Insider analysieren, Initiativen berichten. - Internationales Bildungs
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Innenpolitik<br />
„Das sind doch keine Wahlen!“<br />
In der vergangenen Ausgabe verfasste unser Redakteur Martin Schön einen kritischen Kommentar zur Partei Belarussische<br />
Christliche Demokratie Partei (BCHD) und ihrem Co-Vorsitzenden Pavel Severenec. Diesmal wollten wir Pavel Severinec<br />
selbst zu Wort kommen lassen.<br />
Das Interview führte Martin Schön.<br />
Pavel Severinec<br />
Foto: bymedia.net<br />
16 Belarus Perspektiven<br />
Herr Severenec, Sie kommen gerade vom Sammeln<br />
von Unterschriften für ihre Kandidaten bei den<br />
Lokalwahlen. Waren Sie erfolgreich?<br />
Ja, das klappt sehr gut. Die Belarussen freuen sich,<br />
wenn sie von unseren Parteimitgliedern auf Belarussisch<br />
angesprochen werden, das imponiert ihnen.<br />
Außerdem unterschreiben viele, weil wir dafür<br />
kämpfen, dass die Menschen in Belarus in Zukunft<br />
keine Angst mehr haben müssen. Die Bürger spüren,<br />
dass für uns christliche Werte und Gerechtigkeit<br />
noch etwas zählen.<br />
Wie stehen denn die Chancen, dass die BCHD Abgeordnetensitze<br />
bei den Lokalwahlen gewinnt?<br />
Im Moment gibt es keine Wahlen, sondern platte<br />
Kampagnen und Wahlfälschung, und am Ende<br />
werden die Fälscher leider als Sieger dastehen. Kein<br />
einziger unser Vertreter wurde in eine Gebietswahlkommission<br />
aufgenommen. Auch in 90 Prozent der<br />
lokalen Wahlkommissionen sind wir nicht vertreten.<br />
Das sind doch keine Wahlen! Selbst wenn Kandidaten<br />
gewinnen, bekommen sie in Wirklichkeit kein<br />
Mandat.<br />
In ihrem Parteiprogramm steht, die BCHD setze<br />
sich für einen liberalen Wirtschaftskurs und für<br />
den Ausbau von Spitzentechnologien in Belarus ein.<br />
Heute ist die Mehrheit der Arbeiter in der Schwerindustrie<br />
beschäftigt. Würde ein solcher Kurs nicht zu<br />
Massenarbeitslosigkeit führen?<br />
Der Wandel wird sicher nicht leicht. Aber Arbeitslosigkeit<br />
wird sich bestimmt nicht verhindern lassen<br />
mit veralteten Technologien, Kollektiveigentum<br />
und riesigen, unzeitgemäßen Fabriken. Wir wollen,<br />
dass aktive Menschen mit ihrem Engagement Geld<br />
verdienen können. In erster Linie betrifft das die<br />
kleinen und mittleren Unternehmen. Diese Leute<br />
brauchen Freiheit und Steuerprivilegien, um ihre<br />
Tätigkeit ausüben zu können. Wir müssen ein Bankennetz<br />
einrichten, das günstige Kredite an Kleinunternehmer<br />
vergibt, wir brauchen ausländische Investitionen.<br />
Nur so kann die Massenarbeitslosigkeit<br />
verhindert werden.<br />
In Ihren Aussagen und Schriften taucht sehr häufig<br />
der Begriff „moralischer Verfall“ auf. Was genau<br />
meinen Sie damit?<br />
Es geht dabei um die Grundlage für einen effektiven<br />
Staat. Ein effektiver Staat muss sein Wort halten,<br />
nicht lügen und nicht stehlen. Kein Staat sollte diese<br />
Prinzipien vernachlässigen, da er sonst in Richtung<br />
Korruption und moralischer Verfall abgleitet. Es<br />
geht hier nicht um einen persönlichen moralischen<br />
Verfall, sondern um den Verfall staatlicher Grundsätze.<br />
Die Belarussen werden dann einen effektiven<br />
Staat aufbauen können, wenn stehlen nicht mehr die<br />
Norm ist und Menschen für Diebstahl endlich bestraft<br />
werden, anstatt zur Staatsführung zu gehören.<br />
Fällt unter „moralischer Verfall“ auch der öffentliche<br />
Auftritt Homosexueller?<br />
Wir tolerieren homosexuelle Menschen. Aber wir<br />
lehnen die öffentliche Propaganda von Homosexualität<br />
ab, zum Beispiel Schwulenparaden. Als gläubige<br />
Christen müssen wir uns an Gottes Wort halten,<br />
und danach ist Homosexualität eine Sünde, wie etwa<br />
Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit. Und wir<br />
müssen verhindern, dass mehr Menschen zu Homosexuellen<br />
werden, weil die Gesellschaft Homosexualität<br />
als etwas normales darstellt.<br />
Ist Lukašenko eigentlich wirklich so eine Strafe für<br />
die Belarussen? Umfragen zeigen, dass die Bürgerinnen<br />
und Bürger mit ihrem Lebensstandard durchaus<br />
zufrieden sind.<br />
Die Belarussen haben eben keinen Vergleich. Sicher,<br />
heute kann man sich ein Auto kaufen, seine Wohnung<br />
hübsch einrichten. Aber wenn wir uns nicht<br />
mit Russland und der Ukraine vergleichen, sondern<br />
mit Polen und Deutschland, dann ist das Ergebnis<br />
eindeutig, zumindest für alle, die schon einmal im<br />
Ausland waren. Der Großteil der Belarussen war<br />
aber noch nie im Ausland. Viele Menschen halten<br />
deshalb unsere „Kolchosendiktatur“ für das kleinere<br />
Übel. Das gefällt mir nicht, denn die Menschen<br />
sollten nach dem Besten streben und nicht nur versuchen,<br />
das Schlimmste zu vermeiden.<br />
Nr. 48 02 / 10