Interkulturelle Kompetenz - GEW Landesverband Bayern
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Ausreisezentren:<br />
Ein Angriff auf die Menschenrechte<br />
Als 1998 die ersten Ausreisezentren in Niedersachsen<br />
als sogenanntes »Projekt X« initiiert wurden, konnte kaum<br />
jemand die folgenschweren Auswirkungen abschätzen. Nun,<br />
im Jahr 2004, wissen die Innenminister mehr über die<br />
Effizienz ihrer Abschiebe- und Kriminalisierungspraxis.<br />
In fünf weiteren Bundesländern wurden in den Jahren<br />
1998 bis 2003 Ausreisezentren eröffnet, die alle dasselbe<br />
Ziel haben: Flüchtlinge und MigrantInnen mit der rechtlichen<br />
Zuweisung »ausreisepflichtig«, bei welchen keine andere<br />
staatliche Maßnahme gesetzlich greifen konnte, sollen<br />
zur widerstandslosen, »freiwilligen« Ausreise gezwungen<br />
werden.<br />
Aktuell existieren in <strong>Bayern</strong> vier »Ausreisezentren«. Seit<br />
Herbst 2002 eines in Fürth, ein Jahr später wurden in Nürnberg<br />
(Silberstraße), Hormersdorf (Gemeinde Schnaittach/<br />
Mittelfranken) und in Engelsberg (Landkreis Traunstein/<br />
Oberbayern) weitere solche Zentren eröffnet.<br />
Da sind sich alle einig<br />
Die rechtliche Einordnung ist wie folgt: Abgelehnte AsylbewerberInnen<br />
oder Menschen, deren teilweise jahrelange<br />
Duldung 1) nicht verlängert wurde, die sich aber weiterhin<br />
auf dem Hoheitsgebiet der BRD aufhalten, werden in der<br />
Bundesrepublik vom Bundesgrenzschutz abgeschoben.<br />
Jährlich sind davon 50.000 Menschen betroffen. Zur Verringerung<br />
einer unterstellten »Fluchtgefahr« können diese<br />
Menschen im Vorfeld ihrer Abschiebung bis zu achtzehn<br />
Monate in Abschiebeknästen interniert werden.<br />
Diese Praxis der Kriminalisierung von Flüchtlingen wurde<br />
und wird – im Unterschied zu den KritikerInnen dieser<br />
rassistischen Praxis – von allen führenden bundesrepublikanischen<br />
Parteien als zwingend notwendig unterstellt. Doch<br />
sie stößt an rechtsstaatliche Grenzen, die den abschiebewilligen<br />
Bundes- und Länderregierungen Sorge bereitet: Ausreisepflichtige<br />
Menschen, die keine gültigen Ausweispapiere<br />
ihrer Herkunftsstaaten besitzen oder in deren Herkunftsstaaten<br />
es keine Reisemöglichkeiten gibt, können faktisch<br />
nicht abgeschoben werden – eine Lücke des Abschiebevollzugs,<br />
die mit Ausreisezentren geschlossen werden soll.<br />
Deshalb verankerte die Bundesregierung unter der SPD<br />
und den GRÜNEN in ihrem Entwurf zum Zuwanderungsgesetz<br />
mit einer »Kann-Bestimmung« die Einrichtung von<br />
Ausreisezentren als Möglichkeit der einzelnen Bundesländer<br />
– die Vollzugsorgane in Angelegenheiten der Abschiebung.<br />
Eine perverse, aber simple Idee<br />
Der Zielgruppe von Ausreisezentren wird unterstellt,<br />
bei der Identitätsfeststellung nicht mitzuwirken, ihre Iden-<br />
19 DDS Juni 2004<br />
tität zu verschleiern oder falsche<br />
Angaben zu ihrem Herkunftsstaat<br />
gemacht zu haben.<br />
Aufgrund der fehlenden<br />
Pässe ist die sofortige Abschiebung<br />
dieser Flüchtlinge nicht<br />
möglich, auch eine Einweisung<br />
in Abschiebeknäste kann nicht<br />
angeordnet werden2) . Mittels<br />
der Ausreisezentren sollen sie<br />
deshalb zur »freiwilligen« Ausreise<br />
gezwungen werden.<br />
Dazu werden ihre Lebensbedingungen<br />
so massiv verschlechtert,<br />
dass sich »eine gewisse<br />
Stimmung der Hoffnungs-<br />
und Orientierungslosigkeit«<br />
3) Aufenthaltsraum Hormersdorf<br />
Bausubstanz Hormersdorf<br />
einstellen soll. Eine<br />
einzigartige Idee hilft den PolitikerInnen,<br />
ihr Ziel zu erreichen:<br />
Einmal in ein Ausreisezentrum<br />
eingewiesen heißt,<br />
bis zur Ausreise/Abschiebung<br />
dauerhaft hier leben zu müssen!<br />
Selbst der Abschiebeknast<br />
bietet von Abschiebung be-<br />
Essensausgabe Hormersdorf<br />
drohten Menschen gewissermaßen<br />
mehr Perspektive. Hier ist zumindest nach maximal<br />
achtzehn Monaten ein gesetzliches Ende gesetzt.<br />
Mit Zuckerbrot und Peitsche soll das Schweigen gebrochen<br />
werden. Mehrmals im Monat kommen (Verwaltungs-)<br />
Angestellte des bayerischen Innenministeriums, der jeweiligen<br />
Regierungsbezirke und des Bundesamtes für die Anerkennung<br />
ausländischer Flüchtlinge zum Verhör. Wer in seine »freiwillige«<br />
Ausreise einwilligt, bekommt geringe Zugeständnisse,<br />
so wird der extrem eingeschränkte Bewegungsraum,<br />
der ansonsten beispielsweise nur das Stadtgebiet Fürth umfasst,<br />
erweitert. Milde und Güte also denjenigen, die an ihrer<br />
Ausreise »freiwillig« mitwirken. Ferner müssen die eingewiesenen<br />
Personen mit rationierten Essenspaketen, die<br />
zur »Sicherung der Anwesenheit« täglich ausgegeben werden<br />
und ohne die ihnen monatlich zustehenden 40 Euro<br />
»Taschengeld« auskommen. Eventuell angespartes Vermögen<br />
wird für den Unterhalt gepfändet, jegliche Lohnarbeit<br />
ist den eingewiesenen Menschen untersagt, Besuche sind<br />
nicht gestattet. Rechtlich sehr bedenklich erscheint zudem<br />
die neue bayerische Praxis des Asylverfahrens: Sollten erkennbare<br />
Anzeichen für eine baldige Ablehnung des Asylantrages<br />
bestehen, können statuslose Personen bereits während<br />
des Verfahrens in Ausreisezentren eingewiesen werden.