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Interkulturelle Kompetenz - GEW Landesverband Bayern

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ten so zu beeinflussen und zu verändern, dass sie mit den<br />

eigenen Zielen und Wünschen übereinstimmen.<br />

Sekundäre Kontrolle ist der Versuch, eigene Ziele und<br />

Wünsche den gegebenen Bedingungen anzupassen.<br />

Bei primärer Kontrolle werden die Umweltgegebenheiten<br />

durch persönliche Aktivität, Dominanz und andere Einflussversuche<br />

geändert. Bei sekundärer Kontrolle werden<br />

hingegen eigene Ziele geändert; Individualität und Autonomie<br />

werden den Gegebenheiten der Umwelt untergeordnet.<br />

Bei Kulturen mit hoher Bewertung von Autonomie und<br />

Individualität lässt sich eher eine primäre Kontrolle beobachten,<br />

während bei gruppen- und sozialorientierten Kulturen,<br />

die mehr Wert auf Gruppenharmonie und Anpassung<br />

an Gruppenziele legen, die sekundäre Kontrolle dominiert.<br />

Es ist davon auszugehen, dass bei türkischstämmigen<br />

Jugendlichen und Familien die sekundäre Kontrolle<br />

eine entscheidende Rolle spielt, weil die Erziehung der Kinder<br />

in der Regel im sozialen Umfeld der Familie und Peergroup<br />

erfolgt und auf die Erlernung sozialer Rollen ausgerichtet<br />

ist: Übernahme von Geschlechts- und Familienrollen,<br />

soziale Normen sowie Vermittlung von Autoritätsbeziehungen.<br />

Bei türkischen Jugendlichen, die im Bereich der Gewaltdelikte<br />

auffallen und den Anti-Aggressions-Kurs besuchen,<br />

kann die oben geschilderte sekundäre Kontrolle explizit<br />

beobachtet werden. Die ausgeprägten Diskriminierungserfahrungen,<br />

die sie von ihrer Umwelt erfahren, das Nichtverstanden-Werden<br />

von der älteren Herkunftsgeneration<br />

sowie von der gleichaltrigen deutschen Peergroup führen<br />

dazu, dass viele türkische Jugendliche entweder untereinander<br />

bleiben oder sich an multikulturelle Gruppen anschließen,<br />

die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Enge Freundschaften<br />

werden mit deutschen Jugendlichen in der Regel<br />

nicht geschlossen. Türkische Jugendliche werfen deutschen<br />

Jugendlichen Egoismus sowie Individualismus und Ich-Bezogenheit<br />

vor. Sie sagen, dass sie sich auf die deutschen<br />

Jugendlichen nicht verlassen können. Die würden sie im<br />

Ernstfall, wie z.B. bei der Polizei, im Stich lassen und lediglich<br />

ihre eigenen Interessen verfolgen.<br />

Darüber hinaus haben die Migrantenjugendlichen türkischer<br />

Herkunft eine eigene Sprachkultur entwickelt, die sie<br />

als »Mischmasch« – Hin-und-her-Wandern zwischen deutscher<br />

und türkischer Sprache – bezeichnen und verkehren<br />

vorzugsweise mit solchen Jugendlichen, die diesen »Mischmasch«<br />

ebenso sprechen.<br />

Das alles zeigt, dass der Zusammenhalt in der Gruppe<br />

und unter Freunden eine große und ganz zentrale Rolle spielt<br />

und dem Begriff der Freundschaft eine entscheidende Bedeutung<br />

zugesprochen wird. Für den Freund wird alles getan:<br />

es wird geteilt, was man hat, wie z.B. Geld, Essen, Kleidung<br />

etc.. Massenschlägereien kommen u.a. deshalb zu Stande,<br />

weil der Freund nicht allein gelassen werden darf. Der<br />

Wert der Freundschaft spielt auch in der Gruppendynamik<br />

eine zentrale Rolle. Aus einer Dreier-Gruppe kann ganz<br />

schnell eine Großgruppe werden, wenn diese drei Jugendlichen<br />

Freunde haben, die sich mit ihnen solidarisieren.<br />

11 DDS Juni 2004<br />

Inhalte eines Anti-Aggressions-Kurses<br />

Um diese Jugendlichen aufzufangen und gezielt an den<br />

genannten Problemen zu arbeiten, wird in den Anti-Aggressions-Kursen<br />

mit dieser Zielgruppe das Thema »Migration«<br />

sehr stark bearbeitet. Pädagogisch-methodisch entspricht<br />

der Anti-Aggressions-Kurs mit türkischstämmigen<br />

Jugendlichen den gängigen Konzeptionen.<br />

Der Anti-Aggressions-Kurs mit türkischstämmigen Jugendlichen<br />

setzt sich inhaltlich folgendermaßen zusammen:<br />

Straffälligkeit und Gewalt<br />

� Einstellung zur Gewalt<br />

� Erlernen von gewaltfreien Verhaltensmustern<br />

� Umgang mit eigenen Aggressionen<br />

Umgang bzw. Verhalten in Konfliktsituationen<br />

� Konflikte in der Schule, am Ausbildungsplatz oder am<br />

Arbeitsplatz<br />

� Flüchten und Standhalten in Konfliktsituationen<br />

� Umgang mit Beschimpfungen und Beleidigungen<br />

� Gruppendruck in Cliquen<br />

� Opferperspektive<br />

Migration<br />

� Diskriminierungserfahrungen<br />

� Familien- und Generationskonflikt<br />

� Bikulturalität/Bilingualität als Ressource<br />

� Lebensentwürfe zwischen »Tradition« und »Moderne«<br />

� Ethnisierung/Selbstethnisierung<br />

Auch in der dritten und vierten Generation unterscheiden<br />

sich männliche Migranten türkischer Herkunft in einigen<br />

Aspekten von ihren deutschen Altersgenossen. Dies<br />

betrifft u.a. auch die Gründe für Straffälligkeit. <strong>Interkulturelle</strong><br />

Kenntnisse und <strong>Kompetenz</strong>en sind für LeiterInnen von<br />

Anti-Aggressions-Trainings und andere Fachkräfte, die mit<br />

dieser Zielgruppe arbeiten, von großer Bedeutung. Präventionsmaßnahmen<br />

für Minderheiten werden in Zukunft noch<br />

seltener finanziert als bisher. Sie werden in die Maßnahmen<br />

der Regeldienste integriert. Dies kann nur dann erfolgreich<br />

umgesetzt werden, wenn die pädagogischen Fachkräfte die<br />

sozialen, rechtlichen und kulturellen Bedingungen der Zielgruppe<br />

kennen und sich darauf einlassen.<br />

von Dr. Ahmet Toprak<br />

Referent für Gewaltprävention<br />

bei der Aktion Jugendschutz <strong>Bayern</strong> e.V.<br />

Lehrbeauftragter a. d. Universitäten Eichstätt u. Passau<br />

sowie Autor mehrerer Bücher zu ähnlichen Themen<br />

Ahmet Toprak: »Ich bin eigentlich nicht aggressiv«. Theorie und Praxis<br />

eines Anti-Aggressions-Kurses mit türkischstämmigen Jugendlichen.<br />

Lambertus-Verlag, Freiburg, 2001, 119 S., 12,30 Euro<br />

Die Langfassung der Beiträge auf den Seiten 8-13 sind aktuell erschienen<br />

in: »Kulturkonflikt? Methoden des interkulturellen Konfliktmanagements<br />

in der Jugendhilfe«, herausgegeben von Aktion Jugendschutz <strong>Bayern</strong> e.V.,<br />

www.bayern.jugendschutz.de. Wir stellen die Langfassungen der Beiträge<br />

auch auf unsere homepage: www.bayern.gew.de

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