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BEHINDERUNG - Dorfzytig

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Eigentlich würde der 13-jährige Daniel<br />

mit einer mehrfachen Behinderung lieber<br />

im Rollstuhl spazieren gehen. Das<br />

liebt er. Sobald sein Vater Markus den Stuhl<br />

in Bewegung setzt, reagiert er freudig; mit<br />

raschen Bewegungen seiner Arme und mit<br />

seiner Mimik. Reden kann er nicht. Doch an<br />

diesem Samstagmorgen muss er sich gedulden.<br />

Maria Fust, die Vermittlerin des Entlastungsdienstes<br />

ist gekommen, Susy Heuer-<br />

Ackermann, die neue Präsidentin des Vereins<br />

Entlastungsdienst für Familien mit Behinderten<br />

Gossau, Untertoggenburg, Wil, und die<br />

Journalistin.<br />

Dankbar für den Dienst<br />

Eva und Markus Schlegel sind auf den Entlastungsdienst<br />

angewiesen. Sie nehmen ihn<br />

schon seit dem Kleinkindalter von Daniel in<br />

Anspruch. Maria Fust kennt Daniel und seine<br />

Familie seit acht Jahren. Sie wechselt sich<br />

mit einer anderen Betreuerin ab und übernimmt<br />

den Dienst dann, wenn Daniel vom<br />

Schulheim Kronbühl nach Hause kommt. Am<br />

Wochenende oder jeden zweiten Mittwochnachmittag.<br />

Sie nimmt ihn nach dem Mittagsschlaf<br />

auf, wäscht ihn, gibt ihm den Zvieri,<br />

geht mit ihm spazieren. «Wenn Ferien sind,<br />

sind wir voll auf den Entlastungsdienst und<br />

die ´Sonnenhalde´ in Münchwilen angewiesen»,<br />

sagen die Eltern. Zwischen ihnen und<br />

den beiden Frauen des Entlastungsdienstes<br />

ist ein Vertrauensverhältnis gewachsen. «Es<br />

war am Anfang nicht einfach, unser Kind anderen<br />

Menschen zu überlassen, aber es geht<br />

nicht anders. Wir kamen an unsere Grenzen;<br />

zeitlich und gesundheitlich», machen Eva<br />

und Markus Schlegel bewusst. Wie sie gelernt<br />

haben, ein Kind mit einer Mehrfachbehinderung<br />

anzunehmen und die Situation zu<br />

akzeptieren, wäre eine andere Geschichte.<br />

Heute nennen sie Daniel einen «Sonnenschein»,<br />

freuen sich, wenn er zu Hause ist,<br />

wenn er mit seinen Möglichkeiten reagiert.<br />

Sie sehnen sich nach ihm, wenn er ein Wochenende<br />

nicht zu Hause ist. Papa Schlegel<br />

nimmt ihn während des Besuchs aus dem<br />

Rollstuhl, setzt ihn sich auf das Knie, singt<br />

im etwas vor. Die Liebe der Eltern zu ihrem<br />

«Sonnenschein» erfüll den Raum.<br />

Über Dienst informieren<br />

«Wir können uns nicht auf Verwandte abstützen<br />

und brauchen den Entlastungsdienst»,<br />

erklären Eva und Markus Schlegel, die nebst<br />

Daniel noch die 16-jährige Tochter Nadja haben.<br />

Heikel wird es vor allem dann, wenn Daniel<br />

krank wird. Er muss nach Hause geholt<br />

werden. «Wir können schnell und flexibel reagieren»,<br />

sagt Maria Fust und zeigt auf, dass<br />

dank den schlanken Strukturen des Vereins<br />

schnell eine Betreuerin vermittelt werden<br />

kann. Worüber sich sowohl die Familie als<br />

auch die Vermittlerin und die neue Präsidentin<br />

Susy Heuer wundern ist, dass der Entlastungsdienst<br />

teilweise unbekannt ist. Es gibt<br />

Ärzte, Spitäler, Sozialberatungen oder Spitex-Dienste,<br />

die darüber informieren, doch<br />

es könnte verbreiteter sein. «Wir mussten<br />

damals selber herausfinden, wo wir Hilfe holen<br />

können», erinnert sich Markus Schlegel.<br />

Zwei bis drei Stunden ist die Betreuerin des<br />

Entlastungsdienstes jeweils in der Familie.<br />

Der Einsatz ist unterschiedlich. «Ich bin auch<br />

froh, wenn mir Maria Fust hilft, Daniel zum<br />

Arzt oder Zahnarzt zu bringen oder wenn sie<br />

einfach da ist, damit ich mich um meine Klienten<br />

in meiner Ernährungsberatungs-Praxis<br />

kümmern oder kochen kann», nennt Eva<br />

Schlegel ein paar Beispiele.<br />

Soziale Einstellung<br />

Daniel hat hie und da epileptische Anfälle.<br />

Die Betreuerin vom Entlastungsdienst wird<br />

instruiert, was sie machen muss und wann<br />

es nötig ist, dass sie den Notfall ruft. «Wenn<br />

eine Betreuerin Angst vor solchen Situationen<br />

hat, kann sie eine andere Betreuungsaufgabe<br />

übernehmen», erklärt Maria Fust. Ein<br />

gesunder Menschenverstand, Einfühlungsvermögen,<br />

die Bereitschaft, sich von der<br />

Familie instruieren zu lassen und Flexibilität<br />

sind Voraussetzungen für den Entlastungs-<br />

ENTLASTUNGSDIENST > 29<br />

Lebensqualität für Daniel<br />

Der Verein Entlastungsdienst für Familien mit Behinderten Gossau-Untertoggenburg-Wil<br />

unterstützt spontan, unkompliziert und aus dem sozialen Gedanken heraus. Maria Fust<br />

aus Kirchberg vermittelt Betreuerinnen und Betreuer. Sie selbst steht ebenfalls im Einsatz.<br />

Zum Beispiel bei der Familie Eva und Markus Schlegel in Schwarzenbach.<br />

Text & Fotos> CECILIA HESS-LOMBRISER<br />

> «Es ist ein guter Dienst.<br />

Die Hilfe ist unkompliziert<br />

und kann schnell organisiert<br />

werden.»<br />

dienst. «Wir nehmen ja keine medizinischen<br />

Handlungen vor, dafür ist die Spitex verantwortlich»,<br />

betont die Vermittlerin. Und ja, in<br />

erster Linie ist es wohl die soziale Einstellung,<br />

das Bedürfnis, sich sinnvoll einzubringen, die<br />

die Frauen und ein paar wenige Männer motivieren,<br />

sich in den Familien zu engagieren.<br />

56 Familien werden entlastet; 50 bis 60 Personen<br />

sind dafür im Einsatz. Aus wirtschaftlicher<br />

Motivation macht es niemand, denn<br />

der Lohn ist bescheiden und der Einsatz<br />

unregelmässig. Maria Fust ist vor 13 Jahren<br />

als Betreuerin eingestiegen, um ein gutes<br />

Jahr später bereits die Vermittlung zu übernehmen.<br />

«Es ist ein guter Dienst. Die Hilfe ist<br />

unkompliziert und kann schnell organisiert<br />

werden», sagt sie. Sie investiert viel Zeit mit<br />

Anrufen, Abklärungen vor Ort bei den Familien,<br />

mit Gesprächen mit den Betreuerinnen.<br />

«Der Entastungsdienst ist mein Kind», bekennt<br />

Maria Fust.<br />

Organisieren und planen<br />

«Es ist vielfach einfacher, den Entlastungsdienst<br />

zu beanspruchen, als die Nachbarn.<br />

Diesen gegenüber bleibt immer etwas von<br />

Verpflichtung hängen», macht die Vermittlerin<br />

bewusst. Wenn hilfsbereite Nachbarn<br />

vorhanden seien, dann binde sie sie manchmal<br />

in den Entlastungsdienst ein, dann sei<br />

alles geregelt. «Wir wollen Daniel möglichst<br />

viel Lebensqualität bieten», ist die Grundhaltung<br />

der Eltern vom sanften Knaben. Sie<br />

haben viele Prozesse hinter sich, haben nach<br />

Ursachen geforscht, Antworten gesucht und<br />

irgendwann akzeptiert, dass die Situation so<br />

ist, wie sie ist. Die Familie Schlegel hat gelernt,<br />

damit zu leben, sich zu organisieren, zu<br />

planen, vorauszudenken und – andere Menschen<br />

unterstützend einzubinden. Maria Fust<br />

hat viele harte Schicksale kennen gelernt.<br />

«Sie berühren mich, aber ich kann damit umgehen.<br />

Ich will helfen», ist ihre Haltung. Sie<br />

scheint die Frau am richtigen Ort zu sein.

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