NATO, die EU und der griechisch-türkische Konflikt - HSFK
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Schaffen internationale Organisationen Frieden? 31<br />
weiter bestehenden Unsicherheiten sehen beide Seiten <strong>die</strong> Notwendigkeit, Kooperationsangebote<br />
auch dann mit Konfrontationsgesten <strong>und</strong> Signalen höchster Abwehrbereitschaft<br />
zu kombinieren, wenn dadurch <strong>die</strong> Gefahr eines Rückfalls in <strong>die</strong> alten <strong>Konflikt</strong>muster<br />
steigt.<br />
4.4 Interdemokratische Institutionen<br />
Warum überwand <strong>die</strong> geteilte Mitgliedschaft in <strong>EU</strong> <strong>und</strong> <strong>NATO</strong> zwischen den ehemaligen<br />
Feinden <strong>und</strong> potentiellen Rivalen Deutschland <strong>und</strong> Frankreich das Sicherheitsdilemma,<br />
zwischen Griechenland <strong>und</strong> <strong>der</strong> Türkei bis vor kurzem aber nicht? Aus <strong>der</strong> liberalen Perspektive<br />
ist <strong>die</strong> Antwort auf <strong>die</strong>ses Puzzle in Unterschieden bei <strong>der</strong> Art <strong>der</strong> Vernetzung zu<br />
suchen. Danach war <strong>die</strong> Türkei (für Griechenland galt über lange Zeitperioden ähnliches)<br />
zwar formal Mitglied <strong>der</strong> <strong>NATO</strong> <strong>und</strong> assoziiertes Mitglied <strong>der</strong> <strong>EU</strong>, aber aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
demokratischen Defizite nicht in <strong>die</strong> transnationalen Netzwerke gesellschaftlicher <strong>und</strong><br />
parlamentarischer Akteure sowie in <strong>die</strong> breiten kommunikativen Arenen bei<strong>der</strong> Institutionen<br />
eingeb<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> in beson<strong>der</strong>er Weise Transparenz herstellen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Politikfeldautonomie<br />
erhöhen. Erst mit <strong>der</strong> Demokratisierung <strong>der</strong> Türkei könnte sich <strong>die</strong> Art <strong>der</strong> Mitgliedschaft<br />
in <strong>NATO</strong> <strong>und</strong> <strong>EU</strong> den Mustern in Westeuropa annähern.<br />
Der erste Nachweis ist leicht zu führen. In <strong>der</strong> Türkei waren politische Parteien bis vor<br />
kurzem schwach <strong>und</strong> war <strong>die</strong> Zivilgesellschaft verglichen mit <strong>der</strong> in westeuropäischen<br />
Län<strong>der</strong>n wenig entwickelt. 98 Die Sicherheitspolitik war in beson<strong>der</strong>er Weise von gesellschaftlichen<br />
Kontroll- <strong>und</strong> Mitspracherechten abgeschottet. Dies war <strong>die</strong> Domäne des<br />
Militärs bzw. des <strong>türkische</strong>n Generalstabes, <strong>der</strong> das Machtzentrum innerhalb des Militärs<br />
bildet. Sicherheitspolitik wird von <strong>der</strong> <strong>türkische</strong>n Gesetzgebung weit definiert, umfasst<br />
unter an<strong>der</strong>em <strong>die</strong> interne Sicherheit gegen sezessionistische sowie gegen antisäkulare<br />
Bestrebungen <strong>und</strong> erlaubt dem Militär Eingriffe in fast alle Bereiche des politischen Lebens.<br />
99 Der Einfluss des Militärs beruhte einerseits auf formal abgesicherten Rechten, an<strong>der</strong>erseits<br />
auf informellen Mechanismen. An<strong>der</strong>s als in westeuropäischen Län<strong>der</strong>n ist das<br />
98 Die Einschätzung <strong>der</strong> zivilgesellschaftlichen Autonomie <strong>und</strong> Stärke in <strong>der</strong> Türkei ist in <strong>der</strong> Literatur<br />
umstritten <strong>und</strong> hängt von <strong>der</strong> Vergleichsperspektive ab. Zu <strong>der</strong> Einschätzung, dass <strong>der</strong> starke Staat im<br />
osmanischen Reich <strong>und</strong> <strong>der</strong> Türkei <strong>der</strong> Entwicklung einer Zivilgesellschaft enge Grenzen gesetzt habe,<br />
vgl. Serif Mardin, Center-Periphery Relations: A Key to Turkish Politics?, in: Deadalus, Winter 1973,<br />
S. 169-190. Dagegen wenden an<strong>der</strong>e ein, dass sich bereits in <strong>der</strong> Tanzimat-Phase des osmanischen Reiches<br />
eine Rationalisierung von Herrschaft <strong>und</strong> eine zivilgesellschaftliche Sphäre entwickelte, <strong>und</strong> dass<br />
mit <strong>der</strong> demokratischen Öffnung nach 1945 eine zwar wi<strong>der</strong>sprüchliche <strong>und</strong> von Interventionen des Militärs<br />
unterbrochene, aber dennoch verglichen mit an<strong>der</strong>en Transitionsgesellschaften bemerkenswerte<br />
zivilgesellschaftliche Dynamik entfaltete. Vgl. Binnaz Toprak, Civil Society in Turkey, in: Augustus Richard<br />
Norton (Hg.), Civil Society in the Middle East, Leiden (E.J. Brill), 1996, S. 87-118. Dennoch weisen<br />
aktuelle Daten im Vergleich mit westeuropäischen Län<strong>der</strong>n einen deutlich geringeren zivilgesellschaftlichen<br />
Organisationsgrad auf. Vgl. Jürgen Gerhards, Europäische Werte. Passt <strong>die</strong> Türkei kulturell zur <strong>EU</strong>,<br />
in: Aus Politik <strong>und</strong> Zeitgeschichte, Nr. 38, 2004, S. 14-20; <strong>der</strong>s., Kulturelle Unterschiede in <strong>der</strong> Europäischen<br />
Union. Ein Vergleich zwischen Mitgliedslän<strong>der</strong>n, Beitrittskandidaten <strong>und</strong> <strong>der</strong> Türkei, Wiesbaden<br />
(VS-Verlag), 2005.<br />
99 Vgl. Jenkins, a.a.O. (Anm. 48), S. 22.