IDOLE - Skulptur und Bild Ursula Kling-Rau Peter-Michael Weber
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Idole aus Keramik <strong>und</strong> Bytes.<br />
Bemerkungen zu einer glücklichen Synthese<br />
„Wächter 1“ (U.K-R.). Klare gerade Linien steigen schlank verengt nach oben, die oval<br />
geb<strong>und</strong>ene Mimik scheint von erhöhter Stelle alles zu übersehen – <strong>und</strong> doch ist ihr Blick seltsam<br />
abwesend. Die Wächterin, worüber wacht sie? Frauenfiguren frühgeschichtlicher Zeit waren<br />
Mutterfiguren; sie sicherten <strong>und</strong> wachten über die Fruchtbarkeit. Doch wo ist der r<strong>und</strong>e Bauch,<br />
wo die üppigen Brüste, wo das spendende Leben, das sich fortzeugen will ins nächste <strong>und</strong><br />
übernächste Glied? Wo früher die Angst vor ausbleibender Fruchtbarkeit sich in übersteigerten<br />
Geschlechtsphantasien <strong>und</strong> Kultpraktiken Luft verschaffte, wo alle Formen r<strong>und</strong> <strong>und</strong> gleichsam<br />
nah der Ackerfurche blieben, strebt nun ein viriler Frauenkörper vom Boden fort. Nicht länger verdankt<br />
sie ihren r<strong>und</strong>en Bauch dem fruchtbaren Nordwind oder einem gütig gebendem Gott; ihre aufrechte<br />
Haltung verdankt sie ihrem eigenem, wie es scheint selbst-erworbenem, metallenem Außenskelett.<br />
Nein, kein Mann. Sie sichert nicht länger die Fruchtbarkeit der Gemeinschaft, sie wacht über ihre<br />
eigene Autarkie, über Selbstbestimmung <strong>und</strong> Selbstherrschaft. Frau ist in der Gegenwart<br />
angekommen. Und doch, ihr Widerspruch ist der der Figur. Das moderne Metall fasst das Alte<br />
ein, Keramik, Ton, Erde – Fruchtbarkeit. Die Wächterin als Zeichen (Icon) einer postfeministischen<br />
Zeit: die Figur exemplifiziert in sich bereits den Widerspruch, den sie bedeuten will.<br />
„Wächter 2“ (P-M.W.). Umrisse, Schatten, Verdopplungen, Farbkonturen, <strong>und</strong> doch das<br />
selbe Motiv: drei Wächter(innen). Digitale Fotoeffekte machen sichtbar, was dem Blick zunächst<br />
verborgen blieb; hartes Licht für unsichtbare Kontexte <strong>und</strong> Texturen. Wir sehen Frauen, die –<br />
gleich weißen Larven, die das Licht scheuen – sich hinter ihrer Erscheinung als Wächter nur<br />
verstecken. Die Wächterganzkörpermaske wirkt nun löchrig, zerfressen, dünn wie Seidenpapier;<br />
zudem ist sie zu kurz, verdeckt nicht völlig, die Passung franst nach unten hin aus. Und doch<br />
zeigen die Larven nun Leben: Haupthaar wird sichtbar. In „Wächter 3“ sehen wir, dass Figuren<br />
plötzlich doch ein Bauch schwillt – wenn der Kopf unter den Nabel rutscht. Die Brustwarzen<br />
werden zu stechend blickenden Augen (schon in „Wächter 2“ schaut die mittlere Figur aus ihren<br />
Brüsten heraus), das Schamdreieck ist verrutscht, disloziert, vervielfältigt. Alles Klare <strong>und</strong> Geordnete<br />
der <strong>Skulptur</strong> zieht sich zurück auf das, was die <strong>Rau</strong>heit der Keramikoberfläche ihrem fotographischen<br />
Widerpart gleichsam herausätzt; grau-blaue Schemen sind, was bleibt. Das <strong>Bild</strong><br />
spricht mit der <strong>Skulptur</strong> <strong>und</strong> berichtet von einer Täuschung; die wachende Autarkie war nur eine<br />
Maske, was bleibt, sind Schemen eines Traums.<br />
Wenn Kunst spricht, muss sie etwas aussagen, sich mit Zeichen auf etwas anderes, das<br />
Bezeichnete, beziehen. Ein Wort bezeichnet einen Gegenstand, ein rot gerandetes Dreieck eine<br />
Verkehrsgefahr. Wie sprechen <strong>Skulptur</strong> <strong>und</strong> <strong>Bild</strong>? Es kann ja nicht die Sprache einer exakten <strong>und</strong><br />
vollständigen Reproduktion ihrer Objekte sein. Denn Exaktheit erzwingt die Fixierung auf eine<br />
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