BREMER ÄRZTE JOURNAL - Ärztekammer Bremen
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63. Jahrgang, September 2010<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><br />
Suchtmedizin<br />
Zwischen Ethik<br />
und Ökonomie<br />
Mitteilungsblatt der<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong> und der<br />
Kassenärztlichen Vereinigung <strong>Bremen</strong><br />
J O U R N A L<br />
09<br />
10
2<br />
inhALt<br />
titeLthemA Dr. Peter Heinen, Dr. John Koc<br />
4 Schwerpunkt: Suchtmedizin<br />
Dr. Heribert Fleischmann<br />
4 Behandlung Suchtkranker: Ethik und Ökonomie<br />
Prof. Dr. Stephan Teyssen<br />
7 Alkoholassoziierte Organschäden<br />
Dr. John Koc, Dr. Wolfgang Poser<br />
11 Benzodiazepine: Therapie, Missbrauch und Abhängigkeit<br />
Dr. Peter Heinen, Dr. John Koc<br />
13 Substitution in <strong>Bremen</strong>: Grundlagen und Empfehlungen<br />
Dr. Kerstin BoomgardenBrandes, Prof. Dr. Bernd Mühlbauer<br />
14 Einsatz von Benzodiazepinen bei Substitution problematisch<br />
Christel Lüdecke<br />
16 Sucht und Traumafolgestörung<br />
AktueLLeS 18 Hausarztverträge: Fluch oder Segen?<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
11 18 21 250 Fortbildungs-<br />
Fortbildungs-<br />
die Benzodiazepinabhängigkeit<br />
ist die dritthäufigste<br />
Suchtkrankheit in deutschland.<br />
durch sensiblen<br />
umgang und korrekten<br />
einsatz von Benzodiazepinen<br />
kann diese Abhängigkeit<br />
allerdings vermieden werden.<br />
diskussionen zu hausarztvertrags-modellen<br />
beschäftigen zurzeit viele<br />
Ärzte. kollektivvertrag<br />
oder hausarztzentrierte<br />
Versorgung? der hausärzteverband<br />
<strong>Bremen</strong> hat seine<br />
Wahl getroffen.<br />
20 Wahl zur Vertreterversammlung der KV <strong>Bremen</strong>: Auf die Liste, fertig los!<br />
21 Fortbildung für Krankenhausfachärzte<br />
RuBRiken 3 Bremer Standpunkt<br />
24 Akademie<br />
25 Namen und Nachrichten<br />
26 Recht<br />
26 Anzeigenbörse<br />
27 Impressum<br />
punkte<br />
23 Vorgestellt: Der Ausschuss Gesundheit, Umwelt, Prävention<br />
innerhalb von fünf Jahren<br />
müssen Fachärzte und<br />
psychologische Psychotherapeuten<br />
im krankenhaus<br />
250 Fortbildungspunkte<br />
nachweisen. der erste<br />
Fünf jahreszeitraum endet<br />
am 31. de zember.<br />
© Sven weber/Fotolia.com © WoGi/Fotolia.com © rrrob/Fotolia.com
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10 BRemeR StAndPunkt<br />
Ohne Fleiß mehr Preis?<br />
Mit einigen Erwartungen fuhr eine Bremer Delegation im Juli<br />
nach Erfurt. Dort sollte das Bundesarbeitsgericht über die Klage<br />
eines Bremer Arztes entscheiden. Der Arzt wollte klargestellt<br />
haben, dass ein Arbeitgeber nicht über die im Arbeitszeitgesetz<br />
vorgeschriebene Ruhezeit verfügen darf, sondern dass in dieser<br />
Zeit keine Arbeitspflicht angenommen werden darf. Dabei ging<br />
es dem Kläger nicht um quasi doppelte Vergütung von nächtlichen<br />
Bereitschaftsdiensten (weniger Arbeit wegen Ruhezeit<br />
und darüber hinaus Freizeitausgleich), sondern er forderte, dass<br />
der Arbeitgeber einen Freizeitausgleich für geleistete Dienste zu<br />
einer anderen Zeit als der gesetzlichen Ruhezeit gewähren<br />
müsse. Denn es wäre einem Arbeitgeber durchaus möglich, die<br />
Arbeitszeiten so zu planen, dass die ihm geschuldete Wochenarbeitszeit<br />
erbracht werden kann, obwohl Ruhezeiten nach Bereitschaftsdiensten<br />
anfallen. Ein dann eingeplanter Freizeitausgleich<br />
außerhalb der Ruhezeiten würde für beide Seiten zu einem<br />
befriedigenden Ergebnis kommen: Der Arbeitgeber vergütet<br />
den Dienst in zusätzlich gewährter Freizeit an Stelle von<br />
tatsächlich geschuldeter Arbeitsleistung, der Arzt hat seinerseits<br />
einen Vorteil gegenüber jenen, die keine Dienste leisten müssen.<br />
Wie solche Pläne aussehen könnten, haben wir im Bremer<br />
Ärztejournal vom Juni 2009 veröffentlicht. So wurde auch dem<br />
Gericht gegenüber argumentiert. Leicht fassungslos vernahm<br />
man dann das Urteil: Die gesetzliche Ruhezeit, in der der Gesetzgeber<br />
das Arbeiten verbietet, darf zum Freizeitausgleich für<br />
Bereitschaftsdienste benutzt werden, also quasi fiktiv vom Arbeitgeber<br />
als geschuldete Arbeitszeit verplant werden. Dies führt<br />
dann zu dem absurden Ergebnis, dass der Arbeitgeber gar keinen<br />
Anreiz hat, Arbeitspläne so aufzustellen, dass ein Arzt/eine<br />
Ärztin die tariflich geschuldete Wochenregelarbeitszeit trotz angeordneter<br />
Bereitschaftsdienste erbringen kann. Ein Arbeitgeber<br />
kann so viele Dienste anordnen, dass der Arzt/die Ärztin<br />
wegen der gesetzlichen Ruhezeiten (die nach dieser Logik als<br />
nicht gearbeitete aber geschuldete Arbeitszeit gelten) sein<br />
Stundensoll nicht erreicht, obwohl er beziehungsweise sie über<br />
die Maßen eben in Bereitschaftsdiensten eingesetzt wurde.<br />
Wer viele Bereitschaftsdienste machen muss, z. B. weil Ärzte<br />
fehlen, der bekommt dann „Minusstunden“ und weniger für<br />
seine Arbeitsleistung, als jemand der wenige oder keine Dienste<br />
macht. Wen wundert es dann, wenn Ärztinnen und Ärzte und<br />
übrigens auch Pflegekräfte nicht mehr bereit sind, aufreibende<br />
Nacht und Wochenenddienste zu leisten und sich andere<br />
Tätigkeitsfelder suchen. Die Konsequenz kann nur sein, dass<br />
Betroffene einer Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit<br />
von 48 Wochen stunden (inklusive aller Dienste!) nicht mehr<br />
zustimmen. Einem solchen „optout“ auf maximal z. B. 60 Wochenstunden<br />
(nach TVÄrzte/VKA) muss ja einzelvertraglich<br />
schriftlich zugestimmt werden. Und dazu kann man nur raten,<br />
wenn der Arbeitgeber sich gleichzeitig in diesem Vertrag verpflichtet,<br />
die Arbeitszeit so zu planen, dass keine „Minusstunden“<br />
entstehen oder aber eine Vergütungsregelung zugesteht,<br />
die das ebenfalls verhindert. Es bleibt außerdem der Weg, bei<br />
den nächsten Tarifverhandlungen zusätzlich eine entsprechende<br />
Regelung in die Tarif verträge aufzunehmen. Welche Bedeutung<br />
die „Minusstundenproblematik“ nicht nur in <strong>Bremen</strong> sondern<br />
deutschlandweit hat, zeigte sich ja schon an den Streiks in diesem<br />
Jahr. Durch die erreichte deutlich bessere Vergütung der<br />
Bereitschaftsdienststunden wird wenigstens dem Anreiz entgegen<br />
gewirkt, mit „billigeren“ Bereitschaftsdienststunden „teurere“<br />
Regelarbeitszeit aufzufüllen. Dennoch lässt der unverständliche<br />
Richterspruch die Problematik fortbestehen, dass<br />
ausgerechnet bei hoher Belastung durch viele angeordnete<br />
Dienste „Minusstunden“ entstehen und z. B. kein Ausgleichstag<br />
nach Wochenenddiensten frei gegeben werden kann, weil alle<br />
Stundenreserven aufgebraucht sind.<br />
Ohne Zweifel wäre für den Arbeitsfrieden insgesamt und auch<br />
als Zeichen der Wertschätzung des Einsatzes in Bereitschaftsdiensten<br />
eine andere Bewertung der gesetzlichen Ruhezeit hilfreicher<br />
gewesen. Denn die Betroffenen werden sich dennoch<br />
gemäß ihrem Gerechtigkeitsempfinden verhalten und dort, wo<br />
Arbeitgeber an schlechten Arbeitszeitmodellen mit hoher Dienstbelastung<br />
und „Vergütung“ durch „Minusstunden“ festhalten,<br />
ihre eigentlich so dringend gebrauchte ärztliche Arbeitskraft<br />
nicht mehr zur Verfügung stellen. Wer dann noch über 48 Wochenstunden<br />
ärztlich tätig sein möchte, kann das ja als Honorararzt<br />
tun. Vielleicht also war der Richterspruch aus Erfurt nur eine<br />
sehr subtile Erinnerung daran, dass auch für angestellte Ärztinnen<br />
und Ärzte gilt: Der Arztberuf ist ein freier Beruf!<br />
Dr. Heidrun Gitter,<br />
Vizepräsidentin der <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong><br />
3
4<br />
Schwerpunkt:<br />
Suchtmedizin<br />
Aufgrund der Häufigkeit und Schwere<br />
von Suchterkrankungen und ihren Bedeutungen<br />
für alle medizinischen Bereiche<br />
wurde für diese Ausgabe das Thema<br />
Suchtmedizin gewählt. Sie finden Beiträge<br />
zu ethischen und ökonomischen Aspekten,<br />
zum Thema Alkoholfolgeerkrankungen<br />
sowie den Vor und Nachteilen<br />
des moderaten Alkoholkonsums, zur Benzo<br />
diazepinAbhängigkeit (und zum Verschreibungsverhalten)<br />
sowie zur Behandlung<br />
und Substitution Drogenabhängiger,<br />
auch im Hinblick auf somatische und psychiatrische<br />
Komorbidität. Eine aktuelle<br />
Übersicht über alle Angebote der Bremer<br />
Sucht und Drogenhilfe finden Sie auf der<br />
Internetseite des Bremer Ärztejournals<br />
www.baej.de. Wir danken allen Autoren<br />
herzlich. Aufgrund des begrenzten Plat<br />
zes konnten wir einige Themen leider<br />
nicht berücksichtigen. Die stoffungebundenen<br />
Süchte z. B. wären einen eigenen<br />
Schwerpunkt wert gewesen. Wir hoffen<br />
jedoch, dass Sie interessante Beiträge<br />
und Anregungen entdecken und für die<br />
Thematik sensibilisiert werden. Es lohnt<br />
sich!<br />
Dr. Peter Heinen,<br />
Facharzt für Allgemeinmedizin,<br />
Dr. John Koc,<br />
Facharzt für Psychiatrie,<br />
Suchtmedizinische Grundversorgung,<br />
<strong>Bremen</strong><br />
Ethik<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Behandlung<br />
Ökonomie und Ethik sind auch bei der Versorgung<br />
Suchtkranker in der Regel Gegenpositionen. Kriterien für eine<br />
optimierte Verteilung von knappen Gütern für Suchtkranke<br />
müssen entwickelt, das Suchtkonzept auf<br />
seine ethischen Implikationen<br />
hinterfragt werden.<br />
Ökonomie wird auf die Verteilung knapper<br />
Mittel nach betriebswirtschaftlicher Rationalität<br />
reduziert, Rationierungsmaßnahmen<br />
werden mit wirtschaftlichen Zwängen<br />
begründet, die im Prinzip gegen den zentralen<br />
Grundsatz der Versorgung ohne Ansehen<br />
von Status und Person verstoßen,<br />
was nach dem ärztlichen Ethos nicht zu<br />
rechtfertigen ist, aber „ökonomisch“ als<br />
unumgänglich gilt. Ressourcen für Suchtkranke<br />
konkurrieren mit Gütern, die für die<br />
Bewältigung anderer Krankheiten und anderer<br />
gesellschaftlicher Aufgaben benötigt<br />
werden. Sind sie ökonomisch und ethisch<br />
zu rechtfertigen?<br />
Ausmaß des Ressourcenbedarfs<br />
Nach dem Ansatz der Global Burden of DiseaseStudie<br />
verlieren Bürger der Industrienationen<br />
die meisten gesunden Lebensjahre<br />
durch alkoholbedingte Erkrankungen<br />
(5 Prozent) nach ischämischen<br />
Herzerkrankungen (8,4 Prozent) und der<br />
unipolaren Depression (7,9 Prozent). Von<br />
etwa 82 Millionen Deutschen sind ca. 40<br />
Millionen der 18 bis 59Jährigen Alkoholkonsumenten.<br />
Davon haben 9,6 Millionen<br />
alkoholbezogene körper liche, psychische<br />
oder soziale Störungen. Etwa 1,6 Millionen<br />
leiden an der psy chischen Erkrankung<br />
„Alkohol abhängigkeit“. In somatischen Kliniken<br />
werden ca. 770.000 Menschen mit<br />
alkoholbezogenen Störungen behandelt.<br />
Alkoholabhängigkeit wird bei der Ermittlung<br />
der DRG bei 300.000 Kranken als<br />
Hauptdiagnose gestellt. In der Suchtpsychiatrie<br />
werden weitere 300.000 Alko holabhängige<br />
behandelt. Aufgrund ökonomischer<br />
(?) Zwänge kam es seit Einführung<br />
der PsychPV 1991 zu einer Umverteilung<br />
der erbrachten Leistungen, weg<br />
von mehr (psycho)therapienahen hin zu<br />
kriseninterventionellen Therapieverfahren.<br />
Die Verlagerung in Richtung medizinisch<br />
aufwändiger Behandlungsfälle hat<br />
zu einer Leistungsverdichtung mit einer<br />
Verkürzung der Behandlungszeiten geführt,<br />
die in vielen Einrichtungen die<br />
Effektivität der Behandlung in Frage<br />
stellt. In Einrichtungen des Suchthilfesystems<br />
werden ca. 55.000 stationäre<br />
und 155.000 ambulante Entwöhnungsbehandlungen<br />
pro Jahr durchgeführt. Die<br />
volkswirtschaftlichen Kosten werden für<br />
das Jahr 2002 in Deutschland auf insgesamt<br />
24,4 Milliarden Euro geschätzt. Dies<br />
entspricht 1,16 Prozent des BIP. 69,8 Prozent<br />
der Gesamtkosten werden durch<br />
Männer verursacht. 8,4 Milliarden Euro<br />
entfallen auf direkte Kosten wie die ambulante<br />
und stationäre Behandlung oder<br />
die Rehabilitation. 60 Milliarden Euro<br />
werden für indirekte Kosten wie Mortalität,<br />
Arbeitsunfähigkeit, Frühberentung<br />
© Gina Sanders/Fotolia.com © Alx/Fotolia.com
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10 Suchtmedizin<br />
Suchtkranker<br />
Ökonomie<br />
ausgegeben. Der Ausgabenanteil für Sucht<br />
liegt im Vergleich zu anderen psychischen<br />
Erkrankungen bei unterproportional niedrigen<br />
12 Prozent.<br />
Moral und Ethik<br />
Sucht wird häufig als Ergebnis eines<br />
schuldhaft selbstschädigenden Verhaltens<br />
gesehen. Entsprechend moralisierend begegnet<br />
man Suchtkranken. Das Bundessozialgericht<br />
hat dagegen bereits 1968<br />
festgestellt, dass Trunksucht eine Krankheit<br />
ist, mit Kontrollverlust und Unfähigkeit,<br />
das Trinken zu beenden. Trotzdem<br />
wird Sucht nicht immer als Krankheit begriffen.<br />
Die Ignoranz betrifft nicht nur<br />
Laien, sondern auch „Fachleute“ der medizinischen<br />
Versorgung und Krankenversicherer.<br />
Wenn nun aber Sucht eine Krankheit<br />
ist, dann gelten für Alkoholkranke die<br />
gleichen ethischen Maßstäbe wie für alle<br />
Kranken. Beauchamp und Childress (2009)<br />
unterscheiden aus medizinethischer Sicht<br />
„4 Prinzipien mittlerer Reichweite“, nämlich<br />
das Nichtschadensprinzip, das Prinzip<br />
der positiven Fürsorgepflicht, das Prinzip<br />
der Selbstbestimmung und des Respekts<br />
vor der Autonomie sowie das Prinzip der<br />
(Verteilungs)Gerechtigkeit oder Fairness.<br />
Ziel ist die gerechte Verteilung von Ressourcen,<br />
wie z. B. finanzielle Mittel oder<br />
andere Güter – auch für Suchtkranke.<br />
„Gleiche sollen gleich, Ungleiche ungleich<br />
behandelt werden“. Ferner sollen Güter<br />
„je nach Bedarf verteilt werden“. Es geht<br />
folglich um bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen.<br />
Zur Ökonomie der Behandlung<br />
Die Wirtschaftswissenschaft untersucht<br />
den rationalen Umgang mit Gütern, die<br />
nur beschränkt verfügbar sind. Nachhaltiges<br />
Wirtschaften bedeutet, die Bedürfnisse<br />
der heutigen Zeit so zu befriedigen,<br />
dass auch nachfolgende Generationen ein<br />
intaktes ökologisches, soziales und ökonomisches<br />
System vorfinden und somit<br />
dieselben Möglichkeiten haben, ihre Bedürfnisse<br />
zu befriedigen, wie die heutige<br />
Generation. Man spricht deshalb von Generationengerechtigkeit.<br />
Für eine gerechte<br />
Verteilung von Gütern für Suchtkranke<br />
– auch im Hinblick auf andere konkurrierende<br />
Versorgungsbedarfe – müssen<br />
Kriterien für die Vorzugswürdigkeit bestimmter<br />
Leistungen (Priorisierungsregeln)<br />
mit dem Ziel der „OutcomeMaximierung“<br />
angegeben werden. Unter anderen sind<br />
dies „Wirkung“ (Effektivität) einer Leistung<br />
in Bezug auf Ressourcenverbrauch<br />
sowie „Inanspruchnahme“ der Leistung<br />
(Effizienz). Ziel muss sein, das Geld so<br />
auszugeben, dass es den größtmöglichen<br />
individuellen und gesellschaftlichen Nut<br />
zen hat. Unter Effektivitätsgesichtspunkten<br />
wird meist ein linearer Zusammenhang<br />
zwischen Ressourcenverbrauch (Aufwand,<br />
Kosten) und Effekt (Nutzen) angenommen,<br />
wobei in der Realität um<br />
gekehrte UKurven – wie letztlich bei allen<br />
Wirkungsgradkurven – zu erwarten und<br />
klinisch zu beobachten sind. So hat jeder<br />
(therapeutische) Aufwand ein optimales<br />
Wirkungsmaximum, das nicht immer auf<br />
linearen Weg erreicht wird. Ein weiteres<br />
Kernkriterium für die Beurteilung einer<br />
gerechten Ressourcenverteilung ist die Inanspruchnahme<br />
beziehungsweise Akzeptanz<br />
einer Leistung. Die Feststellung, dass<br />
eine Leistung mit großem Nutzen für wenige<br />
beziehungsweise eine Leistung mit<br />
geringem Nutzen für viele ökonomisch<br />
fragwürdig ist, ist trivial, und doch werden<br />
solche Grundsätze nicht immer beachtet.<br />
So bekommen (gleiche) psychisch<br />
Kranke in unterschiedlicher Weise Ressourcen<br />
zugeteilt.<br />
Mögliche Versorgungsstrukturen<br />
Es stellt sich somit aus ethischer und ökonomischer<br />
Sicht gleichermaßen, das<br />
heißt widerspruchsfrei, die Frage nach<br />
Kriterien für eine gerechte, das heißt optimierte<br />
Verteilung von knappen Gütern<br />
für Suchtkranke. Unter diesen Aspekten<br />
ist ein gegliedertes System von Versorgungsebenen<br />
mit spezifischen Aufträgen,<br />
Kompetenzen, Verantwortungen und Qualitätsansprüchen<br />
zu definieren. In groben<br />
Zügen können drei Versorgungsebenen<br />
unterschieden werden: Die Ebene der<br />
Kontaktaufnahme und Primärversorgung<br />
(somatische Kliniken, Hausärzte und Beratungsinstitutionen);<br />
auf der zweiten<br />
Ebene die suchtspezifische Basisversorgung<br />
(Spezialambulanzen, suchtpsychiatrische<br />
Institutsambulanzen und psychosoziale<br />
Behandlungs und Beratungsstellen);<br />
auf der dritten Ebene die suchtspezifische<br />
Spezialversorgung (Spezialkliniken<br />
und ambulante Spezialeinrichtungen für<br />
Rehabilitation/Entwöhnung). Diese Versorgungsebenen<br />
sind horizontal und vertikal<br />
zu vernetzen, um eine optimale Inanspruchnahme<br />
zu erreichen (eine bedarfsgerechte<br />
Versorgung bedeutet nicht<br />
eo ipso eine Zuweisung nach maximalistischen<br />
Versorgungsregeln). Für eine verbesserte<br />
Versorgungsgerechtigkeit sind<br />
auch neue Organisationsformen der Vernetzung<br />
und Integration ambulanter, teilstationärer<br />
und stationärer Angebote<br />
über die verschiedenen Therapieformen<br />
wie Entzugsbehandlungen, Reha bili tation,<br />
Behandlung chronisch mehr fach<br />
5
6<br />
Suchtmedizin<br />
Beeinträchtigter hinaus zu entwickeln. Solche<br />
Maßstäbe müssen gleichermaßen für<br />
die Optimierung der Kostenträgerlandschaft<br />
gelten, wobei die Vorzüge des gegliederten<br />
Systems erhalten bleiben müssen.<br />
Chancen und Risiken in Thesen<br />
Ethik und Ökonomie im so verstandenen<br />
Sinne eröffnen Chancen für die Suchtkrankenbehandlung.<br />
Sucht ist im gegliederten<br />
System, auch im Entzug, primär als<br />
psychische Erkrankung zu behandeln. Die<br />
hohe Belastung mit somatischer und psychischer<br />
Komorbidität spricht für interdisziplinäre<br />
Behandlungsansätze in multiprofessionellen<br />
Teams (biopsychosozialer<br />
Ansatz). Ein gegliedertes Versorgungssystem<br />
verhindert unangepasste Minimal<br />
oder Maximalversorgung unter Nutzung<br />
von Synergien. Integrative Organisationsformen<br />
mit nahtlosen Übergängen<br />
zwischen den Behandlungsformen einschließlich<br />
Rehabi litation und den am bulanten<br />
sowie (teil)stationären Versorgungssegmenten<br />
sind gleichermaßen ethisch<br />
wie ökonomisch begründet. Dies gilt<br />
auch für die Vernetzung des psychosozialen<br />
Suchthilfesystems mit der Suchtpsychiatrie,<br />
dem medizinischsomatischem Hilfesystem,<br />
der Alten und Jugendhilfe und<br />
der Forensik. Die Risiken wären bei „ökonomischer“,<br />
auf Betriebswirtschaft reduzierter<br />
Betrachtung erheblich. Ziel wäre<br />
dann eine Gewinnmaximierung von Ren<br />
diten z. B. auf Kosten der tatsächlichen<br />
Qualität bei hoher formalistischer, das<br />
heißt bürokratischer, Qualität. Therapeuten<br />
müssten nach „Produktivität“ (z. B. Patientenkontakte<br />
pro Zeiteinheit) „gemessen“<br />
werden. Leichter „kalkulierbare“ somatische<br />
Aspekte der Sucht würden stärker<br />
gewichtet unter Verkennung von Sucht als<br />
psychische Erkrankung. Die Ablehnung von<br />
Fallpauschalen (DRG) in der Psychiatrie<br />
wäre kaum zu begründen. Falsche Behandlungsanreize<br />
mit sekundären Stigmatisierungen<br />
der Patientengruppe wären<br />
nicht zu verhindern. Eine zunehmende<br />
„Kapitalisierung“ von Sucht/Krankheit<br />
drohte gleichermaßen durch die Suchtmittelindustrie<br />
(Markterschließung), durch Patienten<br />
(Krankheit als letzter „Besitz“, der<br />
ein Einkommen über AU oder Frührente<br />
sichert), durch die Versichertengemeinschaft<br />
(Gesundheit als Ware und käufliches<br />
Gut), durch Kostenträger („Industrialisierung“<br />
in Form von Therapiepaketen wie<br />
bei Pauschalreisen), durch Wissenschaft<br />
(Reduzierung auf vermarktbare evidenzbasierte<br />
Strategien unter Ausgrenzung erfahrungsbasierter,<br />
der multidimensionalen<br />
Komplexität von Krankheit Rechnung tragender<br />
Therapieformen), durch Therapeuten<br />
(Einstellungs und Haltungswandel in<br />
der TherapeutPatientBeziehung in Richtung<br />
Priorisierung des Erlöswertes der<br />
Krankheit statt Fokussierung der Bedürftigkeit<br />
des kranken Menschen).<br />
Wenn die Seele auf den Körper drückt<br />
Bei etwa einem Viertel aller Patienten finden Ärzte keine oder keine ausreichenden<br />
organischen Ursachen für ihre Beschwerden – trotz HighTechMedizin und<br />
moderner Diagnostik. Somatoforme Störungen sind deshalb am 22. September<br />
Thema in der Veranstaltungsreihe „KVHB: Hautnah – Eine Veranstaltung für Patienten<br />
und deren Angehörige“.<br />
Datum: Mittwoch, 22. September 2010<br />
Uhrzeit: 16.00 bis ca. 17.30 Uhr<br />
Ort: Kassenärztliche Vereinigung <strong>Bremen</strong> (KVHB)<br />
Gebühr: Kostenlos<br />
Referenten: Dr. Renate Ronski (Fachärztin für Allgemeinmedizin)<br />
Dr. Christiane König (Fachärztin für Gynäkologie)<br />
Christian Warrlich (Ärztlicher Psychotherapeut)<br />
Carmen Vogel (Gesundheitsamt <strong>Bremen</strong> / Selbsthilfe und Gesundheitsförderung)<br />
Dr. Thomas Liebsch (Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV <strong>Bremen</strong>)<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Herausforderungen<br />
Konzepte für den Umgang mit neuen<br />
Süchten wie z. B. Glücksspiel, Internet<br />
oder Mediensucht sind zu entwickeln.<br />
Neue Behandlungsmethoden wie die<br />
Diamorphinbehandlung sind ethisch und<br />
ökonomisch zu überprüfen, ebenso die<br />
von Kostenträgern unter dem Aspekt der<br />
Kostenminimierung favorisierte Ambulantisierung<br />
der Behandlung. Positionierungen<br />
sind gegenüber Phänomenen wie<br />
dem NeuroEnhancement und „Brain<br />
doping“, neuen Formen der Selbstmanipulation,<br />
erforderlich. Möglichkeiten zur<br />
besseren Vernetzung und Kooperation<br />
über die Systemgrenzen hinaus sind zu<br />
prüfen. Priorisierungsregeln und Verteilungskriterien<br />
für die Ressourcenallokation<br />
sind weiter zu entwickeln. Das Suchtkonzept<br />
ist auf seine ethischen Implikationen<br />
zu hinterfragen. Innovative Therapieformen<br />
unter Einbeziehung des Inter <br />
nets mit virtuellen Sucht und Konsum<br />
räumen einerseits sowie Therapie räumen<br />
andererseits sind auf Wirksamkeit, Erreichbarkeit<br />
und ethischökonomische<br />
Verträglichkeit zu untersuchen.<br />
Literatur beim Verfasser.<br />
Dr. Heribert Fleischmann,<br />
Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und<br />
Psychotherapie,<br />
Bezirkskrankenhaus Wöllershof<br />
KVHB: Hautnah – Eine Veranstaltung für Patienten und deren Angehörige<br />
www.kvhb.de/<br />
termine/hautnah.php
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10 Suchtmedizin<br />
Alkoholassoziierte Organschäden<br />
Alkoholhepatitis und Pankreatitis zählen zu den häufigsten Folgeerkrankungen erhöhten<br />
Alkoholkonsums. Trotz einiger Studienergebnisse zu positiven Auswirkungen moderaten<br />
Alkoholkonsums auf das Herz-Kreislaufsystem steht fest: Risikofreies Alkoholtrinken gibt<br />
es nicht.<br />
Abb. 1: Wirkung des akuten und chronischen Alkoholkonsums auf die Mundhöhle, den Rachen und den<br />
Gastrointestinaltrakt.<br />
Alkoholassoziierte Erkrankungen gehen<br />
mit erheblichen gesundheitlichen und sozialen<br />
Folgen für Patienten, Familien und<br />
die Gesellschaft einher. Positiv ist trotzdem,<br />
dass der überwiegende Anteil der<br />
Bevölkerung alkoholische Getränke in einer<br />
Weise zu sich nimmt, die nicht zu negativen<br />
Folgen für die eigene Person oder<br />
für Dritte führt (vgl. Tab. 1). Obwohl es<br />
„nur“ eine Minderheit der Bevölkerung<br />
ist, die mit alkoholischen Getränken nicht<br />
adäquat umgehen kann, sind die alkoholbedingten<br />
Folgen in der Gesellschaft beträchtlich.<br />
Weltweit schätzt die WHO, dass<br />
6 Prozent des Bruttosozialproduktes einer<br />
Industrienation für die alkoholassoziierten<br />
Folgeschäden verwendet werden. Der<br />
volkswirtschaftliche Schaden beziffert sich<br />
in Deutschland auf etwa 24 Milliarden<br />
Euro jährlich (DHS 2008). Neben den gesundheitlichen<br />
Schäden spielen auch andere<br />
Risiken im Zusammenhang mit Alkohol<br />
eine Rolle, z. B. alkoholbedingte Unfälle<br />
am Arbeitsplatz oder Probleme im<br />
sozialen Bereich. Bis zu 75 Prozent der<br />
Alkoholiker, die zur stationären Entwöhnungsbehandlung<br />
kommen, leiden an<br />
Alkoholfolgekrankheiten. Bei 29 Prozent<br />
der Männer und 9 Prozent der Frauen, die<br />
in ein Allgemeinkrankenhaus eingewiesen<br />
wer den, liegt eine alkoholassoziierte<br />
Erkrankung vor. Besonders betroffen sind<br />
Erwachsene im mittleren Alter (3555<br />
Jahre).<br />
Alkohol schädigt direkt und konzentrationsabhängig<br />
die Schleimhaut von Mundhöhle<br />
und Ösophagus und kann eine Refluxösophagitis<br />
unterschiedlichen Grades<br />
hervorrufen. Neben der Wirkung auf die<br />
Schleimhaut senkt Alkohol am Ösopha<br />
Anteil [%]<br />
3,1 Lebenslang abstinente Personen<br />
8,0 Nur letzte 12 Monate abstinent<br />
14,1 Nur letzte 30 Tage abstinent<br />
gus beim gesunden Menschen akut den<br />
Tonus des unteren Ösophagussphinkters<br />
beziehnungsweise hemmt die primäre<br />
Peristaltik. Daraus resultiert ein gehäuftes<br />
und verlängertes Auftreten gastroösophagealer<br />
Refluxe mit verminderter<br />
ÖsophagusClearance. Chronischer Alkoholkonsum<br />
bewirkt zusätzlich zu diesen<br />
Veränderungen eine veränderte sekundäre<br />
Peristaltik. Im Magen schädigt Alkohol<br />
in den Konzentrationen und Mengen<br />
in alkoholischen Getränken (1040 Vol.%)<br />
innerhalb von 30 Minuten zu dosisabhängigen<br />
Läsionen der Magenmukosa mit der<br />
Folge einer akuten (hämorrhagischen) Gas<br />
tritis, dessen Abheilung mehr als 24 Stunden<br />
dauert (vgl. Abb. 2, Seite 8). Eine<br />
Potenzierung der toxischen Alkoholwirkung<br />
ist durch zusätzlichen Gebrauch von<br />
nichtsteroidalen Antiphlogistika mög lich.<br />
Äthanol hat einen konzentrationsab hängigen<br />
Effekt auf die Magensäure sekretion:<br />
niedrigprozentige Äthanollösungen (bis<br />
4 Vol.%) bewirken eine mäßige Stimulation,<br />
höherprozentige (bis 40 Vol.%)<br />
Äthanollösungen hemmen eher die Magensäuresekretion.<br />
Dagegen stimulieren<br />
durch Vergärung hergestellte alkoholische<br />
Getränke wie Bier, Wein, Champagner<br />
oder Sherry die Magensäuresekretion<br />
nahezu maximal. Untersuchungen<br />
der eigenen Arbeitsgruppe haben<br />
gezeigt, dass es sich bei den maximal die<br />
Verteilung des Alkoholkonsums der erwachsenen Bundesbürger<br />
(Altersgruppe 18–64 Jahre)<br />
Tab. 1<br />
64,2 Risikoarmer Konsum > 0 – 30 g beim Mann; > 0 – 20 g bei der Frau<br />
7,9 Riskanter Konsum > 30 – 60 g beim Mann; > 20 – 40 g bei der Frau<br />
2,8 Gefährlicher oder<br />
Hochkonsum<br />
> 60 g beim Mann; > 40 g bei der Frau<br />
7
8<br />
Suchtmedizin<br />
a b<br />
Magensäure stimulierenden Inhaltsstoffen<br />
um die Dicarboxylsäuren Bernsteinsäure<br />
und Maleinsäure handelt. Alkoholische<br />
Getränke, die durch alkoholische<br />
Vergärung und anschließende Destillation<br />
entstehen, z. B. der Großteil der Aperitifs<br />
und hochprozentige Spirituosen,<br />
stimulieren die Säuresekretion nicht. Epidemiologische<br />
Studien deuten darauf<br />
hin, dass chronischer Alkoholkonsum kein<br />
Risikofaktor für die Helicobacterpylori<br />
Prävalenz in der Magenschleimhaut darstellt.<br />
Eine Interaktion zwischen der mukosaschädigenden<br />
Wirkung des Äthanols<br />
und einer präexistenten HelicobacterpyloriInfektion<br />
konnte bislang nicht nachgewiesen<br />
werden. Die große Mehrheit<br />
der retrospektiven, epidemiologische Untersuchungen<br />
kommen zu dem Schluss,<br />
dass akuter und chronischer Alkoholkonsum<br />
nicht mit einer erhöhten Inzidenz<br />
von Ulcera peptica im Magen und Duodenum<br />
assoziiert ist.<br />
Am Dünndarm schädigt Alkohol die<br />
Schleimhaut konzentrationsabhängig über<br />
die gleichen Mechanismen wie beim Ösophagus<br />
und Magen. Daraus kann eine Reduzierung<br />
der Dünndarmoberfläche (Zottenatrophie)<br />
und Hemmung der Absorption<br />
zahlreicher Nährstoffe im Dünndarm<br />
(wie Glucose und Aminosäuren) resultieren.<br />
Klinisch relevant wird diese Dünndarmschädigung<br />
aber nur bei starkem,<br />
chronischem Alkoholkonsum (Männer<br />
über 60 g/Tag, Frauen über 30 bis 40 g/<br />
Tag). Die alkoholinduzierte Mukosaschädigung<br />
hat jedoch weitreichende Folgen, da<br />
neue Studien darauf hinweisen, das durch<br />
die hierdurch bedingte Endotoxinämie<br />
einen entscheidende Rolle für alkoholassoziierte<br />
Organschäden, wie z. B. die Leberzirrhose,<br />
chronische Pankreatitis, Hirnatrophie,<br />
zerebrovaskuläre Erkrankungen<br />
und Polyneuropathie, darstellt.<br />
Alkohol folge erkrankungen<br />
Die Lebererkrankungen (Fettleber, Alkoholhepatitis,<br />
Zirrhose), die chronische<br />
Abb. 2:<br />
Wirkung von<br />
100 ml Whisky,<br />
der endoskopisch auf<br />
die Antrum mukosa<br />
des Magens gesprüht<br />
wurde:<br />
a) nach 240 Minuten;<br />
b) nach 24 Stunden.<br />
Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis)<br />
und die Malignomerkrankungen<br />
sind die häufigsten Alkoholfolgeerkrankungen.<br />
Eine Fettleber wird bei Patien<br />
ten mit chronischen Alkoholkonsum in<br />
bis zu 90 Prozent, eine Alkoholhepatitis<br />
in bis zu 50 Prozent und eine Leberzirrhose<br />
zwischen 20 und 30 Prozent gesehen.<br />
In Deutschland wird die Anzahl<br />
der Patienten mit Leberzirrhose auf mindestens<br />
300.000 geschätzt, davon mehr<br />
als 50 Prozent mit alkoholbedingter Zirrhose.<br />
Die Akutmortalität der Alkoholhepatitis<br />
liegt zwischen 15 und 25 Prozent<br />
(Haupttodesursachen sind Leberkoma,<br />
gastrointestinale Blutungen, das sogenannte<br />
hepatorenale Syndrom und Infektionen),<br />
die Vierjahresmortalität liegt bei<br />
35 Prozent. Besteht zum Zeitpunkt der<br />
Alkoholhepatitis eine Zirrhose, beträgt die<br />
Vierjahresmortalität sogar 60 Prozent. Mit<br />
einer deutlichen Risikosteigerung für die<br />
Lebererkrankung ist bei Männern ab einem<br />
Alkoholkonsum zwischen 40 und 60 g/Tag<br />
und bei Frauen ab einem Alkoholkon<br />
sum von 20 bis 30 g/Tag zu rechnen. Bis<br />
40 g/Tag wird kein sicherer Effekt bei<br />
Männern beobachtet, bei 60 g/Tag ist das<br />
Risiko sechsfach erhöht, bei 80 g/Tag vierzehnfach<br />
erhöht. Das Risiko der Frau ist<br />
nahezu doppelt so hoch wie das der Männer.<br />
Neuere Daten zeigen bereits für geringe<br />
Mengen (12 g/Tag) ein im Vergleich<br />
zu Nichttrinkern erhöhtes Risiko für eine<br />
Leberzirrhose. Neben Veränderungen des<br />
Immunsystems, der toxischen Wirkung des<br />
Acetaldehyds, metabolischen Auswirkungen<br />
(oxidativer Stress, Endotoxin bzw.<br />
Zytokinexpression, Aktivierung neutrophiler<br />
Granulozyten etc.) spielen Ernährungsfaktoren<br />
in der Pathogenese alkoholinduzierter<br />
Lebererkrankungen eine Rolle.<br />
Die häufigste und wichtigste alkoholbedingte<br />
Erkrankung des Pankreas ist die<br />
chronische Pankreatitis und imponiert klinisch<br />
häufig als eine „akute“ Pankreatitis<br />
bei bereits bestehenden morphologischen<br />
Zeichen einer chronischen Bauch<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
speicheldrüsenerkrankung. Bei einem<br />
chronischen Alkoholabusus von mehr als<br />
80 g Alkohol (entspricht circa 1 Liter Wein)<br />
pro Tag und einer Dauer von durchschnittlich<br />
17 Jahren bei Männern und zehn Jahren<br />
bei Frauen ist eine klinische Manifestation<br />
der chronischen Pankreatitis absehbar.<br />
Dabei spielt nicht die Art des alkoholischen<br />
Getränks, sondern die abso <br />
lute Alkoholmenge für die Entwicklung<br />
der chronischen Pankreatitis die entscheidende<br />
Rolle. Als untere Dosis, ab der das<br />
Risiko für eine chronische Bauchspeicheldrüsenerkrankung<br />
ansteigt wird ein täglicher<br />
Alkoholkonsum von 20 g/Tag angenommen,<br />
wobei keine toxische Schwel <br />
lendosis existiert.<br />
Kardiovaskuläre Erkrankungen<br />
Gegenstand der öffentlichen Diskussion<br />
sind die positiven Auswirkungen des moderaten<br />
Alkoholkonsums auf das Herz<br />
Kreislaufsystem. Tatsächlich scheint moderater<br />
Alkoholkonsum die Mortalität bei<br />
der koronaren Herzerkrankung (KHK) zu<br />
senken. Mögliche, die Mortalität beeinflussende<br />
Mitfaktoren („confounder“) wie<br />
Alter, Rauchen, Hypertonie, BMI (Body<br />
Mass Index), Gesamtcholesterin und HDL<br />
Cholesterin sind von untergeordneter Bedeutung.<br />
Die bisherigen Forschungsergebnisse<br />
deuten darauf hin, dass ein geringer<br />
bis moderater Alkoholkonsum pro<br />
Tag einen günstigen Effekt bei der Vorbeugung<br />
der koronaren Herzerkrankung<br />
und bei Durchblutungsstörungen des Gehirns<br />
(i.e. Schlaganfall) hat. Diese Wirkung<br />
scheint aber nur dann einzutreten,<br />
wenn keine anderen Risiken wie Herzrhythmusstörungen,<br />
Bluthochdruck und<br />
Stoffwechselstörungen vorliegen und das<br />
45. bis 50. Lebensjahr überschritten ist.<br />
Die als „french paradox“ beschriebene<br />
Beobachtung, dass vor allem bei der<br />
stark Rotwein trinkenden französischen<br />
Bevölkerung eine sehr niedrige Inzidenz<br />
der koronaren Herzerkrankung aufweist,<br />
wurde neben der Alkoholwirkung auf die<br />
im Rotwein sehr hohe Konzentration an<br />
phenolischen Inhaltsstoffen zurückgeführt.<br />
Jedoch konnte in mehreren Studien<br />
gezeigt werden, dass vor allem der Alkoholgehalt<br />
und nicht die Phenole hinsichtlich<br />
ihrer kardioprotektiven Wirkung entscheidend<br />
sind und dass diese Wirkung<br />
unabhängig vom alkoholischen Getränk<br />
ist (z. B. Wein, Bier, Spirituosen). Unabhängig<br />
hiervon können phenolische Inhaltsstoffe<br />
des Weins als Antioxidanzien<br />
im LDLStoffwechsel wirken und so zum<br />
antiatherogenen Effekt von Wein beitra
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10 Suchtmedizin<br />
gen (vgl. Tab. 2). Entscheidend bei der<br />
Alkoholwirkung ist außerdem nicht die<br />
rechnerisch durchschnittlich getrunkene<br />
Alkoholmenge, sondern der gleichmäßige<br />
Konsum einer moderaten Alkoholmenge<br />
pro Tag. Die protektive Alkoholwirkung<br />
wird höchstwahrscheinlich durch<br />
dessen Einfluss auf die Atherogenese und<br />
insbesondere auf den Lipoproteinstoffwechsel<br />
bewirkt, was zu einem günstigen<br />
HDL/LDLQuotienten führt (vgl. Tab. 2). Die<br />
Beziehung zwischen Alkoholkonsum und<br />
Gesamtmortalität ist nicht Lförmig, sondern<br />
Uförmig. Moderater Alkoholkonsum<br />
weist – ohne Korrektur für Risikofakto<br />
ren – eine bis zu 60prozentige Reduktion<br />
der Zahl der Gesamttodesfälle auf. Ein<br />
protektiver Effekt wäre bei einem Alkoholkonsum<br />
zwischen 20 bis 40 g/Tag für<br />
Männer und für Frauen deutlich darunter<br />
anzunehmen. Bei höherem Alkoholkonsum<br />
steigt die Gesamtmortalität wieder<br />
an. Der protektive Effekt moderater Alkoholmengen<br />
ist auch bei Patienten mit<br />
bereits manifester KHK nachweisbar. Erwähnenswert<br />
ist, dass ein vergleichbarer<br />
Effekt auch durch eine ausgewogene Ernährung<br />
(Stichwort: „mediterrane Diät“)<br />
und sportliche Betätigung möglich ist.<br />
Erkrankungen, auf die moderater Alkoholkonsum eine<br />
höchstwahrscheinlich protektive Wirkung ausübt<br />
Koronare Herzerkrankung<br />
Protektive Wirkungsmechanismen des Alkohols<br />
n Erhöhung der HDL 2 und HDL 3 Fraktionen<br />
n Senkung des Fibrinogen, der Blutplättchenaggregation und<br />
– in geringem Ausmaß – des LDLs<br />
n Erhöhung der fibrinolytischen Aktivität<br />
n Das genetisch determinierte Lipoproteina wird gesenkt<br />
Akuter aber vor allem chronischer Alkoholabusus<br />
birgt die Gefahr der Entstehung<br />
von Herzrhythmusstörungen wie<br />
z. B. supraventrikuläre Tachyarrhythmien<br />
(sogenannte „holiday heart syndrome“),<br />
Vorhofflattern, ventrikulären Extrasystolen<br />
sowie verschiedenen Formen der Erregungsleitungsverzögerungen<br />
mit AV<br />
Blockierungen und Schenkelblockbildern.<br />
Inwieweit diese Arrhythmien auf die direkte<br />
arrhythmogene Potenz von Äthanol<br />
zurückzuführen sind, bleibt unklar. Zahlreiche<br />
Studien konnten eindeutig die erhöhte<br />
Inzidenz an Fällen von plötzlichem<br />
Herztod bei Patienten mit schwerem Alkoholabusus<br />
nachweisen. Etwa ein bis<br />
zwei Prozent aller Patienten mit chronischem<br />
Alkoholabusus entwickeln Symptome<br />
einer Herzinsuffizienz. Andererseits<br />
sind zwischen 40 und 60 Prozent der dilatativen<br />
Kardiomyopathien „unklarer Genese“<br />
auf chronischen Alkoholabusus zurückzuführen,<br />
wobei für die Krankheitsmanifestation<br />
die lebenslang kumulativ<br />
aufgenommene Alkoholmenge von ca.<br />
40 bis 80 g/Tag von entscheidender Bedeutung<br />
zu sein scheint. Außerdem wirkt<br />
Alkohol in einer linearen Beziehung<br />
blutdruckerhöhend: Ab einem Alkohol<br />
Protektive Wirkungsmechanismen der phenolischen inhaltsstoffe<br />
alkoholischer Getränke<br />
n Beeinflussung des Arachidonstoffwechsel<br />
n Stimulation der Postaglandinsynthese<br />
n Hemmung der Thromboxansynthese<br />
n Hemmung sowohl der durch Thrombin als auch durch Adenosindiphosphat<br />
(ADP) induzierte Thrombozytenaggregation<br />
n Senkung der Sekretion an Apolipoprotein B<br />
n Antioxidative Wirkung<br />
n Blutdrucksenkung über eine durch Stickstoffmonoxid (NO)<br />
vermittelte Gefäßerweiterung<br />
Ischämischer Insult<br />
Tab. 2<br />
konsum von 30 g/Tag bei Männern beziehungsweise<br />
20 g/Tag bei Frauen ist<br />
ein signifikanter Anstieg des Blutdrucks<br />
wahrscheinlich. Eine Reduktion der Alkoholaufnahme<br />
beeinflusst den Blutdruck<br />
günstig. Bei Patienten mit Bluthochdruck<br />
wird daher ein weitgehender Verzicht auf<br />
Alkohol empfohlen.<br />
Alkoholkonsum und Krebs<br />
Chronischer Alkoholmissbrauch ist mit einer<br />
deutlich erhöhten Inzidenz bösartiger<br />
Tumoren der Schleimhaut (Karzinome) in<br />
Mundhöhle, Pharynx, Hypopharynx und<br />
Ösophagus assoziiert (vgl. Abb. 3 a, b,<br />
Seite 10). Dabei besteht unabhängig von<br />
der Art des konsumierten alkoholischen<br />
Getränks eine DosisWirkungsbeziehung<br />
zwischen dem täglichen Alkoholkonsum<br />
und dem Karzinomrisiko: je mehr Alkohol,<br />
umso größer das Risiko. Das Risiko,<br />
an einem Mundhöhlen oder Kehlkopfkarzinom<br />
zu erkranken, ist bei einem<br />
täglichen Alkoholkonsum von 75 bis<br />
100 g um mehr als das 13fache und bei<br />
über 100 g um das 14fache erhöht gegenüber<br />
der Normalbevölkerung. Das höchste<br />
Risiko betrifft den Rachenkrebs. Für den<br />
Konsum von mehr als 100 g Alkohol pro<br />
Tag wurde ein relatives Risiko von 125<br />
errechnet. Wird bei Rauchern (mehr als<br />
75 Prozent der Alkoholiker rauchen) der<br />
krebserzeugende Effekt des Tabakrauchs<br />
berücksichtigt, steigt das relative Risiko,<br />
an einer der genannten Krebsarten zu erkranken<br />
auf das 16, 19 beziehungsweise<br />
210fache an. Das Ergebnis einer Metaanalyse<br />
aller bisher vorliegenden epidemiologischen<br />
Daten über die Wirkung<br />
des chronischen Konsums alkoholischer<br />
Getränke und die Entstehung von bösartigen<br />
Tumoren des Menschen belegen<br />
eine DosisWirkungsbeziehung zwischen<br />
dem täglichen Alkoholkonsum und dem<br />
Auftreten bösartiger Tumore: Jeder Alkoholkonsum<br />
– ob gering, moderat oder<br />
stark – steigert die Krebshäufigkeit: Mit<br />
jedem durchschnittlich pro Tag getrunken<br />
„Drink“ (1 Drink entspricht im Mittel ca.<br />
10 g Alkohol) steigt das Risiko an einem<br />
bösartigen Tumor zu erkranken um 5 bis<br />
30 Prozent, mit dem höchsten Risiko bei<br />
den Tumoren der Mundhöhle, des Pharynx,<br />
Hypopharynx und des Ösophagus.<br />
Eine Grenzdosis jenseits derer die Toxizität<br />
beziehungsweise Kanzerogenität klinisch<br />
relevant zunimmt, existiert nicht.<br />
Bezüglich des Magenkarzinoms konnte<br />
kein gehäuftes Auftreten bei chronischem<br />
Alkoholkonsum gefunden werden. Dies<br />
gilt selbst bei Alkoholmengen von mehr<br />
9
10<br />
Suchtmedizin<br />
a<br />
b<br />
Abb. 3 a, b: Schematische Darstellung der möglichen Mechanismen der alkoholassoziierten Karzinogenese in<br />
Mundhöhle und Ösophagus.<br />
An der Entstehung bösartiger Tumore in Mundhöhle und Ösophagus sind eine Vielzahl an Mechanismen<br />
beteiligt: zum einen die chronische Entzündung der Speiseröhre, hervorgerufen durch den direkt toxischen<br />
Effekt des Äthanols in Verbindung mit dem gastroösophagealen Reflux. Hierdurch wird die Schleimhaut<br />
anfälliger gegenüber toxischen Substanzen, die zur Bildung von Tumoren führen können, sogenannten<br />
Karzinogenen, wie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe und Nitrosamine (Abb. 3 a). Diese sind in<br />
unterschiedlichen Konzentrationen in den verschieden alkoholischen Getränken (in relativ hoher Konzentration<br />
im Bier) enthalten oder werden aus Vorstufen, sogenannten Prokarzinogenen, in der Leber gebildet. Da durch<br />
präferierten Äthanolabbau der der krebserzeugenden Substanzen in der Leber gehemmt wird, steigt deren<br />
Konzentration im Blut, und die Kontaktzeit der im Blut transportierten lokal wirkenden Substanzen mit der<br />
verletzlicheren Schleimhaut wird länger (Abb. 3 b).<br />
als 200 g/Tag. Die Art des konsumierten<br />
alkoholischen Getränkes (Bier, Wein, Spirituosen)<br />
hat ebenfalls keinen Einfluss.<br />
Zum Kardiakarzinom existieren zurzeit<br />
keine sicheren Daten.<br />
Personen mit höherem Alkoholkonsum<br />
besitzen ein zwei bis dreifach erhöhtes<br />
Risiko, im Kolon adenomatöse Polypen<br />
zu entwickeln, das heißt chronischer Alkoholkonsum<br />
erhöht wahrscheinlich das<br />
Risiko für die Entstehung von Adenokarzinomen<br />
im Dickdarm. Beim Rektumkarzinom<br />
gilt ein solcher Zusammenhang als<br />
gesichert: Biertrinker, die mehr als einen<br />
Liter (> 40 g Alkohol) pro Tag trinken,<br />
weisen ein dreifach höheres Risiko für<br />
diese Krebsart auf. Als molekularen Mechanismus<br />
der alkoholassoziierten Karzinogenese<br />
wird die DNAschädigende Wirkung<br />
des Azetaldehyds gesehen. Hinsichtlich<br />
der Inzidenz des Pankreaskarzinoms<br />
besteht zwar keine direkte, jedoch<br />
indirekte Assoziation mit chronischem Alkoholkonsum,<br />
da chronischer Alkoholkonsum<br />
eine chronische Pankreatitis induzieren<br />
kann, welche als Präkanzerose<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
für ein Pankreaskarzinom gilt. Das kumulative<br />
Risiko, an einem Pankreaskarzinom<br />
zu erkranken, beträgt 10 bis 20 Jahre<br />
nach Diagnosestellung einer chronischen<br />
Pankreatitis im Vergleich zur Normalbevölkerung<br />
1,8 Prozent beziehungsweise<br />
4,0 Prozent. Das Risiko besteht unabhängig<br />
vom Geschlecht des Patienten, der<br />
Region und Ätiologie der Pankreatitis.<br />
Alkohol birgt Gesundheitsrisiken<br />
Der Konsum von Alkohol (auch der moderate)<br />
birgt Erkrankungsrisiken in sich.<br />
Es stehen die protektiven Wirkungen des<br />
Alkohols auf das HerzKreislaufsystem<br />
denen der schädlichen Wirkung auf andere<br />
innere Organe gegenüber. Voreilige<br />
Rückschlüsse, dass durch moderaten Alkoholkonsum<br />
und seine Effekte auf das<br />
HerzKreislaufsystem die Mortalität der<br />
Gesamtbevölkerung um 3 bis 4 Prozent<br />
gesenkt werden könnte, sind aus Volksgesundheitsperspektive<br />
falsch, da der<br />
menschliche Organismus nicht nur aus<br />
einem „Organsystem“ besteht und ein<br />
klarer Zusammenhang zwischen dem Gesamtkonsum<br />
alkoholischer Getränke und<br />
den alkoholbedingten Folgekrankheiten<br />
beziehungsweise Folgeschäden nachgewiesen<br />
ist. Das Trinken von Alkohol –<br />
selbst in moderaten Mengen – ist mit einem<br />
gewissen Gesundheitsrisiko verbunden.<br />
Dieses gesundheitliche Risiko steigt<br />
deutlich mit der konsumierten Alkoholmenge,<br />
ist aber selbst bei Genuss von<br />
einem Glas Wein oder Bier täglich vorhanden.<br />
Weniger Alkohol ist besser, mehr<br />
Alkohol birgt mehr Risiken. Es ist unverantwortlich,<br />
zur Gesundheitsförderung<br />
beziehungsweise Krankheitsvermeidung<br />
zum Alkoholkonsum aufzurufen oder<br />
dessen unreflektierten Genuss zu propagieren.<br />
Denn: Risikofreies Alkoholtrinken<br />
gibt es nicht.<br />
Literatur beim Verfasser.<br />
Prof. Dr. Stephan Teyssen,<br />
Chefarzt Medizinische Klinik, Innere Medizin,<br />
St. Joseph-Stift <strong>Bremen</strong>
© Sven Weber/Fotolia.com<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Suchtmedizin<br />
Benzodiazepine: therapie,<br />
missbrauch und Abhängigkeit<br />
Die Einführung der Benzodiazepine als Arzneimittel um 1960 hat die Arzneitherapie<br />
revolutioniert. Allerdings hat die Erfolgsgeschichte auch Nachteile: Benzodiazepine<br />
können abhängig machen und sie können psychomotorisch beeinträchtigen.<br />
Die vorher hohe Sterblichkeit an Schlafmittelvergiftungen<br />
(Barbiturate!) ist mit<br />
der Einführung von Benzodiazepinen in<br />
die praktische Medizin sehr gering geworden,<br />
die Narkosetechnik hat sich verbessert<br />
und die Therapie einiger neuropsychiatrischer<br />
Störungen ist jetzt effektiver<br />
und sicherer. Doch die Benzodiazepinabhängigkeit<br />
ist in Deutschland die<br />
dritthäufigste Suchtkrankheit. Der Umgang<br />
mit Benzodiazepinen muss äußerst<br />
sensibel und korrekt erfolgen, um Abhängigkeiten<br />
zu vermeiden.<br />
Aspekte der Pharmakologie<br />
Die Benzodiazepine und verwandte Substanzen<br />
(z. B. Zolpidem, Zopiclon und Zale<br />
plon) sind Agonisten am GABAA Rezeptor<br />
im ZNS mit unterschiedlicher Rezeptoraffinität,<br />
Elimination und leicht differentem<br />
Wirkspektrum. Zum Teil ist die Wirkung<br />
durch Metabolite mitbestimmt. Die<br />
Benzodiazepine und verwandte Verbindungen<br />
haben pharmakologische Elementarwirkungen,<br />
die beim Menschen genutzt<br />
werden:<br />
n anxiolytische Wirkung<br />
n Sedierung und Verstärkung der<br />
Wirkung anderer Sedativa<br />
n schlafanstoßende Wirkung<br />
n zentrale Muskelrelaxation und<br />
Verminderung der Muskelkraft<br />
n antikonvulsive Wirkung<br />
n amnesiogene Wirkung<br />
Diese Wirkungen sind bei den einzelnen<br />
Substanzen etwas unterschiedlich ausgeprägt.<br />
Gefahren, Abusus und<br />
Abhängigkeit<br />
Die Einnahme von Benzodiazepinen führt<br />
zu einer Verdopplung des Risikos für einen<br />
Straßenverkehrsunfall. Dies gilt vor<br />
allem für die Kombination dieser Stoffe<br />
mit Alkohol. Ältere Menschen, die hohe<br />
Dosen und /oder lang wirksame Substan<br />
zen einnehmen, sind besonders gefährdet.<br />
Im Übrigen gibt es epidemiologische<br />
Hinweise für eine Erhöhung des Sterberisikos<br />
durch Benzodiazepingebrauch. Vor<br />
allem scheint die Wahrscheinlichkeit von<br />
Stürzen bei älteren Menschen erhöht<br />
zu sein. Benzodiazepinabhängige<br />
entwickeln oft schwerwiegende<br />
und<br />
lebensbedrohlicheEntzugserscheinungen,<br />
wenn die Stoffzufuhr<br />
stockt.<br />
Der schädliche Gebrauch<br />
von Benzodiazepinen<br />
ohne Abhängigkeit<br />
ist selten (weniger<br />
als 10 Prozent der<br />
Fälle), die meisten Betroffenen<br />
sind abhängig. Allenfalls<br />
bei kombiniert Abhängigen<br />
(z. B. mit Alkohol) tritt er<br />
auf.<br />
Die Benzodiazepinabhängigkeit<br />
kommt in drei häufigen Formen vor:<br />
n Benzodiazepine kombiniert mit anderen<br />
Suchtstoffen (Alkohol,Opioide)<br />
n Benzodiazepine nach anderen Suchtstoffen<br />
(z. B. Alkohol)<br />
n Benzodiazepine lebenslang isoliert<br />
Bei den Kombinationen dominiert in der<br />
Regel das Nichtbenzodiazepin, abgesehen<br />
von Fällen mit sehr hochdosiertem<br />
Benzodiazepinkonsum. Letzterer kann dann<br />
durchaus das Krankheitsbild bestimmen.<br />
Bei den „Umsteigern“ und bei den isolierten<br />
Fällen dominiert das Benzodiazepin.<br />
Bei den Benzodiazepinen wird häufig<br />
eine sogenannte „Niedrig dosisAbhängigkeit“<br />
beobachtet, das heißt ein Konsum in<br />
therapeutischen Dosen. Auch die Einnahme<br />
extrem hoher Dosen (z. B. 80 mg<br />
Diazepam täglich) wird beobachtet. Die<br />
HochdosisAbhängigkeit ist besonders in<br />
der Drogensze<br />
ne verbreitet,<br />
in Kombination<br />
mit Heroin, Methadon und<br />
Alkohol. Hohe Dosen gehen mit<br />
erhöhten Risiken einher, z. B. Krampfanfälle<br />
oder Psychosen im Entzug. An Benzodiazepinabhängigkeit<br />
erkranken einige<br />
Personengruppen bevorzugt: Patienten<br />
mit BorderlinePersönlichkeitsstörung, mit<br />
post traumatischen Belastungsstörungen<br />
(PTBS), mit hyperkinetischem Syndrom<br />
(ADHS), mit Angststörungen und mit Depressionen<br />
sind gefährdet. Das trifft ganz<br />
besonders für Patienten mit vorbestehenden<br />
Suchtkrankheiten zu (vor allem<br />
Alkohol oder Drogen), aber auch für Menschen<br />
in Lebenskrisen, Vereinsamte und<br />
11
12<br />
Suchtmedizin<br />
Psychische<br />
Entzugs erscheinungen<br />
n Gier nach erneuter<br />
Benzodiazepinzufuhr<br />
n Quälende Einschlafstörungen<br />
und Albträume<br />
n Angstzustände bis hin zu<br />
Panikattacken<br />
n perzeptuelle Störungen<br />
(z.B. Hyperakusis)<br />
n Depressionen<br />
n Entzugspsychosen, vor allem<br />
Entzugsdelirien<br />
n innere Unruhe<br />
Wesentliche Therapiepunkte<br />
Schmerzpatienten. Benzodiazepinabhängige<br />
sind klinisch wenig auffällig, außer<br />
durch Entzugserscheinungen. Allerdings<br />
fällt der konstante Stoffbedarf in der<br />
Arztpraxis auf. Dieser wird manchmal sogar<br />
über Dritte (Familienangehörige!) gedeckt.<br />
Die Stoffbeschaffung und Nachschubsicherung<br />
haben für den Abhängigen<br />
hohe Priorität. Die Exposition kann<br />
durch Urinanalyse auf Benzodiazepine<br />
nachgewiesen werden, die allerdings<br />
nicht zwischen therapeutischem Konsum<br />
und Abhängigkeit unterscheidet. Die<br />
Routinelaborwerte sind unauffällig. Im<br />
EEG findet sich bei hochdosierter Exposition<br />
ein langsamer, hochamplitudiger,<br />
frontalbetonter bRhyth mus. Die Abhängigkeit<br />
wird erfahrungsgemäß erst in<br />
Entzugssitutationen deutlich, durch die<br />
dann nicht nur die psychische, sondern<br />
die körperliche Abhängigkeit deutlich<br />
wird (vgl. Abb. 1).<br />
Körperliche<br />
Entzugserscheinungen<br />
n feinschlägiger Tremor<br />
n Muskelverspannungen,<br />
Muskelrigidität und<br />
Muskelzuckungen<br />
n generalisierte Krampfanfälle<br />
n Übelkeit und Erbrechen<br />
n motorische Unruhe<br />
n Motivationsarbeit (Benzodiazepinabhängige verstehen<br />
ihre Abhängigkeit oft erst nach vielen Jahren und erst mit<br />
Hausarzthilfe)<br />
n Behandlung (Entzug) zunächst ambulant, erst nach Scheitern<br />
stationär<br />
n Behandlung der auslösenden Krankheit (z. B. Panikstörung)<br />
n Langsames Herunterdosieren mit einem langwirksamen<br />
Benzodiazepin<br />
n Psychotherapeutische Hilfen<br />
n im Bedarfsfall Pharmakotherapie mit nichtsuchterzeugenden<br />
Substanzen (Anti depressiva, Antikonvulsiva)<br />
Abb. 1<br />
Diese Entzugserscheinungen bessern sich<br />
durch erneute Benzodiazepinzufuhr schnell,<br />
treten aber nach Abklingen der Wirkung<br />
stets wieder auf. Nach überstandenem<br />
Entzug wird meist deutlich, dass bereits<br />
unter Benzodiazepinen Symptome bestanden:<br />
Antriebsarmut, das Gefühl der Ge<br />
fühllosigkeit und Wesensänderung. Diese<br />
Intoxikationserscheinungen sind bei Abstinenz<br />
reversibel, auch noch nach Jahren<br />
der Abhängigkeit. Daher ist die Frage:<br />
„Lohnt der Entzug in diesem Fall?“ oft zu<br />
bejahen, selbst bei Patienten im hohen<br />
Alter.<br />
Therapiehinweise<br />
Zur Therapie der Benzodiazepinabhän<br />
gigkeit existiert eine ausführliche Leit<br />
linie bei der AWMF (Arbeitgemeinschaft<br />
der medizinischen Fachgesellschaften,<br />
www.awmfonline.de). Die Leitlinie enthält<br />
auch ausführliche Literaturhinweise.<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Die Therapie der isolierten Benzodiazepinabhängigkeit,<br />
bestehend aus Motivation,<br />
Entzug, Entwöhnung und Behandlung<br />
der Grundkrankheit, ist aufwendig,<br />
aber oft erfolgreich. Zwar besteht auch<br />
hier wie bei anderen Suchtkrankheiten<br />
ein Rückfallrisiko. Sozial gut integrierte<br />
Patienten erreichen aber langfristig in<br />
hohem Prozentsatz die Abstinenz. Dafür<br />
muss aber ihre Grundkrankheit ohne<br />
Benzodiazepine behandelt werden. Das<br />
kann die Psychotherapie einer Phobie,<br />
einer Panikstörung oder eine antidepressive<br />
Behandlung sein. Bei den Antidepressiva<br />
sind insbesondere die stark sedierenden<br />
Substanzen Doxepin, Trimipramin,<br />
Mirtazapin und Trazodon ratsam,<br />
wenn eine schwere Schlafstörung im Entzug<br />
auftritt. Hier ist der Allgemeinarzt in<br />
der Regel auf die Zusammenarbeit mit<br />
Psychotherapeuten, Psychiatern oder Nervenärzten<br />
angewiesen. Ein „Umsteigen“<br />
auf Alkohol durch den Patienten ist natürlich<br />
zu vermeiden.<br />
Prävention<br />
Die Benzodiazepinabhängigkeit kann primär<br />
durch folgende Vorsichtsmaßnahmen<br />
verhindert werden:<br />
n keine Verordnung an bereits Süchtige<br />
(Alkohol oder Drogenabhängige)<br />
n Keine Verordnung über längere Zeit<br />
(über 1 bis 2 Monate hinaus)<br />
n keine oder allenfalls kurzdauernde Verordnung<br />
an Angehörige von bereits<br />
Süchtigen (Weitergabe in der Familie!)<br />
Therapie ist langwierig<br />
Die Benzodiazepinabhängigkeit ist in<br />
Deutsch land die dritthäufigste Suchtkrankheit<br />
(nach Tabakabhängigkeit und Alkoholabusus/Alkoholabhängigkeit).<br />
Sie kann<br />
durch korrekten Einsatz von Benzodiazepinen<br />
vermieden werden. Die Therapie<br />
ist erfolgreicher als bei anderen Suchtkrankheiten,<br />
aber oft langwierig und aufwendig.<br />
Literatur bei den Verfassern.<br />
Dr. John Koc,<br />
Facharzt für Psychiatrie und Suchtmedizin,<br />
<strong>Bremen</strong><br />
Prof. Dr. Wolfgang Poser,<br />
Facharzt für Psychiatrie und klinische<br />
Pharmakologie,<br />
Georg-August-Universität Göttingen
© blacksock/Fotolia.com<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Grundlage für die seit 1990 in <strong>Bremen</strong><br />
praktizierte Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger<br />
sind die 2008 überarbeiteten<br />
„Gemeinsamen Empfehlungen zur<br />
Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger<br />
im Land <strong>Bremen</strong>“, die zwischen<br />
dem Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit,<br />
Jugend und Soziales, der<br />
<strong>Ärztekammer</strong> und der KV <strong>Bremen</strong> abgestimmt<br />
sind. Wesentliche Eckpunkte<br />
dieser Empfehlungen sind:<br />
n die Kooperation zwischen den substituierenden<br />
Ärzten und der Drogenhilfe im<br />
Sinne eines umfassenden Therapiekonzeptes<br />
mit Feststellung des Hilfebedarfs<br />
und einer differenzierten Hilfeplanung.<br />
n der Umgang mit Beigebrauch psychotroper<br />
Substanzen. Gefordert wird die<br />
Eindämmung bzw. Beendigung des<br />
Konsums anderer Suchtstoffe wie Alkohol,<br />
Kokain oder Benzodiazepinen.<br />
n die Verschreibung psychotroper suchterregender<br />
Substanzen an Substituierte,<br />
die in aller Regel (abgesehen von ambulanten<br />
Entzügen) nicht indiziert ist.<br />
Näheres regelt die „Richtlinie zur Verschreibung<br />
psychotroper Medikamente<br />
an drogenabhängige Patienten“ der<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong>.<br />
Suchtmedizin<br />
Subs titution in <strong>Bremen</strong>:<br />
Grundlagen und empfehlungen<br />
Seit 1990 basiert die in <strong>Bremen</strong> praktizierte Substitutionsbehandlung Drogenabhängiger<br />
auf einer gemeinsamen Empfehlung verschiedener Einrichtungen aus Politik und<br />
Medizin. Rund 50 Bremer Ärzte substituieren nach dieser Richtlinie zwischen 1.400 und<br />
1.500 Opiatabhängige.<br />
Keine Benzodiazepine für Suchtpatienten<br />
Die missbräuchliche Verordnung von Benzo diazepinen an Suchtpatienten<br />
beschäftigt die Ärzteschaft im Land <strong>Bremen</strong> bereits<br />
etliche Jahre. Schon 1998 hat die Delegiertenversammlung der<br />
<strong>Ärztekammer</strong> mit einer „Richtlinie zur Verschreibung psychotroper<br />
Medikamente an drogenabhängige Patienten“ auf das<br />
Problem reagiert. Im Wortlaut heißt es: „Eine Substitution mit<br />
Benzodiazepinen gibt es nicht!“ Demnach ist die Verschreibung<br />
in der Regel bei einer Substitutionsbehandlung nicht indiziert<br />
bzw. sogar kontraindiziert und sollte nur in begründeten Ausnahmefällen<br />
und immer nur auf BTMR ezept erfolgen, dies gilt<br />
n der Umgang mit Schwangeren und Eltern.<br />
Zur Sicherung des Kindeswohls<br />
wie auch zur angemessen Betreuung<br />
der Eltern ist eine enge Abstimmung<br />
zwischen den substituierenden Ärzten,<br />
der Drogenhilfe und dem Jugendamt<br />
angezeigt. Das „Ergänzende Methadonprogramm<br />
für Frauen“ ist auf diese Problematik<br />
spezialisiert.<br />
n die Beschränkung von Privatsubstitutionen<br />
bei GKVPatienten.<br />
Auf der Grundlage dieser und anderer<br />
Vorschriften (StGB, Arzneimittelgesetz,<br />
BtMG, BtMVV, BÄK und LÄKRichtlinien,<br />
BUBRichtlinien) substituieren derzeit im<br />
Lande <strong>Bremen</strong> ca. 50 Ärztinnen und<br />
Ärzte zwischen 1.400 und 1.500<br />
Opiatabhängige und erreichen<br />
damit (nach Hamburg) die<br />
zweithöchste Versorgungsdichte<br />
in Deutschland. Im<br />
Qualitätszirkel werden Probleme<br />
diskutiert und Fortbildungen<br />
organisiert. Eine<br />
stichprobenartige Kontrolle der<br />
Behandlungen erfolgt über die<br />
Qualitätssicherungskommission der<br />
KV <strong>Bremen</strong>. Es besteht eine wachsende<br />
Kooperation und Vernetzung zwischen<br />
niedergelassenen Ärzten, Drogenberatungsstellen,<br />
akutstationären Angeboten<br />
(24 Be hand lungsplätze im AMEOS Klinikum<br />
Dr. Heines), rehabilitativen Einrichtungen<br />
(über 100 Plätze in den Fachkliniken<br />
Hohehorst, Pyramide und Loxstedt<br />
Düring) sowie weiteren Institutionen (z. B.<br />
JVA).<br />
Dr. Peter Heinen,<br />
Facharzt für Allgemeinmedizin,<br />
Dr. John Koc,<br />
Facharzt für Psychiatrie,<br />
Suchtmedizinische Grundversorgung,<br />
<strong>Bremen</strong><br />
auch für Privatverordnungen. Weil ungeachtet dessen immer<br />
wieder Verstöße gegen die Richtlinie bekannt wurden, hat die<br />
KV <strong>Bremen</strong> zuletzt 2006 eindringlich auf das Verordnungsverbot<br />
von Benzodiazepinen (Fluinoc, Diazepam) hingewiesen. Auch<br />
im vergangenen Jahr sind vermehrt Fälle von Suchtpatienten<br />
bekannt geworden, die erfolgreich eine Verschreibung erreicht<br />
haben.<br />
Christoph Fox, KV <strong>Bremen</strong><br />
13
14<br />
Suchtmedizin<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
einsatz von Benzodiazepinen<br />
bei Substitution problematisch<br />
Die Anwendung von Benzodiazepinen bei Substituierten ist kontraindiziert. Sie kann<br />
letale Wechselwirkungen entfalten. Nur in seltenen Einzelfällen kann die Verordnung<br />
erwogen werden, wenn das Behandlungsziel nachvollziehbar und nicht auf andere<br />
Weise erreicht werden kann.<br />
Benzodiazepine wirken anxiolytisch, hypnotisch,<br />
muskelrelaxierend, antikonvulsiv<br />
und amnestisch. Sie sind arzneimittelrechtlich<br />
zugelassen zur Behandlung von<br />
Schlafstörungen, akuten Angstzuständen,<br />
Panikattacken und Erregungszuständen,<br />
bei Muskelspasmen, zur Therapie zerebraler<br />
Krampfanfälle und als Prämedikation<br />
vor operativen Eingriffen. Für eine<br />
Substitution analog zur Opioidsubstitution<br />
liegt keine arzneimittelrechtliche Zulassung<br />
vor. Ein zulassungsüberschreitender<br />
Einsatz ist aufgrund mangelnder Nutzenbelege<br />
nicht möglich. Eine Erstattungspflicht<br />
durch die gesetzliche Kran<br />
kenkasse besteht demzufolge nicht.<br />
Ungeeignet für<br />
Langzeitanwendung<br />
Benzodiazepine sind nicht zur Langzeitanwendung<br />
geeignet. Gegenüber den hypnotischen<br />
und sedierenden Eigenschaften<br />
entwickelt sich nach kurzer Zeit eine Toleranz.<br />
Bereits nach wenigen Wochen<br />
können bei abruptem Absetzen Entzugssymptome<br />
in Form von Schlafstörun<br />
gen und Unruhezustände, auftreten (ReboundEffekt).<br />
Eine Demaskierung von<br />
Depressionen ist möglich. Bei Dauer und<br />
Übergebrauch von Benzodiazepinen kann<br />
eine Einschränkung der Gedächtnis und<br />
der Merkfähigkeit, Muskelschwäche und<br />
Koordinationsstörungen (Sturz und Unfallrisiko)<br />
und Gefühlverflachung auftreten.<br />
Darüber hinaus sind paradoxe Reaktionen<br />
mit aggressivem Verhalten, Feindseligkeit<br />
und Angstzuständen möglich.<br />
Flunitrazepam ist ein Sonderfall und bei<br />
Drogenabhängigen aufgrund seiner pharmakokinetischen<br />
Eigenschaften besonders<br />
beliebt. Laut Herstellerangaben (vgl. Fachinformation)<br />
ist die Verordnung an Drogenabhängige<br />
kontraindiziert. Der Wirkstoff<br />
ist in den USA nicht zugelassen und<br />
wird von den gängigen immunologischen<br />
Vortesten, die sich an den USAmerikanischen<br />
Besonderheiten orientieren, nicht<br />
erfasst.<br />
BenzodiazepinAnaloga lösen zunehmend<br />
die Benzodiazepine ab. Missbrauch und<br />
Abhängigkeit sind jedoch auch für diese<br />
Wirkstoffe beschrieben. Sie stellen bei<br />
Substituierten keine Alternative zur Verordnung<br />
von Benzodiazepinen dar.<br />
Verordnungsempfehlungen<br />
Wenn der Einsatz von Benzodiazepinen<br />
geboten scheint, sollten die Verordnung<br />
unter Vorsichtsmaßnahmen erfolgen:<br />
Sorgfalt bei der Indikationsstellung, gegebenenfalls<br />
Einholung einer Zweitmeinung<br />
durch einen anderen im Umgang<br />
mit Suchtpatienten erfahrenen Psychiater,<br />
Ausrichtung der Verschreibung an einem<br />
klar definierten Ziel, klare Begrenzung<br />
des zeitlichen Rahmens sowie regelmäßige<br />
Überprüfung zur Vermeidung<br />
von Wiederholungsrezepten. Zu bevorzugen<br />
wäre die Abgabe des verordneten<br />
Benzodiazepins in der benötigten Tagesdosis<br />
unter Sichtkontrolle in der Praxis,<br />
um den Verkauf auf dem Schwarzmarkt<br />
einzudämmen. Ziel der Opioidsubstitution<br />
ist die Reduktion und Einstellung des<br />
Beigebrauches. Das Erreichen dieses Zieles<br />
wird durch die Verordnung psychotroper<br />
Medikamente sehr gefährdet. Der<br />
Erfolg der Substitutionsbehandlung ist<br />
durch Urinkontrollen zu überprüfen. Da in<br />
der „Szene“ Verfahren bekannt sind, mit<br />
deren Hilfe falschnegative Ergebnisse<br />
herbeigeführt werden können, muss die<br />
Probenabgabe unter Aufsicht erfolgen<br />
und gegebenenfalls durch eine UrinKreatinin<br />
Bestimmung ergänzt werden. Besteht<br />
hinreichender Verdacht auf die Anwendung<br />
von Substanzen, die durch die<br />
immunologische Vorteste nicht erfasst<br />
werden, sind gezielte Analysen (z. B.<br />
Massenspektrometrie) in einem hierfür<br />
geeigneten Speziallabor erforderlich. Take<br />
HomeVerordnungen sind nur akzeptabel,<br />
wenn keine Substanzen konsumiert werden,<br />
die zusammen mit der Einnahme<br />
des Substitutionsmittels zu einer gesundheitlichen<br />
Gefährdung führen können.<br />
Beim Beigebrauch von Benzodiazepinen<br />
ist durch die potentiellen Wechselwirkungen<br />
eine Gefährdung in der Regel der<br />
Fall, so dass eine Verschreibung des Substitutionsmittels<br />
zur eigenverantwortlichen<br />
Einnahme aus Gründen der Gefahrenabwehr<br />
ausscheidet.<br />
© esolla/Istockphoto.com
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10 Suchtmedizin<br />
Rechtliche Hinweise<br />
Nach §2 der Berufsordnung sind Ärzte zu<br />
einer gewissenhaften Berufsausübung<br />
verpflichtet. Darüber hinaus dürfen sie<br />
nach § 34 der Berufsordnung einer missbräuchlichen<br />
Anwendung ihrer Verschreibung<br />
keinen Vorschub leisten. Berufsrechtliche<br />
Schritte durch die Kammern sind bei<br />
Verstößen möglich. Die Verordnung von<br />
Benzodiazepinen an Substituierte sollte<br />
auf einem BtMRezept erfolgen. Eine Verordnung<br />
von Benzodiazepinen für gesetzlich<br />
Krankenversicherte auf einem Privatrezept<br />
ist nur möglich, wenn der Versicherte<br />
aus eigener Initiative die Behandlung<br />
als Privatbehandlung verlangt. Eine<br />
Beeinflussung durch den Vertragsarzt ist<br />
unzulässig und kann von der kassenärztlichen<br />
Vereinigung mit einer Geldbuße geahndet<br />
werden (LSG NRW, 2004). Vor der<br />
Abgabe von Benzodiazepinen durch die<br />
Apotheke hat der Apotheker die Verschreibung<br />
auf Unklarheiten zu prüfen. Enthält<br />
die Verordnung einen erkennbaren Irrtum,<br />
ist sie unvollständig oder ergeben sich<br />
sonstige Bedenken, so darf das Arzneimittel<br />
nicht abgegeben werden. Von einem<br />
Irrtum kann ausgegangen werden, wenn<br />
dem verordnenden Arzt unbekannt war,<br />
dass der Patient sich anderweitig in ärztlicher<br />
Behandlung befindet. Bedenken ergeben<br />
sich aus der Abweichung von Empfehlungen<br />
(Fachinformation, Richtlinien,<br />
Empfehlungen) bei nicht indizierter Mehrfach<br />
und Langzeitverordnung. Nach § 17<br />
Abs. 8 der Apothekenbetriebsordnung<br />
muss das pharmazeutische Personal einem<br />
erkennbaren Arzneimittelmissbrauch<br />
in geeigneter Weise entgegentreten und<br />
gegebenenfalls die Abgabe verweigern.<br />
Das ist dann der Fall, wenn nach sorgsamer<br />
Abwägung aller Umstände zu befürchten<br />
ist, dass das von dem Arzt verlangte<br />
oder verschriebene Arzneimittel nicht bestimmungsgemäß,<br />
sondern gesundheitsgefährdend<br />
angewendet wird. Im Rahmen<br />
der Abwägung kann die körperliche Verfassung<br />
des Patienten berücksichtigt werden.<br />
Die Verweigerung der Abgabe wird<br />
von einer Beratung des Arztes begleitet.<br />
Die <strong>Ärztekammer</strong> kann nach Anony mi<br />
sierung der Patientendaten in Kenntnis<br />
gesetzt werden.<br />
Dr. Kerstin Boomgaarden-Brandes,<br />
Fachärztin für Innere Medizin<br />
Prof. Dr. Bernd Mühlbauer,<br />
Facharzt für Klinische Pharmakologie und<br />
Pharmakologie/Toxikologie<br />
Institut für klinische Pharmakologie,<br />
Klinikum <strong>Bremen</strong>-Mitte<br />
BuchtiPP<br />
Euphrosyne GouzoulisMayfrank<br />
Komorbidität Psychose und Sucht –<br />
Grundlagen und Praxis<br />
Etwa die Hälfte der Patienten mit Schizophrenie<br />
entwickeln im Laufe ihres Lebens<br />
eine komorbide Suchtstörung. Therapeutisch<br />
stellt die Komorbidität Psychose und Sucht<br />
eine Herausforderung dar. Ansätze aus den<br />
traditionell getrennten Systemen der psychiatrischen<br />
Krankenversorgung und der Suchttherapie<br />
müssen aufeinander abgestimmt<br />
und „aus einer Hand“ angeboten werden.<br />
Die vorliegende 2. Auflage bietet einen<br />
Überblick über die Thematik und berücksichtigt<br />
die umfangreiche neue Literatur. Das<br />
Manual für das Psychoedukative Gruppentraining<br />
aus der 1. Auflage wurde optimiert<br />
und um die Thematik Opiate ergänzt und<br />
wird hier in einer zusätzlichen Version für die<br />
Einzeltherapie vorgelegt (KomPAktTraining).<br />
Darauf aufbauend wird ein zweites, ausführliches<br />
Manual für die kognitivbehaviorale<br />
Michael Soyka, Heinrich Küfner<br />
Alkoholismus – Missbrauch und Abhängigkeit<br />
Alkohol ist in unser gesellschaftliches Leben<br />
integriert, birgt jedoch ein großes Missbrauchs<br />
und Abhängigkeitspotenzial: Ärzte<br />
und Psychologen haben häufig mit Menschen<br />
zu tun, deren Alkoholabhängigkeit<br />
große therapeutische Probleme verursacht.<br />
Dieses bewährte Standardwerk bietet:<br />
n Theorie und Befunde zur Entstehung der<br />
Alkoholabhängigkeit,<br />
n eine ausführliche Darstellung der Folgeschäden<br />
und ihrer Therapiemöglichkeiten,<br />
n Informationen zur Epidemiologie<br />
n ausführliche Darstellung der körperlichen<br />
und psychischen Aspekte der Alkoholsucht<br />
Michael Soyka<br />
Wenn Alkohol zum Problem wird<br />
Alkohol ist allgegenwärtig genauso wie<br />
Mythen und Vorurteile zu diesem Thema.<br />
Doch woran erkennt man Alkoholabhängigkeit?<br />
Wie viel Alkohol steckt in Wein, Bier,<br />
Schnaps? Es gibt erfolgreiche Wege, die Abhängigkeit<br />
zu überwinden. Der Autor beantwortet<br />
über 100 der wichtigsten Fragen, die<br />
sich Betroffene und Angehörige in dieser Zeit<br />
stellen. Er schöpft dabei als Suchtforscher<br />
aus den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
und als Facharzt aus den unzähligen<br />
Erfahrungen mit Patienten und deren<br />
Familien. Ein 7PunkteProgramm gibt erste<br />
Orientierung und hilft, die eigene Zukunfts<br />
Gruppentherapie dargeboten<br />
(KomPASsTraining).<br />
KomPAkt und KomPASs<br />
fokussieren auf die Interaktionen<br />
zwischen Substanzkonsum<br />
und psychotischen<br />
Symptomen, auf Kognitionen, die für<br />
beide Störungen typisch sind, auf die Bedeutung<br />
von Stress als Risikofaktor für Rückfälle<br />
in das Suchtverhalten und/oder in die Psychose<br />
und auf die Vermittlung von Kompetenzen,<br />
die im Umgang mit beiden Störungen<br />
benötigt werden. Die zu verwendenden<br />
Materialien und Handouts für beide Gruppentherapien<br />
liegen als Kopiervorlagen vor.<br />
2., erw. Aufl., 2007, 292 Seiten, Softcover<br />
ISBN: 9783798517684, Steinkopff Verlag,<br />
Darmstadt, 32,95 Euro<br />
n Überblick der Therapiemöglichkeiten<br />
und psychosozialen<br />
Hilfsangebote<br />
n Darstellung der rechtlichen<br />
Aspekte<br />
n konkrete Vorschläge<br />
zur Verbesserung der Situation von Alkoholkranken<br />
6. Aufl., vollst. überarb. 2008, 648 Seiten,<br />
21 Abb., kartoniert, ISBN: 9783135209067,<br />
Thieme Verlag, 44, 95 Euro<br />
perspektive zu finden.<br />
Prof. Dr. Michael<br />
Soyka ist Facharzt für<br />
Psychiatrie und Psychotherapie<br />
und ärztlicher<br />
Direktor der<br />
Schweizer Privatklinik<br />
Meiringen. Er ist ein international bekannter<br />
Suchtforscher mit zahlreichen wissenschaftlichen<br />
Publikationen.<br />
5. Aufl., 2009, 168 Seiten, 11 Abb., kartoniert,<br />
ISBN: 9783830434153, Trias Verlag,<br />
17,95 Euro<br />
15
16<br />
Suchtmedizin<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Sucht und traumafolgestörung<br />
Traumafolgestörungen treten bei vielen Suchtkranken auf, doch die Diagnose wird oft<br />
nicht gestellt. Körperliche und psychische Entzugssymptome überdecken oft Symptome<br />
anderer psychiatrischer Störungen. Eine integrative Behandlung kann eine Besserung<br />
beider Störungen bewirken.<br />
Die Integrative Behandlung<br />
n Phase 1<br />
traumasensibilisierung – Suchtstabilisierung<br />
Abb. 1<br />
In dieser Phase (14 Tage) wird neben der Suchtbehandlung,<br />
die bei Alkoholkranken eine Alkoholentgiftung, bei Patienten<br />
mit Drogenerkrankungen eine Entgiftung von Nebenkonsum<br />
sowie die Ein und Umstellung auf ein Substitut beinhaltet,<br />
eine psychologische Diagnostik der komorbiden Störungen,<br />
insbesondere der Traumafolgestörungen, durchgeführt.<br />
Oft ergeben sich in der Sozial und Familienanamnese erste<br />
Hinweise auf Traumatisierungen. Diese werden in der Traumaanamnese<br />
mit Hilfe einer Traumalandkarte erfasst, das<br />
heißt es werden TraumaCluster (wie sexualisierte oder physische<br />
Gewalt sowie Bindungstraumatisierungen) gebildet<br />
und dem Alter des Patienten zugeordnet. Die Traumaanamnese<br />
wird orientierend in „Überschriften“ erhoben. Retraumatisierungen<br />
werden durch diese Form der Befunderhebung<br />
sicher vermieden. Patienten fühlen sich durch die Trau<br />
Im klinischen Alltag wird dem gemeinsamen<br />
Auftreten von Suchterkrankungen<br />
und Traumafolgestörungen immer mehr<br />
Interesse zuteil. Ergebnisse einer relativ<br />
jungen Forschung aus den letzten zwei<br />
Jahrzehnten zeigen eine hohe Rate an<br />
Traumatisierungen und posttraumatischen<br />
Belastungsstörungen (PTBS) bei Suchtkranken.<br />
Demnach haben durchschnittlich<br />
70 bis 90 Prozent der Suchtkranken<br />
schwere Traumatisierungen erlitten. Dabei<br />
ist die Rate sexueller oder körperlicher<br />
Gewalterfahrungen in der Kindheit hoch.<br />
Es ist davon auszugehen, dass jeder fünfte<br />
Patient mit Alkoholerkrankung und jeder<br />
dritte Patient mit einer Drogenabhängigkeit<br />
inklusive des Opiattypus komorbide<br />
an einer posttraumatischen Belastungsstörung<br />
leidet. Dabei weisen DoppeldiagnosePatienten<br />
erheblich mehr Psychopathologie<br />
auf. Sie haben deutlich schwerere<br />
Suchtverläufe mit geringeren abstinenten<br />
Zeiten, mehr Suchtverlangen,<br />
häufigere Krankenhausaufenthalte und<br />
größere soziale Belastungen. Amerikanische<br />
Behandlungsstudien zeigen, dass<br />
Suchtpatienten mit PTBS weniger günstig<br />
auf fokussierte Suchtbehandlungen reagieren.<br />
Das schlechtere Abschneiden<br />
liegt dabei sowohl an PTBSspezifischen<br />
(Albträume, Flashbacks, Intrusionen, Hyperarousal)<br />
als auch an unspezifischen<br />
Symptomen (Depressionen, Angststörungen).<br />
Es konnte gezeigt werden, dass bei<br />
integrativer Behandlung der PTBS während<br />
der Suchttherapie die Ergebnisse<br />
deutlich verbessert werden konnten.<br />
Traumatisierte Süchtige oder<br />
süchtige Traumatisierte<br />
Trotz unseres Wissens über die hohe Anzahl<br />
von Suchtpatienten mit Traumafolgestörungen<br />
wird die Diagnose häufig nicht<br />
gestellt. Dies könnte darin begründet sein,<br />
dass Suchtpatienten mit PTBS wenig Gemeinsamkeiten<br />
in ihrem Verhalten, ihren<br />
Regressionsstates und in der Symptomatik<br />
zu PTBSPatienten ohne Sucht haben. Sie<br />
suchen einen Arzt wegen ihres Suchtmittelkonsums<br />
auf und identifizieren sich mit<br />
drogenassoziierten Peergroups. Möglicherweise<br />
erwartet der Arzt hinter einer Szene<br />
madiagnostik in der Regel nicht verunsichert und reagieren<br />
positiv. Verschlechterungen der Trauma störung durch diese<br />
Form der Anamneseerhebung werden nicht gesehen. Zur Kategorisierung<br />
und Ermittlung des Schweregrades der Traumafolgestörungen<br />
werden stationär psychologische Testverfahren,<br />
wie MiniDIPS, SKID II, PDS, DSM IV, CTQ, Impact of<br />
Event Scale und FDS, angewendet. In der niedergelassenen<br />
Praxis kann eine weniger zeitaufwendige Diagnostik anhand<br />
des DSM IV erfolgen. Die Patienten erhalten anschließend<br />
Patienteninformationen, die über das Krankheitsbild und die<br />
Symptomatik aufklären. Dann wird ein individuelles Krankheitskonzept<br />
erstellt. Oft können Patienten erstmalig Zusammenhänge<br />
von Traumatisierungen, dem Beginn des Drogen<br />
und Alkoholmissbrauchs durch kurzzeitig vegetativ beruhigende<br />
und anxiolytische Effekte, positiver Wirkungserwartung<br />
und Suchtentwicklung durch wiederholten<br />
Konsum erkennen. Dies führt zu einer Entlastung der Patienten<br />
mit Verminderung von Schuldgefühlen.<br />
© andrea laurita/Istockphoto.com
© Dron/Fotolia.com<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
n Phase 2<br />
traumastabilisierung – Suchtstabilisierung<br />
n Phase 3<br />
traumasynthesebehandlung mit emdR<br />
Abb. 2<br />
In dieser Phase werden Behandlungsmethoden zur Emotions<br />
und Spannungsregulation (Verhinderung von Kontrollverlusten,<br />
Suchtmittelrückfällen oder traumabedingten<br />
Überflutungszuständen) vermittelt. Angewendet werden<br />
Psychoedukation, dialektischbehavioral orientierte Therapie<br />
und Skillstraining. Die Grundzüge dieser Therapie wurden<br />
von der dialektischbehavioralen Therapie nach Marsha<br />
Linehan (DBT) übernommen und nach dem „Göttinger<br />
Modell“ auch an die Symptome und Bedürfnisse Suchtkranker<br />
angepasst. In der Gruppentherapie werden in fünf<br />
Modulen Grundbausteine zur Emotionsregulation, Umgang<br />
mit Craving und Stresstoleranz vermittelt. Parallel werden<br />
Eine sehr gut untersuchte Methode zur Traumasynthesebehandlung<br />
ist EMDR (Eye Movement Desensitization and<br />
Reprocessing). Als Voraussetzung müssen Stabilisierungstechniken<br />
zur Emotionsregulation beherrscht werden. Wäh<br />
geprägten Fassade eines Suchtkranken<br />
auch keine komorbide Traumafolgestörung.<br />
Während der Entzugsbehandlung mit<br />
Entwicklung von körperlichen und psychischen<br />
Entzugssymptomen werden oft<br />
Symptome anderer psychiatrischer Störungen<br />
überdeckt. Die Selbstwahrnehmung<br />
der Süchtigen ist sowohl auf körperlicher<br />
als auch auf psychischer Ebene völlig gestört.<br />
Der Körper wird als Übergangsobjekt<br />
missbraucht, um sich Suchtstoffe zuzuführen.<br />
Zwar werden von Suchtpatienten oft<br />
Gewalterfahrungen, familiäre Vernachlässigung<br />
sowie sexueller und physischer<br />
Missbrauch berichtet, aber ein Zusammenhang<br />
zwischen belastenden Kindheitserinnerungen<br />
und aktuellem Störungsbild wird<br />
leider of nicht gesehen.<br />
Neue Behandlungsstrategien<br />
Die integrative Behandlung folgt bewährten<br />
suchtspezifischen und psychotraumatologischen<br />
Behandlungsmethoden. Das<br />
Ziel ist es, Traumastörung und Suchterkrankung<br />
zeitgleich zu behandeln. Prinzipiell<br />
sind diese Behandlungsansätze<br />
sowohl im ambulanten als auch im stationären<br />
Setting durchführbar.<br />
Die integrative Behandlung gliedert sich<br />
in drei Behandlungsphasen (vgl. Phase 1:<br />
Trauma sensibilisierung – Suchtstabilisierung,<br />
Phase 2: Traumastabilisierung – Suchtstabilisierung,<br />
Phase 3: Traumasynthesebehandlung<br />
mit EMDR, Abb. 1 und 2).<br />
Diagnostik enorm wichtig<br />
Aufgrund der hohen Traumatisierungsrate<br />
bei Suchtkranken ist die Diagnostik<br />
von Traumafolgestörungen in der Arbeit<br />
Suchtmedizin<br />
im Einzelskillstraining individuelle Fertigkeiten geübt, um<br />
Hochstresssituationen ohne Suchtmittelrückfalle zu überwinden<br />
und Craving gering zu halten. Weiterhin werden<br />
imaginative Verfahren eingesetzt. Patienten setzen inneren<br />
schlechten (traumarelevanten oder suchtmittelassoziierten)<br />
Bildern oder Filmen gute Bilder entgegen. Besonders<br />
eignen sich bei Suchtkranken die Übungen, die „erdverbunden“<br />
sind. Bevorzugte Übungen: Der innere sichere<br />
Ort, der innere Garten, die Baumübung und die Tresorübung.<br />
Ein stabilisierendes gruppentherapeutisches Programm<br />
„Sicherheit finden“ z. B. „Seeking Safety“ von Najavits,<br />
bietet einen integrativen Therapieansatz. Das<br />
Grundprinzip ist (neben einer integrierten Behandlung von<br />
Substanzmissbrauch und posttraumatischen Symptomen)<br />
Sicherheit als übergeordnetes Ziel.<br />
rend der Trauma synthese wird das traumatische Ereignis<br />
imaginiert. Neben Durcharbeitung der traumatischen Situation<br />
werden Desensibilisierungsprozesse und positive kognitive<br />
Veränderungen angeregt. In der Regel kommt es<br />
während des Prozesses zu einer Abreaktion. Zum Abschluss<br />
wird häufig eine Imagination als Gegengewicht zu der<br />
emotional belastenden Trauma arbeit angeschlossen.<br />
Hilfestellen in <strong>Bremen</strong><br />
mit Suchtkranken dringend notwendig.<br />
Eine integrative Behandlung kann häufig<br />
eine Besserung beider Störungen bewirken.<br />
Dabei müssen Drogenpatienten weder<br />
abstinent sein noch ihre Drogenabhängigkeit<br />
unter Ausschluss ihrer Traumafolgestörung<br />
bereits behandelt haben.<br />
Auch Alkoholpatienten müssen im Vorfeld<br />
keine längerfristige Abstinenz nachweisen.<br />
Christel Lüdecke,<br />
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie,<br />
Asklepios-Klinikum Göttingen<br />
www.bremer-aerztejournal.de<br />
Eine Übersicht mit Ansprechpartnern bei Alkohol oder<br />
Medikamentenabhängigkeit sowie Informationen zur Bremer<br />
Drogenhilfe gibt es auf der Internetseite des Bremer Ärztejournals<br />
www.bremeraerztejournal.de.<br />
Die pdfDokumente stehen unter der aktuellen Ausgabe<br />
„Suchtmedizin“ und können heruntergeladen werden.<br />
17
18<br />
AktueLLeS<br />
hausarztverträge:<br />
Fluch oder Segen?<br />
„Der Mann war offenbar in Wallung, sein Brief ließ auf erhöhten<br />
Blutdruck schließen“, schrieb unlängst der SPIEGEL lakonisch und<br />
zitierte dabei aus einem Schreiben von Bayerns Hausarztverbands<br />
Chef Wolfgang Hoppenthaller an Kanzlerin Angela Merkel. Der<br />
Ohne Kollektivvertrag<br />
hat der Hausarzt keine Zukunft!<br />
Eine gerechtere Honorierung<br />
hausärztlicher Leistungen:<br />
Das ist es, was<br />
sich die Befürworter der<br />
Hausarztzentrierten Versorgung<br />
(HzV) versprechen.<br />
Kein Widerspruch,<br />
was das Ziel angeht. Der<br />
Weg, den der Hausärzteverband<br />
<strong>Bremen</strong> eingeschlagen hat, ist<br />
allerdings der falsche.<br />
Die Hausarztverbände suchen das Heil im<br />
Selektivvertrag und verteufeln die KVen.<br />
Das Heilsversprechen muss allerdings unausweichlich<br />
in einer Enttäuschung münden.<br />
Warum? Selektivverträge haben ein<br />
doppeltes Gesicht. Bisher haben viele<br />
Kolleginnen und Kollegen nur in das<br />
schönere von beiden geblickt, in das,<br />
welches unsere Honorare anhebt und unbürokratisches<br />
Abrechnen verspricht. Die<br />
hässliche Fratze aber, zeigt sich nur bei<br />
genauerem Hinsehen. Selektivverträge<br />
werden die Position der niedergelassenen<br />
Hausärzte mittelfristig und nachhaltig<br />
schwächen. Das „Mehr“ an Geld wird<br />
durch einen weiteren Regelungsapparat,<br />
zusätzliche Rückforderungen, noch weniger<br />
Planungssicherheit, noch höhere IT<br />
Kosten, Zerstrittenheit in Hausarztkreisen<br />
und Gängelung durch Krankenkassen<br />
mehr als aufgebraucht. Wer zweifelt<br />
ernsthaft daran, dass die Kassen, wenn<br />
erst der Sicherstellungsauftrag auf sie<br />
übergegangen ist, auch davon Gebrauch<br />
machen und sich diejenigen Ärzte herauspicken,<br />
die sicherstellen dürfen oder<br />
eben nicht? Das Wort von der ÄrzteSelektion<br />
ist kein Hirngespinst mehr, es<br />
wird real, wenn sich Selektivverträge<br />
durchsetzen. Ist das Kollektivvertrags<br />
System erst so geschwächt, dass es kaum<br />
noch konkurrenzfähig ist, können Krankenkassen<br />
ihre neue Marktmacht ausspielen<br />
und die Verträge, die sie wollen,<br />
mit wem sie wollen, diktieren. Die Honorarschraube<br />
dürfte recht bald wieder zurückgedreht<br />
werden, und der Protest einer<br />
durch und durch entzweiten Hausärzteschaft<br />
ohne allgemeingültige Vertretung<br />
ungehört verebben. So weit muss es<br />
nicht kommen. Die KV <strong>Bremen</strong> hat mit<br />
den großen Bremer Kassen Eckpunkte zu<br />
einer Vereinbarung auf Boden des Kollektivsystems<br />
ausgehandelt. Mehrfach und<br />
öffentlich habe ich mich in den vergangenen<br />
Jahren für einen Hausarztvertrag<br />
ausgesprochen, der von allen Verbänden<br />
getragen wird. Leider wollte sich der<br />
Hausärzteverband <strong>Bremen</strong> nicht beteiligen.<br />
Es geht aber auch anders, wie ein<br />
Blick nach Niedersachsen zeigt, wo sich<br />
Hausarztverbände, Kassen und die KV auf<br />
einen gut dotierten AddOnVertrag haben<br />
einigen können. Auch wir in <strong>Bremen</strong><br />
werden einen solchen HzVVertrag bekommen,<br />
der finanziell dem des BDA<br />
ähnlich sein wird, ohne dass wir die Vor<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Kein Thema hat die niedergelassenen Ärzte in den vergangenen Monaten mehr<br />
beschäftigt als die Hausarztzentrierte Versorgung. Die einen hoffen auf eine gerechtere<br />
Vergütung, die anderen warnen vor Gefahren des Systemausstiegs. Die Politik hat<br />
unterdessen die Reißleine gezogen.<br />
Berufsstand sei dem Untergang geweiht, heißt es da, von Vernichtung<br />
bedroht und durch „permanente Existenzangst“ gekennzeichnet.<br />
Hoppenthaller hob auf die Pläne der Bundesregierung<br />
ab, die Honorierung der HZVVerträge wieder herunterzufahren.<br />
teile des Kollektivvertrages aufgeben<br />
müssen. Die Politik hat bei der Einführung<br />
der Hausarztverträge einen gravierenden<br />
Fehler gemacht. Sie wurden nicht<br />
in Ergänzung zur herkömmlichen Versorgung<br />
etabliert, sondern in Konfrontation<br />
zum Kollektivvertrag. Die Konflikte, die<br />
sich daraus ergeben, haben wir in <strong>Bremen</strong><br />
in den vergangenen Monaten zu<br />
spüren bekommen. Wie es aussieht, wird<br />
diese Entwicklung von der Politik nun zurückgenommen.<br />
Das Ende angemessener<br />
Honorare für uns Hausärzte? Ich hoffe<br />
nicht: Der Gesetzgeber sollte den Wettbewerb<br />
um die Hausarztverträge für alle<br />
öffnen. Gute Vergütung darf kein Verbandsprivileg<br />
sein. Sie sollte allen Hausärzten<br />
zustehen – als faire Gegenleistung<br />
für eine engagierte Versorgung und einen<br />
qualifizierten Lotsendienst auf Basis<br />
des Kollektivvertrages.<br />
Dr. Thomas Liebsch,<br />
Vorsitzender der Vertreterversammlung<br />
der Kassenärztliche Vereinigung <strong>Bremen</strong>
© WoGi/Fotolia.com<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Alles Klagen nutzte nichts. Wenige Tage später verkündete Gesundheitsminister<br />
Phillip Rösler die Eckpunkte der Gesundheitsreform.<br />
Darin findet sich dieser Satz: „Das Vergütungsniveau in der<br />
hausarztzentrierten Versorgung wird begrenzt.“ Wenig später berief<br />
der Hausärzteverband in Berlin eine Pressekonferenz ein, um<br />
zu verkünden, dass mit den Sparplänen des Ministers schließlich<br />
sogar Menschenleben gefährdet seien. Diese heißen Tage im Juli<br />
2010 markieren zweifelsohne einen Höhepunkt in der Auseinandersetzung<br />
um die Hausarztzentrierte Versorgung. Als sie von der<br />
rotgrünen Regierung eingeführt wurden, waren die Hausarztverträge<br />
als Einstieg in ein Primärarztsystem gedacht. Doch diese<br />
LotsenIdee trat nach und nach in den Hintergrund. Stattdessen<br />
gerieten die Verträge in die Mühlensteine der Partei und Verbandspolitik,<br />
bis schließlich 2008 der Hausärzteverband ein Vertragsmonopol<br />
erkämpfte. Krankenkassen wurden verpflichtet,<br />
Verträge exklusiv mit „hausärztlichen Gemeinschaften“ abzuschließen,<br />
wenn diese von mehr als 50 Prozent der Allgemeinmediziner<br />
in einer Region mandatiert sind. Die FAZ erklärte die Hausarztzentrierte<br />
Versorgung daraufhin zum „kuriosesten und teuersten<br />
Monopol im deutschen Gesundheitswesen“. Keine Spur mehr<br />
Die Politik will das Vergütungsniveau<br />
in der HausarztzentriertenVersorgung<br />
(HzV) auf das der<br />
Regelversorgung begrenzen.<br />
Besonders qualifizierte<br />
Versorgung wird<br />
damit nicht honoriert!<br />
Das würde den Hausärzten<br />
endgültig jegliche Zukunftschance<br />
nehmen.<br />
Die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV)<br />
wurde vor Jahren als Krankenkassen<br />
Wahltarif ins Sozialgesetzbuch eingeführt,<br />
resultierend aus der Erkenntnis,<br />
dass das deutsche Gesundheitssystem<br />
zwar gut, aber teuer ist, zu viele Reibungsverluste<br />
aufweist und „von oben“<br />
nicht reformierbar ist. Nur wenige Krankenkassen<br />
nutzten diese Gestaltungschance.<br />
Per Gesetzesreform wurden sie<br />
daher verpflichtet, ihren Versicherten bis<br />
zum 30. Juni 2009 einen solchen Tarif anzubieten.<br />
Einige Kassen, wie zum Beispiel<br />
die TK, schlossen HzVVerträge mit der<br />
gesetzlich festgelegten „privilegierten<br />
Gemeinschaft“, also dem von der Mehrheit<br />
der Allgemeinärzte beauftragen<br />
Hausärzteverband und seinem Dienstleistungspartner<br />
HÄVG, einer Genossenschaft<br />
seiner Landesverbände. Andere<br />
wurden „geschiedst“ wie die AOK <strong>Bremen</strong><br />
und die meisten anderen Bremer<br />
Krankenkassen. Die HzV geht aufgrund<br />
Ohne HzV<br />
hat der Hausarzt keine Zukunft!<br />
ihrer Qualifikationsvoraussetzungen in<br />
technischer wie persönlicher Hinsicht<br />
deutlich über das Niveau der seitherigen<br />
hausärztlichen Regelversorgung hinaus.<br />
Deswegen bleiben „Blümchenpraxen“,<br />
wo nur Homöopathie oder Psychotherapie<br />
betrieben wird, ebenso „außen vor“<br />
wie Praxen, die keine Hausbesuche machen,<br />
oder solche, die keine adäquate<br />
technische Ausstattung haben oder keine<br />
Qualitätszirkel besuchen wollen. Der teilnehmende<br />
Patient verpflichtet sich, von<br />
Frauen und Augenarzt sowie Notfällen<br />
abgesehen, immer zunächst seinen Hausarzt<br />
anzusteuern, der erfahrungsgemäß<br />
80 bis 90 Prozent aller Behandlungsanlässe<br />
abschließend bearbeiten kann und<br />
den Rest gezielt zum Spezialisten überweist.<br />
Natürlich erfordert eine solche<br />
qualifizierte Versorgung auch eine neue,<br />
angemessene Honorarsystematik. Die in<br />
allen HzVVerträgen vereinbarte oder geschiedste<br />
„Kontaktunabhängige Jahrespauschale“<br />
begrenzt die „Scheinejagd“.<br />
Meist gibt es nur wenige Pauschalen, sodass<br />
Mengenausweitung und daraus resultierende<br />
Prüfungsorgien entfallen. Die<br />
Abrechnung ist bürokratiearm und verständlich,<br />
auch die Fallzahlbegrenzung<br />
fällt weg. Und das bei einem „Scheinschnitt“<br />
von durchschnittlich 85 Euro –<br />
wobei das Zusatzhonorar nicht von der<br />
KV kommt („Bereinigungsverfahren“),<br />
sondern zusätzliches Geld der Kranken<br />
AktueLLeS<br />
von Wettbewerb. Dafür um so mehr Streit. Denn die Hausarztzentrierte<br />
Versorgung nach § 73b SGB V bedeutet mehr als auf den<br />
ersten Blick zu erkennen ist. Sie leitet den Einstieg in den Ausstieg<br />
ein. Die Verträge sind nicht als Ergänzung zum Kollektivvertrag<br />
eingeführt, sondern in krasser Konfrontation dazu durchgesetzt.<br />
Was dies perspektivisch bedeutet, darüber streiten Gesundheitsökonomen<br />
und Wissenschaftler viel und heftig. Befürworter verweisen<br />
auf die Chancen, die eine Vielzahl von verschiedenen Verträgen<br />
und Vertragsformen bedeuten könnte. Kritiker bemühen<br />
die Historie und erinnern an die Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts,<br />
als die Ärzteschaft das Kollektivvertragssystem und ihre<br />
Selbstverwaltung durchgesetzt hatte. Worin sich Befürworter und<br />
Gegner von Selektivverträgen allerdings einig sind, ist, dass sie<br />
Verteilungskonflikte generieren, die möglicherweise dem berechtigten<br />
Anliegen der Hausärzte einen Bärendienst erweisen könnten.<br />
Dafür liefert <strong>Bremen</strong> beste Fallbeispiele. Der Streit um die Finanzierung<br />
des Ärztlichen Notfalldienstes oder die juristische Auseinandersetzung<br />
um die Fortführung des „alten“ KVHausarztvertrages<br />
sind exemplarisch und vermutlich nur ein Anfang.<br />
kassen ist. Nun hat Herr Rösler plötzlich<br />
ein gewaltiges Finanzierungsloch bei der<br />
GKV entdeckt, das er stopfen muss. Die<br />
hausärztliche Versorgung kann die Ursache<br />
nicht sein, kostet sie doch gerade<br />
sechs Prozent der GKVAusgaben. Eine<br />
„Elefantenrunde“ der Regierungsparteien<br />
hat Sparvorschläge vorgelegt, die im<br />
September im Kabinett beschlossen werden<br />
sollen. Darin soll das Vergütungsniveau<br />
in der HzV auf das der Regelversorgung<br />
begrenzt werden, will heißen: besonders<br />
qualifizierte Versorgung fürs<br />
gleiche Geld! Das würde uns Hausärzten,<br />
die wir mit der höchsten Arbeitsbelastung<br />
auch mitunter das geringste Einkommen<br />
aller Arztgruppen haben, endgültig<br />
jegliche Zukunftschance nehmen. Schon<br />
jetzt finden Hausärzte in <strong>Bremen</strong> keinen<br />
Praxisnachfolger mehr, wen wundert’s<br />
bei vier Allgemeinärzten von 135 Facharztprüfungen<br />
in <strong>Bremen</strong> 2008? Aber Vorsicht:<br />
Ein Gesundheitssystem ohne Hausarzt<br />
(z. B. USA) ist teuer und unsozial. Ich<br />
fordere daher alle Kollegen in Praxis und<br />
Krankenhaus auf, sich mit den berechtigten<br />
Anliegen der Hausärzte als Basis der<br />
Versorgung unserer älter und kränker<br />
werdenden Bevölkerung zu solidarisieren,<br />
denn ohne Hausärzte implodiert unser<br />
Gesundheitssystem.<br />
Dr. Alfred Haug,<br />
Vorsitzender Hausärzteverband <strong>Bremen</strong><br />
19
20<br />
AktueLLeS<br />
Auf die Liste, fertig, los!<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Die Wahl zur Vertreterversammlung der KV <strong>Bremen</strong> steht vor der Tür. Damit jedes wahl-<br />
berechtigte Mitglied auch eine Wahl treffen kann, müssen „wählbare“ Bewerber gelistet werden.<br />
Aber wie kommt ein Bewerber beziehungsweise eine Wahlliste auf den Stimmzettel?<br />
Wer ist wählbar?<br />
Wer ist wahlberechtigt?<br />
Wahlberechtigt und selbst wählbar sind<br />
zugelassene Vertragsärzte, an der vertragsärztlichen<br />
Versorgung teilnehmende<br />
ermächtigte Krankenhausärzte, Psychotherapeuten<br />
und ermächtigte Krankenhauspsychotherapeuten<br />
sowie mindestens<br />
halbtags angestellte Ärzte/Psychotherapeuten<br />
in Medizinischen Versorgungszentren<br />
oder in Vertragsarzt/Psycho <br />
the ra peutenpraxen, die Mitglied der KV<br />
<strong>Bremen</strong> sind.<br />
Ausschreibung<br />
Die Mitglieder der KV <strong>Bremen</strong> sind aufgerufen, die<br />
Besetzung ihrer Vertreter in das höchste Organ der ärztlichen<br />
Selbstverwaltung zu bestimmen. Gewählt werden die<br />
Mitglieder der Vertreterversammlung für sechs Jahre. Die<br />
wichtigsten Aufgaben sind die Überwachung des amtieren<br />
den Vorstandes, Entscheidungen über Satzungs und<br />
Grundsatzfragen sowie die Genehmigung des Haushalts.<br />
Alle Informationen und Formulare zur Wahl sind unter<br />
www.kvhb.de einzusehen und herunterzuladen.<br />
Wie stelle ich mich zur Wahl?<br />
Die Wahlordnung sieht zwei Möglichkeiten<br />
vor: Als Einzelwahlvorschlag oder in<br />
Form einer Liste. Auf einem offiziellen<br />
dreiseitigen Formular reichen Sie Ihren<br />
Wahlvorschlag beim Wahlausschuss ein.<br />
Damit der Vorschlag zugelassen werden<br />
kann, muss er bestimmte formale Kriterien<br />
erfüllen. Die KV <strong>Bremen</strong> hat dazu<br />
auf ihrer Homepage ein Merkblatt bereit<br />
gestellt. Wichtig ist unter anderem, dass<br />
jeder Wahlvorschlag von mindestens<br />
zehn wahlberechtigten Mitgliedern unter<br />
Kassenärztliche Vereinigung <strong>Bremen</strong><br />
Vertragsarztsitze<br />
stützt wird, dokumentiert durch deren eigenhändige<br />
Unterschriften.<br />
Welche Wahlkreise gibt es?<br />
Ein Wahlvorschlag kann für einen der drei<br />
Wahlkreise eingereicht werden. Für ärztliche<br />
Mitglieder besteht der Wahlkreis I<br />
<strong>Bremen</strong>Stadt und der Wahlkreis II BremerhavenStadt<br />
für ärztliche Mitglieder<br />
sowie ein Wahlkreis für (nichtärztliche)<br />
psychotherapeutische Mitglieder.<br />
Wann können Wahlvorschläge<br />
eingereicht werden?<br />
Mit der offiziellen Bekanntgabe der<br />
KV <strong>Bremen</strong> zur Wahl – voraussichtlich am<br />
16. September 2010 – beginnt die zweiwöchige<br />
Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge<br />
an den Wahlausschuss, der über<br />
die Einhaltung aller formalen Vorgaben<br />
wacht.<br />
Barbara Frank, KV <strong>Bremen</strong><br />
Die Kassenärztliche Vereinigung <strong>Bremen</strong> schreibt gemäß §103 (4) SGB V zur Übernahme<br />
durch einen Nachfolger aus:<br />
Ärzte<br />
Für den Planungsbereich <strong>Bremen</strong>Stadt:<br />
drei hälftige radiologische Vertragsarztsitze (Teilausschreibung)<br />
drei hausärztliche Vertragsarztsitze<br />
einen augenärztlichen Vertragsarztsitz<br />
einen hälftigen kinder- und jugendärztlichen Vertragsarztsitz (Teilausschreibung)<br />
Vorabinformationen können bei der KV <strong>Bremen</strong> erfragt werden bei:<br />
Martina Plieth Telefon: 0421-3404-336<br />
Manfred Schober Telefon: 0421-3404-332<br />
Kathrin Radetzky Telefon: 0421-3404-338<br />
Bewerbungen um die Vertrags sitze sind schriftlich innerhalb von vier Wochen nach<br />
Veröffentlichung an die Kassen ärztliche Ver einigung <strong>Bremen</strong>, Schwachhauser Heerstraße 26/28,<br />
28209 <strong>Bremen</strong>, zu richten.
© rrrob/Fotolia.com © Sean Locke/Istockphoto.com<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Fortbildung für<br />
krankenhausfachärzte<br />
Auch Fachärztinnen und Fachärzte im Krankenhaus unterliegen der<br />
gesetzlichen Fortbildungspflicht. Das Gleiche gilt für die im Krankenhaus<br />
tätigen psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten sowie<br />
Kinder- und Jugendlichentherapeutinnen und -therapeuten.<br />
Innerhalb von fünf Jahren müssen 250<br />
Fortbildungspunkte nachgewiesen werden,<br />
von denen mindestens 150 Punkte<br />
fachspezifisch erworben worden sind. Die<br />
Unterscheidung zwischen fachspezifischer<br />
und sonstiger Fortbildung trifft die<br />
fortbildungsverpflichtete Person, die Bestätigung<br />
erfolgt schriftlich durch die<br />
Ärztliche Direktorin/den Ärztlichen Direktor.<br />
Als Nachweis gilt das Fortbildungszertifikat<br />
der <strong>Ärztekammer</strong> oder der Psychotherapeutenkammer.<br />
Die Nachweise<br />
sind der Ärztlichen Direktorin/dem Ärztlichen<br />
Direktor vorzulegen, die/der die<br />
Einhaltung der Fortbildungsverpflichtung<br />
zu überwachen und zu dokumentieren<br />
hat. Der Fünfjahreszeitraum beginnt zum<br />
01. Januar 2006. Bei späterer Aufnahme<br />
der Tätigkeit ist der im Vertrag bestimmte<br />
erste Arbeitstag maßgeblich. Die Krankenhausleitung<br />
belegt die Fortbildung<br />
der in ihrem Haus tätigen fortbildungsverpflichteten<br />
Personen durch den Bericht<br />
der Ärztlichen Direktion. Dort sind<br />
alle der Fortbildungspflicht unterliegenden<br />
Personen mit dem Zeitraum anzugeben.<br />
Im Qualitätsbericht ist anzugeben,<br />
in welchem Umfang die Fortbildungspflicht<br />
erfüllt wurde. Am 31. Dezember<br />
2010 endet der erste Fünfjahreszeitraum.<br />
Wer also am 1. Janu ar 2006 zu der fortbildungsverpflichteten<br />
Gruppe gehörte,<br />
muss bis dahin ein Fortbildungszertifikat<br />
nachweisen. Die Fortbildung der Fachärzte<br />
im Kranken haus ist in einem Beschluss<br />
des Ge mein samen Bundesausschusses<br />
vom 19. März 2009 geregelt<br />
(www.gba.de/informationen/beschluesse,<br />
AktueLLeS<br />
Auswahloption Qualitätssicherung). Wei Weitere<br />
Auskünfte gibt es in der Akademie<br />
für Fort und Weiterbildung der <strong>Ärztekammer</strong><br />
<strong>Bremen</strong>, Dr. Susanne Hepe, Telefon:<br />
04213404260, EMail: susanne.hepe@<br />
aekhb.de.<br />
Dr. Susanne Hepe,<br />
Wiedereinstiegsseminar<br />
Die Akademie für Ärztliche Fortbildung der<br />
<strong>Ärztekammer</strong> und der Kassenärztlichen<br />
Vereinigung WestfalenLippe bietet im<br />
März und Oktober ein einwöchiges Wiedereinstiegsseminar<br />
für Ärzte an, die nach längerer<br />
Pause wieder in ihren Beruf zurückkehren<br />
möchten. Unter dem Titel „Was gibt<br />
es neues in der Medizin?“ gibt das Seminar<br />
in konzentrierter Form Ein und Überblicke<br />
in den aktuellen Wissenstand und gängige<br />
Beantragen Sie rechtzeitig ihr<br />
Fortbildungszertifikat bei der<br />
Akademie für Fort- und Weiterbildung,<br />
telefon: 0421-3404-261, -262,<br />
e-mail: fb@aekhb.de.<br />
Leiterin der Akademie für<br />
Fort- und Weiterbildung,<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong><br />
Verfahren zentraler ärztlicher Fachgebiete.<br />
Konkrete Krankheitsbilder werden angesprochen,<br />
Fallbeispiele diskutiert, aktive<br />
ärztliche Handlungskompetenz, z. B. in der<br />
Notfallmedizin, aufgefrischt. Weitere Informationen<br />
zum Seminar gibt es auf der<br />
Internetseite der <strong>Ärztekammer</strong> Westfalen<br />
Lippe, www.aekwl.de, unter dem Stichwort<br />
„Fortbildung“ im Online Fortbildungskatalog.<br />
21
22<br />
AktueLLeS<br />
Geprüfte Informationen auf<br />
einen Klick<br />
Das OnlinePortal www.arztbibliothek.de<br />
bietet Ärzten und Psychotherapeuten<br />
schnellen Zugriff auf vertrauenswürdige<br />
medizinische Informationen. Das Ärztliche<br />
Zentrum für Qualität in der Medizin<br />
(ÄZQ) hat das Internetangebot im Auftrag<br />
der Kassenärztlichen Bundesvereinigung<br />
(KBV) und der Bundesärztekammer (BÄK)<br />
entwickelt. Das OnlineNachschlagewerk<br />
bietet ausgewählte Behandlungsleitlinien,<br />
Praxishilfen und Patienteninforma<br />
www.arztbibliothek.de<br />
tionen. Ebenso verfügbar sind Cochrane<br />
Reviews und aktuelle Evidenzberichte.<br />
Weiterhin erhält der Nutzer Zugang zur<br />
OnlineDatenbank der Deutschen Zentralbibliothek<br />
für Medizin sowie zu Richtlinien<br />
und Gesetzesquellen. Die Experten<br />
des ÄZQ stellten die Informationen zusammen<br />
und prüften sie auf Relevanz für<br />
die vertragsärztliche Versorgung sowie<br />
auf Qualität und Vertrauenswürdigkeit.<br />
Das Angebot wird laufend erweitert.<br />
Schon jetzt zur Planung:<br />
Übergangsfristen laufen ab!<br />
Die Abteilung Weiterbildung der <strong>Ärztekammer</strong><br />
<strong>Bremen</strong> weist frühzeitig darauf<br />
hin, dass am 31.12.2011 die letzten Übergangsfristen<br />
zur Weiterbildungsordnung<br />
1996 ablaufen. Anschließend haben nur<br />
noch die Vorgaben der Weiterbildungsordnung<br />
2005 Gültigkeit.<br />
Wer seine Weiterbildung vor dem 1.4.2005<br />
begonnen hat, kann noch folgende Bezeichnungen<br />
nach der Weiterbildungsordnung<br />
1996 beantragen:<br />
1. alle Gebietsbezeichnungen<br />
2. die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie<br />
innerhalb des Gebietes<br />
Chirurgie<br />
3. die Schwerpunktbezeichnungen<br />
Angiologie, Endokrinologie, Gastroenterologie,<br />
Hämatologie und<br />
Internistische Onkologie, Kardiologie,<br />
Nephrologie, Pneumologie, Rheumatologie<br />
innerhalb des Gebietes Innere<br />
Medizin<br />
4. die Zusatzbezeichnungen Psychoanalyse,<br />
Psychotherapie<br />
Die Anträge müssen bis zum 31.12.2011<br />
bei der <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong> eingegangen<br />
sein.<br />
Des Weiteren kann die Facharztkompetenz<br />
Orthopädie und Unfallchirurgie gemäß<br />
den Übergangsbestimmungen der<br />
Weiterbildungsordnung 2005 ebenfalls nur<br />
noch bis zum 31.12.2011 beantragt werden.<br />
Anschließend ist die reguläre Weiterbildung<br />
nachzuweisen.<br />
Bei Unklarheiten und Rückfragen können<br />
Sie uns gern anrufen:<br />
Heide Bohlen, Telefon 04213404220,<br />
Susanne Freitag, Telefon: 04213404222,<br />
Petra Wedig, Telefon: 04213404223,<br />
Brigitte BrunsMatthießen,<br />
Telefon: 04213404241.<br />
Brigitte Bruns-Matthießen<br />
Leiterin Abteilung für Weiterbildung,<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong><br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Gefährliche<br />
Brustimplantate<br />
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und<br />
Medizinprodukte (BfArM) hat die Landesbehörden<br />
darüber informiert, dass eine<br />
europaweite Untersagung der Vermarktung,<br />
des Vertriebs und der weiteren Verwendung<br />
von Silikongelgefüllten Brustimplantaten<br />
des Herstellers Poly Implant<br />
Prothese (PIP) ausgesprochen wurde. Auf<br />
der Internetseite des Bremer Ärztejournals,<br />
www.bremeraerztejournal.de, steht<br />
dazu ein pdfDokument mit detaillierten<br />
Informationen zum Herunterladen bereit.<br />
Weniger PEG-<br />
Sonden-Träger<br />
In <strong>Bremen</strong> ist der durchschnittliche<br />
Anteil der PEGSondenTräger an der<br />
Gesamtheit der versorgten Personen<br />
in der stationären Altenpflege im Vergleich<br />
zum Jahr 2003 zurückgegangen.<br />
Das geht aus einer aktuellen Erhebung<br />
des Gesundheitsamtes <strong>Bremen</strong> hervor.<br />
Der Bericht mit dem Titel „Enterale<br />
Ernährung in der statio nären<br />
Altenpflege in <strong>Bremen</strong>: Hat sich die<br />
Prävalenz von PEGSonden geändert?“<br />
ver gleicht die Erhebungen 2003 und<br />
2009.<br />
Unter dem Punkt „Aktuelles“ auf der Internetseite<br />
des Gesundheits amtes <strong>Bremen</strong><br />
www.gesundheitsamt.bremen.de<br />
steht der Bericht zum Herunterladen<br />
bereit.<br />
© Gina Sanders/Fotolia.com
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 09| 10<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong><br />
In der Serie „Fünf Fragen an“ stehen die zehn Ausschüsse der <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong><br />
im Mittelpunkt. Die Vorsitzenden beantworten Fragen zu aktuellen Schwerpunkten<br />
und Herausforderungen.<br />
Fünf Fragen an…<br />
hubert Bakker, Vorsitzender des Ausschusses<br />
Gesundheit, umwelt, Prävention<br />
1.<br />
Herr Bakker, Sie sind seit<br />
Anfang 2008 Vorsitzender<br />
des Ausschusses Gesundheit,<br />
Umwelt, Prävention. Was hat<br />
Sie bewogen, im Ausschuss<br />
mitzuarbeiten?<br />
Mein berufliches Engagement in der Sportmedizin<br />
hat mich auf die Idee gebracht,<br />
mich der Prävention zu widmen. Prävention<br />
ist heute in der Sportmedizin ein sehr<br />
wichtiger Bestandteil. Die Deutsche Gesellschaft<br />
für Sportmedizin und Prävention<br />
(DGSP) sieht in der Prävention einen<br />
Hauptbestandteil ihrer Tätigkeit Sport und<br />
Bewegung als präventive Maßnahme darzustellen.<br />
Auf Bremer Ebene bin ich seit<br />
vielen Jahren in der Kooperation mit dem<br />
Landessportbund (LSB) <strong>Bremen</strong> in der Landesarbeitsgemeinschaft<br />
„Sport pro Gesundheit“<br />
als Präventionsbeauftragter der<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong> tätig. Prävention ist<br />
eine ureigene ärztliche Aufgabe und Tätigkeit.<br />
Der Staat hat Strukturen zur Verbesserung<br />
der Prävention im SGB V genau festgelegt,<br />
z. B. zum Checkup, zur Früherkennung<br />
von Erkrankungen wie Hautkrebsscreening<br />
oder Mammographierscreening.<br />
Hier sind Ärzte direkt eingebunden. Auch<br />
über das öffentliche Gesundheitssystem<br />
sind Mediziner beteiligt. Die Bundesärztekammer<br />
hat zur Prävention eine Ständige<br />
Konferenz eingerichtet, in der ich seit drei<br />
Jahren ebenfalls Mitglied bin.<br />
2.<br />
Was sind die aktuellen<br />
Schwerpunkte der Ausschussarbeit?<br />
Besonders fruchtbar und immer noch aktuell<br />
ist die Kooperation der <strong>Ärztekammer</strong><br />
<strong>Bremen</strong> mit dem LSB <strong>Bremen</strong>. Zusammen<br />
geben wir jährlich eine Broschüre mit allen<br />
zertifizierten Gesundheitsangeboten der<br />
Bremer und Bremerhavener Sportvereine<br />
heraus. Hier können alle Ärzte und Patienten<br />
Informationen zu Kursangeboten bei<br />
Sportvereinen in ihren Stadtteilen finden,<br />
von denen fast alle von den Krankenkassen<br />
auf Antrag bezuschusst werden. Dazu<br />
gehören in <strong>Bremen</strong> auch die Herzsportgruppen<br />
und die Krebssportangebote.<br />
Diese Broschüre kann über den LSB <strong>Bremen</strong><br />
oder die <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong> kostenlos<br />
bezogen werden. Bewegung ist mit<br />
jeder Menge Evidenz das wirkungsvollste<br />
und preiswerteste Mittel zur Vorbeugung<br />
von Erkrankungen, sowie auch in der Sekundär<br />
und Tertiärprävention bei vielen<br />
Erkrankungen und gesundheitlichen Risiken<br />
das beherrschende Element neben Ernährung,<br />
Hygiene und Impfungen. Daher<br />
wird auch im Land <strong>Bremen</strong> in der nächsten<br />
Zeit schwerpunktmäßig daran gearbeitet,<br />
das „Rezept für Bewegung“ einzuführen.<br />
Dieses Rezept stellt der behandelnde Arzt<br />
aus. Es soll für Patienten genaue Angaben<br />
zur Bewegung enthalten und zur Teilnahme<br />
an Bewegungsprogrammen durch<br />
Kassen oder im Bereich Gesundheitssport<br />
berechtigen. Einige Krankenkassen und<br />
sehr viele Sportvereine bieten solche Programme<br />
bereits an. In anderen Bundesländern<br />
wie Berlin, NordrheinWestfalen, Hessen<br />
und Thüringen hat das Bewegungsrezept<br />
seit Jahren Erfolg.<br />
3.<br />
Was war die bisher<br />
spannendste Thematik?<br />
Unser Ausschuss hat sich in den letzten<br />
Jahren unter anderem mit dem Thema<br />
NikotinAbusus befasst. So sponsert die<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong> das Programm<br />
„don´t start be smart“. Wenn Schulklassen<br />
ein Jahr lang nicht rauchen und den<br />
Verhaltenskodex des Programmes befolgen,<br />
werden sie mit einem Preis wie z. B.<br />
einem Gutschein für eine Kanutour auf<br />
der Wümme belohnt. Aber auch Themen<br />
wie Kindergesundheit und präventive<br />
Maßnahmen gegen Adipositas, Koordinationsstörungen<br />
und Bewegungsmangel<br />
sowie Demenz und Schweinegrippe widmete<br />
sich der Ausschuss.<br />
4.<br />
5.<br />
Warum würden Sie jungen<br />
Ärzten die Mitarbeit im<br />
Ausschuss empfehlen?<br />
AktueLLeS 23<br />
Für junge Ärzte bietet der Ausschuss eine<br />
wertvolle Plattform für die Organisation<br />
von Gesundheitskampagnen, Weiterbildungen,<br />
Fortbildungen und die Teilnahme<br />
an der Erarbeitung von Curricula für Präventivmedizin.<br />
Das sind spannende Prozesse<br />
mit vielen aktuellen Bezügen. Die<br />
Zusammensetzung des jetzigen Ausschusses<br />
ist durch kompetente Mitglieder gekennzeichnet.<br />
Dadurch sind wertvoller In <br />
formationsaustausch und konstruktives<br />
Arbeiten immer gewährleistet.<br />
Welche Schwerpunkte sehen<br />
Sie in der Zukunft?<br />
Bewegungsprogramme, Ernährung, Probleme<br />
der Umsetzung von Prävention bei<br />
Menschen mit Migrationshintergrund und<br />
Männergesundheit zählen sicherlich zu<br />
den künftigen Schwerpunkten. Auch die<br />
Bundesärztekammer wird uns insbesondere<br />
im Bereich Umwelt weitere Aufgaben<br />
stellen. Und das Beispiel Schweinegrippe<br />
hat gezeigt, dass unvorhergesehene<br />
neue Aspekte bearbeitet werden<br />
müssen. Außerdem hat die Bundesärztekammer<br />
einen Präventionskongress in<br />
Berlin etabliert, der mit Experten und deren<br />
Studien zur Prävention versucht, die<br />
Kompetenz der Ärzteschaft wieder näher<br />
an die Politik zu bringen.
24<br />
AkAdemie<br />
AkAdemie FüR FORt- und WeiteRBiLdunG<br />
Fit für den Facharzt<br />
Chirurgie<br />
Herzklappenchirurgie / Prof. Dr. D. Hammel<br />
termin: 14. September 2010, 18.30 – 20.00 uhr<br />
Innere Medizin: Hämatologie<br />
Akute Leukämien / MDS / Prof. Dr. B. Hertenstein<br />
termin: 14. September 2010, 19.00 – 20.30 uhr<br />
Gynäkologie<br />
Notfälle im Kreißsaal / A. Brunnbauer<br />
termin: 16. September 2010, 18.00 – 19.30 uhr<br />
Radiologie<br />
Möglichkeiten und Grenzen der RöntgenThoraxUntersuchung<br />
aus der Sicht des Pneumologen – praktische Beispiele /<br />
Einführung in die Projektionsradiographie des Thorax<br />
Prof. Dr. Ukena / Dr. A. Sternberg<br />
termin: 21. September 2010, 18.00 – 19.30 uhr<br />
die Veranstaltungen sind kostenfrei. (2 Pkt)<br />
Gesund leben lernen<br />
Lehrer und Ärztetag 2010 – eine Veranstaltung im Rahmen<br />
der Gesundheitswoche Bremerhaven<br />
termin: 8. September 2010, 15.00 – 17.00 uhr<br />
Ort: Stadthalle Bremerhaven<br />
die Veranstaltung ist kostenfrei. (2 Pkt)<br />
Bremer Curriculum für Spezielle Psychotraumatherapie<br />
Grundlagen der Traumatherapie<br />
termin: 11. September 2010, 9.30 – 15.30 uhr<br />
kosten: 120,- (6 Pkt)<br />
16. Bremer Zytologietag<br />
Themen: Qualitätsvereinbarung Zytologie, Kleinzellige Läsionen<br />
der Cervix uteri, Zytologie des Respirationstrakts und<br />
Differentialdiagnose, Immunzytologie und molekulare Techniken<br />
(Vorträge mit Workshop)<br />
termin: 18. September 2010, 9.30 – 16.00 uhr<br />
alternativ 19. September 2010, 9.30 – 13.00 uhr<br />
kosten: 35,- bis 100,- euro (7/4 Pkt)<br />
English for Medical Purposes: Illnesses and Diseases<br />
Anhand aktueller Entwicklungen werden im In und Ausland<br />
fachübergreifende Krankheitsbilder in englischer Sprache erarbeitet<br />
und mit Ihren Kollegen/Innen diskutiert. Ihre Fachrichtung<br />
findet bei der Themenauswahl Berücksichtigung.<br />
termin: 29. September 2010, 15.00 – 19.45 uhr<br />
kosten: 75,- (6 Pkt)<br />
Forum Junge Medizin<br />
Das Überbringen schlechter Nachrichten, Teil II<br />
Die ärztliche Tätigkeit verlangt Grundregeln der Kommu <br />
ni kation. Das Überbringen schlechter Nachrichten rührt an<br />
bestimmte Ängste und wirft Fragen auf nach der ärztlichen<br />
Verantwortung. In dieser Veranstaltung geht es darum, einen<br />
Umgang und eine Haltung zu entwickeln.<br />
Referentin: Colette Mergeay<br />
termin: 5. Oktober 2010, 19.00 – 21.00 uhr<br />
die Veranstaltung ist kostenfrei. (2 Pkt)<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Veranstaltungsinformationen<br />
Arbeitskreis Hämotherapie<br />
HämotherapieRichtlinien der BÄK und des PEIÄnderungen<br />
und Ergänzungen 2010 / Filmvorführung: „Penny Allison –<br />
how dangerous blood transfusions can be”<br />
Der Ak Hämotherapie befasst sich mit den aktuellen Änderungen<br />
und Ergänzungen der Richtlinie zur Gewinnung von Blut<br />
und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten<br />
(Hämotherapie). Im zweiten Teil der Veranstaltung geht es<br />
um die konkreten Abläufe im Alltag transfundierender Einrichtungen<br />
am Beispiel eines – satirisch etwas überspitzten, aber<br />
durchaus an der Realität orientierten – Films des britischen<br />
National Blood Service.<br />
termin: 28. Oktober 2010, 19.00 – 21.00 uhr<br />
die Veranstaltung ist kostenfrei. (2 Pkt)<br />
Psychosomatische Grundversorgung<br />
Inhalt dieser Fortbildungsreihe ist der Erwerb von Kenntnissen in<br />
„Psychosomatischer Krankheitslehre“. Ziel der psychosomatischen<br />
Grundversorgung ist vor allem, den Patienten leibseelische<br />
Zusammenhänge zu erschließen und den Versuch zu<br />
unternehmen, mit pragmatischen Mitteln, die Beziehung zwischen<br />
Arzt und Patienten therapeutisch zu nutzen. Neben der<br />
Theorievermittlung wird in Kleingruppen das psychosomatische<br />
Gespräch theoretisch und praktisch eingeübt, die Bereitschaft der<br />
aktiven Mitarbeit in Gesprächsübungen wird vorausgesetzt.<br />
termine: 6 Wochenenden ab 29./30. Oktober 2010, jeweils<br />
Freitag 17.00 – 19.30 uhr, Samstag 10.00 – 17.00 uhr<br />
kosten: 750,- (60 Pkt)<br />
Kommunikationstraining für Ärztinnen und Ärzte<br />
Kooperation mit der Bremer Krebsgesellschaft und der Universität<br />
Heidelberg<br />
termin: 25. – 27. november 2010,<br />
donnerstag 17.30 – 21.00 uhr, Freitag 9.00 – 18.00 uhr,<br />
Samstag 10.00 –16.00 uhr<br />
Veranstaltungsort: <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong><br />
kosten: 180,- euro (23 Pkt)<br />
Einführungsseminare QEP – Qualität und<br />
Entwicklung in Praxen<br />
termin: 26. – 27. november 2010, Freitag 17.00 – 21.00 uhr,<br />
Samstag 8.30 – 17.15 uhr<br />
kosten: 235,- / 150,- euro (18 Pkt)<br />
die Veranstaltungen finden, sofern nicht anders angegeben,<br />
im Fortbildungszentrum der <strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong> am<br />
klinikum <strong>Bremen</strong>-mitte statt. Bei allen Veranstaltungen ist<br />
eine vorherige schriftliche Anmeldung notwendig.<br />
nähere informationen und Anmeldeunterlagen erhalten<br />
Sie bei der Akademie für Fort- und Weiterbildung,<br />
tel.: 0421-3404-261/-262;<br />
e-mail: fb@aekhb.de (Friederike Backhaus, Yvonne Länger)
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> 09| 10<br />
Namen & Nachrichten<br />
n Dr. Edith Kramer ist neue medizi nische<br />
Geschäftsführerin des Klinikums<br />
Bremerhaven Reinkenheide.<br />
Sie löste am<br />
1. Januar den bisherigen<br />
Geschäftsführer Dr. Ernst<br />
Gerhard Mahlmann ab. Dr.<br />
Kramer ist Fachärztin für Anästhesiologie<br />
und Schmerztherapie. Neben ihrer Praxistätigkeit<br />
war sie bislang im Bereich Qualitätsmanagement<br />
tätig. Außerdem arbeitete<br />
Dr. Kramer als Referentin des<br />
Vorstandes des Univer sitätsklinikums<br />
Göttingen. Sie studierte zunächst Jura<br />
und legte das 1. Staatsexamen ab, danach<br />
studierte sie Medizin.<br />
n Dr. Stefan Kreszis, Facharzt für Allgemeinmedizin,<br />
ist seit Juli<br />
dieses Jahres niedergelassener<br />
Hausarzt in der Gemeinschaftspraxis<br />
mit Kornelia<br />
Auffenberg in <strong>Bremen</strong>.<br />
Nach seinem Studium<br />
in Berlin und Marburg, absolvierte der<br />
Allgemeinmediziner seine Facharztausbildung<br />
in Kliniken in <strong>Bremen</strong> und OsterholzScharmbeck<br />
sowie in einer allgemeinmedizinischen<br />
Praxis in <strong>Bremen</strong><br />
Nord. Dr. Kreszis führt seit 2008 die<br />
Zusatzbezeichnung Notfallmedizin und<br />
ar beitet regelmäßig als Notarzt.<br />
n Dr. Tim Müller, Facharzt für Allgemeinmedizin,<br />
Zusatzbezeichnung<br />
Naturheil verfahren, ist seit<br />
dem 1. Juli niedergelassener<br />
Arzt in der Gemeinschaftspraxis<br />
mit Benno<br />
Eichentopf, Internist, und<br />
der Allgemeinmedizinerin Regine Rauer<br />
in <strong>Bremen</strong>/Kattenturm. Dr. Müller hat an<br />
der JohannWolfgangGoetheUniversität<br />
Frankfurt/Main studiert. Seine klinische<br />
Facharztausbildung absolvierte er in Schottland.<br />
Dr. Müller verfügt über ein Diplom<br />
der Geriatrischen Medizin der Universität<br />
Glasgow. Die hausärztliche Facharztausbildung<br />
durchlief er in drei verschiedenen<br />
Praxen in <strong>Bremen</strong>.<br />
n PD Dr. Andreas Rümelin ist neuer<br />
Chefarzt der Anästhesiologie<br />
und operativen Intensivmedizin<br />
der DRK Kliniken<br />
und Pflege Wesermünde. In<br />
diesem Be reich ist Dr. Rümelin<br />
seit dem 1. Mai zuständig<br />
für die Häuser Klinik Am Bürgerpark<br />
in Bremerhaven und Seepark Klinik<br />
Deb stedt. Dr. Andreas Rümelin verfügt<br />
über zusätz liche Qualifikationen in den Bereichen<br />
Notfall und Intensivmedizin, Anästhesie,<br />
Transfusions medizin, Ernährungsmedizin,<br />
Strahlenschutz und Ultraschall.<br />
Ermächtigung ist kein Blankoscheck<br />
Aus aktuellem Anlass weist die KV <strong>Bremen</strong><br />
Ermächtigte Krankenhausärzte darauf<br />
hin, dass sie Leistungen aus dem<br />
Ermächtigungskatalog höchstpersönlich<br />
erbringen müssen. Der Disziplinarausschuss<br />
hat jüngst gegen einen Krankenhausarzt<br />
einen Verweis aussprechen<br />
müssen. Dieser hatte ärztliche Aufgaben,<br />
zu denen ausschließlich er auf<br />
Grund seiner Quali fi kation ermächtigt<br />
worden war, an einen Kollegen delegiert.<br />
Der Disziplinarausschuss der KV<br />
<strong>Bremen</strong> sieht darin einen groben Verstoß.<br />
Es widerspreche dem gesetzlichen<br />
Zweck der Ermächtigung, wenn die betreffenden<br />
Leistungen von Assistenten<br />
erbracht werden. Sie können deshalb<br />
nicht abgerechnet werden. Mit dem<br />
Verweis des Diziplinarausschusses ist es<br />
allerdings nicht getan. Den Krankenhausarzt<br />
trifft zusätzlich eine empfindliche<br />
Rückzahlungsforderung in Höhe von<br />
60.000 Euro.<br />
Berichtsbogen<br />
überarbeitet<br />
Der Berichtsbogen zur Meldung von<br />
unerwünschten Arzneimittelwirkungen<br />
(UAW) an die Arzneimittelkommission<br />
der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ist<br />
grundlegend überarbeitet worden. Das<br />
Formular wurde erneuert, um UAW<br />
Meldungen so einfach wie möglich zu<br />
gestalten und trotzdem möglichst alle<br />
Angaben zu erfassen. OnlineFormulare<br />
zur UAWMeldung gibt es im Internet<br />
unter www.akdae.de.<br />
Hinweis auf die<br />
15. AMG-Novelle<br />
Mit Inkrafttreten der 15. AMGNovelle<br />
am 23. Juli 2009 hat sich die Rechtsgrundlage<br />
für die Herstellung von Arzneimitteln<br />
durch Ärztinnen und Ärzte<br />
geändert. Die Senatorin für Arbeit,<br />
Frauen, Jugend, Gesundheit und Soziales<br />
hat ein Merkblatt herausgegeben,<br />
das die schwierige Materie erläutert.<br />
Sie finden das Merkblatt unter<br />
www.soziales.bremen.de/sixcms/<br />
detail.php?gsid=bremen69.c.2258.de.<br />
25
26<br />
Recht<br />
Abbruch lebenserhaltender<br />
Behandlung – strafbar?<br />
der Fall:<br />
eine 1931 geborene Patientin lag<br />
seit Oktober 2002 in einem<br />
Wachkoma. in einem Pflegeheim<br />
wurde sie über eine PeG-Sonde<br />
künstlich ernährt. eine Besserung<br />
ihres Gesundheitszustandes war<br />
nicht zu erwarten. die Patientin<br />
hatte im September 2002 mündlich<br />
den Wunsch geäußert, in einem<br />
derartigen Fall die künstliche<br />
ernährung einzustellen. die zwei<br />
kinder der Patientin – inzwischen<br />
Betreuer ihrer mutter – bemühten<br />
sich um die einstellung der künstlichen<br />
ernährung, um ihrer mutter –<br />
entsprechend ihrem ausdrücklich<br />
geäußerten Wunsch – ein Sterben in<br />
Würde zu ermöglichen.<br />
Nachdem die Tochter der Patientin Ende<br />
2007 die Nahrungszufuhr über die Sonde<br />
beendet hatte, wurde die künstliche Ernährung<br />
in dem Pflegeheim wieder aufgenommen,<br />
bei gleichzeitiger Androhung<br />
eines Hausverbotes für die Tochter der<br />
Pa tientin. Der von den Kindern der Patientin<br />
konsultierte Rechtsanwalt – späte<br />
AnzeiGenBöRSe<br />
Fortbildung<br />
rer Angeklagter – erteilt den Rat, den<br />
Schlauch der PEGSonde unmittelbar über<br />
der Bauchdecke zu durchtrennen. Entsprechend<br />
dem Rat schnitt die Tochter<br />
mit Hilfe ihres Bruders den Schlauch<br />
durch. Auf Veranlassung der Heimleitung<br />
und der Staatsanwaltschaft wurde die<br />
Patientin gegen den Willen ihrer Kinder<br />
in ein Krankenhaus gebracht. Sie starb<br />
dort zwei Wochen später eines natürlichen<br />
Todes aufgrund ihrer Erkrankungen.<br />
Das Urteil I. Instanz<br />
(Landgericht Fulda)<br />
Der ratgebende Anwalt wurde wegen versuchten<br />
Totschlags durch aktives Tun zu<br />
einer Bewährungsstrafe von neun Monaten<br />
verurteilt. Die Tochter wurde freigesprochen,<br />
da sie schuldlos gehandelt habe.<br />
Das Urteil II. Instanz (BGH)<br />
Der 2. Strafsenat des BGH hat den verurteilten<br />
Rechtsanwalt freigesprochen und<br />
ergänzend auf die inzwischen seit dem<br />
1. September 2009 geltenden Bestimmungen<br />
des „Patientenverfügungsgesetzes“<br />
verwiesen.<br />
Die von der Patientin im September 2002<br />
geäußerte Einwilligung, die ihre Betreuer<br />
<strong>BREMER</strong> <strong>ÄRZTE</strong><strong>JOURNAL</strong> LeSeRBRieFe Recht 09| 10<br />
Autor dieser Rubrik ist der<br />
Bremer Rechtsanwalt und Notar<br />
Wolf martin nentwig. Er zeichnet<br />
verantwortlich für den Inhalt.<br />
Kontakt:<br />
nentwig@castringius.de<br />
geprüft und bestätigt hatten, entfaltete<br />
eine bindende Wirkung und stellte eine<br />
Rechtfertigung des Behandlungsabbruches<br />
dar. Dies ist in § 1901 a Abs. 3 BGB<br />
ausdrücklich bestimmt – unabhängig von<br />
Art und Stadium der Erkrankung. Die Betreuer<br />
durften nicht nur den Behandlungsabbruch<br />
durch Unterlassen weiterer<br />
Ernährung, sondern auch durch aktives<br />
Tun – Beendigung oder Verhinderung einer<br />
nicht mehr gewollten Behandlung – vornehmen<br />
(BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 –<br />
2 StR 454/09). Die Ausführungen in dem<br />
Urteil des BGH sind zu begrüßen. Sie stärken<br />
den geäußerten, zu beachtenden<br />
Willen der Patienten. Um Beweisschwierigkeiten<br />
hinsichtlich des geäußerten<br />
Patientenwillens zu vermeiden, ist jedem<br />
(potenziellen) Patienten dringend zu<br />
empfehlen, eine Vorsorgevollmacht und<br />
eine Patientenverfügung durch einen Notar<br />
des Vertrauens beurkunden zu lassen.<br />
Der Notar attestiert die Geschäftsfähigkeit<br />
des Testierenden und ist bei der Formulierung<br />
der Urkunden behilflich. Er<br />
sorgt ferner für eine Hinterlegung der relevanten<br />
Daten bei der Bundesnotarkammer.<br />
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www.bremeraerztejournal.de<br />
herausgeber:<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong>,<br />
Schwachhauser Heerstraße 30, 28209 <strong>Bremen</strong>,<br />
www.aekhb.de.<br />
Kassenärztliche Vereinigung <strong>Bremen</strong>,<br />
Schwachhauser Heerstraße 26/28, 28209 <strong>Bremen</strong>,<br />
www.kvhb.de<br />
Für den inhalt verantwortlich:<br />
FranzJosef Blömer, Günter Scherer<br />
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28203 <strong>Bremen</strong><br />
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Autoren dieser Ausgabe:<br />
Dr. Kerstin BoomgardenBrandes, Brigitte Bruns<br />
Matthießen, Dr. Heribert Fleischmann, Christoph Fox,<br />
Barbara Frank, Dr. Heidrun Gitter, Dr. Alfred Haug,<br />
Dr. Peter Heinen, Dr. Susanne Hepe, Dr. John Koc,<br />
Dr. Thomas Liebsch, Christel Lüdecke,<br />
Prof. Dr. Bernd Mühlbauer, Wolf Martin Nentwig,<br />
Dr. Wolfgang Poser, Prof. Dr. Stephan Teyssen<br />
Redaktion:<br />
Andrea Klingen (Ltg.), Sabine MüllerSchumann<br />
Bildnachweis:<br />
Fotolia: © Lichtbildnerin, © rotoGraphics,<br />
© Gina Sanders, © Alx, © Sven Weber, © blacksock,<br />
© Dron, © WoGi, © rrrob<br />
Istockphoto: © esolla, © andrea laurita, © Sean Locke<br />
© Peter Schoppe Werbeagentur GmbH<br />
Tel.: 04 21 / 360 85 - 0<br />
Fax: 04 21 / 337 80 - 30<br />
info@pvs-bremen.de<br />
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Jede Kontaktaufnahme wird vertraulich behandelt.<br />
48-jähriger Facharzt Allgemeinmedizin<br />
hausärztliche Geriatrie, Chirotherapie, 14 J. Praxis sucht wegen<br />
Ortwechsel zum 1. oder 2. Quartal 2012 Kooperation in GMP<br />
oder MVZ. <strong>Bremen</strong>/Bermerhaven und Umzu.<br />
Mobil: 0151/50478878 oder<br />
E-Mail: dr.peter.fischer@me.com<br />
Verlag:<br />
Peter Schoppe Verlag,<br />
Walderseestraße 48, 30177 Hannover,<br />
Tel. 0511/6262663, Fax 0511/90925022<br />
Verantwortlich für die Anzeigen:<br />
Peter Schoppe Werbeagentur GmbH,<br />
Sarah Hennig, Waldersee straße 48, 30177 Hannover,<br />
Tel. 0511/9092500<br />
Zurzeit gilt die Anzeigenpreisliste Nr. I/10,<br />
gültig ab 1. Januar 2010.<br />
druck:<br />
Druckerei Schäfer, Sarstedt<br />
Beilagenhinweis:<br />
Diese Ausgabe enthält eine Beilage der Deutschen<br />
Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin<br />
(DGSM e.V.)<br />
27
Postvertriebsstück H 42085, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt.<br />
<strong>Ärztekammer</strong> <strong>Bremen</strong>, Schwachhauser Heerstraße 30, 28209 <strong>Bremen</strong><br />
Stellenmarkt<br />
Wir suchen für unsere<br />
Praxisgemeinschaft für<br />
Allgemeinmedizin,<br />
zentral gelegen in <strong>Bremen</strong>,<br />
eine/n Ärztin/Arzt in Teilzeit<br />
evtl. auch nur Vertretung,<br />
KVSitz vorhanden. Überdurchschnittliche<br />
Bezahlung.<br />
Hohe Scheinzahl. Nettes Team.<br />
Spätere Praxisübernahme<br />
möglich.<br />
Fax 0421/5578429<br />
Dermatologin<br />
sucht flexible Mitarbeit in Praxis.<br />
Chiffre 100904<br />
Allgemeinmedizinerin<br />
übernimmt Praxisvertretungen<br />
oder TZMitarbeit in hausärztl.<br />
Praxis in HB und Umgebung.<br />
Tel. 0170/7740961<br />
KV-Sitz Hausarzt<br />
zum Kauf gesucht<br />
Chiffre 100908<br />
Institut für Pharmakologie am Klinikum <strong>Bremen</strong>-Mitte<br />
sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt<br />
Ärztin / Arzt<br />
Zunächst befristet für die Dauer von 2 Jahren, in Teil- oder Vollzeitbeschäftigung.<br />
Von Vorteil sind Kenntnisse in der Durchführung klinischer<br />
Prüfungen.<br />
Tätigkeitsfelder<br />
– Klinische Arzneimittelprüfung (vorwiegend)<br />
– Therapiebewertung auf Basis der Evidenz-basierten Medizin<br />
– Arzneimitteltherapie-Beratung.<br />
Die volle Weiterbildungsbefugnis für das Fach Klinische Pharmakologie<br />
sowie Promotionsmöglichkeit sind vorhanden. Bewerbungen bitte an:<br />
Prof. Bernd Mühlbauer, Institut für Pharmakologie<br />
am Klinikum <strong>Bremen</strong> Mitte, St.-Jürgen-Str. 1, 28177 <strong>Bremen</strong>,<br />
Tel. 0421/4975352<br />
Allgemeinärztl.-internist. GP (hausärztl.)<br />
umsatzstark, Nähe <strong>Bremen</strong>, breites Spektrum sucht Kollegen/in<br />
zur langfristigen Mitarbeit o. Einstieg als Praxispartner/in,<br />
ggf. Teilzeittätigkeit.<br />
Chiffre 100911<br />
Sonstiges<br />
Aus Praxisverkleinerung<br />
abzugeben: EKG, Kaltlicht projektor,<br />
Lichtleitkabel, Mikroskop,<br />
Amnioskop, Prokteskop,<br />
div. gyn. Instrumente. Bitte Liste<br />
anfordern unter m.zorn@<br />
nordcom.net oder 04744/3625<br />
Praxisinventar<br />
wie Rezeptionsblock m. Karteikästen, Wartezimmerstühle<br />
und tische, Schreibtische und Schreibtischstühle, Liegen, fast<br />
neue Computerhardware, div. Drucker, Faxgerät, EKGGerät,<br />
NEMEC und MWGerät sowie aktuelle Computersoftware (Quincy)<br />
günstig abzugeben.<br />
Tel. 0160/96009172<br />
Praxisräume<br />
Nachfolge für<br />
Landpraxis gesucht<br />
Einzelarztsitz, Übergabe<br />
bis 2014, Weiterbildung AFA<br />
18 Monate möglich, zentral<br />
HB HH H gelegen<br />
Tel. 04266/1616<br />
Nachfolger/in für<br />
florierende hausärztl.-internistische Praxis<br />
in HBWest bis 2012 gesucht. Auch Übergabepartnerschaft möglich<br />
großzügige Räuml. (für 2 Ärzte geeignet) zentrale Lage, beste<br />
Verkehrsanbindung Apotheke/Parkplätze im Hause, Fahrstuhl.<br />
Fax 0421/381211, Tel. 0421/382855<br />
Zuschriften auf Chiffre- Anzeigen bitte an:<br />
Peter Schoppe Werbe agentur GmbH, ChiffreNr.:<br />
Walderseestr. 48, 30177 Hannover,<br />
Tel. 05 11/90 92 500, Fax 05 11/90 92 5022<br />
Kleinanzeigenschluss Heft 10/10:<br />
14. September 2010<br />
Ärztehaus <strong>Bremen</strong><br />
Langemarckstr.<br />
EG/UG, 155 qm an<br />
allgemeinmed. oder andere<br />
Fachrichtung, Miete: 400 Euro,<br />
keine Umzugs, Umbau und<br />
Renovierungskosten,<br />
HohentorApotheke.<br />
Tel. 0421/8093212<br />
Stuhr-Varrel (Landesgrenze <strong>Bremen</strong>)<br />
Praxisräume in Ärztehaus (Arzt, ZahnarztPraxis und<br />
Apotheke vorhanden), 130 qm, 1. OG, neuer Fahrstuhl vorhanden,<br />
zentrale Ortslage, nebenliegend Filialen der Kreissparkasse<br />
und Volksbank, Vielzahl an Parkplätzen, BusHaltestelle<br />
gegenüberliegend, Renovierung nach Ihren Wünschen,<br />
1 Jahr mietfrei, Überlassung gut erhaltener Praxis-<br />
Einrichtung unentgeltlich, von privat an Arzt für<br />
Allgemeinmedizin/Chiropr./Akup./Homöop. (Russischkenntnisse<br />
von Vorteil) oder andere Fachrichtungen (durch Umzug oder<br />
als Filial-Praxis zur Behandlung von Privat-Patienten) kurzfristig<br />
zu vermieten. Hoher Anteil Privat-Patienten.<br />
Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem Internet unter<br />
www.ImmobilienScout24.de (ScoutID: 41333928).<br />
Chiffre 100906<br />
Praxisräume (auch als Zweigstelle)<br />
<strong>Bremen</strong>Oslebshausen (ca. 85 + 40 qm) ab sofort mit Teileinrichtung<br />
(Rezeptionsblock, Schreibtische, Wartezimmerstühle u.a.) zu<br />
vermieten. Aktuelles Praxisequipment (Software, Hardware u.a.)<br />
abzugeben. Mietbeginn und MIte nach Vereinbarung.<br />
Tel. 04292/1442 oder 0160/96009172<br />
Schöne günstige Praxis <strong>Bremen</strong><br />
Alle Fachrichtungen, OP-Räume vorhanden. Miete/Untermiete,<br />
auch tageweise, flexible Gestaltung.<br />
Tel. 0175/4701814,<br />
E-Mail: Dr.Khorram@t-online.de