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Interkulturelle Kompetenz - GEW Landesverband Bayern

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zwischen türkischen und deutschen Jugendlichen interessieren<br />

sie nicht, gehen ihr eher »auf den Geist«. Monika<br />

fühlt sich in der Clique anerkannt, sie fühlt sich nicht als<br />

Außenseiterin oder als das deutsche Mädchen. Monika hat<br />

zwar die »richtige« Identitätsausstattung (einheimisch, weiß<br />

und deutsch), nur nützt ihr das außerhalb der Gruppe nichts.<br />

Verlässt sie den Geltungsbereich ethnischer Gleichgültigkeit,<br />

dann muss sie sich auf ganz andere Maßstäbe der Bewertung<br />

ihrer Beziehungen gefasst machen: nämlich allemal<br />

noch zwischen »Männern« und »Türken« unterscheiden zu<br />

können.<br />

An Monikas Beispiel wird deutlich, wie schnell die interkulturelle<br />

Programmatik von pädagogischer Seite gedrosselt<br />

werden kann, wenn ein »deutsches« Mädchen sich soweit<br />

vergisst, zwischen »Männern« und »Türken« zu unterscheiden.<br />

Diese präventive Militanz lässt einige Schlüsse auf<br />

die beschränkte Reichweite des Wunsches nach multikulturellem<br />

Zusammenleben zu – sicherlich nicht nur in der pädagogischen<br />

Zunft.<br />

Fund 2:<br />

Kosten des »Schwarz-Seins« oder<br />

die Angst Harares vor der Mehrheit der anderen<br />

Harare ist 15 Jahre alt, Bürgerkriegsflüchtling aus Somalia<br />

und lebt seit sieben Jahren in Deutschland. »Unter vielen<br />

weißen Kindern fällt man eben auf«. Er macht die Erfahrung,<br />

dass bei Konflikten mit Jugendlichen, unabhängig vom<br />

Anlass, stets die Hautfarbe zum Punkt gemacht wird. In der<br />

Hautfarbe unterscheidet er sich von allen anderen, sie wird<br />

zum Stigma. Im Gegensatz zu anderen »Ausländern«, deren<br />

»Ausländer-Sein« nicht schon immer an äußerlichen<br />

Merkmalen erkennbar ist, muss Harare feststellen, dass er<br />

sich nicht hinter seiner Haut verstecken kann. Anstatt dass<br />

»die Ausländer« ihn in ihre »Gemeinschaft« als legitimen<br />

»Mit-Ausländer« aufnehmen, macht er die bittere Erfahrung,<br />

dass diese sich ihm gegenüber gerade nicht als »Ausländer«,<br />

sondern als »Weiße« definieren.<br />

»Hier im Westend sind eigentlich fast alle Ausländer.<br />

Wenn es da zu Streitereien kommt, dann würd’ ich sagen,<br />

dass weiße Ausländer genauso meine Hautfarbe beleidigen<br />

wie auch ein Deutscher, das is’ irgendwie ganz komisch gewesen.<br />

Den meisten Streit hatt’ ich überhaupt mehr mit<br />

Ausländern als mit Deutschen, die machen genau denselben<br />

Fehler, sie wollen selber nicht ausgeschlossen werden,<br />

aber machen genau dasselbe«.<br />

Seine rassistischen Erfahrungen lassen ihn seine »richtigen«<br />

Freunde nurmehr unter Schwarzen finden. Das rassistische<br />

Verhalten der Weißen führt dazu, dass Harare – ganz<br />

im Gegensatz zu seinen ursprünglichen Erwartungen –<br />

nunmehr selbst das Gefühl hat, mit Weißen nie auf einen gemeinsamen<br />

Nenner kommen zu können. Harare wehrt<br />

sich gegen die ihm immer wieder zugemutete Erfahrung,<br />

einzig Träger des diskreditierten Merkmals Hautfarbe zu sein.<br />

Die ständige Thematisierung seiner Hautfarbe macht deutlich,<br />

dass nicht die Haut, sondern der rassistische Blick über<br />

soziale Nähe und Distanz bestimmt.<br />

13 DDS Juni 2004<br />

Dies zeigt, dass zwischen der geachteten Berufung auf<br />

Ethnizität immer schon Brücken zum geächteten Rassismus<br />

bestehen. Das Verdikt des Rassisten, die Behauptung<br />

einer Unvereinbarkeit zwischen seinesgleichen und anderen,<br />

kann prinzipiell jeden treffen. Es ereilt nicht nur diejenigen,<br />

die – wie Monika – die Insignien der »richtigen« Zugehörigkeit<br />

besitzen (deutsch, einheimisch und weiß), aber ein<br />

Verhalten an den Tag legen, das mit diesen »unveräußerlichen«<br />

Besitztiteln vorab als unvereinbar erklärt wird. Der<br />

Rassist ächtet Individuen oder Gruppen nämlich nicht deswegen,<br />

weil sie unterschiedliche Merkmale aufweisen, vielmehr<br />

interessieren ihn nur die Unterschiede zwischen Menschen,<br />

die er vorab mit seinesgleichen als unvereinbar erklärt.<br />

<strong>Interkulturelle</strong> Jugendarbeit:<br />

Wider ihre Fans verteidigt!<br />

Es hat sich in der Jugendarbeit angesichts der Tatsache<br />

zunehmend ethnisch gemischter Stadtviertel häufig eine<br />

Praxis durchgesetzt, wonach Jugendliche fast nurmehr als<br />

Exponenten ihrer nationalen und ethnisch-kulturellen Herkunft<br />

zum Gegenstand sozialpädagogischen Handelns werden.<br />

Dies selbst dann, wenn Jugendliche in ihrem Verhalten<br />

längst deutlich machen, dass in ihrem Umgang mit ihresgleichen<br />

und anderen nicht einzig oder vornehmlich die ethnisch-kulturelle<br />

Karte sticht. Wohlgemerkt, es geht nicht um<br />

die generelle Zurückweisung eines kulturellen Blicks auf<br />

Jugendliche, wohl aber um Einlassungen und Widerständigkeit<br />

gegen dessen hegemonialen Erklärungsanspruch in<br />

Sachen »Jugend und Alltag«. Gerade überzeugte und engagierte<br />

Multi-/Interkulturalisten sollten nicht vergessen (haben),<br />

dass »Kultur« nur eine Ausformung unter anderen<br />

Gestalten und Aspekten des Verhältnisses von »Individuum<br />

und Gesellschaft« darstellt.<br />

von Hans Lösch<br />

Soziologe am Deutschen Jugendinstitut (DJI)<br />

Redakteur der Zeitschrift »DISKURS« des DJI<br />

Foto: Robert Michel

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