Der Autor Patrick Süskind
Der Autor Patrick Süskind
Der Autor Patrick Süskind
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<strong>Der</strong> <strong>Autor</strong> <strong>Patrick</strong> <strong>Süskind</strong><br />
<strong>Patrick</strong> <strong>Süskind</strong> wird am 26. März 1949 in Ambach am Starnberger See geboren. Sein<br />
Vater, der 1970 verstorbene Wilhelm Emanuel <strong>Süskind</strong> war Schriftsteller, Übersetzer und<br />
politischer Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung", schrieb mehrere Romane und<br />
vielbeachtete Artikel über die deutsche Sprache. "Aus dem Wörterbuch eines<br />
Unmenschen", eine Artikelsammlung, die Wilhelm <strong>Süskind</strong> mit Dolf Sternberger und<br />
Gerhard Storz verfasste, beschäftig sich mit der national-sozialistischen Gewaltherrschaft<br />
und ihrem Fortwirken.<br />
<strong>Patrick</strong> <strong>Süskind</strong> wächst in einem kleinen bayrischen Dorf, Holzhausen, auf. Dort besucht<br />
<strong>Süskind</strong> die Dorfschule und später das Gymnasium. Nach seinem Abitur und Zivildienst<br />
studiert er von 1968 bis 1974 in München, wie sein Vater, Geschichte. Ein<br />
Auslandstudienjahr verbringt <strong>Süskind</strong> in Aix-en-Provence, wo er sich mit der<br />
französischen Sprache und Kultur vertraut macht. Er schließt sein Studium mit einer<br />
Arbeit über George Bernard Shaws politisches und soziales Interesse ab. Danach lebt er<br />
von Gelegenheitsjobs und schreibt Drehbücher und kleine Prosastücke, die aber zunächst<br />
nicht veröffentlicht werden.<br />
***<br />
Mit der Uraufführung seines einaktigen Monologs "<strong>Der</strong> Kontrabass" im Münchner Cuvilliée<br />
gelingt <strong>Süskind</strong> 1981 schlagartig der Durchbruch. Mit über 500 Aufführungen und über<br />
zwanzig Inszenierungen wird '<strong>Der</strong> Kontrabass' zum meistgespielten Theaterstück der<br />
Saison 1984/85 im deutschsprachigen Raum und auch zum ersten internationalen Erfolg<br />
<strong>Süskind</strong>s, da sein Stück in zahlreiche Sprachen übersetzt wird. Die "brillant-verräterische<br />
Selbstdarstellung eines Orchestermusikers aus den zweiten Glied" zeigt einen Mann, der<br />
an der eigenen "Unauffälligkeit und Bedeutungslosigkeit" leidet und zwischen<br />
"verinnerlichter Subordination" und "nörgelndem Fatalismus changiert."<br />
Dass er ein Grenzgänger zwischen literarischem Anspruch und Massenunterhaltung ist,<br />
dokumentiert <strong>Patrick</strong> <strong>Süskind</strong> in den 80er Jahren durch die Mitarbeit an den Drehbüchern<br />
für die zwei erfolgreichen Fernsehserien "Monaco Franze. <strong>Der</strong> ewige Stenz"(1983) und<br />
"Kir Royale. Aus dem Leben eines Klatschreporters"(1987). Dazu zählt auch der Kinofilm<br />
'Rossini - oder die Frage wer mit wem schlief', den <strong>Süskind</strong> zusammen mit Regisseur und<br />
Freund Helmut Dietl geschrieben hat.<br />
Sein Roman "Das Parfum" macht ihn 1985 endgültig zu einem der weltweit bekanntesten<br />
und erfolgreichsten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. Dieser Roman ist<br />
nicht nur ein Bestseller, sondern auch ein Longseller: Neun Jahre lang haltet er sich auf<br />
der Spiegel-Bestsellerliste. <strong>Süskind</strong>s Verlag startet die erste Auflage mit über 100 000
Exemplare, die bereits nach wenigen Monaten vergriffen ist. Inzwischen wurde der<br />
Roman in 33 Sprachen übersetzt und über acht Millionen Mal verkauft.<br />
Marcel Reich-Ranicki feiert <strong>Süskind</strong> mit den Worten: "Also das gibt es immer noch und<br />
schon wieder: einen deutschen Schriftsteller, der des Deutschen mächtig ist; einen<br />
zeitgenössischen Erzähler, der dennoch erzählen kann; einen Romancier, der uns nicht<br />
mit dem Spiegelbild seines Bauchnabels belästigt; einen jungen <strong>Autor</strong>, der trotzdem kein<br />
Langweiler ist."<br />
1987 wird <strong>Süskind</strong>s Erzählung "Die Taube" veröffentlicht, deren Hauptfigur der<br />
Bankwachmann Jonathan Noel ist. Durch eine vor seiner Mansardentür sitzende Taube<br />
wird Noel aus der überraschungslosen Alltäglichkeit seines eintönigen Lebens geworfen<br />
und stürzt in einen Zustand orientierungsloser Hilflosigkeit.<br />
Noel lebt, wie der Kontrabass-Spieler, isoliert und einsam ein sorgfältig geplantes Leben,<br />
das aber durch das Auftauchen der Taube in einer Katastrophe zu enden droht.<br />
"Die Geschichte von Herrn Sommer" erschien im Jahre 1991 und handelt vielmehr von<br />
der Kindheit des Ich-Erzählers, wie von der Titelfigur. Die Kindheit, die hier erzählt wird,<br />
weist einige Parallelen zur Kindheit des <strong>Autor</strong>s auf.<br />
Laut der These des "Spiegels" ist in der Geschichte des menschenscheuen Herrn<br />
Sommers "mehr die Geschichte von Herrn <strong>Süskind</strong> selbst".<br />
<strong>Süskind</strong>s Sonderlinge empfinden ihre Umwelt als bedrohlich und leben zurückgezogen in<br />
engen Räumlichkeiten. <strong>Der</strong> Kontrabass-Spieler in einem schall-isolierten Raum, der<br />
Wachmann Noel in einer kleinen Dachkammer. Grenouille verbringt sieben Jahre seines<br />
Lebens in einer Höhle unter der Erde und der Ich-Erzähler aus der "Geschichte von Herrn<br />
Sommer" lebt einen großen Teil seines Lebens auf Bäumen.<br />
<strong>Süskind</strong>s "Antihelden" haben alle Schwierigkeiten, sich in der Welt und im Umgang mit<br />
ihren Mitmenschen zurechtzufinden.<br />
***<br />
Trotz <strong>Patrick</strong> <strong>Süskind</strong>s literarischen Berühmtheit ist über den Menschen <strong>Süskind</strong> nur<br />
wenig bekannt. Er legt keinen Wert auf Popularität, er tritt selten in der Öffentlichkeit auf<br />
und gibt grundsätzlich keine Interviews. Er lebt zurückgezogen in München, Paris und<br />
Montolieu (Südfrankreich).
<strong>Süskind</strong> über <strong>Süskind</strong><br />
Ich bin 1949 in Ambach am Starnberger See geboren und spiele nicht Kontrabass,<br />
sondern Klavier. Meine musikalische Ausbildung lag ab dem siebten Lebensjahr in den<br />
Händen von Frl. Traudl Schulze, Ambach, und umfasste die Einstudierung der Werke „Die<br />
Hunnen kommen“, „Album für die Jugend“ und einiger Sonaten zu vier Händen von Anton<br />
Diabelli. Mit neunzehn Jahren schloss ich das Studium des Klavierfachs ab mit einer<br />
Sonatine von Kuhlau und dem Secundo-Part des Klavierauszugs des Sinfonie mit dem<br />
Paukenschlag von Joseph Haydn (1. Satz)<br />
Da eine vom Vater ererbte Sehnenverkürzung des 5. Fingers und eine von der<br />
Mutterererbte Überlänge der Finger 2, 3, und 4 mich hauptsächlich auf akkordisch<br />
begleitendes Spiel beschränkten (Meeresstille“, „<strong>Der</strong> Tod und das Mädchen“, „Es war ein<br />
König in Thule“ etc.) , verzichtete ich des weiteren auf eine solistische Karriere und warf<br />
mich im Wintersemester 1968 auf das Studium der mittleren und neueren Geschichte an<br />
der Universität München, welches ich 1974 mit einem Hauptseminar bei Prof. Ludwig<br />
Hammermayer über „Die britischen Inseln zwischen den Weltkriegen“ und einem Referat<br />
über „Georges Bernard Shaws politisches und soziales Engagement nach 1918“ mit recht<br />
gutem Erfolg beendete. Nebenher arbeitete ich unter anderem in der Ablage der<br />
Vertrags- und Patentabteilung des Hauses Siemens, in der Tanzbar „Zum fliegenden<br />
Holländer“ in Berg am See und als freiberuflicher Tischtennistrainingspartner.<br />
Seither bin ich tätig als <strong>Autor</strong> von kürzeren unveröffentlichten Prosastücken und längeren<br />
unverfilmten Drehbüchern. Meinen Lebensunterhalt verdiene ich mit Letzteren und mit<br />
der Herstellung von Exposés, die wegen ihres geschliffenen Stils von Redaktionen nur<br />
schwer abgelehnt werden können.<br />
Das Stück „Kontrabass“ schrieb ich im Sommer 1980. Es geht darin – neben einer Fülle<br />
anderer Dinge – um das Dasein eines Mannes in seinem kleinen Zimmer. Ich konnter bei<br />
der Abfassung insofern auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, als auch ich den größten<br />
Teil meines Lebens in immer kleiner werdenden Zimmern verbringe, die zu verlassen mit<br />
immer schwerer fällt. Ich hoffe aber, eines Tages ein Zimmer zu finden, das so klein ist<br />
und mich so eng umschließt, dass es sich beim Verlassen von selbst mitnimmt.<br />
In einem so gearteten Zimmer will ich dann versuchen, ein Zwei-Personen-Stück zu<br />
schreiben, das in mehreren Zimmern spielt.<br />
Quelle: Programmheft <strong>Der</strong> Kontrabass, Uraufführung, Bayerisches Staatsschauspiel<br />
München, 1981
<strong>Patrick</strong> <strong>Süskind</strong>: Die Taube<br />
Jonathans Nummer 24 war im Lauf der Jahre zu einer vergleichsweise<br />
komfortablen Behausung geworden. Er hatte sich ein neues Bett gekauft, einen<br />
Schrank eingebaut, die siebeneinhalb Quadratmeter Boden mit grauem Teppich<br />
ausgelegt, seine Koch- und Waschecke mit schöner roter Lacktapete<br />
ausgekleidet. Er besaß ein Radio, einen Fernsehapparat und ein Bügeleisen.<br />
Seine Lebensmittel hängte er nicht mehr, wie bisher, in einem Säckchen zum<br />
Fenster hinaus, sondern verwahrte sie in einem winzigen Kühlschrank unter dem<br />
Waschbecken, so dass ihm jetzt nicht einmal mehr im heißesten Sommer die<br />
Butter zerrann oder der Schinken vertrocknete. Am Kopfende des Bettes hatte er<br />
ein Regal angebracht, in dem nicht weniger als siebzehn Bücher standen,<br />
nämlich en dreibändiges medizinisches Taschenwörterbuch, eineige schöne<br />
Bildbände über den Cromagnon-Menschen, Gusstechniken der Bronzezeit, das<br />
alte Ägypten, die Etrusker und die Französische Revolution, ein Buch über<br />
Segelschiffe, eines über Flaggen, eines über die tropische Tierwelt, zwei Romane<br />
von Alexandre Dumas dem Älteren, die Memoiren von Saint-Simon, ein<br />
Kochbuch für Eintopfgerichte, der „Kleine Larousse“ und das „Brevier für das<br />
Wach- und Schutzpersonal mit besonderer Berücksichtigung der Vorschriften für<br />
den Gebrauch der Dienstpistole“. Unter dem Bett lagerten ein Dutzend Flaschen<br />
Rotwein, darunter eine Flasche Château Cheval Blanc grand cru classé, die er<br />
sich für den Tag seiner Pensionierung im Jahre 1998 aufbewahrte. Ein<br />
ausgetüfteltes System von elektrischen Lampen sorgte dafür, dass Jonathan an<br />
drei verschiedenen Stellen seines Zimmers – nämlich am Fuß- und am Kopfende<br />
seines Bettes sowie an seinem Tischchen – sitzen und Zeitung lesen konnte,<br />
ohne geblendet zu werden und ohne dass ein Schatten auf die Zeitung fiel.<br />
Durch die vielen Anschaffungen war das Zimmer freilich noch kleiner geworden,<br />
es war gleichsam nach innen zugewachsen wie eine Muschel, die zuviel Perlmutt<br />
angesetzt hat, .... Seine wesentliche Eigenschaft aber hatte es über die dreißig<br />
Jahre hinweg behalten: Es war und blieb Jonathans sichere Insel in der<br />
unsicheren Welt, es blieb seinfester Halt, seine Zuflucht, seine Geliebte, ja, seine<br />
Geliebte, denn sie umfing ihn zärtlich seine kleine Kammer, wenn er abends<br />
heimkehrte, sie wärmte und schützte ihn, sie nährte ihn an Leib und Seele, war<br />
immer da, wenn er sie brauchte, und sie verließ ihn nicht. Sie war in der Tat das<br />
einzige, was sich in seinem Leben als verlässlich erwiesen hatte.
Thomas Bernhard: <strong>Der</strong> Ignorant und der Wahnsinnige<br />
Doktor: Man muss die Kraft haben abzusagen<br />
Etwas abzubrechen<br />
Das zur Gewohnheit geworden ist<br />
Eine Vorstellung absagen<br />
Oder<br />
Königin Oder<br />
Doktor Oder mitten in der Vorstellung<br />
Beispielsweise mitten in der Rachearie<br />
Aufhören zu singen<br />
Die Arme fallen lassen<br />
Das Orchester ignorieren<br />
Das Publikum ignorieren<br />
Alles ignorieren<br />
Dastehen<br />
Und nichts tun<br />
Und alles anstarren<br />
Anstarren verstehen Sie<br />
Plötzlich die Zunge herausstrecken<br />
Königin und Doktor lachen<br />
Zuerst förmlich absagen<br />
Mittels eines Telegramms<br />
Aber dann<br />
Plötzlich<br />
Urplötzlich<br />
Peispielsweise in der Metropolitanoper<br />
Oder in Coventgarden<br />
An der wirkungsvollsten Stelle natürlich<br />
Einen Skandal entfesseln<br />
Eine Vorstellung platzen lassen<br />
In die Hände klatschen<br />
Und die Zunge herausstrecken<br />
Und lachend abgehen<br />
Lachend<br />
Lachend verstehen Sie<br />
Lachend<br />
Königin und Doktor lachen laut
Verwendete Aufnahmen:<br />
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73<br />
London Festival Orchestra<br />
Julian Armstrong<br />
Richard Wagner: Walküre<br />
Vorspiel 1. Aufzug<br />
Bayreuth 1953<br />
Clemens Krauss<br />
Karl Ditters von Dittersdorf:<br />
Konzert No. 1 Es-Dur für Kontrabass und Orchester<br />
Kontrabass: Franticek Posta<br />
Prag 1989<br />
Wolfgang Amadeus Mozart<br />
Cosí fan tutte; 1. Akt, Arie der Dorabella<br />
Dorabella: Christa Ludwig<br />
Wiener Philharmoniker 1955<br />
Karl Böhm