnung mit einem<br />

konstruierten Interieur, dessen Oberflächen mit Fragmenten von Fotografien<br />

und Hinweisen aus Text bedeckt waren.<br />

Auf dem Blatt sind Flecken, und ich glaube, daß es ihre Tränen sind.<br />

Aber während in unseren Galerie-Projekten Red Room und dem darauffolgenden<br />

Ground Plans For Paradise (1994) Environments entstanden,<br />

durch die man sich bewegen konnte und in denen die Fotografie sowohl<br />

als Prozeß wie als skulpturales Objekt fungierte, erlaubt uns QTVR in<br />

Frozen Palaces und dem Schwesterprojekt Nightwalks (1998) eine Welt<br />

zu schaffen, deren Grundlage die Fotografie bildet.<br />

Tatsächlich liegt das Projekt ziemlich genau an der Grenze zwischen<br />

Installation, Kino und Fotografie. Von der Installation nimmt es den aktiven,<br />

suchenden und beweglichen Blick des Betrachters im dreidimensionalen<br />

(obgleich virtuellen) Raum, mit dem Kino steht es durch die Konvention<br />

der beweglichen und der subjektiven Kamera in Beziehung und<br />

die Fotografie erlaubt uns, die Welt als Standbild wiederzugeben, als Ort,<br />

an dem die Zeit stillsteht.


Es wird Nacht. Und wieder denkt er über die verschiedenen Medien<br />

nach – über Theater, Performance, Installation, Film und CD-ROM. Und<br />

wie sie in jedem Medium vor allem nach Anwesenheit und Nähe suchten.<br />

Als ob jede Form nur eine neue Route gewesen wäre – durch verschiedene<br />

Codes, in verschiedenen Rahmen – auf dem Weg zu dem immer gleichen,<br />

aber nie ganz erreichbaren Ziel: eine Begegnung zu inszenieren, ein<br />

Zusammentreffen (mit einem anderen, mit einer Welt, mit sich selbst) zu<br />

ermöglichen.<br />

Er schreibt, daß Präsenz etwas ist, das hergestellt werden muß – produziert<br />

werden muß am merkwürdigsten aller Orte, am Rande der Codes.<br />

Er schreibt über Nähe, die über Distanz möglich ist. Über Leere und Projektion.<br />

Über Liebe und E-Mail. Über die merkwürdige Begegnung mit<br />

den Figuren aus Frozen Palaces. Über Widersprüche.<br />

Er schreibt über das Bedürfnis, das von Anfang an (schon 1984) da<br />

war: Theater zu machen, das sich damit auseinandersetzt, daß man ›im<br />

selben Raum ist‹ wie das Publikum. Wie sie nach Transparenz der Präsenz<br />

suchten, nach einer Einfachheit, die durch die Rahmenbedingungen des<br />

Theaters hindurchschnitt, um an ihre Stelle einen Ort der Direktheit zu<br />

setzen, der, wenn schon nicht realer, so doch unzweifelhaft intimer war,<br />

nach menschlicherem Maß, wie sie zu sagen pflegten. Der Unterschied<br />

zwischen agieren und schauspielern. Der Unterschied zwischen dem Betrachten<br />

als Zuschauer und dem Betrachten als Mensch.<br />

In ihrer Rotterdamer Installation Secret Places (1997) konnte das<br />

Publikum durch den halbdunklen Raum der Galerie wandern, in dem die<br />

Performer zusammensaßen, zu zweit, zu dritt, schwach beleuchtet, mit<br />

geschlossenen Augen, ununterbrochen während dreier langer Tage,<br />

immerzu sprechend, Fragen stellend, Geschichten erzählend. Über ihre<br />

Erinnerungen und über ihre Orte draußen in der Stadt. Die Performer als<br />

eingeschlossene Objekte, mit denen man in unerträglichen Kontakt trat.<br />

Entfernung. Nähe.<br />

319<br />

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320<br />

Er notiert für einen Freund ein paar Stichworte zur Gestaltung des<br />

Buches, an dem sie gerade arbeiten.<br />

Das Buch, sagt er, muß Augenkontakt suchen.<br />

Das ist alles, was zu sagen ist.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer


Der Raum der Performance:<br />

Forced Entertainments Frozen Palaces<br />

Von Peggy Phelan<br />

Das Theaterensemble Forced Entertainment aus Sheffield hat sich einen<br />

Namen im Bereich der Performance, oder, wie man in Großbritannien<br />

sagt, der ›Live Art‹ gemacht. Die Performancekunst versucht, mit Hilfe<br />

des unvorhersehbaren Moments menschlicher Anwesenheit eine Begegnung<br />

mit dem Zuschauer zu inszenieren. Frozen Palaces, der Ausflug des<br />

Ensembles ins Virtuelle, legt jedoch nahe, daß die Grenze zwischen dem<br />

direkten und dem vermittelten Erlebnis brüchig und durchlässig ist.<br />

Natürlich wurde die Erosion dieser Grenze schon oft thematisiert: Viele<br />

Stücke von Robert Wilson zelebrieren neue Lichttechniken, die durch<br />

Innovationen im Bereich der Computersteuerung möglich gemacht<br />

wurden, und die Fernsehnachrichten haben aus dem ›Live-Erlebnis‹ ein<br />

zunehmend vorinszeniertes Ereignis gemacht. Computergenies und Animationsspezialisten<br />

dagegen beschäftigen sich auf den Gebieten der<br />

künstlichen Intelligenz und der Filmanimation gerade damit, ›spontane‹<br />

menschliche Gedanken und Bewegungen einzufangen.<br />

Auf interessantere und pointiertere Weise zeigt Frozen Palaces,<br />

worum es – in philosophischer Hinsicht – geht, wenn die Grenze zwischen<br />

dem Unmittelbaren und dem Vermittelten zum Einsturz gebracht<br />

wird. Frozen Palaces betont die Vehemenz, mit der das Unbelebte das<br />

Lebendige verfolgt. Theaterleute und Performer haben ein besonderes<br />

Verständnis für die merkwürdige Dualität, die dazu führt, daß das Lebendige<br />

sich nach dem ›toten Ort‹ sehnt und ihn zugleich fürchtet – diesen<br />

Ort, der im Zentrum dessen, was wir noch immer menschliche Anwesen-<br />

321<br />

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322<br />

heit nennen, gedeiht. Leichen, die Überbleibsel feucht-fröhlicher Parties<br />

und klischeehafte Verbrechensszenen bilden den visuellen Gehalt der<br />

Standfotos, aus denen der ›Bildinhalt‹ von Frozen Palaces besteht. Hugo<br />

Glendinning, der Fotograf, enthüllt die Tableaux Vivants eines eigenartig<br />

vertrauten Theater des Todes. Die stummen Bewegungen der Betrachterin,<br />

die sich durch den virtuellen Raum scrollt, erhalten ein Aroma des<br />

Verspäteten, Posthumen: Das Ereignis, das die dramatische Aktion<br />

umfaßt, hat vor ihrer Ankunft stattgefunden. Geschichte hat sich bereits<br />

ereignet, und der Zuschauer-Zeugin bleibt nur, die schwer faßbaren<br />

Ursachen und Bedeutungen zu entziffern. Mit dem Programm Quick-<br />

Time VR entwickelt, fordert Frozen Palaces die Betrachterin auf, die<br />

Spuren, die von den Standfotos erzeugt werden, zu einer Art Plot zu<br />

verbinden, indem sie sich durch sie hindurch und zwischen ihnen hinund<br />

herbewegt. Diese Bewegungssequenzen schaffen ein narratives Konstrukt,<br />

eine quasi-logische Struktur von Ursache und Wirkung, das die<br />

den Raum des Bildes vermessenden Bewegungen rechtfertigen könnte.<br />

Aber selbst wenn man versucht, eine solche Rechtfertigung für diese<br />

Reise zu konstruieren, werden doch die Beschränkungen und Zwänge,<br />

denen die eigene Wahl unterworfen ist, spürbar. Da die Auswahl so groß<br />

ist, könnte man glauben, man hätte tatsächlich die Wahl. Doch alle<br />

Möglichkeiten sind vorausgewählt und das gesamte räumliche Feld selbst<br />

wird durch die Mathematik und die Materialität des Monitorrahmens<br />

bestimmt. Der Akt des Vermessens und Erfassens des Raumes untergräbt<br />

jedoch die beruhigende Illusion von Wahlfreiheit, ›Interaktion‹ und<br />

Vergnügen. Wir werden uns der Beschränkungen und Zwänge bewußt,<br />

die im Spiel von Forced Entertainment am Werk sind.<br />

Seit seiner Gründung 1984 hat sich Forced Entertainment damit<br />

beschäftigt, den Kunstbetrachter zu verändern, ihn von passiver Betrachtung<br />

näher zu ethischer Zeugenschaft zu führen. Vor dem Hintergrund<br />

unserer Absorption in und durch Fernsehspektakel, die uns so häufig den<br />

Tod von Fremden miterleben lassen, stellt Tim Etchells, Autor und


Regisseur des Ensembles, die Frage nach dem Wesen ethischer Verantwortung.<br />

Er betont, daß Forced Entertainment immer wieder über das<br />

Wesen der Zeugenschaft nachdenkt, darüber, was es bedeutet, Szenen<br />

zwar zu sehen, sie aber nicht vollständig verstehen zu können. Im Vorwort<br />

der Essaysammlung Certain Fragments: Contemporary Performance<br />

and Forced Entertainment reflektiert Etchells über<br />

die merkwürdige Verantwortung der Stadt, ihrer endlosen Massen, der mit halbem Auge<br />

wahrgenommenen Leben, der Medienwelten mit ihren Bildern, die immer und überall<br />

schon da sind. Die (glückliche) Erfahrung, erst zwei reale tote Körper, aber bereits tausende<br />

Fernsehleichen gesehen zu haben – echte und fiktionale Tode, vermittelte Tode. Wir wollten<br />

davon sprechen, wie es ist, in diesem Raum zu leben – diesem Raum der Erfahrung aus zweiter,<br />

dritter und vierter Hand. 1<br />

Theater und Performance gedeihen im Zwischenraum dieser Erfahrungen<br />

aus erster und zweiter Hand. Mit dem Versuch, Dramen zu inszenieren,<br />

die in einem grundsätzlichen Sinne in wechselseitiger Beziehung<br />

mit dem Realen stehen, erhält die Performance ihre Kraft – dadurch, daß<br />

sie den kulturell als ›Kunst‹ definierten Bereich in etwas verändert, das<br />

zutiefst notwendig ist für die Interpretation und Belebung des kulturell<br />

als ›Leben‹ definierten Raums. Ohne eine solche artifizielle und artefaktische<br />

Belebung wäre der Unterschied zwischen Tod und Schlaf sehr viel<br />

schwerer zu erkennen. Die Frau, die in Frozen Palaces auf dem Sofa liegt,<br />

könnte beides sein – schlafend oder tot. Es bedarf hier der Belebung durch<br />

die Kunst, um ihrem Bild eine Handlung zu geben, eine Belebung, die die<br />

Zeugin liefert, indem sie die Geschichte der Frau aus dem Zusammenhang<br />

der anderen Standfotos, die sie umgeben, erschließt.<br />

Von der Belebung des Virtuellen zu sprechen bedeutet allerdings bereits,<br />

sich an einer paradoxen Haltung zu beteiligen. Und genau diese Paradoxie<br />

des Virtuellen könnte eine Erkenntnistheorie der Performance zu<br />

entschlüsseln beginnen.<br />

1. Tim Etchells: Certain Fragments: Contemporary Performance and Forced Entertainment,<br />

London und New York: Routledge, 1999, S. 20f.<br />

323<br />

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324<br />

Die weitverbreitete Überzeugung, daß das Virtuelle das Reale<br />

›ersetzen‹ könne, verbindet es mit den Themen, die die Kunst schon<br />

immer fasziniert haben: Realismus, Ähnlichkeit, Echtheit. Aber während<br />

realistische Romane, Filme, Performances und Theaterstücke dem<br />

Zuschauer ein Identifikationsmodell anbieten, das sagt: ›Du bist sie/er‹,<br />

sagt die virtuelle Realität: ›Du bist hier‹. Um genauer zu sein, die<br />

Projektionsfläche des Theaters ist vor allem psychologisch-emotional,<br />

die der virtuellen Realität in erster Linie räumlich-technologisch. Beide<br />

basieren auf der Überzeugung, daß der Ersatz mit der gleichen Kraft wie<br />

das Reale funktionieren kann. Dieser Glaube ist auch die Grundlage der<br />

Psychoanalyse: Freud argumentierte, daß ein psychisches Ereignis dieselbe<br />

Intensität wie ein empirisches besitzen kann, und widmete sein<br />

ganzes Leben der Erklärung materieller Auswirkungen phantasmatischer<br />

Bilder, Szenen und Wünsche. Er unterstellte, daß die gesamte Kunstproduktion<br />

ihre Ursache in dem Wunsch nach Sublimierung einer sexuellen<br />

Absicht in eine a-sexuelle habe. Weiter argumentierte er, daß sexuelle<br />

Energie bemerkenswert anpassungsfähig sei: sie könne in a-sexuelle<br />

Energie umgewandelt werden, ohne wesentlich an Intensität abzunehmen.<br />

2 Aber Freud neigte dazu, die affektiven Begleiterscheinungen, die<br />

die Sublimierung ebenfalls hervorruft, herunterzuspielen: das Leiden und<br />

die Sehnsucht, die auftreten, nachdem man sich dem sexuellen Objekt<br />

hingegeben oder es aufgegeben hat. In diesem Sinne ist die Kunstproduktion<br />

auch die Komposition einer Geschichte meist verdrängter Trauer.<br />

Unabhängig davon, ob ein Kunstwerk diese Ersatzfunktion sichtbar<br />

macht (wie Brecht es mit dem Verfremdungseffekt versuchte) oder ob sie<br />

nahtlos integriert wird (wie es die meisten Hollywood-Filme tun): die<br />

zugrundeliegende Struktur des Ersatzes ist dieselbe. Vom Signifikanten<br />

2. Vgl. Sigmund Freud: ›Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität.<br />

(1908)‹ – ders.: Fragen der Gesellschaft, Ursprünge der Religion. Studienausgabe Sigmund<br />

Freud, Bd. IX, Hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey,<br />

Frankfurt /M., 51989, insbes. S. 18.


der linguistischen Ökonomie bis zur Papierwährung der finanziellen<br />

Ökonomie bestimmt die Unvermeidlichkeit des Surrogats alle Strukturen<br />

der Austauschmöglichkeiten von Trauer und Melancholie. Die Performancekunst<br />

versucht, diese Ökonomie zu durchkreuzen, indem sie<br />

Begegnungen zwischen lebendigen Menschen innerhalb eines gemeinsamen<br />

räumlich-zeitlichen Kontextes inszeniert; die virtuelle Realität<br />

dagegen baut auf die Ökonomie des Ersatzes und erweitert sie in non-realistische<br />

und non-lineare Bereiche.<br />

Forced Entertainments Projekt Frozen Palaces doppelt die gewöhnliche<br />

Ersatzhandlung der Performance, indem es Performer als Bild<br />

präsentiert, bewegungslos, festgehalten in einem kunstvollen Bühnenbild,<br />

das die Schatten des Unbelebten, die Macht des Verschobenen und<br />

Toten aller künstlerischen Produktion einfängt. Es ist die zunehmende<br />

Instabilität der Grenzlinie zwischen Leben und Tod, die die meisten<br />

Arbeiten von Forced Entertainment belebt.<br />

Die Unmöglichkeit, die Unterscheidung zwischen Zeitebenen, zwischen<br />

einem absolut einmaligen Anfang und Ende, einer absoluten<br />

Grenze zwischen Leben und Sterben aufrechtzuerhalten, ist wichtiger<br />

Bestandteil von Live-Performances. Theater und Performance haben<br />

über Jahrhunderte den durch dieses ›Zwischen‹ geschaffenen Raum<br />

bewohnt. Forced Entertainment ist fasziniert von unserer Montage<br />

öffentlicher und privater Geschichte(n). Claire Marshall, die 1989 zu<br />

Forced Entertainment kam, faßt in der retrospektiven Performance A<br />

Decade of Forced Entertainment von 1994 die Hauptanliegen des Ensembles<br />

zusammen, indem sie die seltsame Art beschreibt, in der Geschichte<br />

in den Raum, in dem öffentliche und private Ereignisse miterlebt werden,<br />

eingeschrieben wird:<br />

Sie [Forced Entertainment] zeichneten eine Karte des Landes [England] und markierten<br />

darauf alle Ereignisse der letzten zehn Jahre – Schauplätze politischer und industrieller Konflikte,<br />

ökologische Katastrophen, Showbiz-Hochzeiten und Scheidungen von Berühmtheiten.<br />

Auf derselben Karte verzeichneten sie Ereignisse ihres eigenen Lebens – Aufführun-<br />

325<br />

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326<br />

gen, die sie gegeben hatten, Städte, in denen sie gewesen waren, Orte der Verletzungen, des<br />

Verliebens und Verlassens. […]<br />

Sie zeichneten eine Karte des Landes und markierten auf ihr die Ereignisse aus der ganzen<br />

Welt. Auf dieser Karte war die Raumfähre Challenger 1985 in Manchester explodiert.<br />

Die Union Karbid Bophal Chemiefabrik, die 1984 in die Luft gegangen war, wurde in Kent<br />

plaziert. Die Belagerung des russischen Parlamentsgebäudes 1991 hatte in Liverpool stattgefunden.<br />

3<br />

Was Forced Entertainment kartographierte, war, mit anderen Worten,<br />

der komplexe Prozeß, den ein öffentliches Ereignis durchläuft, um im Bewußtsein<br />

der Zuschauer-Zeugin anzukommen. Die Challenger, die ›den<br />

jämmerlichen Banden der Erde entwich‹, landete in Manchester, weil jemand<br />

vom Ensemble dort war, es dort erlebte und aufnahm. Die Zuschauerin<br />

dieser Fernsehexplosion vielfachen Todes war in Manchester,<br />

als sie vom Bild des Traumas eingeholt wurde und es aufnahm. Diese Vorstellung<br />

kognitiver und psychischer Aufzeichnung macht aus Geschichte<br />

eine eher aktiv komponierte Gegenwarts-Performance denn eine passiv<br />

erlebte Abfolge vergangener Ereignisse.<br />

Wenn Marshall anmerkt, daß die Gruppe auf ihrer Karte ›Ereignisse<br />

aus der ganzen Welt‹ markierte, weist sie implizit darauf hin, daß der Rest<br />

der Welt durch Glasfaserkabel zu ihnen brutzelt, als elektronische Pixel,<br />

über Kabelanbieter und Satellitenschüsseln. Aber da diese Ereignisse vorbeisausen,<br />

haben sie keinerlei Bedeutung – tatsächlich kann die Information<br />

erst ›gelesen‹ und sinntragend werden, wenn sie in einem System<br />

verzeichnet wird, das Bedeutung erzeugt. Ein solches System ist heute<br />

notwendigerweise sowohl technologisch als auch affektiv, kollektiv wie<br />

persönlich. Eine Zeugin von Frozen Palaces muß eine ähnlich performative<br />

Reise unternehmen, um die Beziehung zwischen den Bildern, die auf<br />

dem Computerbildschirm auftauchen und verschwinden, zu lesen und<br />

zu interpretieren. Dieser Prozeß des Erscheinens und Erlöschens, der<br />

3. Forced Entertainment: ›Ein Jahrzehnt verschärfter Unterhaltung – Forced Entertainment.‹<br />

– Flamboyant, Heft 4, Sommer 1996, S. 12. (Übersetzung leicht überarbeitet,<br />

A.d.Ü.)


Animation und Bewegung durch den Zeugen-Zuschauer inmitten fotografischer<br />

Szenen von Bewegungslosigkeit und Tod betont die Dualität<br />

unserer Todeserfahrung.<br />

Frozen Palaces spielt eine kleine, aber bedeutende und hilfreiche Rolle<br />

bei der Entwirrung der verzwickten Beziehung zwischen unserer individuellen,<br />

persönlichen Todeserfahrung und unserer Rolle als Zeugen der<br />

Geschichte des Todes. Die Geschichte des Todes hat am Ende dieses Jahrhunderts<br />

besonderes Gewicht. Die doppelte zeitliche und emotionale<br />

Umklammerung, mit der uns der Tod gefangenhält, macht ihn, zumindest<br />

teilweise, so schwer erträglich. Der Tod ist ein Ereignis, das wir vorhersehen,<br />

von dem wir uns aber kein Bild machen können: wir können seine<br />

besondere Gestalt in unserem eigenen Leben nicht wahrnehmen. Vielleicht<br />

assoziieren wir Tod mit dem Nichts und der Leere aus genau diesem<br />

Grund: weil wir nicht sicher sein können, wie unser eigener Tod aussehen<br />

wird. Doch sobald man dies ausgesprochen hat, muß man sich beeilen<br />

hinzuzufügen, daß das Imaginäre unserer Zeit gesättigt ist mit Bildern des<br />

Todes. All diese öffentlichen Bilder des Todes bilden eine Art kollektiven,<br />

historischen Hintergrund für unsere Träumereien über den eigenen Tod,<br />

die Erwartung und Angst gleichermaßen beinhalten. Diese Projektion<br />

und Unterdrückung des Bildes vom Tod pulsiert direkt im Zentrum<br />

menschlicher Anwesenheit.<br />

Der Tod bewegt sich, kurz gesagt, an der Grenzlinie zwischen<br />

Darstellung und Darstellbarkeit. Diese Bewegung könnte, zumindest<br />

anfänglich, als eine zwischen persönlicher Anwesenheit und kollektiver<br />

Iteration verstanden werden. Performance/Darstellung meint den Akt in<br />

einer einmaligen zeitlich-räumlichen Dimension, während Darstellbarkeit<br />

die Wiederholung des Akts signalisiert, der demjenigen, den der<br />

Zuschauer in der Gegenwart fixiert, vorangeht und zugleich nachfolgt.<br />

Dadurch wird jede einmalige Erfahrung des Todes durch die iterative<br />

Kraft kollektiver Geschichte und Zukunft des Todes interpretiert. Die<br />

Darstellbarkeit des Todes macht ihn banal (so wie man nicht mit nur ei-<br />

327<br />

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328<br />

nem Bild von Prinzessin Diana entkommen kann, kann man auch nicht<br />

mit nur einem Bild des Todes entkommen). Die einmalige Erfahrung des<br />

eigenen Todes (oder des Todes eines geliebten Menschen) dagegen läßt<br />

den Verlust von Sprache, von narrativer Systematik zumindest flüchtig<br />

anschaulich werden, wodurch der Tod als einmaliger Akt verstanden und<br />

vermittelt werden kann. Der Todesakt erhält nur in der und durch die Beobachtung<br />

eines anderen, eines Zuschauer-Zeugen, Bedeutung. Die Besonderheit<br />

des individuellen Todes unterbricht den Fluß kollektiver Darstellbarkeit<br />

des Todes. Diejenige, die diesen Tod beobachtet, fällt,<br />

jedenfalls für eine gewisse Zeit, aus der Bedeutungsmaschinerie heraus<br />

und halluziniert eine andere Realität – selbst während sie miterlebt, wie<br />

ein geliebter Mensch stirbt, nur um als im Geist der trauernden Zeugin bereits<br />

Lebender von neuem erkannt zu werden. Dieser Prozeß legt die Vermutung<br />

nahe, daß wir beginnen, den Tod neu zu definieren. Vielleicht ist<br />

er nicht länger ein einzigartiges Ereignis, das nur einmal im Leben stattfindet.<br />

Vielleicht wird der Tod zu etwas, das wir, wie all unsere Bilder, umkreisen<br />

können, durch das wir hindurchgehen und das wir endlos wiederholen<br />

können.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer


329<br />

artintact 5


Die Künste des Selbst 1<br />

Achtzehn Beobachtungen<br />

zu persönlichenMemorabilien<br />

Von Tjebbe van Tijen<br />

I<br />

Meine Hand ist schon über dem Papierkorb, als ich plötzlich zögere:<br />

Soll ich es wirklich wegwerfen? Dieses Mal behalte ich es, viel öfter werfe<br />

ich Dinge weg. Dennoch füllt sich mein Haus im Laufe der Jahre mit<br />

Gegenständen und Dokumenten, die der qualvollen Klassifizierung als<br />

Abfall entronnen sind – Dinge, die ich für später aufbewahre, als Erinnerungshilfe.<br />

Oft sind sie nicht von vornherein (wie Souvenirs, Ansichtspostkarten<br />

oder Schnappschüsse) als Memorabilien gedacht, sondern es<br />

sind Objekte, denen ich eine zusätzliche Bedeutung gebe, die ich aus der<br />

Kategorie ›Utensilien des täglichen Gebrauchs‹ in diejenige persönlicher<br />

Schätze befördere. Zu jedem dieser Dinge gibt es eine Geschichte, die in<br />

den meisten Fällen unsichtbar ist und deswegen erzählt werden muß.<br />

Sprache ist notwendig, um das ›Unsichtbare sichtbar‹ zu machen, wie<br />

Krzysztof Pomian in seiner Studie über den Ursprung des Museums<br />

schreibt. Er erfindet ein spezielles Wort für solche Dinge, deren Status<br />

sich verändert hat, die von nützlichen Dingen zu solchen werden, die<br />

etwas repräsentieren, das nicht sichtbar ist. Pomian benutzt den Begriff<br />

›Semiophor‹, der sich aus den griechischen Worten für ›Zeichen‹ und<br />

›Träger‹ zusammensetzt. 2 Diese Erinnerungsstücke, diese persönlichen<br />

1. Dieser Text ist eine gekürzte Fassung. Der vollständige Essay ist abrufbar unter:<br />

.<br />

2. Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin: Klaus Wagenbach,<br />

1988, S. 82.<br />

Agnes Hegedüs: Things Spoken, 1998. Screenshot.<br />

331<br />

artintact 5


artintact 5<br />

332 Memorabilien sind zumeist mit Personen verbunden, die uns lieb und<br />

teuer sind oder waren, Familienmitglieder, Freunde, Geliebte, oder mit<br />

Menschen, die wir bewundern. Es sind in erster Linie Dinge, die mit dem<br />

Körper verbunden sind: Nabelschnur, Vorhaut, Haare von Kindern oder<br />

Geliebten; die ersten Zähne in einer Schachtel; Nägel; blutbefleckte<br />

Kleidungsstücke; Samen- und Lippenstiftspuren auf Liebesbriefen;<br />

Kleidungsstücke – von ersten Babysachen bis zu Frauenunterwäsche;<br />

Schuhe und Taschentücher; Schals und Hüte; Brillen und künstliche<br />

Zähne. Und dann gibt es die Dinge, die wir erben, die oftmals keinen<br />

praktischen Nutzen mehr haben, aber die auch noch nicht alt genug sind,<br />

um als ›antik‹ eingestuft zu werden, die man nicht wegen ihres materiellen<br />

oder repräsentativen Wertes aufbewahrt, sondern aus emotionalen Gründen:<br />

weil sie uns helfen, uns zu erinnern.<br />

II<br />

Objekte wie das Souvenir, die bewußt als Andenken gemacht sind,<br />

scheinen einer anderen Kategorie anzugehören. Ob triviales Massenprodukt<br />

aus Urlaubsorten oder Arbeiten des einheimischen Handwerks, der<br />

Besitzer wird, wann immer er es betrachtet oder jemandem zeigt, eine<br />

persönliche Erinnerung damit verbinden; auch in diesem Fall ist es Auslöser<br />

für das Erzählen persönlicher Geschichten. Das Andenken kommt<br />

aus der Tradition der Pilgerfahrt, von der man eine Reliquie mit nach<br />

Hause brachte, als Beweis für eine lange Reise, oft etwas, das einen direkten<br />

Kontakt mit einer Heiligen oder einem heiligen Ort behauptet, etwas<br />

mit übernatürlicher Kraft. Die Leichtigkeit und der Komfort moderner<br />

Beförderungsmöglichkeiten lassen sich natürlich nicht mit den Entbehrungen<br />

einer Pilgerfahrt in früheren Zeiten vergleichen, aber das Andenken<br />

ist noch immer eine Reliquie, die Eigenschaften des ›Heiligen Landes‹<br />

transportiert. Pilgern und plündern, Tourismus und Raub – es gibt einige<br />

Parallelen zwischen der modernen Souvenirindustrie und dem Raub heiliger<br />

Gegenstände ferner und fremder Kulturen in früheren Jahrhunder


ten, als die Beute, die man nach Hause brachte, verkauft, aufbewahrt oder<br />

ausgestellt wurde in den Schatzkammern von Tempeln und Palästen, in<br />

den privaten Wunderkammern oder staatlichen Museen. Ein Akt, der sowohl<br />

von Geringschätzung als auch von Interesse für das Unbekannte<br />

und Fremde zeugt. Diese Haßliebe wurde über den Tourismus in unsere<br />

Zeit übertragen durch die als Massenware produzierten Darstellungen<br />

des Authentischen, die an die angeblichen Erwartungen der Touristen angepaßt<br />

werden. Statt Artefakte werden nun kulturelle Werte geplündert,<br />

die bereits verschwundene oder in Auflösung befindliche Ausdrucksund<br />

Lebensformen imitieren.<br />

III<br />

Manche Objekte sind nicht typisch für eine bestimmte Region oder<br />

ein bestimmtes Land, aber strahlen eine gewisse Sehnsucht oder Nostalgie<br />

nach lange vergangenen Zeiten aus, oder nach Orten, die es nie<br />

gegeben hat. Miniaturbauernhäuser, kleine Modelle unbestimmter<br />

Fischerboote, Glaskugeln, mit oder ohne Schneeflocken, die winzige<br />

Landschaften zeigen. Es gab schon immer eine Industrie, die das herstellt,<br />

was im Englischen als tat bezeichnet wird. John Windsor gibt eine Definition<br />

für das, was damit repräsentiert wird: ›Nicht wie die Vergangenheit<br />

wirklich war, sondern wie Kunden sich gerne vorstellen, daß sie gewesen<br />

sei‹, mit anderen Worten: ›unser heutiges Bild des Gestern.‹ 3 Schlechter<br />

Geschmack und Klischees, Kitsch und Tand – die Intellektuellen werden<br />

davon absehen, solche verabscheuungswürdigen Dinge zu erstehen, obwohl<br />

sich in ihrem Innern vielleicht etwas von der Offenheit eines Kindes<br />

bewahrt hat, das sich von solchen tabuisierten Dingen stark angezogen<br />

fühlt. Eine Erklärung für die Herkunft des Wortes ›Kitsch‹ ist, daß es von<br />

3. John Windsor: ›Identity Parades.‹ – Cultures of Collecting, Hg. John Elsner und Roger<br />

Cardinal, London: Reaktion Books, 1994, S. 55. [tat bezeichnet eine Handarbeit: ›Frivolitätenarbeit‹,<br />

mit einem Schiffchen hergestellte Knüpfspitze (veraltet). Anm. d. Ü.]<br />

333<br />

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334<br />

dem mundartlichen deutschen Verb ›kitschen‹ (den Straßenschlamm<br />

zusammenscharren) abgeleitet ist. Man kann es auch mit der spontanen<br />

Aktivität der meisten kleinen Kinder in Verbindung bringen, die anfangen,<br />

alles mögliche für ›ihre Sammlung‹ aufzubewahren: Steine, Stöckchen,<br />

Federn, Blätter. Was andere Menschen wegwerfen, was die Natur<br />

nicht mehr braucht, wird zum Sammelgegenstand für ein Kind, das sich<br />

damit vergnügt, Ähnlichkeiten zwischen den Dingen zu entdecken, sie zu<br />

vergleichen, in Gruppen zu ordnen, ansprechend zu arrangieren, sie anderen<br />

zu zeigen, und dabei oftmals kleine Geschichten zu erzählen oder<br />

Erläuterungen zu geben.<br />

IV<br />

Die organisierte Wiederverwertung von all den Dingen, die zum Wegwerfen<br />

bestimmt sind, die Basare, Trödel- und Flohmärkte, ziehen viele<br />

›Erwachsene‹ an. Hier ist die ›kindliche Sammelleidenschaft‹ einigermaßen<br />

akzeptabel, denn sie ist als Handel verpackt, aber neben dem<br />

Bedürfnis, ein gutes Geschäft, ein Schnäppchen zu machen, liegt die<br />

eigentliche Faszination im Erinnern. Diese Art chaotischer Darbietung<br />

von Waren regt unser Erinnerungsvermögen an, sie stellt ein kollektives<br />

Gedächtnistheater dar: ein Mischmasch veralteter Utensilien, von Kitsch<br />

und Tand, der darauf wartet, für irgendjemanden zum Symbol eines<br />

besonderen Momentes seines Lebens zu werden. Ein Aspekt, der von<br />

besonderer Bedeutung für persönliche Memorabilien zu sein scheint, ist<br />

die Anordnung der Waren auf diesen Märkten, ihre räumliche Taxonomie,<br />

die tägliche Neuordnung der unterschiedlichsten Dinge, die nach<br />

Tageslaune zusammengewürfelt werden. Ich wage zu behaupten, daß das<br />

kreative Chaos das bevorzugte Ordnungssystem für persönliche Erinnerungsstücke<br />

ist. Das Schuhschachtelarchiv, angefüllt mit einer Mischung<br />

aus persönlichen Papieren und Fotografien, ist eines der besten Beispiele<br />

für diese Praxis. So oft man ein Dokument sucht oder etwas zeigt, gerät<br />

der Schachtelinhalt in eine neue (Un-)Ordnung. Solche unordentlichen


Behältnisse sind ein Stimulus für neue Assoziationen, neue Vergleiche,<br />

für neue Wege, sich vergangener Lebensabschnitte zu erinnern – sie sind<br />

geradezu ein Modell für die Art und Weise, in der wir uns erinnern.<br />

V<br />

Der persönliche Schnappschuß, das Foto, mit dem wir versuchen, einzigartige<br />

und spontane Augenblicke unseres Lebens einzufangen, ist die<br />

massenhaft produzierte Gedächtnisstütze unserer Zeit. Obwohl der<br />

Schnappschuß im allgemeinen als etwas rein Bildhaftes angesehen wird,<br />

das der Welt des Sichtbaren angehört, ist seine soziale Funktion doch eine<br />

erzählerische. Bekommt man von Freunden oder auch von vollkommen<br />

fremden Menschen, die man zufällig getroffen hat, Fotos gezeigt, wird<br />

dies von Erläuterungen und Geschichten begleitet. Es ist erstaunlich, wie<br />

oft auf etwas verwiesen wird, das in den Bildern selbst nicht zu sehen ist,<br />

während unsere Augen dem auf Details zeigenden Finger des Erzählers<br />

folgen und man den Geschichten lauscht. Für andere ist es oft langweilig,<br />

die Fotos, die wir selbst gemacht haben, zu betrachten, denn wir sehen so<br />

viel mehr in ihnen oder durch sie; wir entsinnen uns all dessen, was außerhalb<br />

des Rahmens geblieben ist, was kurz zuvor oder danach passierte,<br />

der Gerüche, der Temperatur, der Atmosphäre, der Aura.<br />

VI<br />

Vor mehr als 100 Jahren entwickelte George Eastman die Rollfilme,<br />

die sehr lichtempfindlich waren und es ermöglichten, viele Bilder schnell<br />

und einfach aufzunehmen. ›Sie drücken auf den Auslöser, wir erledigen<br />

den Rest‹ war der Slogan, der den Status der Fotografie veränderte: von<br />

der steifen Pose, dem starren Blick in die auf einem Stativ fixierte Kamera<br />

zum zwanglosen Amateurschnappschuß. Massenproduktion und hochentwickelte<br />

Vertriebssysteme haben den Stellenwert der modernen<br />

Fotografie verändert, aus Fotos sind ›Dinge von geringem Interesse,<br />

ohne bleibenden Wert‹ geworden, die man ›konsumiert und weg-<br />

335<br />

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336<br />

wirft‹. 4 Dieses Zitat über den veränderten Gebrauch von Fotografien<br />

stammt aus einem Text von John Tagg, der erst vor zehn Jahren veröffentlicht<br />

wurde. Und heute wird durch die Weiterentwicklung digitaler Bildwelten<br />

nicht nur der Gebrauch von Fotos, sondern das Foto selbst flüchtiger<br />

und entmaterialisierter. Das Filmmaterial wird ersetzt durch die<br />

elektronische Speicherplatte, und die Bildschirme von Fernseher und PC<br />

werden das unmittelbare Zusammenfügen beliebiger eingefrorener Augenblicke<br />

ermöglichen. Dem Zappen durch die Fernsehkanäle, dem Surfen<br />

im Internet werden ähnliche Navigationsstrategien für unser elektronisches<br />

Fotoalbum folgen. Obwohl es weiterhin ein Bedürfnis nach berührbaren<br />

Objekten geben wird, nach der Fotografie als Abzug (vor<br />

allem, weil er transportabel ist), wird die fortschreitende Miniaturisierung<br />

(von Schreibtisch- auf Handtellergröße) die Anzahl dauerhafter<br />

Erinnerungsstücke weiter reduzieren.<br />

VII<br />

Bei dem Versuch, Erinnerung und das Vergehen der Zeit zu erklären,<br />

kommen mir zuerst räumliche Metaphern in den Sinn. ›Zurückschauen‹<br />

und ›Rückblick‹ sind allgemein gebräuchliche Begriffe. Der französische<br />

Philosoph Henri Bergson ist einer der Kritiker dieser Vorstellung von<br />

Zeit:<br />

Zeit sollte man sich nicht räumlich vorstellen und die Erinnerung selbst sollte man als etwas<br />

Befristetes sehen, als Anhäufung von Vergangenem auf Vergangenem, wobei keines der<br />

Elemente einfach verfügbar ist, sondern durch die hinzukommenden Elemente, die sich aus<br />

der Vergangenheit ansammeln, jeweils verändert wird. 5<br />

4. John Tagg: The Burden of Representation. Essays on Photographies and Histories.<br />

Basingstoke: Macmillan Education, 1988, S. 56.<br />

5. Henri Bergson (1910) zitiert bei John Urry: ›How societies remember the past.‹ – Theorizing<br />

Museums. Representing Identity and Diversity in a Changing World. Eds. Sharon<br />

Macdonald und Gordon Fyfe. Oxford: Blackwell, The Sociological Review, 1996, S. 48.


Marcel Prousts Romanserie Auf der Suche nach der verlorenen Zeit<br />

basiert auf Bergsons Theorien, die die kreativen Fähigkeiten des Menschen<br />

und seine Intuition als Instrumente hervorheben, mit deren Hilfe er<br />

versucht, das Universum zu verstehen.<br />

Ja, wenn auf Grund des Vergessens die Erinnerung zwischen sich selbst und der gegenwärtigen<br />

Minute kein Band hat knüpfen, sie nicht hat zusammenketten können, wenn sie an<br />

ihrem Ort und Zeitpunkt geblieben ist, wenn sie ihre Distanz gewahrt, ihre isolierte Lage in<br />

der Höhlung eines Tales oder auf der Spitze eines Gipfels beibehalten hat, bewirkt sie, daß<br />

wir plötzlich eine neue Luft einatmen, gerade deshalb, weil es eine Luft ist, die wir früher<br />

schon eingeatmet haben, jene reinere Luft, von der die Dichter vergebens behaupten, sie<br />

herrsche im Paradies, wo sie uns aber dieses tiefe Gefühl von Erneuerung auch nur dann<br />

geben könnte, wenn sie schon einmal eingeatmet wäre, denn die wahren Paradiese sind Paradiese,<br />

die man verloren hat. 6<br />

An einer früheren Stelle des Romans bedauert Proust ›das Unglück<br />

der anderen, daß sie in unserem Denken nur eine sehr brauchbare Regalplanke<br />

für Dinge abgeben, die es sammelt.‹ 7 Ebenso stellt er fest, daß sein<br />

Denken sich die Geschicke anderer für seine eigenen Zwecke zunutze<br />

macht, ›als hätten sie ihr Leben einzig zu meinem Nutzen gelebt und<br />

seien im Grunde auch für mich gestorben‹ 8 . Proust weiß, daß er im<br />

Gegenzug von anderen benutzt wird:<br />

Es war traurig für mich zu denken, daß meine Liebe, auf die ich so großes Gewicht gelegt<br />

hatte, in meinem Buche derart von einem bestimmten Wesen losgelöst auftreten werde, daß<br />

die verschiedensten Leser meine Gedanken darüber genauso gut auf das würden anwenden<br />

können, was sie selbst für andere Frauen empfunden hatten. 9<br />

6. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 10: ›Die wiedergefundene<br />

Zeit‹. Deutsch von Eva Rechel-Mertens. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, Ausgabe in<br />

zehn Bänden, 61993, S. 3940.<br />

7. Ebd., Bd. 9: ›Die Entflohene‹, S. 3501.<br />

8. Ebd., Bd. 10, S. 3985.<br />

9. Ebd.<br />

337<br />

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338<br />

VIII<br />

Indem ich diese Passagen von Proust wieder und wieder lese, werde<br />

ich auf mein eigenes Leben zurückgeworfen, auf die therapeutische<br />

Wirkung des Schreibens, auf meine Versuche, die Zeit anzuhalten, ja, die<br />

Zeit zurückzudrehen nach dem plötzlichen Tod meiner Freundin, die<br />

von einer Wespe in die Lippe gestochen wurde, an einem warmen<br />

Sommerabend vor nunmehr acht Jahren, den sie mit Freunden auf einer<br />

Dachterrasse verbrachte. Der Tod trat aufgrund eines anaphylaktischen<br />

Schocks, wie es die Ärzte nannten, fast sofort ein. In der Nacht, in der<br />

mich der Schicksalsbote aufgesucht hatte, begann ich zu schreiben:<br />

Am Scheideweg von Nacht und Dämmerung wird dies geschrieben // die tödliche Grenze<br />

ist erschreckend nahe // wird dein Begräbnis rechtzeitig stattfinden? // Du bist nicht gestorben,<br />

doch tot // wenn ich mit äußerster Intensität in den Spiegel schaue, sehe ich deine<br />

Augen noch in den meinen, kann ich noch mit dir sprechen …<br />

Ich schrieb weiter, über mehrere Monate, spät nachts zumeist, wenn<br />

ich am verzweifeltsten war. Ich saß an meinem Computer zu Hause, las<br />

und schrieb, und auch an öffentlichen Orten, auf Bahnfahrten, in Cafés<br />

im Ausland. Ich tippte auch die handgeschriebenen Texte in den Computer,<br />

formulierte um, glättete den Text, las ihn mir halblaut vor. Nach einer<br />

Weile änderte ich nichts mehr, aus Angst, daß durch zuviel Schliff meine<br />

Gefühle verlorengehen könnten. Es beruhigte mich, meine Erinnerungen<br />

im Schreiben festzuhalten, es gab mir das Gefühl, ich hätte die Zeit angehalten,<br />

nicht für sehr lange zwar, aber doch während des Prozesses von<br />

Schreiben und Lesen. Es war (und ist es immer noch) ein fast vollständig<br />

persönliches Tagebuch. Mehr als ein Jahr später druckte ich einige wenige<br />

Seiten aus und fügte sie einer Reihe von Erinnerungsschachteln bei, die<br />

Rollen mit digitalisierten Fotos von Memorabilien meiner Freundin enthalten,<br />

Fotografien, eine Tonkassette von der Beerdigung, einige Stücke<br />

aus ihrer Sammlung parfümierter Seifen, die sie besonders mochte. Einige<br />

enge Freunde bekamen eine solche große Schachtel, mit dem Hinweis,<br />

daß sie den Text nicht sofort lesen müßten, sondern daß er ein Zeugnis für


später sei. Beschauliche Objekte, die in Verbindung mit meiner Geliebten<br />

stehen, arrangiert in einer Serie von Bildrollen, das Schreiben eines Tagebuchs,<br />

das Herstellen einer begrenzten Anzahl von Kopien und ihre<br />

Verteilung, all dies war eine Möglichkeit, meinen Schmerz nach außen zu<br />

verlagern. Es beendete ihn nicht, aber es machte ihn erträglicher. Es war<br />

ein Ritual, um den Kummer zu teilen, um eine Form für die Trauer und<br />

den schmerzlichen Verlust zu finden, und auch, um Versuche, neue Kontakte<br />

zu knüpfen, zu verfolgen.<br />

IX<br />

›Üblicherweise ist es das Schicksal eines Tagebuchs, zerstört zu werden‹,<br />

schreibt Malik Allam in seiner Studie über ›Intime Tagebücher –<br />

Eine Soziologie persönlicher Schriften‹ 10 . Allam hat versucht, das zu<br />

beleuchten, was normalerweise im Dunkeln bleibt: Die Tagebücher, die<br />

intimen Aufzeichnungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind,<br />

deren Inhalt in den meisten Fällen nicht einmal der Familie oder Freunden<br />

gezeigt wird. Es ist eine Studie über ›den Tagebuchschreiber‹, der sich<br />

in sein Zimmer für ein Tête-à-tête mit sich selbst zurückzieht – mit Hilfe<br />

seines Tagebuchs. Als Soziologe ist Allam mit einem delikaten Problem<br />

konfrontiert: Es ist schon schwierig genug, jemanden nach der Existenz<br />

eines Tagebuchs zu fragen, um wieviel schwieriger erst, es lesen und<br />

darüber sprechen zu wollen. Die Lösung war, ›die Tagebuchschreiber zu<br />

befragen, ohne ihre Aufzeichnungen zu lesen‹ 11 . Die Gründe für das<br />

Schreiben sind ebenso unterschiedlich wie der Prozeß des Schreibens:<br />

Schlechte Beziehungen lösen, aussprechen, was man nicht öffentlich<br />

sagen kann, Depressionen kontrollieren, den eigenen Gedanken beistehen.<br />

In der Studie gibt es Beispiele wie das von Claude, einem 47jähri-<br />

10. Malik Allam: Journaux intimes, une sociologie de l’Ècriture personnelle. Paris: Edition<br />

L’Harmattan, 1996, S. 7.<br />

11. Ebd.<br />

339<br />

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340<br />

gen Mann, der mit 19 angefangen hat zu schreiben. Er berichtet, daß er<br />

von den Tagebüchern der Anne Frank beeinflußt worden ist, und daß er<br />

Schwierigkeiten hat, die Leere zu füllen, die er in seinem Leben spürt. In<br />

seinem Tagebuch schreibt er über seine Homosexualität, die er vor der<br />

Außenwelt verbirgt: ›Er beschreibt sich selbst als jemanden, der kein Liebesleben<br />

hat, sondern ein Leben »mit dem Papier« führt.‹ 12<br />

X<br />

Claude muß das Verstecken von Anne Frank und ihrer Familie vor<br />

den Nazis im ›Achterhuis‹ in Amsterdam mit dem Verbergen seiner eigenen<br />

Homosexualität in Verbindung gebracht haben. Er erwähnt Annes<br />

Tagebuch als Beispiel, dem er folgen möchte. Er strebt kein ›coming out‹<br />

an, hat nicht vor, sein Tagebuch anderen Leuten zu zeigen, obwohl die<br />

Tatsache, daß er an dem Forschungsprojekt von Allam teilgenommen hat,<br />

vielleicht ein Schritt in eine neue Richtung ist. Für Anne war das Schreiben<br />

ihres Tagebuchs eine sehr private und intime Angelegenheit. Auch<br />

wenn die Umstände nicht vergleichbar sind, ist der Ausgangspunkt derselbe:<br />

›Ich werde, hoffe ich, Dir alles anvertrauen können, wie ich es noch<br />

bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, Du wirst mir eine große<br />

Stütze sein.‹ 13<br />

Dies schreibt Anne Frank am 12. Juni 1942 auf die erste Seite ihres<br />

ersten Tagebuchs, als sie, wie viele Jahre später Claude, ein ›Leben mit<br />

dem Papier‹ beginnt. Es gab erbitterte Kontroversen darüber, in welchem<br />

Verhältnis der veröffentlichte Text aus dem Tagebuch der Anne Frank<br />

zum Originalmanuskript steht, und die Debatte flammte durch das Auftauchen<br />

einiger ›fehlender‹ Seiten erneut auf. In einer Besprechung verschiedener<br />

Studien, die sich mit dem lange andauernden Streit beschäf-<br />

12. Ebd., S. 105f.<br />

13. Anne Frank Tagebuch. Fassung von Otto H. Frank und Mirjam Pressler, aus dem<br />

Niederländischen von Mirjam Pressler (nach der Originalausgabe, Hg. vom Rijksinstitut<br />

voor Oorlogsdocumentatie, Amsterdam). Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992, S. 11.


tigen, bemerkt der holländische Autor Ian Buruma: ›Da es so vieles enthält,<br />

liest jeder etwas anderes aus diesem Tagebuch heraus, genau wie bei<br />

jedem anderen komplexen Werk auch‹, schließlich ›möchte eben jeder<br />

seine eigene Anne‹. 14<br />

XI<br />

Das Haus, in dem ich wohne, diente während des Krieges ebenfalls als<br />

Versteck für Juden. Es befindet sich am Rande des ehemaligen jüdischen<br />

Ghettos, das 1941 in der Innenstadt von Amsterdam eingerichtet worden<br />

war. Ich lebe hier seit 23 Jahren, und es muß jetzt etwa 20 Jahre her sein,<br />

daß ich den Dachboden aufräumte und in einer Spalte zwischen den<br />

Dachlatten und der sie stützenden Wand eine Reihe verstaubter Päckchen<br />

fand. In der Hülle, die einmal Packpapier gewesen sein mochte, befanden<br />

sich verschiedene persönliche Papiere, ein Kalender, ein Paß, zerknitterte<br />

Fotografien, Seifenstücke, ein Päckchen Rasierklingen, zwei Lippenstifte,<br />

eine Tüte Talgpuder und eine kleine Schachtel Kaffeebohnen. Diese<br />

Dingen gehörten L. C., einem Juden, der offensichtlich ein Musikgeschäft<br />

betrieben hatte und der – wie auf den Fotografien zu sehen war – auch als<br />

eine Art Clown aufgetreten war (was die Schminkutensilien erklärt).<br />

Natürlich las ich mir all diese Dokumente wieder und wieder durch und<br />

versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Ohne großen Erfolg. Die<br />

Notizen im Kalender (ein Taschenkalender von 1942, von der niederländischen<br />

Zweigstelle von Siemens in Den Haag herausgegeben) waren<br />

besonders schwer zu verstehen. Es ist ungewiß, ob sie in irgendeinem<br />

Zusammenhang zum jeweiligen Datum stehen, und ihr Inhalt ist sehr<br />

rätselhaft. Während des Schreibens an diesem Text über persönliche<br />

Memorabilien hatte ich plötzlich das Bedürfnis, noch einmal den Spuren<br />

der Menschen, die im selben Haus gelebt hatten wie ich, nachzugehen.<br />

14. Ian Buruma: ›The Afterlife of Anne Frank.‹ – The New York Review of Books, 19.<br />

Februar 1998.<br />

341<br />

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342<br />

Hinauf auf den Speicher, um die staubige Schachtel, die Zuflucht ihrer<br />

Seelen, wieder hervorzuholen. Beim erneuten Lesen des Kalenders von<br />

1942, wobei ich immer wieder Teile übersprang, fand ich hin und wieder,<br />

über mehrere Seiten verstreut, einige Sätze, aus denen Verzweiflung, Leid<br />

und Angst spricht: ›Daß das Menschen waren, die mit entsetzlicher<br />

Ernsthaftigkeit handelten‹; ›ein unheilverkündender Verdacht durchzuckte<br />

ihn‹; ›er durfte bleiben, das ist nur bedingt wahr, aber noch durfte<br />

er bleiben‹, und, einer der letzten Einträge: ›Die Natur schert sich nicht<br />

um menschliche Verbrechen oder menschliches Leid, und heute morgen<br />

schrie die Sonne strahlender denn je‹. Der letzte Satz ist auf einer Seite<br />

geschrieben, die am Sonntag, den 7. Juli 1942 beginnt, und so gibt es letztendlich<br />

vielleicht doch eine sinnvolle Chronologie. Die übrigen Seiten<br />

des Kalenders sind leer, bis auf eine Packliste auf der Rückseite. Wieder<br />

schaudere ich beim Lesen der kleinen, ordentlichen Handschrift, die die<br />

mehr als 30 Sachen, die nicht vergessen werden dürfen, auflistet. Ich muß<br />

nicht alle aufzählen:<br />

… kleine Leinentasche mit Stopfsachen, Nagelbürste, Vorhängeschloß, Sicherheitsnadeln,<br />

Zahnpasta, Rasiercreme, 2 Schlafanzüge, 2 Hemden, 2 Handtücher, Schreibzeug, 5 Paar<br />

Socken …<br />

Ich habe mir diese Memorabilien vielleicht insgesamt fünfmal angesehen.<br />

Jedesmal bin ich wieder erschüttert. Bisher habe ich nicht gewagt<br />

nachzuforschen, ob dieser Mann oder irgendeiner seiner Verwandten die<br />

Vernichtungsmaschinerie, die sie erwartete, überlebt hat. Da ich selbst ein<br />

Archivar bin, wäre das letzte, was ich tun würde, diese bescheidenen Spuren<br />

dem riesigen Friedhof des Staatlichen Kriegsarchivs oder einer ähnlichen<br />

Institution zu übergeben, deren Profession es ist, menschliches<br />

Leid zu sammeln. Solange ich in diesem Haus lebe, sollten diese zerfallenden<br />

Objekte und staubigen Papiere besser hier bleiben, so daß ich in regelmäßigen<br />

Abständen L.C., der noch immer dieses Haus mit mir teilt,<br />

die Ehre erweisen kann.


XII<br />

Auf den Dachböden von Häusern in der ganzen Welt, ganz hinten in den Schränken,<br />

ganz unten in den Schubladen liegen Zeugnisse des Lebens so vieler vergessener Frauen.<br />

Sammelalben, Bücher, die sich aus den Fragmenten des Lebens zusammensetzen, […] vielschichtige<br />

Aufzeichnungen von Lebenserfahrungen.<br />

Dies sind die ersten Sätze aus einem Manuskript über ›Sammelalben‹<br />

von Georgen Gilliam, deren besonderes Interesse persönlichen Alben<br />

von Frauen gilt, die flüchtige Andenken aus ihrem Leben enthalten:<br />

›Briefe, Fotografien, Zeitungsausschnitte, Einladungen, Haarlocken,<br />

Ballkarten.‹ 15 Solche Alben – Dokumente und Objekte, die als Beweisstücke<br />

eigener Erfahrungen und Beziehungen gesammelt wurden –<br />

enthalten meist nur wenig geschriebenen Text. Wenn sie, gelegentlich,<br />

anderen gezeigt werden, dann zumeist in einer privaten, intimen Atmosphäre.<br />

Dabei wird die Bedeutung der Objekte und Dokumente erläutert,<br />

auch dann, wenn Alben bereits mit kurzen schriftlichen Erklärungen versehen<br />

sind. Gilliam zitiert viele neuere Studien zu diesem Thema, häufig<br />

aus feministischer Sicht, die betonen, daß diese besondere weibliche Ausdrucksform<br />

von historischen und literarischen Studien ignoriert wird,<br />

daß genderspezifische Unterschiede bei Selbstdarstellungen nicht gesehen<br />

werden. Vergleicht man sie mit Autobiografien, der beliebtesten<br />

Form männlicher Selbstdarstellung, so zeigt sich, daß die Alben der<br />

Frauen ›wenig Eigenfokussierung‹ aufweisen. Gilliam verweist mehrmals<br />

auf die traditionell weibliche Kunst des Herstellens von Quilts, Decken<br />

›aus Stoffstücken, Fetzen und Teilen von Kleidungsstücken, aus denen<br />

die Familienmitglieder herausgewachsen sind‹, und zieht eine Parallele<br />

zur Art und Weise, wie die Sammelalben (und autobiografische Schriften<br />

von Frauen im allgemeinen) komponiert sind. 16 Wir können sogar noch<br />

15. Georgen Gilliam: ›Scrapbooks.‹ – .<br />

16. Gilliam bezieht sich hier auf Ilene Alexander, Mary Johnson und Marilyn Motz, siehe<br />

auch: . Eine ähnliche Argu-<br />

343<br />

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344<br />

weiter in der Geschichte zurückgehen, um ähnliche Beispiele für den<br />

Gebrauch persönlicher Notizbücher in der ›Hypomnemata‹ der griechisch-römischen<br />

Kultur zu finden:<br />

Man schrieb darin Zitate nieder, Auszüge aus Büchern, Beispiele oder Geschehnisse, die<br />

man beobachtet oder von denen man gelesen hatte, Reflexionen, die man gehört hatte oder<br />

Gedankengänge, die einem in den Sinn kamen. Sie bildeten ein Zeugnis dessen, was man<br />

gelesen, gehört oder gedacht hatte und stellten auf diese Weise eine Ansammlung von Schätzen<br />

dar, die zu weiterem Nachlesen und -denken aufforderten. 17<br />

Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz Michel Foucaults, in dem er<br />

beschreibt, daß diese Form des Schreibens und Lesens weniger eine ›Erzählung<br />

des Selbst‹ war, sondern vielmehr eine Sammlung dessen, ›was<br />

man hatte hören oder lesen können‹, mit dem Ziel, ›das Selbst zu bilden‹.<br />

Er zitiert Seneca in Bezug auf diese Funktion:<br />

Wir sollten erkennen, daß, was immer wir aufgenommen haben, nicht unverändert bleiben<br />

darf, ansonsten wird es nicht Teil von uns. Wir müssen es verdauen; sonst wird es bloß in das<br />

Gedächtnis aufgenommen, nicht aber in die Kraft unseres Denkens. 18<br />

XIII<br />

Es gibt auch intime Schriften und Bilder, die nicht bewußt öffentlich<br />

gemacht wurden, auf die man aber bisweilen zufällig stößt. Dein Herz<br />

beginnt schneller zu schlagen. Die Röte steigt dir ins Gesicht, du schaust<br />

und liest, du schämst dich etwas dafür, daß du in die private Welt eines anderen<br />

eindringst, aber du liest weiter … Es muß 1963 gewesen sein, als ich<br />

einen Sommer lang in einem besetzten Haus in Haarlem wohnte und die<br />

Bildhauerklasse an einer neuen experimentellen Kunstakademie besuchte.<br />

Es war ein Haus aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, in der Stadt-<br />

mentation findet man bei Estelle C. Jelinek: Women’s Autobiography: Essays and Criticism.<br />

Bloomington, Indiana: Indiana University Press, 1980, S. 17.<br />

17. Michel Foucault: ›Ethics, Subjectivity and Truth.‹ – The Essential Works of Michel Foucault,<br />

Vol. 1. Hg. Paul Rabinow, London: Allen Lane, 1994, S. 211.<br />

18. Ebd., S. 211f.


mitte am Fluß gelegen. Mit einem Freund teilte ich eine Art Dachboden,<br />

und es war offensichtlich, daß hier schon eine Menge anderer Leute vorbeigekommen<br />

waren. Zwischen dem Schutt, der herumlag, fand ich ein<br />

Notizbuch mit einer Reihe von Briefen, die von der abenteuerlichen<br />

Reise eines Paares durch Nordafrika erzählten. Die Briefe waren offenbar<br />

nie abgeschickt worden. Die Einzelheiten habe ich vergessen, nicht aber<br />

die Erregung, die ich verspürte, als ich etwas las, das nicht für mich<br />

bestimmt war. Solche Begebenheiten müssen es gewesen sein, die mir den<br />

Weg gezeigt haben zu einem anderen Beruf: Nicht Bildhauer, sondern<br />

Archivar moderner sozialer Bewegungen bin ich geworden, und mein<br />

besonderes Interesse lag immer darin, persönliche Archive zu erwerben,<br />

sei es noch zu Lebzeiten der Person oder, wie es oft geschieht, posthum.<br />

Oftmals ist die Zeremonie, die den Transfer vom Privaten ins Öffentliche<br />

vollzieht, überaus schizophren. Auf der einen Seite der Stifter oder Erbe,<br />

überzeugt von der Bedeutung für die Nachwelt und der Notwendigkeit,<br />

den Forschern und der allgemeinen Öffentlichkeit alles zugänglich zu<br />

machen; auf der anderen Seite lange Listen mit Einschränkungen für die<br />

archivierende Institution, um mögliche Darstellungen, die sich aus dem<br />

Material ergeben können, zu kontrollieren.<br />

XIV<br />

Es ist die persönliche Korrespondenz, die das Schreibpapier durchscheinend<br />

werden läßt. Während des Schreibens machen wir uns ein Bild<br />

des anderen, und wir können uns selbst bei der Lektüre des gerade<br />

Geschriebenen sehen. So wird ein Brief gleichzeitig zu Vergrößerungsglas,<br />

Spiegel und Fernrohr. Ich glaube, daß der persönliche Brief, die<br />

Korrespondenz zwischen zwei Menschen, eine der konstantesten Ausdrucksformen<br />

in der Geschichte ist.<br />

Auf diese Weise bedeutet Schreiben, ›sich selbst zu zeigen‹, sich selbst sichtbar werden zu<br />

lassen, sein eigenes Gesicht in der Gegenwart des anderen aufscheinen zu lassen. Und man<br />

sollte deshalb verstehen, daß ein Brief sowohl der Blick ist, den man auf den Adressaten<br />

345<br />

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346<br />

richtet (durch die Botschaft, die er erhält, fühlt er sich angeschaut), als auch ein Weg, sich seinem<br />

Blick darzubieten durch das, was man ihm über sich selbst erzählt. 19<br />

Michel Foucault faßt hier Senecas und Demetrius’ klassische Idee des<br />

Briefeschreibens zusammen, und es klingt wie eine Analyse des Briefeschreibens<br />

2000 Jahre später.<br />

XV<br />

Einprägen und einschreiben sind häufig verwendete Metaphern für<br />

die Art und Weise, wie wir uns erinnern, wie wir das, was sich in unserem<br />

Gedächtnis befindet, nach außen verlagern, wie wir Prothesen für unser<br />

Gedächtnis, ein ›künstliches Gedächtnis‹, entwickeln. Wir benutzen diese<br />

Begriffe in unserer Alltagssprache: Wir ›prägen uns etwas ein‹, etwas<br />

›hinterläßt einen Eindruck‹, etwas hat sich ›unauslöschlich eingeprägt‹.<br />

Solche Metaphern der Erinnerung sind erhalten geblieben, während sich<br />

die Techniken des Notierens, Beschreibens und Aufzeichnens im Laufe<br />

der Zeit verändert haben – vom Eindrücken eines Siegels in Wachs zum<br />

Schreiben mit einem Stift auf Papier, dem Malen eines Bildes, Fotografieren,<br />

Aufzeichnen mit einem Phonograph, auf Film, Video, mit einem<br />

Computer. Die jüngste Entwicklung ist der multimediafähige Computer,<br />

der es uns erlaubt, nahezu unendliche Kombinationen von stehenden und<br />

bewegten Bildern, Ton und Text herzustellen. Viele sehen eine Ähnlichkeit<br />

zwischen der Arbeitsweise ihres eigenen Gedächtnisses und den Kodierungs-<br />

und Dekodierungsprozessen, die die Basis der Funktionsweise<br />

des Computers darstellen. Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich<br />

Sigmund Freud mit einer ähnlichen Vorrichtung, dem ›Wunderblock‹ –<br />

einer ›magischen Schreibtafel‹ – als Metapher für die Funktionsweise des<br />

Gedächtnisses: Schreiben und überschreiben, nur Teile bleiben erhalten.<br />

20 Freud hatte während seines ganzen Lebens eine obsessive Bezie-<br />

19. Ebd., S. 216.<br />

20. Sigmund Freud: ›Notiz über den »Wunderblock« (1925 [1924]).‹ – Studienausgabe


hung zur Archäologie, und es gibt eine bemerkenswerte Parallele zwischen<br />

seinem Interesse auf diesem Gebiet und der Entwicklung seiner<br />

Theorien. Das ›Verfahren der schichtweisen Ausräumung des pathogenen<br />

psychischen Materials‹ ist vergleichbar ›mit der Technik der Ausgrabung<br />

einer verschütteten Stadt‹. 21 Ganz ähnlich, wie der Archäologe<br />

Gegenstände zum Vorschein bringt, sie datiert und zusammensetzt, um<br />

sie anschließend wieder in ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu plazieren,<br />

versucht der Psychologe, die Vergangenheit seiner Patienten zum<br />

Vorschein zu bringen. Freud war selbst ein Sammler archäologischer<br />

Objekte, seine Arbeitsräume in Wien waren damit angefüllt. Er begann<br />

1896 mit dem Sammeln, als er eine von Selbstzweifeln und Selbstanalyse<br />

geprägte Phase nach dem Tod seines Vaters durchmachte. Die antiken<br />

Gegenstände – vor allem Ringe, Skarabäen und Statuetten – trösteten ihn<br />

in der Zeit der Trauer. Als er starb, besaß er mehr als 3000 Stücke. Bereits<br />

1895 hatte Freud analysiert, warum ›die alte Jungfrau sich einen Hund<br />

hält, der Hagestolz Tabakdosen sammelt‹: erstere substituiert ihr Bedürfnis<br />

nach einem Lebensgefährten, letzterer das nach ›zahlreichen Eroberungen‹.<br />

Freuds Beobachtung, daß jeder Sammler ›ein substituierter Don<br />

Juan Tenorio‹ sei, traf auch auf ihn selbst zu, und ebenso die Schlußfolgerung,<br />

daß diese Art von Sammelgegenständen lediglich ›erotische Äquivalente‹<br />

seien. 22 Für viele stellt eine solche Analyse ein zu starkes Werturteil<br />

dar, es impliziert eine Hierachie, als gäbe es einen allgemeingültigen<br />

Sigmund Freud, Bd. III: ›Psychologie des Unbewußten‹, Hg. Alexander Mitscherlich,<br />

Angela Richards, James Strachey. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1975, S. 365–369.<br />

21. Josef Breuer, Sigmund Freud: Studien über Hysterie (1895). Frankfurt/M.: S. Fischer,<br />

1991, S. 157. (Zit. bei John Forrester: ›Collector, Naturalist, Surrealist.‹ – Ders., Dispatches<br />

from the Freud Wars. Cambridge, Mass./London: Harvard University Press, 1997,<br />

S. 110.)<br />

22. Sigmund Freud: ›Manuskript H, Beilage zu einem Brief an Wilhelm Fließ vom<br />

24. Januar 1895.‹ – Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887–1902. Sigmund Freud:<br />

Briefe an Wilhelm Fließ. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1962, S. 100. (Zit. bei John Forrester,<br />

a. a.O., S. 115.)<br />

347<br />

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348<br />

Standard dafür, welche persönlichen und emotionalen Beziehungen gut<br />

und welche schlecht seien. Heute akzeptieren wir eher verschiedenste<br />

Formen von Beziehungen, nicht nur zwischenmenschliche, sondern auch<br />

solche zwischen Menschen und den Gegenständen, die sie sich als Objekte<br />

ihrer Zuneigung wählen.<br />

XVI<br />

Fast alles kann als Memorabilie dienen. Wir können uns ausdrücken in<br />

einer Sammlung von Objekten, die uns gefallen; in Dingen, die wir als<br />

persönliche Repräsentanten auswählen: Kunstwerke, Antiquitäten,<br />

Bücher, Platten, CDs, Videos, Briefmarken, Münzen, Streichholz- und<br />

Zigarettenschachteln, Zuckertüten, Armbanduhren, Weinflaschen (voll<br />

oder leer), Möbel, Häuser, Autos. Abhängig von ›Klassenzugehörigkeit‹,<br />

Einkommen und dem zur Verfügung stehenden Raum können die<br />

Objekte ›echt‹ sein oder Repliken, Reproduktionen oder kleine Modelle,<br />

wobei letztere eine zusätzliche Funktion haben: sie geben uns das Gefühl,<br />

sie zu besitzen und zu kontrollieren – wie ein Riese, ein König der Spielzeuge,<br />

ein gottgleicher Herrscher über eine Miniaturwelt. Viele Menschen<br />

finden Trost im Sammeln, weil sie die Gegenstände betrachten<br />

können, ohne daß diese zurückschauen. Jean Baudrillard verweist auf ein<br />

ähnliches Verhältnis zu Haustieren, die ebenfalls Sammelstücke sein<br />

können. Er dehnt dieses Verhältnis auf alle sammelbaren Objekte aus und<br />

folgt dabei Freuds Beobachtungen von 1895:<br />

Das ist also der Grund, weshalb alles, was keinen Platz in den menschlichen Beziehungen<br />

gefunden hat, auf die Gegenstände übertragen wird und weshalb der Mensch sich so gerne<br />

ihrer bedient, um sich selbst zu ›sammeln‹. 23<br />

Manche sagen sogar, daß das Sammeln eine wesentliche Form<br />

unserer Kultur sei: ›Nicht Politik, nicht Religion, sondern das Sam-<br />

23. Jean Baudrillard: ›Die Sammlung.‹ – Ders.: Das System der Dinge. Frankfurt/M., New<br />

York: Campus, 1991, S. 115.


meln.‹ 24 Es ist interessant zu beobachten, wie in der Literatur über die<br />

Geschichte des modernen Museums das Sammeln als menschliches Bedürfnis,<br />

als eine elementare menschliche Begabung dargestellt wird, wie<br />

z.B. bei Reinhard Brandt: ›Wer nichts sammelt, kann nicht leben, sondern<br />

regrediert zur Materie und wird selbst gesammelt.‹ Eine Sammlung muß<br />

immer aus mehr als nur einem Element bestehen, Wissen basiert auf dem<br />

Vergleichen und dem Ordnen verschiedener Dinge: ›Zur Erkenntnis bedarf<br />

es der Sammlung‹. 25<br />

XVII<br />

Der Mensch war ein Sammler von Anfang an, eher als ein Werkzeugmacher,<br />

ein bewaffneter Jäger. ›Durch das Nahrungsammeln wurde der<br />

Mensch auch zum Sammeln von Informationen angeregt‹, schreibt Lewis<br />

Mumford, der erläutert, wie diese beiden Beschäftigungen ineinander<br />

übergingen:<br />

Daß er unausgesetzt pflückte und auswählte, identifizierte, sammelte und forschte, auf seine<br />

Jungen achtgab und sich um seinesgleichen kümmerte – all das hat mehr zur Entwicklung<br />

der menschlichen Intelligenz beigetragen, als gelegentliches Zurechtschlagen von Werkzeugen<br />

es vermocht hätte. 26<br />

Mumford hat auf dem Gebiet der Archäologie verschiedene spekulative<br />

Einwände geäußert, wobei er argumentiert, daß durch die überlieferten<br />

materiellen Beweisstücke von Steinwerkzeugen, wovon die Bezeichnung<br />

›Steinzeit‹ abgeleitet ist, dem viel weiter verbreiteten Gebrauch von<br />

organischen Hilfsmitteln in derselben Periode nicht genügend Bedeutung<br />

24. Sarat Maharaj, erwähnt bei John Windsor: ›Identity Parades‹, a. a. O., S. 50.<br />

25 Reinhard Brandt: ›Das Sammeln der Erkenntnis.‹ – Macrocosmos in Microcosmo. Die<br />

Welt in der Stube. Hg. Andreas Groth. Opladen: Leske & Budrich, Schriften zur<br />

Museumskunde, Bd. 10, 1994, S. 26.<br />

26. Lewis Mumford: Mythos der Maschine: Kultur, Technik und Macht. Frankfurt/M.:<br />

S. Fischer, 1977, S. 124f.<br />

349<br />

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350<br />

beigemessen wird. Der Anthropologe und Informatiker Andreas Goppold<br />

bevorzugt deswegen die Bezeichnung ›Faserzeit‹ – seien es Tierfasern<br />

wie Haar, Sehnen, Leder, oder seien es pflanzliche Fasern. 27<br />

Sowohl Mumford als auch Goppold erwähnen die Art und Weise, auf die<br />

der Mensch Fertigkeiten der Tiere kopiert hat, wie z. B. den Nestbau, das<br />

Weben und Spinnen. Mumford betont insbesondere den Gebrauch von<br />

Gefäßen und bemerkt, wie Funktionen des menschlichen Körpers externalisiert<br />

wurden: Hände, Mund, Bauch, Schoß und Brüste wurden in<br />

Höhlen, in ausgehöhlten Objekten aus Naturmaterialien, in Körben und<br />

Töpfen nachgebildet. Man könnte dieses Konzept sogar auf gemeinschaftliche<br />

›Behälter‹ wie Häuser, Städte, Kanäle, Schiffe, Eisenbahnen<br />

und Flugzeuge ausdehnen. Dies alles sind Behälter, um Waren für den<br />

späteren Gebrauch zu sortieren, zu lagern und zu transportieren. In ähnlicher<br />

Weise kann man ältere Menschen als Bewahrende mündlicher<br />

Überlieferungen betrachten; der Topf wird oft als Metapher für ihr Gedächtnis<br />

verwendet. In diesem Prozeß des Sammelns, Aufbewahrens und<br />

Hervorholens hat der Übergang vom Konkreten zum Symbolischen<br />

stattgefunden, hat sich die Sprache entwickelt, haben die Gegenstände<br />

ihre Bedeutungen erhalten, die über die praktische Nutzung als Nahrung<br />

oder Werkzeug hinausgehen. In früheren Zeiten mag das Auswählen und<br />

die assoziative Anordnung von Dingen eine spielerische Aktivität gewesen<br />

sein, die dabei half, abstrakte Ideen durch das Kombinieren konkreter<br />

Objekte auszudrücken und das zu erzeugen, was wir heute ›Metapher‹<br />

nennen: einen Bedeutungsträger.<br />

27. Andreas Goppold: ›Morphologies of Cultural Memory.‹ Projekt Leonardo-Leibniz,<br />

Universität Ulm, Abteilung Anthropologie. (Siehe auch .)


XVIII<br />

Der Papierkorb, der diesen Anekdotenreigen eröffnet hat, kann als<br />

eine solche Metapher benutzt werden, als Behälter für die Dinge, die wir<br />

vergessen möchten, bevor wie sie wegwerfen. Denn um wissen zu<br />

können, müssen wir Dinge wegwerfen, eine Auswahl treffen, für uns<br />

selbst entscheiden, was eine Bedeutung hat und was nicht. 28 Alles aufzubewahren<br />

ist unmöglich. Bewahren wir zuviel auf, werden wir zu<br />

Sklaven unserer eigenen Sammlung. Bewahren wir nichts auf, werden wir<br />

zu einem Niemand. Das schlimmste, was passieren kann, ist, daß eine<br />

Katastrophe oder ein Gewaltakt uns all unserer materiellen Erinnerungen<br />

beraubt; nicht nur die Vergangenheit wird dadurch unsichtbar, auch die<br />

Sicht auf die Zukunft wird versperrt. Wir können der Zukunft nur durch<br />

den Blick zurück in die Vergangenheit entgegensehen. Das heißt, daß wir<br />

uns entschließen müssen, die Vergangenheit hin und wieder zu mustern<br />

und auszuwählen, was für den Müllmann bestimmt ist, für den kollektiven<br />

Misthaufen, was verbrannt werden soll – unsere Zeitgenossen für<br />

eine Weile mit Abgasen belästigend, während es zu Elektrizität wiederverwertet<br />

wird (denn nichts geht verloren, alles wird zu etwas anderem).<br />

Und wenn der Abfall draußen an der Straße steht, fein säuberlich in<br />

grauen Plastiksäcken verpackt (denn selbst in diesem letzten Stadium versucht<br />

man, sich nicht zu entblößen), ist der Moment für diejenigen gekommen,<br />

die die Niederländer ›Morgensterne‹ nennen; die durch die<br />

Straßen ziehen auf der Suche nach noch verwertbarem Abfall, bevor er<br />

offiziell als Müll eingesammelt wird. Manche stecken ihre Beute ein, ohne<br />

Spuren zu hinterlassen, andere reißen grob die Säcke auf und verstreuen<br />

den Inhalt beim gründlichen Durchsuchen nach etwas, das sie mit nach<br />

Hause nehmen können, wo es ein neues Leben in einem anderen Kontext<br />

28. Ich schreibe ausführlicher über die Organisation des Vergessens und Erinnerns in dem<br />

Artikel: ›Ars Oblivivendi.‹ – Ars Electronica Festival 96: Memesis. The Future of Evolution.<br />

Hg. Gerfried Stocker und Christine Schöpf, Wien/New York: Springer, 1996, S.<br />

254–261. Siehe auch: .<br />

351<br />

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352<br />

beginnen oder auf dem Flohmarkt verkauft wird. An einem solchen Morgen<br />

fegt ein Wind durch meine Straße und wirbelt spielerisch einige Zettel<br />

durch die Luft, auf einigen sind Bilder, auf anderen Text. Ich schaue aus<br />

dem Fenster und sehe jemanden mit eiligen Schritten hinterherlaufen,<br />

einen Zettel aufheben, kurz anschauen und wieder fallenlassen – eine<br />

Geschichte, die nicht geschrieben werden wird; aber wer weiß, was etwas<br />

weiter weg in der Straße passiert, außerhalb meines Blickfelds …<br />

Übersetzung: Astrid Sommer


353<br />

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Vom Berühren des Unfaßbaren<br />

Zu einigen Arbeiten von Masaki Fujihata<br />

Von Hans-Peter Schwarz<br />

In der Sprache der Musiktypologie würde man Masaki Fujihatas jüngste,<br />

eigens für die vorliegende Ausgabe von artintact produzierte Arbeit Impalpability<br />

als Fingerübung bezeichnen: Ein kleines Bravourstück, ein<br />

spielerisches Divertimento über jene Fragen, die auch den großen Installationen<br />

des Japaners Inhalt und Bedeutung geben: Wie formt der virtuelle<br />

Raum Denken, Erkennen und Handeln des Menschen?<br />

Um die Problematik, daß der virtuelle Raum zumindest einem<br />

menschlichen Sinnesorgan, nämlich dem Tastsinn, scheinbar unzugänglich<br />

ist, möglichst augenfällig werden zu lassen, generiert Fujihata ein Abbild<br />

der menschlichen Haut und transponiert es auf eine virtuelle Kugel.<br />

Das Interface, also jene Schnittstelle, an der allein der Mensch in taktilen<br />

Kontakt mit dem virtuellen Bild treten kann, hat ebenfalls die Gestalt<br />

einer Kugel: der Trackball des Computers.<br />

Die – wörtlich genommene – Manipulation des Kugel-Interface kontrolliert<br />

die identischen Bewegungen der virtuellen Hautkugel, und so<br />

entsteht eine überraschende Irritation: Nach einiger Zeit hat man das<br />

Gefühl, nicht nur das Interface, sondern das Bild selbst zu berühren, die<br />

Information gewissermaßen haptisch aufzunehmen (wie es Fujihata in<br />

einem Konzeptpapier zu diesem Projekt formuliert).<br />

Die Frage, was denn an einem computergenerierten Bild so anders sei als<br />

an einem mit traditionellen Mitteln erzeugten Abbild der Wirklichkeit,<br />

hat Fujihata seit Beginn seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit<br />

dem Computer immer nachdrücklich beschäftigt.<br />

Masaki Fujihata: Impalpability, 1998. Screenshot.<br />

355<br />

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356<br />

Ursprünglich in der Tradition der bis heute in besonderem Maße auf<br />

die Fläche fixierten japanischen Kunst erzogen, setzt er sich in den frühen<br />

80er Jahren mit den damals gängigen Versuchen einer abbildorientierten<br />

Computergrafik auseinander und entwickelt recht bald ein Problembewußtsein<br />

für deren Begrenztheit.<br />

In seinen frühen Arbeiten versucht er, ein visuelles Instrumentarium<br />

zu entwickeln, das die Unterschiede zwischen der noch in ihren inszenatorischen<br />

Formen immer auf eine Vor-Wirklichkeit angewiesene Fotografie<br />

und der referenzlosen Simulation der Wirklichkeit deutlich machen<br />

könnte. Er gibt eine Anthologie der wichtigsten Computergrafiken heraus,<br />

bei deren Auswahl es ihm nicht so sehr darauf ankommt, die avanciertesten<br />

technologischen Lösungsvorschläge für eine möglichst fotorealistische<br />

Simulation der Wirklichkeit herauszufinden, sondern die<br />

Motivation kennenzulernen und darzustellen, aus der heraus die Künstler,<br />

Wissenschaftler und Programmierer ihre Bildvorstellungen als Zahlen<br />

und Algorithmen zu formulieren geneigt waren, wie er im Vorwort<br />

schreibt. 1<br />

Aus der Erfahrung heraus, daß ein Computerbild mehr mit Malerei<br />

und Skulptur zu tun hat als mit Fotografie oder Video (wie gemeinhin angenommen<br />

wird), beginnt Fujihata sich mit dem Phänomen der computergenerierten<br />

Skulptur zu beschäftigen. Er stellt 1982 eine Serie<br />

minimalistischer Kleinplastiken, die von mathematischen Permutationen<br />

abgeleitet sind, aus, die allerdings gerade nicht – oder doch für Fujihatas<br />

Anliegen zu ungenau – ihre Herkunft aus algorithmischen Kalkulationen<br />

deutlich machen.<br />

Erst die Möglichkeiten der interaktiven Bildträger geben ihm ein<br />

Instrumentarium an die Hand, mit dem er seinen Visionen Raum und<br />

Gestalt geben kann. Fujihatas erste größere Arbeit, die auf dem Konzept<br />

der Interaktion, der Mensch-Maschine-Interaktion allerdings, basiert, ist<br />

1. The Treasures of Computergraphics. Hg. Masaki Fujihata, Tokio: JustSystem, 1998.


Beyond Pages (1995), ein multimediales virtuelles Buch gewissermaßen,<br />

dessen Urversion sich in der Sammlung des ZKM-Medienmuseums<br />

befindet.<br />

Mit Beyond Pages verläßt Fujihata auch die traditionellen Genres<br />

Skulptur oder Malerei und bezieht den Raum, den realen wie den virtuellen,<br />

ganz direkt in seine ästhetischen Strategien mit ein. Der Benutzer der<br />

Installation findet eine Situation vor, die ihm zunächst sehr vertraut<br />

erscheint: Ein kleiner Raum mit Tisch und Stuhl, ein kleines, offenes<br />

Fenster an der Stirnseite, auf der auch die Projektionen einer Uhr und<br />

einer verschlossenen Tür zu sehen sind. Auf dem Tisch schließlich die<br />

Projektion eines Buches und ein realer Stift – ein vertrautes Arbeitsszenario<br />

also.<br />

Das Vertraute wird allerdings in Frage gestellt, wenn der Benutzer das<br />

projizierte Buch ›aufschlägt‹. Was zunächst in gewohnter Weise stiller<br />

Kontemplation sich öffnet, Buchstaben und Illustrationen, gerät in<br />

tönende Bewegung: Blätter rauschen, japanische Silbenzeichen werden<br />

hörbar, Bildobjekte können verändert werden, und schließlich greift der<br />

virtuelle Notationsgestus auf den realen Raum über. Das Berühren eines<br />

als Buchillustration projizierten Lichtschalters läßt die reale Schreibtischlampe<br />

aufleuchten und durch die Berührung des Bildes einer Türklinke<br />

›öffnet‹ sich die projizierte Tür, ein kleines japanisches Mädchen schaut<br />

den Besucher verschmitzt an, um dann blitzschnell wieder zu verschwinden.<br />

Die Irritation, die Fujihata dem Besucher von Beyond Pages zumutet<br />

und die erst einmal zum Schmunzeln und auch zu durchaus hörbarer<br />

Heiterkeit animiert, ist Teil einer listigen ästhetischen Strategie. Erkennt<br />

man doch sehr schnell, was hinter dem so harmlos vorgetragenen multimedialen<br />

Lesevergnügen steckt: Die Bilder und Buchstaben des virtuellen<br />

Buches sind nicht bloß semantische Versatzstücke einer literarischen<br />

Ein-Weg-Kommunikation, keine Ab-Bilder, sondern dem menschlichen<br />

Auge wohlgefällige Erscheinungsweisen eines Algorithmus, der auch zur<br />

357<br />

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358<br />

Kontrolle von Maschinen eingesetzt werden kann, wenn man ihn durch<br />

die Berührung mit einem geeigneten Interface aktiviert.<br />

Daß computergenerierte Bilder etwas anderes sind als Abbilder der<br />

Realität und die durch sie konturierten virtuellen Räume etwas anderes<br />

als die real erfahrbaren Räume, ist auch Thema in Fujihatas 1996 bei der<br />

Ars Electronica Linz mit der Goldenen Nica ausgezeichneten Expanded-<br />

Reality-Installation Global Interior Project (1995).<br />

Global Interior Project besteht aus zwei Aktionsebenen. Ein weißer<br />

Würfel von zwei Metern Kantenlänge wirkt als Terminal mit einem<br />

Fenster in den virtuellen Raum, und eine aus 18 kleinen weißen Kuben<br />

bestehende kinetische Skulptur überträgt die Veränderungen, die Manipulationen<br />

der Beteiligten im virtuellen Raum auf den realen Raum.<br />

Das Ziel der Kommunikation in Global Interior Project ist es, die<br />

Differenzen zwischen Realitätserfahrung und virtuellem Erleben deutlich<br />

zu machen, nicht wie bei Beyond Pages in einer Mensch–Maschine-<br />

Kommunikation, sondern hier in einem zwischenmenschlichen Kommunikationsprozeß,<br />

dem die Computerinstallation als Mediator dient.<br />

Während seines Aufenthaltes als Gastkünstler am ZKM-Institut für Bildmedien<br />

erweitert Fujihata die im Global Interior Project angelegten<br />

Erfahrungsmöglichkeiten mit der virtuellen Realität und fokussiert sie<br />

zugleich: Nuzzle Afar (1998), so der Titel dieser neuen Installation,<br />

versucht, der mit Hilfe von Avataren2 konstruierten Kommunikation im<br />

virtuellen Raum ihre Beliebigkeit zu nehmen und sie auf ein Ziel hin auszurichten.<br />

Zwei an unterschiedlichen Orten plazierte virtuelle Raumstationen<br />

bilden die Bewegungsspuren der Avatare der beteiligten Personen<br />

im virtuellen Raum ab. Man kann nun auf diese Weise den Avatar<br />

2. Avatar: Zeichen/Objekt, das den Benutzer im virtuellen Raum repräsentiert.<br />

Abgeleitet von ›Avatara‹, (Sanskrit für ›Herkunft‹) – Verkörperungen göttlicher<br />

Wesen beim Herabsteigen auf die Erde. (Anm. d. Red.)


seines Kommunikationspartners aufspüren. Wenn sich zwei Avatare<br />

begegnen, ensteht eine neue virtuelle Welt. Diese Welt aber ist abgeschlossen,<br />

und die beiden menschlichen Pendants der Avatare müssen<br />

nun gemeinsam den Schlüssel finden, der sie wieder öffnet.<br />

Mit Nuzzle Afar hat Masaki Fujihatas nun bald zwanzigjährige Suche<br />

nach einem geeigneten ästhetischen Instrumentarium, das es erlaubt, die<br />

Fremdartigkeit der computergenerierten Bildwelten im Wortsinne zu<br />

erfahren, zu einem gewissen Höhepunkt geführt. Was in unseren Augen<br />

als mehr oder weniger vertrautes Abbild erscheint, als eine Simulation<br />

von Teilen unserer Erfahrungswirklichkeit, wird in den virtuellen Kunsträumen<br />

Fujihatas zur Navigationshilfe im noch weitgehend unerforschten<br />

virtuellen Raum, zur Navigationshilfe, die das erleichtert, was Fujihatas<br />

eigentliches Anliegen ist: die Kommunikation von Mensch zu<br />

Mensch.<br />

359<br />

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360<br />

Sehen, Berühren, Imaginieren<br />

Von Masaki Fujihata<br />

Unsere Augen sind gierig. Sie verschlingen alles. Solange die Pupillen offen<br />

sind, suchen sie geifernd nach interessanten, nie gesehenen Dingen.<br />

Warum sind unsere Augen so gierig geworden? Weil sie bereits alles gesehen<br />

haben. Weil wir alles, was wir gesehen haben, bereits aufgenommen<br />

und uns einverleibt haben. Anfangs bedeutete Sehen nicht unmittelbar<br />

Besitzen – erst ein mimetischer Akt ermöglichte es. So wurde das Mammut<br />

von unseren Vorfahren erst besessen, als sie das Bild ihrer Beute auf<br />

die Höhlenwand malten. Wir nehmen auf, was wir gesehen haben, indem<br />

wir es in einem mimetischen Akt zeichnen, indem wir es in Bildern oder<br />

Worten ausdrücken. Dies ist ein Prozeß, durch den etwas Formloses eine<br />

Form erhält.<br />

Im Laufe einer langen Zeit haben wir viele Dinge in uns aufgenommen<br />

– wir haben die Abdrücke der Eindrücke, die diese Dinge in uns hinterlassen<br />

haben, angehäuft. Wir können verstehen, was wir sehen, indem wir<br />

das wahrgenommene Objekt mit dem Abdruck, den wir gespeichert<br />

haben, vergleichen. Diese Abdrücke werden nicht nur im persönlichen<br />

Gedächtnis aufbewahrt, sondern auch in den größeren, kollektiven<br />

Gedächtnissen, die durch unser Erbgut geformt werden, durch unsere<br />

Gesellschaften und Kulturen.<br />

Dieser Prozeß des Einprägens von Objekten in das Gedächtnis hat<br />

sich beschleunigt seit dem Beginn der Moderne, als die Technik des<br />

Zeichnens durch die der Fotografie ersetzt wurde. Aus irgendeinem<br />

Grund vermittelt uns der simple Akt des Fotografierens heutzutage ein


eruhigendes Gefühl. Auf Reisen posiert zum Beispiel jeder in gleicher<br />

Weise am selben Ort für das Erinnerungsfoto. Dieser Akt dokumentiert<br />

nicht nur die Tatsache, daß man an einem bestimmten Ort zu einer<br />

bestimmten Zeit wirklich gewesen ist; Fotografieren kann auch den Akt<br />

der Dokumentation eines Ereignisses, der zuvor durch die Technik des<br />

Zeichnens erfolgte, ersetzen und kann uns außerdem die Genugtuung<br />

verschaffen, Zeit und Raum zu formen.<br />

Das Aufnehmen und das Betrachten von Schnappschüssen wird zu einer<br />

Übung, die uns in die Lage versetzt, unmittelbar an jeden beliebigen<br />

Ort zu gelangen. Selbst wenn wir nicht physisch dort sind, wird es möglich,<br />

diesen Ort in uns aufzunehmen. Wenn dies geschieht, ist das Reisen<br />

nurmehr ein Prozeß der Bestätigung, und schon kann jeder jeden Ort besuchen,<br />

vom Südpol über die Korallenriffe bis zum Mond. Folglich gibt es<br />

keinen Ort mehr auf der Welt, den wir noch nicht gesehen haben und an<br />

dem wir noch nicht gewesen sind.<br />

Wir alle beginnen, das Wesen der Fotografie zu verstehen. Jeden Tag<br />

macht irgendjemand irgendwo ein Foto. Wenn wir den Auslöser der<br />

Kamera betätigen, ist derselbe physische Ausdruck am Werk wie beim<br />

Zeichnen des Mammuts auf die Höhlenwand. Die ursprüngliche Aufgabe<br />

von Malerei und Zeichnung (die mit der Fotografie von ihrem Ehrenplatz<br />

verdrängt wurden) war es, Objekte in unser Gedächtnis einzuprägen. So<br />

diente z. B. die Porträtmalerei dazu, ein Gesicht festzuhalten – eine Aufgabe,<br />

die von der Fotografie übernommen worden ist. Ist Aufzeichnung<br />

die Technik der Reproduktion eines Objekts auf einer Oberfläche in derselben<br />

Art und Weise, wie das Auge das Objekt wahrnimmt, dann hat die<br />

Malerei einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht, indem sie diesen Teil<br />

ihrer Technik der Fotografie übertragen hat. Der Gegenstand der Malerei<br />

hat sich verändert: von Dingen, die das Auge sehen kann zu solchen, die<br />

vom bloßen Auge nicht wahrgenommen werden können; von konkreten<br />

Objekten zu abstrakten Themen. Angefangen bei verzerrten Tischen und<br />

in Schichten überlagerten und sich auflösenden Gesichtern hat die Male-<br />

361<br />

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362<br />

rei sich in einen Prozeß der Abstrahierung begeben, an dessen Ende<br />

Farben und Formen die einzigen Bildelemente sind.<br />

Man kann heute sagen, daß die Malerei eine Form des philosophischen<br />

Ausdrucks geworden ist. Sie bildet nicht mehr unmittelbar ein Objekt ab,<br />

sondern ist zu einem Medium geworden, mit dessen Hilfe sich durch die<br />

Verwendung von Linien und Farben die Beziehungen zwischen Objekten<br />

und Licht (oder zwischen Personen) ausdrücken lassen. Eine Beziehung,<br />

die bisher keine Form haben konnte, beginnt nun als etwas Geformtes zu<br />

erscheinen. Wir erfahren zweifellos ein Glücksgefühl durch die Fähigkeit,<br />

einer formlosen Abstraktion in uns eine Form geben zu können. Man<br />

kann also sagen, daß sich die Malerei durch die Erfindung einer unmittelbaren<br />

Technologie wie der Fotografie einen Schritt weiterentwickelt hat.<br />

Ob man will oder nicht, neue Technologien verändern die Art und Weise,<br />

wie wir Dinge sehen und wie wir leben. Zur Zeit ist es die Computertechnologie,<br />

die unser Bewußtsein verändert. Genau wie die Fotografie<br />

unsere Sehweise verändert hat, verändern auch diese neuen Technologien<br />

unsere visuelle Wahrnehmung. Diese Veränderungen lassen sich bislang<br />

an der Oberfläche nur schwer erkennen, da die Computertechnologie,<br />

obwohl sie sich teilweise fundamental von anderen Technologien unterscheidet,<br />

bislang lediglich als Quelle für Special Effects genutzt wird und<br />

der letztendliche Output weiterhin auf konventionellen Medien wie Film<br />

und Fernsehen erfolgt.<br />

Die Computertechnologie unterscheidet sich von anderen bilderzeugenden<br />

Technologien dadurch, daß sie nicht mehr das Abbild eines<br />

tatsächlichen Objekts aufzeichnet. Alle physischen Eigenschaften und<br />

Phänomene werden als numerische Werte erfaßt und als Bild (wiederum<br />

numerische Werte) ausgegeben. Was der Computer erfaßt, ist ein numerischer<br />

Wert, ein schwereloses und abstraktes Konzept, das in keinerlei<br />

Beziehung zur sichtbaren Maschinerie des Computers steht. Diese numerischen<br />

Werte, die nur als Konzept existieren, erhalten in der Maschine


eine wirkliche Existenz. Zahlen werden aktiviert und bewohnen den<br />

Computer.<br />

Computergrafische Software funktioniert nach dem Prinzip, daß Änderungen<br />

der Koordinaten nach den Gesetzmäßigkeiten der Perspektive<br />

und Änderungen von Licht und Texturen nach physikalischen Gesetzen<br />

berechnet werden. Weil die Software verschiedene physikalische Gesetzmäßigkeiten<br />

berücksichtigt, um die Realität nachzuahmen, ist es möglich,<br />

ein fotorealistisches Bild herzustellen. Es handelt sich hier also um eine<br />

Technologie, die einem Objekt ohne materielle Präsenz erlaubt, sich fotorealistisch<br />

zu manifestieren. Der Computer ist eine Maschine, die unsere<br />

nächtlichen Träume real werden läßt; er ist ein Werkzeug, das es uns ermöglicht,<br />

formlose, abstrakte Konzepte in Bilder zu verwandeln.<br />

Diese Bilder bereiten unseren gierigen Augen ein außerordentliches<br />

Vergnügen. Mit Hilfe der Computergrafik können Phänomene wie die<br />

Bewegungen von nie gesehenen DNA-Molekülen oder Ergebnisse von Simulationsexperimenten<br />

in einem Teilchenbeschleuniger sichtbar gemacht<br />

werden. Wir haben eine neue Dimension visueller Wahrnehmung erreicht,<br />

die nicht mehr auf (mitunter durch Ferngläser und Mikroskope<br />

verbesserter) Beobachtung basiert, sondern auf einer Methode der Simulation.<br />

Man könnte sagen, daß die Computergrafik ein ›Konzeptteleskop‹<br />

ist. So können wir heute Dinge sehen, die bislang unsichtbar geblieben<br />

sind.<br />

Noch einen Schritt weiter auf unserem von Wahrnehmung, Erkenntnis<br />

und Wissen geprägten Weg ins 21. Jahrhundert führt uns das Thema<br />

›Interaktivität‹. Es wird heute mehr und mehr möglich, ein aus einer<br />

Datenstruktur bestehendes Bild nicht nur wahrzunehmen und zu verstehen,<br />

sondern mit der eigenen Hand auch direkt in dieses Bild einzugreifen.<br />

Wir alle wissen, wie es ist, sich beim Betrachten eines Flusses in<br />

den eigenen Gedanken zu verlieren. Man kann einen Fluß betrachten,<br />

aber man kann gleichzeitig auch direkt mit ihm interagieren, indem man<br />

363<br />

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364<br />

einen Stein hineinwirft oder die Hand hineinhält. Durch Beobachtung<br />

können wir ein Objekt besser verstehen, durch Interaktion können wir es<br />

verändern. Wir gehen aber im Falle des Flusses nicht so weit zu sagen:<br />

›Der Fluß ist interaktiv‹, auch wenn die Erfahrung der Interaktion uns der<br />

Wirklichkeit versichert. Durch den tatsächlichen Kontakt mit dem Objekt,<br />

durch seine direkte Reaktion auf unsere Aktion gelingt es uns, die<br />

Wirklichkeit in dieser Welt deutlich zu spüren. Dies ist der Moment, an<br />

dem wir über die Realität, die durch das ›Konzeptteleskop‹ geformt ist,<br />

hinausgehen können.<br />

Auch wenn uns die Interaktivität ein Gefühl für die Wirklichkeit in<br />

anderer Weise vermittelt als es die visuelle Wahrnehmung vermag, scheinen<br />

wir bislang nicht besonders gründlich darüber nachgedacht zu haben,<br />

da sie ein gewöhnliches Element ist, das wir als selbstverständlich hinnehmen.<br />

Durch die Entwicklung des Computers haben wir nun die Möglichkeit,<br />

die Schnittstelle zwischen dem Apparat unserer sensorischen Wahrnehmung<br />

und der realen Welt zu analysieren.<br />

In dem Augenblick, in dem man die Hand in den Fluß taucht, wird sie<br />

zu einer wichtigen Schnittstelle, die zur Welt hin geöffnet ist. Die Hand ist<br />

Teil unseres Körpers, bewegt sich nach unserem Willen und ist somit eine<br />

Schnittstelle, die wir vollständig kontrollieren können (zumindest<br />

glauben wir das). Gleichzeitig ergibt sich bei dieser Interaktion ein einheitliches<br />

Zusammenspiel von Auge und Hand. Im Computerbereich<br />

wird versucht, mit der künstlichen Schnittstelle eine völlige Einheit von<br />

taktiler und visueller Wahrnehmung zu erreichen. Sobald wir mit einer<br />

simulierten Wirklichkeit interagieren können, ohne zu bemerken, daß es<br />

sich um eine Simulation handelt, ist das Virtuelle real geworden.<br />

Hier liegen zwei Möglichkeiten für zukünftige Entwicklungen. Die<br />

eine wäre, eine umfassende Schnittstelle zu entwerfen, die visuelles und<br />

taktiles Wahrnehmen verbindet – ein geeignetes Thema für die technologische<br />

Forschung. Die Unterschiede zwischen visueller und taktiler<br />

Wahrnehmung zu nutzen und auf diese Weise eine unmögliche Wirklich-


keit entstehen zu lassen, wäre die andere Möglichkeit. Und hier liegt auch<br />

der Schlüssel für das Verstehen unserer Beziehung zur Welt. Dennoch<br />

glaube ich nicht, daß es so einfach ist, visuelles und taktiles Wahrnehmen<br />

in von Computern geschaffenen Welten miteinander zu verbinden.<br />

Unsere Vorstellungskraft ist das einzige, was wir bisher entwickelt haben,<br />

um diese Verbindung herzustellen. Und hier liegt auch der Kern des Problems.<br />

Was kann beispielsweise jemanden veranlassen, Michelangelos Marmorstatue<br />

Pietà mit einem Hammer zu zertrümmern? Vielleicht könnte ein<br />

Aspekt eines solchen Bedürfnisses ein Defizit der Vorstellungskraft sein,<br />

durch die visuelles und taktiles Wahrnehmen verbunden werden. Es ist<br />

natürlich, daß man das, was man sieht, berühren möchte. Ist das nicht<br />

möglich, kann es zu einer unerklärlichen Verwirrung kommen. Die Idee,<br />

man könne die Quelle dieser Irritation verstehen, indem man die Grenze<br />

überschreitet und zum Hammer greift, ist sicherlich falsch; sie zeigt aber,<br />

daß die moderne Gesellschaft unempfänglich geworden ist für die spirituellen<br />

und übernatürlichen Kräfte, die den Akt der Zerstörung hätten<br />

verhindern können.<br />

Ein Kunstwerk, dessen Präsenz so außerordentlich ist, daß es in uns<br />

das Verlangen weckt, es zu berühren und das gleichzeitig den Akt der<br />

Berührung verbietet, ist selten. Es muß sich dabei um ein künstliches<br />

Objekt handeln, das eine natürliche Macht besitzt, der man sich nur<br />

schwer nähern kann. Sie zu ignorieren und zu versuchen, mit dem Objekt<br />

direkt und gewaltsam zu interagieren, wäre falsch. Es weist auf eine ernsthafte<br />

Störung der Sinne hin.<br />

Es handelt sich um eine ambivalente Problematik: Gäbe es den Zustand<br />

höchsten Glücks, in dem unsere Sinne eine vollkommene Einheit<br />

bilden, hätten wir es mit einer ganz und gar befriedigten, vollkommenen<br />

Welt zu tun, in der es keinerlei Bedürfnis nach Imagination gäbe. Es wäre<br />

eine Welt des Todes. Es geht aber nicht darum, das höchste Glück zu<br />

365<br />

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artintact 5<br />

366<br />

erreichen, sondern darum, fortwährend nach dieser Erfüllung zu streben.<br />

Wir haben übrigens nicht das Bedürfnis, ein Objekt zu berühren, das wir<br />

noch nie gesehen haben. Sehen wir etwas zum ersten Mal, werden die<br />

Indizes von Objekten, die wir bereits gesehen haben, aus unserem<br />

Gedächtnis abgerufen und befragt. Wir stellen uns vor, was wir fühlten,<br />

wenn wir es berührten. Es ist ein Gefühl, das noch nicht in Worte übersetzt<br />

werden kann; Erinnerungen werden von der zellulären Ebene, tief<br />

im Innern unseres Körpers, aufgerufen und untersucht. Handelt es sich<br />

um ein Objekt, das man lediglich betrachten kann, wie ein Plakat oder ein<br />

Video, brauchen wir uns keine Sorgen darüber zu machen, daß es in unseren<br />

Wirklichkeitsbereich eindringen könnte. Es besteht keine Notwendigkeit,<br />

sich eingehender damit zu befassen. Die Dinge werden erst kompliziert,<br />

wenn das Objekt nach Interaktion verlangt und uns dazu zwingt,<br />

es direkt zu berühren.<br />

Erfolgt nach einiger Überlegung die Berührung, verschwindet es<br />

plötzlich als Objekt visueller Wahrnehmung, der Abstand zu dem Objekt<br />

reduziert sich auf Null. Es kommt zu einem Zustand, in dem das Objekt<br />

und ein Teil unseres Körpers miteinander verschmelzen. Ein solcher Akt<br />

bedarf einer Nähe, die es erlaubt, das Objekt aufzunehmen, zu einer<br />

Einheit mit ihm zu werden. In letzter Konsequenz führt das zum ›Verlust<br />

des Sehens‹. Man wäre blind. Das ist ist die eigentliche Bedeutung des<br />

Berührens.<br />

Der Akt des Berührens beinhaltet das Schaffen eines Drucks, der auf<br />

den Körper gerichtet ist, mit der Hautoberfläche als Kontaktpunkt. Auf<br />

diese Weise wird das Objekt wahrgenommen: nicht auf der Hautoberfläche,<br />

sondern als Veränderung des Drucks in unserem Körper. ›Ein<br />

Objekt mit der Hand ergreifen‹ heißt, ein korrespondierendes Spiegelbild<br />

des Objekts zu entwerfen; das ist taktile Wahrnehmung. Wenn wir durch<br />

Berührung zu Wissen gelangen, ist das, als untersuchten wir das Innere<br />

unseres Körpers. Was wir für etwas Äußerliches, für ein taktil wahr-


genommenes Objekt halten, ist in Wahrheit etwas, das nur durch Veränderung<br />

des Drucks in uns selbst erreichbar ist.<br />

Wahrnehmen durch Berühren ist, so könnte man sagen, als ob ein<br />

Augapfel eindränge, um das Innere des Fleisches zu untersuchen. Es wären<br />

die Beobachtungen eines blinden Augapfels. Und dadurch kehrt sich<br />

das Gefühl, ein Objekt zu berühren, in das Gefühl um, von einem Objekt<br />

berührt zu werden. Das Eindringen eines Objekts in unseren Körper<br />

stellt letztendlich die äußerste Form der Berührung dar, das Prinzip der<br />

Lust durch Berührung. Das Vergnügen der Interaktion verlangt daher danach,<br />

daß wir in eindeutiger Weise die Verantwortung für das eigene Ich<br />

übernehmen. Es erfordert Mut, mit einem Objekt zu interagieren. Sehen<br />

evoziert die taktile Vorstellungskraft, und Berühren führt seinerseits zu<br />

einem tieferen Verständnis des Sehens. Diese ästhetische Verbindung<br />

wird durch die menschliche Vorstellungskraft erzielt.<br />

Wird an dieser Stelle eine künstliche Schnittstelle ins Spiel gebracht,<br />

können sich verschiedene bizarre Phänomene ergeben. Die Handhabbarkeit<br />

und die Gestaltung der Schnittstelle können ebenso wie die Reaktionszeit<br />

die Qualität der taktilen Wahrnehmung beeinflussen. Einige<br />

Schnittstellen behindern bestimmte Sinne, andere verstärken sie. Dadurch<br />

entsteht bezüglich unserer Imagination ein schwieriges Problem in<br />

der Beziehung zwischen dem Gefühl der durch die Schnittstelle vermittelten<br />

Berührung und dem möglichen Grad der Beeinflussung der<br />

visuellen Information. Es erfordert die äußersten Möglichkeiten unserer<br />

Vorstellungskraft, eine Art Brücke zu bilden, um die Verwirrung oder die<br />

Kluft zwischen Sehen und Berühren zu überwinden. Der Mensch besitzt<br />

eine mysteriöse Kraft, mit der er diese Forderung erfüllen kann. So lange<br />

wir leben, haben wir die Freiheit und die Kraft, uns alles und jedes vorzustellen.<br />

Unsere Hände sind so gierig wie unsere Augen. Doch in der von Computern<br />

geschaffenen Welt gibt es nicht einmal mehr den Marmor, der – wie<br />

367<br />

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368<br />

im Falle der Skulptur von Michelangelo – als Ziel der Zerstörung dienen<br />

könnte. Dieser Mangel an Materie führt zur Unfaßbarkeit. Und umgekehrt<br />

macht Unfaßbarkeit diese Welt sonderbar und gleichzeitig leer.<br />

Übersetzung: Astrid Sommer


369<br />

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Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Künstler / Artists<br />

Forced Entertainment & Hugo Glendinning<br />

Forced Entertainment ist ein Ensemble von<br />

Künstlern um den Autor und Regisseur<br />

Tim Etchells mit Sitz in Sheffield, Großbritannien.<br />

Die gemeinsame Arbeit seit 1984<br />

umfaßt eine große Bandbreite verschiedenster<br />

Medien und Kontexte – von Performance<br />

über Installation bis zu Projekten<br />

mit digitalen Medien. Tourneen führten die<br />

Truppe duch Europa und die USA/Kanada.<br />

Die jüngsten Projekte wurden an so verschiedenen<br />

Orten präsentiert wie dem<br />

Skulpturenprojekt Münster, dem Walker<br />

Arts Centre, Minneapolis, dem ICA,<br />

London oder der Cubbitt Street Gallery,<br />

London.<br />

Hugo Glendinning ist Fotograf und hat mit<br />

vielen wichtigen zeitgenössischen Künstlern<br />

und Tanz- und Theaterensembles<br />

zusammengearbeitet und deren Arbeit<br />

dokumentiert. Seine redaktionellen Fotoarbeiten<br />

erscheinen in verschiedenen<br />

britischen Magazinen und Zeitungen, seine<br />

Projekte im Kunstbereich beinhalten<br />

Auftragsarbeiten aus Europa und den USA.<br />

Forced Entertainment is a permanent<br />

ensemble of artists based in Sheffield, UK,<br />

and led by Tim Etchells. Their work<br />

together since 1984 spans a wide variety of<br />

media and contexts from performance<br />

through installation and digital media and<br />

has been seen widely in the UK, throughout<br />

Europe and in the USA/Canada.<br />

Recent projects have been presented in<br />

places as diverse as the Münster Sculpture<br />

Festival, the Walker Arts Centre (Minneapolis),<br />

the ICA (London) and Cubbitt<br />

Street Gallery (London).<br />

Hugo Glendinning is an arts photographer<br />

who has documented and collaborated with<br />

a wide range of leading performance and<br />

fine art practitioners. His editorial photography<br />

appears in many British magazines<br />

and newspapers, while his work in arts<br />

publicity includes commissions from<br />

North America and throughout Europe.<br />

371<br />

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372<br />

Forced Entertainment<br />

Tim Etchells (künstlerischer Leiter / Artistic<br />

Director), Robin Arthur, Richard Lowdon,<br />

Claire Marshall, Cathy Naden, Terry<br />

O’Connor (Performers), Verity Leigh (Verwaltung<br />

/ Administration), Helen Burgun<br />

(Marketing), Eileen Evans (Education),<br />

Andy Clarke (Production)<br />

Forced Entertainment<br />

& Hugo Glendinning<br />

Gemeinsame Projekte /<br />

Collaborative projects<br />

Cardboard Sign Photographs, photographs,<br />

1992<br />

Red Room, performance/installation, 1993<br />

Hotel Photographs, photographs, 1994<br />

Ground Plans for Paradise, installation,<br />

1994<br />

Looking Forwards, photographs, in: Performance<br />

Research Vol. 1: The Temper of<br />

Times, 1996<br />

Frozen Palaces, interactive work for CD-<br />

ROM, 1996–98<br />

DIY, semi-fictional documentary, 10 min,<br />

directed by Tim Etchells & Hugo<br />

Glendinning, 1997 (Golden Gate Award<br />

for the Best Short Documentary at the<br />

San Francisco Film Festival, 1998)<br />

Filthy Words & Phrases, video work,<br />

7 hours, directed by Tim Etchells &<br />

Hugo Glendinning, 1997<br />

Nightwalks, CD-ROM, 1998<br />

Spin, CD-ROM, 1999<br />

Rules of the Game, photographs and texts,<br />

1999<br />

Hotel Binary, video installation, 2000<br />

Scar Stories, performance and installation,<br />

2000<br />

Starfucker, digital film, 2001<br />

My Eyes were like the Stars, digital film,<br />

2001<br />

Kent Beeson is a Classic and an Absolutely<br />

New Thing, digital film, 2001<br />

The Last Mile Home, digital film, 2001<br />

Ausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected exhibitions<br />

Cardboard Signs, ICA, London, 1992 / Arts<br />

Centre, Gloucestershire, 1993<br />

The Hotel Photographs, The Dukes, Lancaster<br />

/ The Gantry, Southampton, 1994<br />

Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />

Void Spaces, Site Gallery, Sheffield, 2000<br />

Mousonturm, Frankfurt, 2000<br />

Hugo Glendinning<br />

Ausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected exhibitions<br />

The Single Figure Drill, Hull Arts Centre,<br />

Hull, 1986<br />

Dance Work, The Place Theatre, London,<br />

1991/93<br />

Dance and Portrait Work, The Green<br />

Room, Manchester, 1992<br />

Performance Photography, CCA Glasgow,<br />

1994<br />

Gamblers, Dogs and The Lottery – The Art<br />

Casino, The Barbican Art Gallery, London,<br />

1995<br />

Portraits of Artists in July, The Whitechapel<br />

Gallery, London, 1996<br />

Pictures of (E)motion, Tanz Performance<br />

Köln, Cologne, 1996<br />

Islington Festival Commission, photo<br />

installation, London, 1997<br />

Art 98, Contemporary Art Society,<br />

London, 1998


Forced Entertainment<br />

Projekte / Projects<br />

Jessica in the Room of Lights, performance,<br />

1984<br />

The Set-up, performance, 1985<br />

Nighthawks, performance, 1985/86<br />

The Day that Serenity Returned to the<br />

Ground, performance, 1986<br />

(Let the Water Run Its Course) to the Sea<br />

that Made the Promise, performance,<br />

1986<br />

200% & Bloody Thirsty, performance,<br />

1987/88<br />

Some Confusions in the Law about Love,<br />

performance, 1989/90<br />

Welcome to Dreamland, retrospective<br />

performance trilogy, 1991<br />

Marina & Lee, performance, 1991<br />

Emanuelle Enchanted, performance, 1992<br />

Club of No Regrets, performance, 1993<br />

12 am: Awake and Looking Down, durational<br />

performance, 1993<br />

Hidden J, performance, 1994<br />

Speak Bitterness, durational<br />

performance/installation, 1994<br />

A Decade Of Forced Entertainment,<br />

performance/lecture, 1994<br />

Dreams’ Winter, site-specific work,<br />

Manchester Central Library, 1994<br />

Nights In This City, site-specific work,<br />

Sheffield version, 1995<br />

Speak Bitterness, theatre performance, 1995<br />

Break In!, children’s project in collaboration<br />

with Sheffield theatres, 1995<br />

Showtime, performance, 1996<br />

Quizoola!, durational performance, 1996<br />

Nights In This City, site-specific work,<br />

Rotterdam version, 1997<br />

Secret Places (Rotterdam workshop<br />

project), durational performance /<br />

installation, 1997<br />

Paradise, internet project, 1997<br />

<br />

Pleasure, performance, 1997<br />

Dirty Work, performance, 1998<br />

Disco Relax, performance, 1999<br />

Who Can Sing a Song to Unfrighten Me?,<br />

24-hour durational performance, 1999<br />

And on the Thousandth Night…, durational<br />

performance, 2000<br />

Starfucker, short solo performance, 2001<br />

Downtime, short solo performance, 2001<br />

Instructions for Forgetting a Well Known<br />

Song, performance, 2001<br />

First Night, performance, 2001<br />

Publikationen (Auswahl) /<br />

Selected publications<br />

Tim Etchells, ‘Diverse Assembly: Some<br />

Trends In Recent British Performance.’<br />

– Contemporary British Theatre, Ed.<br />

Theodore Shank, London: Macmillan<br />

Press, January 1994.<br />

Tim Etchells and Richard Lowdon,<br />

‘Emanuelle Enchanted: Notes and<br />

Documents.’ – Contemporary Theatre<br />

Review: British Live Art, Harwood,<br />

Summer 1994.<br />

Tim Etchells and Hugo Glendinning, ‘Red<br />

Room: Photographic Documents.’ – Art<br />

& Design, October 1994.<br />

Forced Entertainment, ‘Speak Bitterness<br />

(Text Fragments).’ – Language aLive,<br />

Issue One, Suffolk: Sound & Language,<br />

1995.<br />

Tim Etchells, ‘Eight Fragments on Theatre<br />

& The City.’ – Theaterschrift, No. 10,<br />

December 1995.<br />

‘A Decade of Forced Entertainment. Performance<br />

text by Tim Etchells and the<br />

company with photographs by Hugo<br />

373<br />

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374<br />

Glendinning.’ – Performance Research,<br />

Vol. 1, No. 1, Routledge, Spring 1996.<br />

Deutsch auszugsweise in: Forced Entertainment:<br />

‘Ein Jahr verschärfter Unterhaltung.’<br />

– Flamboyant: Schriften zum<br />

Theater, Heft 4, 1996.<br />

‘How Long Do You Have To Have Lived<br />

Somewhere Before You’re Allowed to<br />

Lie About It? Interview with Tim<br />

Etchells.’ – Live 4: Freedom Machine,<br />

Ed. David Tushingham, London: Nick<br />

Hern Books, 1996.<br />

Tim Etchells, ‘Repeat Forever.’ – Shattered<br />

Anatomies. Artists’ publication, ed.<br />

Adrian Heathfield, Bristol: Arnolfini<br />

Live, 1997.<br />

––, ‘Se pendre et se retrouver / Losing &<br />

Finding.’ – TransEuropeenes, No. 11:<br />

Theater and the Public Space, Paris, Fall<br />

1997.<br />

––, ‘Hier sind 26 Buchstaben / Here Are 26<br />

Letters.’ – Theater Etcetera, eds.<br />

T. Broszat, G. Hattinger, Munich: Spielmotor<br />

München e.V., 1997.<br />

––, Endland Stories, London: Pulp Books,<br />

1998.<br />

––, Certain Fragments: Contemporary Performance<br />

and Forced Entertainment,<br />

London and New York: Routledge,<br />

1999.<br />

Hugo Glendinning, Tim Etchells and<br />

Forced Entertainment: Void Spaces,<br />

exhibition catalogue, Sheffield: Site<br />

Gallery, 2000.<br />

Tim Etchells: ‘On The Skids: Some Years of<br />

Acting Animals.’ – Performance Research:<br />

On Animals, Vol. 5, No. 2, Routledge,<br />

2000.<br />

––, ‘Permanent Midnight.’ – Small Acts.<br />

Performance, the Millennium and the<br />

Marking of Time, ed. Adrian Heathfield,<br />

London: Black Dog Publishing Ltd.,<br />

2000.<br />

––, The Dream Dictionary (for Modern<br />

Dreamers), London: Duckworths, 2001.<br />

Website<br />

http://www.forced.co.uk


Geboren 1956 in Tokio, lebt und arbeitet in<br />

Kanagawa. Er studierte von 1975 bis 1981<br />

an der National University of Fine Arts and<br />

Music, Tokio, und ist seit 1990 assoziierter<br />

Professor an der Faculty of Environmental<br />

Information, Keio University, Kanagawa;<br />

seit 1999 Professor an der National University<br />

of Fine Arts and Music, Department of<br />

Inter Media Art, Tokio. 1995 kuratierte<br />

Fujihata die Ausstellung The Future of the<br />

Book of the Future; er hat außerdem<br />

zahlreiche Bücher herausgegeben.<br />

Auszeichnungen / Awards<br />

Grand Prize, Video Culture Canada,<br />

Toronto Harbour Front, 1983<br />

State-of-the-Art Prize, ‘Online’, Wembley<br />

Conference Centre, UK, 1984<br />

Golden Nica, distinction Interactive Art,<br />

Prix Ars Electronica, Linz, 1996<br />

Promotional Prize, L’OREAL Grand Prix,<br />

L’OREAL Art and Science Foundation,<br />

Japan, 1997<br />

First Prize, distinction Theatre/Exhibition,<br />

Multimedia Grand Prix ’97, Tokyo,<br />

Japan, 1997<br />

Werke (Auswahl) / Selected works<br />

One-Man Show, animation film, 8mm and<br />

16mm, 1980<br />

Message from Machine, interactive installation,<br />

1981<br />

Mandala 1983, computer animation, 1983<br />

MIROKU-Maitreya, computer animation,<br />

1984<br />

The Mind of Gaze Beyond Technology,<br />

computer images, 1984<br />

Masaki Fujihata<br />

Born in Tokyo in 1956, Masaki Fujihata<br />

lives and works in Kanagawa. He studied at<br />

the National University of Fine Arts and<br />

Music, Tokyo, from 1975 to 1981. He was<br />

appointed associate professor at the Faculty<br />

of Environmental Information, Keio<br />

University, Kanagawa, in 1990, and professor<br />

at the Department of Inter-Media Art<br />

of the National University of Fine Arts and<br />

Music, Tokyo, in 1999. He curated the<br />

exhibition The Future of the Book of the<br />

Future in 1995, and has published several<br />

books.<br />

Geometric Love, computer sculptures, 1987<br />

Forbidden Fruits, computer sculptures,<br />

1990<br />

Ape Call from Tokyo, computer graphics,<br />

1990<br />

Removable Reality, interactive installation<br />

with Kei’ichi Irie, 1992<br />

Inside Eye, micro-machined sculptures,<br />

1993<br />

Impressing Velocity, interactive installation,<br />

1994<br />

Beyond Pages, interactive installation, 1995<br />

(collection of the ZKM-Media Museum,<br />

Karlsruhe)<br />

Global Interior Project, shared virtual environment,<br />

1995<br />

Impalpability, interactive work for CD-<br />

ROM, 1998<br />

Nuzzle Afar, shared virtual environment,<br />

1998<br />

Impressing Velocity, interactive installation<br />

with flight-simulation platform, 1999<br />

Small Fish (with Kiyoshi Furukawa, Wolfgang<br />

Münch), interactive music CD-<br />

ROM, 1999 (published in ZKM digital<br />

arts edition No. 3, ed. ZKM, Ostfildern:<br />

Hatje Cantz, 1999)<br />

375<br />

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376<br />

Vertical Mapping, shared virtual environment<br />

and installation, 2000<br />

Light on the Net @Barcelona, Internet installation,<br />

2001<br />

Collective Off-Sense, shared cyberspace,<br />

2001<br />

Field-Work@Hayama, interactive installation,<br />

2001<br />

Orchisoid, movable plant robot, 2001<br />

Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />

Selected solo exhibitions<br />

Salon SHU, Tokyo, 1980<br />

Xerox Knowledge-in,Tokyo, 1981<br />

Livina Gallery, Tokyo, 1984<br />

Ginza Graphic Gallery, Tokyo, 1987<br />

Gallery Mirage, Tokyo, 1990<br />

ICC Gallery, Tokyo, 1994<br />

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Medien-<br />

KunstRaum, Bonn, 1997<br />

Gruppenausstellungen und Festivals<br />

(Auswahl) / Selected group exhibitions<br />

and festivals<br />

Siggraph ’83, Detroit, 1983<br />

Computer Animation Film Festival,<br />

London, 1983<br />

Siggraph ’84, Minneapolis, 1984<br />

InterGraphics, Tokyo, 1984<br />

24. Festival International de Televison de<br />

Monte Carlo, Monte Carlo, 1984<br />

1st International Animation Festival,<br />

Hiroshima, 1985<br />

The Museum of Modern Art, New York,<br />

1986<br />

Art Directors Club Gallery, New York,<br />

1990<br />

Spiral Hall, Tokyo, 1992<br />

Nikko Gallery, Tokyo, 1993<br />

Itoki Gallery, Osaka, 1993<br />

InterCommunication ’95, On the Web, ICC<br />

Gallery/Spiral Building and P3, Tokyo,<br />

1995<br />

Siggraph ’96, New Orleans, 1996<br />

Ars Electronica, Linz,1996/1999/2000/2001<br />

DEAF, Dutch Electronic Art Festival,<br />

Rotterdam, 1996/98<br />

ISEA, International Symposium on Electronic<br />

Art, Rotterdam, 1996<br />

WestBank Gallery, Savannah, Georgia, 1997<br />

Connecticut College of Art, Connecticut,<br />

1997<br />

Interaction ’97, Ogaki, Japan, 1997<br />

Exit, Maubeuge, 1997<br />

Cyber, Lisbon, 1997<br />

VEAF, Vancouver Electronic Arts Festival,<br />

Vancouver, 1997<br />

SONAR, Festival of advanced music,<br />

Barcelona, 1997<br />

Cyber-Monde, Montreal, 1997<br />

Miyagi Modern Museum, Japan, 1998<br />

Mediatech, Florence, 1998<br />

Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />

Cartoombria / Fondazione Umbria Spettacolo,<br />

Perugia, 1999<br />

net_condition, ZKM, Karlsruhe, 1999<br />

Perspective Budapest, c 3 , Budapest, 1999<br />

Stuttgarter Filmwinter, 2000<br />

Sony Center Berlin, Music Box, Berlin,<br />

2000<br />

transmediale, Berlin, 2000<br />

Exploding Cinema, International Film<br />

Festival Rotterdam, 2000<br />

The Electronic and Digital Art Show,<br />

Johannesburg, 2000<br />

Digital Alice, Media City, Seoul, 2000<br />

ICC, Tokyo, 2000<br />

Warsaw Music Autumn, Warsaw, 2000<br />

Millenium Dome, London, 2000


Vision Ruhr, Westfälisches Industriemuseum<br />

Zeche Zollern, Dortmund, 2000<br />

Tsumari-Triennale, Niigata, Japan, 2000<br />

Robot_meme, Museum of Emergent<br />

Science and Industry, Tokyo, 2001<br />

Yokohama Triennale, Yokohama, 2001<br />

BUZZ Club, PS1, Long Island City, New<br />

York, 2001<br />

New York Center for Media Arts, Long<br />

Island City, New York, 2001<br />

Fundació La Caixa, Barcelona, 2001<br />

Steirischer Herbst, Graz, 2001<br />

Publikationen (Auswahl) /<br />

Selected publications<br />

Masaki Fujihata, Geometric Love, Tokyo:<br />

Parco publications, 1987.<br />

––, Forbidden Fruits, Tokyo: LibroPort,<br />

1991.<br />

––, Rewinded Futures, Tokyo: JustSystem,<br />

1995.<br />

The Future of the Book of the Future, exhibition<br />

catalogue, ed. Masaki Fujihata,<br />

Tokyo: JustSystem, 1995.<br />

Colour as A Concept, Ed. Masaki Fujihata,<br />

Tokyo: Bijutsu-shuppan-sha, 1997.<br />

The Treasure of Computer Graphics, ed.<br />

Masaki Fujihata, Tokyo: JustSystem,<br />

1998.<br />

Masaki Fujihata, Art and Computer, Tokyo:<br />

Keio University Press, 1999.<br />

Kiyoshi Furukawa, Masaki Fujihata, Wolfgang<br />

Münch, Small Fish Tale – Active<br />

Score Music, Linz: AEC and ORF, 2001<br />

(DVD-ROM).<br />

Website<br />

http://www.ima.fa.geidai.ac.jp/~masaki<br />

377<br />

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378<br />

Geboren 1964 in Budapest, lebt und<br />

arbeitet in Karlsruhe. Sie studierte Fotografie<br />

und Videokunst an der Akademie für<br />

Angewandte Kunst, Budapest und anschließend<br />

an der Minerva Akademie,<br />

Groningen, der Kunstakademie Enschede<br />

und am Institut für Neue Medien, Städelschule,<br />

Frankfurt/Main. 1992 war sie<br />

Gastkünstlerin am ZKM-Institut für<br />

Bildmedien.<br />

Auszeichnungen / Awards<br />

Prisma-Preis für Computerkunst,<br />

Hamburgische Kulturstiftung, 1993<br />

Honourable Mention, distinction Interactive<br />

Art, Ars Electronica, Linz, 1993<br />

Sparky Award, Interactive Media Festival,<br />

Los Angeles, 1994<br />

Videoarbeiten / Video works<br />

Hierosgamos, 1:30 min., 1987<br />

Translation, 5:00 min., 1988<br />

Ise d’oil, 4:30 min., 1988<br />

Bubble Order, 5:30 min., 1988<br />

And Grind Hard Stones to Meal, 6:30 min.,<br />

1989<br />

Image to Paul Klee, 4:30 min., 1989<br />

125. Fragment, 5:00 min., 1990<br />

Plain Plane Playing, 10:00 min., 1990<br />

Videopräsentationen (Auswahl) /<br />

Selected video screenings<br />

Symmetry-Asymmetry Conference,<br />

Hungarian National Gallery, Budapest,<br />

1989<br />

Agnes Hegedues<br />

Born in Budapest in 1964, Agnes Hegedues<br />

lives and works in Karlsruhe. She studied<br />

photography and video art at the Budapest<br />

Academy of Applied Arts, followed by the<br />

Minerva Academy, Groningen, the Kunstakademie,<br />

Enschede and the Institute of<br />

New Media, Städelschule, Frankfurt-on-<br />

Main. In 1992, she was artist-in-residence<br />

at the ZKM-Institute for Visual Media.<br />

EMAF, European Media Art Festival,<br />

Osnabrück, 1989<br />

World Wide Video Festival, Den Haag,<br />

1989<br />

Art Video Hongrie, Strasbourg, 1989<br />

Video und Malerei, Akademie der Künste,<br />

Berlin, 1989<br />

Videofest 90, Berlin, 1990<br />

Fête de cinema, Palais de Tokyo, Paris, 1990<br />

XI. Video Art Festival, Locarno, 1990<br />

Les instants Video, Marseille, 1990<br />

WRO, Sound Basis Visual Art Festival,<br />

Wroclaw, 1990<br />

Fukui International Media Art Festival,<br />

Fukui, Japan, 1990<br />

Artech, Art et Nouvelles Technologies,<br />

Etampes, 1991<br />

Video del Este, Granada, 1991<br />

Videoformes, Clermont-Ferrand, 1991<br />

Internationale Kurzfilmtage, Oberhausen,<br />

1991<br />

Film et video experimentaux, Jeu de Paume,<br />

Paris, 1992


Installationen und interaktive<br />

Arbeiten / Installations and<br />

interactive works<br />

Plain Plane Playing, kinetic video sculpture/video<br />

installation, 1990<br />

Unstable, computer-graphic installation,<br />

1990<br />

4 Space, interactive computer-graphic<br />

installation, 1991<br />

RGB VW, computer-graphic installation,<br />

1991<br />

The Fruit Machine, interactive computergraphic<br />

installation, 1991 (collection of<br />

the ZKM-Media Museum, Karlsruhe)<br />

Handsight, interactive computer-graphic<br />

installation, 1992<br />

The Televirtual Fruit Machine, interactive<br />

telecommunication project, 1993<br />

Between The Words, interactive computergraphic<br />

installation, 1995<br />

conFiguring The Cave (with Bernd Linterman,<br />

Jeffrey Shaw, Leslie Stuck),<br />

interactive computer-graphic environment,<br />

1996 (collection of the NTT<br />

InterCommunication Centre, Tokyo)<br />

Memory Theater VR, interactive computer-graphic<br />

environment, 1997<br />

(collection of the ZKM-Media Museum,<br />

Karlsruhe)<br />

Things Spoken, CD-ROM, 1998<br />

Sprache der Dinge, interactive multimedia<br />

installation, 1998<br />

Their Things Spoken, DVD-ROM, 2001<br />

Ausstellungen und Festivals<br />

(Auswahl) /<br />

Selected exhibitions and festivals<br />

(Kat. = Katalog / Catalogue)<br />

Gallery René Coelho, Amsterdam, 1990<br />

Das belebte Bild, Art Frankfurt, Frankfurton-Main,<br />

1991 (Kat.)<br />

MultiMediale, ZKM, Karlsruhe,<br />

1991/93/95 (Kat.)<br />

Artec, Nagoya, 1991/93 (Kat.)<br />

Ars Electronica, Linz, 1992/95 (Kat.)<br />

V2_Organisation, s-Hertogenbosh, 1992<br />

(Kat.)<br />

Mediale, Prisma Art Gallery, Hamburg,<br />

1993<br />

Artificial Games, Medienlabor, Munich,<br />

1993<br />

Video Arco, Madrid Art Fair, Madrid, 1993<br />

(Kat.)<br />

Muu Media Festival, Otso Gallery, Tapiola,<br />

Finland, 1993 (Kat.)<br />

Siggraph ’93, Anaheim, 1993 (Kat.)<br />

IC ’93, Beam Gallery, Tokyo, 1993 (Kat.)<br />

Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />

1994<br />

Artifice 3, Paris, 1994 (Kat.)<br />

Interaction ’95, Gifu, Japan, 1995 (Kat.)<br />

Arslab 2, Torino, 1995 (Kat.)<br />

Cebit, Telecom stand, Hanover, 1995 (Kat.)<br />

Institute for Contemporary Art, London,<br />

1995<br />

Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Medien-<br />

KunstRaum, Bonn, 1995<br />

ISEA, International Symposium on<br />

Electronic Art, Montreal, 1995<br />

Butterfly Effect, Kunsthalle, Budapest,<br />

1996 (Kat.)<br />

Phantasmagoria, Museum of Contemporary<br />

Art, Sydney, 1996 (Kat.)<br />

Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />

Dark Room, Museo Universitario Contempránero<br />

de Arte, Mexico City, 1999<br />

Contact Zones, Cornell University, Ithaca,<br />

New York, and Gallery of Photography,<br />

Mexico City, 1999<br />

WRO ’99, 7th International Media Art<br />

Biennale, Wroclaw, 1999<br />

ISEA, International Symposium on<br />

Electronic Art, Paris, 2000<br />

Vision and Reality, Louisiana Museum of<br />

Modern Art, Humblebeak, Denmark,<br />

2001<br />

379<br />

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380<br />

Biografische Notizen / Biographical Notes<br />

Autoren / Authors<br />

ist Autor und Regisseur von Forced<br />

Entertainment. Siehe S. 371.<br />

Geboren 1943, lebt in Bern. Gerhard<br />

Johann Lischka ist Kulturphilosoph und<br />

Schriftsteller; zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen<br />

als Autor und Herausgeber<br />

gehören u.a.: Über die Mediatisierung.<br />

Medien und Re-Medien (Bern, 1988),<br />

Splitter-Ästhetik (Bern, 1993), Schnittstellen.<br />

Das postmoderne Weltbild (Bern,<br />

1997), Kunstkörper – Werbekörper (Köln,<br />

2000). Von 1986–1999 war er Herausgeber<br />

der Taschenbuchreihe ›Um Neun. Am<br />

Nerv der Zeit‹ (Benteli). Er lehrt u.a. am<br />

San Francisco Art Institute, an der F&F<br />

Hochschule für Kunst und Medien Zürich,<br />

der Hochschule für Theater Bern und der<br />

Fachhochschule für Technik, Wirtschaft<br />

und Gestaltung, Aargau.<br />

Tim Etchells<br />

Masaki Fujihata<br />

siehe S. 375 see p. 375<br />

Gerhard Johann Lischka<br />

is writer and director with Forced<br />

Entertainment. See p. 371.<br />

Gerhard Johann Lischka was born in 1943.<br />

A cultural philosopher and writer, he has<br />

authored and edited publications including<br />

Über die Mediatisierung. Medien und Re-<br />

Medien (Bern, 1988), Splitter-Ästhetik<br />

(Bern, 1993), Schnittstellen. Das postmoderne<br />

Weltbild (Bern, 1997), Kunstkörper –<br />

Werbekörper (Cologne, 2000). From 1986<br />

to 1999, he edited for Benteli the ‘Um<br />

Neun. Am Nerv der Zeit’ paperback series.<br />

He teaches at the San Francisco Art<br />

Institute, the F&F Hochschule für Kunst<br />

und Medien, Zurich, the Hochschule für<br />

Theater, Bern, the Fachhochschule für<br />

Technik, Wirtschaft und Gestaltung,<br />

Aargau, and other institutions. He lives in<br />

Bern.


Peggy Phelan ist Autorin der Bücher<br />

Unmarked: The Politics of Performance<br />

(London/New York, 1993), Mourning Sex:<br />

Performing Public Memories (London/<br />

New York, 1997), Art and Feminism<br />

(Oxford, 2001) und Death Rehearsals (in<br />

Vorbereitung). Von 1997–99 war sie Fellow<br />

des Open Institute, New York, im ›Project<br />

on Death in America‹.<br />

Hans-Peter Schwarz war von 1983–90<br />

Kustos am Deutschen Architekturmuseum<br />

in Frankfurt/Main, von 1992–2000 Direktor<br />

des ZKM-Medienmuseums und von<br />

1994–2000 Professor für Kunstgeschichte<br />

an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.<br />

Seit 2000 ist er Rektor der Hochschule<br />

für Gestaltung und Kunst<br />

Zürich/Museum für Gestaltung Zürich. Zu<br />

seinen Veröffentlichungen zur Architektur-<br />

und Kunstgeschichte und zur Kulturgeschichte<br />

der Moderne gehören u.a. Die<br />

Architektur der Synagoge (Stuttgart, 1988),<br />

Das Haus des Künstlers. Zur Sozialgeschichte<br />

des Genies (Braunschweig/Wiesbaden,<br />

1990) und Medien-Kunst-Geschichte<br />

(München/New York, 1997).<br />

Peggy Phelan<br />

Hans-Peter Schwarz<br />

Peggy Phelan is the author of Unmarked:<br />

The Politics of Performance (London/New<br />

York, 1993), Mourning Sex: Performing<br />

Public Memories (London/New York,<br />

1997), Art and Feminism (Oxford, 2001)<br />

and Death Rehearsals (forthcoming). From<br />

1997 to 1999, she was a fellow for the<br />

‘Project on Death in America’ at the Open<br />

Institute, New York.<br />

Hans-Peter Schwarz was custodian at the<br />

Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt-on-Main,<br />

from 1983 to 1990, director<br />

of the ZKM-Media Museum from 1992 to<br />

2000, and professor at the State Academy<br />

of Design, Karlsruhe, from 1994 to 2000.<br />

He was appointed rector of the Hochschule<br />

für Gestaltung und Kunst, Zurich/<br />

Museum für Gestaltung, Zurich, in 2000.<br />

His publications on architectural and art<br />

history and on the cultural history of<br />

modernity include Die Architektur der<br />

Synagoge (Stuttgart, 1988), Das Haus des<br />

Künstlers. Zur Sozialgeschichte des Genies<br />

(Braunschweig/Wiesbaden, 1990), Media-<br />

Art-History (Munich/New York, 1997).<br />

381<br />

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382<br />

Geboren 1944 in Den Haag, lebt inAmsterdam.<br />

Tjebbe van Tijen realisierte zwischen<br />

1964 und 1969 Skulpturen, Happenings,<br />

Environments und Expanded-Cinema-<br />

Aktionen. Er war Kurator am Dokumentationszentrum<br />

für moderne soziale Entwicklungen,<br />

zunächst an der Universitätsbibliothek<br />

Amsterdam, später am Internationalen<br />

Institut für Sozialgeschichte<br />

Amsterdam (1973–93). 1988 gründete er<br />

die ›Projekte Imaginäres Museum‹ und<br />

entwickelte seitdem verschiedene interaktive<br />

Installationen, die sich mit der Dramatisierung<br />

von Information beschäftigen. Zu<br />

seinen aktuellen Forschungsprojekten<br />

gehören ›Literary Pyscho-Geography of<br />

Edo/Tokyo & Amsterdam‹ und ›Unbombing<br />

the Cities of the World‹.<br />

Tjebbe van Tijen<br />

Born in The Hague in 1944, Tjebbe van<br />

Tijen lives in Amsterdam. He has produced<br />

sculpture, happenings, environments and<br />

expanded cinema events (1964–1969) and<br />

was curator of the Centre for the Documentation<br />

of Modern Social Movements,<br />

first at the University Library of Amsterdam,<br />

later at the International Institute of<br />

Social History, Amsterdam (1973–1993).<br />

He founded ‘Imaginary Museum Projects’<br />

in 1988, and since then has created diverse<br />

interactive installations based on the<br />

dramatization of information. Current<br />

research projects include ‘Literary Pyscho-<br />

Geography of Edo/Tokyo & Amsterdam’<br />

and ‘Unbombing the Cities of the World’.


Impressum /Colophon<br />

Herausgeber /<br />

Publisher<br />

ZKM /Zentrum für Kunst<br />

und Medientechnologie<br />

Karlsruhe<br />

Konzept / Concept<br />

Jeffrey Shaw<br />

Redaktion / Editor<br />

Astrid Sommer<br />

Gestaltung /design<br />

Holger Jost<br />

Übersetzungen /<br />

Translators<br />

Thomas Morrison<br />

Astrid Sommer<br />

Didi S. Hirokawa<br />

Deutsches Lektorat /<br />

German proofreading<br />

Manuela Abel<br />

Englisches Lektorat /<br />

English proofreading<br />

Thomas Morrison<br />

CD-ROM-Produktion /<br />

CD-ROM production<br />

Volker Kuchelmeister<br />

© 2002 der Essays bei den<br />

Autoren und ZKM Karlsruhe<br />

/ Essays © 2002 by the<br />

authors and ZKM Karlsruhe<br />

© 2002 der Werke bei den<br />

Künstlern / Artworks<br />

© 2002 by the artists<br />

© 2002 der Screenshots bei<br />

den Künstlern /Screenshots<br />

© 2002 by the artists<br />

383<br />

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