15.05.2012 Aufrufe

Warum der Natursprung zur bio-dynamischen Tierzucht geh

Warum der Natursprung zur bio-dynamischen Tierzucht geh

Warum der Natursprung zur bio-dynamischen Tierzucht geh

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Warum</strong> <strong>der</strong> <strong>Natursprung</strong> <strong>zur</strong> <strong>bio</strong>-<strong>dynamischen</strong> <strong>Tierzucht</strong> <strong>geh</strong>ört<br />

Jörg Spranger<br />

Die Künstliche Besamung<br />

Bei den Haustieren unterscheiden wir zwischen Scheidenbesamern, wie Rind und kleine Wie<strong>der</strong>käuer<br />

(Schaf und Ziege) und Uterusbesamern, wie Pferd und Schwein. Erstere haben eine geringe<br />

Spermamenge mit hoher Spermadichte, letztere ein großes Ejakulatvolumen bei geringer Dichte.<br />

Der Mensch sich bei <strong>der</strong> künstlichen intra-uterinen Besamung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>käuer über diese natürlichen<br />

Gegebenheiten hinweg. Der Samen wird völlig unphysiologisch mittels einer Art Spritze und<br />

einer langen Kunststoffpipette durch Scheide, Muttermund und Gebärmutterhals in den Uterus des<br />

empfangsbereiten Tieres appliziert. (Uterusbesamung mit dadurch ausgelöster Antiperistaltik statt<br />

<strong>der</strong> natürlichen Scheidenbegattung).<br />

Was geschieht bei <strong>der</strong> künstlichen Besamung körperlich im Tier?<br />

Die künstliche Besamung missachtet, dass sich in <strong>der</strong> natürlichen Fortpflanzung Soziales über das<br />

Seelische im Körperlichen manifestiert. Man negiert den Zusammenhang zwischen Sozialkontakt,<br />

Sinnesorganen, Großhirnrinde, Hirnanhangsdrüsen, Geschlechtsorganen und Fruchtbarkeit. Die<br />

Sinneseindrücke wirken über das hormonelle Geschehen auf die inneren und äußeren Geschlechtsorgane<br />

ein. So führen Anregungen beim Deckakt über Hormonkaskaden zu physiologischen<br />

Reaktionen beim weiblichen Tier, die eine Befruchtung begünstigen. Dazu <strong>geh</strong>ören etwa eine mit<br />

<strong>der</strong> Spermienwan<strong>der</strong>ungsrichtung einher<strong>geh</strong>ende Flimmerepithelbewegung <strong>der</strong> Genitalschleimhaut<br />

und eine gleichgerichtete Uteruswandperistaltik. Der Besamer ist nicht in <strong>der</strong> Lage, diese Reaktion<br />

auszulösen. Er kann sogar bei entsprechend unsensibler Vor<strong>geh</strong>ensweise beim Tier über eine<br />

Adrenalinausschüttung genau das Gegenteil provozieren, nämlich eine entgegenwirkende Antiperistaltik.<br />

Außerdem kann es zu kleinen, schmerzhaften Verletzungen kommen. Sollte dabei Blut<br />

austreten, so ist dieses spermizid, dh Spermien abtötend.<br />

Was geschieht bei <strong>der</strong> künstliche Besamung seelisch im Tier?<br />

Der Kuh wird <strong>der</strong> normale Kontakt zum Bullen vorenthalten. Dieser stimuliert durch ein ausgedehntes<br />

Vorspiel seine Partnerin <strong>zur</strong> endgültigen Empfangsbereitschaft. Durch die künstliche Besamung<br />

wird ein solcher Austausch innerhalb <strong>der</strong> Gruppenseele unterbunden. Im Gegenteil: Das<br />

weibliche Tier erlebt Verunsicherung, schlimmstenfalls Schmerz und Angst. Die Kuh wird nicht für<br />

ihre Brunst „belohnt“, sie erlebt nie die instinkthaft erwartete Antwort auf ihre seelische und körperliche<br />

Befindlichkeit. Im Gegenteil, sie wird mit absolut unphysiologischer Heran<strong>geh</strong>ensweise und<br />

schmerzhaften Prozessen für die Brunst „bestraft“. Das dürfte langfristig nicht gerade die Brunstbereitschaft<br />

för<strong>der</strong>n und so für die Stillbrünstigkeit – eines <strong>der</strong> Hauptprobleme in <strong>der</strong> Rin<strong>der</strong>haltung –<br />

mitverantwortlich sein.<br />

Was für ein Samen wird verwendet?<br />

Aus den ca. 5 Milliarden Spermien in den 4-5 ml Ejakulatvolumen eines gesunden Bullen werden<br />

nach Verdünnung bis zu 400 Besamungsportionen hergestellt. Jede Portion enthält etwa 12<br />

Millionen Spermien in meist 1 ml künstlicher Flüssigkeit. In den Zuchtstationen wird das Sperma<br />

durch Manipulation und eben nicht durch einen Decksprung gewonnen. Teilweise wird mittels<br />

Stromschlag auf die Prostata die extrem schmerzhafte Elektro-Ejakulation erzwungen. In jedem<br />

Falle ist auch für den Bullen die Samenabgabe unphysiologisch, mit Angst verbunden und oft<br />

schmerzhaft.<br />

Normalerweise <strong>geh</strong>t das recht temperaturempfindliche Sperma bei natürlicher Besamung unter<br />

Um<strong>geh</strong>ung jeglichen Kontakts <strong>zur</strong> Außenwelt, also bei Körpertemperatur und ohne Licht- und Luftkontakt<br />

vom väterlichen in den mütterlichen Körper über. Zur Konservierung wird es nicht nur<br />

„gereinigt“, zentrifugiert und verdünnt, son<strong>der</strong>n auch zahlreichen Temperaturverän<strong>der</strong>ungen von<br />

Kühlschranktemperatur bis minus 196 °C unterworfen. Damit ist sogar ein mehrmaliger Wechsel des<br />

Fachtag: Tag des <strong>bio</strong>-<strong>dynamischen</strong> Landbaus 139


Aggregatzustandes verbunden. Ferner wechselt die Temperatur während <strong>der</strong> Lagerung, bei<br />

Überprüfungen und schließlich beim Auftauen von -196 °C auf +40 °C im Wasserbad und wie<strong>der</strong><br />

<strong>zur</strong>ück auf etwa 15 °C in <strong>der</strong> Besamungspipette, um dann im Körper wie<strong>der</strong> knapp 39 °C anzunehmen.<br />

Durch die Kältekräfte wird zwar nicht die physische Erbsubstanz, wohl aber <strong>der</strong> ätherische<br />

Teil, die Lebenskraft, beschädigt. Ein Ausgleich dazu wird über Zusatz von Nährsubstanzen, Eidotter<br />

und Ähnlichem, versucht. Weiterhin werden dem verdünnten Ejakulat Puffersubstanzen, zB<br />

Glycerin zugegeben, um die Temperaturschädigung zu verringern. Solche Substanzen wirken<br />

jedoch bei Körpertemperatur spermizid. Der Samen wird völlig unnatürlichen Umwelteinflüssen<br />

ausgesetzt (Licht, Luft, Temperaturschwankung, Wechsel des Aggregatzustandes, chemische und<br />

physikalische Manipulationen, Zentrifugieren, Verdünnen). Dies ist als äußerst bedenklich für die<br />

Lebenskräfte zu bewerten.<br />

Welche Zucht ist mit <strong>der</strong> künstlichen Besamung verbunden?<br />

Neben <strong>der</strong> ungünstigen Beeinflussung physiologischer Vorgänge bringt die künstliche Besamung<br />

noch einige wesentliche und bedenkliche züchterische Nachteile mit sich. So erfolgt jegliche Zucht,<br />

auch die auf weibliche Merkmale, über das Vatertier. Der Vater steuert mit dem befruchtenden<br />

Spermium allerdings nur einen Zellkern ohne Zelle bei. Die Mutter gibt hingegen die ganze Eizelle<br />

(inklusive Plasma und Zellorganellen) samt <strong>der</strong> darin enthaltenen Umweltprägung und mütterlichen<br />

„Lebenserfahrung“ weiter. So wird durch die Fortdauer <strong>der</strong> mütterlichen Eizelle zB die Zellatmung<br />

<strong>der</strong> Mitochondrien von <strong>der</strong> Mutter weitergegeben. Man meint gerade bei den Spitzentieren, weibliche<br />

Merkmale ausschließlich über das Vatertier transportieren zu können. Damit werden die<br />

Prinzipien <strong>der</strong> plasmatischen Vererbung vernachlässigt, die jedoch die Qualität <strong>der</strong> genetischen<br />

Merkmalsausprägung in <strong>der</strong> Vererbung beeinflusst.<br />

Bedenklich ist auch, dass die übliche Selektion über die Töchter bei <strong>der</strong> Zuchtwertschätzung <strong>der</strong><br />

Bullen nur schnell erfassbare Merkmale <strong>der</strong> ersten Leistungsstadien berücksichtigt. Was zählt sind<br />

die Erstlaktations- und 100-Tage-Leistung. Züchterische Kriterien wie Dauerleistung und Dauergesundheit<br />

bleiben unberücksichtigt. Bei <strong>der</strong> Bullenmutter werden die wichtigstes Vitalitätseigenschaften<br />

– insbeson<strong>der</strong>e Fruchtbarkeitsmerkmale – bei <strong>der</strong> Auswahl eines Samens <strong>zur</strong> künstlichen<br />

Befruchtung häufig bewusst missachtet, da sie sich antagonistisch zu den gewünschten Milch- und<br />

Fleischeigenschaften verhalten.<br />

Das Sperma wird von jungen Bullen gewonnen. Wenn genug Sperma gewonnen wurde, werden sie<br />

geschlachtet. Man weiß nicht ob diese Tiere alt geworden und wenn, wie sie alt geworden wären.<br />

Zudem ist es ethisch fragwürdig, mit Samen zu arbeiten, <strong>der</strong>en Spen<strong>der</strong> im Regelfall schon tot ist.<br />

Welcher Lebensbegriff manifestiert sich darin?<br />

Wohin führt die künstliche Besamung?<br />

Normalerweise war die <strong>Tierzucht</strong> darauf ausgerichtet, eine Vielzahl von Merkmalen zu erhalten und<br />

das System lange offen zu halten. Dazu waren viele verschiedene Bullen mit verschiedenen Eigenschaften<br />

notwendig. Heute haben wir nur noch wenige Bullen, von denen nahezu die ganze Population<br />

abhängt. Ein Besamungsbulle ersetzt etwa 1.200 Deckbullen. Hier drückt sich die bedenkliche<br />

züchterische Vereinseitigung in Zahlen aus.<br />

Der Besamungserfolg nimmt ab, die Rate stillbrünstiger o<strong>der</strong> unfruchtbarer Kühe/Rin<strong>der</strong> dagegen<br />

nimmt zu. Haben die Kühe einfach keine Lust mehr, sich nach so vielen Generationen völlig unphysiologischer<br />

Fortpflanzung weiter dieser unbefriedigenden Erfüllung ihres Arterhaltungswunsches<br />

auszusetzen? Durch für sie unangenehme und schmerzhafte Beantwortung ihres<br />

Fortpflanzungswillens werden die Kühe regelrecht für ihre Fortpflanzungsbereitschaft bestraft.<br />

Möglicherweise ist es so wie bei den Hühnern, wo durch genügend lange praktizierte künstliche Brut<br />

<strong>der</strong> Brutinstinkt erlahmt und verschwindet. Auch unseren Kühen haben wir über Dutzende von<br />

Generationen eine unphysiologische Fortpflanzung zugemutet, wodurch offensichtlich die Reproduktionsbereitschaft<br />

innerhalb <strong>der</strong> Tiere deprimiert wird und sich Fruchtbarkeit nicht mehr ausprägen<br />

will o<strong>der</strong> kann.<br />

140 BIO AUSTRIA Bauerntage 2008


Bei einer geistigen Haltung, wie sie sich in <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> künstlichen Besamung nie<strong>der</strong>schlägt,<br />

war es fast zu erwarten, dass sich <strong>der</strong> Mensch auf die Suche nach weiteren technischen<br />

Manipulationsmöglichkeiten des Fertilitätsgeschehens begibt. So schließen sich an die künstliche<br />

Besamung Schritte an, die eine vollständigen Manipulierung <strong>der</strong> Fortpflanzung zum Ziel haben. Erst<br />

folgte die Brunstsynchronisation mit verschiedenen Hormonen, <strong>der</strong> hemmungslose Einsatz <strong>der</strong><br />

Östrogene, Gestagene, Prostaglandine, <strong>der</strong> Releasing-Hormone und Gonadotropine. Danach folgte<br />

<strong>der</strong> Embryotransfer, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um den Boden für den nächsten „Fortschritt“ vorbereitete – die Manipulation<br />

des Erbgutes durch die Gentechnologie. Die künstliche Besamung stellte dabei nur die<br />

„Einstiegsdroge“ für diese lebensfeindliche, seelenlose Lawine dar.<br />

Sind Reduktionismus und Bio-Zucht vereinbar?<br />

Aktuell findet auch im Bio-Landbau die Diskussion über Fragen wie Genomanalyse, markergestützte<br />

Selektion und sogar die Gentechnik statt. Manche Menschen sehen dabei den Bio-Landbau und die<br />

Gentechnik als durchaus vereinbar. Für mich ist das ein reduktionistischer und gefährlicher Ansatz,<br />

<strong>der</strong> dem ganzheitlichen Verständnis vom Betriebsorganismus gründlich wi<strong>der</strong>spricht.<br />

Was bedeutet Reduktionismus in <strong>der</strong> <strong>Tierzucht</strong>? Die erste Stufe ist die Selektion <strong>der</strong> Tiere nach<br />

einigen wenigen Einzelmerkmalen. Das hat <strong>der</strong> Mensch sicherlich bereits seit Beginn <strong>der</strong> Domestikation<br />

getan, wenngleich er in früheren Zeiten dabei immer das ganze Tier im Auge behalten haben<br />

dürfte. Mit <strong>der</strong> künstlichen Besamung und dem Embryotransfer entstand die Möglichkeit, die<br />

Selektion auf einzelne Merkmale viel stärker einzugrenzen. Die zweite Stufe des Reduktionismus in<br />

<strong>der</strong> <strong>Tierzucht</strong> ist damit gegeben, wenn die Einzelmerkmale auf eine Gensequenz – also auf einen<br />

kleinen Abschnitt eines Chromosoms – bezogen werden und diese Gensequenz für die äußere<br />

Ausprägung eines Merkmals verantwortlich erklärt wird (zB die Farbe des Tieres o<strong>der</strong> die Milchleistung).<br />

Die Selektion <strong>der</strong> Tiere erfolgt mit Hilfe von Marker (markergestützte Selektion), mit denen<br />

festgestellt werden kann, ob die gewünschte Gensequenz im Genom eines Tieres vorhanden ist<br />

o<strong>der</strong> nicht. Die 3. Stufe des Reduktionismus folgt aus <strong>der</strong> Konsequenz <strong>der</strong> vorangegangen. Es ist<br />

die Manipulation an den Einzelmerkmalen durch die Gentechnik.<br />

Wir brauchen eine <strong>bio</strong>-dynamische Zucht, die das Wesen <strong>der</strong> Tierart zum Maßstab hat, die<br />

beispielsweise beim Rind die Stoffwechseltätigkeit und Verdauungstätigkeit <strong>zur</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />

Selektion macht. Folgende Faktoren stellen eine objektive, tierwesenskundlich begründete und<br />

daher artgerechte züchterische Basis dar:<br />

● die Zahl und Qualität <strong>der</strong> Pansenkontraktionen<br />

● die Wie<strong>der</strong>kauzeit<br />

● die Kaubewegungen pro Wie<strong>der</strong>kaubissen<br />

● die Kotbeschaffenheit<br />

● die Grundfutterverwertung<br />

● <strong>der</strong> Grundfutterumsatz, die Fruchtbarkeit<br />

● die Gesundheit<br />

● das Alter<br />

● die Lebensleistung<br />

Dazu <strong>geh</strong>öhrt unlösbar die artgemäße Fortpflanzung mit unbehin<strong>der</strong>tem Sozialkontakt und <strong>Natursprung</strong>.<br />

Dies sollte für <strong>bio</strong>logisch wirtschaftende Betriebe <strong>zur</strong> Selbstverständlichkeit werden. Ein<br />

Verbot <strong>der</strong> künstlichen Besamung wird inzwischen immerhin für die Demeter-Richtlinien in <strong>der</strong><br />

Schweiz diskutiert.<br />

_________________________<br />

Autor: Dr. Jörg Spranger, Institut für anthroposophische Veterinärmedizin, Frick, CH, joerg.spranger@iavet.org<br />

Fachtag: Tag des <strong>bio</strong>-<strong>dynamischen</strong> Landbaus 141

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!