Entwicklung eines lebenslagen- und haushalts- bezogenen ...
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<strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong><br />
<strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong>-<br />
<strong>bezogenen</strong> Datenmodulsystems<br />
zur Qualifizierung von<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichtserstattungs-<br />
vorhaben.<br />
- ELHDAMO -
JUSTUS-LIEBIG-UNIVERSITÄT GIESSEN<br />
Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privat<strong>haushalts</strong> <strong>und</strong> Familienwissenschaft<br />
Leitung: Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe<br />
Bismarckstraße 37, 35390 Gießen<br />
Tel.: 0641/99-39301; Fax: 0641/99-39309<br />
im Auftrag des B<strong>und</strong>esministeriums für Familie,<br />
Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend<br />
<strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> <strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Datenmodulsystems<br />
zur Qualifizierung von kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattungsvorhaben<br />
- ELHDAMO -<br />
Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe<br />
Dipl. oec. troph. Markus Dorn<br />
Dipl. oec. troph. Silke Mardorf<br />
Gießen, März 2005
Inhaltsverzeichnis II<br />
Vorwort<br />
Vor nunmehr fünf Jahren wurde der Forschungsschwerpunkt „Armut <strong>und</strong> prekäre<br />
Lebenslagen von privaten Haushalten“ am Lehrstuhl für Wirtschaftlehre des<br />
Privat<strong>haushalts</strong> <strong>und</strong> Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen<br />
etabliert.<br />
Der vorliegende Projektbericht zum Thema „<strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> <strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Datenmodulsystems“ (ELHDAMO) ist in diesen Forschungszusammenhang<br />
einzuordnen <strong>und</strong> wurde über einen Zeitraum von fünfzehn Monaten<br />
vom B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, Frauen <strong>und</strong> Jugend gefördert.<br />
Das vorliegende Projektergebnis basiert somit auf mehrjährigen Forschungserfahrungen,<br />
die bei der Erstellung des Armutsberichts für die Universitätsstadt Gießen<br />
2002, im Zuge der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts „Stadt 2030“ <strong>und</strong><br />
schließlich bei der <strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> interkommunalen sozialräumlichen Monitoringsystems<br />
für die Qualifizierung von kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattungsvorhaben<br />
der Städte Gießen <strong>und</strong> Wetzlar gewonnen worden sind. Darüber<br />
hinaus profitiert der vorliegende Bericht von den Ergebnissen <strong>eines</strong> qualitativ<br />
angelegten Armutspräventionsprojekts, das verschiedene Lebenslagendimensionen<br />
von Haushalten in prekären Wohlstandslagen differenziert untersucht hat.<br />
Ausgehend von einer gründlichen Analyse der Methoden <strong>und</strong> Konzepte in der<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />
wurde gemäß der Zielstellung im Projektantrag der Prototyp <strong>eines</strong> <strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Datenmodulsystems entwickelt, der kreative Datenquellen <strong>und</strong><br />
Umsetzungsstrategien einbezieht, so dass bisherige Datenlücken zumindest teilweise<br />
geschlossen <strong>und</strong> Verknüpfungen zwischen einzelnen Lebenslagendimensionen<br />
aufgezeigt werden konnten.<br />
Umfang <strong>und</strong> Gehalt des vorliegenden Projektberichts sind vor allem das Ergebnis der<br />
fruchtbaren kollegialen Zusammenarbeit zwischen Herrn Dipl. oec. troph. Markus Dorn<br />
als Projektmitarbeiter <strong>und</strong> Frau Dipl. oec. troph. Silke Mardorf, die zeitgleich zum<br />
ELDHAMO-Projekt ihre Dissertation zum Thema „Konzepte <strong>und</strong> Methoden von<br />
Sozialberichterstattung. Eine empirische Analyse kommunaler Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichte“ erarbeitet hat. Die Kooperation reichte von der empirischen Analyse der<br />
kommunalen Berichte über die gemeinsame Vorbereitung <strong>eines</strong> Workshops mit<br />
ExpertInnen aus der kommunalen Praxis bis hin zur Konzipierung des Prototyps <strong>eines</strong><br />
<strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Datenmodulsystems <strong>und</strong> seiner theoretischen<br />
F<strong>und</strong>ierung sowie dem Verfassen der Berichtstexte, so dass eine Abgrenzung in der<br />
AutorInnenschaft nicht möglich war.<br />
Bereichert wurde das Vorhaben aber auch durch viele Arbeitsgruppendiskussionen, in<br />
denen insbesondere Frau Dr. Heide Preuße, Akademische Rätin am Lehrstuhl für<br />
Wirtschaftslehre des Privat<strong>haushalts</strong> <strong>und</strong> Familienwissenschaft kontinuierlich <strong>und</strong><br />
zielführend mitgewirkt hat.<br />
Schließlich wurde die computertechnische Fertigstellung des Projektberichts in<br />
bewährter Weise von Frau Gisela Beigi übernommen.<br />
Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank.<br />
Zu danken ist aber auch unseren Auftraggebern vom BMFSFJ, die das Projektvorhaben<br />
für relevant gehalten <strong>und</strong> durch eine entsprechende finanzielle Förderung überhaupt<br />
erst ermöglicht haben.<br />
Gießen, den 29. 03. 2005 Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe
Inhaltsverzeichnis I<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung<br />
Seite<br />
1<br />
1. Zielsetzung des Projektes 2<br />
2. Vorgehensweise 5<br />
3. Verlauf des Projektes 7<br />
4. Problemaufriss 8<br />
4.1. Herausforderungen <strong>und</strong> Probleme kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung<br />
8<br />
4.1.1. Standards 10<br />
4.1.2. Datenquellen 13<br />
4.2. Stellenwert der Sozialberichterstattung innerhalb des Sozialplanungsprozesses<br />
15<br />
4.2.1. Ziele, Aufgaben, Stellenwert <strong>und</strong> Reichweite 15<br />
4.2.2. Typisierungen <strong>und</strong> Abgrenzungsversuche von Berichterstattungssystemen<br />
19<br />
4.2.3. AdressatInnen 23<br />
4.3. Fazit 26<br />
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 28<br />
5.1. Zielsetzung der empirischen Analyse 28<br />
5.2. Begriffsbestimmung: Gemeinde, Kommune 28<br />
5.3. Vorgehensweise <strong>und</strong> Methode der empirischen Analyse 29<br />
5.4. Ergebnisse 35<br />
5.4.1. Berichtsepochen 35<br />
5.4.2. Berichtskontinuität <strong>und</strong> Vergleichbarkeit 38<br />
5.4.3. Berichtstitel oder „Ob drin steht, was drauf steht?“ 39<br />
5.4.4. Berichtsansätze – Konzeptionelle Vielfalt oder Konzeptionslosigkeit?<br />
43<br />
5.4.5. Berichte, „die aus der Reihe tanzen“: Regionale Besonderheiten 58<br />
5.4.6. Fazit 62<br />
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 65<br />
6.1. Statistik – wozu? 66<br />
6.2. Der Stellenwert des Privat<strong>haushalts</strong> in der (Sozial-)Statistik 68<br />
6.2.1. Der Mikrozensus 69<br />
6.2.2. Das Einwohnermelderegister 71
Inhaltsverzeichnis II<br />
6.2.3. Die Sozialhilfestatistik 72<br />
6.2.4. Die Wohngeldstatistik 74<br />
6.2.5. Die Erwerbslosenstatistik 75<br />
6.2.6. Fazit: „Freischwebende Individuen“ in der Statistik? 76<br />
6.3. Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des Sozialen <strong>und</strong> ihre Konsequenzen<br />
für die Sozialstatistik 77<br />
6.3.1. Öffentliche Träger 81<br />
6.3.2. Freie Träger 83<br />
6.3.3. Fazit: Vertikale (Sozial-)Statistiken 86<br />
6.4. Extreme Armut: Außerhalb von Statistik – außerhalb von Berichter-stattung?<br />
87<br />
6.5. Kreative Informationsquellen jenseits der Standards 90<br />
6.5.1. (Prekäre) Einkommenslage 90<br />
6.5.2. Lebenslage Wohnen 92<br />
6.5.3. Lebenslage Ges<strong>und</strong>heit 94<br />
6.5.4. Lebenslage Bildung 97<br />
6.5.5. Lebenslage Partizipation 99<br />
6.6. Fazit: Datenverfügbarkeiten <strong>und</strong> Konsequenzen für die Berichterstattung<br />
100<br />
7. Lebenslagenorientierung 102<br />
7.1. Der Lebenslagenansatz als wissenschaftliche Konzeption 102<br />
7.2. Umsetzungsschwierigkeiten des Lebenslagenansatzes am Beispiel<br />
der Inkompatibilität von Datenquellen 104<br />
7.3. Fazit <strong>und</strong> Konsequenzen 108<br />
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 110<br />
8.1. Intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität 110<br />
8.1.1. Definition intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität 110<br />
8.1.2. Nutzen von intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität<br />
8.1.3. Instrumente zur Förderung intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong><br />
111<br />
Kontinuität 112<br />
8.1.4. Intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität in der Praxis der<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung 117<br />
8.1.5. Fazit 118<br />
8.2. Interkommunale Vergleichbarkeit 119
Inhaltsverzeichnis III<br />
8.2.1. Wozu interkommunale Vergleiche? 119<br />
8.2.2. Historische <strong>Entwicklung</strong> der überörtlichen Organisation der Städtestatistik<br />
121<br />
8.2.3. Darstellung der verschiedenen Organisationen, Instrumente <strong>und</strong> Projekte<br />
123<br />
8.2.4. Interkommunale Vergleichbarkeit in der Praxis der kommunalen Armuts<strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung 140<br />
8.2.5. Fazit 143<br />
8.3. Dynamik <strong>und</strong> Verlaufsorientierung 144<br />
8.3.1. Die dynamische Armutsforschung 144<br />
8.3.2. Dynamik <strong>und</strong> Verlaufsorientierung in der kommunalen Berichter-stattung<br />
149<br />
8.3.2.1. „Echte“ Dynamik 150<br />
8.3.2.2. „Unechte Dynamik“ <strong>und</strong> „Statik“ 152<br />
8.3.2.3. Fazit 154<br />
8.4. Haushaltsbezug in der kommunalen Statistik: Haushaltsgenerierungsverfahren<br />
155<br />
8.4.1. Datenbedarf 155<br />
8.4.2. Datenquellen 157<br />
8.4.3. Das Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen 160<br />
8.4.3.1. Entstehungsgeschichte von HHGen 160<br />
8.4.3.2. Vorgehensweise des Verfahrens 161<br />
8.4.3.3. Ergebnisse von HHGen 166<br />
8.4.4. Fazit <strong>und</strong> Perspektive 176<br />
8.5. Sozialraumorientierung 179<br />
8.5.1. Methoden der Sozialraumanalyse 180<br />
8.5.2. Die Bedeutung der Sozialraumorientierung für die Sozialberichter-stattung<br />
183<br />
8.5.2.1. Zielsetzung <strong>und</strong> sozialplanerischer Nutzen 184<br />
8.5.2.2. Großräumig – kleinräumig – sozialräumlich 186<br />
8.5.2.3. Raumbezug <strong>und</strong> Raumabgrenzung 188<br />
8.5.2.4. Ranking-Verfahren <strong>und</strong> Indizes 194<br />
8.5.2.5. „Die Macht der Karten“ – Kartographie <strong>und</strong> Klassenbildung<br />
200
Inhaltsverzeichnis IV<br />
8.5.2.6. Fazit: Optimierte Vorgehensweise zur Initiierung sozial-räumlicher<br />
Berichterstattung 203<br />
8.6. Integrative Ansätze in der Berichterstattung 205<br />
8.6.1. Philosophie <strong>und</strong> Ansatzpunkte 205<br />
8.6.2. Die Integration von AkteurInnen 207<br />
8.6.3. Die Integration von Methoden 209<br />
8.6.4. Die Integration von Dimensionen 211<br />
8.6.5. Fazit: Bedingungsfaktoren für integrierte Berichtsansätze 216<br />
8.7. Fazit 217<br />
9. Das Datenmodulsystem 218<br />
9.1. Vorgehensweise bei der Konzeption des Datenmodulsystems 218<br />
9.2. Das Datenmodulsystem im Überblick 220<br />
9.2.1. Die Minimalversion 222<br />
9.2.2. Die Basisversion <strong>und</strong> ihre Ergänzung zur Maximalversion 230<br />
9.3. Inhaltliche Erläuterungen zu den einzelnen Modulbausteinen 251<br />
9.4. Empfehlungen für die praktische Umsetzung 269<br />
10. Gesamtfazit <strong>und</strong> Perspektive 272<br />
10.1. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse 272<br />
10.2. Ausblick 274<br />
Literaturverzeichnis 276<br />
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 291<br />
Verzeichnis der Internetquellen 298<br />
Anhang
Abbildungsverzeichnis V<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1: Vorgehensweise der empirischen Analyse<br />
Abb. 2: Lebenslagendimensionen <strong>und</strong> Themenbereiche in kommunalen Ar-<br />
Seite<br />
33<br />
muts- <strong>und</strong> Sozialberichten 51<br />
Abb. 3: In den Berichten vertretene Themen/ Lebenslagendimensionen 52<br />
Abb. 4: In den Berichten vertretene Indikatoren zur Finanzsituation 53<br />
Abb. 5: Anzahl der in den Berichten vertretenen Dimensionen 54<br />
Abb. 6: Privat<strong>haushalts</strong>mitglieder in der Statistik 76<br />
Abb. 7: Organisationsformen des Sozialen nach Ortmann 78<br />
Abb. 8: Organisationsformen der Daseinsvorsorge nach v. Schweitzer 80<br />
Abb. 9: Soziale Organisationen als Leistungserbringer für Privathaushalte 83<br />
Abb. 10: Stellung der Sozialstatistik im Rahmen der Verwaltungssteuerung 85<br />
Abb. 11: Systematik der Wohnungsnotfälle 89<br />
Abb. 12: Der Lebenslagenansatz in seiner praktischen Umsetzung 107<br />
Abb. 13: Systemsteuerung durch Metadaten 116<br />
Abb. 14: Die überörtliche Organisation der Städtestatistik<br />
Abb. 15: Ausprägung einer Lebenslagendimension bei echter <strong>und</strong> unechte<br />
123<br />
Dynamik <strong>und</strong> Statik 150<br />
Abb. 16: Methodische Ansätze in der Sozialraumanalyse 180<br />
Abb. 17: Datenmodulsytem - Minimalversion - 221<br />
Abb. 18: Datenmodulsystem - Basisversion -<br />
Abb. 19: Datenmodulsystem - Zusatzmodule als Ergänzung der Basisversion<br />
221<br />
zur Maximalversion -<br />
Abb. 20: Die Indikatoren des Datenmodulsystems auf einen Blick (Minimal-<br />
222<br />
version)<br />
Abb. 21: Die Indikatoren des Datenmodulsystems auf einen Blick (Basis- <strong>und</strong><br />
223<br />
Maximalversion) 231
Tabellenverzeichnis VI<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Seite<br />
Tab. 1: Anzahl b<strong>und</strong>esweit recherchierbarer kommunaler Berichte nach Be-richtstypen<br />
anhand von Titeln <strong>und</strong> Untertiteln (Stand 5/2004) 32<br />
Tab. 2: Anzahl aller recherchierbaren kommunalen Berichte nach Berichtstypen<br />
<strong>und</strong> Zeiträumen 36<br />
Tab. 3: Typisierung aller verfügbaren kommunalen Berichte nach Titeln <strong>und</strong> Untertiteln<br />
40<br />
Tab. 4: Gegenüberstellung der titel<strong>bezogenen</strong> <strong>und</strong> inhaltlichen Zuordnung<br />
der Berichte 42<br />
Tab. 5: Anzahl kommunaler Berichte nach selbst formuliertem, konzeptionellem<br />
Anspruch 44<br />
Tab. 6: Anzahl kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte nach selbst formuliertem,<br />
konzeptionellem Anspruch 47<br />
Tab. 7: Anzahl verfügbarer kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte nach<br />
institutioneller Einbindung der AutorInnen 48<br />
Tab. 8: Steckbrief Mikrozensus 69<br />
Tab. 9: Steckbrief Einwohnermelderegister 71<br />
Tab. 10: Steckbrief Sozialhilfestatistik (bis 2004) 72<br />
Tab. 11: Steckbrief Wohngeldstatistik (bis 2004) 74<br />
Tab. 12: Steckbrief Erwerbslosenstatistik (bis 2004) 75<br />
Tab. 13: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung prekärer Einkommenslagen<br />
in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen<br />
<strong>und</strong> Ergänzungen 91<br />
Tab. 14: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs „Wohnen“<br />
in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen <strong>und</strong><br />
Ergänzungen 93<br />
Tab. 15: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs<br />
„Ges<strong>und</strong>heit“ in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach<br />
Standardquellen <strong>und</strong> Ergänzungen 95<br />
Tab. 16: Datenquellen/Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs „Bildung“<br />
in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen <strong>und</strong><br />
Ergänzungen 97
Tabellenverzeichnis VII<br />
Tab. 17: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs<br />
„Partizipation“ in der kommunalen Berichterstattung, differenziert<br />
nach Standardquellen <strong>und</strong> Ergänzungen<br />
Tab. 18: Lebenslagenverknüpfungen <strong>und</strong> ihre Variablen am Beispiel von drei<br />
99<br />
ausgewählten Sozialstatistiken im Vergleich<br />
Tab. 19: Organisationen <strong>und</strong> zugehörige Instrumente/ Projekte/ Aktivitäten in<br />
105<br />
Bezug auf interkommunale Vergleichbarkeit 124<br />
Tab. 20: Das achtstufige Haushaltsgenerierungsverfahren 165<br />
Tab. 21: Gesamt- <strong>und</strong> teilstädtische Ansätze der Sozialraumanalyse 182<br />
Tab. 22: “Top-Down”- <strong>und</strong> “Bottom-Up”-Ansätze der Sozialraumanalyse 183<br />
Tab. 23: Raumorientierung in kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten<br />
Tab. 24: Vielfalt kleinräumiger Ranking-Konzepte in kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
186<br />
Sozialberichten nach Konzept <strong>und</strong> Anzahl der Indikatoren 196<br />
Tab. 25: Aussagebereiche <strong>und</strong> Beobachtungsdimensionen zur Indikatorenbün-delung in<br />
ausgewählten kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten<br />
Tab. 26: Anzahl verfügbarer, kommunaler Berichte nach institutioneller Einbin-<br />
197<br />
dung der AutorInnen 208<br />
Tab. 27: Indikatorenset des Datenmodulsystems (Minimalversion) 225<br />
Tab. 28: Indikatorenset des Datenmodulsystems (Basis- <strong>und</strong> Maximalversion) 234
Abkürzungsverzeichnis VIII<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
Abb. Abbildung<br />
Abs. Absatz<br />
AG Arbeitsgemeinschaft<br />
AGK Adresszentraldatei, Gebäudedatei <strong>und</strong><br />
Kleinräumige Gliederung<br />
allg. allgemein<br />
a.M. am Main<br />
ASD Allgemeiner sozialer Dienst<br />
Aufl. Auflage<br />
BAG B<strong>und</strong>esarbeitsgemeinschaft<br />
BBR B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung<br />
Bd. Band<br />
BMA B<strong>und</strong>esministerium für Arbeit <strong>und</strong><br />
Sozialordnung<br />
BMFSFJ B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren,<br />
Frauen <strong>und</strong> Jugend<br />
BMFuS B<strong>und</strong>esministerium für Familie <strong>und</strong><br />
Senioren<br />
BSHG B<strong>und</strong>essozialhilfegesetz<br />
bzw. beziehungsweise<br />
d.h. das heißt<br />
dies. dieselbe<br />
Dipl. oec. troph Diplom-OecotrophologIn<br />
Dr. DoktorIn<br />
DST Deutscher Städtetag<br />
DUVA Name <strong>eines</strong> Informationsmanagementsystems<br />
DV Deutscher Verein für öffentliche <strong>und</strong> private<br />
Fürsorge<br />
DVU Deutsche Volksunion<br />
EDV Elektronische Datenverarbeitung<br />
ELHDAMO <strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> <strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Datenmodul-systems<br />
e. V. eingetragener Verein<br />
et al. et alii (<strong>und</strong> andere)<br />
etc. et cetera (<strong>und</strong> so weiter)<br />
f. folgende (Seite)<br />
ff. fortfolgende (Seiten)<br />
gesellsch. gesellschaftlich<br />
GIS Geographische/s Informationssystem/e<br />
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung<br />
H. Heft<br />
Hartz IV Vierter Teil der Hartz-Reformen<br />
HbL Hilfe in besonderen Lebenslagen<br />
Hg. HerausgeberIn<br />
HHGen Name <strong>eines</strong> Haushaltsgenerierungsverfahrens<br />
HHSTAT Koordinierte Haushalte- <strong>und</strong> Bevölkerungsstatistik<br />
aus dem Melderegister<br />
HLU Hilfe zum Lebensunterhalt<br />
ICOSTAT Interkommunales Data Warehouse<br />
i.d.R. in der Regel<br />
i.e.S. im engeren Sinne
Abkürzungsverzeichnis IX<br />
IKO Interkommunale Leistungsvergleiche<br />
IKON IKO-Netz: Datenbank für Interkommu-nale<br />
Leistungsvergleiche<br />
IRB Innerstädtische Raumbeobachtung<br />
IS Index der Segregation<br />
Jg. Jahrgang<br />
Kap. Kapitel<br />
Kita Kindertagesstätte<br />
KJHG Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetz<br />
KIV Kommunale Informationsverarbeitung in<br />
Hessen<br />
KORIS Kommunales Raumbezugssystem<br />
KOSIS Kommunales Statistisches Informationssystem<br />
KOSTAT Kommunalstatistik<br />
LAG Landesarbeitsgemeinschaft<br />
med. medizinisch<br />
Mio. Millionen<br />
NDV Nachrichtendienst des Deutschen Vereins<br />
für öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge<br />
NPD Nationale Partei Deutschlands<br />
o.ä. oder ähnlich<br />
ÖPNV Öffentlicher Personennahverkehr<br />
o.g. oben genannte/r<br />
PISA Programme for International Student<br />
Assessment<br />
PKS Polizeiliche Kriminalitätsstatistik<br />
s. siehe<br />
S. Seite<br />
SB Sozialberichterstattung<br />
SGB Sozialgesetzbuch<br />
SIKURS Regionalisierte Bevökerungsprognose<br />
SIS Strategisches Informationssystem<br />
SOEP Sozioökonomisches Panel<br />
stat. statistisch<br />
Tab. Tabelle<br />
U Untersuchung<br />
u. a. unter anderem<br />
usw. <strong>und</strong> so weiter<br />
u.U. unter Umständen<br />
v. von<br />
VDSt Verband Deutscher Städtestatistiker<br />
vgl. vergleiche<br />
VGR Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung<br />
VSOP Verein für Sozialplanung<br />
z.B. zum Beispiel<br />
z.T. zum Teil
Einleitung 1<br />
Einleitung<br />
In einer Zeit, in der die Kluft zwischen Arm <strong>und</strong> Reich in Deutschland immer größer wird<br />
– auf der einen Seite beispielsweise ein historisch hoher Anteil Arbeitsloser <strong>und</strong> damit<br />
das Angewiesensein immer weiterer Teile der Bevölkerung auf finanzielle<br />
Unterstützungsleistungen, auf der anderen Seite horrende Gehälter <strong>und</strong> Abfindungen<br />
für die Top-Manager großer Wirtschaftsunternehmen –, ist es erfreulich zu sehen, dass<br />
die Städte zunehmend die Notwendigkeit erkennen, die sich vor Ort niederschlagende<br />
soziale Ungleichheit der Lebenschancen in die öffentliche Diskussion zu bringen <strong>und</strong><br />
kommunalpolitisch anzugehen. Damit eine solche Politik des sozialen Ausgleichs in<br />
einer Kommune jedoch nicht „ins Blaue hinein“ geschieht, bedarf es einer<br />
aussagekräftigen Datengr<strong>und</strong>lage über die Lebenslagen der Bevölkerung. Es gibt<br />
jedoch kein standardisiertes Verfahren, nach dem ein solches<br />
Sozialberichterstattungsvorhaben zu erfolgen hat. Jede Kommune zieht<br />
unterschiedliche Indikatoren heran <strong>und</strong> greift auf andere Datenquellen zurück. Damit<br />
sind die entstehenden Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte stets Unikate, die – von wenigen<br />
Ausnahmen abgesehen – weder interkommunal vergleichbar sind, noch einen<br />
intrakommunalen Vergleich im Zeitverlauf ermöglichen. Angesichts des gegenseitigen<br />
Konkurrenz- aber auch Kooperationsdrucks <strong>und</strong> der meist desolaten Finanzsituation der<br />
Städte kann eine solch unkoordinierte Berichterstattung, die noch dazu mit einem<br />
erheblichen Aufwand bei der Erstellung jedes neuen Berichtes in einer Kommune<br />
einhergeht, nicht im Sinne der Städte sein. Berichterstattung ist schließlich kein<br />
Selbstzweck, sondern sie soll die politisch <strong>und</strong> administrativ Verantwortlichen präzise<br />
<strong>und</strong> f<strong>und</strong>iert über die Defizite <strong>und</strong> Handlungserfordernisse in den sozialen Räumen der<br />
Städte informieren <strong>und</strong> als belastbare Argumentationsgr<strong>und</strong>lage für politische<br />
Entscheidungen fungieren. Daher widmet sich das Projekt „<strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong><br />
<strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Datenmodulsystems zur Qualifizierung von<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattungsvorhaben“ dieser Erfordernis einer<br />
Vereinheitlichung der Sozialberichterstattung mit dem Ziel, ein modularisiertes Set an<br />
Indikatoren zu schaffen, auf das sich verschiedene Kommunen bei der Erstellung von<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten stützen können.
1. Zielsetzung des Projektes 2<br />
1. Zielsetzung des Projektes<br />
Das Projekt verfolgt parallel mehrere Ziele, die an dieser Stelle erläutert werden sollen:<br />
Vorrangiges Ziel des Projektes ist die <strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> Datenmodulsystems zur<br />
Qualifizierung von kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattungsvorhaben. Das<br />
Datenmodulsystem soll aussagekräftige <strong>und</strong> – soweit möglich <strong>und</strong> sinnvoll –<br />
<strong>haushalts</strong>bezogene Indikatoren zu materiellen als auch immateriellen<br />
Lebenslagendimensionen wie Finanzsituation, Erwerbsarbeit, Wohnen, Bildung,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> gesellschaftliche Teilhabe umfassen. Ganz bewusst soll damit auch der<br />
vielfach nur auf materielle Unterversorgung gerichtete Blick von Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung überw<strong>und</strong>en werden. Armut soll vielmehr entsprechend der<br />
Interpretation des Lebenslagenansatzes als Unterversorgung in verschiedenen<br />
Lebensbereichen betrachtet werden. Damit richtet sich die Perspektive auf die<br />
Multidimensionalität von Armut. Eine Unterscheidung zwischen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung spielt für das Projekt keine Rolle (vgl. Kap. 4.3).<br />
Die <strong>Entwicklung</strong> des Datenmodulsystems soll zum einen auf der Basis der in der<br />
Kommunalverwaltung turnusmäßig ohnehin regelmäßigen Dokumentation von diversen<br />
Verwaltungsvollzügen <strong>und</strong> von Pflichtzählungen, zum anderen auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />
Geschäftsstatistiken anderer öffentlicher <strong>und</strong> freier Träger erfolgen.<br />
Das <strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong>bezogene Datenmodulsystem soll Kommunen<br />
unterschiedlichen Typs effektiv <strong>und</strong> anwendungsorientiert dabei unterstützen, mit einem<br />
vertretbaren Aufwand quartiersbezogene Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte zu erstellen, aber<br />
auch für spezifische Fragestellungen geeignete <strong>und</strong> aussagefähige Indikatoren zu<br />
verwenden, beispielsweise für eine solide örtliche Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung.<br />
Die „Projektphilosophie“ lautet, keine zusätzlichen Datensätze zu produzieren, sondern<br />
die im Rahmen der kommunalen Verwaltungsvollzüge <strong>und</strong> Pflichtzählungen ohnehin zu<br />
generierenden Daten zu qualifizieren, aber auch die durch sonstige kommunale<br />
Versorgungsinstitutionen produzierten Daten kompatibel zu machen <strong>und</strong> handhabbare<br />
Vorschläge für eine kostengünstige Datenpflege vor Ort zu unterbreiten.
1. Zielsetzung des Projektes 3<br />
Eine Erschwernis für diese Zielsetzung liegt im zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen<br />
vierten Teil der Hartz-Reformen. Die Einführung von Hartz IV hat nämlich massive<br />
Auswirkungen auf die kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung <strong>und</strong> damit auch<br />
auf den Inhalt des Projektes. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- <strong>und</strong> Sozialhilfe<br />
führt zu neuen Datenquellen <strong>und</strong> veränderten Zuständigkeiten, was für die<br />
Berichterstattung eine große Herausforderung darstellt. Bestimmten Indikatoren wie<br />
z.B. der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt wird kaum mehr Bedeutung zukommen,<br />
andere Indikatoren wird es schlicht nicht mehr geben (Arbeitslosenhilfe).<br />
Demgegenüber kommen neue Indikatoren hinzu (Arbeitslosengeld II). Bei der<br />
Einführung von Hartz IV wird es anfangs vordringlich um die Sicherstellung der<br />
Auszahlungen <strong>und</strong> den Aufbau des Verwaltungsapparats gehen. Aspekte der Statistik<br />
<strong>und</strong> Berichterstattung werden kaum Beachtung finden. Mit einer ersten statistischen<br />
Auswertung der anfallenden Daten ist frühestens im Laufe des Jahres 2006 zu rechnen.<br />
Somit ist es in der aktuellen Situation nahezu unmöglich, konkrete Aussagen über<br />
Indikatoren in diesen für die kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung wichtigen<br />
Bereichen zu treffen. Im Datenmodulsystem werden daher innerhalb der<br />
Lebenslagendimensionen „Finanzsituation“ <strong>und</strong> „Erwerbsarbeit“ am Ende des Projektes<br />
zwangsläufig Lücken klaffen – die bisherigen Indikatoren lassen sich auf die neue<br />
Situation nicht übertragen, während gleichzeitig Aussagen über neue Indikatoren noch<br />
spekulativ sind.<br />
Andererseits bietet sich die aktuelle Umbruchsituation an, um die Zielsetzung des<br />
Projektes um mehr gr<strong>und</strong>sätzliche Überlegungen zu ergänzen: Welches waren die<br />
Kardinalfehler der früheren Statistiken? Wie könnten diese bei der Neukonzeption der<br />
Statistiken für die Zukunft ausgeräumt werden? Welches sind zentrale Ansatzpunkte für<br />
die Berichterstattung, unabhängig von den konkreten Statistiken?<br />
In diesem Zusammenhang werden wir die kommunale Berichterstattung in ihren<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen Methoden <strong>und</strong> Konzepten analysieren. Dabei wollen wir kreative<br />
Ansätze in der Berichterstattung besonders in den Blick rücken.<br />
Ein weiteres Ziel des Projektes besteht darin, Kommunen zu gewinnen, die an der<br />
Umsetzung des Prototyps des Datenmodulsystems im Rahmen ihrer Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung interessiert sind, weil ein Anschlussprojekt vorgesehen ist, in<br />
dem die Umsetzung dieses modularisierten Prototyps in die Praxis wissenschaftlich
1. Zielsetzung des Projektes 4<br />
begleitet werden soll. Das von uns generierte Datenmodulsystem soll gewissermaßen<br />
als Diskussionsgr<strong>und</strong>lage im Aushandlungsprozess zwischen den an der Umsetzung<br />
beteiligten Kommunen fungieren. Die noch ausstehenden Indikatoren in den Bereichen<br />
„Finanzsituation“ <strong>und</strong> „Erwerbsarbeit“ könnten in diesem Zusammenhang<br />
möglicherweise abschließend festgelegt werden. Die aus der Umsetzung des<br />
Datenmodulsystems gewonnen Erkenntnisse sollen wiederum genutzt werden, um im<br />
Ergebnis ein anwendungsorientiertes Handbuch zur Qualitätssicherung kommunaler<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattungsvorhaben zu veröffentlichen.
2. Vorgehensweise 5<br />
2. Vorgehensweise<br />
Das Projekt setzt sich aus drei wesentlichen Blöcken zusammen:<br />
In einem ersten großen Block wird die kommunale Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattungslandschaft in Form einer empirischen Analyse in den Blick<br />
genommen (Kap. 5). Es erfolgt eine Retrospektive auf die in den vergangenen zwanzig<br />
Jahren (1985-2004) erschienenen kommunalen Berichte. Diese werden unter<br />
verschiedenen Kriterien analysiert, um dadurch Erkenntnisse über Tendenzen <strong>und</strong><br />
Epochen in der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung zu gewinnen.<br />
Dann folgt Kapitel 6, das sich mit den kommunalen Datenverfügbarkeiten befasst. In<br />
diesem Zusammenhang wird die Frage geklärt, wozu Statistik dient <strong>und</strong> wo sie an ihre<br />
Grenzen stößt. Die im Rahmen einer Kommune zugänglichen Statistiken werden<br />
systematisiert <strong>und</strong> bewertet, kreative Datenquellen werden besonders herausgestellt.<br />
Kapitel 7 stellt den Lebenslagenansatz als wissenschaftliche Konzeption dar <strong>und</strong> weist<br />
auf die Umsetzungsschwierigkeiten dieses Ansatzes in Folge der Inkompatibilität der<br />
herangezogenen Datenquellen hin.<br />
Den zweiten großen Block bilden zentrale Herausforderungen in der kommunalen<br />
Berichterstattung (Kap. 8). Dazu haben wir auf diejenigen kommunalen Berichte<br />
zurückgegriffen, die uns in der empirischen Analyse durch ihre besondere Kreativität<br />
hinsichtlich der Überwindung von Datenbarrieren <strong>und</strong> -lücken bzw. der Ausschöpfung<br />
von Datenpotentialen aufgefallen sind. Hieraus haben wir die zentralen<br />
Herausforderungen für eine Berichterstattung abgeleitet, die kontinuierlich <strong>und</strong><br />
intrakommunal wie interkommunal vergleichbar ist, verlaufsorientiert <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong>bezogen vorgeht sowie konsequent sozialraumbezogen <strong>und</strong><br />
<strong>lebenslagen</strong>orientiert erfolgt. Unsere diesbezüglichen Erkenntnisse haben wir auf einem<br />
Workshop am 6. Dezember 2004 mit ExpertInnen aus der kommunalen Praxis zur<br />
Diskussion gestellt.<br />
In Zentrum des dritten großen Blocks (Kap. 9) steht die Generierung des<br />
Datenmodulsystems unter Rückgriff auf die in den gesichteten Berichten verwendeten<br />
Indikatoren sowie die konzeptionelle Erläuterung dieses Systems. Es werden mehrere<br />
Versionen des Datenmodulsystems vorgestellt: Eine Basisversion, die ergänzt werden
2. Vorgehensweise 6<br />
kann um diverse Zusatzmodule, sowie eine Minimalversion, die nur die für eine<br />
<strong>lebenslagen</strong>basierte Berichterstattung unbedingt erforderlichen Indikatoren umfasst.<br />
Auch die unterschiedlichen Datenzugänge für verschiedene Typen von Kommunen<br />
werden berücksichtigt. Anschließend werden die Modulbausteine inhaltlich erläutert <strong>und</strong><br />
Empfehlungen für die praktische Umsetzung des Datenmodulsystems unterbreitet.<br />
Der Bericht schließt mit einem Fazit, das die wichtigsten Erkenntnisse des Projektes<br />
zusammenfasst, <strong>und</strong> einem Ausblick auf das weitere Vorgehen (Kap. 10).
3. Verlauf des Projektes 7<br />
3. Verlauf des Projektes<br />
Die Projektlaufzeit erstreckte sich über 15 Monate im Zeitraum von Januar 2004 bis<br />
März 2005. Im Januar <strong>und</strong> Februar 2004 standen die Einarbeitung in das Projektthema<br />
<strong>und</strong> konzeptionelle Vorüberlegungen zum konkreten Vorgehen im Mittelpunkt. Den<br />
Zeitraum von März 2004 bis Anfang Mai 2004 nahm die Recherche nach bzw.<br />
Beschaffung von kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten ein. Im Mai <strong>und</strong> Juni 2004<br />
fand dann die empirische Analyse der kommunalen Berichte statt. Von Juli 2004 bis<br />
Anfang November 2004 wurden die zentralen Ansatzpunkte in der kommunalen<br />
Berichterstattung herausgearbeitet. Die Zeit von Mitte bis Ende November 2004 wurde<br />
für die Vorbereitung des am 6. Dezember 2004 durchgeführten Workshops benötigt.<br />
Die Systematisierung von Indikatoren <strong>und</strong> die Zusammenstellung zu verschiedenen<br />
Versionen <strong>eines</strong> Datenmodulsystems erfolgten von Dezember 2004 bis Anfang Februar<br />
2005. Der restliche Projektzeitraum (Mitte Februar 2005 bis Ende März 2005) diente der<br />
Erstellung des Projektberichts.
4. Problemaufriss 8<br />
4. Problemaufriss<br />
Im Fokus dieses Kapitels steht die Klärung der Frage, vor welchen aktuellen<br />
Herausforderungen <strong>und</strong> Problemen kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung<br />
steht <strong>und</strong> welchen konkreten praktischen Nutzen Kommunen aus ihr ziehen können.<br />
Ferner soll im vorliegenden Kapitel die Frage beantwortet werden, welche spezifischen<br />
Anforderungen an ein kommunales Berichtssystem aus dieser Perspektive gerichtet<br />
werden.<br />
4.1. Herausforderungen <strong>und</strong> Probleme kommunaler Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung<br />
Die Entstehungsgeschichte der Sozialberichterstattung in der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
unterscheidet sich gr<strong>und</strong>sätzlich von derjenigen der Armutsberichterstattung. Der<br />
Beginn der Sozialberichterstattung in den ersten Jahrzehnten nach Entstehung der<br />
B<strong>und</strong>esrepublik war zugleich ihre Blütezeit. In dieser Zeit wurden die amtlichen<br />
Haushalts- <strong>und</strong> Familienstatistiken, der Mikrozensus, die laufenden<br />
Wirtschaftsrechnungen sowie die Einkommens- <strong>und</strong> Verbrauchsstichproben aufgebaut.<br />
Parallel entwickelten <strong>und</strong> verbreiterten sich die Sozialindikatorenbewegung <strong>und</strong> die<br />
empirische Sozialforschung „getragen von der mehr oder minder deutlich<br />
ausgesprochenen Hoffnung, man könne nach einer laufenden <strong>und</strong> umfassenden<br />
soliden Sozialberichterstattung in der Politikberatung rational begründete, politisch<br />
machbare <strong>und</strong> steuerbare Zukunftsmodelle für den Sozialstaat entwickeln“ (von<br />
Schweitzer 1999: 52). Erst sehr viel später unternahmen auch die Kommunen zaghafte<br />
Versuche, Sozialstrukturen abzubilden. Resultat ist heute eine mehr oder minder<br />
ausgeprägte Kultur der Sozialberichterstattung, die in jeder Kommune ihre je eigene,<br />
teilweise tradierte, höchst individuelle <strong>und</strong> interkommunal unvergleichliche Handschrift<br />
trägt.<br />
Pioniere der Armutsberichterstattung hingegen waren – <strong>und</strong> sind es in ihren<br />
Konzeptionen bis heute – zunächst die Kommunen. Die ersten Armutsberichte sind<br />
Anfang der 80 Jahre des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts in deutschen Großstädten entstanden,<br />
weil dies die Orte waren, in denen Armut als Erstes wahrgenommen <strong>und</strong> sichtbar<br />
wurde. Zugleich waren es auch die Orte, die aufgr<strong>und</strong> massiver sozialer Probleme
4. Problemaufriss 9<br />
gezwungen waren, sich diesem Problem systematisch zu stellen. Konfrontiert mit<br />
einstigen „Großstadtproblemen“ gehen in den letzten Jahren nun auch zunehmend<br />
kleinere bis mittlere Kommunen dazu über, Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung als<br />
lokales Beobachtungsinstrument zu etablieren.<br />
Im Zuge nationaler bzw. überregionaler Armutsberichterstattung – insbesondere seit<br />
dem Zehnten Kinder- <strong>und</strong> Jugendbericht, spätestens aber seit dem ersten Armuts- <strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung – erfährt das Thema Armut auch überregionale<br />
<strong>und</strong> b<strong>und</strong>espolitische Öffentlichkeit. Während nationale Armutsberichte das Ziel<br />
verfolgen, gesamtgesellschaftliche Diskussionen auszulösen, um das Thema Armut <strong>und</strong><br />
Reichtum zu „versachlichen“ (BMA 2001a: 3), Anstöße für bedarfsgerechte Reformen in<br />
der Sozialgesetzgebung zu geben (Hanesch et al. 2000: 21) oder Armut zu<br />
quantifizieren (Dangschat 1995: 35), steht die kommunale Armutsberichterstattung vor<br />
weiteren Herausforderungen. Ziel kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung ist<br />
es primär herauszuarbeiten, welche örtlich beeinflussbaren Lebenslagenbereiche<br />
welches Ausmaß an Armut bzw. Benachteiligung produzieren. Dazu gehören<br />
• eine kritische Reflexion verwaltungsinterner Abläufe <strong>und</strong> ihre Evaluierung als<br />
Bestandteil des Berichts,<br />
• die Analyse stadtteilorientierter Lebensbedingungen <strong>und</strong><br />
• die <strong>Entwicklung</strong> struktureller (ausgehend von der Orientierung an<br />
Lebenslagenkontexten) statt instrumenteller (ausgehend von<br />
Problemgruppenorientierung), armutsorientierter Ansätze sowie<br />
• die Initiierung von Querschnittsdenken in der Kommunalpolitik (Dietz et al. 1999:<br />
499 ff.) .<br />
Aufgabe kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung ist es daher auch,<br />
Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage für lokale, soziale Infrastrukturplanung zu sein <strong>und</strong><br />
Berichterstattung <strong>und</strong> Maßnahmeplanung auf die besonderen sozialen Probleme <strong>und</strong><br />
lokalen Gegebenheiten abzustimmen. Im Zentrum der Kritik – sowohl aus<br />
wissenschaftlicher Sicht als auch aus Sicht der PraktikerInnen – stehen insbesondere<br />
die mangelnden Berichtsstandards (4.1.1.) <strong>und</strong> die erschwerte Umsetzung theoretischer<br />
Konzeptionen auf kommunaler Ebene aufgr<strong>und</strong> unbefriedigender Datenverfügbarkeit<br />
(4.1.2.).
4. Problemaufriss 10<br />
4.1.1. Standards<br />
Die Auffassungen darüber, ob es sinnvoll <strong>und</strong> wünschenswert oder viel mehr<br />
kontraproduktiv <strong>und</strong> wenig erstrebenswert ist, Standards in der Sozialberichterstattung<br />
zu entwickeln, gehen weit auseinander. Fakt ist: Es gibt keine Standards. Diese<br />
Tatsache wird beispielsweise vom Verein für Sozialplanung (VSOP) bereits seit 1994<br />
kritisiert. Es gebe keinen „Konsens <strong>und</strong> verbindliche Konventionen über die fachlichen<br />
Standards <strong>und</strong> Anforderungen an die Armutsberichterstattung – zum Gegenstand, der<br />
Reichweite <strong>und</strong> den Kriterien“ (VSOP 1994: 1). Eine im Rahmen einer Diplomarbeit<br />
vorgenommene, vergleichende Aus- <strong>und</strong> Bewertung kommunaler Armutsberichte<br />
bestätigte, was der VSOP bereits Jahre zuvor beklagte: Es gibt auf kommunaler Ebene<br />
keine einheitliche Systematik zur Erfassung der Komplexität des Phänomens Armut.<br />
Folglich sind vorhandene Armutsberichte methodisch uneinheitlich <strong>und</strong> nur schwer<br />
miteinander vergleichbar (Wahl 2001: 25 ff.). Gleiches gilt auch für die<br />
Sozialberichterstattung, die wenig standardisiert ist <strong>und</strong> eher einem „Experimentierfeld“<br />
(Bartelheimer 2001: 44 f.) gleicht.<br />
Diese Tatsache legt den Schluss nahe, dass Standardisierung in der<br />
Sozialberichterstattung im Prinzip gewünscht wird. Das wird sie auch, auf der anderen<br />
Seite wird sie aber auch gefürchtet:<br />
„Wir sind natürlich nicht der Meinung, dass eine Sozialberichterstattung aus einem Guss,<br />
sozusagen von oben nach unten, integriert im Sinne von bereichsübergreifend <strong>und</strong> vielleicht<br />
gar noch – auf der Gr<strong>und</strong>lage einer idealtypischen Primärerhebung – zentralistisch bezüglich<br />
der föderalen Trägerebene machbar <strong>und</strong> dem gegenwärtigen, dem machbaren System<br />
überlegen wäre“ (Kistler/ Sing 2001: 151).<br />
Man fragt sich, warum Kistler/ Sing nicht der Meinung sind <strong>und</strong> ihre Antwort lautet:<br />
„Das geht nicht <strong>und</strong> das könnte sich allenfalls auf Überblicksfunktionen <strong>und</strong> die Vermittlung<br />
wichtigster Topoi an bestimmte Adressatengruppen beschränken“ (Kistler/ Sing 2001: 151).<br />
„Wir glauben nicht ..., dass Sozialberichterstattung als Gemälde in einem großen Wurf<br />
gezeichnet werden kann. Ein Mosaik erscheint sinnvoller <strong>und</strong> machbarer zu sein“ (Kistler/<br />
Sing 2001: 153). „Es darf aber – gerade <strong>und</strong> wenn es um die durchgängigen Aspekte wie die<br />
Verteilungsproblematik geht – nicht so sehr Patchwork oder Collage bleiben wie gegenwärtig<br />
... sondern es ist stärker auf Verzahnungen <strong>und</strong> „Andockmöglichkeiten“ ... zu achten“<br />
(Kistler/ Sing 2001: 153).
4. Problemaufriss 11<br />
Standardisierung wird also nur dann für sinnvoll erachtet, wenn sie ihren Mosaikcharakter<br />
behält <strong>und</strong> erweiterungsfähige Ergänzungsmodule zulässt. Befürwortet wird sie<br />
außerdem nur dann, wenn dadurch der partizipative Charakter von Sozialplanung erhalten<br />
bleibt (Ortmann 1976a: 28).<br />
„Standards müssen in der Sozialberichterstattung selbst erarbeitet <strong>und</strong> vermittelt,<br />
nicht jedoch vorgegeben werden. Die Reichweite <strong>und</strong> der methodische Ansatz ist teil<br />
des Vermittlungs-, Aushandlungs- <strong>und</strong> Forschungsprozesses“ (Chassé 1998: 138).<br />
Neben aller Standardisierungskritik zeichnet sich gleichzeitig ein erheblicher Wunsch<br />
nach Standardisierung in der Sozialplanungslandschaft ab. Erkennbar wird dies, weil<br />
sich unterschiedliche AkteurInnen aus unterschiedlichen Motiven unabhängig voneinander<br />
um Standardisierung bemühen:<br />
1. Der VSOP erarbeitet seit 2002 ein Praxishandbuch integrierter Sozialberichterstattung<br />
(PHIS), mit dem Ziel, die bisherigen Planungshilfen 1 für Sozialberichterstattung<br />
zu aktualisieren <strong>und</strong> zu vereinfachen. Es richtet sich an SozialplanerInnen in der<br />
Praxis. Der Begriff „integrativ“ steht hierbei für interdisziplinär, intersektoral <strong>und</strong> Verwaltungseinheiten<br />
übergreifend (Cremer/ Richter 2003). Während sich der Fokus<br />
unseres Projektes darauf richtet, die Potentiale <strong>und</strong> Leerstellen kommunaler Datenquellen<br />
aufzuzeigen <strong>und</strong> einen Berichtsansatz zu entwickeln, der auf unterschiedliche<br />
Kommunentypen abgestimmt wird, will das VSOP-Praxishandbuch primär<br />
Handlungsanweisungen in Form von Praxisbeispielen geben.<br />
2. Die Hessische Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt (HEGISS) entwickelt seit dem<br />
Herbst 2002 ein einheitliches Instrument zur Sozialraumbeobachtung <strong>und</strong> Sozialberichterstattung.<br />
Ein fortschreibungsfähiges Indikatorentableau zur Evaluierung der<br />
Standorte des Programms Soziale Stadt soll die <strong>Entwicklung</strong>sverläufe <strong>und</strong> Wirksamkeit<br />
des Programms nachzeichnen. Um hinsichtlich der Evaluierung methodische<br />
Vergleichbarkeit zu erlangen, kann die Gemeinschaftsinitiative ganz offensichtlich<br />
nicht auf lokale Berichtsstandards zurückgreifen (HEGISS-Protokoll, unveröffentlichtes<br />
Manuskript vom 13.11.2002).<br />
3. Angestoßen durch die kommunale Armutsberichterstattung für die Stadt Gießen <strong>und</strong><br />
den vom B<strong>und</strong>esministerium für Bildung <strong>und</strong> Forschung sowie dem Deutschen In-<br />
1 Planungshilfen sind: DV 1986; Schmid-Urban et al. 1992; VSOP 1994; Otto/ Karsten 1990; Johrendt/<br />
Schneider 1992; Koch 1994; diverse Aufsätze (z.B. Hauser 1997, Hänschke 2002, Lutz 2003 etc.).
4. Problemaufriss 12<br />
stitut für Urbanistik ausgerufenen Ideenwettbewerb Stadt 2030 haben die beiden<br />
Städte Wetzlar <strong>und</strong> Gießen im Frühjahr 2003 einen b<strong>und</strong>esweit einmaligen Kooperationsvertrag<br />
geschlossen, um ihr Berichtssystem auf eine einheitliche Gr<strong>und</strong>lage<br />
zu stellen, weil sich damit unter anderem folgende Vorteile verbinden:<br />
• Regionale <strong>Entwicklung</strong>sprobleme machen nicht vor den Stadtgrenzen halt,<br />
ebenso nicht die Erarbeitung von Lösungsansätzen. Insofern sind Berichtsstandards<br />
auch im regionalen Kontext sinnvoll, um Probleme auch überregional abbildbar<br />
<strong>und</strong> Verläufe durch Minimalstandards auch im Vergleich beurteilen zu<br />
können.<br />
• Die Erstellung von gemeinsamen Konzepten <strong>und</strong> Indikatorentableaus sowie<br />
Datenrecherchen bewirkt Kostenreduktion durch unbürokratischen <strong>und</strong> kostengünstigen<br />
Informationsaustausch zwischen den Nachbarkommunen.<br />
• Neben finanzieller Entlastung ist auch eine Entlastung der Planungsfachkräfte zu<br />
erwarten, weil durch Zusammenführung der Berichtssysteme aufwendige Konzeptionierungen<br />
<strong>und</strong> Datenrecherchen wegfallen.<br />
• Die beteiligten Kommunen versprechen sich auch mehr intrakommunale Effizienz<br />
durch Fortschreibungsfähigkeit zur Beurteilung von <strong>Entwicklung</strong>sverläufen.<br />
Eine theoretisch f<strong>und</strong>ierte, aussagefähige <strong>und</strong> an der Datenverfügbarkeit orientierte<br />
Berichtssystematik überdauert auch personelle Wechsel innerhalb der Sozialplanung<br />
oder der Politik.<br />
• Darüber hinaus kann diese Art der Kooperation auch Einfluß nehmen auf die<br />
Berichtsansätze der Länder- <strong>und</strong> B<strong>und</strong>esebene (Meier/ Löser 2004: 4 ff.).<br />
Dabei ist stets darauf zu achten, dass technologische Planungsansätze 2 <strong>und</strong> Zielvorgaben,<br />
z.B. auf der Ebene der Sozialindikatoren, partizipative <strong>Entwicklung</strong>en in der Sozialplanung<br />
nicht verhindern, sondern im Gegenteil die Einbeziehung der PlanungsadressatInnen<br />
gewährleistet wird (Ortmann 1976a: 28). Die Ansprüche zwischen interkommunaler<br />
Vergleichbarkeit einerseits <strong>und</strong> intrakommunaler Vergleichbarkeit im Zeitverlauf<br />
können zu Zielkonflikten führen. Im Zweifelsfall ist in der Übergangszeit ein zweigleisiges<br />
Verfahren erforderlich, um jeweilige Berichtstraditionen – sofern vorhanden –<br />
nicht zu durchbrechen, damit <strong>Entwicklung</strong>sverläufe weiterhin beobachtbar bleiben.<br />
2 Hierunter versteht Ortmann, dass SozialplanerInnen aus der Perspektive ihres ExpertInnenwissens<br />
Ziele vorgeben, während die letztendlich Planungsbetroffenen lediglich als „Objekte der Planung <strong>eines</strong><br />
Sozialingenieurs fungieren“ (Ortmann 1976b: 100).
4. Problemaufriss 13<br />
Neben Standardisierungsbemühungen der Berichterstattung aus den Reihen der Praxis<br />
sind aktuell auch Wissenschaft <strong>und</strong> Politik bestrebt, die unterschiedlichsten<br />
Berichtssysteme, z.B. auch der amtlichen Statistik, umzugestalten <strong>und</strong> zu reformieren,<br />
um sie für die Praxis besser nutzbar zu machen (Kistler/ Sing 2001: 146).<br />
4.1.2. Datenquellen<br />
Das Problem der Operationalisierbarkeit theoretischer Konzeptionen zur Abbildung von<br />
„Armut, Exklusion oder Sozialem“ stellt sich auf kommunaler, nationaler wie europäischer<br />
Ebene. Selbst wenn Operationalisierungsbemühungen von Lebenslagen oder<br />
Exklusionsansätzen in der Theorie noch so weit gediehen sind, scheitern sie spätestens<br />
bei der empirischen Umsetzung aufgr<strong>und</strong> mangelnder Datenverfügbarkeit. Nichtsdestotrotz<br />
halten Ressourcen- <strong>und</strong> Lebenslagenkonzeptionen oder Wohlfahrts- <strong>und</strong> Lebensstandardansätze<br />
sowie mittlerweile auch Exklusionskonzepte ein mehr oder minder<br />
großes Set an Indikatoren bereit, auf die Berichterstattung – jedenfalls theoretisch –<br />
zurückgreifen könnte, wenn sie geeignete Datenquellen hätte. Die Notwendigkeit, sich<br />
in der kommunalen Berichterstattung i.d.R. auf Prozess- <strong>und</strong> Verwaltungsdaten stützen<br />
zu müssen, kann „selbst den abgehärtetsten Sozialberichterstatter an den Rand der<br />
Verzweiflung treiben“ (Kistler/ Sing 2001: 146).<br />
Während die nationalen Untersuchungen zur Armut entweder eigene repräsentative<br />
Untersuchungen durchführen (Caritas-Armutsstudie etc.) oder Daten amtlicher Statistiken<br />
(VGR, Gebäude- <strong>und</strong> Wohnungsstichprobe, EVS, Mikrozensus) bzw. nicht amtlicher<br />
Statistiken (SOEP) zu Gr<strong>und</strong>e legen können, ist die Datengr<strong>und</strong>lage für Kommunen<br />
meist begrenzt. Mangels Zugang <strong>und</strong> Regionalisierung o.g. Statistiken werden unterschiedlichste<br />
Datenzugänge gewählt, in der Regel Verwaltungsvollzugsdaten oder<br />
Geschäftsstatistiken (VSOP 1994: 4). Hierzu zählt an erster Stelle die Sozialhilfestatistik,<br />
an zweiter Stelle (zusätzlich) die Arbeitsmarktstatistik. Alles Weitere hat untergeordnete<br />
Bedeutung: Wohngeldempfängerdatei, Einkommens-, Jugendhilfe-, Ges<strong>und</strong>heits-,<br />
Bildungs- <strong>und</strong> Baustatistik werden nur selten ausgewertet (Mardorf 2001). Sofern diese<br />
Daten dennoch verwendet werden, handelt es sich jedoch um Prozessdaten, die<br />
• nicht originär für Zwecke der kommunalen Berichterstattung angelegt sind,<br />
• die Zusammenhänge der Lebenslagen untereinander nicht aufzeigen können,<br />
geschweige denn Ursachenanalysen ermöglichen,
4. Problemaufriss 14<br />
• auf der Indikatorenebene i.d.R. nicht kompatibel sind <strong>und</strong><br />
• fast nie auf Zeitreihen- oder Verlaufsanalysen beruhen, um <strong>Entwicklung</strong>en aufzeigen<br />
bzw. Trends <strong>und</strong> Prognosen ableiten zu können.<br />
Von Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis wird aus diesem Gr<strong>und</strong> „Anschlussfähigkeit“ von<br />
Berichterstattungssystemen gefordert, die durch „das Nichterheben von wichtigen<br />
Kategorien (wie das Haushaltsnettoeinkommen) unnötig erschwert [werden] bzw.<br />
wünschenswerte sek<strong>und</strong>äranalytische Vergleiche der Ergebnisse wegen unnötiger<br />
Abweichungen von den Standarddemographien“ schwierig bzw. unmöglich machen<br />
(Kistler/ Sing 2001: 156). „Prekäre soziale Lagen sind die Folge langer <strong>und</strong><br />
multikausaler Wirkungsketten – darum sind Brücken <strong>und</strong> Anschlussstellen so wichtig“<br />
(Kistler/Sing 2001: 156). Selten, aber zunehmend häufiger, werden aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
eigene Erhebungen 3 durchgeführt, die jedoch in Ermangelung finanziellen <strong>und</strong><br />
personellen Spielraums i.d.R. weder konzeptionell noch methodisch auf andere<br />
Kommunen übertragbar sind.<br />
Die kommunale Datenverfügbarkeit betreffend kann man, basierend auf unseren<br />
Erfahrungen mit der kommunalen Datensituation im Zuge der Armutsberichterstattung<br />
für die Stadt Gießen, folgende fünf Datenkategorien unterscheiden (Mardorf 2002):<br />
1. Nicht vorhandene Daten: Beispiel: kommunale Bildungs- oder<br />
Schulabgängerstatistiken;<br />
2. Vorhandene, aber „ungehobene“ Daten: Beispiel: ges<strong>und</strong>heitsbezogene Daten<br />
des Ges<strong>und</strong>heitsamtes, die von Berichterstattungsteams daher „zu Fuß“<br />
ausgerechnet bzw. lieber gar nicht verwendet werden;<br />
3. Vorliegende, aber inkompatible Daten: Hier kann zwischen sozialräumlicher <strong>und</strong><br />
methodischer Inkompatibilität unterschieden werden. Sozialräumliche<br />
Inkompatibilität meint die Uneinheitlichkeit räumlicher Bezirke. In Gießen gibt es<br />
Schulbezirke, Wahlbezirke, statistische Bezirke, Bezirke der B<strong>und</strong>esagentur für<br />
Arbeit. Kein Bezirk deckt sich räumlich mit einem anderen. Methodische<br />
Inkompatibilität meint, dass keine einheitliche Verwendung von Altersklassen,<br />
Merkmalen zur „Stellung im Beruf“ etc. z.B. innerhalb der drei Gießener<br />
Schuldnerberatungsstellen stattfindet;<br />
3 Z.B. Familien- <strong>und</strong> Sozialbericht der Stadt Gütersloh unter besonderer Berücksichtigung der Verbreitung<br />
von Armut (1998), Lebenslagenreport Leipzig 1999.
4. Problemaufriss 15<br />
4. Vorhandene, aber nur bedingt brauchbare Daten: Beispiel: Kommunale<br />
Informationsverarbeitung in Hessen 4 (KIV) oder Erwerbslosigkeitsstatistiken der<br />
Agenturen für Arbeit, die nur im Zuge kostenpflichtiger Sonderauswertungen<br />
verfügbar <strong>und</strong> in vielerlei Hinsicht nur bedingt aussagekräftig sind;<br />
5. Aktuelle, gut gegliederte, sozialräumlich auswertbare <strong>und</strong> mehrere<br />
Lebenslagen berücksichtigende Daten, die außerdem <strong>haushalts</strong>bezogene<br />
Rückschlüsse zulassen (Bsp. Wohngeldstatistik).<br />
Man kann davon ausgehen, dass die Datenverfügbarkeit vieler Kommunen in<br />
Deutschland mit der Gießener Situation vergleichbar ist. Wir werden dies in der<br />
empirischen Analyse kommunaler Berichte nochmals explizit in den Blick nehmen.<br />
Insgesamt sehen wir erhebliche Möglichkeiten, Datenpotentiale besser auszuschöpfen<br />
bzw. im Rahmen gesetzlicher <strong>und</strong> datenschutzrechtlicher Grenzen kompatibler,<br />
<strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong>orientierter zu gestalten.<br />
4.2. Stellenwert der Sozialberichterstattung innerhalb des Sozialplanungsprozesses<br />
4.2.1. Ziele, Aufgaben, Stellenwert <strong>und</strong> Reichweite<br />
Sozialberichterstattung erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen <strong>und</strong> kann sich im<br />
supranationalen, nationalen, regionalen oder kommunalen Kontext bewegen (Noll 1997:<br />
9). Kommunale Berichte <strong>und</strong> Landes- bzw. nationale Berichte sind weder auf der<br />
konzeptionell-methodischen Ebene noch hinsichtlich der Zielsetzung oder der<br />
Datenverfügbarkeit vergleichbar (Markert/ Wieseler 2001: 1593). Während nationale<br />
Sozialberichterstattung das Ziel verfolgt, die gesamte Nation hinsichtlich des sozialen<br />
<strong>und</strong> familialen Wandels einer Dauerbeobachtung zu unterziehen bzw. die <strong>Entwicklung</strong><br />
nationaler Wohlfahrt zu verfolgen, bezieht sich kommunale Sozialberichterstattung stets<br />
auf die soziale Infrastrukturplanung vor Ort (Lutz 2003: 11). Folglich wird der Begriff der<br />
Sozialplanung fast ausschließlich auf kommunaler Ebene angewandt (Markert/ Wieseler<br />
2001: 1593). Planung allgemein bedeutet „Nachdenken über zukünftiges Handeln <strong>und</strong><br />
4 Die KIV ist die einzige kommunale Datenquelle zur Ermittlung von Familienstrukturen (allein<br />
Erziehende, Kinderanzahl etc.). Weil das familiäre Zuordnungsprinzip im lohnsteuerrechtlichen Sinne<br />
erfolgt, kann allerdings nicht zwischen allein Erziehenden <strong>und</strong> nicht ehelichen Lebensgemeinschaften<br />
unterschieden werden, was angesichts der hohen Relevanz für Armutsrisiken die Brauchbarkeit der<br />
Ergebnisse einschränkt.
4. Problemaufriss 16<br />
seine möglichen Folgen“ bzw. den „Versuch, den Mitteleinsatz auf ein gegebenes Ziel<br />
hin zu optimieren“ (DV 1986: 87).<br />
Zielsetzung, Aufgaben <strong>und</strong> Selbstverständnis von Sozialplanung werden nach wie vor<br />
gerne aus dem bereits 1986 vom Deutschen Verein für öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge<br />
herausgegebene Handbuch der örtlichen Sozialplanung zitiert (vgl. Feuerbach 2003: 9;<br />
Merchel 2002: 615; Markert/ Wieseler 2001). Dort werden folgende Ziele <strong>und</strong><br />
Hauptfelder der kontinuierlich <strong>und</strong> prozesshaft zu gestaltenden kommunalen<br />
Sozialplanung aufgeführt:<br />
• Soziale Infrastrukturplanung, d.h. Planung von Diensten <strong>und</strong> Einrichtungen im<br />
sozialen Bereich;<br />
• Sozialplanung als ein Instrument kommunaler Sozialpolitik mit dem Ziel der<br />
Verhinderung (präventiver Zugang) bzw. Beseitigung (reaktiver Zugang) von<br />
Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen;<br />
• Sozialplanung als Querschnittspolitik im Rahmen sozialer Kommunalpolitik sowie<br />
aktiver Gesellschaftspolitik mit dem Ziel der positiven Gestaltung aktuellen <strong>und</strong><br />
zukünftigen Zusammenlebens in der Kommune, der Vermeidung potentieller<br />
Nachteile <strong>und</strong> der <strong>Entwicklung</strong> von Lebensräumen (DV 1986: 19 f.).<br />
Im kommunalen Bereich wird die soziale Infrastrukturplanung häufig mit Sozialplanung<br />
gleichgesetzt, fällt doch die Planung sozialer Dienste <strong>und</strong> Einrichtungen überwiegend in<br />
den lokalen Zuständigkeitsbereich (Merchel 2002: 618). Als erste Aufgabe von<br />
Sozialplanung nennt das Handbuch des Deutschen Vereins die systematische Analyse<br />
der „Lebensräume <strong>und</strong> Lebensverhältnisse von Einzelnen <strong>und</strong> Gruppen“ sowie das<br />
Aufzeigen aktueller <strong>und</strong> potentieller Mängellagen <strong>und</strong> Vorschläge zu deren<br />
Verhinderung <strong>und</strong> Beseitigung. Sie sind eine der Gr<strong>und</strong>lagen für sozialpolitische<br />
Prioritätensetzung <strong>und</strong> Initiierung örtlicher Planungsmaßnahmen (DV 1986: 20).<br />
Aus der Perspektive der Sozialplanung bleibt differenziertes Wissen über Lebenslagen<br />
von Haushalten so lange bedeutungslos, wie unklar bleibt, welche Konsequenzen für<br />
das kommunale Handeln von AkteurInnen sich daraus ergeben könnte (Merchel 2002:<br />
625). Das führt zur Frage, welchen Stellenwert bzw. welche Reichweite Sozialberichterstattung<br />
innerhalb des Planungsprozesses hat. Die Frage, ob die konkrete Maßnahmeempfehlung<br />
Bestand des Berichts ist, ist aus sozialplanerischer Sicht höchst strittig.
4. Problemaufriss 17<br />
Aus der Perspektive der Wissenschaft hat Berichterstattung zunächst politisch distanziert<br />
zu bleiben <strong>und</strong> primär Zusammenhänge aufzuzeigen sowie Erklärungsversuche zu<br />
liefern (Barlösius/ Köhler 1999). Sozialplanung will jedoch im Unterschied zur ausschließlich<br />
erklärenden, Gesetzmäßigkeiten <strong>und</strong> Zusammenhänge aufzeigenden Wissenschaft<br />
auch Mängellagen aufzeigen <strong>und</strong> Verbesserungsvorschläge diskutieren, planen<br />
<strong>und</strong> möglichst auch umsetzen (DV 1986: 20).<br />
Markert/ Wieseler (2001) unterscheiden die folgenden vier sozialplanerischen Phasen:<br />
1. kontinuierliche Sozialberichterstattung,<br />
2. Bestandsbewertung <strong>und</strong> Bedarfsermittlung,<br />
3. Maßnahmedefinition <strong>und</strong> Prioritätenfestlegung,<br />
4. Umsetzung <strong>und</strong> Evaluation konkreter Maßnahmen sowie Fortschreibung des Sozialplans.<br />
Diese Auflistung läßt vermuten, dass die konkrete Bestandsbewertung <strong>und</strong> Bedarfsermittlung<br />
von sozialer Infrastruktur nicht mehr Bestandteil des Berichts sei. Allerdings<br />
wird unter den Aufgaben der Sozialberichterstattung Folgendes aufgeführt:<br />
• ein indikatorengestütztes Monitoringsystem zur Analyse der Bevölkerungs- <strong>und</strong><br />
Sozialstruktur innerhalb des jeweiligen Planungsgebiets,<br />
• die Analyse bestehender Hilfesysteme <strong>und</strong> der lokalen sozialen Infrastruktur sowie<br />
• die Evaluation institutioneller Handlungsstrukturen.<br />
Sowohl quantitative Daten als auch subjektive Einschätzungen beteiligter Personen<br />
sollen hierbei systematisch berücksichtigt werden (Markert/ Wieseler 2001: 1595).<br />
Merchel (2002: 623) hingegen unterscheidet die Phasen Bestands- oder Ist-Analyse,<br />
Bedarfsermittlung <strong>und</strong> Maßnahmeplanung. Auch hier stellt sich die Frage: Reicht der<br />
Sozialbericht nur bis zur Ist-Analyse oder umfasst er auch die Bedarfsermittlung? Merchel:<br />
„[Mit Hilfe der Ist-Analyse soll] das komplexe Planungsfeld strukturiert <strong>und</strong> für das<br />
konkrete Planungshandeln zugänglich gemacht werden“ (Merchel 2002: 624). Das bedeutet<br />
zwar, dass die Analyse – hier verstanden als Sozialbericht – vor der konkreten<br />
Maßnahmeplanung endet, beantwortet aber nicht, ob die Bedarfsermittlung noch Berichtsgegenstand<br />
sein soll oder nicht.<br />
Klatt (1997: 153) bringt den Stellenwert des Sozialberichts innerhalb des Planungsprozesses<br />
mit der Formel: „Empirie plus Sozialberichterstattung gleich Sozialplanung“ auf
4. Problemaufriss 18<br />
den Punkt. Damit betont Klatt die Notwendigkeit einer empirisch gesicherten Gr<strong>und</strong>lage,<br />
um gesellschaftliche <strong>und</strong> soziale Fehlentwicklungen aufzuzeigen.<br />
Chassé wiederum schreibt: „Die gr<strong>und</strong>sätzliche Entkoppelung von Situationsanalyse<br />
<strong>und</strong> Situationsbewertung ist Bedingung rationalen Diskurses. Dies bedeutet, daß Sozialberichterstattung<br />
nicht in Planungsprozesse strukturell verwoben sein darf, auch wenn<br />
sie sie anregen kann, <strong>und</strong> daß es keine Finalisierung von Sozialberichterstattung geben<br />
darf“ (Chassé 1998: 141). Hervor hebt Chassé allerdings auch, dass kommunale<br />
Handlungsspielräume ebenfalls Gegenstand der Berichterstattung sein sollten (Chassé<br />
1998: 140).<br />
Als „handlungsentlasteter Partner der kommunalen Sozialplanung“ begreift auch Bartelheimer<br />
(2001: 117) die Sozialberichterstattung. Denn die „Phase der Sozialberichterstattung“<br />
soll „eine vorbehaltlose sozialpolitische Bewertung der sozialstrukturellen <strong>und</strong><br />
sozialökologischen <strong>Entwicklung</strong>en in der Kommune zunächst ohne die später notwendigen<br />
konkreten Ressourcenentscheidungen <strong>und</strong> Maßnahmenprogrammierungen“ vornehmen<br />
(Brülle 1998: 96 ff. zitiert nach Bartelheimer 2001: 117).<br />
Während über den Stellenwert des Sozialberichts innerhalb von Planung Einigkeit besteht<br />
(Am Anfang war der Sozialbericht ...), gilt dies nicht für seine Reichweite. Teilt<br />
man Sozialplanung verkürzt in die drei Phasen Ist-Analyse – Bedarfsermittlung – Maßnahmeplanung<br />
ein, so nimmt der Sozialbericht eine Vermittlerposition zwischen Problemerkennung<br />
<strong>und</strong> Leistungsgestaltung ein. Seine Aufgabe endet jedoch vor der eigentlichen<br />
Phase der Maßnahmedefinition, Prioritätensetzung <strong>und</strong> Planungsumsetzung.<br />
Letzteres kann nicht ohne Beteiligung einer Vielzahl kommunaler AkteurInnen geschehen.<br />
Ausgehend von einer normativen Definition dessen, was Sozialplanung im gesellschaftlichen<br />
Kontext eigentlich erreichen will – nämlich soziale Infrastruktur für benachteiligte<br />
Haushalte planen – beinhaltet der Idealtypus <strong>eines</strong> Sozialberichts über die bloße<br />
Erfassung der Ist-Situation hinaus auch die Erfassung der (Bedürfnisse <strong>und</strong>) Bedarfe<br />
der PlanungsadressatInnen.<br />
Im Fokus zur Konzeptionierung von Sozialberichterstattung steht in diesem Projekt die<br />
eigentliche Ist- bzw. Verlaufsanalyse. Konzepte <strong>und</strong> Methoden der Bedarfsermittlung<br />
<strong>und</strong> Bestandsbewertung erfordern nicht nur erweiterte theoretische <strong>und</strong> methodische
4. Problemaufriss 19<br />
Zugänge, sondern auch eine andere Vorgehensweise (beispielsweise den bedürfnisorientierten<br />
Ansatz nach Ortmann 5 ) <strong>und</strong> werden in diesem Projekt ausgeklammert.<br />
Festzuhalten bleibt: Innerhalb des Sozialplanungsprozesses fungieren Sozialberichte<br />
als<br />
• Vermittlerinstrumente zwischen Problemerkennung <strong>und</strong> Leistungsgestaltung,<br />
• Beitrag zur Effektivierung <strong>und</strong> Versachlichung der fach- <strong>und</strong> sozialpolitischen<br />
Diskussion,<br />
• ein Instrument der Fach- <strong>und</strong> Politikfeldberatung,<br />
• Ämter- <strong>und</strong> Politikfeld übergreifende, interdisziplinäre Querschnittsaufgabe,<br />
• Entscheidungsvorbereitung im Rahmen sozialplanerischer Prioritätensetzung,<br />
• Entscheidungsvorbereitung im Rahmen fiskalpolitischer Prioritätensetzung<br />
(beispielsweise Aufnahme <strong>eines</strong> Stadtteils in das Programm „Soziale Stadt“,<br />
Aufklärungsinstrument der gesamten, interessierten Öffentlichkeit,<br />
• Gr<strong>und</strong>lage für Steuerungsinstrumente.<br />
(Lutz 2003, Kurth 2003, Markert/ Wieseler 2001).<br />
Wesentlich ist, dass der Beginn aller Planung die Analyse vor Ort bestehender<br />
Lebensverhältnisse ist (DV 1986: 20).<br />
4.2.2. Typisierungen <strong>und</strong> Abgrenzungsversuche von Berichterstattungssystemen<br />
Nolls bereits oben erwähnte Typologie von Sozialberichterstattung differenziert nach<br />
verschiedenen räumlichen Ebenen, nach Berichtstypen <strong>und</strong> nach Akteuren, worunter er<br />
im Wesentlichen die Datenzugänge bzw. die jeweiligen Institutionen der Berichtserstel-<br />
5 Dieser Ansatz orientiert sich primär an den Bedürfnissen der (sozial benachteiligten)<br />
PlanungsadressatInnen mit dem Ziel, daraus Planungsziele abzuleiten, die die soziale Infrastruktur<br />
sicherstellen <strong>und</strong> zur Verbesserung der Lebenslage beitragen. Die Angemessenheit des sozialen<br />
Infrastrukturangebots kann folglich nur unter Beteiligung der PlanungsadressatInnen beurteilt werden.<br />
Methodisch lässt sich Beteiligung jedoch nicht über Umfragen realisieren, bei denen konkret abgefragte<br />
Bedürfnisse in Zielsetzungen umformuliert werden. Die Methoden empirischer Sozialforschung stoßen<br />
hierbei an ihre Grenzen, weil Befragte immer nur aus dem konkret-aktuellen Wissensstand heraus<br />
antworten <strong>und</strong> formulieren können <strong>und</strong> über Umfragemethode keine Chance haben, sich in einem<br />
längeren Lernprozess mit dem Planungsgegenstand sowie unterschiedlichen Handlungsalternativen<br />
vertraut zu machen. Darüber hinaus werden hierbei bereits Zielgrößen im Planungsablauf vorgegeben<br />
<strong>und</strong> quasi als unabänderlich angesehen. Ortmanns bedürfnisorientierter Ansatz setzt daher auf<br />
„diskursive“ Willensbildung, damit Planungsbetroffene zu einem Konsens ihrer Bedürfnisse gelangen, die<br />
kommunikativ geteilt werden (Ortmann 1976b: 146). Diesem Planungsverständnis nach hat bereits der<br />
Planungsprozess selbst einen gewissen Eigenwert, z.B. durch Selbstaufklärung, Willensbildung <strong>und</strong><br />
Selbstbestimmung der Planungsbetroffenen, der zum letztendlichen Planungsergebnis führt (Ortmann<br />
1976b: 152).
4. Problemaufriss 20<br />
lung versteht. Er unterscheidet umfassende <strong>und</strong> bereichsübergreifende Berichte, die<br />
verschiedene Lebensbereiche umfassen (von ihm als Sozialberichterstattung bezeichnet),<br />
von sogenannten speziellen Berichten. Innerhalb der speziellen Berichte differenziert<br />
er die Berichte nach solchen, die spezifische Sektoren von Lebensbedingungen<br />
untersuchen (z.B. Berufsbildungsbericht) <strong>und</strong> solchen mit besonderem Fokus auf bestimmte<br />
Personengruppen (Altenbericht oder Frauenreport) sowie Berichte, die sich mit<br />
speziellen sozialen Problemen befassen (Armut oder Arbeitslosigkeit) (Noll 1997: 10).<br />
Tab. X:<br />
Typologie Sozialberichterstattung<br />
Ebene Typ Akteure<br />
supranational<br />
Umfassend, bereichsübergreifend Amtlich:<br />
national<br />
Statistische Ämter<br />
regional, subnational Speziell:<br />
Ministerien<br />
lokal, kommunal<br />
Einzelne Lebensbereiche<br />
Teilpopulationen<br />
Nichtamtlich:<br />
Spezielle soziale Probleme (z.B. Armut, Wissenschaftliche Institute<br />
Arbeitslosigkeit)<br />
Verbände<br />
Quelle: Noll 1997: 9<br />
Eine weitere, nicht primär nach Berichtstypen, sondern nach konzeptionellen<br />
Planungszugängen differenzierende Systematik stammt von Merchel (2002: 623):<br />
• Bereichsorientierte Ansätze nehmen hiernach die jeweiligen Arbeits- <strong>und</strong><br />
Aufgabenfelder als Ausgangspunkt für die Bestandsanalyse.<br />
• Sozialräumliche Zugänge orientieren sich an den Spezifika des „Sozialraums“ bzw.<br />
des „Planungsfeldes“, um von dieser Richtung her Hinweise für die<br />
Infrastrukturgestaltung zu erhalten.<br />
• Orientiert sich die Bedarfsermittlung an bestimmten Zielgruppen (z.B. Kindern oder<br />
Menschen mit Behinderungen), spricht Merchel von zielgruppenorientiertem<br />
Vorgehen.<br />
• Zielorientierte Ansätze formulieren übergeordnete Ziele <strong>und</strong> daraus konkret<br />
abgeleitete Kategorien als Ausgangspunkt der Infrastrukturplanung.<br />
Otto/ Karsten (1990: 45) haben den Einfluss des Entstehungszusammenhangs auf den<br />
Charakter des Berichts untersucht. Unterschieden werden formale Anlässe (z.B.
4. Problemaufriss 21<br />
gesetzlicher Auftrag) <strong>und</strong> inhaltlich-sachliche Anlässe (z.B. aktueller, sozialpolitischer<br />
Problemdruck). Ähnlich geht Klatt (1997) vor <strong>und</strong> unterscheidet ausgehend vom<br />
Entstehungszusammenhang der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte vier unterschiedliche<br />
Berichtstypen, nämlich Typ 1 „Bilanz <strong>und</strong> Rechenschaft“, Typ 2 „Legitimation <strong>und</strong><br />
Öffentlichkeit“, Typ 3 „Information <strong>und</strong> Planung“ sowie Typ 4 „Analyse <strong>und</strong> Alternativen“.<br />
Unklar ist, auf welche Berichte er Bezug genommen hat <strong>und</strong> nach welchen Kriterien er<br />
die Typenabgrenzung vorgenommen hat. Ferner unterscheidet Klatt drei<br />
Hauptausrichtungen in der Sozialberichterstattung:<br />
1. datengestützte, emprisch-analytisch ausgerichtete Sozial- <strong>und</strong> Armutsberichterstattung,<br />
2. Qualitative Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung als einzelfallgestützte Untersuchung<br />
von Lebenskontexten,<br />
3. Zielorientierte Analysen zur Untersuchung von Ursachen- <strong>und</strong> Wirkungszusammenhängen<br />
im Rahmen der Sozialpolitik (Kurth 2003).<br />
Konkret bezogen auf die Frage der Abbildung der Lebenslage Ges<strong>und</strong>heit, hat Cremer<br />
(2001) 62 kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte verglichen <strong>und</strong> typisiert, die zwischen<br />
1985 <strong>und</strong> 1997 entstanden sind. Vergleichskriterien für die Typisierung der Berichte<br />
sind die zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Konzeptionen, die verwendeten Datenquellen <strong>und</strong> Variablen,<br />
die räumliche Bezugseinheit <strong>und</strong> die methodische Vorgehensweise. Cremer unterscheidet<br />
auf dieser Basis 7 Berichtstypen, nämlich: Sozialstrukturberichte, integrierte<br />
Sozialberichte, Sozialhilfeberichte, Armutsberichte, Zielgruppenberichte, Sozialraumanalysen,<br />
Leistungsberichte <strong>und</strong> sonstige, nicht zuzuordnende Berichte.<br />
Unklar bleibt, welche Abgrenzungskriterien jeweils zentral für die Typenbildung sind<br />
bzw. ob sie einer Gewichtung unterliegen. Armutsberichte beispielsweise werden diesem<br />
Typ zusortiert, weil sie „explizit Armutskonzepte verfolgen <strong>und</strong> mal mehr, mal weniger<br />
ausgeprägt Sozialhilfe als einen Armutsindikator betrachten“ (Cremer 2001: 205).<br />
Im Unterschied dazu ist der Typ „integrierter Sozialbericht“ ein solcher, der die Konzeptionen<br />
„integrativer Sozialplanungsansatz, Bedürfnisgruppenansatz, Konzept der materiellen<br />
<strong>und</strong> immateriellen Bedürftigkeit, aber auch Konzeptionen aus der Armutsforschung“<br />
(Cremer 2001: 205) beinhaltet. Hauptdatenquelle der Sozialberichte, ebenso<br />
wie der Sozialhilfeberichte, der Armutsberichte <strong>und</strong> der Sozialraumanalysen <strong>und</strong> Leistungsberichte<br />
ist Cremers Auswertung zufolge die Sozialhilfestatistik. Einzig die Sozial-
4. Problemaufriss 22<br />
strukturberichte ziehen als Primärdatenquelle die Bevölkerungsstatistik heran, die im<br />
Unterschied zu Sozialberichten mehr die „mittleren Lagen der Gesellschaft analysieren“<br />
(Cremer 2001: 206).<br />
Offen bleibt auch, ob Cremer die verschiedenen Berichtsbezeichnungen als Ergebnis<br />
wohldurchdachter Konzepte angenommen hat oder die jeweiligen zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />
theoretischen Konzeptionen als in die Praxis umgesetzt hinterfragt hat. In Anbetracht<br />
der Vielfältigkeit vorgef<strong>und</strong>ener Konzeptionen einerseits (Lebenslagenansatz, Teilhabearmut,<br />
subjektive Deprivation, Individualisierungsansatz, verdeckte Armut oder dynamische<br />
Armut) <strong>und</strong> der Datenquellen andererseits (in 54 von 62 Fällen ist es die Sozialhilfestatistik,<br />
sehr vereinzelt Arbeitslosenstatistik oder Wohngeldstatistik) sind leise<br />
Zweifel angemessen. Eine Überprüfung der empirischen Umsetzung bzw. Umsetzbarkeit<br />
selbstgesetzter Ziele <strong>und</strong> Konzeptionen hätte eventuelle Lücken zweifellos deutlich<br />
machen können.<br />
Die aufgeführten Systematiken <strong>und</strong> Typisierungen verharren immer dann im Theoretischen,<br />
wenn nicht berücksichtigt wird, dass<br />
1. in praxi die Planungszugänge i.d.R. miteinander kombiniert werden, wobei allerdings<br />
häufig ein bestimmter methodischer Zugang dominiert (Merchel 2002: 623) <strong>und</strong><br />
2. die Titulierung von Armuts- oder Sozialberichten (bzw. Lebenslagenreport, Sozialatlas<br />
oder Bericht zur sozialen Lage/Situation) i.d.R. weniger inhaltlich begründet ist,<br />
sondern vielmehr Ausdruck von Zufall oder (politischer) Willkür <strong>und</strong><br />
3. selbstgesetzte Konzeptionen <strong>und</strong> Zielsetzungen der Berichte solange theoretisch<br />
sind <strong>und</strong> bleiben, wie sie nicht praktisch umgesetzt werden. Genau das wird jedoch<br />
angesichts kommunaler Datenverfügbarkeit i.d.R. nicht umgesetzt werden können,<br />
bei aller Bemühung, den Berichten ein theoretisch untermauertes „Gewand“ zu geben.<br />
Dieser „Theorie-Praxis-Abgr<strong>und</strong>“ wird in der Regel – so lässt sich vermuten – von den<br />
Berichten selbst nicht aufgedeckt <strong>und</strong> bleibt unerkannt, sofern die Berichte nicht gezielt<br />
<strong>und</strong> schlüssig daraufhin durchleuchtet werden. Umgekehrt wird es angebracht sein,<br />
scheinbar konzeptionslose <strong>und</strong> theoriefreie Berichte daraufhin zu überprüfen, ob die<br />
Methode <strong>und</strong> Vorgehensweise, die ausgewählten Dimensionen <strong>und</strong> Indikatoren nicht<br />
dennoch aussagefähige Ergebnisse liefern.
4. Problemaufriss 23<br />
4.2.3. AdressatInnen<br />
Ihrem Selbstverständnis nach versteht sich Sozialberichterstattung als „Lobby für<br />
benachteiligte Bevölkerungsgruppen“ (DV 1986: 26). Während sich der Bericht selbst –<br />
d.h. die eigentliche Lektüre – i.e.S. an Verwaltung, Sozialplanung, soziale Arbeit <strong>und</strong><br />
Politik richtet (Lutz 2003: 4), handelt es sich bei den PlanungsadressatInnen um „alle<br />
Personen, die aktuell oder zukünftig Leistungen der Sozialplanung beanspruchen bzw.<br />
beanspruchen könnten“ (Feuerbach 2003: 274). Optimalerweise ist der Gegenstand der<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung demnach die Erfassung <strong>und</strong> Abbildung aktueller<br />
oder potentieller sozialer Benachteiligung vor Ort, um u.a. auf dieser Gr<strong>und</strong>lage aktuelle<br />
oder zukünftige Leistungen der Sozialplanung auf PlanungsadressatInnen<br />
abzustimmen. Es stellt sich die Frage, welche Formen sozialer Benachteiligung im<br />
Kontext von kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung zentral sind.<br />
Im Lexikon der Soziologie (Fuchs et al. 1988: 151) wird relative Benachteiligung mit<br />
relativer Deprivation gleichgesetzt <strong>und</strong> bezeichnet – im Gegensatz zu relativer<br />
Gratifikation – „für den von einem Individuum subjektiv empf<strong>und</strong>enen Grad der<br />
Deprivation (Versagung, Enttäuschung, Bestrafung), der sich nicht aus der objektiven<br />
Beschaffenheit der als nachteilig oder unangenehm empf<strong>und</strong>enen Umstände ergibt,<br />
sondern aus dem Grad, mit dem diese Umstände von den Erwartungen negativ<br />
abweichen, die das Individuum ... im Vergleich mit der Bezugsgruppe für angemessen<br />
hält.“ Diesem Verständnis nach lässt sich Benachteiligung ausschließlich subjektiv<br />
beurteilen oder messen <strong>und</strong> eignet sich zur Erfassung benachteiligter Haushalte im<br />
Kontext von Sozialberichterstattung nur bedingt.<br />
Befragt man das Standardwerk zur Sozialplanung – das Handbuch der örtlichen<br />
Sozialplanung –, scheinen die AutorInnen genau zu wissen, welche<br />
Bevölkerungsgruppen sozial benachteiligt sind, nämlich „alte Menschen, Jugendliche,<br />
Ausländer, allein erziehende Elternteile <strong>und</strong> kinderreiche Familien“ (DV 1986: 35). Zu<br />
den besonders sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen zählen laut Handbuch<br />
„Behinderte, Suchtkranke, Obdachlose, Nichtseßhafte, Ausländer u.a.m.“ (DV 1986:<br />
59), die in einem anderen Zusammenhang auch „Randgruppen“ genannt werden (DV<br />
1986: 1313).
4. Problemaufriss 24<br />
Der Begriff soziale Benachteiligung wird im gesamten Handbuch jedoch nicht einmal<br />
begrifflich definiert oder inhaltlich gefüllt. Indirekt wird auf Benachteiligung Bezug<br />
genommen, indem von einer „besonderen Verpflichtung den Personengruppen<br />
gegenüber“ gesprochen wird, „die ihre Probleme nicht ohne die öffentliche Hand lösen<br />
können“ (DV 1986: 32).<br />
Das Handbuch „Gr<strong>und</strong>riss soziale Arbeit“ (Thole 2002) liefert kein Stichwort zum<br />
Benachteiligungsbegriff. Fündiger wird man im Handbuch der Sozialarbeit <strong>und</strong><br />
Sozialpädagogik. Hier wird Bezug genommen auf eine allgemein anerkannte<br />
Klassifikation zur Beschreibung von Benachteiligung, nämlich „Handicap“ 6 . Dabei<br />
handelt es sich um „eine Störung der sozialen Stellung oder Rolle der betroffenen<br />
Person <strong>und</strong> ihrer Fähigkeit zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. ... Handicap ist<br />
Benachteiligung im körperlichen <strong>und</strong> psychosozialen Feld, in familiärer, beruflicher <strong>und</strong><br />
gesellschaftlicher Hinsicht bei der Ausübung alters- <strong>und</strong> geschlechtsspezifischer Rollen“<br />
(Metzler/ Wacker 2001: 120). Benachteiligung wird also hier umfassend verstanden <strong>und</strong><br />
aus verschiedenen Perspektiven in ihren Auswirkungen betrachtet.<br />
Benachteiligung wird ebenso häufig <strong>und</strong> originär gebraucht im Sinne von<br />
Bildungsbenachteiligung von Schulkindern. Darunter wird weniger mangelnde<br />
Begabung verstanden, als vielmehr Benachteiligung auf Gr<strong>und</strong> sozioökonomischer oder<br />
soziokultureller Bildungsbarrieren bzw. ungünstiger Milieu- <strong>und</strong><br />
Sozialisationsbedingungen, die zur Unterrepräsentanz „benachteiligter“ Kinder an<br />
bestimmten Bildungsabschlüssen führt (Tippelt 2001: 183; Klein 2001; Iben 1997). Die<br />
deutsche Diskussion um ungleiche Bil-dungschancen <strong>und</strong> Bildungsgerechtigkeit –<br />
zunächst während der 1960 Jahre <strong>und</strong> durch die PISA-Studie 2002 erneut in die<br />
öffentliche Diskussion geraten – stellt zunehmend das gesellschaftliche – statt zuvor<br />
individuelle – Benachteiligungsproblem in den Vordergr<strong>und</strong>. Benachteiligung wird nicht<br />
mehr als das Versagen einzelner Familien begriffen, sondern vielmehr als kollektive<br />
Benachteiligung verstanden, die durch Auf- <strong>und</strong> Abstieg Einzelner nicht aufgehoben<br />
werden kann. Insofern stellt Benachteiligung einen Widerspruch zum<br />
Gleichheitspostulat des Gr<strong>und</strong>gesetzes dar <strong>und</strong> ist in jeder freiheitlich-demokratischen<br />
Gr<strong>und</strong>ordnung zu bekämpfen bzw. zu vermeiden (Iben 1997; Geißler 2002: 360).<br />
6<br />
Disability (Einschränkung) <strong>und</strong> Impairment (Schädigung) sind die anderen beiden Dimensionen<br />
(Metzler/ Wacker: 120)
4. Problemaufriss 25<br />
Geschlechtsabhängige Benachteiligung wird beispielsweise im Zusammenhang mit der<br />
geschlechtsspezifischen Segmentierung des Ausbildungs- <strong>und</strong> Erwerbsarbeitsmarktes<br />
<strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen Karriere- <strong>und</strong> Einkommenschancen diskutiert (Tippelt<br />
2001: 188). Geschlecht ist hier das Merkmal, welches durch Zuschreibung der<br />
Kindererziehung an Frauen Benachteiligung im Erwerbsleben induziert.<br />
Soziale Benachteiligung ist jedoch nicht ausschließlich bezogen auf Merkmale wie<br />
sozioökonomischer Status, Geschlechts- oder Schichtzugehörigkeit.<br />
„Soziale Benachteiligung bezeichnet die verminderte Chance gesellschaftlicher Teilhabe. So<br />
kann beispielsweise eine verheiratete Frau mit Hochschulabschluss unter Umständen<br />
keinen Kindergartenplatz bekommen <strong>und</strong> ist so von der gesellschaftlichen Teilhabe an einer<br />
Erwerbsarbeit ausgeschlossen bzw. eingeschränkt. Benachteiligung ist damit unabhängig<br />
von Einkommen <strong>und</strong> Bildung“ (Feuerbach 2003: 17).<br />
Feuerbachs Definition ist insofern für Sozialplanung relevant, weil hier Benachteiligung<br />
auch als kommunal ausgelöst, bzw. durch kommunale Infrastruktur verstärkt oder auch<br />
abgeschwächt verstanden wird. Wesentlich scheint auch die indirekte Definition des<br />
Deutschen Vereins, wonach der öffentlichen Hand Benachteiligten gegenüber eine<br />
„besondere Verpflichtung“ zugesprochen wird. Eine theoretische Untermauerung dieser<br />
Argumentation lässt sich auch über den Armutsbegriff des Altvaters der Soziologie<br />
Georg Simmel herleiten. Er bezeichnete diejenigen als arm <strong>und</strong> folglich benachteiligt,<br />
die „Unterstützung genießen“ bzw. „genießen sollten“ (Simmel 1983: 371).<br />
Der Deutsche Verein unterscheidet vier Erfassungsebenen von sozialer<br />
Benachteiligung im Rahmen kommunaler Sozialberichterstattung, nicht jedoch die<br />
nächstliegende: den privaten Haushalt. Unterschieden werden:<br />
• die Gesellschaft als Ganzes,<br />
• alle sozial benachteiligten Gesellschaftsgruppen,<br />
• spezifische Zielgruppen (z.B. Jugendliche),<br />
• die Art der Hilfeleistung (z.B. Jugendarbeit) (DV 1986: 107).<br />
Um jedoch die Kumulation von Benachteiligung auch in all ihren Wechselwirkungen abbilden<br />
zu können, empfiehlt sich zuallererst die Erfassungsebene des privaten Haushalts,<br />
weil sie „die gr<strong>und</strong>legende Organisationsform der Menschen“ (Piorkowsky 1998:<br />
183) ist. Sowohl „für die Gestaltung des individuellen Lebensprozesses ... [als auch für]
4. Problemaufriss 26<br />
den Aufbau gesellschaftlicher Strukturen“ (1998: 183) insgesamt sind Privathaushalte<br />
die Abbildungsebene der Wahl.<br />
Soziale Benachteiligung wird letztlich über private Haushalte als gr<strong>und</strong>legende Versorgungsgemeinschaft<br />
der modernen Gesellschaft vermittelt. So werden beispielsweise<br />
ungleiche Chancen am Arbeitsmarkt erst über die Einbindung des Individuums in einen<br />
spezifischen haushälterischen Kontext in Armut umgesetzt (Meier 2000: 60). Auf ähnliche<br />
Weise spricht sich auch Thomas Klein für die Berücksichtigung des Haushaltszusammenhangs<br />
aus. Er konstatiert, dass für die individuellen Lebenschancen <strong>und</strong> deren<br />
Beeinträchtigung die Einbindung in einen bestimmten Lebenskontext mitentscheidend<br />
ist (Klein 1990: 228 f.).<br />
In Abgrenzung <strong>und</strong> im Unterschied zu Großhaushalten sind Privathaushalte nach von<br />
Schweitzer sozialökonomische Gebilde, in welchen sich „die autonome, persönliche<br />
Verantwortung des einzelnen für seine Lebensweise voll entfalten kann“ (von Schweitzer<br />
1991: 26) <strong>und</strong> stellen „kulturanthropologisch begründet eine ursprüngliche Notwendigkeit<br />
für eine sinnstiftende menschliche Daseinsvorsorge dar“ (von Schweitzer 1991:<br />
27).<br />
Unter benachteiligten Privathaushalten kann man all jene privaten Haushalte verstehen,<br />
die in besonderer Weise auf Unterstützungsangebote durch soziale Infrastruktur angewiesen<br />
sind, weil sie sozial ausgegrenzt sind, in Armut oder in prekären Lebenssituationen<br />
leben. Sozial- <strong>und</strong> Armutsberichterstattung hat also explizit sozial benachteiligte<br />
Privathaushalte abzubilden.<br />
In Abhängigkeit von Datenverfügbarkeit <strong>und</strong> zielgruppenspezifischer Infrastrukturplanung<br />
können aber auch Individuen (z.B. Alte) oder bestimmte nicht als private Haushalte<br />
erfassbare Gruppen (z.B. Kranke) die Erfassungseinheit der Wahl sein.<br />
4.3. Fazit<br />
Zusammenfassend kann man an dieser Stelle folgende Prämissen festhalten:<br />
• Der Sozialbericht nimmt eine Vermittlerposition zwischen Problemerkennung <strong>und</strong><br />
Leistungsgestaltung ein. Seine Aufgabe endet jedoch vor der eigentlichen Phase
4. Problemaufriss 27<br />
der Maßnahmedefinition, Prioritätensetzung <strong>und</strong> Planungsumsetzung. Letzteres<br />
kann nicht ohne Beteiligung einer Vielzahl kommunaler AkteurInnen geschehen.<br />
• Im Unterschied zu Nolls Typologie der Sozialberichterstattung gehen wir davon aus,<br />
dass ein Sozialbericht kein allumfassender Oberbegriff ist, sondern einen eigenen<br />
Berichtsgegenstand hat. Wesentlich ist, dass sich Sozialplanung zwar an die<br />
Gesamtbevölkerung richtet, der Gegenstand von Sozialberichterstattung jedoch<br />
dem sozialplanerischen Selbstverständnis zufolge „benachteiligte<br />
Bevölkerungsgruppen“ (DV 1986: 26) fokussiert <strong>und</strong> daher die Erfassung<br />
benachteiligter privater Haushalte im Zentrum von Sozialberichterstattung steht.<br />
• In der Praxis sind die Unterschiede zwischen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung<br />
fließend. Theoretische wie indikatorenbezogene Abgrenzungskriterien bleiben i.d.R.<br />
unscharf bzw. beliebig. Aus sozialplanerischer Perspektive spielen<br />
Abgrenzungskriterien eine untergeordnete Rolle, weil soziale Benachteiligung<br />
ohnehin im Mittelpunkt sozialplanerischen Interesses steht. Sozialberichterstattung<br />
hat also immer auch Armutsberichterstattung zu sein.<br />
• Die Erfassung der Quantität <strong>und</strong> der Qualität sozialer Infrastruktur zur<br />
Alltagsbewältigung privater Haushalte ist normalerweise nicht Gegenstand<br />
kommunaler Berichterstattung, wäre aber in diesem Rahmen durchaus denkbar <strong>und</strong><br />
wünschenswert. Qualitative Infrastrukturbewertung kann nicht ohne die fachliche<br />
Expertise der InfrastrukturnutzerInnen geschehen, also unter Beteiligung aktueller<br />
<strong>und</strong> potentieller PlanungsadressatInnen. Eine Methoden- <strong>und</strong> Konzeptentwicklung<br />
zur Analyse quantitativer <strong>und</strong> qualitativer Angemessenheit sozialer Infrastruktur ist<br />
nicht Bestandteil dieses Projektes.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 28<br />
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick<br />
5.1. Zielsetzung der empirischen Analyse<br />
Die empirische Analyse der kommunalen Sozialberichte 7 erfolgt in drei Schritten, für die<br />
unterschiedliche Zugänge gewählt werden: Die Titelanalyse zielt ab auf eine<br />
Typenzuordnung, die allein auf Basis der jeweiligen Berichtstitel erfolgt (siehe Kap.<br />
5.4.). Die Konzeptanalyse untersucht darüber hinaus Anspruch <strong>und</strong> Wirklichkeit der<br />
Konzeptionen, wobei speziell die Lebenslagenansätze in den Blick genommen werden<br />
(siehe Kap. 5.4.). Die Kreativitätsanalyse schließlich nimmt am meisten Raum ein <strong>und</strong><br />
greift exemplarisch solche Berichte heraus, die – unabhängig von ihren jeweiligen<br />
Konzeptionen – punktuell einen kreativen Umgang mit Datenlücken oder der<br />
Umsetzung von Konzepten unter Beweis stellen (siehe Kap. 8.). Kreativität allgemein<br />
bedeutet ungewöhnliches, aber sinnvolles Tun (Goleman et al. 1999: 26) <strong>und</strong> meint<br />
bezogen auf die kommunale Sozialberichterstattung, dass Methoden <strong>und</strong> Konzepte<br />
angewandt werden, die dem oben formulierten (Kap. 1.), idealtypischen Berichtsansatz<br />
möglichst nahe kommen. Gemäß der Zielsetzung dieses Projektes analysieren wir<br />
bevorzugt die Kreativität der Berichtsquellen, die primär Daten verwenden, die einer<br />
Kommune ohnehin in Form von Prozessdaten zur Verfügung stehen, also nicht<br />
zusätzlich generiert werden müssen. Besonderer Fokus liegt auf dem Privathaushalt in<br />
der Berichterstattung sowie der Realisierung <strong>eines</strong> integrierten, mehrdimensionalen,<br />
<strong>lebenslagen</strong>übergreifenden, dynamischen <strong>und</strong> raum<strong>bezogenen</strong> Berichtsansatzes. Die<br />
Kreativitätsanalyse beinhaltet auch, speziell solche Berichtsansätze herauszugreifen,<br />
denen es trotz aller Barrieren gelungen ist, Kontinuität in die Berichterstattung zu<br />
bringen.<br />
5.2. Begriffsbestimmung: Gemeinde, Kommune<br />
In die Analyse sind überwiegend kommunale Berichte eingeflossen sowie Berichte aus<br />
Landkreisen. Der Begriff „kommunal“ verweist von seinem lateinischen Wortursprung<br />
her auf Gemeinschaft (communio) bzw. auf die Gemeinsamkeit von<br />
Lebenszusammenhängen <strong>und</strong> Interessen (communis). Kommune wird häufig als<br />
Oberbegriff für Gemeinde <strong>und</strong> Kreis oder Gemeindeverband verstanden, umfasst aber<br />
7<br />
Sofern nicht ausdrücklich unterschieden, steht der Begriff Sozialbericht im Folgenden als Überbegriff für<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 29<br />
in diesem Projekt überwiegend die Gemeinde. Eine Gemeinde (althochdeutsch:<br />
gimeinida = gesellschaftliches Gebilde) kann als Gr<strong>und</strong>einheit der kommunalen<br />
Selbstverwaltung bezeichnet werden <strong>und</strong> ist die unterste Stufe im Verwaltungsaufbau<br />
<strong>eines</strong> demokratischen Staates. Gemeinden sind Gebietskörperschaften 8 <strong>und</strong> umfassen<br />
das ganze Spektrum von der kleinsten Landgemeinde (wie z.B. Wiedenborstel in<br />
Schleswig-Holstein: 3 EinwohnerInnen) bis zur großen Weltstadt (z.B. Berlin, fast 4 Mio.<br />
EinwohnerInnen) (www.net-lexikon.de/Gemeindearten.html). Das erklärt, warum<br />
Berichte auf Landesebene nicht in die Analyse mit eingehen, wohl aber Kreisberichte<br />
<strong>und</strong> Berichte von Stadtstaaten (Berlin, Bremen <strong>und</strong> Hamburg), die als Städte<br />
gleichzeitig den Status <strong>eines</strong> Landes haben <strong>und</strong> daher im B<strong>und</strong>esrat vertreten sind.<br />
Stadtstaaten genießen das so genannte "Stadtstaatenprivileg" <strong>und</strong> nehmen am<br />
Finanzausgleich des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Länder teil, weil sie höhere Ausgaben je<br />
EinwohnerIn haben als die Flächenstaaten. Vereinzelt sind auch Landkreis- oder<br />
stadtteilbezogene Berichte mit eingeflossen, weil sie konzeptionell von Interesse sind<br />
<strong>und</strong>/oder hinsichtlich ihrer Datengr<strong>und</strong>lage für die Fragestellung dieses Projektes von<br />
Bedeutung sein können.<br />
5.3. Vorgehensweise <strong>und</strong> Methode der empirischen Analyse<br />
Hauptgr<strong>und</strong>lage der empirischen Analyse sind die ausführlich vom Verein für<br />
Sozialplanung (VSOP) aufgelisteten <strong>und</strong> zum Teil archivierten „Sozialberichte,<br />
Sozialhilfeberichte <strong>und</strong> Armutsberichte in Kommunen, B<strong>und</strong>esländern, auf B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong><br />
internationaler Ebene seit 1985“ 9 , die in einer gleichnamigen Liste regelmäßig<br />
fortgeschrieben werden. Der VSOP ist ein selbst organisiertes Netzwerk von<br />
SozialplanerInnen, die bei Kommunen, Landes- oder B<strong>und</strong>esbehörden sowie freien<br />
Trägern der Wohlfahrtspflege, Forschungs-, Beratungs- <strong>und</strong> Planungsinstituten oder<br />
Aus- <strong>und</strong> Fortbildungseinrichtungen beschäftigt sind. Neben dem Deutschen Verein für<br />
öffentliche <strong>und</strong> private Fürsorge ist der VSOP maßgeblich an der Weiterentwicklung<br />
fachlicher Standards <strong>und</strong> Methoden der Sozialplanung <strong>und</strong> –berichterstattung beteiligt<br />
8 Eine Gebietskörperschaft ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die sich durch ihre Beziehung<br />
zu einem Territorium in Form von Hoheitsgewalt im Rahmen der ihr zugewiesenen Aufgaben über alle<br />
Personen, die sich auf ihrem Gebiet aufhalten (Gebietshoheit), <strong>und</strong> Mitgliedern kraft Wohnsitz (bzw. Sitz<br />
bei juristischen Personen) auszeichnet. Es handelt sich somit um eine Organisationseinheit, der einzelne<br />
Aufgaben für einen bestimmten Teil des Staatsgebiets zugewiesen sind. Gebietskörperschaften zeichnen<br />
sich durch Selbstorganisation <strong>und</strong> Selbstverwaltung mittels eigener Organe (z.B. BürgermeisterIn,<br />
Gemeinderat) im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben aus (www.netlexikon.de/Gebietskoerperschaft.html).<br />
9 Titel der Liste, zusammengestellt von Walter Werner; Stand 12 /2002
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 30<br />
<strong>und</strong> gilt als die einzige Institution, die kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
annähernd systematisch dokumentiert, seit ihren Anfängen Mitte der 1980-er Jahre.<br />
Die VSOP-Liste ist im Wesentlichen eine „bunte“ Mischung mehr oder weniger zufällig<br />
zusammengetragener Berichte <strong>und</strong> umfasst nach Abzug der B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong><br />
Länderberichte 256 Positionen. Es ist davon auszugehen, dass sie überwiegend solche<br />
Berichte repräsentiert, deren VerfasserInnen mit dem VSOP kooperieren oder selbst<br />
Mitglied sind. Zur Erweiterung des Berichtsspektrums <strong>und</strong> Vervollständigung des<br />
Berichtsarchivs wurden ergänzend Literatur-Recherchen in der Deutschen Bibliothek<br />
durchgeführt. Viele Kommunen stellen mittlerweile Informationen (Berichte, Statistiken,<br />
Analysen etc.) online zur Verfügung. Zur Rekrutierung kommunaler Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichte wurden auch Online-Berichte berücksichtigt. Dadurch konnte die<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit um weitere 86 Berichte auf 342 erhöht werden. Dennoch kann die<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit nicht als vollständig betrachtet werden, ist doch ein großer Anteil der<br />
Berichte im Bereich „grauer Literatur“ angesiedelt <strong>und</strong> daher häufig weder online noch<br />
über Bibliotheken verfügbar. Ältere aber auch jüngst erschienene Berichte sind häufig<br />
sehr schnell vergriffen <strong>und</strong> über offizielle Wege nicht mehr beziehbar 10 . Hier sind es vor<br />
allem Zufall oder persönliche Kontakte, die es ermöglicht haben, solche Berichte „an<br />
Land zu ziehen“.<br />
Die Gr<strong>und</strong>gesamtheit ist daher nahezu, aber nicht gänzlich vollständig. Die zu Gr<strong>und</strong>e<br />
liegenden Berichte erlauben einen breiten Überblick über die kommunale<br />
Berichterstattungslandschaft für den Zeitraum von 1985 bis 2004 <strong>und</strong> repräsentieren<br />
typische kommunale Berichtskonzeptionen vor Einführung der Sozialreformen (Hartz<br />
IV) zum 01.01.2005. Quantitative Ergebnisse, wie z.B. Anzahl oder Anteil bestimmter<br />
Berichtstypen, beziehen sich daher ausschließlich auf die o.g. Gr<strong>und</strong>gesamtheit <strong>und</strong><br />
spiegeln prinzipielle konzeptionelle Herangehensweisen, Datenzugänge <strong>und</strong><br />
Tendenzen in der Berichterstattung wider. Quantitative, prozentuale Ergebnisse der<br />
Titel- <strong>und</strong> Konzeptanalyse bilden also Tendenzen, Trends <strong>und</strong> Typen ab <strong>und</strong> beziehen<br />
sich ausschließlich auf die analysierten Berichte.<br />
10 Beispielsweise ist der Ende 2002 herausgegebene kommunale Armutsbericht der Stadt Gießen,<br />
obwohl er ein zweites Mal aufgelegt wurde, bereits zwei Jahre später über offizielle Wege nicht mehr<br />
beziehbar.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 31<br />
Titelanalyse<br />
B<strong>und</strong>esweit konnten 342 kommunale Berichte recherchiert werden, darunter allein 171<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte. Die weiteren Berichte gliedern sich wie folgt auf (vgl.<br />
Tab. 1):<br />
Von insgesamt 342 Berichten sind 108 einsehbar bzw. liegen vor. Die restlichen 234<br />
Berichte liegen nur in Form einer Literaturliste vor, d.h. sie sind über das VSOP-<br />
Archiv nicht verfügbar <strong>und</strong> auch in den jeweiligen Kommunen vergriffen oder nur<br />
unter erheblichem Aufwand einsehbar oder beschaffbar. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird das<br />
gesamte Material zunächst anhand der jeweiligen Berichtstitel bestimmten<br />
Berichtskategorien zugeordnet. Hierbei sind insbesondere die Untertitel von<br />
Bedeutung. Beispielsweise erweisen sich einige Berichte auf den zweiten Blick nicht<br />
als das, was der Haupttitel vorgibt, z.B. Bremen 1986: „Neue Armut in Bremerhaven.<br />
Ausgrenzung von Arbeitslosen aus der Arbeitslosenunterstützung“ oder<br />
Kaiserslautern 2001: „Bericht zur sozialen Lage. Teil 1: Armut <strong>und</strong> ihre Risiken“.<br />
Inwiefern der Titel Ausdruck <strong>eines</strong> Konzepts ist <strong>und</strong> den Inhalt widerspiegelt, ist<br />
Fragestellung der Konzeptanalyse.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 32<br />
Tab. 1:<br />
Anzahl b<strong>und</strong>esweit recherchierbarer kommunaler Berichte nach Berichtstypen anhand<br />
Anzahl Berichtstypen<br />
171 Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
Davon:<br />
von Titeln <strong>und</strong> Untertiteln (Stand 5/2004)<br />
90 Sozialberichte (auch: Sozialstrukturatlanten, Lebenslagenreporte, Datenreporte etc.)<br />
69 Armutsberichte<br />
5 Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
7 Konzeptionen für Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
65 Sozialhilfeberichte<br />
35 Berichte aus Landkreisen sowie regionale oder stadtteilbezogene Berichte (unabhängig<br />
vom zu Gr<strong>und</strong>e liegenden Konzept)<br />
31 Zielgruppenberichte 11 (z.B. Familien, Obdachlose, Arbeitslose, Kinder etc.)<br />
10 kombinierte 12 Berichte<br />
7 (Sozial-) Leistungsberichte 13<br />
6 Sozial- <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>spläne 14<br />
17 sonstige Arbeitsmaterialien (z.B. Gutachten, Diskussionspapiere, Plädoyers, Aufsätze,<br />
Tagungsdokumentationen, Reportagen, Forschungsberichte, Aktionspläne)<br />
342 insgesamt<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
Konzeptanalyse<br />
Von denjenigen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten, die einsehbar waren, werden „Anspruch<br />
<strong>und</strong> Wirklichkeit“ der Berichtskonzepte überprüft. Die Leitfragen sind:<br />
• Welche Berichtskonzeptionen, Zielsetzungen <strong>und</strong> Ansprüche liegen zu Gr<strong>und</strong>e?<br />
• Lässt sich ein „historischer Trend“ beobachten?<br />
• Welcher institutionelle Rahmen charakterisiert die Berichte, wer führt sie durch?<br />
• Ob <strong>und</strong> wie setzen speziell die <strong>lebenslagen</strong>orientierten Berichte ihr Konzept um?<br />
• Welche Lebenslagen <strong>und</strong> Themenbereiche werden in den Blick genommen?<br />
11 Berichte, die vom Titel her einen Zielgruppenbezug aufweisen, aber eigentlich Teilberichte einer<br />
mehrbändigen Reihe von Berichten sind, die zusammen einen Sozial- bzw. Armutsbericht ergeben,<br />
wurden nicht den Zielgruppenberichten zugeordnet (z.B. die Frankfurter Berichtsreihe 2000a-b, 2001a-b<br />
<strong>und</strong> 2002).<br />
12 Berichte, die laut Titel nicht mehr als zwei Lebenslagendimensionen miteinander kombinieren, <strong>und</strong><br />
folglich nicht den Lebenslagenberichten zuzuordnen sind (z.B. Hagen 1986: Neue Armut in Hagen.<br />
Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozialhilfebezug in der Stadt Hagen).<br />
13 Berichte, die ausschließlich Sozialleistungen widerspiegeln, insbesondere den Finanzrahmen, z.B.<br />
München 1996b: „Soziale Leistungen in Zahlen 1994"<br />
14 Das sind Pläne, deren Titel vermuten lassen, dass es sich um soziale Infrastrukturplanungen handelt,<br />
nicht aber um Beschreibung der Sozialstruktur privater Haushalte.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 33<br />
• Werden die Gründe für die Nichtumsetzung offen gelegt <strong>und</strong> welches sind die<br />
Gründe?<br />
Zur Klassifikation des Anspruchs der Berichtskonzepte wurde i.d.R. auf das Vorwort, die<br />
Einleitung oder – sofern vorhanden – Methoden- <strong>und</strong> Konzeptkapitel oder Ähnliches<br />
zurückgegriffen.<br />
Abb. 1:<br />
342<br />
(alle Titel)<br />
Titelanalyse<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Vorgehensweise der<br />
empirischen Analyse<br />
108<br />
(einsehbar)<br />
Konzeptanalyse<br />
Kreativitätsanalyse<br />
Bei der Kreativitätsanalyse geht es darum, exemplarisch solche Berichte<br />
herauszugreifen, die sich „kreativ“ in der praktischen Umsetzung von Konzeptionen<br />
erweisen <strong>und</strong>/oder in der Ausschöpfung der Daten bzw. Erschließung neuer<br />
Datenquellen. Hierbei spielt es weder eine Rolle, welcher selbst formulierte Anspruch<br />
an den Berichtsansatz zu Gr<strong>und</strong>e liegt, noch ob der Bericht darüber hinaus gehende<br />
„Gütekriterien“ erfüllt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurden auch Landkreisberichte,<br />
Stadtteilberichte <strong>und</strong> Zielgruppenberichte oder reine Geschäftsberichte sowie Konzepte<br />
<strong>und</strong> Diskussionspapiere einbezogen. Im Vordergr<strong>und</strong> des Interesses der<br />
Kreativitätsanalyse steht, Bausteine zusammenzutragen, die für ein<br />
operationalsierbares Berichtskonzept o.g. Zielsetzung anregend sind, weil sie<br />
• ohne zusätzliche Datenerhebungen machbar sind <strong>und</strong>/oder<br />
Auswahl<br />
(exemplarisch)<br />
Kreativitätsanalyse
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 34<br />
• <strong>haushalts</strong>bezogen sind <strong>und</strong>/oder<br />
• Mehrfachbetroffenheiten offen legen bzw. Interdependenzen innerhalb der<br />
Lebenslagendimensionen aufweisen <strong>und</strong>/oder<br />
• sozialräumliche <strong>und</strong> dynamische Betrachtungen integrieren <strong>und</strong>/oder,<br />
• in irgendeiner Weise „kreativ“ mit den verfügbaren Datenquellen umgehen, so dass<br />
ein „Mehr“ an sozialplanerisch <strong>und</strong> sozialpolitisch relevanten Informationen erzielt<br />
wird.<br />
Die Berichtsauswahl der Datenanalyse spiegelt also nicht (!) per se „Best-practice“<br />
Beispiele wider, die die Berichtsqualität im Ganzen hervorheben. Herangezogene<br />
Berichte stehen exemplarisch für kreative Umsetzung von Konzeptionen <strong>und</strong> kreativen<br />
Umgang mit Datenlücken 15 .<br />
15 Veränderungen in der Sozialgesetzgebung ziehen auch sich verändernde Datenquellen nach sich (z.B.<br />
SGB II <strong>und</strong> SGB XII). Bei der Kreativitätsanalyse geht es daher weniger um die konkreten Datenquellen<br />
im Einzelnen (zum Zeitpunkt der Berichtsanalyse waren das Sozialhilfe, Wohngeld oder<br />
Arbeitslosengeld/-hilfe), sondern mehr um das zu Gr<strong>und</strong>e liegende Prinzip kommunaler Datenerhebung<br />
<strong>und</strong> -aufbereitung sowie um kreative Möglichkeiten bei der Ausschöpfung von Datenquellen.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 35<br />
5.4. Ergebnisse<br />
5.4.1. Berichtsepochen<br />
Sortiert man die insgesamt recherchierbaren Berichte (342) nach Berichtstypen<br />
innerhalb bestimmter Zeiträume, fällt auf, dass seit Mitte der 1990er Jahre – im<br />
Unterschied zu den Jahren davor – kaum noch reine Sozialhilfeberichte verfasst werden<br />
(vgl. Tab. 2). Auch die kombinierten Berichte, die in der Regel die beiden Bereiche<br />
Sozialhilfe <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit thematisieren, werden ab Mitte der 1990er Jahre<br />
seltener <strong>und</strong> dafür zunehmend von Zielgruppen- <strong>und</strong> Themenberichten abgelöst.<br />
Auffällig ist auch, dass das sogenannte sonstige Material seit Mitte der 1990er Jahre<br />
nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Bei dem sonstigen Material handelt es sich<br />
primär um politische Überzeugungsarbeit, also um Plädoyers <strong>und</strong> Aufrufe zur<br />
Armutsberichterstattung bzw. um Diskussionspapiere <strong>und</strong> inhaltliche Vorüberlegungen.<br />
Es liegt nahe, dass dieser Phase der konzeptionellen Vorüberlegungen anschließend in<br />
eine aktive Umsetzungsphase gemündet ist. Die Erkenntnis in die Notwendigkeit<br />
kommunaler Berichterstattung, auch der Armutsberichterstattung, hat sich insgesamt<br />
eher durchgesetzt. Den Bekenntnissen <strong>und</strong> Aufrufen folgen in den 1990er Jahren die<br />
Taten: Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte.<br />
Die ersten recherchierbaren kommunalen Armutsberichte erschienen 1985 in den<br />
nordrhein-westfälischen Großstädten Düsseldorf, Hamm <strong>und</strong> Hagen, aber auch in den<br />
eher ländlichen Kreisen Konstanz <strong>und</strong> Schwäbisch Hall (Düsseldorf 1985a, Hamm<br />
1985, Hagen 1986, Konstanz 1985, Schwäbisch Hall 1985). Ihre vorläufige Hochzeit<br />
haben die Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten während der 1990er Jahre, insbesondere<br />
zwischen 1996 <strong>und</strong> 2000.
Tab. 2:<br />
Anzahl aller recherchierbaren kommunalen Berichte nach Berichtstypen <strong>und</strong> Zeiträumen<br />
Berichte aus<br />
Landkreisen,<br />
Stadtteilen,<br />
Regionen<br />
Sozial- <strong>und</strong><br />
Entwick-<br />
lungspläne <br />
Sozialhilfe-<br />
berichte <br />
Leistungs-<br />
berichte<br />
Kombinierte<br />
Berichte<br />
Zielgruppen-<br />
berichte<br />
Sonstiges<br />
Material<br />
Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozial-<br />
berichte<br />
1985 – 1989 11 2 18 0 9 9 10 24 83<br />
1990 – 1995 4 2 22 3 1 4 6 47 89<br />
1996 – 2000 16 2 16 4 0 11 1 66 116<br />
2001 – 2004 4 0 6 0 0 7 0 32 49<br />
Ohne Jahr 0 0 3 0 0 0 0 2 5<br />
Summe 35 6 65 7 10 31 17 171 342<br />
Insgesamt<br />
Quelle: Eigene Darstellung
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 37<br />
Einen interessanten Einblick in den Wandel der Themen erlauben die Zielgruppen- <strong>und</strong><br />
Themenberichte. Ende der 1980er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre stellten diese<br />
Berichte noch primär das Thema Arbeitslosigkeit in den Mittelpunkt ihrer<br />
Berichterstattung (z.B. Bremen 1986 <strong>und</strong> 1989a, Bremerhaven 1986, Mönchengladbach<br />
1986, Gelsenkirchen 1987, Essen 1991). Obwohl das Thema Obdachlosigkeit<br />
insbesondere in den Zeiten großer Wohnungsnot Thema der 1980er Jahre in<br />
westdeutschen Großstädte war, schlägt sich das Thema Obdachlosigkeit als<br />
eigenständiger Zielgruppenbericht erst Mitte der 1990er Jahre in der Berichterstattung<br />
nieder (Essen 1994; Kiel 1996, Mainz 1996).<br />
Mitte <strong>und</strong> Ende der 1990er Jahre rücken die Zielgruppenberichte r<strong>und</strong> um Familien,<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche an erste Stelle. Der erste recherchierbare kommunale<br />
Familienbericht stammt vom Freiburger Institut für angewandte Sozialwissenschaften.<br />
Es handelt sich um eine familienanalytische Studie: „Eine Untersuchung über die<br />
zunehmende Belastung des Stadtgebiets in Freiburg mit sozialen Problemen“ (Freiburg<br />
1988). Spezielle Berichte über die Zielgruppe der Alleinerziehenden folgen (München<br />
1990b, Braunschweig 1995). Mitte <strong>und</strong> Ende der 1990er Jahre fällt eine starke<br />
Konzentration auf das Thema Kinder <strong>und</strong> Jugendliche auf (Kassel 1996, Gießen 1999a,<br />
Hamburg 1999). Erste Ergebnisse des 1990 verabschiedeten Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfegesetzes schlagen sich nun in der kommunalen Berichterstattung nieder.<br />
Das Thema Kinderarmut wird Ende der 1990er Jahre eigenständiges Thema<br />
kommunaler Berichterstattung (Karlsruhe 1999, Düsseldorf 2002). Auch<br />
ges<strong>und</strong>heitsbezogene Kinderberichte (Bielefeld 2002, Berlin 2003a) <strong>und</strong> reine<br />
Kinderberichte (Mannheim 2000a/b <strong>und</strong> 2003a/b) finden zunehmend Verbreitung.<br />
Zielgruppen- oder Themenberichte r<strong>und</strong> um Arbeitslosigkeit sind nur noch im Rahmen<br />
mehrbändiger Sozialberichterstattungen zu finden.<br />
Auch bei den theoretischen Ansätzen <strong>und</strong> konzeptionellen Verankerungen lassen sich<br />
erkennbare Trends ablesen. Bezogen auf die konzeptionellen Ansprüche derjenigen<br />
Berichte, die einsehbar sind, zeigt sich gegen Ende der 1990er Jahre die Hochzeit des<br />
Lebenslagenansatzes <strong>und</strong> zwar sowohl im Rahmen der Armuts- als auch der<br />
Sozialberichterstattung. In den 2000er Jahren scheint sich in der Sozialberichterstattung<br />
wieder eine Abkehr vom Lebenslagenansatz abzuzeichnen, insbesondere hin zu mehr<br />
praktischen Ansätzen.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 38<br />
5.4.2. Berichtskontinuität <strong>und</strong> Vergleichbarkeit<br />
Zahlreiche Kommunen haben bereits den dritten, vierten oder fünften Armuts- oder<br />
Sozialbericht verfasst. In vielen Fällen sind die Berichte jedoch nicht aufeinander<br />
abgestimmt. Der Sozialbericht für Pankow (Berlin 2000) weist beispielsweise daraufhin,<br />
dass zwar eine Vielzahl von „Beiträgen zur Sozialberichterstattung“ auf Bezirksebene<br />
<strong>und</strong> auf Gesamtberliner Ebene vorliegen <strong>und</strong> jeweils „sorgfältig <strong>und</strong> fachmännisch<br />
verfasst“ (Berlin 2000: 19) seien, aber<br />
mangelhaft bis gar nicht koordiniert werden,<br />
in hohem Maße uneinheitlich <strong>und</strong> nicht aufeinander abgestimmt seien,<br />
mit Ausnahme der Ges<strong>und</strong>heitsberichte hinsichtlich Struktur, Konzept <strong>und</strong> Aufbau nicht<br />
vergleichbar seien.<br />
Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass derjenige Mitleid verdiene, der es zur Aufgabe<br />
bekäme „diese Berichte – oder wenigstens ein Teil der wichtigsten dieser Berichte – in<br />
einem Gesamtkontext (mit der Überschrift „Berliner Sozialbericht“ oder „Berliner<br />
Sozialberichterstattung“) zusammenzufassen“ (Berlin 2000:19; Klammer <strong>und</strong><br />
Anführungsstriche im Original). Zur Überwindung der unbefriedigenden Situation wird<br />
daher die Erstellung <strong>eines</strong> Gesamtberichts gefordert, der als Orientierungsrahmen für<br />
alle Senats- <strong>und</strong> Bezirksverwaltungen dienen könnte. Die Berliner Situation ist kein<br />
Einzelfall. Ähnliche Unabgestimmtheiten lassen sich in zahlreichen Kommunen<br />
beobachten, beispielsweise in Frankfurt a. M., Gießen <strong>und</strong> Hamburg. Für Diskontinuität<br />
<strong>und</strong> mangelnde Vergleichbarkeit der Berichte sind verschiedene Faktoren<br />
verantwortlich: Gerade in Berlin aber auch andernorts zeigt sich, dass eine Fülle von<br />
verschiedenen Verwaltungen <strong>und</strong> externen Institutionen die Berichterstattung<br />
durchführen. Sofern Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Anknüpfung an Vorgängerberichte von den<br />
Auftraggebern nicht explizit gewünscht werden, verfolgt jedes Berichtsteam sein<br />
eigenes Konzept <strong>und</strong> seine eigenen Methoden. Doch selbst wenn Kontinuität Teil des<br />
Auftrags ist, können Gesetzesänderungen Unvergleichbarkeit bewirken.<br />
Beispiel 1: Die Einführung der Pflegeversicherung hatte massive Auswirkungen auf die<br />
Anzahl der SozialhilfempfängerInnen in stationären Einrichtungen.<br />
Beispiel 2: Die Einführung der Gr<strong>und</strong>sicherung wirkte sich ebenfalls massiv aus,<br />
speziell auf die Anzahl der SozialhilfeempfängerInnen über 65 Jahre.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 39<br />
Beispiel 3: Die Änderungen im SGB II <strong>und</strong> SGB XII (Hartz IV) werden eine<br />
Unvergleichbarkeit ungeahnten Ausmaßes auslösen.<br />
Erschwerend kommt schließlich hinzu, dass nicht alle Datenquellen im<br />
Verantwortungsbereich der Kommune selbst liegen (Daten freier Träger, Daten des<br />
Statistischen Landesamts etc.) <strong>und</strong> zu einer diskontinuierlichen Datenlage beitragen<br />
können.<br />
Dass Kontinuität dennoch möglich ist, zeigen z.B. Hannover, Augsburg <strong>und</strong> Viersen.<br />
Die Berichte – so unterschiedlich sie interkommunal auch sind – zeigen intrakommunal<br />
ein hohes Maß an Vergleichbarkeit. Die Hannoveraner Sozialberichte (1998 <strong>und</strong> 2002)<br />
sind vom Inhalt, Aufbau <strong>und</strong> Konzept nahezu identisch <strong>und</strong> thematisieren ausführlich<br />
die demografische <strong>Entwicklung</strong>, die Finanzsituation der Bevölkerung<br />
(Transfereinkommen, Erwerbseinkommen <strong>und</strong> Schulden), die Arbeitslosigkeit sowie das<br />
Thema Wohnen <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit 31 . Auch Augsburg gibt regelmäßig im Abstand von<br />
zwei bis drei Jahren einen Armutsbericht heraus. Die Berichte haben den Charakter<br />
einer Zeitung, die mit Reportagen <strong>und</strong> einigen wenigen Statistiken gespickt sind <strong>und</strong><br />
enthalten jeweils einen Exkurs zum Thema Reichtum. Sie geben Projekt- <strong>und</strong><br />
Arbeitsgruppen sowie Hilfeeinrichtungen viel Raum zur Selbstdarstellung <strong>und</strong> weisen<br />
auf Kontaktadressen hin. Die Zielgruppe ist offensichtlich weniger die kommunale<br />
Sozialplanung, sondern die Gruppe der Armutsbetroffenen. Diesem Konzept sind die<br />
Augsburger im Zeitraum von 1995 bis 2003 insgesamt vier Mal treu geblieben.<br />
Auf das hier angeschnittene Thema „Berichtskontinuität <strong>und</strong> Vergleichbarkeit“ wird an<br />
späterer Stelle im Rahmen der zentralen Ansatzpunkte kommunaler Berichterstattung<br />
noch detaillierter eingegangen (vgl. Kap. 8.1).<br />
5.4.3. Berichtstitel oder „Ob drin steht, was drauf steht?“<br />
Anhand der Titel der uns vorliegenden 108 Berichte sind 73 Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte,<br />
15 Zielgruppenberichte, 11 Sozialhilfeberichte <strong>und</strong> 9 Landkreisberichte (bzw.<br />
Stadtteilberichte) zu unterscheiden. Innerhalb der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte sind in<br />
31 Einziger konzeptioneller Unterschied: Der 1998er Bericht thematisierte Bildung. Das Thema wurde in<br />
2002 ohne Angabe von Gründen nicht wieder aufgegriffen.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 40<br />
erster Linie Sozialberichte (39), Armutsberichte (25) aber auch sogenannte Armuts<strong>und</strong><br />
Sozialberichte zu differenzieren (vgl. Tab. 3).<br />
Tab. 3:<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Typisierung aller verfügbaren kommunalen Berichte<br />
nach Titeln <strong>und</strong> Untertiteln<br />
Anzahl Typ<br />
73 Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
Davon:<br />
39 Sozialberichte<br />
25 Armutsberichte<br />
5 Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
4 Konzeptionen<br />
15 Zielgruppenberichte 32<br />
11 Sozialhilfeberichte<br />
9 Landkreis-, überregionale oder stadtteilbezogene<br />
Berichte<br />
108 insgesamt<br />
Innerhalb der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte sind Titel wie Lebenslagenreport,<br />
Sozialdatenatlas, Sozialstrukturatlas, Sozialbericht, Armutsbericht, Bericht über die<br />
<strong>Entwicklung</strong> der Armut oder Bericht zur sozialen Situation unterscheidbar. Die Frage ist,<br />
ob Berichtstitel Ausdruck des eigentlichen Inhalts sind oder nicht. Ausschlaggebend für<br />
die Zuordnung nach inhaltlicher Wiedergabe sind bei den Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten<br />
Mehrdimensionalität <strong>und</strong> Anzahl der betrachteten Lebenslagendimensionen <strong>und</strong><br />
Themenspektren (vgl. auch Kap. 5.4.4.). Berichte, die mindestens zwei<br />
Lebenslagendimensionen beleuchten, die über die reine Sozialhilfestruktur<br />
hinausgehen, werden in einem ersten Schritt den Armuts- <strong>und</strong> / oder Sozialberichten<br />
zugeordnet, unabhängig davon, ob sie speziell Armut <strong>und</strong> Benachteiligung in den Blick<br />
nehmen oder die sozialen Lagen der Bevölkerungsstruktur insgesamt. Wesentlich ist,<br />
dass sie Mehrdimensionalität anstreben. Das bedeutet, dass sie Armut <strong>und</strong> soziale<br />
Lagen als mehr als nur ein einkommensabhängiges Phänomen betrachten. Andernfalls<br />
– so die Annahme – würden sie sich Sozialhilfe- oder Arbeitslosigkeitsbericht o.ä.<br />
32 Auch hier gilt: Berichte, die zwar vom Titel her einen Zielgruppenbezug aufweisen, aber lediglich<br />
Teilberichte einer mehrbändigen Reihe sind, die zusammen einen Sozial- bzw. Armutsbericht bilden (z.B.<br />
Frankfurt/Main 2000a, 2000b, 2001a, 2001b, 2002), wurden der Kategorie „Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte“<br />
<strong>und</strong> nicht etwa den „zielgruppen<strong>bezogenen</strong> Berichten“ zugerechnet.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 41<br />
betiteln. Im Ergebnis erzielen die Landkreis- oder Stadtteilberichte die größte<br />
Übereinstimmung zwischen Titel <strong>und</strong> Inhalt, denn sie halten stets, was sie versprechen,<br />
nämlich Berichterstattung über einen definierten Raum. Insgesamt setzten 92 Berichte<br />
um, was der Titel verspricht, d.h. Sozialhilfeberichte bilden Sozialhilfe ab, Armuts<strong>und</strong>/oder<br />
Sozialberichte zeichnen sich durch Mehrdimensionalität aus, Konzeptionen<br />
konzipieren <strong>und</strong> Zielgruppenberichte konzentrieren sich auf die soziale Lage von<br />
bestimmter Zielgruppen. Nur 16 Berichte über- oder unterbieten die Erwartungen, die<br />
aufgr<strong>und</strong> des Titels an sie gerichtet werden.<br />
Zu unterscheiden sind<br />
• Berichte, die umsetzen, was der Titel verspricht (92)<br />
• Berichte, die mehr einlösen, als der Titel verspricht sowie (4)<br />
• Berichte, die nicht halten, was der Titel verspricht (12).<br />
Die größte Diskrepanz zwischen Titel <strong>und</strong> Inhalt tut sich bei den 25 Armutsberichten<br />
auf. Zwei der Armutsberichte sind in Wirklichkeit reine Sozialhilfeberichte, vier Berichte<br />
kombinieren die Sozialhilfestatistik mit einem weiteren Themenbereich, meist<br />
Erwerbslosigkeit, bei einem Bericht handelt es sich um einen Zielgruppenbericht <strong>und</strong><br />
bei einem um sonstiges Material.<br />
Ähnliches gilt für die 39 Sozialberichte: Einer erweist sich als reiner Sozialhilfebericht,<br />
einer als reiner Leistungsbericht <strong>und</strong> einer als kombinierter Bericht. Auch bei einem der<br />
fünf Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte handelt es sich um einen reinen Sozialhilfebericht.<br />
Umgekehrt erfreulich verhält es sich mit den elf Sozialhilfeberichten: Ein<br />
Sozialhilfebericht ist faktisch ein Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht <strong>und</strong> zwei Sozialhilfeberichte<br />
entsprechen eigentlich der Zuordnung „kombinierte Berichte“, d.h. drei der elf<br />
Sozialhilfeberichte lösen mehr ein, als der Titel verspricht.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 42<br />
Tab. 4:<br />
Gegenüberstellung der titel<strong>bezogenen</strong> <strong>und</strong><br />
inhaltlichen Zuordnung der Berichte<br />
Titel Tatsächlicher Inhalt Anzahl<br />
Landkreis- oder<br />
Stadtteilbericht<br />
Landkreis- oder<br />
Stadtteilbericht<br />
Sozialhilfebericht Sozialhilfebericht 9<br />
Sozialhilfebericht Kombinierter Bericht 2<br />
Sozialhilfebericht Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht 1<br />
Zielgruppenbericht Zielgruppenbericht 14<br />
Zielgruppenbericht Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht 1<br />
Armutsbericht Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht 17<br />
Armutsbericht Sozialhilfebericht 2<br />
Armutsbericht Kombinierter Bericht 4<br />
Armutsbericht Zielgruppenbericht 1<br />
Armutsbericht Sonstiges Material 1<br />
Sozialbericht Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht 35<br />
Sozialbericht Sozialhilfebericht 1<br />
Sozialbericht Leistungsbericht 1<br />
Sozialbericht Kombinierter Bericht 1<br />
Konzeption Konzeption 3<br />
Konzeption Konzeption + Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialbericht<br />
Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialbericht<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialbericht<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht 4<br />
Sozialhilfebericht 1<br />
Fazit: Erfolgt eine ausschließliche Zuordnung der Berichte über die Anzahl der<br />
betrachteten Lebenslagendimensionen (bei den Armuts- <strong>und</strong> / oder Sozialberichten)<br />
bzw. über sonstigen Titel-Inhalt-Vergleich, erfüllen 92 ihren per Titel gesetzten<br />
Anspruch. Die Auswahl <strong>und</strong> das Spektrum betrachteter Lebenslagendimensionen<br />
variieren jedoch erheblich (vgl. Kap. 5.4.4.). Auch ist die Anzahl der betrachteten<br />
Lebenslagendimensionen kein Garant für die erfolgreiche Umsetzung des<br />
Lebenslagenansatzes, wie in folgenden Kapiteln zu sehen sein wird (vgl. Kap. 7.2.).<br />
9<br />
1
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 43<br />
5.4.4. Berichtsansätze – konzeptionelle Vielfalt oder Konzeptionslosigkeit?<br />
Inwiefern Berichte konzeptionelle Vielfalt ausdrücken oder nur vielfältige<br />
Ausdrucksformen für eine faktische Konzeptionslosigkeit finden, ist Fragestellung der<br />
Konzeptanalyse. Besonderes Augenmerk gilt hier dem jeweils selbstformulierten<br />
Anspruch <strong>und</strong> seiner praktischen Umsetzung. Die Berichte werden daraufhin analysiert,<br />
• welcher theoretische <strong>und</strong> konzeptionelle Anspruch den Berichten zu Gr<strong>und</strong>e liegt,<br />
• ob die Berichte diesem Anspruch gerecht wurden <strong>und</strong> wenn nicht, welches die<br />
Gründe für die Nichtumsetzung ihres Anspruchs sind,<br />
• ob die Konzepte einem historischen Trend unterliegen <strong>und</strong><br />
• welche Lebenslagendimensionen <strong>und</strong> Themengebiete bevorzugt abgebildet werden.<br />
Knapp ein Drittel der Berichte (32 von 108) verfolgen den Lebenslagenansatz (vgl. Tab.<br />
5). Dabei werden auch solche Berichte dem Lebenslagenansatz zugeordnet, die diesen<br />
Anspruch nur sehr indirekt oder andeutungsweise formulieren wie z.B.:<br />
• „die Lebenswirklichkeit <strong>und</strong> Lebenslagen der Bevölkerung anhand statistischer<br />
Daten“ (Lahn-Dill-Kreis 2001: 3),<br />
• „Daten zur Lebenslage der Bürger in den Teilgebieten der Stadt“ (Bad Vilbel 1996),<br />
• „verschiedene Daten zur Lebenslage der Bevölkerung anführen“ (Fulda 2000: 3),<br />
• „die unterschiedlichen Lebensbedingungen <strong>und</strong> Lebenslagen der Menschen in<br />
Frankfurt am Main zu beschreiben <strong>und</strong> hierbei Bevölkerungsgruppen zu<br />
identifizieren, deren Teilhabechancen in besonderer Weise eingeschränkt sind <strong>und</strong><br />
die deshalb Unterstützung der Gemeinschaft bedürfen.“ (Frankfurt/Main 2000e: 4),<br />
• „Beschreibung der sozialen Lage der Bürger der Gemeinde“ (Bad Vilbel 2002: 1)
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 44<br />
Tab. 5:<br />
Anzahl kommunaler Berichte nach selbst<br />
formuliertem, konzeptionellem Anspruch<br />
Konzeptioneller Anspruch der Berichte<br />
insg. (Mehrfach-Ansprüche sind möglich)<br />
Anzahl<br />
Lebenslagenkonzept 32 33<br />
Praktischer Anspruch 33<br />
Einkommensbasiertes Konzept 19<br />
Keine Angaben 9<br />
Anderer konzeptioneller Anspruch 9<br />
Sozialindexbildung 6<br />
Sozialraumanalyse 4<br />
Dynamische Betrachtung 3<br />
Anspruch nicht nachvollziehbar 34 4<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
• Etwa genauso viele Berichte (33) formulieren keinen explizit wissenschaftlichtheoretischen<br />
Anspruch, sondern im Wesentlichen einen praktischsozialplanerischen<br />
Anspruch wie z.B.<br />
• Plädoyer für die Armutsberichterstattung (Potsdam 1997b),<br />
• Diskussionspapier (Köln 1998a),<br />
• Aufzeigen von sozialpolitischem Handlungsbedarf (München 2000),<br />
• Abbildung der Ist-Situation (Essen 19997b),<br />
• Datensammlung (Wiesbaden 1996),<br />
• Erfahrungswissen von Verwaltung <strong>und</strong> freien Trägern zusammentragen (Nürnberg<br />
1992),<br />
• Teil <strong>eines</strong> Planungsprozesses sein (Köln 1998a),<br />
• die realen Lebensverhältnisse von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, allein<br />
Erziehenden <strong>und</strong> Seniorinnen <strong>und</strong> Senioren genau untersuchen (Gießen 1999b),<br />
• die Situation Stadtteil analysieren, da eine Aufnahme des Stadtteils in das<br />
Landesprogramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ angestrebt wird<br />
(Essen 1997b: 5,15),<br />
33 Bei einem Bericht (Berlin 1990) kann lediglich die Vermutung angestellt werden, dass hier der<br />
Lebenslagenansatz als Anspruch zu Gr<strong>und</strong>e liegt, explizit angesprochen wird das nicht.<br />
34 In zwei Fällen ist der Anspruch inhaltlich nicht nachvollziehbar, in zwei weiteren Fällen lagen die<br />
Berichte nur auszugsweise vor, so dass kein Anspruch entnommen werden konnte.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 45<br />
• Informationen der <strong>Entwicklung</strong> von Armut <strong>und</strong> Ungleichheit nach verschiedenen<br />
Dimensionen zusammentragen (Bielefeld 2001: 1).<br />
19 Berichte stützen sich auf ausschließlich monetär operationalisierte<br />
Ressourcenansätze bzw. einkommensbasierte Ansätze (relative Einkommensarmut,<br />
Sozialhilfebezug) als theoretisches Konzept. Immerhin 9 Berichte verfolgen andere<br />
konzeptionelle Ansätze wie<br />
subjektive Deprivation<br />
Teilhabechancen<br />
eigenes, nicht wissenschaftlich verankertes theoretisches Konzept 35 .<br />
Underclass-Ansätze sind nicht vorzufinden, ebenso wenig wie Sens Konzept der<br />
Entfaltungsmöglichkeiten. Lebensstandardansätze spielen nur in den Berichten eine<br />
Rolle, die BürgerInnenbefragungen durchführen <strong>und</strong> daher den tatsächlichen<br />
Lebensstandard abfragen (Gütersloh 1998, Leipzig 1999) (vgl. hierzu Kap. 5.4.5.). Der<br />
Begriff Ausgrenzung fällt häufiger im Zusammenhang mit Armut, jedoch ohne<br />
theoretische Einbettung <strong>und</strong> Operationalisierung oder Bezugnahme auf das<br />
Exklusionskonzept (z.B. Gießen 1999b: 45). Der Karlsruher Armutsbericht (1993: 113<br />
ff.) nimmt ergänzend zum Lebenslagenansatz Bezug auf die Wohlfahrtsindikatoren<br />
nach Noll/Habich (1990: 164) <strong>und</strong> konzentriert sich ohne Begründung auf die Themen<br />
Arbeit <strong>und</strong> Wohnen.<br />
4 Berichte 36 streben eine dynamische Betrachtung an, 4 Berichte begreifen sich primär<br />
als Sozialraumanalyse, 6 Berichte haben die Bildung <strong>eines</strong> oder mehrerer Sozialindizes<br />
zum Ziel. Einige Berichte formulieren mehrere Ansprüche wie z.B. die Kombination des<br />
Lebenslagenansatzes mit einem einkommensbasierten Ansatz oder mit qualitativen<br />
Interviews oder <strong>eines</strong> theoretischen Anspruchs mit einem praktischen Anspruch.<br />
Beispiel hierfür ist der Berliner Sozialstrukturatlas: „... unser Ansatz ist ein räumlicher<br />
sozial(faktor)ökologischer multidimensionaler Ansatz, der die Einzelvariablen<br />
zusammenfasst <strong>und</strong> ihre Wechselbeziehungen analysiert.“ (Berlin 2004: 8). Mit diesem<br />
35 Z.B. Konzept der 8 A = Arbeitslose, Alte, allein Erziehende, allein Gelassene, AussiedlerInnen,<br />
AusländerInnen, AsylbewerberInnen, außergewöhnlich Belastete (Überschuldung, Sucht, Straffälligkeit<br />
etc.) (Nürnberg 1992). Oder Bremen 1992: Der Bericht entwickelt ein eigenes Armutskonzept, das er vom<br />
Lebenslagenansatz ableitet. Armut ist demnach verknüpft mit einer zeitlichen Dimension, mit der<br />
sozialstrukturellen Stellung der Armen <strong>und</strong> der unterschiedlichen Wahrnehmung von Armut (S. 22-25).<br />
36 Berlin 2004, Düsseldorf 1998, Wiesbaden 2001a <strong>und</strong> 2002a (vgl. auch Kap. 8.3.)
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 46<br />
Ansatz wird versucht, Sozialstrukturansatz, Ressourcenansatz, räumlicher<br />
Lebenslagenansatz <strong>und</strong> dynamischer Ansatz zu integrieren (Berlin 2004: 7). Bei etwa<br />
einem Zehntel der Berichte können keine konzeptionellen Ansprüche herausgelesen<br />
werden: 9 Berichte machen zu ihrem Anspruch keine Angaben <strong>und</strong> bei 4 Berichten ist<br />
der Anspruch nicht nachvollziehbar.<br />
Aufschlussreich ist eine Aufschlüsselung selbst formulierter Berichtskonzepte innerhalb<br />
der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung (vgl. Tab. 6). Berichte, die sich laut Berichtstitel<br />
mit Armut befassen (30), verwenden in mehr als der Hälfte der Fälle den<br />
Lebenslagenansatz (16), gefolgt von einkommensbasierten Ansätzen (7) <strong>und</strong> praktischsozialplanerischen<br />
Ansprüchen (5). Sozialberichterstattung (38) formuliert wesentlich<br />
häufiger praktische Ziele (12). Lebenslagenansätze spielen in weniger als einem Fünftel<br />
aller Sozialberichte (8) eine konzeptionelle Rolle.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 47<br />
Tab. 6:<br />
Anzahl kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte nach selbst<br />
formuliertem, konzeptionellem Anspruch<br />
Konzeptioneller Anspruch,<br />
selbst formulierter<br />
Berichtsansatz<br />
(Mehrfachansprüche möglich)<br />
Berichte, die sich laut<br />
Titel mit „Armut“<br />
befassen“ 37<br />
Lebenslagenansatz 16 8<br />
Einkommensbasierte Ansätze 7 6<br />
Dynamischer Ansatz 1 1<br />
Sozialraumanalyse 2 2<br />
Indexbildung 2 5<br />
Sonstiger theoretischer Anspruch 3 3<br />
Praktischer Anspruch 5 12<br />
Nicht nachvollziehbar 1 1<br />
Keine Angaben 0 4<br />
Summe der Berichte 30 38<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Sozialberichte 38<br />
Die meisten Berichte, insbesondere die Armutsberichte, beginnen mit einer mehr oder<br />
weniger ausführlichen Einführung in die Armuts- oder Ungleichheitsforschung. Häufig<br />
folgt eine allgemeine Erörterung <strong>und</strong> Abhandlung gängiger Armutskonzeptionen,<br />
mindestens aber eine Definition <strong>und</strong> ggf. auch Diskussion des Armutsbegriffs. Auffällig<br />
ist, dass insbesondere die Armutsberichte besonders häufig von externen (Forschungs-<br />
)Institutionen erstellt bzw. an diese delegiert werden. Im Unterschied zu Sozialberichten<br />
werden sie sehr viel seltener von der Verwaltung oder der Sozialplanung selbst<br />
durchgeführt (Tab. 7). Das mag einer der Gründe sein, weshalb die Armutsberichte<br />
mehr theoretisches Hintergr<strong>und</strong>wissen einflechten. Viele der Armutsberichte führen<br />
sehr wortreich <strong>und</strong> umfassend in den Stand der Armutsforschung ein. In vielen Fällen<br />
scheint es jedoch zwischen dem theoretischen Vorspann <strong>und</strong> dem empirischen<br />
Hauptteil keine Verbindung zu geben. Auffällig ist, dass die Komplexität des<br />
Armutsbegriffs meist sehr schnell reduziert, aber die Vorgehensweise zur Reduktion<br />
37 Alle Berichte, die im Titel den Begriff „Armut“ verwenden, auch wenn es faktisch nur Sozialhilfeberichte<br />
sind, auch kombinierte Berichte, aber NICHT Zielgruppenberichte oder Landkreis- <strong>und</strong> Stadtteilberichte.<br />
38 Alle Sozialberichte, auch kombinierte Berichte, aber keine reinen Sozialhilfeberichte,<br />
Zielgruppenberichte, Landkreisberichte oder Stadtteilberichte.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 48<br />
<strong>und</strong> Operationalisierung im Weiteren nicht begründet wird. Auch auf die eingangs<br />
genannten Konzeptionen wird häufig nicht mehr Bezug genommen. Exemplarisch<br />
hierfür steht der von einer externen Institution erstellte Münchener Armutsbericht<br />
(München 2000). Im Anschluss an die mehrseitige Darstellung des Stands der<br />
Armutsforschung geht der Bericht in der Beschreibung von Zielsetzung <strong>und</strong><br />
Vorgehensweise auf k<strong>eines</strong> der eingangs genannten Konzepte mehr ein, sondern<br />
formuliert allgemeine Ziele wie: „Umfang des Armutspotentials bestimmen”, “Struktur<br />
<strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong> von Bevölkerungsgruppen, die durch ihre wirtschaftliche Situation<br />
marginalisiert werden” aufzeigen sowie “Konzentration von Armen in Teilräumen der<br />
Stadt, die einen besonderen sozialpolitischen Handlungsbedarf signalisieren” darstellen<br />
(München 2000: 19).<br />
Tab. 7:<br />
Anzahl verfügbarer kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte nach<br />
institutioneller Einbindung der AutorInnen<br />
Erstellung der Berichte durch … Berichte, die sich laut Titel<br />
mit „Armut“ befassen“ 39<br />
externe Institutionen 14 3<br />
Verwaltung, Sozialplanung, Ämter 8 28<br />
Kombination aus beidem 7 7<br />
Summe 30 38<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Sozialberichte 40<br />
Nur wenige Armutsberichte gehen direkt – also theorie- <strong>und</strong> konzeptionsfrei – in medias<br />
res. Hierzu zählt z.B. der Stuttgarter Armutsbericht, bei dem es sich faktisch um einen<br />
kombinierten Bericht handelt (Sozialhilfebericht mit Thematisierung der Dimension<br />
Erwerbslosigkeit auf Basis der Volkszählung). Der Bericht nennt sich: “Strukturen der<br />
räumlichen Armut” (Stuttgart 1990b), definiert jedoch nicht ein einziges Mal den Begriff<br />
Armut, um schließlich ohne Begründung zur teilräumlichen Erfassung der<br />
SozialhilfeempfängerInnen überzugehen. Der Kieler Armutsbericht verwendet im<br />
Ergebnisteil einen theoriegeleiteten Begriff, der eingangs nicht erörtert <strong>und</strong> dessen zu<br />
39 Alle Berichte, die im Titel den Begriff „Armut“ verwenden, auch wenn es faktisch nur Sozialhilfeberichte<br />
sind, auch kombinierte Berichte, aber NICHT Zielgruppenberichte oder Landkreis- <strong>und</strong> Stadtteilberichte.<br />
40 Alle Sozialberichte, auch kombinierte Berichte, aber keine reinen Sozialhilfeberichte,<br />
Zielgruppenberichte, Landkreisberichte oder Stadtteilberichte.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 49<br />
Gr<strong>und</strong>e liegendes Armutsverständnis nicht thematisiert wird. „Materielle Ausgrenzung“<br />
wird operationalisiert mittels Arbeitslosengeld <strong>und</strong> Arbeitslosenhilfe (Kiel 1998: 14).<br />
Die Sozialberichterstattung erlaubt es sich im Unterschied zur Armutsberichterstattung,<br />
häufiger direkt zum Thema zu kommen ohne konzeptionelles Vorwort oder einleitende<br />
Begründung zur Daten- <strong>und</strong> Indikatorenauswahl. Der Regensburger Sozialatlas z.B. ist<br />
ein r<strong>eines</strong> Tabellenwerk fast ohne Text <strong>und</strong> ohne Begründung der Indikatorenwahl oder<br />
Erläuterung der Zusammenhänge. Im Wesentlichen handelt es sich um eine<br />
kleinräumige Darstellung – wonach auch immer – ausgewählter Themen, kombiniert mit<br />
einem Kapitel über Jugendhilfe (Pflegekinder, Jugendgerichtshilfe,<br />
Fremdunterbringungen etc.) (Regensburg 1989). Auch der Magdeburger (2002) <strong>und</strong> der<br />
Erfurter (2001, 2002) Sozialbericht eröffnen ihre Berichte direkt mit Kapiteln über die<br />
demografische <strong>Entwicklung</strong>.<br />
Schließlich existieren auch Berichte, die in ihren Ansprüchen eher bescheiden sind,<br />
diese dafür aber voll umsetzen. Die Marburger Sozialberichterstattung begreift sich als<br />
Sozialhilfeberichterstattung. Sie formuliert es so <strong>und</strong> setzt es um. Etwaige Alternativen<br />
werden angedacht, aber verworfen: Relative Einkommensarmutsansätze “oder gar<br />
Lebenslagenmodelle <strong>und</strong> Deprivationsansätze konnten hier nicht verfolgt werden”<br />
(Marburg 2000: iii). “Der Bericht konzentriert sich bewusst auf eine umfängliche<br />
Darstellung des Soziahilfebezugs” (Marburg 2000: iv). Eine Begründung dafür wird nicht<br />
geliefert. Im empirischen Teil folgt die Auswertung des Sozialhilfebezugs nach<br />
verschiedenen Merkmalen <strong>und</strong> Stadtteilen. Auch der Bielefelder Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialbericht formuliert nicht ausdrücklich, dass er den Lebenslagenansatz anstrebt,<br />
setzt ihn aber um, indem er „spezifische soziale Problembereiche in Bielefeld“ (Bielefeld<br />
2001: 4) beschreibt. Bei der Darstellung von Armut beleuchtet der Bericht 10<br />
verschiedene Themenberichte <strong>und</strong> Lebenslagendimensionen. Damit ist er als<br />
vergleichsweise umfangreich <strong>und</strong> mehrdimensional einzustufen, auch wenn er in seinen<br />
konzeptionellen Ansprüchen praktische Ziele formuliert.<br />
Für die Beurteilung der Umsetzung des selbstformulierten Anspruchs kann in einem<br />
ersten Schritt zunächst ein Blick auf die Anzahl, Auswahl <strong>und</strong> Kombination der<br />
betrachteten Inhalte bzw. Lebenslagendimensionen erste Hinweise geben. Folgende<br />
Lebenslagendimensionen bzw. Themen können unterschieden werden:
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 50<br />
1. Angaben zur demografischen Situation <strong>und</strong> Bevölkerung allgemein: Der Bereich<br />
Demografie ist zwar nicht als eigenständige Lebenslagendimension anzusehen,<br />
aber demografische Gr<strong>und</strong>daten sind zum Verständnis der sozialen Lage einer<br />
Kommune unerlässlich (vgl. Kap. 6.2.1.);<br />
2. Hinweise zur Finanzsituation: Innerhalb dieses Themas kann noch einmal<br />
differenziert werden in Transfereinkommen (Sozialhilfebezug <strong>und</strong> Wohngeldbezug),<br />
Überblick über Einkommensarten allgemein, Vermögen <strong>und</strong> Schulden;<br />
3. Betrachtung nicht-materieller Lebenslagendimensionen wie Wohnen, Bildung,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Kriminalität;<br />
4. Teilhabe am gesellschaftlichen Leben;<br />
5. Der Bereich Arbeit kann sowohl im Rahmen gesellschaftlicher Teilhabe, als auch im<br />
Kontext der finanziellen Situation diskutiert werden.<br />
Insgesamt werden also 12 Bereiche unterschieden (im Folgenden Dimensionen<br />
genannt). Der Bereich soziale Infrastruktur wird nicht als eigenständiger Bereich<br />
analysiert, sondern jeweils im Zusammenhang mit den Dimensionen betrachtet.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 51<br />
Abb. 2:<br />
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zu erstellen.<br />
Am häufigsten in den Berichten vertreten sind die Themen bzw.<br />
Lebenslagendimensionen Sozialhilfe (in 92 der 103 Berichte 41 ), Arbeit(slosigkeit) (in 72<br />
Berichten) <strong>und</strong> Wohnen (in 59 Berichten). Daten zur Demografie finden sich in weniger<br />
als der Hälfte der Berichte, nämlich in 57 Berichten. Mit Ausnahme des Bereichs<br />
Wohnen spielen die nicht-materiellen Lebenslagendimensionen Bildung <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit in weniger als einem Drittel der Berichte eine Rolle. Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />
Bildung werden in 38 Berichten dargestellt. Wohngeldbezug als Transfereinkommen<br />
wird in 36 Berichten abgebildet. Angaben zum Einkommen machen 29 Berichte. Eher<br />
selten finden sich Informationen zu den Lebenslagen Schulden (in 17 Berichten),<br />
Kriminalität (in 16 Berichten), Partizipation (in 11 Berichten) <strong>und</strong> Vermögen (in 7<br />
Berichten).<br />
41 Die Gesamtzahl der Berichte ist hier 103 <strong>und</strong> nicht 108, da Teilberichte, die sich zu einem<br />
Gesamtbericht zusammenfügen, als ein Bericht betrachtet wurden. Das betraf die Berichte<br />
Frankfurt/Main 2000a-b, 2001a-b <strong>und</strong> 2002 sowie Köln 1998a-b.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 52<br />
Abb. 3:<br />
Anzahl der Berichte<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Sozialhilfe<br />
92<br />
Arbeit<br />
elle: Eigene Darstellung<br />
72<br />
In den Berichten vertretene Themen/<br />
Lebenslagendimensionen<br />
Wohnen<br />
59 57<br />
Demographie<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
38 38 36<br />
Bildung<br />
Wohngeld<br />
Einkommen<br />
29<br />
Schulden<br />
Thema/ Lebenslagendimension<br />
17 16<br />
Kriminalität<br />
Partizipation<br />
11<br />
Vermögen<br />
Die Darstellung der Finanzsituation läuft im Wesentlichen über die Abbildung der<br />
Transferleistungen, primär des Sozialhilfe- <strong>und</strong> Wohngeldbezugs. Auch<br />
Erwerbslosigkeit wird überwiegend im Kontext der finanziellen Situation <strong>und</strong> weniger<br />
unter dem Gesichtspunkt gesellschaftlicher Teilhabe diskutiert. Obwohl das Einkommen<br />
in vielen Berichten als der zentrale Einflussfaktor für die soziale Lage angesehen wird,<br />
realisieren etwa nur ein Viertel der Berichte die Abbildung des Erwerbseinkommens.<br />
Schulden <strong>und</strong> Vermögen als weitere wesentliche Indikatoren zur Beurteilung der<br />
finanziellen Lage spielen eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.<br />
7<br />
Qu
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 53<br />
Abb. 4:<br />
Anzahl der Berichte<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
In den Berichten vertretene Indikatoren zur Finanzsituation<br />
92<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
36<br />
29<br />
Sozialhilfe Wohngeld Einkommen<br />
Indikator<br />
Schulden Vermögen<br />
Untersucht man die Mehrdimensionalität <strong>und</strong> Themenvielfalt der Berichte, zeigt sich<br />
eine außerordentliche Spanne. Zwischen null <strong>und</strong> zehn Dimensionen werden<br />
einbezogen, wobei ein Großteil der Berichte sich auf vier Dimensionen konzentriert (16<br />
Berichte). Zu den Berichten, die quasi dimensionsfrei sind, zählen: Braunschweig 1998,<br />
der sich als reiner Leistungsbericht erweist, Frankfurt 1992, der lediglich ein Plädoyer<br />
für eine unabhängige, kommunale Armutsberichterstattung sein will, Mannheim 2003b,<br />
der sich als eine Synopse der bis dato vorgelegten Stadtteilberichte versteht, <strong>und</strong><br />
Wiesbaden 2001, in dem es um den Aufbau <strong>eines</strong> Monitoringsystems geht. 14 Berichte<br />
bilden nur eine Lebenslagendimension ab. Dabei handelt es sich entweder um reine<br />
Sozialhilfeberichte 42 oder um spezielle Themenberichte bzw. Zielgruppenberichte 43 .<br />
Jeweils zehn Berichte stützen sich auf zwei bzw. drei oder acht Dimensionen. Fünf<br />
Lebenslagendimensionen bilden immerhin dreizehn Berichte ab, neun Berichte wählen<br />
sechs Lebenslagendimensionen <strong>und</strong> elf Berichte sogar sieben<br />
42 Aschaffenburg 1999, Berlin 2003b, Essen 1999a, Hamburg 1993, Nürnberg 1992, Offenbach 2000,<br />
Offenbach 2001, Potsdam 1997, Potsdam 1999, Wiesbaden 2002a<br />
43 Bielefeld 2003, Essen 1997 a, Mainz 1996, Potsdam 1998<br />
17<br />
7
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 54<br />
Lebenslagendimensionen (vgl. Abb. 5). Zehn Lebenslagendimensionen weisen<br />
schließlich nur vier Berichte auf (Bielefeld 2001, Gelsenkirchen 2001, Gießen 2002 <strong>und</strong><br />
Stuttgart 2002 44 ).<br />
Abb. 5:<br />
Anzahl der Berichte<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
4<br />
Anzahl der in den Berichten vertretenen Dimensionen<br />
14<br />
10 10<br />
16<br />
13<br />
null eine zwei drei vier fünf sechs sieben acht neun zehn<br />
Anzahl der Themen/ Lebenslagendimensionen<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Fazit: Begreift man Mehrdimensionalität bereits als erfolgreiche Umsetzung des<br />
Lebenslagenansatzes <strong>und</strong> unterstellt, dass diejenigen Berichte, die (transfer-)einkommensbasierte<br />
Konzepte formulieren oder praktisch-sozialplanerische Ziele bzw.<br />
keine Ziele verfolgen, diese auch umsetzen oder erreichen, wird die überwiegende<br />
Mehrzahl der Berichte, nämlich 93, ihrem selbst formulierten Anspruch tatsächlich<br />
gerecht. Die gängigsten Lebenslagen- <strong>und</strong> Themenkombinationen sind Sozialhilfe,<br />
Arbeit(slosigkeit) sowie Wohnen <strong>und</strong> zwar unabhängig davon, ob es sich um einen<br />
Armuts- oder Sozialbericht handelt. Ergänzend variieren wahlweise<br />
Demografie/Bevölkerungsstruktur bzw. Bildung oder Ges<strong>und</strong>heit. Auffällig ist, dass die<br />
Themenauswahl <strong>und</strong> Lebenslagenkombination NICHT im Zusammenhang mit dem<br />
konzeptionellen Anspruch oder dem Titel des Berichts zu stehen scheinen.<br />
44<br />
Der Stuttgarter Bericht 2002 greift allerdings bei 9 der 10 Lebenslagendimensionen auf Daten<br />
qualitativer Interviews zurück.<br />
9<br />
11<br />
10<br />
0<br />
10
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 55<br />
Konzeptionelle Ansprüche, Titelgebung <strong>und</strong> Lebenslagenauswahl sowie<br />
Mehrdimensionalität scheinen beliebig verteilt zu sein. Das bedeutet, dass die<br />
Entscheidung über die Einbeziehung des Themas Sozialhilfe, Bildung oder Ges<strong>und</strong>heit<br />
offenbar nicht vor dem Hintergr<strong>und</strong> des konzeptionellen Anspruchs oder Titels getroffen<br />
wird, sondern von anderen Faktoren abhängt. Welche anderen Faktoren das sein<br />
können, kommt insbesondere in den 15 Berichten zum Ausdruck, die einen<br />
Zusammenhang zwischen selbst formuliertem, konzeptionellen Anspruch <strong>und</strong><br />
anschließender Nicht-Umsetzung herstellen <strong>und</strong> begründen. Hierzu werden zehn<br />
Fallbeispiele skizziert:<br />
Beispiel 1: Der Aachener Armutsbericht (1992) spricht im Vorwort von der<br />
Notwendigkeit einer <strong>lebenslagen</strong><strong>bezogenen</strong> Darstellung von Armut (S. 6). Erfasst wird<br />
dann lediglich die Einkommensarmut (S. 24), was auf pragmatische Gründe <strong>und</strong> das<br />
verfügbare Datenmaterial zurückgeführt wird (S. 26).<br />
Beispiel 2: In der Einleitung hebt der Darmstädter Armutsbericht (1995) hervor, dass<br />
eine Abbildung von Armut gemäß dem Lebenslagenansatz für notwendig erachtet wird<br />
(S. 3). Inhaltlich beschränkt sich der Bericht auf die Abbildung von Sozialhilfe <strong>und</strong> das<br />
Themenfeld Wohnen. Begründet wird das Vorgehen damit, dass „die differenzierten<br />
Problemfelder von Armutsberichterstattung (...) im Rahmen der (...) zugänglichen Daten<br />
<strong>und</strong> Ressourcen methodisch nicht befriedigend zu bearbeiten [sind]“ (S. 5). Daher wird<br />
ein „pragmatischer Ansatz“ gewählt (S 5). Es standen keine finanziellen Ressourcen für<br />
weitere Auswertungen zur Verfügung (S. 4). Dafür versucht der Bericht, einige weitere<br />
Lebenslagendimensionen anhand von Fallbeispielen darzustellen (Kapitel 2).<br />
Beispiel 3: Der Düsseldorf Armutsbericht (2002) zielt auf die Gruppe der Kinder <strong>und</strong><br />
Jugendlichen ab. Weil sich relative Einkommensarmut aufgr<strong>und</strong> mangelnder Daten über<br />
das Einkommen von Familien mit Kindern nur sehr beschränkt abbilden lässt (lediglich<br />
für das untere Ende der Einkommensskala, nämlich die Sozialhilfe- <strong>und</strong> Wohngeldfälle)<br />
(S. 6), werden stattdessen „die unterschiedliche Teilhabe <strong>und</strong> Zugangsmöglichkeiten an<br />
weiteren knappen Gütern“ (S. 7) dargestellt: Bildung, Ges<strong>und</strong>heit, Erziehung, Wohnen<br />
<strong>und</strong> Freizeit.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 56<br />
Beispiel 4: Der erste Frankfurter Sozialbericht (1997) erhebt für sich den Anspruch,<br />
relative Einkommensarmut bzw. Unterversorgung <strong>und</strong> relativen Reichtum in den<br />
Feldern Einkommen, Erwerbsarbeit, Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> sozialräumliche<br />
Segregation abzubilden. Die untersuchten Felder werden als diejenigen Dimensionen<br />
angesehen, in denen die „Teilhabe an einem allgemein akzeptierten minimalen<br />
Lebensstandard“ gefährdet sein kann (S. 24). Bei der Erläuterung des<br />
Untersuchungskonzeptes wird angemerkt, dass der Zusammenhang von Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>und</strong> sozialer Lage in diesem Bericht nicht dargestellt werden kann (S. 24); eine explizite<br />
Begründung dafür liefert der Bericht jedoch nicht. Ferner gelingt es dem Bericht nicht,<br />
Unterversorgung <strong>und</strong> Reichtum gegenüberzustellen.<br />
Beispiel 5: Der 1993er Armutsbericht der Universitätsstadt Gießen legt in Kapitel II<br />
ausführlich die verschiedenen Definitionen des Armutsbegriffs <strong>und</strong> die<br />
unterschiedlichen Konzepte zur Operationalisierung dar. Die Autoren des Berichts legen<br />
sich auf den Lebenslagenansatz fest <strong>und</strong> konkretisieren theoretisch die<br />
Lebenslagenbereiche Arbeit, Aus-/Bildung, Ernährung, Ges<strong>und</strong>heit/Erholung,<br />
Kleidung/Gebrauchsgegenstände, politische Partizipation, soziale Partizipation, Umwelt<br />
<strong>und</strong> Wohnen/Infrastruktur (S. 20f.). In darauf folgenden Datenteil werden jedoch<br />
lediglich Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozialhilfe abgebildet. Eine Begründung dafür liefern die<br />
Autoren nicht. Weil er nur zwei Lebenslagebereiche darstellt, ist dieser Bericht den<br />
„kombinierten Berichten“ zuzurechnen.<br />
Beispiel 6: Obwohl der Gießener Armutsbericht (2002) die Lebenslagenbereiche<br />
Finanzsituation (inkl. Transfereinkommen wie Sozialhilfe oder Wohngeld sowie Ver- <strong>und</strong><br />
Überschuldung), Erwerbsarbeit, Bildung, Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Partizipation<br />
aufgreift <strong>und</strong> mit Daten untermauert, kritisiert das AutorInnenteam, dass die einzelnen<br />
Lebenslagendimensionen „nicht nebeneinander, sondern nur im Zusammenhang,<br />
günstigenfalls im Haushaltszusammenhang interpretiert werden“ (S. 10) sollten <strong>und</strong> sich<br />
daher die Umsetzung des Lebenslagenansatzes empirisch aufwendig gestaltet, es sei<br />
denn, es könne eine quantitative Primärerhebung vorgenommen werden, „was im<br />
Rahmen des vorliegenden Finanzbudgets zur Erstellung <strong>eines</strong> Gießener Armutsberichts<br />
jedoch nicht möglich war“ (S. 10).
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 57<br />
Beispiel 7: Der Kölner Bericht (1998b) über Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Hilfen bei Krankheit gehört<br />
zu einer mehrbändigen Reihe der Kölner Sozialberichterstattung. Der Bericht verfolgt<br />
kein theoretisches Konzept, sondern praktische Ziele. Dem AutorInnenteam gelingt es,<br />
das Thema Ges<strong>und</strong>heit inhaltlich breit zu beleuchten <strong>und</strong> es versucht, Verknüpfungen<br />
zum Thema Wohnen herzustellen. Selbstkritisch werden aber die Validität der Daten<br />
<strong>und</strong> insbesondere auch die fehlende Verknüpfung zwischen Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />
Sozialdaten bemängelt (S. 8 ff.).<br />
Beispiel 8: Der Nürnberger Armutsbericht (1992) verfolgt primär praktische Ziele <strong>und</strong><br />
will kleinräumig Datenmaterial zum Thema Sozialhilfe, Wohngeld <strong>und</strong><br />
Arbeitsamtsleistungen sowie die Einkommensverteilung auswerten. Bemängelt wird<br />
allerdings die Nicht-Verfügbarkeit kleinräumiger Daten.<br />
Beispiel 9: „Soziale Problemlagen in Speyer“ (2000) heißt der erste Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialbericht Speyers. Der Lebenslagenansatz wird als überzeugend eingestuft. „In der<br />
Praxis stellen methodischer Aufwand <strong>und</strong> fehlende Datenbasis jedoch erhebliche<br />
Probleme dar“ (S. 10). Daher haben sich der Sozial- <strong>und</strong> Jugendhilfeausschuss auf ein<br />
pragmatisches Vorgehen geeinigt <strong>und</strong> beschränken sich auf „erfasste (bzw.<br />
„bekämpfte“) Armut mit einem vorläufigen Schwerpunkt auf Einkommensarmut<br />
(Ressourcenansatz)“ (S. 10, Anführungsstriche <strong>und</strong> Klammersetzung im Original).<br />
Beispiel 10: Der Bericht über die „<strong>Entwicklung</strong> der Armut in Kiel“ (1998) betont<br />
ausdrücklich, dass eine Vielzahl von Indikatoren bestimmend für das Maß an sozialer<br />
Teilhabe seien, wie z.B. „Arbeit <strong>und</strong> Beschäftigung, schulische <strong>und</strong> berufliche<br />
Qualifikation, Wohnverhältnisse, Familienstruktur, soziale Beziehungen, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Zugang zu öffentlichen Einrichtungen <strong>und</strong> Dienstleistungsangeboten“ (Kiel 1998: 4).<br />
Faktisch bildet der Bericht schließlich die Bereiche Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozialhilfe ab.<br />
Begründung: „Die erforderlichen Gr<strong>und</strong>lagen hierzu [zur Abbildung sozialer Teilhabe]<br />
fehlen jedoch augenblicklich noch“ (Kiel 1998: 4).<br />
Zu unterscheiden sind zusammenfassend folgende Gründe für die Nichtumsetzung<br />
selbstgesetzter konzeptioneller Ansprüche (Mehrfachnennungen möglich):
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 58<br />
• mangelnde Datenverfügbarkeit (10 Nennungen),<br />
• pragmatisches Vorgehen (3 Nennungen),<br />
• ungenügende (monetäre/personelle/zeitliche) Ressourcen (2 Nennungen),<br />
• Fehlen kleinräumiger Daten (1 Nennung),<br />
• mangelnde Gr<strong>und</strong>lagenforschung (1 Nennung),<br />
• keine Angaben <strong>und</strong> kommentarlose Nichtumsetzung (3 Nennungen).<br />
Fazit: Das Gros der Berichte ist reich <strong>und</strong> vielfältig an konzeptionellen Vorworten <strong>und</strong><br />
Einführungen, aber relativ heterogen in der empirischen Umsetzung. Ein<br />
Zusammenhang zwischen Konzept <strong>und</strong> Umsetzung ist kaum erkennbar. Armutsberichte<br />
sind in der Tendenz konzeptionell vielfältiger, Sozialberichte tendenziell<br />
konzeptionsloser. Die mangelnde Datenverfügbarkeit als Hauptursache für nicht<br />
umsetzbare Ansprüche ist Thema im Kapitel 6.<br />
5.4.5. Berichte, „die aus der Reihe tanzen“: Regionale Besonderheiten<br />
• Prinzipielle Vorgehensweisen in der Berichterstattung lassen sich drei<br />
unterschiedlichen Typen zuordnen:<br />
• die Statistiker,<br />
• die subjektorientierten Empiriker,<br />
• die Pragmatiker.<br />
Die Statistiker präferieren harte Fakten <strong>und</strong> greifen ausschließlich auf Daten zurück,<br />
die objektiv, reliabel <strong>und</strong> valide sind. Die Einbeziehung sogenannter weicher Daten aus<br />
Befragungen <strong>und</strong> Einschätzungen von ExpertInnen <strong>und</strong> Betroffenen lehnen sie ab, weil<br />
die jeweiligen Beurteilungsmaßstäbe unklar <strong>und</strong> uneinheitlich sind 45 . Was zählt, sind<br />
Quantitäten, ein hoher Grad an Objektivität, Messbarkeiten <strong>und</strong><br />
Korrelationskoeffizienten.<br />
Die subjektorientierten Empiriker gehen den umgekehrten Weg. Gerade die<br />
subjektiven Innensichten <strong>und</strong> Wahrnehmungen von Betroffenen oder ExpertInnen sind<br />
45 Aus diesem Gr<strong>und</strong> hat der Frankfurter Sozialbericht (2002b) darauf verzichtet, Daten über Beratungen<br />
<strong>und</strong> Leistungen der Jugendhilfe als Indikator für die Häufigkeit von Problemen einzubeziehen. „So<br />
gibt es vermutlich von Sozialrathaus zu Sozialrathaus <strong>und</strong> Mitarbeiter zu Mitarbeiter unterschiedliche<br />
Maßstäbe über die Schwere <strong>eines</strong> Falles <strong>und</strong> die Notwendigkeit bestimmter Hilfen“ (Frankfurt 2002b:<br />
34).
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 59<br />
von Interesse, weil sie authentisch <strong>und</strong> realitätsnah statt akademisch abgehoben <strong>und</strong><br />
weltfremd sind. Was zählt, sind Ansichten, Meinungen <strong>und</strong> Selbsteinstufungen oder<br />
professionelle Fremdwahrnehmungen.<br />
Die Pragmatiker repräsentieren den Mainstream <strong>und</strong> den Mittelweg. Sie greifen auf<br />
das zurück, was leicht zugänglich ist. Einbezogen werden vor allem verwaltungsinterne<br />
Prozessdaten sowie ggf. weitere zur Verfügung stehende Informationen wie<br />
Broschüren, andere Berichte, Statistiken freier Träger oder Fallbeispiele. Was zählt,<br />
sind Verfügbarkeit, geringer Aufwand <strong>und</strong> Pragmatismus.<br />
Von Interesse sind im Folgenden die Berichte, die in ihrem empirischen oder<br />
statistischen Vorgehen aus dem Rahmen fallen, also die subjektorientierten Empiriker<br />
<strong>und</strong> Statistiker.<br />
Zu den Statistikern zählt der Westberliner Sozialstrukturatlas (1990). Bereits das<br />
Inhaltsverzeichnis liest sich wie ein Statistikhandbuch.<br />
Auszug aus dem Inhaltsverzeichnis des Sozialstrukturatlanten Berlin (1990):<br />
„5. Räumliche Ergebnispräsentation<br />
5.1. Bezirksanalyse<br />
5.1.1. Sozialindex<br />
5.1.2. Statusindex<br />
5.1.3. Demografieindex<br />
…<br />
6. Räumliche Ergebnispräsentation der Schichtungsanalyse<br />
6.1. Verteilung für Berlin (West)<br />
6.1.1. Ergebnis der Schichtungsanalyse für den Sozialindex<br />
6.1.2. Ergebnis der Schichtungsanalyse für den Statusindex<br />
6.1.3. Ergebnis der Schichtungsanalyse für den Demografieindex“<br />
(Berlin 1990: Inhaltsverzeichnis)<br />
Auch einer der Nachfolgeberichte (Berlin 2004) zeichnet sich durch statistischanalytische<br />
Raffinesse aus. Abgebildet wird die Sozialstruktur der Berliner Bevölkerung
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 60<br />
anhand <strong>eines</strong> aus 25 Variablen zusammengesetzten Sozialindex. Der Rückgriff auf die<br />
Faktoranalyse als multivariate Analysemethode ermöglicht den statistischen Nachweis<br />
komplexer Zusammenhänge wie z.B. zwischen Kinderges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit,<br />
Sozialstruktur <strong>und</strong> Lebenserwartung, Infektionsschutz <strong>und</strong> Sozialstruktur,<br />
Einsatzhäufigkeit von Notfallrettungswagen <strong>und</strong> Sozialstruktur sowie<br />
Äquivalenzeinkommen <strong>und</strong> Bezirk. Auch schichtspezifische Wanderungsmuster sind<br />
auswertbar. Der Bericht braucht sich im Unterschied zu den Berichten des Typs<br />
„Pragmatiker“ nicht auf Theoriewissen überregional durchgeführter Studien zu stützen,<br />
sondern kann äußerst komplexe Zusammenhänge direkt vor Ort belegen. Möglich wird<br />
das durch eine komfortable Datenlage einerseits (regionalisierter Mikrozensus,<br />
Zusatzbefragungen bei Schuleingangsuntersuchungen etc.) <strong>und</strong> statistische Methoden<br />
andererseits. Die Statistiker unter den Berichten sind die einzigen, die es zu Wege<br />
bringen, sich von den versäulten, vertikalen <strong>und</strong> unvernetzten Prozessdaten zu lösen<br />
<strong>und</strong> Wechselwirkungen innerhalb von Lebenslagendimensionen <strong>und</strong> ihre<br />
Zusammenhänge aufzuzeigen.<br />
Ebenfalls aus dem Rahmen fallen die Berichte der subjektorientierten Empiriker, die<br />
einen gänzlich andern Weg gehen. Sie greifen sich diejenigen Gruppen heraus, von<br />
denen sie annehmen, dass sie ihre Zielgruppe repräsentieren <strong>und</strong> befragen sie selbst.<br />
Folgende Umfrageformen fungieren als Datengr<strong>und</strong>lage in der kommunalen<br />
Berichterstattung:<br />
1. K<strong>und</strong>en- oder MitarbeiterInnen-Umfragen (z.B. Bremen 1992, Düsseldorf 1999):<br />
Befragt werden sowohl die K<strong>und</strong>Innen, als auch die so genannten<br />
LeistungserbringerInnen über die Zufriedenheit mit dem Arbeitsablauf, die Stärken<br />
<strong>und</strong> Schwächen der Leistungserbringung, die Zufriedenheit der KollegInnen mit<br />
ihren Vorgesetzten etc. Ziel ist die interne Reflexion <strong>und</strong> Selbstevaluation der<br />
Qualität <strong>und</strong> Quantität der Leistungserstellung durch die K<strong>und</strong>Innen (Potsdam<br />
1997b: 7) <strong>und</strong> die Beschäftigten.<br />
2. Berichte oder Befragungen von beruflichen HelferInnen, Initiativen <strong>und</strong> Verbänden,<br />
Einrichtungen, Behörden über ihre Einschätzung zur Situation der<br />
Armutsbetroffenen (z.B. Düsseldorf 1999)
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 61<br />
3. Repräsentative BürgerInnenumfragen (z.B. Gütersloh 1998, München 2002): Befragt<br />
wird nach einem ausgesuchten Verteilungsschlüssel ein verkleinertes,<br />
repräsentatives Abbild der Gesamtbevölkerung.<br />
4. Repräsentative Umfragen unter ausgewählten LeistungsempfängerInnen oder<br />
NutzerInnen sozialer Einrichtungen (z.B. Leipzig 1999): Sie repräsentieren eine<br />
bestimmte Zielgruppe, wie z.B. die Befragung von WohngeldempfängerInnen<br />
(Zielgruppe: Haushalte in finanziell prekären Lebenssituationen) oder Befragungen<br />
von Arbeitsloseninitiativen (Zielgruppe: Jugendliche Erwerbslose).<br />
5. Qualitative Betroffeneninterviews <strong>und</strong> Fallbeispiele (z.B. Bremen 1992, Düsseldorf<br />
1999, Gießen 2002): Die Kontaktherstellung zu den Befragten wird häufig über<br />
berufliche HelferInnen hergestellt.<br />
Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass alle Informationen abgefragt werden können,<br />
die von Interesse sind <strong>und</strong> zwar direkt <strong>und</strong> unverfälscht aus erster Hand. Befragt<br />
werden diejenigen, die es betrifft, die sich auskennen oder die eine bestimmte<br />
Zielgruppe repräsentieren. Datengr<strong>und</strong>lage ist also keine Sek<strong>und</strong>äranalyse sondern<br />
eine Primärerhebung, die meist explizit für genau den Zweck der Berichterstattung<br />
durchgeführt wird. Als alleinige Datengr<strong>und</strong>lage der Berichterstattung, wie z.B. beim<br />
Gütersloher Familien- <strong>und</strong> Sozialbericht (1998), fungieren die Umfragen eher selten.<br />
Häufig werden die Befragungsergebnisse mit weiteren Informationen kombiniert <strong>und</strong><br />
ergänzend zu den Prozessdaten ausgewertet. Nachteil eigener Erhebungen sind die<br />
Kosten <strong>und</strong> die inhaltliche wie methodische Unvergleichbarkeit. Die aufgeführten<br />
Befragungen erfolgten gr<strong>und</strong>sätzlich durch externe Forschungsinstitute 46 oder in<br />
Kooperation mit ihnen. Regelmäßige Befragungen sind aus verwaltungsinternen<br />
Ressourcen weder personell noch finanziell zu bewerkstelligen <strong>und</strong> auch die Delegation<br />
an externe Institutionen ist aus Kostengründen keine Dauerlösung. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
tanzen die subjektorientierten Empiriker unter den Berichten „aus der Reihe“, denn<br />
häufig bleibt es bei einer einmaligen Studie, die nicht wiederholt wird <strong>und</strong> daher mit<br />
46 Folgende Forschungsinstitute oder Lehrstühle waren beispielsweise beteiligt: Bremen 1992:<br />
Gesellschaft für innovative Sozialforschung <strong>und</strong> Sozialplanung e.V., Leipzig 1999: Zentrum für Arbeits-<br />
<strong>und</strong> Organisationsforschung, Gütersloh 1998: Institut für Bevölkerungsforschung <strong>und</strong> Sozialpolitik,<br />
Universität Bielefeld, Gießen 2002: Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des Privat<strong>haushalts</strong> <strong>und</strong><br />
Familienwissenschaft, Universität Gießen.
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 62<br />
keinem Nachfolgebericht vergleichbar ist, erst recht nicht mit Berichtsergebnissen<br />
anderer Kommunen.<br />
Berichte mit eigenen Erhebungen sind stets Unikate, die die Berichtslandschaft sowohl<br />
konzeptionell als auch inhaltlich ungemein beleben. Nur sie sind in der Lage,<br />
Lebensstandard- oder Deprivationsansätze umzusetzen <strong>und</strong> subjektive<br />
Einkommensarmut abzubilden, weil sich ihnen das Problem mangelnder<br />
Datenverfügbarkeit oder Schwierigkeiten bei der Operationalisierung der Konzepte<br />
kaum stellt. Das gelingt Berichten vom Typ Pragmatiker oder Statistiker nicht. Als<br />
zukunftsfähige Standard-Methode kommunaler Sozialberichterstattung sind<br />
Primärerhebungen allerdings ungeeignet. Als ergänzendes Instrument im Rahmen von<br />
Sozialplanung <strong>und</strong> der Ermittlung konkreter Hilfebedarfe sind sie sehr hilfreich.<br />
5.4.6. Fazit<br />
Kommunale Berichte unterliegen bestimmten Trends <strong>und</strong> greifen Themen der Politik<br />
<strong>und</strong> der Wissenschaft auf (Ende der 1980er Jahre: Neue Armut, Ende der 1990er<br />
Jahre: Kinderarmut etc.). Die Hochzeit der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung ist Ende<br />
der 1990er Jahre <strong>und</strong> fällt zeitgleich in die Hochzeit des Lebenslagenansatzes.<br />
Die meisten Berichte halten, was ihr Titel verspricht. Nur wenige Armutsberichte oder<br />
Sozialberichte erweisen sich faktisch als Sozialhilfeberichte oder kombinierte Berichte,<br />
d.h. sie bemühen sich, ein mehrdimensionales Bild der Bevölkerung zu erstellen. Etwa<br />
ein Drittel aller Berichte strebt den Lebenslagenansatz an, ein Drittel formuliert primär<br />
praktisch-sozialplanerische Ansprüche, ein weiteres Drittel hat einkommensbasierte <strong>und</strong><br />
sonstige Ansprüche. Gemessen am Prinzip der Mehrdimensionalität gelingt den<br />
meisten Berichten die Umsetzung ihres Anspruchs. Armutsberichte begründen häufiger<br />
ihr Konzept, stellen den Stand der Armutsforschung dar <strong>und</strong> gehen kritisch mit<br />
Armutsdefinitionen <strong>und</strong> Begriffen um. Gegebenenfalls stellen sie auch die<br />
Schwierigkeiten der Umsetzung dar <strong>und</strong> sind insgesamt wesentlich datenkritischer <strong>und</strong><br />
selbstreflektierter. Sozialberichte gehen häufiger direkt in medias res. Auffällig ist, dass<br />
sich Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im empirischen Teil nicht voneinander unterscheiden.<br />
Dargestellt wird, was kommunale Datenverfügbarkeiten hergeben, unabhängig davon,<br />
ob die Daten in das gewünschte Konzept passen oder nicht. Insbesondere in der
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 63<br />
Armutsberichterstattung wird ein hohes Maß an Unzufriedenheit mit der kommunalen<br />
Datenlage erkennbar. An kreativen Bewältigungsstrategien mangelt es jedoch nicht.<br />
Eine Fülle von Ersatzdatenquellen <strong>und</strong> Hilfsindikatoren werden herangezogen, weil der<br />
Rückgriff auf die verfügbaren Prozessdaten als unzureichend beschrieben wird (vgl.<br />
Kap. 6.). Auffällig ist die kommentarlose Operationalisierung eingangs erörterter<br />
Konzeptionen auf die Dimensionen Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozialhilfebezug. Nur wenigen<br />
Berichten gelingt es, diese offensichtliche Diskrepanz zwischen Wunschkonzept <strong>und</strong><br />
Umsetzung offen zu legen <strong>und</strong> zu problematisieren.<br />
In allen Berichten wird das Einkommen als zentraler Einflussfaktor für die soziale Lage<br />
angesehen, weshalb die Dimension Sozialhilfebezug in 87 Prozent aller Berichte<br />
abgebildet wird. Insgesamt liegt die Variationsbreite bei den Lebenslagendimensionen<br />
zwischen Null <strong>und</strong> Zehn. Am häufigsten vertreten sind ferner die Bereiche Arbeit <strong>und</strong><br />
Wohnen. Erwerbsarbeit wird jedoch weniger als Ressource oder Teilhabe am<br />
gesellschaftlichen Leben thematisiert, sondern überwiegend als Einkommensquelle.<br />
Themenauswahl <strong>und</strong> Lebenslagenkombination stehen NICHT im Zusammenhang mit<br />
dem konzeptionellen Anspruch oder dem Titel des Berichts, sondern scheinen beliebig<br />
verteilt zu sein.<br />
Zwar ist jeder einzelne Bericht ein Unikat, doch besonders einzigartig sind die<br />
Statistiker <strong>und</strong> die subjektorientierten Empiriker unter den Berichten. Sie sind in der<br />
Lage, Lebensstandard- <strong>und</strong> Deprivationsansätze umzusetzen, ebenso wie das Konzept<br />
der subjektiven Einkommensarmut. Wie keine anderen Berichte können sie komplexe<br />
Zusammenhänge herstellen <strong>und</strong> Wechselwirkungen aufzeigen. Manche der<br />
Sozialberichte haben jedoch einen Grad der Reduktion erreicht, der mit „Armut <strong>und</strong><br />
Sozialem“ nur noch entfernt zu tun hat. Dort, wo Wissenschaft <strong>und</strong> Berichterstattung nur<br />
noch Formeln <strong>und</strong> Statistiken zu bieten haben, ist es notwendig, die reduzierte<br />
Komplexität wieder zu erhöhen <strong>und</strong> die Daten in einen schlüssigen<br />
Gesamtzusammenhang zu bringen <strong>und</strong> präzise zu interpretieren.<br />
Kontinuität <strong>und</strong> Vergleichbarkeit ermöglichen die Empiriker <strong>und</strong> die Statistiker unter den<br />
Sozialberichten nicht, weil ihre Methoden standardmäßig nicht praktizierbar sind.<br />
Vielmehr sind speziell auf die Sozialplanung abgestimmte statistische
5. Retrospektive: Kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte im Überblick 64<br />
Informationssysteme kontinuitätsfördernd, ressourcensparend <strong>und</strong> zukunftsfähig. Der<br />
Fokus im folgenden Kapitel liegt daher auf den Datenverfügbarkeiten.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 65<br />
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten<br />
Die kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung verfügt nicht über eine einheitliche<br />
<strong>und</strong> in sich geschlossene Statistik. Die entscheidenden Informationen müssen aus<br />
mehreren, sehr unterschiedlichen Quellen zusammengetragen werden. Keine der<br />
üblicherweise verwendeten Datenquellen ist originär für die kommunale Armuts- oder<br />
Sozialberichterstattung konzipiert. Dennoch sind die Einzelquellen als Datengr<strong>und</strong>lage<br />
unverzichtbar, weil sie bislang alternativlos sind <strong>und</strong> weil sie in der Zusammenschau<br />
geeignet sind, Basisinformationen über die soziale Lage der Bevölkerung bzw. der<br />
privaten Haushalte einer Kommune zu liefern.<br />
Eine systematische Darstellung verfügbarer Statistiken <strong>und</strong> Informationsquellen kann<br />
unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen.<br />
1. Aus der Perspektive der sozialen Arbeit ist es üblich <strong>und</strong> sinnvoll, Statistiken nach<br />
den AnbieterInnen sozialer Arbeit, also der Trägerstruktur, darzustellen. Hierauf<br />
wird im Unterkapitel „Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des Sozialen“ Bezug<br />
genommen.<br />
2. Eine weitere Möglichkeit ist die Systematisierung verfügbarer Statistiken nach ihrer<br />
Erhebung auf EU- oder B<strong>und</strong>esebene, Länderebene <strong>und</strong> kommunaler Ebene. Die<br />
Ausgangsfrage wäre die nach ihrer Regionalisierbarkeit auf Gemeindeebene bzw.<br />
auf Abbildbarkeit kleinerer Räume oder Sozialräume innerhalb der Gemeinde (vgl.<br />
Kap. 8.5.).<br />
3. Schließlich ist auch eine inhaltliche Gliederung denkbar, die sich an den<br />
Lebenslagen orientiert. Die Vorgehensweise besteht dann darin, Statistiken zu<br />
finden, die Auskunft über Partizipation oder Ges<strong>und</strong>heit, Wohnen oder Bildung<br />
geben.<br />
Eine erste systematische Annäherung erfolgt zunächst aus dem Blickwinkel der<br />
Empirie, also der Praxis der kommunalen Berichterstattung. Aus dieser Perspektive ist<br />
weder die Trägerschaft noch die jeweilige föderale Staatsebene von Bedeutung,<br />
sondern ein prinzipieller Überblick über die kommunale Datenverfügbarkeit 47 . Anhand<br />
ausgewählter, häufig verwendeter Statistiken wird in Kapitel 6.2. deren<br />
47 Die Trägerschaft der Datenquellen spielt insofern eine Rolle, als bei verwaltungsinterner<br />
Berichterstattung ein Zugriff auf Datenquellen öffentlicher Träger (also quasi hausinterne Statistiken)<br />
möglicherweise leichter nutzbar <strong>und</strong> zugänglich ist. Für externe Berichterstattung ist die Trägerschaft<br />
nahezu unerheblich, weil in jedem Fall die Daten von Extern rekrutiert werden müssen.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 66<br />
Abbildungskonzept anhand der Stellung des Privat<strong>haushalts</strong> geprüft <strong>und</strong> gefragt,<br />
welche Konsequenzen das für die Berichterstattung hat. Die Steckbriefe der<br />
ausgewählten Statistiken sind zugleich Gr<strong>und</strong>lage für die anschließenden Kapitel. Sie<br />
geben Antworten auf die Fragen: Welche Informationen über Armut <strong>und</strong> soziale Lagen<br />
sind den Statistiken prinzipiell entnehmbar? Welche Informationen werden<br />
standardmäßig entnommen <strong>und</strong> welche nur ausnahmsweise? Wie kleinräumig liegen<br />
die Daten vor? Welche Funktionen haben die Indikatoren <strong>und</strong> welcher planerische<br />
Nutzen kann daraus für verschiedene Fachplanungen gezogen werden?<br />
In einem nächsten Schritt stellt sich die Frage, warum genau diese Statistiken<br />
bevorzugt verwendet werden <strong>und</strong> genau zu diesen Inhalten Statistiken existieren <strong>und</strong> zu<br />
anderen nicht. Die Bevorzugung bestimmter Statistiken in der Sozialberichterstattung<br />
hängt in hohem Maße mit der Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des Sozialen zusammen.<br />
Welche Konsequenzen die Organisation des Sozialen für die Statistik <strong>und</strong> folglich für<br />
die Sozialberichterstattung hat, ist Thema in Kapitel 6.3.<br />
Nicht alle für Armuts- oder Sozialberichterstattung relevanten Informationen sind<br />
statistisch belegt. Am Beispiel von extremer Armut wie Obdachlosigkeit wird in Kap. 6.4.<br />
aufgezeigt, wie sich diese Statistikdefizite auf die Berichterstattung auswirken.<br />
Um zu vermeiden, dass Datenquellen ausschließlich nach ihren Defiziten beurteilt<br />
werden – denn keine Datenquelle gibt umfassend oder auch nur annähernd<br />
zufriedenstellend Auskunft über eine Lebenslagendimension <strong>und</strong> ihre Wechselwirkung<br />
auf andere Lebensbereiche –, wird der Fokus explizit auf die kreativen<br />
Datenergänzungen jenseits der Standardquellen gelegt (s. in Kap. 6.5.). Ziel dieses<br />
Projektes ist es schließlich auch, die Datenquellen als Ressourcen <strong>und</strong> als kommunale<br />
Datenpotentiale in den Blickpunkt zu rücken, insbesondere die bisher<br />
unausgeschöpften Möglichkeiten <strong>und</strong> kreativen Ansätze.<br />
6.1. Statistik – wozu?<br />
Zur Infrastruktur einer modernen Sozialplanung gehören (Sozial-)Statistiken. Eine<br />
Sozialstatistik ist die zahlenmäßige Erfassung <strong>und</strong> systematische Darstellung von<br />
sozialen Tatbeständen. Bevorzugte Darstellungsmethode von Armut <strong>und</strong> Sozialem in<br />
Berichten sind Statistiken, also die Darstellung sozialer Lagen <strong>und</strong> sozialer Phänomene
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 67<br />
in Zahlen <strong>und</strong> in Tabellenform. Kommunen nutzen Daten <strong>und</strong> Statistiken, um sozialen<br />
Wandel zu beobachten, soziale Infrastruktur <strong>und</strong> Einrichtungen vor Ort zu planen <strong>und</strong><br />
um sozialpolitische Interventionen zu legitimieren.<br />
Statistiken bilden soziale Phänomene ab, die häufig erst als solche anerkannt werden,<br />
wenn sie empirisch erfasst <strong>und</strong> quantitativ belegt sind (Barlösius 2001: 78). Die<br />
Aufsehen erregende Pisa-Studie ist ebenso ein Beispiel dafür wie der erste Armuts- <strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung. Wenn Armut <strong>und</strong> Ungleichheit nicht regelmäßig<br />
empirisch erfasst <strong>und</strong> beschrieben werden, treten sie nicht ins öffentliche Bewusstsein.<br />
Armutsberichte können – wie kein anderes Instrument – informieren <strong>und</strong> öffentliche<br />
Diskussionen sowie politische Auseinandersetzungen mit den Ergebnissen erzwingen<br />
(Stiefel 1986: 274). Statistiken, Ranglisten <strong>und</strong> Durchschnittszahlen machen einen<br />
enormen öffentlichen Eindruck, vom dem sich die Politik wie durch kaum ein anderes<br />
wissenschaftliches Ergebnis unter Handlungszwang gesetzt sieht (Kaube 2004: 16).<br />
Ferner haben Statistiken eine hohe symbolische Bedeutung, denn sie werden als einzig<br />
akzeptable Form von “Wissen über die soziale Welt” angesehen” (Barlösius 2001: 78).<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> rücken Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte, die mit zahlreichen Statistiken<br />
versehen sind, dicht an die Repräsentationsform amtlicher Statistik heran <strong>und</strong> werden<br />
als die einzig legitime <strong>und</strong> autorisierte Sicht der Dinge verstanden <strong>und</strong> wiedergegeben<br />
(Barlösius 2001: 78).<br />
Andererseits sind Statistiken nur eine Methode neben anderen, die Realität abzubilden<br />
<strong>und</strong> zwar in Form von Aggregaten <strong>und</strong> Durchschnitten. Dabei wird leicht außer Acht<br />
gelassen, dass bei aller statistisch-mathematischen Korrektheit jedem Durchschnitt<br />
Vorentscheidungen <strong>und</strong> Wertungen zu Gr<strong>und</strong>e liegen, aus denen sich der Durchschnitt<br />
letztlich zusammensetzt. Deswegen tragen Armuts- <strong>und</strong> SozialberichterstatterInnen<br />
eine Verantwortung für die produzierten Daten, die weit über die üblichen statistischen<br />
Gütekriterien – Validität, Objektivität <strong>und</strong> Reliabilität – hinausgehen (Körber-Weik 1996:<br />
11 f.). Vergessen wird die Vielfalt der Anschauungen von Wirklichkeit, die Statistik nicht<br />
abzubilden vermag. Denn ihre Aufgabe ist es, die Komplexität zu reduzieren <strong>und</strong> nicht<br />
zu erhöhen. Im Kontext der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung ist es daher<br />
entscheidend, die komprimierte Form der Realität kritisch unter die Lupe zu nehmen<br />
<strong>und</strong> ihr Zustandekommen <strong>und</strong> ihre Methoden, ihre Stärken <strong>und</strong> Schwächen in der<br />
Aussagekraft zu beleuchten.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 68<br />
6.2. Der Stellenwert des Privat<strong>haushalts</strong> in der (Sozial-)Statistik<br />
Spielen der Privathaushalt <strong>und</strong> der Familientyp bei der Abgrenzung <strong>und</strong> Erfassung der<br />
Bevölkerungsstruktur <strong>und</strong> der Lebenslagendimensionen eine Rolle? Untersucht werden<br />
im Folgenden fünf zentrale Datenquellen, die den „Mainstream“ in der kommunalen<br />
Berichterstattung widerspiegeln. Weil die Berichte den Berichtszeitraum vor der<br />
Einführung der Sozialreformen (Hartz IV) umfassen, stützt sich die Analyse auf<br />
Statistiken, die in dieser Form ab 2005 nicht mehr vorhanden sein werden. Dies betrifft<br />
insbesondere die Sozialhilfe-, Erwerbslosen- <strong>und</strong> Wohngeldstatistik. Weil es jedoch<br />
nicht nur Ziel des Projektes ist, konkrete Arbeitshilfen für Sozialberichterstattung zu<br />
entwickeln, sondern auch Berichterstattung in ihren Methoden <strong>und</strong> Konzepten zu<br />
analysieren, werden die o.g. Statistiken dennoch skizziert. Das gr<strong>und</strong>sätzliche Problem<br />
der Datenverfügbarkeit <strong>und</strong> Dateninkompatibilität <strong>und</strong> die sich daraus ergebenden<br />
Konsequenzen für die Berichtskonzeptionen, insbesondere den Lebenslagenansatz,<br />
ändern sich auch nach Einführung der Hartz-IV-Gesetze nicht. Die fünf Statistiken<br />
werden über das jeweilige Abbildungskonzept hinausgehend portraitiert, weil sie<br />
gr<strong>und</strong>legend <strong>und</strong> prototypisch für weitere Fragestellungen dieses Projektes sind. Im<br />
Rahmen <strong>eines</strong> Steckbriefs werden jeweils die Zielsetzung <strong>und</strong> die üblichen<br />
Bezugsquellen, die Periodizität des Erscheinens, die betrachtete Gr<strong>und</strong>gesamtheit, die<br />
Regionalisierbarkeit bzw. der Raumbezug der Datenquellen, die Abbildungseinheiten,<br />
die am häufigsten abgeleiteten Indikatoren <strong>und</strong> ihr Aussagewert sowie die selten oder<br />
nicht verwendeten Indikatoren <strong>und</strong> ihr Aussagewert <strong>und</strong> schließlich der kommunale<br />
Nutzen skizziert.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 69<br />
6.2.1. Der Mikrozensus<br />
Tab. 8:<br />
Zielsetzung<br />
Steckbrief Mikrozensus<br />
nationale repräsentative Haushaltsbefragung der amtlichen Statistik zur<br />
Erfassung erwerbsstatistischer <strong>und</strong> soziodemografischer Merkmale<br />
Bezug Statistisches Landesamt<br />
Periodizität jährlich<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit 1% der Wohnbevölkerung Deutschlands<br />
Abbildungseinheiten Individuen, Familien <strong>und</strong> private Haushalte<br />
Raumbezug regionale Einheiten <strong>und</strong> Regierungsbezirke > 250.000 EinwohnerInnen<br />
<strong>und</strong> Großstädte > 200.000 EinwohnerInnen 48 , dort jeweils nur<br />
meist verwendete<br />
gesamtstädtisch;<br />
Ausnahme: Berlin (Stadtbezirksebene)<br />
höchster allgemeiner Schulabschluss, Anteil der Personen ohne<br />
Indikatoren<br />
Schulabschluss, höchster beruflicher Ausbildungsabschuss, Anteil der<br />
Personen ohne Ausbildungsabschluss<br />
Indikatorfunktion Sozialisationsbedingungen, Bildung als Ressource<br />
nicht/ seltener verfügbares Einkommen, monatliches Nettoeinkommen (unterschieden<br />
verwendete<br />
nach MieterInnen <strong>und</strong> WohnungseigentümerInnen), Art/Quelle des<br />
Indikatoren<br />
überwiegenden Lebensunterhalts, <strong>Entwicklung</strong> des Einkommensniveaus,<br />
Mietbelastung, Äquivalenzeinkommen (50%)<br />
Indikatorfunktion Relative Einkommensarmut, Mietnot, Grad der Abhängigkeit von<br />
Transfereinkommen<br />
Literatur<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Hoffmeyer-Zlotnik 2000: 104 f.;<br />
Lüttinger/ Riede 1997<br />
Das <strong>haushalts</strong>- <strong>und</strong> familienstatistische Erfassungsprinzip des Mikrozensus gilt als am<br />
weitesten fortgeschritten. Und auch der Mikrozensus hatte sich in den über 50 Jahren<br />
s<strong>eines</strong> Bestehens fortlaufend neuen Herausforderungen zu stellen, um sowohl flexibel<br />
<strong>und</strong> aktuell auf neue Lebensformen zu reagieren als auch Kontinuität <strong>und</strong><br />
Vergleichbarkeit zu gewährleisten. 1985 wurde ein Konzept zur Schätzung der nicht<br />
ehelichen Lebensgemeinschaften eingeführt 49 . 1996 folgte die Ergänzung des<br />
Erfassungskatalogs um die freiwillig zu beantwortende Frage: „Sind Sie<br />
LebenspartnerIn der ersten Person?“ Hierdurch wurde erstmals die Erfassung<br />
gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften möglich (Heidenreich/ Herter-Eschweiler<br />
2002: 32).<br />
Prinzipielles Problem bei der Realisierung <strong>haushalts</strong>bezogener Abbildungen in der<br />
Statistik ist die Abgrenzung des Haushalts- <strong>und</strong> Familienbegriffs (vgl. hierzu umfassend<br />
48 Die so genannten Mikrozensus-Regionalfiles können ab einer Größenordnung von 200.000<br />
EinwohnerInnen ausgewiesen werden. Verfügbar sind die Daten bei den Statistischen Landesämtern.<br />
Allerdings ist die Regionalisierung auf kommunaler Ebene für die Berichterstattung ein erheblicher<br />
Koordinationsaufwand, weil die Regionalfiles von allen 16 Landesämtern bereitgestellt werden müssen<br />
(Hoffmeyer-Zlotnik 2000: 105).<br />
49 Ex-post-Schätzung anhand der Merkmale Geschlechts- <strong>und</strong> Altersunterschied (nicht mehr als 18<br />
Jahre) <strong>und</strong> Nichtverwandtschaftskonstellation.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 70<br />
Neubauer 1993). In der traditionellen Familienstatistik des Mikrozensus werden<br />
Familien entlang der Linien Ehe, Elternschaft <strong>und</strong> Koresidenz identifiziert. Dieses<br />
Kernfamilienkonzept wurde mittlerweile auf eheähnliche Gemeinschaften ausgedehnt.<br />
Als Kinder werden alle ledigen Personen unabhängig vom Alter erfasst, die mit ihren<br />
Eltern oder einem Elternteil in einem Haushalt leben. Dadurch ergibt sich eine Fülle von<br />
Konstellationsmöglichkeiten.<br />
Zu Schwierigkeiten kann es bei der Haushaltsabgrenzung kommen. Zum Privathaushalt<br />
zählt jede zusammenwohnende <strong>und</strong> eine wirtschaftliche Einheit bildende<br />
Personengemeinschaft sowie Personen, die allein wohnen <strong>und</strong> wirtschaften (z.B.<br />
UntermieterInnen) (BMFSFJ 2000b: 193). Wie aber sind Partnerschaften zu erfassen,<br />
die eine getrennte Haushaltsführung haben 50 ? Was ist mit Haushalten, deren<br />
Haushaltsführung sich über mehrere Wohnungen erstreckt 51 ? Wie lassen sich<br />
Patchwork-Familien abbilden, die in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft leben,<br />
aber nur ein Erwachsener ist leiblicher Elternteil des Kindes 52 ? Wie erscheinen<br />
Haushalte, die sich eine Wohnung teilen, ohne dass sie gemeinsam wirtschaften,<br />
verpaart oder verwandt sind? Die Fallbeispiele illustrieren, dass Menschen in ihren<br />
alltäglichen Beziehungen <strong>und</strong> Partnerschaften die o.g. Haushaltsgrenze überwinden<br />
<strong>und</strong> auch die Abbildung der Haushalte auf ihre Grenzen stößt. Alles in allem jedoch<br />
weist der Mikrozensus aktuell das weitest entwickelte System familien- <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong>statistischer Erfassung auf. Von Nachteil ist allerdings, dass kleinräumige<br />
Abbildungen nicht möglich sind (Ausnahme: Berlin) <strong>und</strong> sich der Mikrozensus daher<br />
nicht als Instrument zur Abbildung von Segregationstendenzen eignet.<br />
50 Die Partnerschaft als solche wird im Mikrozensus nicht sichtbar. Beide Partner erscheinen als<br />
Einpersonenhaushalte (Heidenreich/ Herter-Eschweiler 2002: 28).<br />
51 Um Doppelerfassungen zu vermeiden, konzentriert sich der Mikrozensus auf Familien <strong>und</strong> Haushalte<br />
am Hauptwohnsitz (Heidenreich/ Herter-Eschweiler 2002: 28).<br />
52 In familienstatistischen Erfassungen wird dieser „Fall“ als allein Erziehende/r mit Kind erfasst. Damit<br />
kommt die nicht eheliche Lebensgemeinschaft weder auf der Individualebene noch auf der<br />
Partnerschaftsebene als Lebensform zur Geltung (Heidenreich/ Herter-Eschweiler 2002: 28).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 71<br />
6.2.2. Das Einwohnermelderegister<br />
Tab. 9:<br />
Zielsetzung<br />
Steckbrief Einwohnermelderegister<br />
Erfassung der Wohnbevölkerung<br />
Bezug Einwohnermeldeamt<br />
Periodizität jederzeit abrufbar, stets aktuell<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit Wohnbevölkerung nach Haupt- <strong>und</strong> Nebenwohnsitz<br />
Abbildungseinheiten EinwohnerInnen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
meist verwendete Anzahl, Geschlecht, Alter, Nationalität, Familienstand, Geburten <strong>und</strong><br />
Indikatoren<br />
Todesfälle<br />
Indikatorfunktion Segregation, Stadtentwicklung, natürliche Bevölkerungsentwicklung<br />
nicht/ seltener<br />
Kirchenmitgliedschaften, Einbürgerungen, AusländerInnen nach<br />
verwendete Indikatoren Aufenthaltsstatus, AsylbewerberInnen, Alt-Jung-Quotient,<br />
AussiedlerInnen, Familienpflegepotential, Eheschließungen <strong>und</strong><br />
Scheidungen, Zu- <strong>und</strong> Fortzüge nach Ziel- <strong>und</strong> Herkunftsgebiet,<br />
Bevölkerungsprognose, Mobilitätsziffer, Fruchtbarkeitsziffer,<br />
Indikatorfunktion<br />
Wachstumspotential , Bevölkerungsdichte<br />
Grad der Verstädterung, Problem- bzw. Ballungsgebiete, Ausmaß<br />
integrativer Anforderungen, Familiendynamik, soziale Netze,<br />
Stabilität/Attraktivität von Stadtteilen für bestimmte Zielgruppen<br />
planerischer Nutzen Stadtentwicklungsplanung, Kindertagesstättenbedarfsplanung,<br />
Schulplanung, Bedarfsplanung Jugendhilfe, Altenhilfeplanung,<br />
Literatur<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Flächennutzung <strong>und</strong> Bebauung<br />
vgl. auch Schmid-Urban 1992: 66 f.;<br />
Mainz 1995: 66<br />
Weil der Mikrozensus für Städte unterhalb von 200.000 EinwohnerInnen nicht<br />
regionalisierbar ist, bleibt nur der Rückgriff auf das Einwohnermelderegister. Eine<br />
familienstatistische Erfassung wird hier erst durch die Kombination des<br />
Einwohnermelderegisters mit der Familienverbandsstatistik möglich <strong>und</strong> beruht auf<br />
einem lohnsteuerrechtlichen Zuordnungsprinzip. Unterschieden wird zwischen<br />
Ehepaaren <strong>und</strong> Alleinstehenden mit <strong>und</strong> ohne Kinder. Zu den Alleinstehenden ohne<br />
Kinder können neben nicht ehelichen Lebensgemeinschaften oder<br />
Wohngemeinschaften echte Alleinlebende zählen (Ledige über 18 Jahren) sowie<br />
Verheiratete, sofern sie bestimmte Besteuerungsmerkmale 53 aufweisen. Alleinstehende<br />
mit Kind können echte Alleinerziehende, aber auch nicht eheliche<br />
Lebensgemeinschaften mit Kindern umfassen. Als Kinder zählen ausschließlich Ledige<br />
unter 18 Jahren. Volljährige werden den „Alleinstehenden“ zugeordnet, unabhängig<br />
davon, ob sie im Haushalt ihrer Eltern leben <strong>und</strong> von diesen mitversorgt werden (wie<br />
z.B. AbiturientInnen oder Auszubildende) oder nicht. Die Ergebnisse über Familien mit<br />
53 Besteuerungsmerkmale 00 (Ehegatte unbekannt), 01 (Ehegatte hat keine Wohnung im Inland), 11<br />
(verheiratet <strong>und</strong> dauernd getrennt lebend, 05 (Ehegatte vermisst) <strong>und</strong> 07 (deutscher Ehegatte lebt<br />
dauernd in einem Ostblockstaat) (Gießen 2002: 15)
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 72<br />
Kindern beschränken sich dementsprechend auf Aussagen über minderjährige Kinder.<br />
Für die Ergebnisinterpretation hat das zur Folge, dass die Alleinerziehendenquoten<br />
überschätzt <strong>und</strong> die Anzahl der Kinder in (kinderreichen) Familien wegen der<br />
Ausklammerung der Volljährigen unterschätzt werden (Gießen 2002: 15). Dieses<br />
Zuordnungsprinzip ermöglicht also keine Aussagen über gemeinsames Wohnen <strong>und</strong><br />
Wirtschaften im Haushalt. Ein Haushaltsbezug ist auf diesem Weg nicht möglich, wohl<br />
aber auf dem Weg des Haushaltsgenerierungsverfahrens (vgl. Kap. 8.4.).<br />
6.2.3. Die Sozialhilfestatistik<br />
Tab. 10:<br />
Steckbrief Sozialhilfestatistik (bis 2004)<br />
Zielsetzung Leistungserstellung <strong>und</strong> Leistungsnachfrage von Hilfeleistungen nach dem<br />
BSHG, Überblick über Struktur der SozialhilfeempfängerInnen, finanzielle<br />
Aufwendungen<br />
Bezug Sozialamt<br />
Periodizität vierteljährlich bis jährlich, kumulierte Daten (bis 1994) <strong>und</strong> Stichtagsdaten<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit EmpfängerInnen von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) <strong>und</strong> Hilfe<br />
in besonderen Lebenslagen (HbL)<br />
Abbildungseinheiten Individuen, Bedarfsgemeinschaften<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
meist verwendete<br />
Indikatoren<br />
HLU: Anzahl (Zugänge, Abgänge <strong>und</strong> Bestände), Alter, Geschlecht,<br />
Nationalität, Dauer des Bezugs<br />
HbL: Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe, Hilfe für behinderte Menschen,<br />
Differenzierung nach ambulanter, teilstationärer <strong>und</strong> stationärer Hilfe<br />
Indikatorfunktion sozioökonomischer Status, administrative Intervention, Armut(srisiko),<br />
soziale Segregation/Position, Sozialisationsbedingungen<br />
nicht/seltener<br />
HLU: Schul- <strong>und</strong> Berufsausbildung, Erwerbsstatus, Haushalts- <strong>und</strong><br />
verwendete Indikatoren Familientyp, HLU als ergänzende Hilfe zum Erwerbs- oder anderen<br />
Transfereinkommen, Ursache des Bezugs, Behinderung, Krankenkost<br />
Indikatorfunktion Bildung als Ressource, Zusammenhang Bildung – Finanzsituation –<br />
Ges<strong>und</strong>heit – Haushalts- <strong>und</strong> Familientyp, Ausstiegschancen, Planung des<br />
Hilfeprozesses<br />
planerischer Nutzen Sozialplanung<br />
Literatur vgl. auch Mainz 1995: 73;<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2003<br />
Das zugr<strong>und</strong>eliegende Prinzip der Sozialhilfestatistik ist nicht die Erfassung von<br />
Haushalts- <strong>und</strong> Familientypen, sondern von Individuen <strong>und</strong> Bedarfsgemeinschaften. Die<br />
Bedarfsgemeinschaft ist ein unterhaltsrechtliches Konstrukt, wozu folgende<br />
Personenkonstellationen zählen:<br />
• Ehegatten, sofern sie nicht getrennt leben,<br />
• Personen in eheähnlicher Gemeinschaft,
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 73<br />
• minderjährige <strong>und</strong> ledige Kinder, die im Haushalt der Eltern/ <strong>eines</strong> Elternteils leben<br />
<strong>und</strong> nicht selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen können (Statistisches<br />
B<strong>und</strong>esamt 2001: 12).<br />
Eine Bedarfsgemeinschaft <strong>und</strong> ein Privathaushalt können daher völlig unterschiedlich<br />
sein: Beispielsweise kann ein Haushalt aus mehreren Bedarfsgemeinschaften bestehen<br />
oder sich eine Bedarfsgemeinschaft über mehrere Haushalte erstrecken. Außerdem ist<br />
es möglich, dass innerhalb <strong>eines</strong> Haushalts Personen mit <strong>und</strong> ohne Anspruch auf HLU<br />
wohnen. Eine <strong>haushalts</strong>typisierte Auswertung von Sozialhilfestatistiken beruht folglich<br />
auf mehreren Annahmen <strong>und</strong> Unterstellungen:<br />
• Bedarfsgemeinschaften, die aus einer Person bestehen, werden dem Typ: „allein<br />
lebend“ zugeordnet. Faktisch kann es sich dabei jedoch um nicht eheliche<br />
Lebensgemeinschaften handeln, bei denen der Partner keinen Anspruch auf HLU<br />
hat <strong>und</strong> daher nicht zur Bedarfsgemeinschaft zählt.<br />
• Bedarfsgemeinschaften aus einer erwachsener Person <strong>und</strong> einem Kind, werden<br />
dem Typ „allein erziehend“ zugeordnet, unabhängig vom Familienstand des<br />
Erwachsenen.<br />
• Bedarfsgemeinschaften, die aus zwei Erwachsenen mit dem Familienstand<br />
„verheiratet“ bestehen, werden dem Typ Ehepaare (mit <strong>und</strong> ohne Kind/er)<br />
zugeordnet.<br />
Das bedarfsgemeinschaftliche Konstrukt führt zu einer Reihe von Unter- <strong>und</strong><br />
Überschätzungen bestimmter Haushaltstypen sowie zu einer hohen Anzahl sonstiger<br />
Bedarfsgemeinschaften, die keinem Typ zugeordnet werden können. Hierzu zählen z.B.<br />
Bedarfsgemeinschaften, die nur aus Kindern bestehen oder Mehrgenerationenhaushalte,<br />
die sich nicht eindeutig anhand der Personenkonstellation einem<br />
Haushaltstyp zuordnen lassen (Gießen 2002: 74; vgl. auch Dorn 2003).<br />
Dennoch zeigen Untersuchungen, dass bei etwa 90 Prozent aller Empfängerinnen von<br />
HLU Bedarfsgemeinschaft <strong>und</strong> Haushalt identisch sind, d.h. die Fehlerzuordnung liegt<br />
bei 10 Prozent (Burmester 2000: 384 f.).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 74<br />
6.2.4. Die Wohngeldstatistik<br />
Tab. 11:<br />
Zielsetzung<br />
Steckbrief Wohngeldstatistik (bis 2004)<br />
Leistungserstellung <strong>und</strong> Leistungsnachfrage des von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern<br />
getragenen Zuschuss zu den Wohnkosten<br />
Bezug Statistisches Landesamt, Amt für Wohnungswesen, Landesdatenzentralen<br />
Periodizität jährlich<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit WohngeldempfängerInnenhaushalte<br />
Abbildungseinheiten Haushalte<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
meist verwendete Anzahl EmpfängerInnen von allgemeinem Wohngeld, Miet- <strong>und</strong><br />
Indikatoren<br />
Lastenzuschuss, soziale Stellung/Erwerbsstatus, Alter, Nationalität,<br />
Indikatorfunktion<br />
Haushaltsangehörige, Zahl der Kinder, Haushaltstyp, Dauer des Bezugs,<br />
durchschnittlicher Wohngeldanspruch<br />
prekäre Einkommenslage <strong>und</strong> ihre Dauer, administrative Intervention,<br />
Wohnqualität, Sozialisationsbedingungen, Wohnzufriedenheit<br />
nicht/ seltener<br />
Bruttoeinkommen, Kaltmiete, Mietbelastung vor <strong>und</strong> nach Wohngeldbezug,<br />
verwendete Indikatoren Quadratmetermieten, Pro-Kopf-Wohnflächen, Raumnot<br />
Indikatorfunktion Interventionsbedarf Raum- <strong>und</strong> Mietnot, Effizienz des Hilfeangebots,<br />
Sozialisationsbedingungen<br />
planerischer Nutzen Sozialplanung, Flächennutzung <strong>und</strong> Bebauung<br />
Literatur<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
vgl. auch Mainz 1995: 74;<br />
Haustein 2004: 762 ff.<br />
Die Wohngeldstatistik ist die einzige Datenquelle, die gleichzeitig<br />
a) kleinräumig auswertbar ist,<br />
b) eine Abgrenzung von Haushaltstypen <strong>und</strong> Familientypen ermöglicht <strong>und</strong><br />
c) Zusammenhänge zur Wohnsituation <strong>und</strong> der sozialen Stellung erfasst.<br />
Die Erfassung der Haushaltstypen erfolgt nicht über das Prinzip der<br />
Bedarfsgemeinschaft (gemeinsames Wirtschaften), sondern ausschließlich über das<br />
Prinzip des gemeinsamen Wohnens. Um die Anzahl der Räume pro Kopf oder<br />
Wohnfläche pro Kopf zu erfassen, erfragt die Datei die Anzahl erwachsener<br />
Haushaltsmitglieder <strong>und</strong> die Anzahl der Kinder. Ob <strong>und</strong> inwiefern die Personen in einem<br />
verwandtschaftlichen oder beziehungsähnlichen Verhältnis zueinander stehen, bleibt<br />
bei der Erfassung der Anzahl der Haushaltsmitglieder unberücksichtigt.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 75<br />
6.2.5. Die Erwerbslosenstatistik<br />
Tab. 12:<br />
Steckbrief Erwerbslosenstatistik (bis 2004)<br />
Zielsetzung Leistungserstellung <strong>und</strong> Leistungsnachfrage von Hilfeleistungen nach<br />
dem Arbeitsförderungsgesetz, Überblick über Struktur der Erwerbslosen,<br />
finanzielle Aufwendungen<br />
Bezug Agentur für Arbeit<br />
Periodizität meist vierteljährlich <strong>und</strong> jährlich<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit Erwerbslose<br />
Abbildungseinheiten Individuen<br />
Raumbezug Arbeitsamtsbezirke, Hauptsamtsbezirke, mittels Sonderauswertungen<br />
auch kleinräumig<br />
meist verwendete<br />
Alter, Geschlecht, Dauer, Schul- <strong>und</strong> Berufsabschluss, Berufsgruppen<br />
Indikatoren<br />
Indikatorfunktion sozioökonomischer Status, Ausgrenzung/Zugehörigkeit, Sozialisationsbedingungen<br />
nicht/ seltener verwendete ges<strong>und</strong>heitliche Einschränkung<br />
Indikatoren<br />
Indikatorfunktion Ges<strong>und</strong>heit als Ressource – Zusammenhang Ges<strong>und</strong>heit – Erwerbsarbeit<br />
– sozioökonomischer Status<br />
planerischer Nutzen Sozial- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung<br />
Literatur vgl. auch Mainz 1995: 72 f.<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die in regelmäßigen Abständen von der Agentur für Arbeit herausgegebenen<br />
Arbeitslosenstatistiken erfassen konsequent Individuen. Der Anspruch auf<br />
Arbeitslosengeld I ist ein individueller <strong>und</strong> beruht auf dem Prinzip individuell erworbener<br />
Anwartschaften über die Arbeitslosenversicherung <strong>und</strong> nicht auf dem Bedarfsprinzip.<br />
Von Interesse für die Agentur für Arbeit sind daher weder die familialen noch die<br />
haushälterischen Zusammenhänge, sondern schlicht die individuellen Ressourcen<br />
(Qualifikation, Alter, Ges<strong>und</strong>heitszustand) <strong>und</strong> damit die Chancen der Reintegration in<br />
den Erwerbsarbeitsmarkt. Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- <strong>und</strong><br />
Sozialhilfe (Arbeitslosengeld II) vermischen sich zwei prinzipielle unterschiedliche<br />
Zugänge von Transferleistungen, nämlich das Bedarfsprinzip <strong>und</strong> das<br />
Versicherungsprinzip. In der Ausgestaltung der Statistik hat dieses Prinzip eine<br />
Annäherung an die frühere Sozialhilfestatistik (Hilfe zum Lebensunterhalt bis Ende<br />
2004) zur Folge.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 76<br />
6.2.6. Fazit: „Freischwebende Individuen“ in der Statistik?<br />
Auch weitere Datenquellen, die für kommunale Berichterstattung relevant sind,<br />
verfahren bevorzugt individuenzentriert. Die Ges<strong>und</strong>heitsstatistik erfasst ebenso wie die<br />
Datenquellen vieler Beratungsstellen oder des Schulverwaltungsamts Individuen, also<br />
Erwerbslose, SchulanfängerInnen, SchulabgängerInnen, Überschuldete etc. (Abb. 6).<br />
Ein Bezug zur Haushaltsstruktur findet nur ausnahmsweise <strong>und</strong> nicht standardmäßig<br />
statt, sondern oft im Zuge zusätzlicher Erfassungen (z.B. bei den<br />
Schulanfängeruntersuchungen oder den Schuldnerberatungsstatistiken).<br />
Abb. 6:<br />
Fehler! Es ist nicht möglich, durch die Bearbeitung von Feldfunktionen Objekte<br />
zu erstellen.<br />
Standardstatistiken <strong>haushalts</strong>- <strong>und</strong> familientypologisch auszudifferenzieren ist eine<br />
Herausforderung für die kommunale Sozialberichterstattung, die nur ansatzweise<br />
umgesetzt wird. Neben dem Mikrozensus <strong>und</strong> dem Haushaltsgenerierungsverfahren ist<br />
nur die Wohngeldstatistik explizit am Haushalt orientiert.<br />
Üblicherweise verfahren Statistiken so, als seien Menschen „freischwebende<br />
Individuen“ (Meier 2000: 58), die losgelöst von jeglichen Haushalts- <strong>und</strong><br />
Familienbezügen wohnen <strong>und</strong> wirtschaften. Risiken wie Erwerbslosigkeit, Erkrankung,<br />
Bildungsarmut oder Überschuldung werden ganz im Sinne Becks als individuelle,<br />
entstrukturierte Risiken dargestellt. Insofern sind individuenzentrierte Statistiken im<br />
Rahmen einer vertikal organisierten, nach innen gerichteten Berichterstattung<br />
systemimmanent. Der Informationsgehalt individuenzentrierter Lebenslagenstatistiken<br />
tendiert jedoch gegen Null. Denn gerade für die Armutsberichterstattung erweisen sich<br />
<strong>haushalts</strong>spezifische Lebenslagenbetrachtungen als Qualitätsmerkmal. Die jeweilige<br />
Haushalts- <strong>und</strong> Familiensituation ist entscheidend dafür, ob Menschen in eine prekäre<br />
Lebenslage geraten (Meier et al. 2003: 306). Auch sind individuelle Risiken wie<br />
Erwerbslosigkeit, Niedrigeinkommen <strong>und</strong> Krankheit stets eine Herausforderung für das<br />
gesamte Haushalts- <strong>und</strong> Familiensystem. Insofern sind <strong>haushalts</strong>zentrierte<br />
Betrachtungen kein schmückendes Beiwerk im Rahmen einer zielgruppenspezifischen<br />
Betrachtung von Lebenslagen, sondern ein Qualitätsmerkmal der
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 77<br />
Sozialberichterstattung. Lebenslagen betreffen den Privathaushalt als Ganzes, auch<br />
wenn er aus einem Individuum besteht.<br />
6.3. Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des Sozialen <strong>und</strong> ihre Konsequenzen für die<br />
Sozialstatistik 54<br />
Soziale Arbeit fußt sich im Wesentlichen auf zwei unterschiedlichen Praxiszugängen<br />
<strong>und</strong> theoretischen Denkschulen. Aus der Tradition der Armenfürsorge kommend,<br />
fokussiert soziale Arbeit die Gr<strong>und</strong>themen der Wohlfahrtspflege wie Hilfe <strong>und</strong><br />
Unterstützung bei sozialer Benachteiligung oder Verhinderung von Not <strong>und</strong> Armut. Aus<br />
der Tradition der Pädagogik nimmt soziale Arbeit die Fragen <strong>und</strong> Probleme der<br />
(außerschulischen <strong>und</strong> außerfamilialen) Erziehung <strong>und</strong> des Heranwachsens in den<br />
Blick (Rauschenbach/ Zücher 2002: 144, vgl. auch Hammerschmidt/ Tennstedt 2002:<br />
63 ff.). Zielgruppen der sozialen Arbeit waren also originär die Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
sowie die Benachteiligten. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der Industrialisierung <strong>und</strong> der sich<br />
verändernden Lebensweisen sowie der Konstituierung <strong>eines</strong> Wohlfahrtsstaates<br />
entwickelten sich kontinuierlich „Organisationen des Sozialen“ (Ortmann 2002: 404).<br />
Hierunter begreift Ortmann soziale Gebilde, in denen Menschen zu einem spezifischen<br />
sozialen Zweck zusammenwirken. Die Verwendung des Begriffs „sozial“ ist hier<br />
normativ, gemeint ist eine bestimmte Wertsetzung zu Gunsten des Wohls<br />
benachteiligter Menschen (vgl. Ortmann 2002: 403). Ortmann ordnet die<br />
Sozialversicherung, die Versorgung <strong>und</strong> die Fürsorge den sozialen Organisationen zu<br />
(vgl. Abb. 7).<br />
Abb. 7:<br />
Fehler! Es ist nicht möglich, durch die Bearbeitung von Feldfunktionen Objekte<br />
zu erstellen.<br />
Zu den Sozialversicherungen zählen die Alters- <strong>und</strong> Invalidenversicherung, die<br />
Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung sowie die Arbeitslosen- <strong>und</strong> Unfallversicherung.Die<br />
Risikoversicherung erfolgt auf der Basis des Solidarprinzips, d.h. bei Eintritt des<br />
jeweiligen Risikos erhält der (Pflicht-)Versicherte (Geld-)Leistungen, für die er zuvor<br />
einen gewissen Prozentsatz s<strong>eines</strong> Bruttolohns in die Versicherung eingezahlt hat.<br />
54 „Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des „Sozialen““ ist der Titel <strong>eines</strong> Aufsatzes von Friedrich Ortmann<br />
(2002) im einführenden Handbuch: Gr<strong>und</strong>riss Soziale Arbeit, herausgegeben von Thole.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 78<br />
Solidarisch ist das Prinzip deshalb, weil allen Versicherten die gleichen Leistungen trotz<br />
ungleicher Einkommen zustehen (Ortmann 2002: 406). Unter Versorgung wird der<br />
Anspruch auf Ausgleich verstanden, den Menschen dadurch erzielen, dass sie<br />
Leistungen für das Gemeinwesen erbringen wie z.B. Beamte, Zivildienstleistende oder<br />
Soldaten. Die Finanzierung erfolgt über Steuern. Fürsorgeleistungen werden ebenfalls<br />
aus steuerlichen Mitteln finanziert <strong>und</strong> richten sich an Menschen in bestimmten<br />
Notlagen. Für sie gilt das Subsidiaritätsprinzip, d.h. die Fürsorge tritt erst in Kraft, wenn<br />
Sozialversicherungen oder Eigenleistungen der Betroffenen sowie bestimmte<br />
Unterhaltsansprüche an Familienmitglieder für eine Befreiung aus der Notlage nicht<br />
ausreichen. Nach diesem Prinzip sind die Sozial- <strong>und</strong> Jugendhilfe organisiert. Ortmanns<br />
Gliederung beinhaltet im Wesentlichen die Träger <strong>und</strong> Institutionen des Sozialstaates,<br />
die auch Leistungserbringer genannt werden, also kommunale oder B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong><br />
Landesträger sowie Anstalten <strong>und</strong> Stiftungen des öffentlichen Rechts (vgl. auch<br />
Bossong 2004: 39). Bei den erbrachten Leistungen handelt es sich primär um monetäre<br />
Transferleistungen. Weitere Leistungen <strong>und</strong> Hilfen bleiben daher unberücksichtigt,<br />
insbesondere die nicht monetären Leistungen im Rahmen von Betreuung, Erziehung,<br />
Ges<strong>und</strong>heitserhaltung, Bildung <strong>und</strong> Ausbildung.<br />
Bereits der Begriff Leistungserbringer macht die Privathaushalte unweigerlich zu<br />
Leistungsempfängern. Der Blick auf private Haushalte in der Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung richtet sich folglich meist auf die Defizite, speziell auf die<br />
Defizite, die monetär auszugleichen versucht werden. Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte<br />
thematisierten folgerichtig vor allem die finanziellen Probleme <strong>und</strong> materiellen<br />
Engpässe, das Unvermögen mit Geld umzugehen oder den Mangel an Erwerbsarbeit,<br />
das individuelle Versagen <strong>und</strong> die individuellen Inkompetenzen der Bevölkerung. Für<br />
diese Art der Wahrnehmung der Bevölkerung gibt es überwiegend quantitative Belege<br />
in Form von Statistiken. Übersehen wird, dass es die privaten Haushalte selbst sind, die<br />
einen Großteil gesamtgesellschaftlich relevanter, sozialer Leistungen erbringen, die<br />
insbesondere auch den Kommunen zu Gute kommen (vgl. Meier 1999: 494 ff.; von<br />
Schweitzer 1993: 5 ff.). Dies wird von Ortmann in seiner Gliederung der sozialen<br />
Organisationen übersehen, weil er<br />
a) die privaten Haushalte nicht zu den sozialen Organisationen zählt <strong>und</strong><br />
b) ausschließlich monetäre Transferleistungen in den Blick genommen werden.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 79<br />
Ein anderes Modell, das sowohl die monetären Leistungen als auch die privaten<br />
Haushalte integriert, ist das Verb<strong>und</strong>system gesellschaftlicher Daseinsvorsorge. Im<br />
Unterschied zu Ortmanns handlungstheoretischer Perspektive mit Fokus auf Patienten,<br />
FürsorgeempfängerInnen oder SozialversicherungsnehmerInnen ist von Schweitzers<br />
Modell ein systemtheoretisches. Ziel der Daseinsvorsorge ist die Lebenserhaltung, die<br />
Persönlichkeitsentfaltung <strong>und</strong> die Schaffung einer Kultur des Zusammenlebens, wo es<br />
neben sachbezogener, monetärer Leistungen auch personenbezogener<br />
Fürsorgeleistungen bedarf (von Schweitzer 1991: 221). Daseinsvorsorge ist also eine<br />
gesellschaftliche Aufgabe, die im Verb<strong>und</strong> bewältigt wird <strong>und</strong> zwar in erster Linie von<br />
den privaten Haushalten selbst, ergänzt um die Daseinsvorsorgeleistungen der<br />
Wohlfahrtsverbände, der kommunalen Verwaltung <strong>und</strong> der Unternehmen (Preuße et al.<br />
2003: 21 f.) (Abb. 8).<br />
Abb. 8:<br />
Fehler! Es ist nicht möglich, durch die Bearbeitung von Feldfunktionen Objekte zu<br />
erstellen.<br />
Ortmanns Organisationsformen des Sozialen sind kennzeichnend für die Konzeption<br />
von Sozialberichterstattung. Die Zielgruppen sozialer Arbeit <strong>und</strong> ihrer Organisationen<br />
sind meist benachteiligte Individuen <strong>und</strong> seltener die Gr<strong>und</strong>gesamtheit aller<br />
Privathaushalte. Folglich bilden soziale Organisationen in ihren Statistiken die<br />
Leistungen für Benachteiligte ab, vorzugsweise monetäre Leistungen. Das Gros der von<br />
der Berichterstattung verwendeten Statistiken sind Prozessdaten der öffentlichen<br />
Leistungserbringer, konkret der Transferleistungserbringer. Nicht monetäre<br />
Leistungserbringung, Leistungserbringung freier Träger sowie von Privathaushalten<br />
erbrachte Leistungen werden ausgeklammert. In der Konsequenz stützt sich<br />
Sozialberichterstattung auf für sie verfügbare Sozialstatistiken <strong>und</strong> fokussiert monetäre<br />
Defizite <strong>und</strong> Transferleistungserbringung. Daher w<strong>und</strong>ert es also nicht, wenn<br />
Privathaushalte überwiegend als Leistungsempfangende dargestellt <strong>und</strong> öffentlich<br />
wahrgenommen werden, ihre Leistungen dagegen keine Berücksichtigung erfahren.<br />
Die Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des Sozialen hat nun Konsequenzen für die<br />
Statistikverfügbarkeit <strong>und</strong> Berichterstattung. Die arbeitsteilige Trägerschaft in der<br />
Sozialen Arbeit ist historisch gewachsen (vgl. z.B. Hammerschmidt/ Tennstedt 2002;
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 80<br />
Münchmeier/ Hering 2002 <strong>und</strong> Ortmann 2002). Unterschieden werden i.d.R. öffentliche<br />
von freien Trägern 55 <strong>und</strong> innerhalb der freien Träger die privat-gemeinnützigen von<br />
privat-gewerblichen Anbietern (Schilling 2002: 429; Bossong 2004: 39). Die freien<br />
Träger waren ursprünglich freie Zusammenschlüsse von Mitgliedern der Gesellschaft,<br />
die im noch nicht professionalisierten Sinne soziale Arbeit leisteten (z.B. Kirchen,<br />
ehrenamtliche ArmenfürsorgerInnen). Mit der Einführung der Bismarckschen<br />
Sozialversicherung beginnt auch der Staat, also eine öffentliche Trägerschaft,<br />
Verantwortung für die gesellschaftliche Organisation Sozialer Arbeit <strong>und</strong> ihrer<br />
Dienstleistungen zu übernehmen. Die Sozialstaatlichkeit als Staatsziel wurde im Art. 20<br />
des Gr<strong>und</strong>gesetzes festgeschrieben <strong>und</strong> im Rahmen der Sozialgesetzgebung kodifiziert<br />
(Bettmer 2002: 431). Unter sozialer Arbeit werden hier nach Schilling diejenigen<br />
Aufgaben der sozialen Arbeit gefasst, die zu den sozialstaatlichen Aufgaben gehören,<br />
mit Ausnahme der rein medizinischen Ges<strong>und</strong>heitshilfe. Hierzu zählen die Felder der<br />
Sozial- <strong>und</strong> Altenhilfe, der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe sowie der nicht-medizinischen<br />
Ges<strong>und</strong>heitshilfe (Schilling 2002: 415, vgl. auch Thole 2002: 20). Unter<br />
Sozialverwaltung wird in erster Linie ein bestimmter Organisationstypus sozialer<br />
Organisationen verstanden, nämlich die öffentlichen Verwaltungsträger, die mit der<br />
Ausgestaltung sozialpolitischer <strong>und</strong> sozialrechtlicher Aufgaben prioritär beschäftigt<br />
sind 56 (Bossong 2004: 34). Sozialverwaltung wird in zweiter Linie begriffen als das<br />
ordnende, kontrollierende Handeln in einer sozialen Organisation, unabhängig von ihrer<br />
Trägerschaft (Ortmann 2002: 403).<br />
6.3.1. Öffentliche Träger<br />
Die öffentlichen Träger tragen die Gesamtverantwortung für die Erbringung<br />
organisierter Sozialleistungen <strong>und</strong> zwar in sachlicher, finanzieller <strong>und</strong> planerischer<br />
Hinsicht. Sozialleistungen werden b<strong>und</strong>esweit <strong>und</strong> möglichst nach einheitlichen<br />
Standards zur Verfügung gestellt. Bei den Sozialleistungen handelt es sich um<br />
Anspruchsrechte, die von den privaten Haushalten unter bestimmten Voraussetzungen<br />
eingefordert werden können. Zu unterscheiden sind örtliche <strong>und</strong> überörtliche Träger.<br />
Kreise <strong>und</strong> kreisfreie Städte zählen zu den örtliche Trägern. Sie sind im Wesentlichen<br />
55 Auch das BMFSFJ <strong>und</strong> das Statistische B<strong>und</strong>esamt folgen einer Systematik nach Trägerschaft der<br />
Anbieter sozialer Arbeit, wenn es beispielsweise darum geht, die Beschäftigten in der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfe abzubilden (BMFSFJ 2000a <strong>und</strong> Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2002).<br />
56 Mit Ausnahme der Aufgaben der Gesetzgebung <strong>und</strong> Rechtssprechung (Bossong 2004: 34).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 81<br />
zuständig für die direkte Umsetzung der Leistungsangebote im Rahmen der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfe sowie der Sozialhilfe <strong>und</strong> des Ges<strong>und</strong>heitsamtes. Überörtliche Träger wie<br />
z.B. die Landesjugendämter sind mit Aufgaben der Standardisierung, Beratung,<br />
Fortbildung oder Initiierung von Modellvorhaben örtlicher Träger betraut (Bettmer 2002:<br />
432). Träger auf B<strong>und</strong>esebene sind z.B. die Krankenkassen oder die B<strong>und</strong>esagentur für<br />
Arbeit. Zentrale Datenlieferanten für kommunale Berichterstattung sind das Sozial- <strong>und</strong><br />
Jugendamt, ferner auch das Ges<strong>und</strong>heitsamt <strong>und</strong> die B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit.<br />
Größtmögliche interkommunale Vergleichbarkeit ermöglichen die Kinder-, Jugendhilfe<strong>und</strong><br />
die Erwerbslosenstatistik. Die Konzeption der Erwerbslosenstatistik erfolgt zentral<br />
von Nürnberg aus <strong>und</strong> arbeitet daher in jeder räumlichen Ebene mit denselben<br />
Indikatoren <strong>und</strong> Merkmalsausprägungen. Die Vergleichbarkeit der Kinder- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfestatistik hängt mit dem b<strong>und</strong>esweit einheitlich festgelegten<br />
organisatorischen Aufbau der Jugendämter zusammen sowie mit dem KJHG (Bossong<br />
2004: 48).<br />
Die Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsämter hingegen sind in ihrer Aufbauorganisation frei <strong>und</strong><br />
stark geprägt durch den jeweiligen organisatorischen Aufbau der Kommune. Das<br />
bedeutet, dass sich in den o.g. Ämtern das Recht der Kommunen auf<br />
eigenverantwortliche Regelung ihrer Angelegenheiten <strong>und</strong> Selbstverwaltung<br />
unmittelbarer auswirkt (Bossong 2004: 37). Das reicht von der Wahl der<br />
Computersoftware für Sozial(hilfe)statistiken über die statistische Erfassung bestimmter<br />
Leistungen, z.B. des Allgemeinen Sozialen Dienstes, bis hin zur Ausgestaltung des<br />
kommunalen Berichtssystems.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 82<br />
Abb. 9:<br />
Soziale Organisationen als Leistungserbringer<br />
für Privathaushalte<br />
öffentlich<br />
Ordnungsamt<br />
Sozialamt<br />
Städtische<br />
Kinderbetreuung<br />
Ges<strong>und</strong>heitsamt<br />
Jugendamt<br />
Wohngeldamt<br />
Einwohnermeldeamt<br />
6.3.2. Freie Träger<br />
Schule<br />
Polizei<br />
Arbeitsamt<br />
Familienbildungsstätten<br />
Privathaushalt<br />
Übernachtungseinrichtung<br />
Wohnheime<br />
Frauenhaus<br />
Quelle: Eigene Darstellung, Inhalte z.T. übernommen aus Bauer 2002: 455<br />
frei<br />
Beratungsstellen<br />
(Sucht, Schulden)<br />
Kinderbetreuung<br />
freier Träger<br />
Haus- <strong>und</strong><br />
Familienpflege<br />
Private<br />
Arbeitsvermittlung<br />
Fahrdienste<br />
Beschäftigungsprojekte<br />
In der Zusammenarbeit mit den freien Trägern sind die öffentlichen Träger in ihrer<br />
Planungsverantwortung angehalten, zunächst die Angebote der freien Träger<br />
auszuschöpfen, bevor Einrichtungen oder Dienste öffentlicher Träger – quasi<br />
ergänzend – geplant werden (Bettmer 2002: 434). Freie Träger wirken also bei der<br />
Erfüllung sozialstaatlicher Aufgaben wesentlich mit, daher ist es Aufgabe der<br />
öffentlichen Träger, die freien Träger subsidiär zu fördern. Im Wesentlichen finanzieren<br />
sie sich über Leistungsentgelte (z.B. Pflegesätze), staatliche Zuwendungen<br />
(Subsidiaritätsprinzip, Gemeinnützigkeit) <strong>und</strong> Eigenmittel (Spenden, Mitgliedsbeiträge,<br />
Bußgelder). Bei den Freien Trägern handelt es sich überwiegend um die sechs großen<br />
Wohlfahrtsverbände 57 . Ihre Rechtsform ist meist die des eingetragenen Vereins oder<br />
der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Wohlfahrtsverbände sind in folgenden<br />
Einrichtungen <strong>und</strong> Diensten tätig: Bildung <strong>und</strong> Beratung, Familienhilfe, Altenhilfe, Hilfe<br />
57 Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Paritätischer<br />
Wohlfahrtsverband <strong>und</strong> Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (Bauer 2002: 489; Bossong<br />
2004: 41).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 83<br />
für psychisch <strong>und</strong> physisch eingeschränkte Menschen, Krankenpflege, Hilfe in<br />
besonderen Krisen, Hilfen zur Arbeit, Migration, Katastrophenhilfe sowie Schulung<br />
ehrenamtlicher MitarbeiterInnen (Bauer 2002: 454 ff.). In den östlichen B<strong>und</strong>esländern,<br />
wohin die Verbände nach der Wende „exportiert“ wurden, spielen sie eine<br />
vergleichsweise untergeordnete Rolle <strong>und</strong> begreifen sich „eher als Quasi-Bürokratien<br />
<strong>und</strong> „verlängerter Arm des Staates““ (Bauer 2002: 453; Anführungsstriche im Original).<br />
Die religiös-konfessionellen <strong>und</strong> anderen weltanschaulichen Motive treten zu Gunsten<br />
politisch-administrativer Aufgabenerfüllung in den Hintergr<strong>und</strong>. In ihrer<br />
Organisationsstruktur unterliegen die Wohlfahrtsverbände, ähnlich wie die öffentlichen<br />
Träger, einem vertikalen Aufbau. Sie verfügen auf der b<strong>und</strong>esstaatlichen Ebene über<br />
eine eigene Zentrale <strong>und</strong> bilden Arbeitsgemeinschaften auf der Landesebene sowie<br />
örtlich in den Städten <strong>und</strong> Landkreisen (Bauer 2002: 450). Die von ihnen produzierten<br />
Sozialstatistiken fallen überwiegend im Zuge jährlicher Rechenschaftsberichte an, die<br />
sie gegenüber dem Vorstand <strong>und</strong> der Mitgliederversammlung bzw. gegenüber der<br />
Geschäftsführung oder der Gesellschafterversammlung erstellen müssen. Alle diese<br />
Sozialstatistiken verfolgen ihre ureigene Zielsetzung nach ihrer ureigenen Logik,<br />
weshalb sie untereinander <strong>und</strong> überregional in keiner Weise vergleichbar sind. Hierzu<br />
zählen z.B. die Schuldner- <strong>und</strong> Drogenberatungsstatistik, die Statistiken der<br />
Frauenhäuser <strong>und</strong> Übernachtungseinrichtungen sowie der Behinderten- <strong>und</strong><br />
Beschäftigungsprojekte.<br />
Die meisten Kommunen greifen im Rahmen der Sozialberichterstattung ausschließlich<br />
auf die Daten der von ihnen produzierten öffentlichen Verwaltung zurück, weil<br />
a) der verwaltungsinterne Zugriff einfacher ist <strong>und</strong><br />
b) einige Kommunen es bevorzugen, die soziale Lage der Bevölkerung explizit unter<br />
dem Aspekt der Beeinflussbarkeit durch die öffentliche Hand abzubilden (Kehrein<br />
2004).<br />
Diese Vorgehensweise hängt unmittelbar zusammen mit der Stellung der Sozialstatistik<br />
im Rahmen der Verwaltungssteuerung. Die Sozialstatistik ist sowohl Gr<strong>und</strong>lage zur<br />
Steuerung der jeweiligen Verwaltungseinheiten (Jugend- <strong>und</strong> Sozialämter) als auch zur<br />
Steuerung der Sozialplanung. Die Steuerung der Verwaltungseinheiten ist im<br />
Wesentlichen ein nach innen gerichteter Prozess, bei dem die Felder der<br />
Leistungserstellung, das Verhältnis von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage sowie der dafür zur<br />
Verfügung stehende Finanzrahmen im Mittelpunkt stehen. Die Sozialstatistik fungiert
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 84<br />
hier zur Steuerung <strong>und</strong> Planung der Verwaltung nach innen. Dieselbe Sozialstatistik ist<br />
gleichzeitig Gr<strong>und</strong>lage für Sozialplanung, ein nach außen gerichteter Prozess, der die<br />
Bevölkerungsstrukturen <strong>und</strong> die sozialen <strong>Entwicklung</strong>en sowie deren räumliche<br />
Verteilung in den Blick nehmen will (vgl. Abb. 10).<br />
Abb. 10:<br />
Fehler! Es ist nicht möglich, durch die Bearbeitung von Feldfunktionen Objekte<br />
zu erstellen.<br />
Die Unterrepräsentanz der Informationsquellen freier Träger in der Berichterstattung<br />
erfolgt also aus pragmatischem (erschwerterem Zugang) <strong>und</strong> aus inhaltlichen Gründen<br />
(Beeinflussbarkeit der öffentlichen Hand). Diese Vorgehensweise ist aus zwei Gründen<br />
zu problematisieren:<br />
1. Die Durchführung sozialstaatlicher Leistungen wird nicht allein von öffentlichen<br />
Trägern geleistet. Eine Zusammenarbeit von öffentlichen Leistungsträgern mit freien<br />
Einrichtungen <strong>und</strong> Organisationen z.B. der Wohlfahrtspflege wird laut<br />
Sozialgesetzbuch explizit gewünscht. Die öffentlichen Träger haben dabei (nach §<br />
17, Abs. 3, SGB I) die Selbstständigkeit der freien Träger in Zielsetzung <strong>und</strong><br />
Durchführung ihrer Aufgaben zu achten.<br />
2. Die öffentlichen Träger spielen in Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge<br />
gegenüber den privat-gemeinnützigen Trägern eine eher untergeordnete Rolle,<br />
insbesondere in den Feldern der Alten- <strong>und</strong> Behindertenhilfe, aber auch in der<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe (BMFSFJ 2000b zitiert nach Schilling 2002: 419). Auch die<br />
Beschäftigtenzahlen in der Sozialen Arbeit zeigen, dass auf der Basis von<br />
Schätzungen nur 28 Prozent der 1,2 Millionen Beschäftigten bei den öffentlichen<br />
Trägern, 6 Prozent bei den privat-gewerblichen Trägern, aber 66 % bei privatgemeinnützigen<br />
Trägern arbeiten (Schilling 2002: 429).<br />
6.3.3. Fazit: Vertikale (Sozial-)Statistiken<br />
Zusammenfassend ist Folgendes festzuhalten:<br />
1. Die Vorrangstellung der Statistiken öffentlicher Verwaltung im Rahmen kommunaler<br />
Berichterstattung ist Resultat der Organisation des Sozialen mit Fokus auf<br />
benachteiligte Individuen. Sie führt dazu, dass die Einbeziehung der Datenquellen
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 85<br />
freier Träger <strong>und</strong> ihrer Leistungserbringung für Privathaushalte zu kurz kommen.<br />
Dies betrifft insbesondere Sozialleistungen der Bildungs- <strong>und</strong> Beratungsstellen (z.B.<br />
Drogenberatung, Familienbildungsstätten, Schuldnerberatung, Schwangerschaftskonfliktberatung)<br />
<strong>und</strong> sonstiger Einrichtungen (Kinderbetreuung freier Träger,<br />
Frauenhaus, kommunale Beschäftigungsprojekte <strong>und</strong> Übernachtungseinrichtungen).<br />
2. Sowohl die öffentlichen als auch die freien Träger sind Organisationen<br />
bürokratischen Typs (Bauer 2002: 454) mit ausgeprägter vertikaler<br />
Organisationsstruktur. In der Konsequenz produzieren sie vertikale (Sozial-)<br />
Statistiken.<br />
3. Vertikale Sozialstatistiken sind inhaltlich <strong>und</strong> EDV-technisch kaum vernetzt <strong>und</strong><br />
daher auf der Ebene der Merkmalsausprägungen untereinander kaum vergleichbar<br />
(vgl. Kap. 7.2.). Ferner sind sie in ihrer Zielsetzung nicht primär nach außen auf<br />
Sozialberichterstattung <strong>und</strong> Sozialplanung gerichtet, sondern erfüllen den Zweck<br />
einer nach innen gerichteten Selbstkontrolle der Verwaltung(ssteuerung),<br />
Rechenschaftslegung oder Selbstevaluation. Alle Fakten zusammengenommen,<br />
erschweren eine Umsetzung des Lebenslagenansatzes für die Berichterstattung<br />
erheblich (vgl. Kap. 7.2.).<br />
Nicht alle für Armuts- oder Sozialberichterstattung relevanten Informationen sind<br />
statistisch belegt. Am Beispiel von extremer Armut wie Obdachlosigkeit geht es im<br />
folgenden Kapitel darum, ob <strong>und</strong> wie sich die Statistikdefizite auf die Berichterstattung<br />
auswirken.<br />
6.4. Extreme Armut: Außerhalb von Statistik – außerhalb von Berichterstattung?<br />
Die Zielgruppen sozialer Organisationen einerseits <strong>und</strong> die Verwaltung des Sozialen<br />
andererseits haben Konsequenzen für die Verfügbarkeit <strong>und</strong> Struktur kommunaler<br />
Sozialstatistiken. Weil Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte bevorzugt über solche Tatsachen<br />
berichten, die statistisch belegt oder in irgendeiner Weise näherungsweise<br />
quantifizierbar sind, wird in der Konsequenz über bestimmte Zielgruppen oder Probleme<br />
nicht berichtet. Mögliche Folge ist, dass bestimmte Probleme <strong>und</strong> Zielgruppen von der<br />
Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden. Die in erster Linie betroffenen Zielgruppen<br />
sind die illegalen Einwanderer, Straßenkinder <strong>und</strong> Obdachlosen. Barlösius beschreibt<br />
diese Gruppen als solche, die Distanz zur “Normalgesellschaft” halten <strong>und</strong> gleichzeitig<br />
von dieser auf Distanz gehalten werden, durch Nichtwahrnehmung in Statistiken <strong>und</strong>
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 86<br />
folglich Nichtwahrnehmung als Unterstützungsberechtigte 58 . Dem könne nur begegnet<br />
werden, indem die Armutsforschung <strong>und</strong> also auch die Armutsberichterstattung diese<br />
Gruppen explizit betrachtet <strong>und</strong> ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft nicht anzweifelt<br />
(Barlösius 2001: 82).<br />
Barlösius gr<strong>und</strong>legende Kritik an der Armutsberichterstattung ist, dass Berichte keinen<br />
distanzierten <strong>und</strong> eigenständigen Beitrag zur Beschreibung von Armut leisten, sondern<br />
staatlich-administrative Daten duplizieren (Barlösius 1997: 90). Die empirische Analyse<br />
kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung zeigt jedoch etwas anderes: Zwar<br />
greifen Berichte zur Abbildung extremer sozialer Benachteiligung primär auf<br />
Prozessdaten zurück, aber nicht ausschließlich. Gerade weil zur Erfassung extremer<br />
Armut kein Rückgriff auf staatlich-administrative Daten möglich ist, haben<br />
BerichterstatterInnen eine Vielzahl von Strategien entwickelt, um das Thema<br />
Obdachlosigkeit dennoch zu berücksichtigen. Das Thema Wohnen allgemein rangiert in<br />
der Rangfolge der thematischen Prioritätensetzung auf Platz 3, noch vor dem<br />
Themenbereich Bevölkerungsstruktur <strong>und</strong> Demografie (vgl. Kap. 5.4.4.). Obdach- <strong>und</strong><br />
Wohnungslosigkeit 59 zählt ebenso wie die Abbildung der sozialen Wohnungsversorgung<br />
zu den Standardindikatoren in diesem Bereich. Zur Abbildung der Obdachlosigkeit wird<br />
üblicherweise der Durchlauf in den städtischen Sammelunterkünften oder<br />
Übergangswohnheimen, häufig nach Art der Unterbringung <strong>und</strong> auch nach Haushalts-,<br />
Alters- <strong>und</strong> Geschlechterstruktur erfasst (z.B. Hanau 1998: 211, Darmstadt 1999: 52,<br />
58 Das sind Gruppen, die nicht nur als arm klassifiziert werden, sondern auch als „unwürdig, verrufen <strong>und</strong><br />
gefährlich“ gelten (Barlösius 2001: 82). Auf diese Weise werden sie zu einer Extragruppe<br />
zusammengefasst oder mit Fachbegriffen wie “Underclass” versehen mit dem Ziel, dass diese Gruppen<br />
aus den staatlich offiziellen Armutsgrenzen herausfallen bzw. diese Grenzen nicht auf sie anzuwenden<br />
sind. Ihre Armut wird damit als eine nicht unterstützenswerte angesehen, mit der Begründung, der<br />
gesellschaftliche Zusammenhalt sei durch sie gefährdet. Gans (1995) bezeichnet dieses Phänomen als<br />
“Labellingprozesse”. Den Armen werden Eigenschaften zugeordnet, die keine strukturellen, sondern<br />
individuelle, selbst zu verantwortende Ursachen zu haben scheinen. Ihre soziale Ausgrenzung wird ihnen<br />
damit selbst angelastet, womit sie nicht unterstützungsberechtigt sind, weil sie den gesellschaftlichen<br />
Anforderungen nicht nachkommen (Gans 1995: 1). Gans bezeichnet dies als “Krieg gegen die Armen”<br />
<strong>und</strong> die davon Betroffenen, als die Ärmsten der Armen, weil sie weder thematisiert noch als<br />
unterstützungsberechtigt anerkannt werden (Barlösius 2001: 82).<br />
59 Die Unterscheidung zwischen Obdach- <strong>und</strong> Wohnungslosigkeit ist für die Praxis überwiegend<br />
bedeutungslos, weshalb die Begriffe i.d.R. synonym verwendet werden. Dennoch: Die amtliche<br />
B<strong>und</strong>esstatistik unterscheidet Obdach- von Wohnungslosigkeit. Als obdachlos werden Personen oder<br />
Familien bezeichnet, die vorübergehend in Notunterkünften untergebracht sind. Diese Art der<br />
Obdachlosigkeit ist quantifizierbar <strong>und</strong> wird von der amtlichen Statistik erfasst, nicht jedoch die so<br />
genannten verdeckten Wohnungslosen, die bei Fre<strong>und</strong>en oder Verwandten Unterschlupf finden oder die<br />
„echten“ Wohnungslosen auf der Straße. Obdachlose haben also zum Zeitpunkt ihrer Erfassung ein<br />
Obdach, das jedoch nicht als Wohnung bezeichnet werden kann (nicht von Dauer, mietrechtlich nicht<br />
abgesichert). Wohnungslose hingegen leben auf der Straße, unter der Brücke oder im Park, haben also<br />
weder Obdach noch Wohnung (Geißler 2002: 256; vgl. auch Frankfurt 1997: 228 <strong>und</strong> Gießen 2002: 137).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 87<br />
Augsburg 1997: 35). Um die Zahl der Wohnungslosen näherungsweise zu<br />
quantifizieren, werden die verschiedensten Arten von Schätzungen durchgeführt.<br />
StreetworkerInnen werden befragt, Beobachtungen werden durchgeführt (Düsseldorf<br />
1998: 13) ebenso wie Befragungen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe (z.B.<br />
Hamburg 1997a: 162 <strong>und</strong> Gießen 2002: 176). Auch der Anteil wohnungsloser<br />
PatientInnen in Psychiatrischen Kliniken oder in Frauenhäusern (so genannte verdeckt<br />
Wohnungslose) wird ermittelt (z.B. Bielefeld 2001: 169).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 88<br />
Abb. 11:<br />
Systematik der Wohnungsnotfälle<br />
Wohnungsflucht<br />
<strong>und</strong><br />
Wohnungsvertreibung<br />
Wohnungs-<br />
Räumung<br />
Auf der Straße<br />
Drohender<br />
Wohnungsverlust<br />
Verdeckte<br />
Wohnungslosigkeit<br />
Mietnot<br />
Aktuelle<br />
Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit<br />
Unzumutbare<br />
Wohnverhältnisse<br />
Beziehungsnot<br />
Obdachlosigkeit<br />
Übergangswohnheime<br />
oder stationäre Einrichtungen der<br />
Wohnungslosenhilfe<br />
Raumnot<br />
Quelle: Gießen 2002: 161, in Anlehnung an „Übersicht der Wohnungsnotfälle“ (LAG Soziale Brennpunkte Hessen 1995: 19).<br />
Einige Berichte greifen auf die vom Deutschen Städtetag (1987) entwickelte Systematik<br />
der Wohnungsnotfälle (vgl. Abb. 11) zurück <strong>und</strong> modifizieren sie an die jeweiligen<br />
Verhältnisse vor Ort (z. B. Frankfurt 1997: 254 ff., Gießen 2002: 161). Selbst wenn<br />
Berichte das Ausmaß von Wohnungsnotfällen nicht quantifizieren können, so sind sie<br />
dennoch häufig Thema <strong>und</strong> Gegenstand <strong>eines</strong> eigenen Kapitels, Unterkapitels oder<br />
Exkurses. Erörtert werden verschiedene Erklärungsmodelle über die Verursachung der<br />
Wohnungslosigkeit <strong>und</strong> die Folgen für die Ges<strong>und</strong>heit, Lebenserwartung <strong>und</strong> Chancen<br />
der Reintegration. Insofern mag Barlösius’ Kritik in Bezug auf die nationale<br />
Armutsberichterstattung zutreffen, auf die kommunale Berichterstattung trifft sie nicht<br />
zu. Hier wird in vielen Fällen differenziert <strong>und</strong> in nicht ausgrenzender Weise über<br />
extreme Wohnungsarmut berichtet. Die Unterstützungsberechtigung Betroffener wird<br />
also hervorgehoben <strong>und</strong> nicht angezweifelt, in vielen Fällen sogar plädieren die<br />
AutorInnen für eine Verbesserung des lokalen Systems der Wohnungslosenhilfe.<br />
Sogenannte „Labellingprozesse“ (Gans 1995: 1) oder Ausgrenzungstendenzen durch<br />
Tabuisierung sind in der kommunalen Berichterstattung überwiegend nicht
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 89<br />
nachzuweisen. Wohl aber mangelt es an einer durchdachten Wohnungsnotfallstatistik,<br />
einer kontinuierlichen Erfassung, Datenpflege <strong>und</strong> Datenvernetzung, z.B. auf Basis der<br />
weiter zu entwickelnden Systematik von Wohnungsnotfällen des Deutschen Städtetags<br />
von 1987 (DST 1987, vgl. auch Mardorf 2003 <strong>und</strong> Frankfurt 1997: 227). Auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage einer Kombination aus Wohnungsnotfallstatistik <strong>und</strong> systematischer Analyse<br />
des ortsansässigen Hilfesystems ließe sich das Hilfesystem effektiv auf seine<br />
Integrationswirkung hin untersuchen (vgl. Mardorf 2003: 36).<br />
6.5. Kreative Informationsquellen jenseits der Standards<br />
Gleichwohl sich kommunale Berichterstattung in der Hauptsache auf die Darstellung<br />
von Prozessdaten monetärer Transferleistungserbringung stützt, ist in manchen<br />
Berichten zusätzlich ein Rückgriff auf Quellen jenseits des Verwaltungsvollzugs zu<br />
finden. Auf diesem Gebiet zeichnen sich Berichte durch Kreativität <strong>und</strong><br />
außerordentlichen Einfallsreichtum im Aufspüren neuer Hilfsdatenquellen,<br />
Zusatzerhebungen <strong>und</strong> Ersatzindikatoren aus. Die Vielfalt ergänzend herangezogener<br />
Quellen zeugt hier von offensichtlicher Unzufriedenheit mit der verfügbaren Datenlage.<br />
Im Folgenden wird die Vielfalt entlang der Lebenslagendimensionen Einkommen,<br />
Wohnen, Bildung, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Partizipation dargestellt.<br />
6.5.1. (Prekäre) Einkommenslage<br />
Lohn- <strong>und</strong> Einkommenssteuerstatistik <strong>und</strong> Mikrozensus, in einem Fall auch die<br />
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (Berlin 2001), sind die klassischen Quellen zur<br />
Darstellung des steuerpflichtigen Einkommens bzw. des durchschnittlich verfügbaren<br />
Einkommens, differenziert nach Einkommensart. Wesentlich mehr Raum geben die<br />
Berichte jedoch den Transfereinkommen, dargestellt über Wohngeldbezug, Bezug von<br />
laufender Hilfe zum Lebensunterhalt oder Leistungen der Agentur für Arbeit.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 90<br />
Tab. 13: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung prekärer Einkommenslagen in der<br />
kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen <strong>und</strong> Ergänzungen<br />
Klassiker Ergänzungen<br />
- Lohn- <strong>und</strong> Einkommens- - (Ermäßigte) Elternbeiträge in Kinderbetreuungssteuerstatistikeinrichtungen<br />
- Mikrozensus (auch: VGR) - Wohnberechtigungsscheine<br />
- Wohngeldempfängerdatei - R<strong>und</strong>funkgebührenbefreiung<br />
- Sozialhilfestatistik - Ermäßigte Kursgebühr bei Teilnahme an VHS-Kursen<br />
- Erwerbslosenstatistik - Stadt-Pässe<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
Weil der Mikrozensus nicht kleinräumig auswertbar ist (Ausnahme: Berlin) <strong>und</strong> die<br />
Lohn- <strong>und</strong> Einkommenssteuerstatistik sowie die Transfereinkommensquellen als<br />
unzureichend eingestuft werden, greifen Berichte auf weitere Quellen zur Abbildung<br />
prekärer Einkommenslagen zurück, z.B. den Verbreitungsgrad lokaler Stadtpässe oder<br />
Familienpässe. Haushalte unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze erhalten<br />
Ermäßigungen bei der Benutzung des öffentlichen Nahverkehrs, Schwimmbads, Zoos<br />
oder Museums. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Leistung der Kommunen. Auf<br />
diese Weise können auch jene Haushalte in prekären Einkommenslagen abgebildet<br />
werden, die keinen Anspruch auf o.g. Transferleistungen haben, aber in Armutsnähe<br />
leben (Frankfurt 1997: 67, Magdeburg 2002: 49). Eine ähnliche Funktion erfüllen die<br />
Darstellungen der R<strong>und</strong>funkgebührenbefreiung nach anspruchsberechtigten Gruppen<br />
(Viersen 2001 <strong>und</strong> 2003) sowie der Volkshochschulkurs-TeilnehmerInnen mit<br />
ermäßigten Kursgebühren nach Ermäßigungsgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Raumbezug (Gießen 2002:<br />
145). Beiträge zur Kinderbetreuung in (städtischen) Betreuungseinrichtungen sind i.d.R.<br />
nach Einkommenshöhe der Erziehungsberechtigten gestaffelt. Eine Aufschlüsselung<br />
der Einkommensgruppen erlaubt eine kleinräumige Darstellung des familialen<br />
Einkommensgefälles innerhalb einer Kommune. Eine Differenzierung nach Familientyp,<br />
Geschwisterzahl, Betreuungsform <strong>und</strong> Nationalität ist ebenfalls möglich (Frankfurt 1997,<br />
Gelsenkirchen 2001, Gießen 2002, Herford 1997, Viersen 2001 etc.). Weil die meisten<br />
Kommunen das Einkommensgefälle mit den klassischen Datenquellen nicht kleinräumig<br />
darstellen können, sind die gestaffelten Kinderbetreuungsbeiträge ein guter<br />
Hilfsindikator, der außerdem eine wichtige Zielgruppe in den Blick nimmt: Familien mit<br />
Kindern im Betreuungsalter. Eine Gesamtschätzung der von Einkommensarmut<br />
Betroffenen ist unter Einbezug all dieser Datenquellen <strong>und</strong> Abzug von Doppelzählungen
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 91<br />
näherungsweise möglich <strong>und</strong> wurde im Frankfurter Sozialbericht schlüssig umgesetzt<br />
(Frankfurt 1997: 74 ff.).<br />
6.5.2. Lebenslage Wohnen<br />
Die Erfassung der Wohnsituation privater Haushalte in einer Kommune ist ein beliebtes,<br />
aber schwieriges Unterfangen in der kommunalen Berichterstattung. Das hängt zum<br />
einen zusammen mit der Vielzahl an möglichen Indikatoren in diesem Bereich<br />
(Wohnumfeldbedingungen, Wohnbedingungen, allgemeine <strong>und</strong> soziale<br />
Wohnungsversorgung, Wohnungsnotfälle, Mobilität, Wohndauer <strong>und</strong><br />
Wohn(un)zufriedenheit, Wohneigentums- bzw. Mietwohnungsdichte etc.) <strong>und</strong> zum<br />
anderen mit der Datengr<strong>und</strong>lage. Die Datenlage im Bereich „Wohnen“ ist wie kein<br />
anderer Bereich Ausdruck <strong>eines</strong> Hilfesystems, das sich in unzählige<br />
Zuständigkeitsbereiche ausdifferenziert hat, die faktisch kaum vernetzt sind. Je nach<br />
Aufbauorganisation <strong>und</strong> Selbstverwaltungsprinzip der Kommunen können diverse<br />
Ämter <strong>und</strong> freie Träger involviert sein. Das reicht vom Ordnungsamt <strong>und</strong> Amt für<br />
Wohnungswesen, dem Sozialamt mit seinen verschiedenen Unterabteilungen <strong>und</strong><br />
Fachstellen bis hin zur Caritas, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder Inneren Mission als<br />
Träger von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Auch der Immobilienverband<br />
Deutschland (vormals Ring Deutscher Makler) sowie die jeweiligen lokalen<br />
Wohnungsbaugesellschaften sind wichtige Datenlieferanten, ebenso wie die<br />
Bautätigkeitsstatistik <strong>und</strong> die Statistischen Landesämter.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 92<br />
Tab. 14: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs<br />
„Wohnen“ in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach<br />
Standardquellen <strong>und</strong> Ergänzungen<br />
Klassiker Ergänzungen<br />
- Wohngeldempfängerdatei<br />
- Einwohnermelderegister: Wohndauer<br />
- Lokale Wohnungsbaugesellschaften - Immobilienverband Deutschland/<br />
- Statistisches Landesamt<br />
Mietspiegel<br />
- Übergangswohnheime<br />
- Psychiatrische Kliniken/ Frauenhäuser<br />
- Fortschreibung der Gebäude- <strong>und</strong> - Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe<br />
Wohnraumzählung anhand der - Aktenanalyse Sachgebiet „vorbeugende<br />
Bautätigkeitsstatistik<br />
Obdachlosenhilfe“<br />
- Sozialverwaltung: Räumungsklagen<br />
- Sozialwohnungen: Fehlbelegungsabgabe<br />
- Kommunale Wohnungsvermittlungsstelle<br />
- Mietschuldnerberatungsstellen<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
Die aufgeführten Standardquellen <strong>und</strong> kreativen Ergänzungen zum Indikatorenbereich<br />
Wohnungsnotfälle waren bereits Thema im Kap. 6.2.3. über extreme Armut. Relativ<br />
problemlos <strong>und</strong> kleinräumig abbildbar ist der Indikator „Wohndauer“, der zugleich<br />
Ressourcen <strong>und</strong> Potentiale wie Probleme <strong>eines</strong> Raums anzeigt 60 . Auch die<br />
hausinternen Statistiken kommunaler Sozialwohnungsanbieter können aufschlussreich<br />
sein im Hinblick auf Aussagen über Raumnot, Mietschulden, nachfragende Haushalts-/<br />
Familientypen nach preiswertem Wohnraum, Verhältnis von Wohnungsangebot zu<br />
Wohnungsnachfrage etc. In Anbetracht der gestiegenen Nebenkosten wird gelegentlich<br />
ein kommunaler Miet- <strong>und</strong> Heizspiegel nachgefragt, der für die Sozialberichterstattung<br />
außerordentlich nützlich wäre (Gießen 2002: 188). Woran es jedoch im<br />
Lebenslagenbereich Wohnen in aller erster Linie mangelt, ist eine systematische<br />
Zusammenführung von Datenquellen insgesamt, möglichst in Kombination mit einer<br />
60 Überdurchschnittlich kurze Wohndauern in einem Stadtteil korrelieren mit hoher Mobilität <strong>und</strong><br />
Bevölkerungsfluktuation. Hohe Mobilität erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Einzelne auf Leistungen<br />
der Sozialverwaltung angewiesen ist, was dem Gemeinwesen wiederum eine „hohe Integrations- <strong>und</strong><br />
Absorptionsfähigkeit abverlangt“ (Wiesbaden 1995: A6). Hochmobile Bevölkerungsgruppen haben<br />
außerdem eine weniger starke Bindung zum Stadtteil. Lange Wohndauern werden hingegen als hohes<br />
Maß an Wohnzufriedenheit interpretiert <strong>und</strong> korrelieren in Räumen mit hohem Anteil an Wohneigentum,<br />
aber auch in den hochmobilen Räumen. Beim „harten Kern“, der wohnen bleibt, handelt es sich zu einem<br />
geringeren Anteil um erzwungene Sesshaftigkeit aufgr<strong>und</strong> eingeschränkter Wahlmöglichkeiten. Die<br />
Nachbarschaftskontakte können intensiv, aber auch sehr konfliktreich sein (Wetzlar 1998: 38, Gießen<br />
2002: 181, vgl. auch Keim 1999: 290 ff. <strong>und</strong> Farwick 2001: 160).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 93<br />
Effizienzsteigerung lokaler Hilfesysteme (vgl. Mardorf 2003: 36). Einstweilen arrangiert<br />
sich die kommunale Berichterstattung jedoch mit der Datenlage, indem sie<br />
ausgesprochen konstruktiv <strong>und</strong> unerschrocken auf eine Vielzahl unvernetzter Quellen<br />
zurückgreift, um das Thema Wohnen möglichst facettenreich abzubilden. Dies gelingt<br />
gelegentlich auch ohne harte Daten <strong>und</strong> ohne aufwendige Zusatzbefragungen, wie z.B.<br />
durch Fotodokumentation zur Wohnsituation <strong>und</strong> Fallbeispiele (Stuttgart 2002: 233 ff.).<br />
6.5.3. Lebenslage Ges<strong>und</strong>heit<br />
Wünschenswert wäre es, Ges<strong>und</strong>heitsdaten in erster Linie danach auswählen zu<br />
können, ob sie im Zusammenhang mit der Einkommens-, Wohn- <strong>und</strong> Bildungssituation<br />
der Betreffenden stehen. Diese Verknüpfung lässt sich jedoch in vielen Fällen nicht<br />
herstellen, vielmehr können sich BerichterstatterInnen glücklich schätzen, wenn sie<br />
ges<strong>und</strong>heitsbezogene Daten überhaupt in irgendeiner Form vorfinden (Mardorf 2003:<br />
33). Wichtigste Quelle kommunaler Ges<strong>und</strong>heitsdaten für die Armutsberichterstattung<br />
ist das Ges<strong>und</strong>heitsamt. Keine andere kommunale Institution verfügt über derart<br />
umfangreiche Informationen zur Ges<strong>und</strong>heit der Bevölkerung vor Ort. Der<br />
B<strong>und</strong>esverband der Ärzte des öffentlichen Ges<strong>und</strong>heitsdienstes (ÖGD) e.V. forderte<br />
daher in einem Arbeitspapier über Aufgabenschwerpunkte <strong>und</strong> Perspektiven des ÖGD<br />
bis zum Jahr 2000:<br />
“Diese Daten müssen systematisch abrufbar gehalten werden. Hierzu ist der Einsatz<br />
moderner technischer Möglichkeiten (EDV) unabdingbar. Es ist die Aufgabe des ÖGD,<br />
diese epidemiologischen Daten zu sammeln, untereinander in Beziehung zu setzen <strong>und</strong><br />
wissenschaftlich auszuwerten“ (B<strong>und</strong>esverband der Ärzte des ÖGD e.V.).<br />
Die Realität sieht allerdings anders aus. Auf die fehlende Verzahnung der Datenquellen<br />
des Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialberichtswesens hat bereits Cremer hingewiesen (Cremer<br />
2001: 212). Doch auch um die Verfügbarkeit von Ges<strong>und</strong>heitsdaten innerhalb der<br />
Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung ist es schlecht bestellt. Kommunale Ges<strong>und</strong>heitsdaten<br />
werden nur mäßig genutzt <strong>und</strong> ausgewertet, gelegentlich fehlen sie gänzlich. In den<br />
letzten Jahren wird an den „brachliegenden Datenfriedhöfen“ der Ges<strong>und</strong>heitsämter<br />
zunehmend Kritik geäußert, auch von den Behörden selbst (Ministerium für Arbeit,<br />
Soziales, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Frauen des Landes Brandenburg 1997 zitiert nach Mielck<br />
2000: 120). Weil also Ges<strong>und</strong>heitsdaten der Ges<strong>und</strong>heitsämter nicht flächendeckend<br />
zur Verfügung stehen, müssen teilweise Spezialauswertungen eigens für die
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 94<br />
Berichterstattung durchgeführt werden. Das ist mühsam, teuer <strong>und</strong> standardmäßig nicht<br />
realisierbar (vgl. Gießen 2002: 191).<br />
Die obligatorischen Schuleingangsuntersuchungen spielen im Rahmen von Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung eine entscheidende Rolle, weil<br />
a) sie eine komplette Alterskohorte unabhängig von jeglicher Schichtzugehörigkeit<br />
umfassen <strong>und</strong><br />
b) mit ihnen eine wichtige Zielgruppe der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung abgebildet<br />
wird.<br />
Tab. 15: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs<br />
„Ges<strong>und</strong>heit“ in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen<br />
<strong>und</strong> Ergänzungen<br />
Quelle Klassiker Ergänzungen<br />
Ges<strong>und</strong>heitsamt - Zahnges<strong>und</strong>heit<br />
- Meldepflichtige Krankheiten<br />
- Vorsorgeuntersuchungen<br />
U1-U9<br />
- Impfraten<br />
- Adipositas, Sprachstand<br />
- kinder- <strong>und</strong> jungendpsychiatrisch<br />
beratene Kinder nach sozialem<br />
Status der Familie<br />
- Frühförderung<br />
Agentur für Arbeit _ - Arbeitslose nach ges<strong>und</strong>heitli-<br />
Statistische Landesämter - Mortalitätsraten<br />
- Lebenserwartung<br />
chen Einschränkungen<br />
- Säuglingssterblichkeit<br />
Beratungsstellen _ - Fallzahlen Gewalt<br />
Kassenärztliche Vereinigung/ - Ärztliche Versorgung -<br />
- Selbsthilfegruppen<br />
- Ärztliche Versorgung nach<br />
Branchenbuch<br />
Apothekenversorgung<br />
Fachrichtungen (Kinderarzt,<br />
Allgemeinmediziner, Zahnarzt)<br />
- Versorgungsgrad ambulanter<br />
<strong>und</strong> stationärer Pflege<br />
- Altenbetreuung <strong>und</strong> -hilfedichte<br />
- Hilfen für Drogenabhängige<br />
Sozialamt _ - Krankenversicherungsschutz<br />
- Interventionsdichte des ASD<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
Erhoben werden die Zahnges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> der sonstige Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>eines</strong><br />
Jahrgangs (Böhm et al. 2003: 18). Sofern keine Zusatzbefragungen bei den Eltern
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 95<br />
durchgeführt werden, können die entscheidenden Zusammenhänge zwischen<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> Bildung, Einkommen, Erwerbsstatus oder Wohnsituation nicht<br />
hergestellt werden. In diesem Fall greifen Berichte häufiger darauf zurück, dass sie<br />
Zusammenhänge zwischen dem Sozialprofil bestimmter städtischer Räume <strong>und</strong> dem<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand der Kinder aufzeigen (z.B. Gießen 2002). Sofern Ges<strong>und</strong>heit in<br />
den Berichten thematisiert wird (in weniger als einem Drittel der analysierten Berichte),<br />
ist Kariesprävalenz der bevorzugte Indikator. In nur einem einzigen Bericht, dem<br />
Berliner Spezialbericht zur ges<strong>und</strong>heitlichen Lage von Kindern (Berlin 2003a: 24 ff. <strong>und</strong><br />
58 ff.) wurden die Indikatoren Adipositas <strong>und</strong> Sprachstand abgebildet. Adipositas gilt als<br />
zentraler Indikator im Zusammenhang mit Ernährungswissen <strong>und</strong> Bildungsarmut (vgl.<br />
Weigold 2003). Adipositas in der Kindheit ist kein banaler Bef<strong>und</strong>, sondern legt den<br />
Gr<strong>und</strong>stein für Übergewicht im Erwachsenenalter, höhere Krankheitsanfälligkeit <strong>und</strong><br />
eine damit einhergehende geringere Lebenserwartung. Die Berliner<br />
Spezialuntersuchung zeigt, dass es vor allem drei Faktoren sind, die die Adipositasrate<br />
beeinflussen: Die Staatsangehörigkeit <strong>und</strong> Herkunft, die soziale Schichtzugehörigkeit<br />
sowie das Geburtsgewicht (Berlin 2003a: 58 ff.; vgl. auch Delekat 2003: 28). In<br />
Anbetracht der zunehmenden Verbreitung von Übergewicht (im Jahr 2001 waren 12,6<br />
% aller Einschulungskinder adipös), ist Adipositas als Standardindikator im Rahmen<br />
ges<strong>und</strong>heitsbezogener Sozialberichterstattung anzustreben.<br />
Integrationsbedarf <strong>und</strong> spezielle Anforderungen im Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfebereich<br />
zeigen die Sprachstandserhebungen an. Spracharmut, Sprach- <strong>und</strong> Sprechstörungen<br />
sowie schlechte Deutschkenntnisse sind Bef<strong>und</strong>e, die lebensentscheidend für die<br />
gesellschaftliche Teilhabe der betreffenden Kinder sein können <strong>und</strong> als zentrale<br />
Indikatoren gr<strong>und</strong>sätzlich in den Blick genommen werden müssten 61 . Ferner sind der<br />
Allgemeine Soziale Dienst, die kassenärztlichen Vereinigungen, die statistischen<br />
Landesämter sowie die Ges<strong>und</strong>heitsberatungsstellen u.U. wichtige Datenlieferanten,<br />
vorausgesetzt, sie sind in der Lage, ihre Daten im Zusammenhang mit<br />
Schichtpositionen, mindestens aber kleinräumig darzustellen.<br />
61 Inhaltlich sind die Indikatoren zum Sprachstand eher dem Lebenslagenbereich „Teilhabe am<br />
gesellschaftlichen Leben“ als „Ges<strong>und</strong>heit“ zuzuordnen. Sie werden an dieser Stelle hier genannt, weil<br />
die Datenquelle der Berliner Sprachstandserhebungen das Ges<strong>und</strong>heitsamt ist (Berlin 2003a: 24 ff.).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 96<br />
In vielen Berichten wird ferner deutlich, dass eine empirische Untermauerung von<br />
Ges<strong>und</strong>heitsthemen auf lokaler Ebene gewünscht wird. Ausweichstrategien sind<br />
ausführliche Thematisierungen des Zusammenhangs von Ges<strong>und</strong>heit, Armut <strong>und</strong><br />
Ernährung, psychischer Ges<strong>und</strong>heit, Suchtmittelabhängigkeit, Migration <strong>und</strong><br />
Arbeitslosigkeit. Quellen sind einschlägige Studien im Rahmen der Armuts- <strong>und</strong><br />
Ungleichheitsforschung (z.B. Bielefeld 2001: 162 ff., Stuttgart 2002: 238 oder<br />
Düsseldorf 1998: 9).<br />
6.5.4. Lebenslage Bildung<br />
Tab. 16: Datenquellen/Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs „Bildung“<br />
in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen <strong>und</strong><br />
Ergänzungen<br />
Quelle Klassiker Ergänzungen<br />
Schulverwaltungsamt - SchülerInnen <strong>eines</strong> Schuljahres nach<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
Schulformen<br />
- Übergänge von den Gr<strong>und</strong>schulen in<br />
weiterführende Schulen<br />
- SchulabbrecherInnen<br />
(Hohm 2003: 45)<br />
VHS <strong>und</strong> andere<br />
- Schulabschluss bei Schulentlassung<br />
_ - TeilnehmerInnen an<br />
Bildungsträger<br />
Alphabetsierungskursen<br />
oder Kursen „Deutsch<br />
für AusländerInnen“<br />
Mikrozensus - Höchster allgemeinbildender Schulabschluss<br />
- Anteil der Personen ohne Schulabschluss<br />
- Höchster beruflicher Ausbildungsabschluss<br />
- Anteil der Personen ohne Ausbildungsabschluss<br />
Ebenso wie Ges<strong>und</strong>heit ist Bildung Thema in einem Drittel aller analysierten Berichte.<br />
Die Zuordnung der Quellen zu den Klassikern ist daher relativ. Sofern Kommunen den<br />
Mikrozensus nutzen können, lassen sich Bildungs- <strong>und</strong> Ausbildungsabschluss der<br />
Gesamtbevölkerung zu einem bestimmten Stichtag abbilden. Räumlicher<br />
Bezugsrahmen ist meist die Gesamtstadt (Ausnahme: Berlin). Üblicherweise werden
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 97<br />
daher absolute SchülerInnenzahlen abgebildet, die zwar Bildungstrends in ihrer<br />
<strong>Entwicklung</strong> aufzeigen können <strong>und</strong> Bildungsarmut quantitativ abbilden, nicht aber<br />
räumlich lokalisieren oder in Bezug zu anderen Themenbereichen wie dem<br />
Migrationshintergr<strong>und</strong> oder der sozialen Herkunft setzen können. Für kleinräumige<br />
Aussagen sind folglich die Daten der Schulen unverzichtbar. Sie müssen jedoch zum<br />
Teil eigens für die Berichterstattung ausgewertet werden, weil sie nicht immer<br />
standardmäßig vorliegen.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> verzichten einige Städte darauf, Bildung abzubilden, z.B. Bad Vilbel:<br />
Während im 1996er Sozialbericht Bildungsbenachteiligung noch ein kleinräumlich<br />
ausgewerteter Indikator für den Aussagebereich „Soziale Segregation“ war (mit<br />
Rückgriff auf die Volkszählungsdaten), wurde er im 2002er Bericht durch den Indikator<br />
„Arbeitslose“ ersetzt, „weil die städtischen Hauptschulen sich außer Stande sahen,<br />
Schülerzahlen nach den Gebieten aufgeschlüsselt zu liefern“ (Bad Vilbel 2002: 130).<br />
Erschwerend kommt hinzu, dass Schulen in Mittel- <strong>und</strong> Oberzentren, vor allem die<br />
Berufsschulen <strong>und</strong> die Oberstufen, häufig auch Einzugsbereich für Nachbargemeinden<br />
sind. Eine Abgrenzung städtischer SchülerInnen von UmlandschülerInnen bedeutet<br />
daher zusätzlichen Auswertungsaufwand. Ähnlich wie bei den<br />
Schuleingangsuntersuchungen ist eine Interpretation der erreichten Bildungsabschlüsse<br />
nur im Kontext der kleinräumigen Sozialstruktur aussagekräftig. Bezugsraum ist der<br />
Wohnort der SchülerInnen. Kreative Ergänzung von Bildungsdaten sind z.B.<br />
Alphabetisierungskurse oder Deutschkurse für AusländerInnern, die z.T. auch im<br />
Zusammenhang mit der Einkommenssituation der KursteilnehmerInnen ausgewertet<br />
werden können. Die Themen Analphabetismus <strong>und</strong> schlechte Deutschkenntnisse<br />
tauchen in einigen Berichten im Zusammenhang mit Bildung auf (Bielefeld 2001;<br />
Gießen 2002; Hannover 1993). Insgesamt wird Bildung als Schlüsselfaktor für den<br />
Zugang zu Lebenschancen, für Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> für Erwerbsverläufe in der<br />
Berichterstattung unterschätzt <strong>und</strong> zu Gunsten einer Fokussierung auf<br />
Einkommenslagen vernachlässigt. Die ungünstigen Datenverfügbarkeiten verstärken<br />
diese Tendenz. Angesichts der Bedeutung von Bildung ist dieser Zustand jedoch nicht<br />
haltbar.
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 98<br />
6.5.5. Lebenslage Partizipation<br />
Nur knapp ein Zehntel aller Berichte berücksichtigt diesen Lebenslagenbereich.<br />
Unangefochtener Standardindikator ist die politische Partizipation, gemessen über die<br />
Wahlbeteiligung bzw. Wahlenthaltung oder Stimmrechtsverzicht 62 bei B<strong>und</strong>estags-,<br />
Landtags- oder Kommunalwahlen. Die Wahlbeteiligung gilt als Indikator für politisches<br />
Tagesinteresse <strong>und</strong> ist traditionell höher, wenn es um nachvollziehbare<br />
Richtungsentscheidungen geht, die das Wahlergebnis spannend machen. Der<br />
RechtswählerInnenanteil (meist DVU, Republikaner oder NPD) wird gelegentlich in<br />
Kombination mit der Wahlbeteiligung kleinräumig betrachtet <strong>und</strong> als „tiefgreifende<br />
Unzufriedenheit“ mit dem Parteienspektrum <strong>und</strong> seinen RepräsentantInnen sowie den<br />
sozialen Verhältnissen gedeutet (Hamburg 1997b: 31) Hohe RechtswählerInnenanteile<br />
stehen auch für aktive Verweigerung, im Unterschied zur passiven Verweigerung, der<br />
Nichtwahl. Der Anteil politisch wirksamer WählerInnenstimmen erlaubt im kleinräumigen<br />
Vergleich eine Aussage darüber, inwiefern sich die BürgerInnen bestimmter Stadtteile<br />
im politischen System vertreten sehen. Geringe politische Repräsentanz wiederum<br />
kann Verweigerung herbeiführen oder verstärken, ein Teufelskreis-Prinzip, das dazu<br />
führen kann, dass bestimmte Stadtteile politisch kaum noch teilhaben (Hamburg 1997b:<br />
31, vgl. auch Frankfurt 1997: 340).<br />
Tab. 17: Datenquellen/ Indikatoren zur Darstellung des Lebenslagenbereichs<br />
„Partizipation“ in der kommunalen Berichterstattung, differenziert nach Standardquellen<br />
<strong>und</strong> Ergänzungen<br />
Quelle Klassiker Ergänzungen<br />
Amt für Wahlen - Wahlbeteiligung - RechtswählerInnen<br />
- Anteil politisch wirksamer<br />
WählerInnen<br />
Zusatzbefragungen - - Vereinsmitgliedschaften,<br />
Freizeittätigkeiten etc.<br />
Agentur für Arbeit - - Erwerbsarbeit<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
Als Indikatoren für Teilhabe am gesellschaftlichen Leben fungieren seltener auch<br />
Vereinsmitgliedschaften <strong>und</strong> Freizeittätigkeiten, die in Form von Zusatzbefragungen<br />
62<br />
Einige definieren Stimmrechtsverzicht als Wahlenthaltung plus Republikaneranteil bei Wahlen<br />
(Gelsenkirchen 2001: 95).
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 99<br />
ermittelt werden (Leipzig 1999: 259 ff., Bad Vilbel 1996: 187). Vereinsmitgliedschaften<br />
werden im Bad Vilbeler Bericht als „tragendes Element bürgerschaftlichen<br />
Engagements in Gemeinden kleinerer bis mittlerer Größe“ (Bad Vilbel 1996: 187)<br />
gesehen. Ziel der Erfassung der Bad Vilbeler Vereinsmitgliedschaften ist, einen<br />
Überblick über die Zielrichtungen, Tätigkeitsschwerpunkte <strong>und</strong> Mitgliederzahlen zu<br />
erhalten. Besonderes Interesse gilt der Mitgliederstruktur als Indikator für die Integration<br />
speziell von Kindern, Jugendlichen <strong>und</strong> alten Menschen.<br />
Das ausdifferenzierteste Konzept zur Erfassung der Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben wurde im Leipziger Lebenslagenreport entwickelt. Teilhabe wird untergliedert in<br />
a) Freizeit, b) Interesse an Politik <strong>und</strong> Wahlverhalten <strong>und</strong> c) Einschätzung der Tätigkeit<br />
verschiedener Ämter/ Institutionen im sozialen Bereich. Geringe Teilhabe am<br />
gesellschaftlichen Leben liegt demnach bei einer Kombination aus Unterversorgung im<br />
Einkommen mit geringer Eigenaktivität/Selbsthilfe <strong>und</strong> Isolationstendenzen vor (Leipzig<br />
1999: 259). Zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zählt auch die Teilhabe am<br />
Erwerbsleben. Erwerbsarbeit bzw. Erwerbslosigkeit wird jedoch in klassischen<br />
Lebenslagenberichten überwiegend im Zusammenhang mit der Einkommenssituation<br />
betrachtet.<br />
6.6. Fazit: Datenverfügbarkeiten <strong>und</strong> Konsequenzen für die Berichterstattung<br />
Kommunale Berichterstattung stützt sich in der Hauptsache auf Statistiken, um die<br />
soziale Lage der Bevölkerung darzustellen. Statistiken sind die komprimierteste Form<br />
der Annäherung an die Realität. Zugr<strong>und</strong>e liegen ihnen nicht nur statistische<br />
Gütekriterien, sondern auch Weltanschauungen. Heute vorliegende Datenquellen sind<br />
das Resultat einer historisch gewachsenen Organisation <strong>und</strong> Verwaltung des Sozialen.<br />
Sie fokussieren primär die (monetäre) Leistungserbringung für benachteiligte Individuen<br />
<strong>und</strong> nicht die Organisation der Daseinsvorsorge in ihrer Gesamtheit. Die Prozessdaten<br />
öffentlicher Träger haben Priorität gegenüber den Daten freier Träger. Gemeinsam ist<br />
beiden ihre nach innen gerichtete Steuerung <strong>und</strong> ihre vertikale Organisationsstruktur.<br />
Ferner visieren beide primär ausgewählte Zielgruppen an, die selten in ihrem<br />
haushälterischen Gesamtzusammenhang wahrgenommen <strong>und</strong> abgebildet werden.<br />
Wohl aus Unzufriedenheit über den Informationsgehalt <strong>und</strong> die Unmöglichkeit, mit den<br />
Standardquellen Querbezüge herzustellen, erweisen sich kommunale Berichte als
6. Kommunale Datenverfügbarkeiten 100<br />
großer F<strong>und</strong>us im Aufspüren kreativer Zusatzquellen <strong>und</strong> Ersatzindikatoren, auch im<br />
Bereich extremer Armut. Im Ergebnis jedoch erweisen sich die Standarddaten als Dreh<strong>und</strong><br />
Angelpunkt für die Wahrnehmung <strong>und</strong> Abbildung sozialer Lagen. Sie haben<br />
Konsequenzen für die Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattungslandschaft insgesamt.<br />
Folgende Charakteristika sind für die Datenquellen <strong>und</strong> in der Konsequenz auch für die<br />
Berichtsansätze kennzeichnend:<br />
• staatlich administrativ,<br />
• defizitorientiert,<br />
• vertikal organisiert,<br />
• nach innen gerichtet,<br />
• an Transferleistungen orientiert,<br />
• individuenzentriert,<br />
• kreativ.<br />
Die Charakteristika kommunaler Datenverfügbarkeiten wirken sich auf Anspruch <strong>und</strong><br />
Umsetzung von Berichtsansätzen aus (Kap. 5.4.4.), insbesondere auf die<br />
Umsetzbarkeit des Lebenslagenansatzes (Kap. 7.2.).
7. Lebenslagenorientierung 102<br />
7. Lebenslagenorientierung<br />
Das Projekt hat den Anspruch, eine Datenmodulsystem zu entwickeln, das sich am<br />
Lebenslagenansatz orientiert <strong>und</strong> somit die Lage der Bevölkerung im Allgemeinen<br />
sowie Unterversorgung <strong>und</strong> Armut im Besonderen sowohl in materieller als auch in<br />
immaterieller Hinsicht darzustellen vermag (vgl. Kap. 1.). Im vorliegenden Kapitel soll<br />
die Frage geklärt werden, was der Lebenslagenansatz als theoretische Konzeption<br />
impliziert <strong>und</strong> wo die Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung unter dem Aspekt<br />
der Imkompatibilität der verwendeten Datenquellen liegen.<br />
7.1. Der Lebenslagenansatz als theoretische Konzeption 63<br />
Das Konzept der Lebenslage geht auf Otto Neurath zurück <strong>und</strong> entstand zur Zeit der<br />
Weimarer Republik. In der Nachkriegszeit wurde es von Gerhard Weisser aufgegriffen<br />
<strong>und</strong> neu interpretiert. Neurath sah in der Lebenslage den Inbegriff aller Umstände, die<br />
unmittelbar die Verhaltensweise <strong>eines</strong> Menschen bedingen. Weisser definierte als<br />
Lebenslage den Spielraum, den die äußeren Umstände einem Menschen zur<br />
Befriedigung seiner Bedürfnisse, die wiederum den Sinn s<strong>eines</strong> Lebens bestimmen,<br />
bieten (Weisser 1956: 986). Ähnlich wird der Begriff auch in der modernen<br />
sozialpolitischen Diskussion aufgefasst: Unter der Lebenslage wird der Spielraum<br />
verstanden, den ein Mensch zur Befriedigung der Gesamtheit seiner materiellen <strong>und</strong><br />
immateriellen Interessen besitzt. Damit setzt sich die Lebenslage aus einer Vielzahl von<br />
Merkmalen zusammen (Glatzer/ Hübinger 1990: 35; vgl. Hauser/ Neumann 1992: 246).<br />
Der Lebenslagenansatz zeichnet sich also dadurch aus, dass er materielle<br />
Dimensionen wie Einkommen <strong>und</strong> Vermögen <strong>und</strong> immateriellen Dimensionen wie der<br />
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben integriert (Andreß/ Lipsmeier 1995: 36; Hauser/<br />
Neumann 1992: 246 f.; Neumann/ Hertz 1998: 15). Im Gegensatz zum<br />
Ressourcenansatz, der das Vorhanden- bzw. Nichtvorhandensein von ökonomischen<br />
Ressourcen – vor allem in Form des verfügbaren Einkommens – für allein wesentlich<br />
hält (vgl. Hauser et al. 1981: 26f f.; Hauser/ Neumann 1992: 246 ff.; Neumann/ Hertz<br />
1998: 16 ff.), sieht der Lebenslagenansatz nicht die verfügbaren Ressourcen, sondern<br />
die tatsächliche Versorgungssituation in ausgewählten Lebensbereichen als<br />
63 Der Lebenslagenansatz wird an dieser Stelle ausschließlich unter armutstheoretischen<br />
Gesichtspunkten beleuchtet, wohl wissend, dass er auch als ein Gruppierungsmodell innerhalb der<br />
sozialen Ungleichheitsforschung dient.
7. Lebenslagenorientierung 103<br />
entscheidend an (Döring et al. 1990: 11; Hanesch 1995: 11; Hauser/ Neumann 1992:<br />
247; Neumann/ Hertz 1998: 15). Man kann demnach die Lebenslage auch als Resultat<br />
der Ressourcenverwendung betrachten (Andreß 1999: 73).<br />
Armut ist in diesem Zusammenhang als Unterversorgung in zentralen Bereichen der<br />
Lebenslage, also als Komplex multipler sozialer Deprivation zu verstehen (Hauser/<br />
Neumann 1992: 247; Neumann/ Hertz 1998: 15). Es besteht jedoch keine Einigkeit<br />
darüber, welches die als zentral zu erachtenden Lebenslagendimensionen sind. Häufig<br />
werden jedoch die Dimensionen Finanzsituation, Wohnen, (Erwerbs-)<br />
Arbeit, Ges<strong>und</strong>heit, Bildung <strong>und</strong> Teilhabe am gesellschaftlichen Leben angeführt.<br />
Keinen Konsens gibt es darüber hinaus hinsichtlich der Frage, ob eine bloße<br />
Zusammenstellung der äußeren Lebensbedingungen genügt, um die Lebenslage einer<br />
Person hinreichend zu beschreiben. Es wird in diesem Zusammenhang immer wieder<br />
darauf hingewiesen, dass die äußeren Umstände subjektiv unterschiedlich<br />
wahrgenommen <strong>und</strong> bewertet werden können (Glatzer/ Hübinger 1990: 35 f.; Krause/<br />
Schäuble 1986:16; Wendt 1988: 79 ff.).<br />
Für die Umsetzung des Lebenslagenansatzes in die Praxis bedarf es zuerst der<br />
Festlegung der zu betrachtenden Lebenslagendimensionen. Anschließend müssen<br />
Indikatoren ausgewählt werden, die über die verschiedenen Lebenslagendimensionen<br />
zuverlässig Auskunft geben. Dabei gilt es zu beachten, dass für diese Indikatoren auch<br />
geeignete Daten verfügbar sind.<br />
Betrachtet man die Operationalisierung des Lebenslagenansatzes im Zuge der Armuts<strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung, so muss man konstatieren, dass diese äußerst heterogen<br />
ausfällt. Wie bereits in Kap. 5.4.4. beschrieben, verfolgen etwa ein Drittel der uns<br />
vorliegenden kommunalen Berichte den Lebenslagenansatz, interpretiert wird er jedoch<br />
sehr unterschiedlich. So gibt es Berichte, die sich zwar die Orientierung am<br />
Lebenslagenansatz auf die Fahnen schreiben, letztlich aber nur den Bereich Sozialhilfe<br />
abbilden. Auf der anderen Seite gibt es Berichte, die bis zu zehn<br />
Lebenslagendimensionen beinhalten <strong>und</strong> diese sehr detailliert beleuchten. Eine<br />
besondere Schwierigkeit bei der Umsetzung des Lebenslagenansatzes liegt – neben<br />
der Einbeziehung der oben erwähnten subjektiven Wahrnehmung, die nur über<br />
aufwendige qualitative Erhebungen möglich ist – jedoch in der Verknüpfung der<br />
verschiedenen Lebenslagendimensionen. In der Regel werden die
7. Lebenslagenorientierung 104<br />
Lebenslagendimensionen nacheinander „abgearbeitet“, also isoliert dargestellt, was<br />
nicht der Realität entspricht. Die verschiedenen Lebenslagendimensionen hängen eng<br />
miteinander zusammen, sie bedingen sich teilweise gegenseitig. Diese<br />
Interdependenzen werden im Zuge der Berichterstattung jedoch nur in den seltensten<br />
Fällen aufgezeigt. Der Frage, woran die Verknüpfung der verschiedenen<br />
Lebenslagendimensionen <strong>und</strong> damit die Darstellung der Lebenslagen der Bevölkerung<br />
in ihrem Zusammenhang scheitert, widmet sich das folgende Unterkapitel.<br />
7.2. Umsetzungsschwierigkeiten des Lebenslagenansatzes am Beispiel der<br />
Inkompatibilität von Datenquellen<br />
Um die Lebenslagen der Bevölkerung in ihrer Multidimensionalität zu beleuchten,<br />
genügt es bei der Umsetzung des Lebenslagenansatzes in der kommunalen<br />
Berichterstattung nicht, alle „Dimensionen menschlichen Lebens“ (Lutz 2003: 6)<br />
nacheinander zu erwähnen, sondern sie müssen in ihren Querverbindungen <strong>und</strong><br />
wechselseitigen Bezügen herausgearbeitet werden (Lutz 2003: 8; Kistler/ Sing 2001:<br />
162).<br />
Die folgende Übersicht (Tab. 18) zeigt am Beispiel dreier Statistiken, die im Rahmen<br />
des Verwaltungsvollzugs bis Ende 2004 eine zentrale Quelle kommunaler<br />
Berichterstattung waren, die Lebenslagenverknüpfungen <strong>und</strong> ihre Variablen. Obwohl es<br />
sich um leicht zugängliche, aktuelle <strong>und</strong> in der Berichterstattung weit verbreitete<br />
Prozessdaten handelt, sind weder die betrachteten Lebenslagendimensionen noch die<br />
Merkmalsausprägungen im Detail vergleichbar. Die Arbeitslosenstatistik ist im<br />
Unterschied zu den anderen beiden Statistiken eine reine Individualstatistik, der sich<br />
weder die Anzahl der Haushaltsmitglieder, noch die Kinderzahl entnehmen lässt. Eine<br />
wesentliche Erhebungsgröße – die Ursache des Bezugs – wird nur in der<br />
Sozialhilfestatistik erfasst. Erwerbsarbeit ist in allen drei Statistiken eine<br />
Lebenslagenausprägung, die Variablen sind jedoch nahezu unvergleichlich. Die Schul<strong>und</strong><br />
Berufsausbildung spielt in der Wohngeldstatistik keine Rolle, ebenso wie der<br />
Bereich Ges<strong>und</strong>heit. Auch den anderen beiden Statistiken sind Hinweise über den<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand nur sehr indirekt zu entnehmen, z.B. über die Kategorie<br />
Mehrbedarfszuschlag für Krankenkost. Die Wohnsituation wird im Rahmen der
7. Lebenslagenorientierung 105<br />
Wohngeldstatistik sehr differenziert erfasst, ist jedoch in der Sozial- <strong>und</strong><br />
Arbeitslosenstatistik nur ein randständiges bzw. kein Thema.<br />
Tab. 18:<br />
Lebenslagenverknüpfungen <strong>und</strong> ihre Variablen am Beispiel von drei<br />
ausgewählten Sozialstatistiken im Vergleich<br />
Merkmale Sozialhilfestatistik 64 Wohngeldstatistik 65 Arbeitslosenstatistik 66<br />
Haushalts- <strong>und</strong> Personenstruktur<br />
nach Altersklassen<br />
variabel variabel variabel, meistens:<br />
< 25 Jahre<br />
> 50 Jahre<br />
Haushalt -Zahl der Haushaltsmitglieder<br />
- Zahl der HLU-EmpfängerInnen<br />
im Haushalt<br />
- Allein erziehend siehe<br />
Dauer des<br />
Bezugs<br />
Ursachen/besondere<br />
soziale<br />
Situation<br />
Erwerbsarbeit<br />
Erwerbsstatus/<br />
gewünschte<br />
Arbeitszeit<br />
Mehrbedarfszuschlag<br />
- Zahl der Haushaltsmitglieder<br />
variabel bis 2 Jahre<br />
2 bis < 4 Jahre<br />
4 bis < 6 Jahre<br />
weiter in Zweijahresabschnitten<br />
- Tod <strong>eines</strong> Familienmitglieds<br />
- Trennung/Scheidung<br />
- Geburt <strong>eines</strong> Kindes<br />
- Freiheitsentzug/Haftentlassung<br />
- Unterbringung <strong>eines</strong><br />
Familienmitglieds in einer<br />
stationären Einrichtung<br />
- Suchtabhängigkeit,<br />
Überschuldung<br />
- ohne eigene Wohnung<br />
- Vollzeit<br />
- Teilzeit<br />
- arbeitslos mit SGB III<br />
- arbeitslos ohne SGB III<br />
- nicht erwerbstätig<br />
wegen:<br />
- Krankheit/Behinderung/Arbeitsunfähigkeit<br />
- häuslicher Bindung<br />
- aus Altersgründen<br />
- wegen Aus- <strong>und</strong><br />
Fortbildung<br />
bis 20 Jahre <strong>und</strong> länger<br />
_<br />
- arbeitslos<br />
- ArbeiterInnen<br />
- Angestellte<br />
- BeamtInnen<br />
- Selbstständige<br />
- RentnerInnen/PensionärInnen<br />
- Sonstige (z.B. Studierende,<br />
SozialhilfeempfängerInnen,<br />
Auszubildende)<br />
> 55 Jahre<br />
_<br />
< 3 Monate<br />
3 bis unter 6 Monate<br />
6 Monate bis unter 1<br />
Jahr<br />
> 1 Jahr<br />
_<br />
- Vollzeit<br />
- Teilzeit<br />
- Heimarbeit<br />
<strong>und</strong> nach Berufsgruppen<br />
64 Statistisches B<strong>und</strong>esamt (Hg.) (2004): Datensatzbeschreibung Sozialhilfestatistik. Unter:<br />
http://www.tls.thueringen.de/erfassung/mail/Satzbeschreibung/DSB_SOS01.pdf vom 28.12.2004<br />
65 Haustein, T. (2004b): Wohngeld in Deutschland 2002. In: Wirtschaft <strong>und</strong> Statistik 7/2004, S. 762 - 769<br />
66 B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen (2004): Statistischer<br />
Monatsbericht. Aktuelle Daten zum Arbeitsmarkt. Berichtsmonat: Oktober 2004. Unter:<br />
http://www.arbeitsagentur.de/content/de_DE/sachsen_anhalt_thueringen/967/importierter_inhalt/pdf/s<br />
tatistisches_monatsheft_okt_2004.pdf vom 28.12.2004
7. Lebenslagenorientierung 106<br />
Fortsetzung Tab. 18:<br />
Lebenslagenverknüpfungen <strong>und</strong> ihre Variablen am Beispiel von drei<br />
ausgewählten Sozialstatistiken im Vergleich (Fortsetzung)<br />
Merkmale Sozialhilfestatistik Wohngeldstatistik Arbeitslosenstatistik<br />
Bildung<br />
Schulbildung - in schulischer Ausbildung<br />
- Volks-/Hauptschulabschluss<br />
- Realschulabschluss<br />
- Fachhochschul-/Hochschulreife<br />
- sonstiger Abschluss<br />
- kein Schulabschluss<br />
Berufsausbildung<br />
- unbekannt<br />
- kein Ausbildungsabschluss<br />
- noch in beruflicher<br />
Ausbildung<br />
- abgeschlossene Lehre<br />
- abgeschlossene schulische<br />
oder berufliche<br />
Ausbildung<br />
- Fachschule, Meister-,<br />
Technikerschule,<br />
Berufs- oder<br />
Fachakademie<br />
- Fachhochschul-/Hochschulabschluss<br />
- anderer<br />
- unbekannt<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Ges<strong>und</strong>heit - siehe unter Erwerbsstatuts:<br />
Gründe für<br />
Erwerbslosigkeit<br />
- oder unter Mehrbedarfszuschlag<br />
(Alternativen:<br />
behindert oder auf<br />
Krankenkost<br />
angewiesen)<br />
Wohnsituation<br />
Wohnen - siehe unter besondere<br />
soziale Situation<br />
(Alternative: ohne<br />
eigene Wohnung)<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
_<br />
_<br />
_<br />
- nach Wohnfläche<br />
- nach Ausstattung der<br />
Wohnung<br />
- nach Mietenstufe der<br />
Gemeinde<br />
- nach Miethöhe (monatliche<br />
Kaltmiete, Quadratmetermiete)<br />
- Mietbelastung vor <strong>und</strong><br />
nach Wohngeldbezug<br />
- prozentuale Abdeckung<br />
der Wohnkosten durch<br />
Wohngeld<br />
- ohne Schulabschluss<br />
- Hauptschlulabschluss<br />
- Realschulabschluss<br />
- Fachhochschul-/Hochschulreife<br />
- ohne abgeschlossene<br />
Berufsausbildung<br />
- betriebliche/außerbetriebliche<br />
Ausbildung<br />
- Berufsfachschule<br />
- Fachschule<br />
- Fachhochschule<br />
- Universität<br />
- ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Einschränkungen<br />
- Schwerbehinderung<br />
- keine ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Einschränkung<br />
Bereits beim Vergleich dieser drei Datenquellen wird erkennbar, dass die<br />
Inkompatibilität der Variablen eine Verknüpfung zwischen Einkommen, Bildung,<br />
_
7. Lebenslagenorientierung 107<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Wohnen etc. kaum ermöglicht. Wenn nun noch weitere<br />
Datenlieferanten wie die Schuldnerberatung, das Ges<strong>und</strong>heitsamt, die Schulen oder der<br />
Allgemeine Soziale Dienst hinzukommen, wird zweierlei deutlich:<br />
1. Die Inkompatibilität der Variablen macht es nahezu unmöglich, Querverbindungen<br />
herzustellen <strong>und</strong> Wechselwirkungen aufzuzeigen.<br />
2. Weil jeweils vollkommen unterschiedliche Gr<strong>und</strong>gesamtheiten in den Blick<br />
genommen werden, können Mehrfachbetroffenheiten oder die Kumulation von<br />
Lebenslagenereignissen kaum abgebildet werden.<br />
Folgende Abbildung zeigt grafisch, wie die Umsetzung des Lebenslagenansatzes in der<br />
Praxis erfolgt, sofern es sich nicht um Berichte vom Typ „Statistiker“ oder<br />
„subjektorientierte Empiriker“ handelt, sondern um „Pragmatiker“ (vgl. Kap. 5.4.5.).<br />
Häufiger verwendete Datenquellen sind schematisch über ihre Gr<strong>und</strong>gesamtheiten<br />
abgebildet.<br />
Abb. 12:<br />
Fehler! Es ist nicht möglich, durch die Bearbeitung von Feldfunktionen Objekte<br />
zu erstellen.<br />
Nur wenn die Datenquellen eine Verknüpfung zu anderen Themen <strong>und</strong> Quellen<br />
integrieren, lassen sich Querbezüge herstellen, z.B.<br />
• Erfassung der Erwerbslosen nach ges<strong>und</strong>heitlicher Einschränkung,<br />
• WohngeldempfängerInnenhaushalte mit einem Nettoäquivalenzeinkommen von<br />
weniger als 50 Prozent des nationalen Durchschnitts,<br />
• WohngeldempfängerInnenhaushalte in Raum- <strong>und</strong> Mietnot (Wohnungsnotfälle),<br />
• SozialhilfeempfängerInnen ohne eigene Wohnung (Wohnungsnotfälle),<br />
• SozialhilfeempfängerInnen in der „besonderen sozialen Situation“ Überschuldung<br />
etc.<br />
Die Abbildung veranschaulicht, wie sehr die betrachteten Lebenslagen nur<br />
nebeneinander, nicht aber „übereinander“, d.h. in ihrem wechselseitigen Bezug,<br />
betrachtet werden können (Mardorf 2001: 185). Ferner sind nicht alle Zielgruppen wie<br />
MigrantInnen oder Wohnungsnotfälle einwohnermelderechtlich registriert. Im Ergebnis<br />
lassen sich Zusammenhänge <strong>und</strong> Wechselwirkungen auf Gr<strong>und</strong> völlig unterschiedlicher<br />
Datenzugänge empirisch nicht belegen. Um die von mehrfachen Problemlagen
7. Lebenslagenorientierung 108<br />
Betroffenen herausfiltern zu können, wären jeweils gleiche Gr<strong>und</strong>gesamtheiten<br />
erforderlich, im besten Fall die Gesamtbevölkerung (bzw. Privathaushalte) der<br />
jeweiligen Kommune. Dies ist faktisch nur über repräsentative Haushaltsbefragungen<br />
möglich <strong>und</strong> selten die Praxis (vgl. Kap. 5.4.5.).<br />
7.3. Fazit <strong>und</strong> Konsequenzen<br />
Folgendes bleibt in diesen Zusammenhang abschließend festzuhalten:<br />
Ein Großteil kommunaler Berichte ist bemüht, das Kriterium der Mehrdimensionalität in<br />
der Abbildung von Armuts- <strong>und</strong> sozialen Lagen zu erfüllen, indem mehrere<br />
Themenbereiche integriert werden. Eine wechselseitige Verknüpfung der Themen ist<br />
den Berichten vom Typ „Pragmatiker“ nicht möglich, weil sie auf Prozessdaten<br />
zurückgreifen, die überwiegend vertikal organisiert, staatlich administrativ <strong>und</strong><br />
individuenzentriert sind (vgl. Kap. 6.). Angesichts dieser Tatsache stellt sich die<br />
perspektivische Frage nach der <strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> kommunalen Berichtssystems, das<br />
dem integrierten Ansatz gerecht wird. In Anbetracht knapper Haushaltsbudgets vieler<br />
Kommunen kann die Lösung nicht auf der Ebene repräsentativer, teurer<br />
Haushaltsbefragungen liegen. Vielmehr sollte Berichterstattung an den ohnehin<br />
bestehenden Prozessdaten <strong>und</strong> kommunalen Informationsquellen ansetzen.<br />
Längerfristiges Ziel bei der <strong>Entwicklung</strong> von Standards sollte es daher sein, eine<br />
Erfassungsstruktur zu entwickeln, die mit wenig Aufwand an bestehenden Datensätzen<br />
anknüpft, um größere Lebenslagenüberschneidungen zu erzielen.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 110<br />
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung<br />
Im Folgenden werden zentrale Herausforderungen thematisiert, denen sich die<br />
kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung – unabhängig von speziellen<br />
Datenquellen <strong>und</strong> Statistiken – zu stellen hat. Die hier dargestellten sechs Themen<br />
erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie sind als Ergebnis der<br />
Kreativitätsanalyse der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte (vgl. Kap. 5.3.)<br />
anzusehen <strong>und</strong> in diesem Zusammenhang die von uns als zentral erachteten Punkte.<br />
Weitere Themen sind durchaus vorstellbar (z.B. Genderansätze in der<br />
Berichterstattung), wurden in den uns vorliegenden Berichten jedoch nicht aufgegriffen.<br />
8.1. Intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität<br />
8.1.1. Definition intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität<br />
Es existiert kein allgemeiner Konsens darüber, was unter dem Begriff „intrakommunale<br />
Vergleichbarkeit“ zu verstehen ist. Intrakommunale Vergleichbarkeit im Hinblick auf<br />
kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung hat mehrere Aspekte:<br />
• einen daten<strong>bezogenen</strong> Aspekt,<br />
• einen räumlichen Aspekt <strong>und</strong><br />
• einen zeitlichen Aspekt.<br />
Unter dem daten<strong>bezogenen</strong> Aspekt intrakommunaler Vergleichbarkeit ist die<br />
Möglichkeit zu verstehen, die Daten verschiedener Lebenslagendimensionen <strong>eines</strong><br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichts so aufeinander abzustimmen, dass sich<br />
Querbezüge herstellen lassen <strong>und</strong> Interdependenzen erkennbar werden. Dazu bedarf<br />
es einer Kompatibilität der Daten aus den verschiedenen Bereichen, wie sie durch eine<br />
Datenerfassung <strong>und</strong> -auswertung unter jeweils gleichen Gesichtspunkten hergestellt<br />
wird. Ganz praktisch bedeutet das beispielsweise, dass Altersklassen <strong>und</strong> andere<br />
Kategorien zur Klassifizierung von Personen in allen betrachteten<br />
Lebenslagenbereichen übereinstimmen müssen. Eine typische Fragestellung wäre:<br />
„Lässt sich innerhalb bestimmter Personengruppen eine Kumulation von<br />
Unterversorgungslagen feststellen?“ Nähere Erläuterungen zu diesem Aspekt finden<br />
sich in Kap. 7.2.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 111<br />
In räumlicher Hinsicht ist unter intrakommunaler Vergleichbarkeit die Möglichkeit zu<br />
verstehen, die verschiedenen kleinräumigen bzw. sozialräumlichen (vgl. Kap. 8.5.)<br />
Einheiten einer Kommune bezüglich ihrer jeweiligen sozialen Situation zu vergleichen.<br />
Eine typische Fragestellung in diesem Zusammenhang wäre: „Wie stellt sich der<br />
Stadtteil X im Vergleich mit anderen Stadtteilen dar, wenn man als Kriterium den Anteil<br />
an EmpfängerInnen von Hilfe zum Lebensunterhalt heranzieht?“ Auf diesen<br />
Gesichtspunkt wird im Folgenden nicht näher eingegangen, da er in Kap. 8.5.<br />
thematisiert wird.<br />
Der zeitliche Aspekt intrakommunaler Vergleichbarkeit bezieht sich schließlich auf die<br />
Möglichkeit, die Ergebnisse der kommunaler Berichterstattung unterschiedlicher Jahre<br />
miteinander in Beziehung zu setzen, d.h. im günstigsten Fall ein dynamische<br />
Betrachtung anzustellen oder – was in der Praxis der kommunalen Berichterstattung<br />
häufiger der Fall ist – eine Zeitreihe zu bilden (vgl. Kap. 8.3.). Eine typische<br />
Fragestellung in diesem Zusammenhang lautet: „Wie hat sich die Situation im Bereich<br />
der Hilfe zum Lebensunterhalt seit der Erstellung des letzten Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichts<br />
verändert?“ Dazu bedarf es einerseits <strong>eines</strong> gleichbleibenden Indikatorensets <strong>und</strong><br />
andererseits einer kontinuierlichen, regelmäßigen Berichterstattung.<br />
Im Folgenden soll intrakommunale Vergleichbarkeit vor allem unter der zeitlichen<br />
Perspektive beleuchtet werden. Dabei ergeben sich zwangsläufig Überschneidungen<br />
mit dem Kapitel „Dynamik <strong>und</strong> Verlaufsorientierung“ (Kap. 8.3.), da intrakommunale<br />
Vergleichbarkeit in zeitlicher Hinsicht unabdingbare Voraussetzung für Dynamik <strong>und</strong><br />
Verlaufsorientierung ist. In diesem Kapitel soll es jedoch vor allem um die Notwendigkeit<br />
von Kontinuität in der Berichterstattung gehen, die im Ergebnis einen<br />
Zeitreihenvergleich ermöglicht. Die Frage, inwiefern darüber hinaus eine „echte<br />
Dynamik“ (vgl. Kap. 8.3.) sinnvoll <strong>und</strong> machbar ist, wird hier explizit ausgespart.<br />
8.1.2. Nutzen von intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität<br />
Stichtagsbezogene Betrachtungen, wie sie in der kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung vorherrschen, sind lediglich „Momentaufnahmen“, d.h. sie geben<br />
Auskunft über die aktuell vorliegende Situation. Für die Sozialplanung sind die sich<br />
vollziehenden Veränderungen <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>en innerhalb der Kommune jedoch<br />
mindestens ebenso entscheidend, denn Aufwärts- <strong>und</strong> Abwärtstrends bedürfen
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 112<br />
unterschiedlicher sozialpolitischer Flankierung von Seiten der Kommune. Um<br />
<strong>Entwicklung</strong>en nachvollziehen zu können, bedarf es <strong>eines</strong> Zeitreihenvergleichs, d.h. die<br />
aktuelle Situation muss vor dem Hintergr<strong>und</strong> der zurückliegenden Situation betrachtet<br />
werden. Möglich sind solche Zeitreihenvergleiche nur, wenn intrakommunale<br />
Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität gegeben sind, d.h. die herangezogenen Indikatoren<br />
unverändert bleiben <strong>und</strong> ein Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht regelmäßig fortgeschrieben wird.<br />
Dies belegt ausdrücklich die Notwendigkeit zur <strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> sozialen<br />
Monitoringsystems.<br />
Aus bisherigen <strong>Entwicklung</strong>en lassen sich darüber hinaus Prognosen über zukünftige<br />
<strong>Entwicklung</strong>en ableiten, die für Vorausplanungen im sozialen Bereich von<br />
entscheidender Bedeutung sind. Für die Durchführung einer Prognose – als Beispiel sei<br />
hier auf das in Berlin angewandte SozialhilfeempfängerInnenprognoseverfahren auf<br />
Basis einer 16-teiligen Zeitreihe verwiesen (Berlin 2003 b) – ist eine kontinuierlich<br />
bereitgestellte <strong>und</strong> über die Jahre hinweg vergleichbare Datenbasis unentbehrlich.<br />
Schließlich erweist sich eine regelmäßige, stets auf einem einheitlichen Indikatorenset<br />
basierende Berichterstattung auch als konkrete Zeit- <strong>und</strong> Kostenersparnis. Die<br />
Projekthaftigkeit der Berichterstattung wird überw<strong>und</strong>en, indem vermieden wird, dass<br />
bei der Erstellung jedes neuen Berichts die Suche nach geeigneten Indikatoren <strong>und</strong><br />
Datenquellen wieder von neuem beginnt (vgl. Meier/ Löser 2004: 7). Außerdem wird der<br />
verwaltungsinterne Abstimmungsbedarf dadurch gering gehalten (Kehrein 2004).<br />
8.1.3. Instrumente zur Förderung intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong><br />
Kontinuität<br />
Es existieren verschiedene datenverarbeitungstechnische Instrumente, die Kommunen<br />
in ihrem Anliegen einer intrakommunal vergleichbaren, kontinuierlichen<br />
Berichterstattung unterstützen können. Zwei dieser Instrumentarien, nämlich<br />
geografische Informationssysteme <strong>und</strong> Informationsmanagementsysteme, sollen im<br />
Folgenden kurz vorgestellt werden.<br />
Geografische Informationssysteme, die klassischerweise im technischen Bereich<br />
Anwendung finden, kommen jetzt auch verstärkt im sozialen Bereich zum Einsatz.<br />
Kommunale Sozialplanung braucht zur Steuerungsunterstützung einen möglichst
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 113<br />
breiten Überblick über das vergangene, das aktuelle <strong>und</strong> das zukünftige Geschehen in<br />
der Kommune. Das betrifft demografische, sozialräumliche, sozialstrukturelle <strong>und</strong><br />
infrastrukturelle <strong>Entwicklung</strong>en sowie Informationen zu städtebaulichen, arbeitsmarkt-,<br />
wohnungs- <strong>und</strong> sozialpolitischen Prozessen <strong>und</strong> zu den Lebenslagen unterschiedlicher<br />
Bevölkerungsgruppen gleichermaßen. Bei der mittlerweile erreichten Komplexität der<br />
Informationen <strong>und</strong> der Vielfalt der Daten in der Sozialverwaltung sind geografische<br />
Informationssysteme laut Aussagen von SozialplanerInnen höchst effizient für die<br />
Erfassung, Verarbeitung, Analyse <strong>und</strong> Präsentation von Daten <strong>und</strong> ausgesprochen<br />
effektiv zur Steuerung sozialer Dienstleistungen. Geografische Informationssysteme<br />
ermöglichen die Visualisierung sozialräumlicher Zusammenhänge <strong>und</strong> machen<br />
Raumbezüge transparent, so dass die Erkenntnisse für die politische Ebene wie auch<br />
für die Öffentlichkeit nachvollziehbar dargestellt werden können.<br />
Geoinformationssysteme haben heute einen hohen Standard, einen niedrigen Preis <strong>und</strong><br />
einen hohen Bedienungskomfort. Sie bieten arbeits-, zeit- <strong>und</strong> kostensparende<br />
Anwendungsmöglichkeiten für das sozialplanerische Tagesgeschäft, aber auch für die<br />
Berichterstattung (Hanke-Crane 2004: 91; Meier/ Löser 2004: 42; Werner/ Feldmann<br />
2004: 96 <strong>und</strong> 99).<br />
AnbieterInnen von Geoinformationssystemen wie der Software „Stadtmonitor“ werben<br />
damit, dass ihr Programm unter dem Aspekt von Berichterstattung ein ganzheitliches<br />
Datenmanagement ermöglicht, angefangen bei einer strukturierten Erfassung <strong>und</strong><br />
Verwaltung von Daten, deren Überführung in Indikatoren, der Bewertung, Analyse <strong>und</strong><br />
Gegenüberstellung der Indikatoren sowie der abschließenden Präsentation der<br />
Ergebnisse in Form von Karten, Grafiken <strong>und</strong> Reports 67 . Durch eine kontinuierliche,<br />
prozessbegleitende Fortschreibung des zentralen Datenpools ist ein Monitoring <strong>und</strong><br />
damit eine nachhaltige Erfolgskontrolle möglich<br />
(www.stadtmonitor.de/index.php?content=definition;<br />
www.stadtmonitor.de/index.php?content=leistungsparameter;<br />
www.stadtmonitor.de/index.php?content=nutzenaspekte).<br />
Das geografische Informationssystem unterstützt die Beobachtung <strong>und</strong> Auswertung von<br />
zeitvarianten Daten <strong>und</strong> Indikatoren, indem Werte von Zeitreihen analysiert werden. Es<br />
ermöglicht aber auch den Vergleich von Werten verschiedener Einsatzorte<br />
untereinander. Somit kann das Programm sowohl zur Umsetzung intrakommunaler als<br />
67 zur „Macht“ von Karten, Grafiken usw. vgl. Kap. 8.5.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 114<br />
auch zur Unterstützung interkommunaler Vergleichbarkeit eingesetzt werden: Es kann<br />
einerseits als Instrument zur Beobachtung von <strong>Entwicklung</strong>en in einem Planungsgebiet<br />
herangezogen werden <strong>und</strong> andererseits als Instrument zur Beobachtung von<br />
Veränderungen in mehreren Planungsgebiete z.B. auf Kreisebene dienen<br />
(www.stadtmonitor.de/index.php?content=benchmarking;<br />
www.stadtmonitor.de/index.php?content=monitoring).<br />
Ein weiteres datenverarbeitungstechnisches Instrument, das dem Anliegen<br />
intrakommunaler Vergleichbarkeit dienlich sein kann, ist ein Informationsmanagementsystem.<br />
Informationsmanagementsysteme, sogenannte Data-Warehouses, entstammen<br />
dem betriebswirtschaftlichen Bereich <strong>und</strong> haben in Unternehmen die Aufgabe,<br />
planungs-, controlling- <strong>und</strong> marketingrelevante Daten zusammenzuführen <strong>und</strong> getrennt<br />
von operativen Verfahren einheitlich zu organisieren. Die Daten werden im Data-<br />
Warehouse standardisiert aufbereitet, beschrieben <strong>und</strong> periodisch aktualisiert. Ein<br />
Metadatensystem 68 gibt Auskunft über die Inhalte der Datenbank <strong>und</strong> unterstützt das<br />
Retrieval 69 . Daten <strong>und</strong> Beschreibungen werden gemeinsam verwaltet <strong>und</strong> bei Analysen<br />
herangezogen. Mehrdimensionale Datenstrukturen <strong>und</strong> die Kombinationsfähigkeit von<br />
Sachverhalten sind dabei Bedingung (Christmann et al. 1996: 476).<br />
Die beschriebene Funktionsweise der Data-Warehouses zur ganzheitlichen Gestaltung<br />
des Informationsmanagements legt eine Einsatzmöglichkeit auch im „Unternehmen<br />
Stadt“ nahe (Christmann et al. 1996: 477). Die Anwendungsmöglichkeiten zur<br />
Datenerschließung, Standardisierung sowie Auswertung <strong>und</strong> Analyse der Daten<br />
(Christmann et al. 1996: 483) sprechen auch für einen Einsatz der Data-Warehouses im<br />
Bereich der kommunalen Berichterstattung.<br />
Es existieren verschiedene Produkte von Data-Warehouses. Eines ist das Strategische<br />
Informationssystem SIS, das von der Stadt Köln Anfang der 1990er Jahre entwickelt<br />
wurde (Christmann et al. 1996: 478). Es soll an dieser Stelle kurz vorgestellt werden 70 .<br />
68 Metadaten sind Systemdaten zur näheren Beschreibung von Nutzdaten, z.B. Name, Größe,<br />
Speicherort, Datum <strong>und</strong> Uhrzeit der Erzeugung, Zugriffsrechte <strong>und</strong>/oder Formatierungen<br />
(www.networds.de/welcome.html).<br />
69 = Suchen <strong>und</strong> Auffinden gespeicherter Daten<br />
70 Im Rahmen des Kapitels „Interkommunale Vergleichbarkeit“ (Kap. 8.2.) wird noch auf ein weiteres<br />
Data-Warehouse eingegangen, nämlich das in Form <strong>eines</strong> KOSIS-Gemeinschaftsprojektes<br />
organisierte Informationsmanagementsystem „DUVA“.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 115<br />
Das Strategische Informationssystem SIS versucht, eine Brücke „zwischen den<br />
operativen Informationsressourcen des automatisierten Verwaltungsvollzugs <strong>und</strong> der<br />
problemadäquaten Informationsbereitstellung im Planungs- <strong>und</strong> Führungsbereich der<br />
Großstadtverwaltung“ (Christmann et al. 1996: 479) zu schlagen. Es ist ein Werkzeug,<br />
mit dem die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt <strong>und</strong> in der<br />
bedarfsgerechten Dichte den richtigen Personen im operativen, dispositiven <strong>und</strong><br />
strategischen Bereich einer Kommunalverwaltung zur Verfügung gestellt werden sollen<br />
(Christmann et al. 1996: 479). Zentrale Merkmale dieses Data-Warehouse sind die<br />
Bereitstellung<br />
• standardisierter <strong>und</strong> plausibilisierter Daten,<br />
• <strong>eines</strong> mehrdimensionalen Datenmodells <strong>und</strong><br />
• <strong>eines</strong> umfassenden Metadatensystems (Christmann et al. 1996: 482).<br />
Besondere Bedeutung kommt den Metadaten zu, die nicht nur technische<br />
Beschreibungen der Daten, sondern auch detaillierte fachliche Hinweise auf<br />
Datennutzung, Datenqualität, Datenquelle usw. umfassen (Christmann et al. 1996:<br />
483).<br />
Gr<strong>und</strong>lage des SIS Data-Warehouse sind im Verwaltungsvollzug erzeugte Einzeldaten.<br />
Diese sogenannten Rohdaten werden übernommen <strong>und</strong> mit Daten aus anderen<br />
Quellen, die keine einheitliche Struktur aufweisen, zu einem homogenen,<br />
mehrdimensionalen Datenbestand, dem sogenannten Basisdatenbestand, vereinigt. Die<br />
Daten dieses Basisdatenbestandes werden als selbstständige Einheiten verwaltet, sind<br />
aber aufgr<strong>und</strong> ihrer einheitlichen Struktur flexibel verknüpfbar. Die Basisdaten können<br />
nun entweder unmittelbar aufbereitet <strong>und</strong> ausgewertet werden oder sie werden zu<br />
kompakten „Informationspaketen“ verdichtet. Diese Informationspakete können flexibel<br />
<strong>und</strong> bedarfsgerecht zusammengestellt werden (Christmann et al. 1996: 484 ff.).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 116<br />
Abb. 13: Systemsteuerung durch Metadaten<br />
SIS<br />
Verfahren<br />
Quelle: Christmann et al. 1996: 485<br />
Verdichtung <strong>und</strong> Verknüpfung durch<br />
Metadaten:<br />
• Merkmale<br />
• Beziehungen<br />
Standardisierung <strong>und</strong> Beschreibung<br />
durch Metadaten:<br />
• Merkmale<br />
• Beziehungen<br />
• Kommentare <strong>und</strong> Verweise<br />
heterogen<br />
schlecht dokumentiert<br />
komplex<br />
schwer zugänglich<br />
Somit deckt das Strategische Informationssystem den gesamten Produktionsprozess<br />
für die Gewinnung hochqualifizierter Planungs- <strong>und</strong> Führungsinformationen ab. Dieser<br />
Prozess umfasst:<br />
• die Erschließung der Rohdaten,<br />
• die Datenbereitstellung <strong>und</strong> automatische Fortschreibung auch der abgeleiteten<br />
Daten (Basisdaten <strong>und</strong> Informationspakete),<br />
• die Verknüpfung, Transformation, Selektion <strong>und</strong> Aggregation dieser Daten,<br />
• deren Auswertung <strong>und</strong> Präsentation sowie<br />
voraggregierte<br />
Informationspakete<br />
Basisda<br />
ten<br />
Rohdat<br />
en<br />
• die Versorgung weiterarbeitender Standardsoftware auf dem PC (Christmann et al.<br />
1996: 486).<br />
Gerade angesichts der Fortschreibungs- <strong>und</strong> Aktualisierungsfunktion des Programms<br />
scheint das SIS ein geeignetes Instrument zur Unterstützung einer kommunalen<br />
Berichterstattung mit dem Ziel intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität. Ein<br />
bestimmter Sachverhalt kann zu jeder beliebigen Zeit abgerufen <strong>und</strong> mit den Daten<br />
früherer Erhebungen verglichen werden. Darüber hinaus besitzt das Programm einen<br />
Informationsassistenten, mit dem sich formal <strong>und</strong> inhaltlich frei Standard- <strong>und</strong><br />
Ausnahmeberichte erstellen lassen (Christmann et al. 1996: 515 ff.).<br />
Die Möglichkeiten der vorgestellten datenverarbeitungstechnischen Instrumente in der<br />
kommunalen Berichterstattung dürfen jedoch auch nicht überbewertet werden. Sie<br />
können durchaus ein hilfreiches Instrumente sein, um eine intrakommunal
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 117<br />
vergleichbare, kontinuierliche Berichterstattung zu unterstützen, aber auch die sich mit<br />
ihnen verbindenden Probleme dürfen nicht übersehen werden. So setzt die Erfassung<br />
<strong>und</strong> Verwaltung von Daten durch diese Programme voraus, dass gr<strong>und</strong>sätzlich Daten<br />
vorhanden sind. Das Problem der Datenverfügbarkeit in bestimmten Bereichen wird mit<br />
Hilfe dieser Programme nicht umgangen. Darüber hinaus sind Vernetzungen zwischen<br />
den eingegebenen Daten nur möglich, sofern die Daten kompatibel sind. Unterliegen<br />
die Datenquellen einer je eigenen Logik, so wird sich diese in den Daten widerspiegeln<br />
<strong>und</strong> eine Verknüpfung von Daten unterschiedlicher Quellen verhindern. Dies kann z.B.<br />
der Fall sein, wenn räumliche Erfassungseinheiten nicht miteinander in Einklang zu<br />
bringen sind.<br />
Förderlich für Kontinuität <strong>und</strong> intrakommunale Vergleichbarkeit der kommunalen<br />
Berichterstattung ist neben den beschriebenen datenverarbeitungstechnischen<br />
Instrumenten auch eine Kontinuität der Personen, die für die Berichterstattung<br />
zuständig sind. Außerdem spielt die Erwartungshaltung der politisch Verantwortlichen<br />
an einen Bericht in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle (Kehrein 2004).<br />
8.1.4. Intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität in der Praxis der<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung<br />
Es gibt einige kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte, die dem Anspruch<br />
intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität genügen. Hier sei beispielhaft auf die<br />
beiden zuletzt erschienenen Sozialberichte aus Hannover (Hannover 1998 <strong>und</strong> 2002)<br />
sowie die Sozialberichte aus Viersen (Viersen 1999, 2001 <strong>und</strong> 2003) verwiesen. Diese<br />
Berichte kann man als hochgradig vergleichbar bezeichnen.<br />
Der 2002er Bericht aus Hannover zieht die bereits im 1998er Bericht verwendeten<br />
Indikatoren erneut heran. In wichtigen Kernbereichen (Bevölkerungsstruktur, finanzielle<br />
Situation der Haushalte, Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Beschäftigungsförderung, Wohnsituation,<br />
ges<strong>und</strong>heitliche Situation) verfügt er über ein feststehendes Indikatorenset. Neuen<br />
<strong>Entwicklung</strong>en <strong>und</strong> sozialpolitischen Herausforderungen wird dadurch Rechnung<br />
getragen, dass der Indikatorenkatalog den aktuellen Erfordernissen entsprechend<br />
erweitert wird. Außerdem soll jeder Sozialbericht unter einem besonderen<br />
Schwerpunktthema stehen. So setzt der 2002er Bericht einen besonderen Akzent auf
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 118<br />
die Situation von Familien <strong>und</strong> widmet diesem Thema ein eigenes Kapitel. Die<br />
Sozialberichte werden als Gr<strong>und</strong>lage für die Vorbereitung von sozialpolitischen<br />
Planungen <strong>und</strong> Entscheidungen angesehen, wozu nicht nur die aktuelle Situation<br />
betrachtet, sondern auch die <strong>Entwicklung</strong>en der vergangenen Jahre dargestellt <strong>und</strong><br />
bewertet sowie kommende <strong>Entwicklung</strong>en skizziert werden sollen. Implizit wird damit<br />
auf die hohe Bedeutung von Kontinuität in der Berichterstattung verwiesen. Hinsichtlich<br />
der Regelmäßigkeit der Veröffentlichung der Berichte wird ein etwa fünfjähriger<br />
Erscheinungsturnus für sinnvoll erachtet (Hannover 2002: 5 <strong>und</strong> 13).<br />
Auch bei den Viersener Berichte (Viersen 1999, 2001 <strong>und</strong> 2003) besteht die Möglichkeit<br />
zu einem intrakommunalen Vergleich. Die Berichte basieren in den Bereichen<br />
Bevölkerung, Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Sozialhilfe auf einem weitgehend gleichbleibenden<br />
Datenset, das bereits im ersten Bericht (Viersen 1999) Anwendung fand; die folgenden<br />
Berichten (Viersen 2001 <strong>und</strong> 2003) beinhalten darüber hinaus Auswertungen zum<br />
Bezug von Leistungen des Arbeitsamtes, zu den sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten <strong>und</strong> zum Thema Wohnen. Somit sind – zumindest partiell – Vergleiche<br />
der Berichte untereinander möglich. Der 2003er Bericht nimmt auch erstmals<br />
systematisch Vergleiche der aktuellen Daten mit denen aus 1999 vor.<br />
Auf die Erfordernis von intrakommunaler Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität wird im<br />
2003er Bericht im Zusammenhang mit der Einordnung der Viersener Berichte in das<br />
Konzept einer integrierten Sozialberichterstattung eingegangen: „Da bei der<br />
Sozialberichterstattung natürlich auch Veränderungen erkannt werden sollen, ist das<br />
Datenset zumindest bei den Gr<strong>und</strong>daten stabil zu halten“ (Viersen 2003: 4). Als<br />
eigenständiges Anliegen wird die Herstellung intrakommunaler Vergleichbarkeit<br />
dagegen nicht formuliert.<br />
8.1.5. Fazit<br />
Intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität, wie sie hier thematisiert wurden, sind<br />
für eine f<strong>und</strong>ierte Sozialberichterstattung, die die aktuelle soziale Situation vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong> vergangener <strong>und</strong> möglicher zukünftiger <strong>Entwicklung</strong>en reflektiert, von<br />
gravierender Bedeutung. Um vollständige Vergleichbarkeit herzustellen, müssen stets<br />
die gleichen Indikatoren auf Basis einer festgelegten Datengr<strong>und</strong>lage erhoben werden,<br />
denn sonst beruhen vermeintliche <strong>Entwicklung</strong>en zwischen verschiedenen
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 119<br />
Berichtsjahren letztlich nur auf einer abweichenden Datenbasis <strong>und</strong> nicht auf wirklichen<br />
Unterschieden. Außerdem ist es wichtig, die Berichterstattung als festen Bestandteil in<br />
der Sozialplanung einer Stadt zu etablieren <strong>und</strong> einen geeigneten Erscheinungsturnus<br />
festzulegen.<br />
Intrakommunale Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität sind jedoch nicht gleichzusetzen mit<br />
einem einmalig festgelegten <strong>und</strong> auf alle Zeit unveränderlichen Datenkatalog. Aktuellen<br />
<strong>Entwicklung</strong>en <strong>und</strong> sozialpolitischen Erfordernissen muss durch eine Erweiterung<br />
<strong>und</strong>/oder Modifizierung des Indikatorensets Rechnung getragen werden (Kehrein 2004).<br />
So bringen beispielsweise Gesetzesänderungen wie die aktuell anstehende Umsetzung<br />
des vierten Teils der Hartz-Reform massive Veränderungen für die Berichterstattung mit<br />
sich. Die bisher in den Bereichen Sozialhilfe <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit herangezogenen<br />
Indikatoren müssen entsprechend angepasst werden; ein Vorher-Nachher-Vergleich<br />
innerhalb dieser Lebenslagendimensionen wird nicht mehr möglich sein. Dieser Bruch<br />
in der Berichterstattung ist zwar bedauerlich, jedoch unvermeidbar.<br />
Abschließend ist festzuhalten, dass die Herstellung von intrakommunaler<br />
Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität nicht unbedingt ein explizites Ziel der kommunalen<br />
Berichterstattung ist, sondern sich oftmals eher „zufällig“ einstellt (Kehrein 2004).<br />
8.2. Interkommunale Vergleichbarkeit<br />
8.2.1. Wozu interkommunale Vergleiche?<br />
Das Streben nach interkommunaler Vergleichbarkeit der kommunalen Statistiken ist<br />
eine von Städten <strong>und</strong> Organisationen immer wieder formulierte Forderung. So<br />
konstatieren Krechel <strong>und</strong> Schneider in ihrem Aufsatz über interkommunale<br />
Vergleichbarkeit anlässlich des h<strong>und</strong>ertsten Geburtstags des Statistischen Amtes<br />
Nürnberg: „Der Vergleich ist die Seele der Statistik“ (Krechel/ Schneider 2000: 84).<br />
Eine aktive Stadtentwicklungspolitik ist angesichts des verschärften Wettbewerbs der<br />
Städte um Wirtschaftsunternehmen <strong>und</strong> Behörden, um Kultur- <strong>und</strong><br />
Forschungseinrichtungen sowie um private Haushalte heute notwendiger denn je<br />
(Krechel/ Schneider 2000: 84). Krätke (1990: 32f.) verweist in diesem Zusammenhang<br />
auf drei Aspekte der Konkurrenz zwischen Städten (vgl. auch Scibbe 2000: 7):
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 120<br />
• die Konkurrenz um Produktionspotentiale (Verbesserung der Konkurrenzposition<br />
durch Förderung der Ansiedlung oder Expansion wachstumsstarker Unternehmen<br />
<strong>und</strong> Privatisierung öffentlicher Unternehmen),<br />
• die Konkurrenz der Städte um Konsumpotentiale (Verbesserung der<br />
Konkurrenzposition durch Anziehung “gehobener Konsumentenschichten“, d.h.<br />
Förderung der Ansiedlung von Bevölkerungsgruppen mit hohem Kaufkraftpotential)<br />
<strong>und</strong><br />
• die Konkurrenz der Städte um wirtschaftliche „Kommando-Funktionen“<br />
(Verbesserung der Konkurrenzposition durch Ansiedlung oder Expansion von<br />
bedeutenden wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen Institutionen; dies trifft vor allem für<br />
größere Städte zu).<br />
Die finanziellen Engpässe der Kommunen sind Anlass <strong>und</strong> zusätzlicher Antrieb dieses<br />
Wettbewerbs. Bei steigender Ausgabenlast <strong>und</strong> wachsenden sozialen Kosten gilt es,<br />
die Einnahmeseite auch gegenüber MitbewerberInnen zu sichern (Scibbe 2000: 8).<br />
Eine aktive Stadtentwicklungspolitik versucht daher, Schwächen ab- <strong>und</strong> Stärken<br />
aufzubauen. Um zu erkennen, wo die Schwächen <strong>und</strong> Stärken der jeweiligen Städte<br />
liegen, bedarf es des Vergleichs mit anderen Städten, also des interkommunalen<br />
Vergleichs. Da die Politik stets auf „harte Fakten“ angewiesen ist, um ihr Handeln zu<br />
rechtfertigen, sollte sich ein Städtevergleich auf statistisch f<strong>und</strong>ierte Informationen<br />
stützen. Das setzt voraus, dass die Daten vergleichbar sind, also nach einheitlichen<br />
Verfahren erhoben, eindeutig definiert <strong>und</strong> gut dokumentiert werden. Nur dann deuten<br />
Unterschiede in den Zahlen auf reale Unterschiede hin <strong>und</strong> lassen sich<br />
gegenüberstellen. Nur ein Städtevergleich anhand solcher statistischen Angaben<br />
ermöglicht tatsächlich die Bewertung eigener Stärken <strong>und</strong> Schwächen <strong>und</strong> nachfolgend<br />
die Ableitung von Handlungsmöglichkeiten (Krechel/ Schneider 2000: 84).<br />
Dieses Vorgehen lässt sich treffend unter dem aus der Betriebswirtschaftslehre<br />
stammenden Begriff des „Benchmarking“ subsumieren. Benchmarking dient der<br />
aktuellen Positionsbestimmung im Vergleich mit anderen Organisationen, d.h. in diesem<br />
Fall mit anderen Kommunalverwaltungen. Zielsetzung ist es, die eigenen Leistungen an<br />
denen des/der Besten bzw. des/der Besseren zu überprüfen <strong>und</strong> aus den Erfahrungen<br />
anderer zu lernen. Dieser Wettbewerb ist ein Weg der Veränderung zu mehr Leistung
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 121<br />
<strong>und</strong> Qualität. Der systematische <strong>und</strong> regelmäßige Vergleich bedarf jedoch geeigneter<br />
Kennziffern <strong>und</strong> Vergleichsdaten. Eine interkommunale Kompatibilität der Statistik ist<br />
daher von großer Bedeutung, ansonsten ist eine aufwendige Erarbeitung bzw.<br />
Aufbereitung der Daten erforderlich (Hartmann 2001: 123 ff.).<br />
Allerdings muss man in diesem Zusammenhang auch auf Vorbehalte gegenüber<br />
Benchmarking hinweisen. Sofern Benchmarking nämlich lediglich die Ausgabenseite<br />
umfasst, kann es leicht zur Rechtfertigung von Mittelkürzungen „missbraucht“ werden,<br />
um dadurch im Vergleich mit anderen Kommunen wieder besser dazustehen. Deshalb<br />
dürfen nicht nur „outputorientierte“ quantitative Größen wie Fallzahlen oder Kosten<br />
Gegenstand des Benchmarking sein, das Benchmarking muss auch die Qualität<br />
sozialer Dienstleistungen berücksichtigen. Außerdem ist es wichtig, die ermittelten<br />
Kennzahlen stets vor dem Hintergr<strong>und</strong> der vorliegenden Bevölkerungs- <strong>und</strong><br />
Familienstruktur bzw. des gesamten Wirtschaftsstandorts zu interpretieren (Gießen<br />
2002: 224).<br />
Hartmann (2001: 128) kommt diesbezüglich zu dem Schluss: „Es ist empfehlenswert,<br />
dass jede Sozialverwaltung auf der Gr<strong>und</strong>lage der gesammelten Daten einen<br />
eigenständigen Bericht erstellt, der die für ihre Kommune bedeutsamen Erkenntnisse<br />
<strong>und</strong> die Schlussfolgerungen daraus darstellt. Die Perspektive der Betrachtung ist dabei<br />
besonders wichtig:<br />
• Wie stellt sich „meine“ Sozialverwaltung im Vergleich zu anderen dar?<br />
• Wie hat sich „meine“ Sozialverwaltung im Vergleich zu den zurückliegenden Jahren<br />
geändert?<br />
Die Strategie der Kommunikation ist bei dieser Berichterstattung zu beachten. Es ist<br />
nicht ausreichend, im Vergleich der Kommunen untereinander „der Beste“ zu sein;<br />
ebenso wichtig ist zu analysieren, welche Kommune sich im Vergleich zum Vorjahr<br />
verbessert oder verschlechtert hat. Dabei sind die lokalen Besonderheiten in der<br />
Berichterstattung herauszuarbeiten.“<br />
8.2.2. Historische <strong>Entwicklung</strong> der überörtlichen Organisation der Städtestatistik<br />
Ab dem Jahr 1850 haben sich in den Kommunen städtestatistische Ämter gebildet,<br />
deren Direktoren sich ab 1879 formell zu Konferenzen getroffen haben. Hierin kann
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 122<br />
man den Ursprung der überörtlichen Organisation in der Städtestatistik sehen. 1904<br />
ging aus dieser Konferenz der Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt) hervor. Laut<br />
Satzung wird der Zweck des Verbandes in der Förderung von Städtestatistik <strong>und</strong><br />
Stadtforschung, ihrer Funktion in der Kommunalverwaltung in Wissenschaft <strong>und</strong> Praxis<br />
sowie in der fachlichen Betreuung der Mitglieder gesehen (Krechel/ Schneider 2000: 85;<br />
vgl. auch S. 137 ff.).<br />
Die Datenverarbeitung spielt im kommunal-statistischen Zusammenhang eine wichtige<br />
Rolle. Um diese optimal zu nutzen, weiterzuentwickeln <strong>und</strong> zu pflegen, hat sich daher<br />
im Jahr 1982 der KOSIS-Verb<strong>und</strong> 71 gegründet. Mittlerweile gehören ihm mehr als 100<br />
Städte, Statistische Landesämter, Gebietsrechenzentren <strong>und</strong> andere öffentliche<br />
Institutionen an (Krechel/ Schneider 2000: 86; vgl. auch S. 133 ff.).<br />
Da nicht nur planende <strong>und</strong> verwaltende Stellen der Städte, sondern auch<br />
privatwirtschaftliche Unternehmen an interkommunal vergleichenden Daten <strong>und</strong><br />
Informationen interessiert sind, haben sich 1999 einige Städte unter dem Dach des<br />
Deutschen Städtetages zur KOSTAT-DST-GmbH 72 zusammengeschlossen (Krechel/<br />
Schneider 2000: 86). Diese löste sich zwar Ende 2002 wieder auf, die Datensammlung<br />
ging jedoch auf die neu gegründete AG KOSTAT 73 des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es über<br />
(www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html).<br />
71 Die Abkürzung KOSIS steht für Kommunales Statistisches Informationssystem.<br />
72 Kommunalstatistik Deutscher Städtetag GmbH.<br />
73 Arbeitsgemeinschaft Kommunalstatistik.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 123<br />
Abb. 14: Die überörtliche Organisation der Städtestatistik<br />
1879<br />
1904<br />
1982<br />
1999<br />
2002<br />
V<br />
D<br />
S<br />
t<br />
K<br />
O<br />
S<br />
I<br />
S<br />
KOSTAT<br />
-DST<br />
-GmbH<br />
Quelle: Eigene Darstellung nach Krechel/ Schneider 2000: 86<br />
Konferenz der Direktoren der Städtestatistischen Ämter<br />
KOSIS (AG KOSTAT als<br />
KOSIS-Gemeinschafts-<br />
projekt)<br />
Verband Deutscher Städtestatistiker e.V.(VDSt)<br />
VDSt + KOSIS-Verb<strong>und</strong><br />
VDSt + KOSIS-Verb<strong>und</strong> +<br />
KOSTAT-DST-GmbH<br />
VDSt + KOSIS-<br />
Verb<strong>und</strong><br />
8.2.3. Darstellung der verschiedenen Organisationen, Instrumente <strong>und</strong> Projekte<br />
An dieser Stelle sollen nun die unterschiedlichen Organisationen mit ihren jeweiligen<br />
Instrumenten <strong>und</strong> Projekten zum Thema interkommunale Vergleichbarkeit im Einzelnen<br />
beschrieben werden. Tab. 19 bietet einen Überblick über alle interkommunalen<br />
Aktivitäten, auf die wir während unserer Recherche aufmerksam wurden <strong>und</strong> die im<br />
weitesten Sinne mit kommunaler Berichterstattung in Verbindung stehen. Es sei jedoch<br />
ausdrücklich angemerkt, dass diese Übersicht keinen Anspruch auf Vollständigkeit<br />
erhebt, es handelt sich lediglich um eine erste Annäherung an diese relativ komplexe<br />
Thematik.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 124<br />
Tab. 19: Organisationen <strong>und</strong> zugehörige Instrumente/ Projekte/ Aktivitäten in Bezug auf<br />
interkommunale Vergleichbarkeit<br />
Organisationen Instrumente/Projekte/Aktivitäten<br />
DST (Deutscher Städtetag) • Statistisches Jahrbuch Deutscher<br />
Gemeinden 74<br />
• Vergleichende Großstadtstatistik<br />
• ICOSTAT (interkommunales Data<br />
Warehouse)<br />
BBR (B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong><br />
• IRB (Innerstädtische Raumbeobachtung)<br />
Raumordnung<br />
75<br />
• (Laufende Raumbeobachtung) 76<br />
KOSTAT-DST-GmbH (Kommunalstatistik<br />
Deutscher Städtetag GmbH) 77<br />
• Vertrieb kleinräumiger Daten<br />
Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik • Kooperation zur Förderung der<br />
vergleichenden Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik<br />
• Mitarbeit an ICOSTAT <strong>und</strong> Urban Audit<br />
• Abstimmungen über IRB <strong>und</strong> Laufende<br />
Raumbeobachtung (getragen vom BBR)<br />
EU (Europäische Union) • Urban Audit 78<br />
KOSIS (Kommunales Statistisches Informationssystem)<br />
• SIKURS (Regionalisierte Bevölkerungsprognose)<br />
• AGK (Adresszentraldatei, Gebäudedatei <strong>und</strong><br />
Kleinräumige Gliederung)<br />
• KORIS (Kommunales Raumbezugssystem)<br />
• HHSTAT (Koordinierte Haushalte- <strong>und</strong> Bevölkerungsstatistik<br />
aus dem Melderegister)<br />
• AG KOSTAT (ehemals KOSTAT-DST-GmbH)<br />
• Urban Audit<br />
• Informationsmanagementsystem DUVA<br />
VDSt (Verband Deutscher Städtestatisti-ker) • Statistisches Jahrbuch Deutscher<br />
Gemeinden 79<br />
KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für<br />
Verwaltungsvereinfachung)<br />
• Vergleichende Großstadtstatistik 80<br />
• Vergleichsringe (IKO-Netz)<br />
• Interkommunaler Erfahrungsaustausch<br />
(KIKOS)<br />
Stadt Gießen & Stadt Wetzlar 81 • sozialräumliches Monitoringsystem für die<br />
Städte Gießen <strong>und</strong> Wetzlar<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Die wichtigsten periodisch erscheinenden Veröffentlichungen der Städtestatistik, die<br />
einen interkommunalen Vergleich ermöglichen, sind das Statistische Jahrbuch<br />
Deutscher Gemeinden <strong>und</strong> die Vergleichende Großstadtstatistik (Krechel/<br />
Schneider 2000: 86).<br />
74<br />
in Kooperation mit dem VDSt<br />
75<br />
das BBR ist lediglich die auswertende Stelle<br />
76<br />
ermöglicht nur eingeschränkt interkommunale Vergleichbarkeit (vgl. dazu die Erläuterungen auf S.<br />
127f.)<br />
77<br />
bis Ende 2002, danach als KOSIS-Projekt AG KOSTAT weitergeführt<br />
78<br />
für Deutschland von KOSIS getragen<br />
79<br />
in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag<br />
80<br />
in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag<br />
81<br />
exemplarisch für zwischen einzelnen Städten vereinbarten Aktivitäten im Rahmen von interkommunaler<br />
Vergleichbarkeit
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 125<br />
Das Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden entsteht heute als Kooperationsprojekt<br />
zwischen dem Deutschen Städtetag (DST) <strong>und</strong> dem Verband Deutscher<br />
Städtestatistiker (VDSt) 82 . Es handelt sich hierbei um das traditionsreichste<br />
städtestatistische Werk, das zurückgeht auf eine Initiative der Leiter der Statistischen<br />
Ämter der Großstädte <strong>und</strong> erstmalig im Jahr 1890 erschien. Ziel war <strong>und</strong> ist es,<br />
fortlaufend vergleichende Nachrichten über das wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale Leben sowie<br />
über die verwaltungsmäßigen Zustände der Städte in einer übersichtlichen, gedrängten<br />
<strong>und</strong> leicht benutzbaren Form zur Verfügung zu stellen. Angaben zu den Themenbereichen:<br />
• Gebiet <strong>und</strong> Bevölkerung,<br />
• Bildung <strong>und</strong> Kultur,<br />
• Wirtschaft, Bau- <strong>und</strong> Wohnungswesen,<br />
• Verkehr sowie<br />
• Finanzen <strong>und</strong> Steuern<br />
werden jährlich veröffentlicht, bei anderen Themenbereichen wie Wahlen, öffentliche<br />
Sicherheit oder Arbeitsmarkt werden die Daten im mehrjährigen Turnus bereitgestellt.<br />
Heute umfasst der Berichtskreis alle Städte mit mehr als 20.000 EinwohnerInnen sowie<br />
zehn ausgewählte Städte mit weniger als 20.000 EinwohnerInnen (DST 2002: 8;<br />
Krechel/ Schneider 2000: 86 f.; www.staedtestatistik.de/vdst/veroeff.html).<br />
Die Redaktion des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden liegt beim Deutschen<br />
Städtetag (DST), der durch einen Redaktionsbeirat des Vereins Deutscher<br />
Städtestatistiker (VDSt) unterstützt wird. Die inhaltliche <strong>und</strong> sachliche Verantwortung für<br />
die Bereitstellung der Daten tragen die Fachreferenten in den einzelnen Kommunen.<br />
Diese haben durch Vorgaben bei der Erhebung <strong>und</strong> umfangreiche<br />
Plausibilitätsprüfungen dafür zu sorgen, dass die Angaben einheitlich <strong>und</strong> vergleichbar<br />
sind. Die jeweiligen BearbeiterInnen der verschiedenen Abschnitte innerhalb des<br />
Statistischen Jahrbuchs fragen bei den Gemeinden die entsprechenden Daten nach.<br />
Darüber hinaus werden Unterlagen des Statistischen B<strong>und</strong>esamtes, der Statistischen<br />
Landesämter <strong>und</strong> des Kraftfahrt-B<strong>und</strong>esamtes herangezogen (DST 2002: 8;<br />
www.staedtestatistik.de/vdst/veroeff.html).<br />
82 weitere Erläuterungen zum VDSt siehe auf S. 134f.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 126<br />
Das Statistische Jahrbuch erscheint mit einer zeitlichen Verzögerung, die einerseits<br />
durch die Herkunft bestimmter Daten aus der amtlichen Statistik <strong>und</strong> andererseits durch<br />
die Probleme der Datenerhebung bei einer so großen Zahl von Gemeinden bedingt ist<br />
(Krechel/ Schneider 2000: 87). So enthält die in 2002 veröffentlichte Ausgabe die<br />
Ergebnisse für die Berichtszeiträume 2000 <strong>und</strong> 2001 (DST 2002: 3). Die Spitzen von<br />
Verwaltung <strong>und</strong> Rat brauchen jedoch aktuelle Führungsinformationen. Für sie hängt der<br />
Wert der statistischen Information in besonderem Maße von der Aktualität der Daten ab.<br />
Daher haben sich die Statistischen Ämter der 91 Großstädte auf einen reduzierten<br />
Merkmalskatalog verständigt, der in vierteljährlichem Turnus dem Deutschen Städtetag<br />
übermittelt <strong>und</strong> dort auf dem schnellsten Wege zu Tabellen verarbeitet <strong>und</strong> an die<br />
beteiligten Städte ausgeliefert wird. Bei dieser Vergleichenden Großstadtstatistik liegt<br />
der Fokus also auf größtmöglicher Aktualität, zu deren Gunsten auf Vollständigkeit der<br />
Daten verzichtet wird <strong>und</strong> vorläufige, geschätzte Daten in Kauf genommen werden. Es<br />
ist geplant, die Vergleichende Großstadtstatistik zu einem aktuellen<br />
Beobachtungssystem der Großstädte-<strong>Entwicklung</strong> auszubauen (Krechel/ Schneider<br />
2000: 87; www.staedtestatistik.de/vdst/veroeff.html).<br />
Einen nur eingeschränkten interkommunalen Vergleich ermöglicht die Laufende<br />
Raumbeobachtung des B<strong>und</strong>esamtes für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung. In diesem<br />
Arbeitsfeld werden Informationen für die räumlich orientierte Politikberatung<br />
bereitgehalten. Der Datenbestand der Laufenden Raumbeobachtung ist Gr<strong>und</strong>lage für<br />
eine möglichst umfassende <strong>und</strong> zeitnahe Berichterstattung über die räumliche<br />
<strong>Entwicklung</strong> in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Die räumliche <strong>Entwicklung</strong> wird in den<br />
Kreisen <strong>und</strong> kreisfreien Städten oder in den Raumordnungsregionen 83 anhand von<br />
Indikatoren gemessen <strong>und</strong> bewertet. Beobachtungsgegenstand sind alle<br />
raumrelevanten Lebensbereiche 84 . Die Basisdaten stammen im Wesentlichen von den<br />
statistischen Ämtern des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong> der Länder. Neben diesen b<strong>und</strong>esweit<br />
vergleichbaren Daten werden aber auch die Informationen anderer Behörden, Ämter<br />
<strong>und</strong> Organisationen genutzt, z.B. der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit, des<br />
Ausländerzentralregisters, der Kassenärztlichen B<strong>und</strong>esvereinigung<br />
(www.bbr.b<strong>und</strong>.de/raumordnung/raumbeobachtung/deutschland.htm). Bei der<br />
83 Vom BBR herangezogene räumliche Analyseeinheiten, die „in akzeptabler Annäherung den<br />
funktionalräumlichen Zusammenhang von oberzentralen Kernen <strong>und</strong> deren Umland ab[bilden], mit<br />
Ausnahme der Stadtstaaten“ (B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung 2001: 2).<br />
84 Dieses sind: Bevölkerung, Arbeit, Bildung, Wirtschaft, Freizeit, Flächennutzung, Ges<strong>und</strong>heit,<br />
Siedlungsstruktur, Soziales, Umwelt, Verkehr/Energie, Wanderungen <strong>und</strong> Wohnen.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 127<br />
Laufenden Raumbeobachtung besteht interkommunale Vergleichbarkeit lediglich in<br />
Bezug auf die kreisfreien Städte, da die Daten nur auf Kreisebene vorliegen. Es besteht<br />
also eher die Möglichkeit zu einem „interregionalen Vergleich“.<br />
In einen Städtevergleich lassen sich auch Typen von Stadtteilen wie Innenstadt,<br />
Innenstadtrand <strong>und</strong> Stadtrand einbeziehen. Die Innerstädtische Raumbeobachtung<br />
(IRB) ergänzt daher die Laufende Raumbeobachtung auf der Ebene der Kreise <strong>und</strong><br />
kreisfreien Städte durch kleinräumige Daten unterhalb der Gemeindeebene. Auf der<br />
Basis freiwilliger Kooperationsvereinbarungen mit ausgewählten Städten wurden<br />
intrakommunale Beobachtungseinheiten (Stadtteile) festgelegt, ein Merkmalskatalog<br />
abgestimmt <strong>und</strong> eine Typisierung von Stadtteilen vorgenommen. Das BBR nutzt die<br />
kleinräumigen Daten zur Analyse von Stadtentwicklungsprozessen <strong>und</strong> für<br />
entsprechende Publikationen (Krechel/ Schneider 2000: 87;<br />
www.bbr.b<strong>und</strong>.de/raumordnung/raumbeobachtung/stadtbeobachtung.htm;<br />
www.staedtestatstik.de/kosis/kosis-projekte.html).<br />
Die IRB wurde 1986 als Projekt des Statistischen Amtes Nürnberg ins Leben gerufen.<br />
Beteiligt daran sind der Deutsche Städtetag (DST), der Verband Deutscher<br />
Städtestatistiker (VDSt), das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) <strong>und</strong> das BBR.<br />
Derzeit nehmen 42 Städte, darunter zehn aus den neuen B<strong>und</strong>esländern an der IRB<br />
teil. Diese Städte mit r<strong>und</strong> 19 Millionen EinwohnerInnen in über 2500 Stadtteilen<br />
repräsentieren die Großstadtlandschaft der B<strong>und</strong>esrepublik (Krechel/ Schneider 2000:<br />
87; www.bbr.b<strong>und</strong>.de/raumordnung/raumbeobachtung/stadtbeobachtung.htm).<br />
Die teilnehmenden Städte liefern kleinräumige Daten an die auswertende Stelle, das<br />
BBR. Dabei beschränken sich die Daten auf das, was mit vertretbarem Aufwand von<br />
den kommunalstatistischen Ämtern zur Verfügung gestellt werden kann. Den<br />
Schwerpunkt bilden Daten über Bevölkerung (Struktur, Zu- <strong>und</strong> Fortzüge) <strong>und</strong><br />
Wohnungen (Bestand, Zu- <strong>und</strong> Abgänge). Das BBR ordnet die Städtewerte nach<br />
Stadtteiltypen 85 <strong>und</strong> stellt für diese Typen Vergleichsergebnisse bereit. Diese können<br />
von den beteiligten Städten abgerufen <strong>und</strong> zu eigenen Vergleichen herangezogen werden<br />
85 Für die räumliche Analyse wird unterschieden nach „City“, „sonstige Gebiete der Innenstadt“,<br />
„innenstadtnahe Stadtteile“ <strong>und</strong> „Stadtrand“. Hinzu kommt eine Abgrenzung des „Nahbereichs“ der<br />
Städte, nach denen die überkommunalen Wanderungen differenziert werden (Krechel/ Schneider<br />
2000: 87; www.bbr.b<strong>und</strong>.de/raumordnung/raumbeobachtung/stadtbeob2.htm;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 128<br />
(Krechel/ Schneider 2000: 87;<br />
www.bbr.b<strong>und</strong>.de/raumordnung/raumbeobachtung/stadtbeobachtung.htm;<br />
www.staedtestatstik.de/kosis/kosis-projekte.html).<br />
Eine weitere kommunalstatistische Quelle zur Beobachtung von<br />
Stadtentwicklungsprozessen auf kleinräumiger Basis ist die Datensammlung durch<br />
„KOSTAT“ (www.bbr.b<strong>und</strong>.de/raumordnung/raumbeobachtung/stadtbeobachtung.htm):<br />
Informationen unterhalb der Gemeindeebene sind nicht nur für kommunale Planungen<br />
erforderlich, auch Markt- <strong>und</strong> Meinungsforschungsinstitute <strong>und</strong> große<br />
Wirtschaftsverbände nutzen diese Angaben zur zahlenmäßigen F<strong>und</strong>ierung ihrer<br />
Untersuchungen <strong>und</strong> Maßnahmen. Um diese Nachfrage zu befriedigen, wurde 1999<br />
von sechs Großstädten unter dem Dach des Deutschen Städtetags eine eigene<br />
Vertriebsgesellschaft namens KOSTAT-DST-GmbH (Kommunalstatistik Deutscher<br />
Städtetag GmbH) gegründet. Diese organisiert <strong>und</strong> vertreibt standardisierte <strong>und</strong><br />
geprüfte Bestände innerstädtisch gegliederter Sachdaten. Dazu kommen die<br />
innerstädtischen Gliederungssysteme in Form von Straßenverzeichnissen <strong>und</strong><br />
Übersichtskarten. Die Daten werden jährlich fortgeschrieben <strong>und</strong> als Datenangebot<br />
schrittweise ausgebaut <strong>und</strong> der Nachfrage angepasst (Krechel/ Schneider 2000: 87 f.;<br />
Trutzel/ Schulmeyer 2000; www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html).<br />
Der Leitgedanke der KOSTAT-DST-GmbH ist<br />
• eine leichte Verfügbarkeit durch gemeinsame Bereitstellung,<br />
• die Vollzähligkeit der Gemeinden zunächst ab der Größenklasse von 100.000<br />
EinwohnerInnen <strong>und</strong> mehr,<br />
• eine formale <strong>und</strong> inhaltliche Standardisierung,<br />
• eine einheitlich hohe Qualität <strong>und</strong> Zuverlässigkeit sowie<br />
• Aktualität.<br />
Damit unterscheidet sich das Angebot der GmbH gr<strong>und</strong>legend von dem, was sonst auf<br />
dem Markt angeboten wird. Etwa 100 Städte unterstützen das Anliegen durch Lieferung<br />
ihrer Daten. Dennoch ist eine stärkere Beteiligung der Städte sowie eine Ausweitung<br />
des Datenkatalogs aus Sicht der Nachfrager erforderlich (Krechel/Schneider 2000: 87 f.;<br />
Trutzel/ Schulmeyer 2000; www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html;).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 129<br />
Am 31.12.2002 kam es zur Auflösung der KOSTAT-DST-GmbH als GmbH, die<br />
Datensammlung wurde auf die neu gegründete AG KOSTAT innerhalb des KOSIS-<br />
Verb<strong>und</strong>es 86 übertragen. Betreuende Stelle der AG KOSTAT ist das Bürger-, Statistik<strong>und</strong><br />
Wahlamt der Stadt Frankfurt am Main (www.staedtestatistik.de/kosis/kosisprojekte.html).<br />
Die Aktivitäten der Kommunalstatistik auf einem Markt außerhalb der Stadtverwaltung<br />
finden eine Ergänzung in dem Projekt „ICOSTAT“ (Interkommunales Data<br />
Warehouse) (www.hfv-speyer.de/JANSEN/bildung/kommun0110/Hannemann.pdf).<br />
ICOSTAT ist ein Vorhaben der Städtestatistik zur Schaffung einer Statistik-Datenbank<br />
der deutschen Städte mit städtevergleichenden Daten. Es geht von der Datensammlung<br />
des Statistischen Jahrbuchs Deutscher Gemeinden (siehe oben) aus <strong>und</strong> will diese <strong>und</strong><br />
weitere Daten der Städte im Internet verfügbar machen. Getragen wird ICOSTAT vom<br />
Deutschen Städtetag <strong>und</strong> den dort als Fachreferenten berufenen StädtestatistikerInnen,<br />
die mit weiteren Fachleuten aus dem Verband Deutscher Städtestatistiker eng<br />
zusammenarbeiten. Eine Vereinbarung mit den Statistischen Landesämtern sichert die<br />
Bereitstellung der landesamtlichen Daten. Mitgetragen wird das Vorhaben auch vom<br />
Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatik 87 . Technisch wird für die Datensammlung,<br />
Datenverarbeitung <strong>und</strong> Informationsbereitstellung das Informationsmanagementsystem<br />
DUVA des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es eingesetzt. Seit 2004 ist ICOSTAT von der Testphase in<br />
die Produktionsphase übergegangen. (Krechel/ Schneider 2000: 89; Trutzel/<br />
Schulmeyer 2000; www.icostat.de/index.htm; www.stadtestatistik.de/kosis/kosisprojekte.html).<br />
Die Städte als Lebens- <strong>und</strong> Wirtschaftsraum sind längst über ihre eigentlichen<br />
Verwaltungsgrenzen hinausgewachsen. Das ständig steigende Pendleraufkommen<br />
belegt dies nachdrücklich. Daher richtet sich das politische Interesse zunehmend nicht<br />
mehr primär auf die Stadt als administrative Einheit, sondern auf die Region. Aus<br />
diesem Interesse erwächst ein steigender Informationsbedarf, der bisher nur beschränkt<br />
<strong>und</strong> mit Schwierigkeiten befriedigt werden kann. Die örtliche Politik benötigt sowohl<br />
gesicherte Planungsdaten für das Umland als auch Daten über Teile des Stadtgebiets<br />
zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse innerhalb der Städte. Diese Daten<br />
können jedoch weder der B<strong>und</strong> noch die Länder noch die Städte allein in einer für den<br />
86 nähere Erläuterungen zum KOSIS-Verb<strong>und</strong> siehe auf S. 131 ff.<br />
87 nähere Erläuterungen zum Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik siehe im Folgenden
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 130<br />
Vergleich geeigneten Weise zur Verfügung stellen: Die staatliche Statistik hat keinen<br />
Zugang zu den kommunalen, insbesondere zu den kleinräumig gegliederten Daten der<br />
Gemeinden, auf der anderen Seite sind nicht alle Daten der amtlichen Statistik den<br />
Kommunen zugänglich (www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html;<br />
www.statistik.nuernberg.de/stat_inf/VJ/vj200002_9.htm; o.V. 2001: 3).<br />
Die beschriebene Situation führte 1999 zur Gründung des Netzwerks Stadt- <strong>und</strong><br />
Regionalstatistik, das die Zuständigkeitsgrenzen im Bereich der Stadt- <strong>und</strong><br />
Regionalstatistik überwinden <strong>und</strong> zu einer hierarchiefreien Kooperation der<br />
verschiedenen Ebenen <strong>und</strong> Beteiligten führen soll. Dies soll helfen, die statistischen<br />
Informationen auf dem Gebiet der Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik zu verbessern. Im<br />
Netzwerk arbeiten das Statistische B<strong>und</strong>esamt, die Statistischen Landesämter, die<br />
B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit mit ihrem Institut für Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Berufsforschung, als<br />
Vertreter der Städtestatistik <strong>und</strong> des Deutschen Städtetags der Verband Deutscher<br />
Städtstatistiker (VDSt), der KOSIS-Verb<strong>und</strong> sowie die AG KOSTAT (siehe oben) <strong>und</strong><br />
das B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung mit. Letzteres hat auch die Betreuung<br />
des Netzwerks übernommen (www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html;<br />
www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html;<br />
www.statistik.nuernberg.de/stat_inf/VJ/vj200002_9.htm; o.V. 2001: 3).<br />
Das Netzwerk verfolgt das Ziel,<br />
• das Anliegen der vergleichenden Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik zu fördern,<br />
• hierzu statistische Daten für Regionen, Kreise, Gemeinden <strong>und</strong> Städte sowie deren<br />
Stadtteile verfügbar zu machen,<br />
• die Daten so weit wie möglich inhaltlich vergleichbar zu machen/zu harmonisieren,<br />
• die Maßnahmen auf diesem Gebiet aufeinander abzustimmen<br />
(www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html).<br />
Es geht darum,<br />
• eine inhaltliche Bündelung zu erreichen, aus der ein nach Definitionen <strong>und</strong><br />
inhaltlicher Gliederung einheitliches Angebot entsteht,
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 131<br />
• eine regionale Bündelung zu erreichen, also ein einheitliches räumliches<br />
Bezugssystem für eine b<strong>und</strong>esweit standardisierte <strong>und</strong> kompatible<br />
Gebietsgliederung zu schaffen,<br />
• eine organisatorische Bündelung zu erreichen, damit man das gesamte<br />
Datenangebot „aus einer Hand“ erhalten kann<br />
(www.statistik.nuernberg.de/stat_inf/VJ/vj200002_9.htm).<br />
Das Netzwerk hat hierzu drei Arbeitsgruppen eingesetzt, in denen jeweils Vertreter aller<br />
beteiligten Institutionen mitwirken:<br />
• die AG „Daten“, die einen Datenkatalog, Datenbeschreibungen <strong>und</strong> Definitionen<br />
abstimmt,<br />
• die AG „Raumbezug/Region“, die für die Abgrenzungen der regionalen Einheiten<br />
<strong>und</strong> die interne Gliederung zuständig ist <strong>und</strong><br />
• die AG „Vermarktung“, die sich die Informationsweitergabe <strong>und</strong> Vermarktung der<br />
Produkte zum Ziel gesetzt hat (www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html;<br />
www.statistik.nuernberg.de/stat_inf/VJ/vj200002_9.htm; o.V. 2001: 3).<br />
Das Netzwerk hat die Projekte ICOSTAT (siehe oben) <strong>und</strong> Urban Audit (siehe im<br />
Folgenden) mit auf den Weg gebracht, außerdem werden hier Vorhaben der Laufenden<br />
Raumbeobachtung <strong>und</strong> der Innerstädtischen Raumbeobachtung (IRB) des BBR (siehe<br />
oben) abgestimmt (www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html;<br />
www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html).<br />
Die Kooperation im Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik ist auch dem Projekt Urban<br />
Audit zu Gute gekommen. Dieses Förderprojekt wurde von der Europäischen Union im<br />
Jahr 1997 initiiert mit dem Ziel, einen Beitrag zur statistischen Messung der<br />
Lebensqualität im europäischen Städtevergleich zu leisten. Eine Mitteilung der<br />
Kommission über „Wege zur Stadtentwicklung in der EU“ <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene<br />
Debatte zeigten, dass bessere statistische Informationen über die Städte in der Union<br />
erforderlich sind. Deshalb vergab die Generaldirektion XVI der Europäischen<br />
Kommission das Projekt Urban Audit, vorläufig als Pilotprojekt, an 58 europäische<br />
Städte, die Indikatoren zur Messung der Lebensbedingungen zusammenstellen sollten.<br />
Das für die Dauer von zwölf Monaten angelegte Pilotprojekt sollte im Ergebnis für alle<br />
Städte einen Lagebericht liefern, eine Diagnose anbieten, besondere Informationen
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 132<br />
über innerstädtische Problemquartiere bereitstellen <strong>und</strong> einen Erfahrungsaustausch<br />
zwischen den Städten bewirken (Krechel/ Schneider 2000: 88; Trutzel/ Schulmeyer<br />
2000; www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html).<br />
Die zehn am Projekt beteiligten deutschen Städte organisierten sich in einer<br />
Gemeinschaft des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es unter der Federführung des Statistischen Amtes<br />
Nürnberg. Über das Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik kam es zu einer engen<br />
Zusammenarbeit mit B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landesstatistik, dem B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong><br />
Raumordnung sowie der B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit. Die KOSIS-Gemeinschaft<br />
koordinierte die Beiträge der deutschen Städte <strong>und</strong> versuchte eine direktere Einbindung<br />
der Städte in das Vorhaben zu bewirken, d.h. die Städte sollten nicht nur als<br />
Datenlieferanten betrachtet, sondern als Projektpartner anerkannt werden (Krechel/<br />
Schneider 2000: 88; Trutzel/ Schulmeyer 2000;<br />
www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html; www.staedtestatistik.de/kosis/kosisprojekte.html).<br />
Seit 2002 wird die europaweite städtevergleichende Datensammlung zur Bewertung der<br />
Lebensqualität vom Europäischen Statistischen System unter der Federführung von<br />
Eurostat fortgeführt. Das nun auf Dauer angelegte Vorhaben wird in Deutschland erneut<br />
von der KOSIS-Gemeinschaft Urban Audit getragen. Hier sind die 35 beteiligten<br />
deutschen Städte zusammengeschlossen. Insgesamt beteiligen sich 258 Städte an<br />
diesem EU-Projekt. Die geforderten Daten umfassen alle Lebensbereiche, insgesamt<br />
werden je Stadt r<strong>und</strong> 330 Daten erhoben, für den funktionalen städtischen Raum r<strong>und</strong><br />
170 Daten <strong>und</strong> für die Teilräume der Stadt r<strong>und</strong> 35 Daten. Diese werden bei Eurostat<br />
gespeichert <strong>und</strong> zu einem Satz von über 400 Indikatoren verrechnet. Die objektiven<br />
Daten werden durch eine Befragung über die subjektive Wahrnehmung der<br />
Lebensqualität in 30 Städten der Europäischen Union ergänzt<br />
(www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html).<br />
Der KOSIS-Verb<strong>und</strong> – das Kürzel KOSIS steht für Kommunales Statistisches<br />
Informationssystem – ist eine kommunale Selbsthilfeorganisation, die mit Unterstützung<br />
des Deutschen Städtetages Kooperationsprojekte organisiert, in denen jeweils<br />
interessierte Mitglieder selbstverantwortlich Vorhaben zum statistischen<br />
Informationsmanagement betreiben. Nach seinem Statut dient der KOSIS-Verb<strong>und</strong> der
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 133<br />
Verbesserung der Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsfähigkeit der Kommunen durch<br />
kooperative Verfahrensentwicklung, Pflege <strong>und</strong> Nutzerunterstützung beim Aufbau <strong>und</strong><br />
Betrieb des Statistischen Informationssystems. Gegründet wurde er 1981/82. Im Laufe<br />
s<strong>eines</strong> Bestehens hat sich der Verb<strong>und</strong> zu einer bedeutenden Plattform für<br />
kommunales Informationsmanagement entwickelt. Gegenwärtig hat er r<strong>und</strong> 120<br />
Mitglieder, in der Regel Kommunen, kommunale Einrichtungen, wissenschaftliche<br />
Einrichtungen, staatliche <strong>und</strong> sonstige öffentliche Institutionen. Der KOSIS-Verb<strong>und</strong> ist<br />
ein nichtrechtsfähiger gemeinnütziger Verein. Träger ist der Verband Deutscher<br />
Städtestatistiker (VDSt) (Trutzel/ Schulmeyer 2000;<br />
www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html; www.staedtestatistik.de/kosis/kosisorganisation.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-verb<strong>und</strong>.html).<br />
Die Verantwortung <strong>und</strong> Verwaltung der auf Selbsthilfebasis fußenden Kooperationsbzw.<br />
Gemeinschaftsprojekte ist dezentralisiert. Daher bestimmen die Beteiligten <strong>eines</strong><br />
Gemeinschaftsprojekts eine betreuende Stelle, die die Geschäfte führt <strong>und</strong> die<br />
Gemeinschaft nach innen <strong>und</strong> außen vertritt. Im Vordergr<strong>und</strong> stehen dabei<br />
• die Organisation von Gemeinschaftsprojekten zur Weiterentwicklung <strong>und</strong> Pflege von<br />
Bausteinen kommunaler statistischer Informationssysteme,<br />
• die Vermittlung marktgängiger Produkte durch Abschluss entsprechender<br />
Rahmenvereinbarungen,<br />
• die koordinierte Bereitstellung kleinräumiger Gliederungssysteme <strong>und</strong> kommunaler<br />
Daten,<br />
• die Organisation des Erfahrungsaustauschs zwischen den Mitgliedern <strong>und</strong> die<br />
Information über neue <strong>Entwicklung</strong>en sowie die Weiterentwicklung <strong>und</strong> Verbreitung<br />
der Standards für kommunale statistische Informationssysteme,<br />
• die Interessenvertretung in Fragen kommunaler statistischer Informationssysteme<br />
(Trutzel/ Schulmeyer 2000; www.staedtestatistik.de/eng/kosis/projects.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-organisation.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-verb<strong>und</strong>.html).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 134<br />
Von den zahlreichen KOSIS-Gemeinschaftsprojekten sollen hier nur in aller Kürze<br />
diejenigen aufgeführt werden, die im Sinne von interkommunaler Vergleichbarkeit in der<br />
kommunalen Berichterstattung von Interesse sind:<br />
• SIKURS (Regionalisierte Bevölkerungsprognose): Die SIKURS-Gemeinschaft<br />
betreibt die Wartung, Pflege <strong>und</strong> Weiterentwicklung des Programmbaukastens zur<br />
regionalisierten Bevölkerungsprognose. Zurzeit läuft die Testphase für ein<br />
Programmmodul zur Erstellung von Haushaltsprognosen, das auf den Ergebnissen<br />
der SIKURS-Bevölkerungsprognose aufbaut <strong>und</strong> diese mit Angaben aus der<br />
Haushaltsgenerierung durch HHGen in Haushalte überführt 88 .<br />
• AGK (Adresszentraldatei, Gebäudedatei <strong>und</strong> Kleinräumige Gliederung): 2001<br />
vereinigten sich die damaligen KOSIS-Gemeinschaften KGW (PC-Programme zur<br />
Kommunalen Gebietsgliederung) <strong>und</strong> GEBS (Statistische Gebäudedatei) zur neuen<br />
Gemeinschaft AGK (Adresszentraldatei, Gebäudedatei <strong>und</strong> Kleinräumige<br />
Gliederung), um die jeweils entwickelten Programme zur kleinräumigen Gliederung<br />
bzw. zum Aufbau, zur Fortschreibung <strong>und</strong> zur Auswertung von Gebäudedatensätzen<br />
zusammenzuführen <strong>und</strong> aufeinander abzustimmen. Dieser Zusammenschluss bietet<br />
sich aufgr<strong>und</strong> der inhaltlichen Verbindung der Gebäudedaten mit der kommunalen<br />
Gebietsgliederung durch die räumliche Lokalisierung der Gebäude mit Hilfe von<br />
Adressen an.<br />
• KORIS (Kommunales Raumbezugssystem): Die Gemeinschaft KORIS setzt an den<br />
Ergebnissen der früheren KOSIS-Gemeinschaft Raumbezogene<br />
Informationsverarbeitung an <strong>und</strong> will das System der kleinräumigen Gliederung zu<br />
einem geografischen Rauminformationssystem weiterentwickeln. Angestrebt wird<br />
ein modular aufgebautes System, das sich marktgängiger GIS 89 -Werkzeuge bedient,<br />
die Verbindung mit der statistischen Sachdatenbasis herstellt <strong>und</strong> die Logik der<br />
kleinräumigen Gliederung integriert. Durch den modularen Aufbau sollen<br />
interessierte Anwenderstädte unterschiedlicher Größe <strong>und</strong> finanzieller<br />
Leistungsfähigkeit die KORIS-Lösungen einsetzen können.<br />
• HHSTAT (Koordinierte Haushalte- <strong>und</strong> Bevölkerungsstatistik aus dem<br />
Melderegister): Ziel dieser Gemeinschaft ist es, die statistische Nutzung des<br />
Melderegisters auf eine einheitliche Gr<strong>und</strong>lage zu stellen <strong>und</strong> den Städten auf diese<br />
88 Vgl. hierzu die Erläuterungen in Kap. 8.4.<br />
89 Geografisches Informationssystem
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 135<br />
Weise zu vergleichbaren kleinräumigen Bevölkerungs- <strong>und</strong> Haushaltsstatistiken zu<br />
verhelfen. 90<br />
• AG KOSTAT: Die AG KOSTAT ist der Nachfolger der Ende 2002 aufgelösten<br />
KOSTAT-DST-GmbH. Sie organisiert <strong>und</strong> vermarktet standardisierte <strong>und</strong> geprüfte<br />
Bestände innerstädtisch gegliederter Sachdaten. Dazu kommen innerstädtische<br />
Gliederungssysteme in Form von Straßenverzeichnissen <strong>und</strong> Übersichtskarten. Sie<br />
wird von sechs Städten <strong>und</strong> dem B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung<br />
getragen, etwa 100 Städte beteiligen sich an der Datenlieferung. 91<br />
• Urban Audit: Mit dem Urban Audit will die EU-Kommission anhand von Indikatoren<br />
die Lebensqualität in den Stadtregionen, den Städten <strong>und</strong> Stadtteilen im<br />
europäischen Vergleich aufzeigen, um darauf ihre städtebezogene Politik zu<br />
gründen <strong>und</strong> die Städte zu verstärktem interkommunalen Vergleich anzuregen. In<br />
Deutschland hat die gleichnamige KOSIS-Gemeinschaft die inhaltliche<br />
Ausgestaltung übernommen. 92<br />
• Informationsmanagementsystem DUVA: Dem Gemeinschaftsprojekt DUVA liegt das<br />
Ziel zu Gr<strong>und</strong>e, den Prozess des Informationsmanagements ganzheitlich zu<br />
gestalten. Dieser ganzheitliche Ansatz wird verwirklicht, indem die einzelnen Stufen<br />
des Informationsmanagementprozesses – Informationserschließung,<br />
Informationsverdichtung <strong>und</strong> Informationspräsentation – in Form verschiedener<br />
DUVA-Module miteinander in Verbindung gebracht werden.<br />
Mit DUVA werden quantitative Daten aus unterschiedlichen Quellen (z.B.<br />
Verwaltungsvollzugsdaten <strong>und</strong> Daten aus statistischen Erhebungen) <strong>und</strong> zu<br />
unterschiedlichen Fragestellungen datenverarbeitungstechnisch in systematischer<br />
Weise erschlossen, aufbereitet <strong>und</strong> präsentiert. Die Statistikproduktion wird dadurch<br />
rationalisiert <strong>und</strong> standardisiert. Beschreibungen im Klartext 93 sind zentraler<br />
Bestandteil des Systems (Metadaten) 94 . Diese werden mit Hilfe <strong>eines</strong><br />
Nachweissystems in eine Metadatenbank aufgenommen <strong>und</strong> verwaltet. Die<br />
Beschreibungen dienen zur Datendokumentation, zum Retrieval 95 sowie zur<br />
Benutzerführung bei der Erschließung, Verdichtung <strong>und</strong> Präsentation<br />
90<br />
Vgl. hierzu die Erläuterungen in Kapitel 8.4.<br />
91<br />
Vgl. hierzu auch die detaillierten Ausführungen zur KOSTAT-DST-GmbH (S. 127)<br />
92<br />
Vgl. hierzu die detaillierten Ausführungen zum Urban Audit (S. 130f.)<br />
93<br />
= unverschlüsselt<br />
94<br />
Metadaten sind Systemdaten zur näheren Beschreibung von Nutzdaten, z.B. Name, Größe,<br />
Speicherort, Datum <strong>und</strong> Uhrzeit der Erzeugung, Zugriffsrechte <strong>und</strong>/oder Formatierungen<br />
(www.networds.de/welcome.html).<br />
95<br />
= Suchen <strong>und</strong> Auffinden gespeicherter Daten.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 136<br />
unterschiedlichster Informationsbestände. Da DUVA ein inhaltlich <strong>und</strong><br />
datenverarbeitungstechnisch offenes System ist, können beliebige Dateien im<br />
Nachweissystem beschrieben <strong>und</strong> aufbereitet werden. Außerdem gibt es<br />
Schnittstellen, über die Informationen mit anderen AnwenderInnen ausgetauscht <strong>und</strong><br />
an verschiedene Weiterverarbeitungswerkzeuge weitergegeben werden können.<br />
(Trutzel/ Schulmeyer 2000; www.duva.de/was/kurzprofil.htm;<br />
www.duva.de/warum/warum_01.htm; www.duva.de/warum/warum_02.htm;<br />
www.staedtstatistik.de/kosis/eng/kosis/projects.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html;).<br />
Über die Gemeinschaftsprojekte hinaus ist der KOSIS-Verb<strong>und</strong> am Vorhaben<br />
ICOSTAT, am Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik <strong>und</strong> an der Innerstädtischen<br />
Raumbeobachtung beteiligt (www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-projekte.html).<br />
In engem Zusammenhang mit dem KOSIS-Verb<strong>und</strong> steht der 1904 gegründete<br />
Verband Deutscher Städtestatistiker (VDSt), der aus der Konferenz der Direktoren<br />
Städtestatistischer Ämter hervorgegangen ist 96 . Er ist der Träger des KOSIS-Verb<strong>und</strong>s<br />
<strong>und</strong> vereinigt heute mit etwa 300 Mitgliedern einen Großteil der wissenschaftlichen<br />
MitarbeiterInnen der städtestatistischen Ämter <strong>und</strong> Abteilungen<br />
(www.staedtestatistik.de/vdst/organisation.html;<br />
www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html).<br />
Der VDSt als überörtliche Organisation der Kommunalstatistik fördert die Städtestatistik<br />
<strong>und</strong> Stadtforschung sowie deren Funktion in der Kommunalverwaltung, in Wissenschaft<br />
<strong>und</strong> Praxis. Er ist dabei bemüht, in Abstimmung mit den kommunalen Spitzenverbänden<br />
die amtliche Statistik auf der kommunalen Ebene zu koordinieren <strong>und</strong> ihre Wirksamkeit<br />
zu steigern. In seinen Gremien entwickelt der VDSt Musterregelungen für notwendige<br />
Rechtsgr<strong>und</strong>lagen, erarbeitet fachliche Standards <strong>und</strong> sorgt in dem von ihm getragenen<br />
KOSIS-Verb<strong>und</strong> für die technischen Instrumente <strong>und</strong> die Organisationshilfen zu ihrer<br />
Umsetzung (siehe oben). Die inhaltliche Arbeit leisten Fachbereiche <strong>und</strong> die drei<br />
regionalen Arbeitsgemeinschaften „Nord West“, „Ost“ <strong>und</strong> „Süd“ sowie Projektgruppen<br />
zu besonderen Vorhaben (www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html).<br />
96 Vgl. dazu die Ausführungen im Kap. 8.2.2.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 137<br />
Der VDSt betreut bzw. bearbeitet neun Veröffentlichungsreihen, unter anderem das<br />
bereits näher erläuterte „Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden“ <strong>und</strong> die<br />
„Vergleichende Großstadtstatistik“ (www.staedtestatistik.de/vdst/ueber.html;<br />
www.staedtestatistik.de/vdst/veroeff.html).<br />
Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) stellt<br />
eine weitere Organisation im Arbeitsfeld der interkommunalen Vergleichbarkeit dar. Sie<br />
ist ein von Städten, Gemeinden <strong>und</strong> Kreisen getragener Fachverband für kommunales<br />
Management <strong>und</strong> wurde 1949 in Köln gegründet. Über 1600 Kommunalverwaltungen,<br />
darunter fast alle deutschen Städte über 25.000 EinwohnerInnen <strong>und</strong> die meisten<br />
Landkreise, arbeiten in der KGSt zusammen <strong>und</strong> befassen sich mit der Führung,<br />
Steuerung <strong>und</strong> Organisation der Kommunalverwaltung. Es geht darum, die eigene<br />
Leistungsfähigkeit zu verbessern <strong>und</strong> so zur Stärkung der kommunalen<br />
Selbstverwaltung beizutragen<br />
(www.kgst.de/menu_oben/die_kgst/wer_ist_die_kgst/index.html).<br />
Hauptprodukte der KGSt sind gutachtliche Empfehlungen, interkommunaler<br />
Erfahrungsaustausch <strong>und</strong> interkommunale Leistungsvergleiche. Diese Produkte sollen<br />
an dieser Stelle kurz erläutert werden:<br />
• Gutachtliche Empfehlungen: Die KGSt entwickelt gemeinsam mit der kommunalen<br />
Praxis gutachtliche Empfehlungen zu kommunalen Managementfragen, die<br />
schriftlich herausgegeben werden, z.B. zum Themenfeld „Neues Steuerungsmodell<br />
in der Verwaltung“. Sie berücksichtigen dabei auch Erkenntnisse <strong>und</strong> Erfahrungen<br />
aus Wissenschaft <strong>und</strong> Wirtschaft. Bisher wurden schon r<strong>und</strong> 1.000 Berichte <strong>und</strong><br />
Gutachten veröffentlicht.<br />
• Interkommunaler Erfahrungsaustausch/KIKOS-Wissensdatenbank: Seit ihrer<br />
Gründung hat die KGSt Sachwissen <strong>und</strong> Erfahrung angesammelt, die sie in Form<br />
<strong>eines</strong> Archivs <strong>und</strong> einer Bibliothek ihren Mitgliedern zur Verfügung stellt. Seit 1999<br />
ist der Erfahrungsaustausch per Internet organisiert. Dazu dient KIKOS, das<br />
kommunale Informations- <strong>und</strong> Kommunikationssystem der KGSt. KIKOS ist eine<br />
internetbasierte Wissensdatenbank mit einer Vielzahl von Schriftstücken <strong>und</strong><br />
F<strong>und</strong>stellen zu kommunalen Themen, sie wird laufend erweitert <strong>und</strong> aktualisiert.<br />
Über ein Suchsystem kann man Informationen zu bestimmten Themen schnell <strong>und</strong><br />
zielgenau auffinden.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 138<br />
• Interkommunale Leistungsvergleiche/IKON: Im 1996 gegründeten IKO-Netz führt die<br />
KGSt zusammen mit zahlreichen Kommunen Vergleichsringprojekte durch. In diesen<br />
Projekten werden kommunale Leistungen mit Hilfe von Kennzahlen gemessen <strong>und</strong><br />
verglichen. Die in den Vergleichsringen angewandten bzw. entwickelten<br />
Kennzahlensysteme stehen allen KGSt-Mitgliedern in der Vergleichsdatenbank<br />
IKON zur Verfügung. Neben detailliert beschriebenen Kennzahlensystemen können<br />
auch Vergleichswerte eingesehen werden, die von den Vergleichsringen<br />
freigegeben wurden<br />
(www.kgst.de/menu_links/produkte/ikon_vergleichsdatenbank/was_ist_ikon/index.ht<br />
m;<br />
www.kgst.de/menu_links/produkte/kikos_wissensdatenbank/was_bietet_kikos/index.<br />
htm; www.kgst.de/menu_oben/die_kgst/wer_ist_die_kgst/index.html).<br />
Abschließend soll an dieser Stelle auf das Projekt “<strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong><br />
sozialräumlichen Monitoringsystems für die Städte Gießen <strong>und</strong> Wetzlar“<br />
eingegangen werden. Es steht exemplarisch für Projekte, die auf die Herstellung von<br />
interkommunaler Vergleichbarkeit zwischen ausgewählten Städten abzielen 97 .<br />
Ausgangspunkt für dieses Projekt war die kooperative Zusammenarbeit verschiedener<br />
Akteure aus den Städten Gießen <strong>und</strong> Wetzlar in mehreren Fachgruppen zu den<br />
Bereichen Stadtentwicklung, Wirtschaft, Soziales <strong>und</strong> Kultur im Rahmen des<br />
Forschungsprojektes „Stadt 2030“. Mit der durch dieses Projekt initiierten Kooperation<br />
wollte man als Stadtregion Gießen-Wetzlar gemeinsam auf die sich aus dem<br />
demografischen Wandel sowie den wirtschaftlichen <strong>und</strong> sozialen Veränderungen<br />
ergebenden Herausforderungen reagieren. Es wurden Handlungsschwerpunkte für die<br />
Umsetzung der beabsichtigten regionalen Kooperation festgehalten. Einer dieser<br />
Handlungsschwerpunkte sah die <strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> interkommunalen sozialräumlichen<br />
Monitoringsystems für die Städte Gießen <strong>und</strong> Wetzlar vor. Dieses Monitoringsystem als<br />
ein einheitliches Konzept für eine fachlich f<strong>und</strong>ierte Sozialberichterstattung soll die<br />
Kommunen dabei unterstützen, Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte zu erstellen, die einen<br />
interkommunalen Vergleich ermöglichen <strong>und</strong> damit Benchmarking-Wirkung haben<br />
97 Ein weiteres Projekt ist z.B. die „<strong>Entwicklung</strong> nachhaltiger kommunaler Sozialberichtssysteme in den<br />
kreisfreien Städten Mecklenburg-Vorpommerns“, durchgeführt vom Institut für Soziologie <strong>und</strong><br />
Demographie der Universität Rostock
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 139<br />
(Magistrat der Stadt Gießen/Magistrat der Stadt Wetzlar 2003: 89 ff.; Meier/Löser 2004:<br />
1 ff.).<br />
Zur Bearbeitung des Projektes fanden ab Januar 2004 mehrere Arbeitstreffen statt, bei<br />
denen diejenigen Personen aus beiden Städten an einen Tisch geholt wurden, die für<br />
die Erhebung <strong>und</strong> Verwaltung wichtiger Bevölkerungsdaten zuständig sind. Die<br />
wissenschaftliche Leitung übernahm der Lehrstuhl für Wirtschaftslehre des<br />
Privat<strong>haushalts</strong> <strong>und</strong> Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen. Die<br />
Datenquellen aller potentiellen Datenlieferanten vor Ort wurden systematisch<br />
zusammengeführt, <strong>und</strong> man verständigte sich auf 17 aussagefähige Indikatoren<br />
innerhalb der Bereiche „Soziale Segregation“, „Soziale Position“ <strong>und</strong> „Administrative<br />
Intervention“ sowie auf einheitliche sozialräumliche Grenzen (Meier/ Löser 2004: II <strong>und</strong><br />
6 f.).<br />
Folgenden Nutzen erwarten sich die beiden Städte aus dem gemeinsamen<br />
sozialräumlichen Monitoringsystem:<br />
• Vorhandene Informationen, Erfahrungen <strong>und</strong> konkretes Know-How der beteiligten<br />
kommunalen Akteure werden schnell, kostengünstig <strong>und</strong> unbürokratisch<br />
ausgetauscht, so dass <strong>Entwicklung</strong>skosten eingespart werden, weil nichts zweimal<br />
erf<strong>und</strong>en werden muss.<br />
• Die Anwendung von Benchmarking-Methoden in der Sozialverwaltung, also die<br />
aktuelle Positionsbestimmung beider Kommunen im Vergleich mit der jeweils<br />
anderen Verwaltung, ist nur sinnvoll <strong>und</strong> erfolgversprechend, wenn die zu Gr<strong>und</strong>e<br />
liegenden Daten auch interkommunalen Standards unterliegen.<br />
• Das Monitoringsystem selbst bringt eine konkrete Zeit- <strong>und</strong> Kostenersparnis, denn<br />
durch die einmalige Festlegung von Regeln, Standards, statistischen Einheiten <strong>und</strong><br />
personellen Zuständigkeiten entfällt der ansonsten zur Erarbeitung <strong>eines</strong> jeweils<br />
neuen Berichts notwendige hohe Personal- <strong>und</strong> Zeitaufwand.<br />
• Um regionale <strong>Entwicklung</strong>sprobleme anzugehen, ist künftig eine über Stadtgrenzen<br />
hinausreichende Zusammenarbeit erforderlich. Die Erarbeitung von<br />
interkommunalen Steuerungsinstrumenten <strong>und</strong> Strategien setzt aber in jedem Fall<br />
vergleichbare Basisdaten voraus (Meier/ Löser 2004: 4 ff.).<br />
Das Projekt wurde im Oktober 2004 mit der Vorlage <strong>eines</strong> Abschlussberichtes beendet.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 140<br />
8.2.4. Interkommunale Vergleichbarkeit in der Praxis der kommunalen Armuts<strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung<br />
In der Praxis der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung bzw. in den als<br />
Ergebnis der Berichterstattung herausgegebenen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten stößt<br />
man nur selten auf Ansätze interkommunaler Vergleichbarkeit. Bei den uns zur<br />
Verfügung stehenden Berichten beschränken sich diese auf den Einsatz des vom<br />
KOSIS-Gemeinschaftsprojekt HHSTAT 98 iniierten Haushaltsgenerierungsverfahrens<br />
<strong>und</strong> auf Kennzahlenvergleiche im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von<br />
Vergleichsringen der KGSt 99 .<br />
Das Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen, das aus dem Gemeinschaftsvorhaben<br />
„Koordinierte Haushalte- <strong>und</strong> Bevölkerungsstatistik aus dem Melderegister“, kurz<br />
HHSTAT, des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es resultierte, findet in den kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichten von Bad Vilbel 1996, Lübeck 2003 <strong>und</strong> Wiesbaden 1996 Anwendung.<br />
Außerdem haben Lübeck, Münster, Nürnberg <strong>und</strong> Wiesbaden gesonderte Berichte zur<br />
Vorgehensweise <strong>und</strong> zu den Ergebnissen der Haushaltsgenerierung veröffentlicht<br />
(Bender/ Soike 2002; Härle 1993; Lux-Henseler 2001a <strong>und</strong> b; Stadt Münster 2004). Die<br />
jeweiligen Ergebnisse der Haushaltsgenerierung werden im Rahmen des Kapitels<br />
„Haushaltsbezug in der kommunalen Statistik: Haushaltsgenerierungsverfahren“ (Kap.<br />
8.4.) detailliert vorgestellt. Betrachtet man sie unter der Perspektive der<br />
interkommunalen Vergleichbarkeit, so kommt man zu dem Schluss, dass die<br />
Ergebnisse trotz Einsatz des gleichen datenverarbeitungstechnischen Verfahrens sehr<br />
unterschiedlich ausfallen <strong>und</strong> nicht miteinander kompatibel sind. Das kann einerseits<br />
daran liegen, dass unterschiedliche Versionen von HHGen verwendet wurden, denn<br />
das Verfahren wurde mehrfach überarbeitet <strong>und</strong> verbessert. Aber auch Berichte, die im<br />
gleichen Zeitraum entstanden sind, weisen keine völlig vergleichbaren Ergebnisse auf.<br />
So werden beispielsweise im Bad Vilbeler Bericht (Bad Vilbel 2002) sieben<br />
Haushaltstypen abgebildet, im Nürnberger Bericht (Lux-Henseler 2001a) sind es<br />
dagegen zwölf <strong>und</strong> im Lübecker Bericht (Bender/ Soike 2002) nur fünf. Diese<br />
Unterschiede können ihren Ursprung entweder in verschiedenen Einstellungen des<br />
98 Vgl. dazu die Ausführungen auf S. 133<br />
99 Vgl. dazu die Ausführungen auf S. 135f.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 141<br />
Haushaltsgenerierungsverfahrens haben 100 oder in unterschiedlichen Auswertungen der<br />
Ergebnisse des Verfahrens 101 . Um zu wirklich vergleichbaren Ergebnissen zu gelangen,<br />
bedarf es daher auf der einen Seite einer vorgegebenen Einstellung des Programms<br />
HHGen <strong>und</strong> auf der anderen Seite einer standardisierten Auswertung innerhalb<br />
festgelegter Kategorien.<br />
Städtevergleiche im Bereich der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ mittels Vergleichsringen<br />
finden sich in den Berichten Gelsenkirchen 2001, Offenbach 2000 <strong>und</strong> Offenbach 2001.<br />
Beide Städte gehen jedoch sehr unterschiedlich vor: Während im Gelsenkirchener<br />
Bericht die Ergebnisse des Kennzahlenvergleichs detailliert aufgeführt <strong>und</strong> erläutert<br />
werden, das Vorgehen bei diesem Vergleich jedoch weitestgehend unreflektiert bleibt<br />
(Gelsenkirchen 2001: 42 ff. <strong>und</strong> 96 ff.), hinterfragen die beiden Offenbacher Berichte die<br />
Methodik der interkommunalen Vergleichsringe kritisch <strong>und</strong> weisen auf die sich damit<br />
verbindenden Probleme hin (Offenbach 2000: 4f.; Offenbach 2001: 2f.).<br />
Ziel der Vergleichsringe ist es laut Gelsenkirchener Bericht, den beteiligten Städten eine<br />
Positionsbestimmung zu ermöglichen, die Ausgangsbasis für eine verbesserte<br />
Steuerung in der Sozialhilfe sein soll. Dazu nimmt Gelsenkirchen in 2001 zum vierten<br />
Mal an einem Vergleichsring mittlerer Großstädte in Nordrhein-Westfalen teil. Die auf<br />
diese Weise entstandene Zeitreihe vermittelt laut Gelsenkirchener Bericht ein recht<br />
konturiertes Bild der Strukturunterschiede bei der Sozialhilfegewährung in den<br />
einzelnen Städten (Gelsenkirchen 2001: 42). Verglichen werden allgemeine <strong>und</strong><br />
gruppenspezifische Sozialhilfequoten bzw. -dichten, die Fallzahlentwicklung, die<br />
Haushaltsstruktur der EmpfängerInnenhaushalte, der Anteil an Personen im<br />
erwerbsfähigen Alter, die Bezugsdauer sowie die Einnahmen <strong>und</strong> Ausgaben der Hilfe<br />
zum Lebensunterhalt. Die jeweiligen Unterschiede in den einzelnen Städten werden<br />
dargestellt <strong>und</strong> soweit möglich erklärt (Gelsenkirchen 2001: 42 ff. <strong>und</strong> 96 ff.).<br />
Offenbach nimmt seit 1997 neben Darmstadt, Kassel, Marburg <strong>und</strong> Saarbrücken an<br />
einem interkommunalen Vergleichsring teil, um anhand des Vergleichs von Kennziffern<br />
sowie Organisationsabläufen Detailbereiche in der Sozialhilfebewährung zu erfassen, in<br />
100 Es besteht die Möglichkeit, einzelne Generierungsstufen des Verfahrens zu überspringen oder durch<br />
Feinsteuerung der Parameter das Ergebnis zu verändern (vgl. die entsprechenden Ausführungen in<br />
Kap. 8.4.).<br />
101 Das Verfahren HHGen liefert lediglich Personenverknüpfungen, die anschließend noch mit Hilfe von<br />
Auswertungsprogrammen bearbeitet werden müssen, um zu Haushalten zu gelangen.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 142<br />
denen eine Gegensteuerung notwendig erscheint (Offenbach 2000: 4). Es sollen<br />
Erkenntnisse über die Bereiche innerhalb der Sozialhilfe gewonnen werden, in denen<br />
eine Steuerung der Ausgabenhöhe sowie eine möglichst schnelle Herstellung der<br />
Unabhängigkeit von Sozialhilfe zu erreichen ist (Offenbach 2001: 2). Weiterhin soll<br />
Transparenz darüber hergestellt werden, inwieweit tatsächlich Unterschiede zwischen<br />
den Städten in steuerungsrelevanten Bereichen existieren oder ob sich Unterschiede<br />
auf nicht beeinflussbare externe Faktoren beschränken (Offenbach 2000: 4). Eine<br />
Arbeitsgruppe mit VertreterInnen der fünf am Vergleichsring teilnehmenden Städte<br />
wurde damit beauftragt, ein Kennzahlensystem zu erarbeiten <strong>und</strong> die hierfür<br />
notwendigen Daten zu beschaffen. Dabei wurden schnell die Grenzen der<br />
Vergleichbarkeit deutlich (Offenbach 2000: 4). In diesem Zusammenhang werden vier<br />
Problemgruppen angeführt:<br />
• bestehende Uneinheitlichkeit bei der Erfassung der Basisdaten aufgr<strong>und</strong> technischer<br />
Vorgaben (die Städte arbeiten bei der Datenerfassung mit unterschiedlichen<br />
Sozialhilfeauszahlungsprogrammen),<br />
• unterschiedliche Ansiedlung der Statistik sowie Organisation des Datenzugriffs, was<br />
sich wiederum auf den Einfluss auf bzw. die Transparenz über die Auswertung<br />
auswirkt (so wird beim System PROSOZ-Bremen die Auswertung zentral in Bremen<br />
durchgeführt, so dass eine Transparenz der Berechnungen vor Ort nicht gegeben<br />
ist),<br />
• unterschiedliche Arbeitsanweisungen der Sozialämter für die Sachbearbeitung, was<br />
das Eingabeverhalten <strong>und</strong> damit die Qualität der Daten beeinflusst sowie<br />
• uneinheitliche Organisationsprinzipien der einzelnen Sozialämter, was den Vergleich<br />
des Aufwandes pro Fall erheblich erschwert (Offenbach 2000: 5).<br />
Die VerfasserInnen des Offenbacher Berichts kommen daher zu dem Schluss, dass die<br />
aufgeführten unterschiedlichen Voraussetzungen die Aussagefähigkeit der Daten<br />
beeinträchtigen <strong>und</strong> somit bei einem Kennzahlenvergleich nur vermeintlich identische<br />
„Produkte“ gegenüber gestellt werden, die in Wirklichkeit jedoch Unterschiede<br />
aufweisen. Der Einsatz solcher Daten als zuverlässige Gr<strong>und</strong>lage für Planungszwecke<br />
muss daher kritisch gesehen werden (Offenbach 2000: 5).<br />
Sofern sich interkommunale Vergleichsringe nicht ausschließlich auf den Vergleich des<br />
Datenmaterials beschränken, bieten sie aber auch Vorteile. In Offenbach wurde im
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 143<br />
Rahmen des Städtevergleichs die Notwendigkeit einer Überprüfung <strong>und</strong> Aktualisierung<br />
der Berechnungsgr<strong>und</strong>lage deutlich. Ein Vergleichsring bietet die Möglichkeit, Einblick<br />
in die unterschiedlichen Organisations- <strong>und</strong> Arbeitsstrukturen der Städte zu erhalten<br />
<strong>und</strong> diese zu nutzen, um die eigene Struktur <strong>und</strong> Effizienz zu überprüfen bzw. zu<br />
verbessern (Offenbach 2000: 5).<br />
Im Offenbacher Bericht 2001 wird nochmals klar herausgestellt, dass ein ausschließlich<br />
auf Zahlen beruhender Vergleich nicht ausreicht, um Differenzen zu erklären. Es bedarf<br />
auch des qualitativen Vergleichs, d.h. die inhaltlichen Einflussfaktoren müssen<br />
miteinander verglichen werden, um mögliche Steuerungspunkte herauszukristallisieren<br />
(Offenbach 2001: 3).<br />
8.2.5. Fazit<br />
Die Vielzahl der in diesem Abschnitt präsentierten Organisationen, die sich das Leitbild<br />
der interkommunalen Vergleichbarkeit auf die Fahnen geschrieben haben <strong>und</strong> dazu die<br />
unterschiedlichsten Aktivitäten betreiben, belegt die hohe Bedeutung, die diesem<br />
Thema beigemessen wird. Auf der anderen Seite mussten wir bei unseren Recherchen<br />
aber feststellen, dass nur wenig theoretische Literatur zum Thema interkommunale<br />
Vergleichbarkeit, zumindest was den Bereich der Sozialberichterstattung anbelangt,<br />
existiert. Kein Problem ist es dagegen, theoretische Literatur über interkommunale<br />
Zusammenarbeit im wirtschaftlichen Bereich zu finden, z.B. über die ökonomische<br />
Kooperation mehrerer Städte in einer Region.<br />
In diesem Abschnitt wurde der Versuch unternommen, die vielfältigen Anstrengungen<br />
um interkommunale Vergleichbarkeit darzustellen <strong>und</strong> zu systematisieren. Dennoch<br />
bleibt dieses Feld weiterhin aufgr<strong>und</strong> seiner Breite unüberschaubar. Bei Recherchen<br />
stößt man auf die unterschiedlichsten Organisationen, Verbände, Netzwerke, Projekte<br />
<strong>und</strong> Instrumente mit je eigenen Zielsetzungen. Diese Situation führt zu einem<br />
Nebeneinander <strong>und</strong> zum Teil sogar zu einer daraus resultierenden Konkurrenz der<br />
Bestrebungen, was dem Ziel der interkommunalen Vergleichbarkeit wiederum<br />
abträglich ist. Es gibt zwar durchaus Kooperationen zwischen den verschiedenen<br />
Organisationen, die im Rahmen dieses Kapitels auch aufgezeigt wurden, dennoch lässt<br />
sich kein übergeordnetes gemeinsames Ziel erkennen. Einige Organisationen setzen<br />
mehr auf Informationsmanagement <strong>und</strong> datenverarbeitungstechnische Lösungen (z.B.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 144<br />
KOSIS-Verb<strong>und</strong>), während andere an einer gemeinsamen Datenbasis arbeiten (z.B.<br />
Netzwerk Stadt- <strong>und</strong> Regionalstatistik) <strong>und</strong> wiederum andere auf einen Vergleich der –<br />
wie auch immer entstandenen – statistischen Ergebnisse setzen (Vergleichsringprojekte<br />
im IKO-Netz der KGSt). Für Laien sind die Aktivitäten <strong>und</strong> Projekte inhaltlich vielfach<br />
kaum nachvollziehbar. Oft bedarf es dazu spezieller statistischer oder informatischer<br />
Kenntnisse.<br />
Dennoch finden sich innerhalb der beschriebenen Aktivitäten vielversprechende<br />
Ansätze, um das Ziel interkommunaler Vergleichbarkeit in der Berichterstattung zu<br />
erreichen. Die unterschiedlichen Ansätze müssten jedoch stärker aufeinander<br />
abgestimmt <strong>und</strong> miteinander verknüpft werden.<br />
Letztlich muss man feststellen, dass sich die Bemühungen um interkommunale<br />
Vergleichbarkeit in der Praxis der kommunalen Berichterstattung kaum niederschlagen.<br />
In den kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten werden entsprechende Instrumente<br />
interkommunaler Vergleichbarkeit nur selten eingesetzt. Aber selbst wenn sie zur<br />
Anwendung kommen, führen sie nicht automatisch zu wirklich vergleichbaren<br />
Ergebnissen.<br />
Zum Schluss soll jedoch auch nicht verschwiegen werden, dass die Herstellung<br />
interkommunaler Vergleichbarkeit in der kommunalen Berichterstattung nicht nur<br />
Vorteile mit sich bringt. Eine Standardisierung, wie sie für die Möglichkeit <strong>eines</strong><br />
interkommunalen Vergleichs unerlässlich ist, geht auf Kosten der Flexibilität der<br />
Berichterstattung. Eine standardisierte Berichterstattung kann der spezifischen Situation<br />
vor Ort unter Umständen nicht gerecht werden. Es gilt daher, zu einem Kompromiss zu<br />
gelangen, der sowohl die konkreten Situation in der Kommune als auch das Anliegen<br />
der interkommunalen Vergleichbarkeit gleichermaßen berücksichtigt.<br />
8.3. Dynamik <strong>und</strong> Verlaufsorientierung<br />
8.3.1. Die dynamische Armutsforschung<br />
Die dynamische Armutsforschung ist eine auf die Lebenslaufperspektive ausgerichtete<br />
Forschungsrichtung, bei welcher die Dauer der Armut als zentrale Dimension in den
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 145<br />
Vordergr<strong>und</strong> gerückt wird 102 . In Deutschland gilt das in den 1980er Jahren am Zentrum<br />
für Sozialpolitik an der Universität Bremen durchgeführte Projekt „Sozialhilfekarrieren“<br />
als die Implementierung von „Dynamik“ 103 in die deutsche Armutsforschung. Zentrales<br />
Kennzeichen des Bremer Projekts ist es, Sozialhilfeverläufe im Lebensverlauf<br />
hinsichtlich ihrer Dauer <strong>und</strong> Kontinuität zu analysieren, um so Wege „in die Armut,<br />
durch die Armut <strong>und</strong> aus der Armut heraus“ zu typisieren (Ludwig-Mayerhofer/ Barlösius<br />
2001: 36 ff.). Armut wird also mit Sozialhilfebezug gleichgesetzt. Dabei wird die<br />
Dimension Zeit innerhalb dieser Forschungsrichtung in „objektive“ <strong>und</strong> „subjektive“ Zeit<br />
unterschieden. Die objektive Zeit stellt ein Maß für die kalendarische Dauer des<br />
Sozialhilfebezugs dar. Die subjektive Zeit ist ein Maß für die subjektiv wahrgenommene<br />
Dauer der Armutszeit, die häufig erheblich von der objektiven Zeit abweicht (Buhr<br />
1995).<br />
Zentrales Ergebnis der Bremer Studie ist eine empirisch begründete Typenbildung von<br />
Armutsverläufen. Kurzzeitbeziehende <strong>und</strong> ÜberbrückerInnen sowie diskontinuierlich<br />
Beziehende (MehrfachüberbrückerInnen, PendlerInnen) <strong>und</strong> schließlich Typen mit<br />
längerfristigem Bezug (Langzeitbeziehende, Escaper) werden unterschieden (Ludwig<br />
1996: 112). Insbesondere das Ergebnis, dass 57 Prozent aller klassifizierbaren Typen<br />
im Schnitt nur vier Monate Sozialhilfe beziehen, war überraschend, weil damit die tief<br />
verwurzelte Annahme, Armut sei in der Regel eine dauerhafte, manifeste Lebenslage,<br />
diametral widerlegt wurde. Kennzeichnendes Ergebnis der Bremer Armutsstudie ist<br />
weiterhin, dass Armut verzeitlicht, individualisiert <strong>und</strong> sozial entgrenzt ist.<br />
Verzeitlicht: Armut hat Episodencharakter, d.h. nicht mehr bestimmte<br />
Bevölkerungsgruppen, Schichten etc., sondern einzelne Episoden sind die<br />
Bezugseinheiten der Analyse. „Die Armutsbevölkerung stellt in dieser Sicht eine<br />
fluktuierende Masse von Personen dar, die in einer Phase ihres Lebens arm sind“<br />
(Leisering 1993: 500).<br />
Individualisiert <strong>und</strong> sozial entgrenzt: Soziale Problemlagen sind nicht mehr<br />
gesellschaftlichen Randschichten zuzuordnen, sondern als „biografische Wechselfälle“<br />
102<br />
Als Pioniere lebenslauftheoretischer Armutsforschung gelten Rowntree (1901) <strong>und</strong> Jahrzehnte später<br />
auch Ellwood (1986).<br />
103<br />
Weitere viel beachtete Langzeitstudien sind die Untersuchungen über Einkommensarmut des SOEP,<br />
sowie die Bielefelder Studie über Sozialhilfeverläufe (Andreß 1994).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 146<br />
unstet <strong>und</strong> nahezu schichtunabhängig. Armut wird zur „temporär erlebten Lebenslage,<br />
die als permanentes Risiko in höhere Schichten hineinreicht“ (Leisering 1993: 503).<br />
Die dynamische Armutsforschung gibt auch einen neuen Blick auf das Gesellschaftsbild<br />
frei, das durch hierarchisch strukturierte Modelle, wie sie sich im Begriff der<br />
„Zweidrittelgesellschaft“ (Glotz 1984) bzw. „85-Prozent-Gesellschaft“ (Geißler 2002)<br />
zeigen, nicht mehr erklärbar ist. Leisering zufolge ist viel mehr der Beck’sche Begriff der<br />
„Risikogesellschaft“ (Beck 1986) treffender, um das Phänomen sozialer Entgrenzung zu<br />
umreißen (Leisering 1993: 502). Die Ergebnisse relativieren ferner die Spaltungsthese.<br />
Dauerhafte soziale Ausgrenzung betrifft demnach einen wesentlich kleineren Teil der<br />
Bevölkerung, als gemeinhin angenommen wird. Diese Spaltungslinien verlaufen den<br />
Bremer ForscherInnen zufolge pluralisiert entlang bestimmter Bevölkerungsgruppen 104 .<br />
Das Untersuchungsdesign der Bremer Studie basiert auf einem quantitativen <strong>und</strong><br />
qualitativen Methodenzugang. Datenbasis der quantitativen Methode ist eine<br />
Längsschnittstichprobe (10-Prozent-Stichprobe) von Sozialhilfeakten. Gr<strong>und</strong>gesamtheit<br />
ist die Bremer Eingangskohorte 105 von AntragstellerInnen, die über ein Zeitfenster von<br />
sechs Jahren (1983 – 1989) beobachtet wird. Die sehr zeitaufwendige Auswertung der<br />
Akten erfolgt per Hand. Dieses Vorgehen erlaubt zwar einerseits viel Spielraum für<br />
zusätzliche Auswertungen hinsichtlich Fragen zum Bildungsabschluss oder zum<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand, in der Praxis zeigt sich jedoch, dass angesichts der großen<br />
Vielfalt der Aktenführung keine einheitlichen Auswertungsmaßstäbe angelegt werden<br />
können (Voges 2001). Die Durchführung von 31 biografisch-narrativen Interviews<br />
ermöglicht eine zusätzliche, qualitative Betrachtung der Ursachen. Datenbasis der<br />
qualitativen Untersuchung war überwiegend, aber nicht ausschließlich, das quantitative<br />
Sample (Ludwig 1996: 88).<br />
Das „Neue“ an der dynamischen Armutsforschung – im Unterschied zu herkömmlichen<br />
Armutskonzepten – ist eine dynamische Sicht auf Armut, welche die Bewegungen in die<br />
Armut <strong>und</strong> aus ihr heraus misst, indem sie sich von einer statischen Stichtagsmessung<br />
104 Die Risikogruppen Kinder <strong>und</strong> alte Pflegebedürftige stehen für Brüche im Generationenvertrag. Die<br />
große Zahl der AusländerInnen im Sozialhilfebezug steht für Probleme ethnischer Spaltungen etc.<br />
(Ludwig et al. 1995).<br />
105 Vorteil der Eingangskohorte gegenüber Abgangskohorten oder Stichtagskohorten ist die Vermeidung<br />
einer Positivauswahl oder Linkszensierung (Abgangskohorte) bzw. bereits unterschiedlich lang<br />
andauernder Sozialhilfeepisoden bei Stichtagsziehungen (Buhr 1995: 103).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 147<br />
löst (Leisering 1993: 501). Auf diese Weise ist erstmals die Identifizierung von Kurz<strong>und</strong><br />
Langzeitfällen möglich.<br />
Querschnittserhebungen hingegen führen faktisch immer zur Überrepräsentanz von<br />
Langzeitbeziehenden, weil diese eine größere Wahrscheinlichkeit haben, in eine<br />
Stichtagserhebung hineinzurutschen (Leisering 1993: 501). Die Längsschnittmethode<br />
führt nicht nur zu anderen quantitativen Ergebnissen, sondern zwangsläufig auch zu<br />
einer anderen Bezeichnung der Problemgruppen. Nicht mehr allein Erziehende, Alte<br />
oder Kinderreiche werden unterschieden, sondern es werden die Problemfälle<br />
hinsichtlich ihrer Zeitdimensionen typisiert (Leisering 1993: 502). Die Typologie fußt nun<br />
auf Kriterien der Kontinuität <strong>und</strong> Dauer, die in der Folge nach neuen sozialpolitischen<br />
Bearbeitungsformen verlangen.<br />
Die biografische Längsschnittperspektive führt durch die qualitative<br />
Methodenergänzung auch zu einem erweiterten Kausalitätsbegriff, denn die<br />
armutsauslösenden Ursachen können sich beim Weg durch die Armut wandeln. Mit<br />
anderen Worten: Der Weg aus der Armut heraus muss nicht zwangsläufig durch<br />
Aufhebung der Ursache erfolgen.<br />
Bei allem innovativen Impuls für die deutsche <strong>und</strong> internationale Armutsforschung ist<br />
die Bremer Langzeitstudie methodisch wie inhaltlich vielfach kritisiert worden.<br />
Wesentliche Kritikpunkte sind: Die Gleichsetzung der Armut mit Sozialhilfe sei<br />
unkorrekt, weil die verdeckte Armut unberücksichtigt bliebe bzw. umgekehrt nur<br />
bekämpfte Armut abgebildet werde. Auch sei das Ende des Sozialhilfebezugs kein<br />
Indikator zur Beurteilung des Erfolgs im Sinne von „der Armut entkommen sein“. Dieses<br />
administrative Kriterium sei ungenügend. Die Ergebnisse – so die KritikerInnen – seien<br />
über Bremen hinaus nicht repräsentativ <strong>und</strong> beträfen allenfalls die 1980er Jahre, nicht<br />
aber die zunehmend krisenhafteren 1990er oder 2000er Jahre. Das Ergebnis, dass<br />
Armut „individualisiert“ ist, sei angesichts des gewählten Samples k<strong>eines</strong>wegs<br />
überraschend, weil Sozialhilfebezug keine eigenständige soziale Lage repräsentiere<br />
<strong>und</strong> daher kein einheitliches Kollektiv zusammenfasse. Armut werde auf diese Weise<br />
verharmlost <strong>und</strong> relativiert <strong>und</strong> die Untersuchung leiste Armutsbildern Vorschub, die<br />
Armut als selbstverschuldet <strong>und</strong> individuell verursacht zeichnen (Busch-Geertsema/<br />
Ruhstrat 1992, Gerstenberger 1994). Indem die „Verzeitlichung“ <strong>und</strong> „Entstrukturierung“
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 148<br />
gegen die Verfestigung ins Feld geführt werden, werde die Realität verkannt, denn<br />
tatsächlich gebe es in Deutschland beides: eine beträchtliche Kontinuität sowie einen<br />
erheblichen Zu- <strong>und</strong> Abstrom von Armen (Kronauer 1997: 44).<br />
Der Verwurf der Nicht-Repräsentativität konnte später durch andere Studien empirisch<br />
entkräftet werden, insbesondere durch die hohe Relevanz kurzfristiger<br />
Sozialhilfeperioden auch andernorts, beispielsweise in Wiesbaden (Wiesbaden 2001a<br />
2001). Auch die jährlichen Wiederholungsbefragungen des SOEP zur<br />
Einkommensarmut oberhalb der Sozialhilfeschwelle zeigen, dass die<br />
Armutsbevölkerung stark fluktuiert <strong>und</strong> dass für einen Teil der Bevölkerung Armut in der<br />
Tat „verzeitlicht“ ist (vgl. Hanesch et al. 2000). Die Strittigkeit der Frage “Gleichsetzung<br />
von Sozialhilfe mit Armut“ stellt sich in der Tat bei jeder ausschließlich auf<br />
Transferleistungsbezug beruhenden Armutsuntersuchung. Umso wichtiger scheint es<br />
daher, zusätzliche Kriterien heranzuziehen wie eben gerade die Dimension „Dauer“,<br />
aber auch weitere armutsrelevante Indikatoren.<br />
Dies geschieht z.B. in Hagens Studie über Sozialhilfeverläufe (Hagen 2004). Auf der<br />
Basis <strong>eines</strong> qualitativen Panels im Rahmen des Bremer Projekts „Sozialhilfekarrieren“<br />
unterschied sie vier verschiedene Bewältigungstypen 106 . Entscheidend für die<br />
Typologisierung ist, dass diese nicht auf die Überwindung des Sozialhilfebezugs<br />
eingeengt wird, sondern ihr ein mehrdimensionaler <strong>und</strong> dynamischer Zugang zu Gr<strong>und</strong>e<br />
liegt. Hagen kombiniert einen lebenslauf<strong>bezogenen</strong> Ansatz mit einem Verhaltensmodell<br />
<strong>und</strong> dem Ausgrenzungskonzept. Im Ergebnis zeigt sich, „dass erst unter<br />
Berücksichtigung dieser individuellen Perspektive [Wahrnehmungen,<br />
Bewältigungsmuster <strong>und</strong> -erfolge] beurteilt werden kann, ob es sich bei<br />
vorübergehenden Sozialhilfephasen um Armutsphasen handelt, die überw<strong>und</strong>en<br />
werden können“ (Hagen 2004: 193).<br />
Tatsache ist, dass die Dimensionen Dauer <strong>und</strong> Kontinuität die internationale<br />
Armutsforschung erheblich bereichert haben <strong>und</strong> diese beiden Aspekte in Ernst zu<br />
nehmenden Armutsstudien „nicht mehr wegzudenken“ (Ludwig-Mayerhofer/ Barlösius<br />
2001: 40) sind. Auch ist zunehmend unstrittig, dass eine alleinige Betrachtung von<br />
106<br />
I. die Zielstrebigen, II. die Zuversichtlichen, III. die Absteigenden <strong>und</strong> IV. die Optionslosen (Hagen<br />
2004: 194 ff.)
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 149<br />
Transferleistungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, ohne Einbeziehung weiterer<br />
Theorieansätze oder Konzepte, wenig aussagekräftig ist <strong>und</strong> sich daher zur Abbildung<br />
von Armut nicht eignet (Hagen 2004: 54).<br />
8.3.2. Dynamik <strong>und</strong> Verlaufsorientierung in der kommunalen Berichterstattung<br />
Je nach dem wie eng oder weit man das Konzept ”Dynamik” fasst, sind nahezu alle<br />
Berichte im weiteren Sinne “dynamisch”, im engeren Sinne jedoch nur ein Bericht.<br />
Zu unterscheiden sind:<br />
1. echte Dynamiken (Panels), die sowohl Dauer als auch Kontinuität einer<br />
Lebenslagenausprägung betrachten;<br />
2. unechte Dynamiken (Aneinanderreihung von Querschnittserhebungen einer<br />
Lebenslagenausprägung);<br />
3. statische Berichte (Darstellung einer Lebenslagenausprägung zum Stichtag X).<br />
Weiterhin unterscheiden sich Berichte darin, ob sich Dynamik als durchgängiges<br />
Berichtsprinzip auf alle Lebenslagenausprägungen erstreckt oder nur auf einige<br />
ausgewählte.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 150<br />
Abb. 15: Ausprägung einer Lebenslagendimension bei echter <strong>und</strong> unechte Dynamik<br />
<strong>und</strong> Statik<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
8.3.2.1. „Echte” Dynamik<br />
31.12.2000 31.12.2001 31.12.2002<br />
„echt“<br />
(gleiche Gr<strong>und</strong>gesamtheit)<br />
„unecht“<br />
(wechselnde<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheiten)<br />
„statisch“<br />
(einmalige<br />
Stichtagsbetrachtung)<br />
Wählt man Dauer <strong>und</strong> Kontinuität als Kennzeichen dynamischer Betrachtungsweisen<br />
(vgl. Kap. 8.3.1.), ist eine Umsetzung faktisch nur über Panelerhebungen möglich. Nun<br />
wird klar, warum nur vier der uns vorliegenden 108 kommunalen Berichte einen<br />
“dynamischen” Anspruch formulieren (Berlin 2004, Düsseldorf 1998, Wiesbaden 2001a<br />
<strong>und</strong> 2002a).<br />
Unter einem Panel versteht man eine gleichbleibende Gruppe von Personen oder<br />
Haushalten, die regelmäßig <strong>und</strong> wiederholt über ein <strong>und</strong> dasselbe Thema befragt bzw.<br />
in einer bestimmten Lebenslagenausprägung beobachtet wird. Die betrachtete<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit bleibt über die Zeit hinweg dieselbe. Ziel von Paneln ist es,<br />
Veränderungen von Haushaltszusammensetzungen, Einkommenshöhen oder<br />
Abhängigkeiten von Transferleistungen etc. über die Zeit festzustellen. Die Qualität der<br />
Daten ist abhängig von der Stichprobe <strong>und</strong> der Beobachtungsfrequenz (www.gfk.de).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 151<br />
Ein “echt dynamisches” Verständnis von Kontinuität <strong>und</strong> Dauer im Sinne <strong>eines</strong> Panels<br />
wird nur in Wiesbaden umgesetzt. Konkret bezogen auf sozialplanerische Belange ist<br />
die Wiesbadener Analyse zur Dauer des Sozialhilfebezugs. Anlass zu dieser Studie<br />
gaben die mangelhaften prozessorientierten Daten <strong>und</strong> EDV-Verfahren kommunaler<br />
Sozialhilfestatistik, die über Verursachung <strong>und</strong> über nichtmonetäre Lebenslagen nur in<br />
“wenig valider Qualität” vorliegen (Wiesbaden 2001a: 1). Üblicherweise stehen weder<br />
Daten über Leistungsprozesse <strong>und</strong> biografische Verläufe, noch über Gründe für die<br />
Beendigung der Sozialhilfeunterstützung <strong>und</strong> damit über die Wirksamkeit des<br />
Hilfeprozesses zur Verfügung.<br />
Im Unterschied zur Bremer Herangehensweise basieren die Daten in Wiesbaden nicht<br />
auf Einzelauswertungen der Akten, sondern ausschließlich auf den hoch<br />
standardisierten <strong>und</strong> anonymisierten Schnittstellendatensätzen PROSOZ/Herten, die im<br />
Rahmen der Zahlbarmachung der Sozialhilfe quartalsweise anfallen. Der<br />
Analysezeitraum beträgt vier Jahre (1996–2000) <strong>und</strong> setzt sich aus einer<br />
Aneinanderreihung von 17 Stichtagsdateien zusammen (17 Quartale in vier Jahren)<br />
(Wiesbaden 2001a: 7). Die Gr<strong>und</strong>gesamtheit bilden alle EmpfängerInnen von laufender<br />
Hilfe zum Lebensunterhalt im erwerbsfähigen Alter (18–65 Jahre). Weil hier auf eine<br />
Zusatzauswertung der Handakten völlig verzichtet wurde, galt es ein Konzept zu<br />
entwickeln, das basierend auf den Datensätzen<br />
• eine Definition der Erwerbs- <strong>und</strong> Haushaltsformen 107 ermöglicht;<br />
• eine Re-Identifikation einer Person beim Zusammenführen zweier Stichtagsdateien<br />
erlaubt (Identifikationsmerkmale sind das Aktenzeichen, die laufende Nummer <strong>und</strong><br />
das Geburtsdatum);<br />
• die bisherige Sozialhilfedauer der Betroffenen näherungsweise misst 108 , obwohl die<br />
Daten auf Stichtagsfällen beruhen <strong>und</strong><br />
• eine temporäre Zahlungseinstellung schlüssig interpretiert, also z.B. die Frage, ob<br />
es sich um eine verwaltungsbedingte Zahlungsunterbrechung oder tatsächliche<br />
Beendigung einer Notlage handelt (Wiesbaden 2001a: 7 ff.).<br />
Ähnlich wie in der Bremer Studie konnten auf diese Weise kontinuierliche (Kurz-, Mittel<strong>und</strong><br />
LangzeitempfängerInnen) <strong>und</strong> diskontinuierliche Verlaufstypen (PendlerInnen,<br />
107 Als Haushalt wird hier die Bedarfs- oder Einsatzgemeinschaft begriffen (Brennecke et al. 2001: 9).<br />
108 Dazu bemühten die Wiesbadener die Stochastik, konkret die Schätzung der “Erwartungswerte” auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage der empirischen Übergangsraten (Brennecke et al. 2001: 21).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 152<br />
WiedereinsteigerInnen) sowie bestimmte Typen von Sozialhilfekarrieren identifiziert<br />
werden. Interessant ist auch das Ergebnis der Quotenberechnung über die<br />
Verlaufsdatenmethode. Während 15,9 Prozent der WiesbadenerInnen die HLU-<br />
Leistungen zwischen 1996 <strong>und</strong> 2000 in Anspruch nehmen mussten, verweist die<br />
Stichtagsziehung am 31.12.2000 lediglich auf eine HLU-Quote von 6,6 Prozent<br />
(Wiesbaden 2001a: 17). Im Unterschied zu allen bisherigen Statistiken zur Dauer des<br />
Sozialhilfebezugs ist es in Wiesbaden gelungen, den Einfluss des Alters, der<br />
Erwerbsform oder des Haushaltstyps auf die Dauer zu untersuchen. Zusätzlich werden<br />
Ausstiegschancen formuliert <strong>und</strong> Wahrscheinlichkeiten für ein Bezugsende 109 binnen<br />
zwölf bis 24 Monaten für bestimmte Haushaltstypen <strong>und</strong> Lebenslagenkonstellationen.<br />
Durch eine Verknüpfung der Verweildauer mit den Ursachenkonstellationen 110 im Laufe<br />
des Bezuges unterschieden sie weiterhin typische Karrieren von Arbeitslosen,<br />
Auszubildenden, Erwerbstätigen <strong>und</strong> allein Erziehenden.<br />
8.3.2.2. „Unechte Dynamik“ <strong>und</strong> „Statik”<br />
Beim erweiterten Verständnis von “Dynamik” werden Methoden gewählt, die über eine<br />
zeitpunktbezogene Betrachtung hinausgehen. Unechte Dynamiken arbeiten mit der<br />
Aneinanderreihung statischer (stichtagsbezogener) Betrachtungen. Wesentlicher<br />
Unterschied zum Panel ist, dass die betrachteten Gr<strong>und</strong>gesamtheiten nicht die gleichen<br />
sind, sondern jeweils diejenigen abgebildet werden, die zum Stichtag gerade in der<br />
Statistik erfasst sind. Rein theoretisch könnte es sich dabei jeweils um dieselbe<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit handeln, praktisch variiert sie jedoch. Kommt ein Bericht am<br />
31.12.2003 zu dem Ergebnis, dass 10.000 Personen erwerbslos sind <strong>und</strong> am<br />
31.12.2004 später aber 11.000 Personen, kann das im einen Extremfall bedeuten, dass<br />
a) ein Jahr später exakt 1.000 Personen mehr betroffen, während die anderen 10.000<br />
die gleichen geblieben sind, im anderen Extremfall aber<br />
b) dass es sich bei den 11.000 Erwerbslosen um völlig andere Personen handelt, in<br />
Wirklichkeit also innerhalb <strong>eines</strong> Zeitraums von einem Jahr 21.000 Personen<br />
erwerbslos waren.<br />
109 Definition von Bezugsende: mindestens 9 Monate ohne HLU-Bezug (Brennecke et al. 2001: 26)<br />
110 Im Unterschied zu vielen anderen Kommunen betreiben die Wiesbadener Ämter ein hervorragende<br />
Datenpflege der Ursachenkomplexe, die auch während der Bezugsdauer kontinuierlich aktualisiert,<br />
standardisiert <strong>und</strong> sinnvoll zugeordnet werden.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 153<br />
Zu den unechten dynamischen Berichten zählen alle Berichte, die über eine statische<br />
Betrachtung hinausgehen, ohne ein Panel zu sein. In die Kategorie “unecht dynamisch”<br />
fallen wesentlich mehr Berichte, nämlich solche, die<br />
1. bestimmte Lebenslagenausprägungen von der Vergangenheit in die Gegenwart<br />
darstellen (<strong>Entwicklung</strong>sverläufe) <strong>und</strong> solche,<br />
2. die von der Gegenwart aus in die Zukunft schauen (Prognoseverfahren, wie z.B.<br />
SozialhilfeempfängerInnenprognoseverfahren (z.B. Berlin 2003b) 111 ).<br />
Exemplarisch für einen “unecht dynamischen” Bericht steht der Düsseldorfer Armuts<strong>und</strong><br />
Reichtumsbericht 1998. In seinem selbst formulierten Anspruch soll der<br />
Lebenslagenansatz ergänzt werden “um die dynamische Betrachtungsweise des<br />
Lebenslaufkonzeptes, in dem die zeitliche Dimension als zusätzlicher Indikator zur<br />
Bestimmung von Armut herangezogen wird” (Düsseldorf 1998: 4). Praktisch umgesetzt<br />
wird dieser Anspruch, indem ausgewählte Indikatoren über einige Jahre hinweg durch<br />
Aneinanderreihung von Querschnittsbetrachtungen eine Ergebnisdarstellung im<br />
<strong>Entwicklung</strong>sverlauf ermöglichen. Im Unterschied zum Wiesbadener Vorgehen werden<br />
jedoch keine personellen oder <strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Verknüpfungen über die Zeit<br />
hergestellt. Typische Beispiele hierfür sind die Darstellung der “<strong>Entwicklung</strong> der<br />
Wohnungssituation” (Zahl der Privathaushalte im Verhältnis zum Wohnungsbestand)<br />
innerhalb <strong>eines</strong> Zehn-Jahreszeitraums (Düsseldorf 1998: 9) oder die Darstellung der<br />
<strong>Entwicklung</strong> der Arbeitslosigkeit (Düsseldorf 1998: 74).<br />
Der Berliner Sozialstrukturatlas (Berlin 2004: 7) hat ein “erstes Konzept für die<br />
<strong>Entwicklung</strong> der Sozialstruktur in der Zeit entwickelt”. Mittels “dynamischer<br />
Indizes” sollen Regionen identifiziert werden, die besonders von<br />
Veränderungsprozessen betroffen sind. Für den zeitlichen Vergleich wurden<br />
hierfür in Abhängigkeit von der Datenverfügbarkeit jeweils zwei Jahre<br />
miteinander verglichen. Auf Bezirksebene sind dies die Jahre 2002 <strong>und</strong> 1995.<br />
Bei den Berechnungen handelt es sich “um erste “Versuche” zur Dynamisierung<br />
der Sozialstruktur”. Im dynamischen Index sind demografische, bildungs,ges<strong>und</strong>heits-,<br />
<strong>und</strong> erwerbsbezogene Indikatoren mit eingeflossen. Ergebnis ist<br />
111 Der Spezialbericht über ein “Sozialhilfeempfängerprognoseverfahren” in Berlin zielt darauf ab, im Jahr<br />
2003 eine mathematisch-statistische Prognose über die <strong>Entwicklung</strong> der Fallzahlen bis Ende 2004<br />
vorzunehmen. Datenlage <strong>und</strong> Methodik werden detailliert erläutert <strong>und</strong> die Ergebnisse differenziert<br />
nach Bezirken präsentiert. Für “Nicht-Statistiker” ist das methodische Verfahren jedoch nicht<br />
nachvollziehbar (Berlin 2003b).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 154<br />
eine ausdifferenzierte Darstellung der “Gewinner <strong>und</strong> Verlierer” bei den<br />
Sozialstrukturveränderungen in den Berliner Bezirken (Berlin 2004: 67 f.). Die<br />
Berliner begreifen “Dynamik” folglich als einen Vergleich zweier Indizes innerhalb<br />
<strong>eines</strong> bestimmten Zeitraums <strong>und</strong> Bezirks. Insofern unterscheidet sich diese<br />
Herangehensweise von anderen Berichten, weil weder ein Panel zu Gr<strong>und</strong>e liegt,<br />
noch eine Darstellung ausgewählter Indikatoren im <strong>Entwicklung</strong>sverlauf, sondern<br />
ein Indikatorenbündel zu zwei verschiedenen Zeitpunkten.<br />
In der Praxis sind die Grenzen zwischen unechten dynamischen <strong>und</strong> statischen<br />
Berichten fließend. Ob eine Lebenslagenausprägung im <strong>Entwicklung</strong>sverlauf dargestellt<br />
werden kann, hängt vor allem davon ab, ob<br />
• die verwendeten Datenquellen eine Verlaufsdarstellung überhaupt erlauben (z.B.<br />
Darstellung von Bildungsarmut) <strong>und</strong> ob der damit verb<strong>und</strong>ene Auswertungsaufwand<br />
in einem angemessenem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn steht;<br />
• es eine Kontinuität <strong>und</strong> Tradition in der kommunalen Berichterstattung gibt <strong>und</strong> die<br />
jeweiligen Daten zu bestimmten Lebenslagenausprägungen regelmäßig gewünscht<br />
<strong>und</strong> daher über Jahre hinweg gepflegt werden. Eine Kommune kann beispielsweise<br />
die <strong>Entwicklung</strong> der Ver- <strong>und</strong> Überschuldung der privaten Haushalte nur darstellen,<br />
wenn die Datenquellen der Schuldnerberatungsstellen dieses hergeben. Sofern auf<br />
eine Sonderauswertung zurückgegriffen wird, die explizit für den Bericht<br />
durchgeführt wird, ist Verlaufsorientierung nur möglich, wenn solche<br />
Sonderauswertungen zur Regel werden;<br />
• einer dynamischen oder einer sozialräumlichen Perspektive Priorität eingeräumt<br />
wird. Beide Perspektiven erfordern a) ein hohes Maß an tief gegliederter<br />
Datenaufbereitung <strong>und</strong> b) viel Platz in der Darstellung in Berichten. Tendenziell<br />
verzichten “schlanke” Berichte eher auf eine sozialräumliche Darstellung zu Gunsten<br />
einer verlaufsorientierten <strong>und</strong> umgekehrt (sozialräumlich, aber kaum<br />
verlaufsorientiert sind z.B. Wetzlar 1989, Gießen 2002, umgekehrt ist es z.B. bei den<br />
Berichten Suhl 2000, Hanau 1998).<br />
8.3.2.3. Fazit<br />
Ergebnis ist, dass sich „echte Dynamik” bisher nicht als durchgängiges Berichtskonzept<br />
etabliert hat <strong>und</strong> daher bereits im konzeptionellen Anspruch kaum formuliert wird. Eine<br />
echte dynamische Verlaufsperspektive hat sich außer in Wiesbaden bisher nirgends als
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 155<br />
durchgängiges Berichtskonzept oder Planungsansatz durchgesetzt. „Unechte Dynamik“<br />
erstreckt sich in der Regel nur auf ausgewählte Lebenslagenausprägungen, abhängig<br />
von Datenaufbereitung, konzeptioneller Prioritätensetzung <strong>und</strong> Kontinuität der<br />
Berichterstattung. Insofern ist ein Großteil der Berichte als Kombination aus “unecht<br />
dynamisch” <strong>und</strong> “statisch” einzustufen. Darstellungen von Quoten im<br />
<strong>Entwicklung</strong>sverlauf werden im Zuge der Erwerbslosen- <strong>und</strong> Sozialhilfestatistik in allen<br />
Berichten beinahe standardmäßig dargestellt. Bei anderen Lebenslagendimensionen<br />
gibt es eine Verlaufsorientierung nur punktuell.<br />
Der dynamische Ansatz in Wiesbaden ist als einzigartig einzustufen. Verglichen mit<br />
vielen anderen Kommunen nehmen die Wiesbadener eine Vorreiterrolle ein in der<br />
Konzeptionierung <strong>und</strong> Weiterentwicklung innovativer Berichtsansätze. Auch betreiben<br />
die Wiesbadener Ämter eine kontinuierliche <strong>und</strong> konzeptionell eingeb<strong>und</strong>ene<br />
Datenpflege. Dies zeigt sich auch in anderen Bereichen. Beispielsweise wird die<br />
Zuordnung der Ursachenkomplexe bei der Sozialhilfestatistik auch während der<br />
Bezugsdauer kontinuierlich aktualisiert <strong>und</strong> standardisiert. Daher gilt es zu prüfen,<br />
welche der in Wiesbaden verwendeten Verlaufsindikatoren sinnvoll in die Berichts- <strong>und</strong><br />
Steuerungstableaus anderer Kommunen übernommen werden können.<br />
8.4. Haushaltsbezug in der kommunalen Statistik: Haushaltsgenerierungsverfahren<br />
8.4.1. Datenbedarf<br />
Informationen über die privaten Haushalte spielen für die kommunale Planung <strong>und</strong> die<br />
lokale Politik eine wichtige Rolle. Zahl <strong>und</strong> Struktur der privaten Haushalte haben eine<br />
hohe gesellschaftspolitische Bedeutung. In vielen Bereichen treten nämlich nicht<br />
Einzelpersonen, sondern Haushalte 112 als Verbände von Personen in Erscheinung, so<br />
z.B. als Nachfrager von Wohnungen, Dienstleistungen <strong>und</strong> Konsumartikeln. Zahlreiche<br />
kommunale Dienste werden für Haushalte erbracht, ebenso ist der Haushalt<br />
Berechnungsgr<strong>und</strong>lage für eine Reihe staatlicher Transferleistungen wie Sozialhilfe <strong>und</strong><br />
Wohngeld (Härle 1993: 1).<br />
112 Wenn hier <strong>und</strong> im Folgenden von Haushalten die Rede ist, dann werden hierunter stets die privaten<br />
Haushalte verstanden, sofern nicht anders angegeben.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 156<br />
Valide Daten über die Anzahl <strong>und</strong> die Struktur der Haushalte sind für eine<br />
bedarfsgerechte Planung in den Bereichen der kommunalen Sozial-, Infrastruktur- <strong>und</strong><br />
Wohnungspolitik unabdingbare Voraussetzung.<br />
Die Relevanz für den sozialpolitischen Bereich ergibt sich unter folgenden<br />
Gesichtspunkten: Haushalte werden in den kommunalen Berichten als Lebens- <strong>und</strong><br />
Wirtschaftsgemeinschaften mit wechselseitigen Hilfeerwartungen <strong>und</strong> -chancen (Bad<br />
Vilbel 2002: 56) bzw. als Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkte des alltäglichen Lebens <strong>und</strong> wichtige<br />
Bezugspunkte für das individuelle Wohlbefinden <strong>und</strong> zahlreiche gegenseitige<br />
Unterstützungsleistungen (Wiesbaden 1996: A4 f .) angesehen. Es gibt aber bestimmte<br />
Haushaltsformen, die mehr oder weniger auf ergänzende externe Hilfe angewiesen<br />
sind, bei denen also ein spezifischer Hilfebedarf von außen unterstellt werden kann<br />
(Bad Vilbel 2002: 56; Wiesbaden 1996: A5). Hier sind vor allem drei Haushaltstypen zu<br />
nennen:<br />
• Die allein Lebenden/Einpersonenhaushalte, wobei hier nicht generell ein Hilfebedarf<br />
unterstellt werden kann, sondern lediglich bei sogenannten Hochbetagten, also<br />
Personen ab 75 Jahren, die oft auf ergänzende Hilfe bei der Haushaltsführung oder<br />
auf pflegerische Leistungen angewiesen sind. Natürlich muss diese Hilfe nicht<br />
zwangsläufig in einen sozialplanerisch bedeutsamen Hilfebedarf münden – man<br />
denke in diesem Zusammenhang an den hohen Anteil der durch Familienangehörige<br />
versorgten <strong>und</strong> gepflegten älteren Menschen. Dennoch besteht hier ein soziales<br />
Risikopotential, was einen Unterstützungsbedarf von kommunaler Seite<br />
wahrscheinlich macht.<br />
• Die allein Erziehenden, bei denen ein Elternteil die Aufgaben der Daseinsvorsorge<br />
weitgehend allein zu bewältigen hat. Die Schwierigkeit der Vereinbarung von<br />
Erwerbs- <strong>und</strong> Familienarbeit <strong>und</strong> die im Fünften Familienbericht (BMFuS 1994)<br />
konstatierte strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Leben mit Kindern<br />
treffen diese Haushaltsform ganz besonders stark. Statistisch fassbar wird dies<br />
beispielsweise im hohen Anteil allein Erziehender bei den EmpfängerInnen von<br />
laufender Hilfe zum Lebensunterhalt.<br />
• Die kinderreichen Familien, denn wenn drei oder mehr Kinder zu versorgen sind,<br />
besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, auf externe Hilfeleistungen angewiesen zu<br />
sein (Bad Vilbel 2002: 56f.; Wiesbaden 1996: A5). In diesem Zusammenhang sei auf<br />
die in den letzten Jahren rasant gestiegene Bedeutung von Kinderarmut verwiesen.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 157<br />
Auch im Bereich der kommunalen Infrastrukturpolitik kommt Haushaltsdaten eine hohe<br />
Bedeutung zu. So werden diese als Basisinformationen für die öffentliche<br />
Versorgungsinfrastruktur (z.B. Wasserver- <strong>und</strong> -entsorgung) herangezogen. Auch die<br />
örtlichen Energieversorgungsunternehmen fragen Haushaltsdaten z.B. als Gr<strong>und</strong>lage<br />
für Gebührenberechnungen nach. Daneben sind Informationen über Zahl <strong>und</strong> Struktur<br />
der Haushalte auch im Bereich der sozialen Infrastruktur unerlässlich. So bedarf es für<br />
die kleinräumige Planung detaillierter Informationen über die jeweils in einem Stadtteil<br />
ansässigen Haushalte, um sicherstellen zu können, dass Angebot <strong>und</strong> Nachfrage hier<br />
aufeinander abgestimmt sind, beispielsweise im Bereich Kinderbetreuung oder<br />
Altenhilfe (Härle 1993: 2; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 6).<br />
Darüber hinaus sind Informationen über Haushalte zur Beurteilung der gegenwärtigen<br />
Wohnraumversorgung <strong>und</strong> der zukünftigen Wohnungsnachfrage unverzichtbar. Die<br />
Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt wird wesentlich durch die <strong>Entwicklung</strong>en der<br />
Haushalte mitbestimmt. Eine bedarfsgerechte Planung von Wohnbauflächen <strong>und</strong><br />
Wohnraum erfordert eine detaillierte Analyse der Haushaltsstrukturen (Bender/ Soike<br />
2002: 1; Lux-Henseler 2001a). So zählen Wohnungsbaugesellschaften laut Auskunft<br />
kommunaler SozialplanerInnen zu den stärksten NachfragerInnen von Haushaltsdaten.<br />
8.4.2. Datenquellen<br />
Dem großen Bedarf an Informationen über die privaten Haushalte einer Kommune steht<br />
jedoch ein unzureichendes Datenangebot gegenüber. Die amtliche Statistik liefert<br />
Daten über die Haushalte zum einen im Rahmen der Volkszählung, die letztmalig 1987<br />
stattfand, <strong>und</strong> zum anderen im Rahmen des jährlich in Form einer 1-Prozent-Stichprobe<br />
durchgeführten Mikrozensus.<br />
Die Volkszählung als Totalerhebung der Bevölkerung beinhaltet zwar sachlich <strong>und</strong><br />
räumlich tief gegliederte Angaben über die Haushalte einer Kommune, doch sind diese<br />
Daten nur in den ersten Jahren nach der Volkszählung brauchbar. Wann die nächste<br />
Volkszählung ansteht <strong>und</strong> in welcher Form sie durchgeführt wird, ist derzeit noch offen<br />
(Bender/ Soike 2002: 1; Härle 1993: 1 f.; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 6<br />
<strong>und</strong> 8).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 158<br />
Der Mikrozensus orientiert sich vorrangig am Bedarf von B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Ländern. Haushaltsdaten<br />
werden hier, wenn überhaupt 113 , nur auf Ebene der Gesamtstadt ausgewiesen.<br />
Oft werden Daten von Städten mit denen anderer Städte oder umliegender Landkreise<br />
zusammengefasst aufbereitet. Ein Herunterbrechen dieser Informationen auf die<br />
kommunale Ebene ist dann methodisch <strong>und</strong> gesetzlich bedingt nicht möglich. Eine<br />
kleinräumige Zuordnung ist in jedem Fall ausgeschlossen. Der einprozentige Stichprobenumfang<br />
würde hier auch zu einem zu hohen Fehlerrisiko führen (Bender/ Soike<br />
2002: 1; Härle 1993: 2 f.; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 6).<br />
Eine kommunale Statistik, die eine realistische Quantifizierung der in einer Kommune<br />
vorhandenen privaten Haushalte zulässt, gibt es nicht. Die einzige Quelle, auf die man<br />
zurückgreifen kann, ist das Einwohnermelderegister. Hier sind jedoch keine direkt abrufbaren<br />
Informationen über die Haushalte enthalten (Bender/ Soike 2002: 5; Stadt<br />
Münster 2004: 7).<br />
Um dennoch Aussagen über die Anzahl der privaten Haushalte vor Ort treffen zu können,<br />
bleiben den Kommunen sogenannte Quotenverfahren. Mit diesen lassen sich zumindest<br />
Anhaltswerte über die aktuelle Zahl der Haushalte gewinnen (Härle 1993: 6).<br />
Eine Möglichkeit ist die Schätzung auf der Gr<strong>und</strong>lage von Haushaltsvorstandsquoten.<br />
Man erhält hierbei die Anzahl der Haushalte über die Fortschreibung der Bevölkerung in<br />
Verbindung mit den Haushaltsvorstandsquoten. Als Haushaltsvorstandsquote wird die<br />
Wahrscheinlichkeit verstanden, dass eine Person Vorstand <strong>eines</strong> Haushalts bestimmter<br />
Größe ist, wobei als Haushaltsvorstand diejenige Person angesehen wird, die überwiegend<br />
zum Lebensunterhalt des Haushalts beiträgt. Multipliziert man die aus der Volkszählung<br />
von 1987 bekannten alters-, nationalitäts- <strong>und</strong> regionalspezifischen Haushaltsvorstandsquoten<br />
mit den aktuellen Besetzungszahlen der entsprechenden Bevölkerungsgruppen,<br />
so erhält man die geschätzte Anzahl der Haushalte zum aktuellen Zeitpunkt.<br />
Bei dieser Vorgehensweise wird also die derzeitige Bevölkerungsstruktur mit<br />
dem Haushaltsbildungsverhalten von 1987 kombiniert. Hierin liegt auch die Schwäche<br />
dieses Modells: Man geht davon aus, dass seit 1987 keine Verhaltensänderungen bezüglich<br />
der Bildung von Haushalten stattgef<strong>und</strong>en haben. Die Ergebnisse spiegeln also<br />
lediglich die Veränderungen im Bevölkerungsaufbau wider, die unreflektiert auf die<br />
113 Die Ergebnisse des Mikrozensus werden im Allgemeinen nicht für Gebietseinheiten mit weniger als<br />
etwa 200.000 EinwohnerInnen veröffentlicht (vgl. Kap. 6.2.1.).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 159<br />
Struktur der Haushalte 1987 übertragen werden. Es steht jedoch außer Frage, dass<br />
sich mit dem demografischen Wandel auch die Struktur der Haushalte verändert hat.<br />
Die Aussagefähigkeit der mit dieser Vorgehensweise gewonnen Ergebnisse ist daher<br />
anzuzweifeln (Härle 1993: 6 f.; Stadt Münster 2004: 3).<br />
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Anzahl der Haushalte anhand der Fortschreibung<br />
der Wohnungen zu schätzen. Zwischen der Zahl der Wohnungen <strong>und</strong> der<br />
Zahl der Haushalte besteht ein enger Zusammenhang. In der Regel stehen einer bestimmten<br />
Anzahl Haushalte die gleiche Anzahl Wohnungen gegenüber. Abweichungen<br />
sind lediglich auf Wohnungsleerstand <strong>und</strong> Untermietverhältnisse zurückzuführen. Insgesamt<br />
wird die Diskrepanz als gering angesehen. Unter der Voraussetzung, dass die<br />
Anteile der Leerwohnungen <strong>und</strong> der Untermieter sich seit 1987 nicht verändert haben,<br />
kann man die aktuellen Zahlen der Privathaushalte durch Dreisatzrechnung mit folgender<br />
Formel ermitteln:<br />
Geschätzte Zahl der Privathaushalte im Jahr XXXX =<br />
Zahl der Wohnungen im Jahr XXXX<br />
Zahl der Wohnungen im Jahr 1987<br />
x Zahl der Privathaushalte im Jahr 1987<br />
Die Schwäche dieser Vorgehensweise liegt in der Unterstellung, dass der<br />
Wohnungsleerstand <strong>und</strong> die Untermieterquote seit 1987 unverändert geblieben sind.<br />
Gerade in Bezug auf die Leerwohnungen haben sich in zahlreichen Städten seit 1987<br />
deutliche Veränderungen ergeben – man denke an die Schrumpfung der Bevölkerung<br />
mancher Städte, insbesondere in Ostdeutschland, <strong>und</strong> die damit einhergehende<br />
Zunahme des Wohnungsleerstandes <strong>und</strong> den angespannten Wohnungsmarkt mit<br />
Engpässen im Wohnraumangebot in einigen westdeutschen Städten, z.B. München<br />
(Härle 1993: 8 f.; zum Aspekt Schrumpfung <strong>und</strong> Wachstum von Städten siehe<br />
Fuhrich/Gatzweiler 2003: 1 ff.).<br />
Die beiden vorgestellten Methoden, anhand von Quotenverfahren die Anzahl der<br />
Haushalte zu schätzen, stoßen abgesehen von den jeweils angeführten Schwächen<br />
spätestens dann an ihre Grenzen, wenn nicht nur die allgemeine Anzahl, sondern auch
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 160<br />
die Struktur der Haushalte bzw. das Vorkommen bestimmter Haushaltstypen <strong>und</strong> die<br />
kleinräumige Situation interessiert. Der zu Anfang erläuterte Bedarf an Haushaltsdaten<br />
umfasst jedoch auch Angaben zu diesem Aspekt. Daher sind alle Bemühungen um<br />
Verfahren, die zuverlässige Aussagen über Zahl <strong>und</strong> Struktur der Privathaushalte in<br />
kleinräumiger Zuordnung ermöglichen, gr<strong>und</strong>sätzlich von großem Interesse.<br />
8.4.3. Das Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen<br />
8.4.3.1. Entstehungsgeschichte von HHGen<br />
Einige Kommunen sind auf Gr<strong>und</strong> dieses Interesses dazu übergegangen, sogenannte<br />
Haushaltsgenerierungsverfahren zu entwickeln, die eine Quantifizierung der Haushalte<br />
unter Verwendung der Daten des Einwohnermelderegisters ermöglichen. Im Rahmen<br />
unserer Recherchen stießen wir immer wieder auf ein bestimmtes Verfahren, so dass<br />
davon auszugehen ist, dass es sich hierbei um das am weitesten verbreitete <strong>und</strong> gebräuchlichste<br />
Modell handelt. Das Verfahren trägt die Bezeichnung HHGen <strong>und</strong> resultierte<br />
aus dem Gemeinschaftsvorhaben „Koordinierte Haushalte- <strong>und</strong> Bevölkerungsstatistik<br />
aus dem Melderegister“ des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es 114 . Im Dezember 1995 bildete sich<br />
im KOSIS-Verb<strong>und</strong> unter dem Dach des Deutschen Städtetages die <strong>Entwicklung</strong>sgemeinschaft<br />
HHSTAT 115 , um ein Haushaltsgenerierungsverfahren auf Basis des Standard-Statistikdatensatzes<br />
Bevölkerungsbestand zu entwickeln <strong>und</strong> zu erproben. Bereits<br />
1985 wurde im Rahmen des KOSIS-Projektes „Wohnungsmarktbeobachtung“ ein<br />
Haushaltsgenerierungsverfahren namens SIHAGEN entwickelt, das als Vorläufer von<br />
HHGen gelten kann. Das Verfahren HHGen wurde mehrfach verbessert <strong>und</strong> gilt seit<br />
dem Jahr 2000 als ausgereift. Es steht allen Mitgliedsstädten des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es<br />
kostenlos zur Verfügung (Bender/ Soike 2002: 5; Härle 1993: 11; Lindemann 2002: 239;<br />
Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 8 f.).<br />
114 Im KOSIS-Verb<strong>und</strong> (Kommunales Statistisches Informationssystem) organisieren die verschiedenen<br />
Mitgliedsstädte mit Unterstützung des Deutschen Städtetages selbstverantwortlich diverse<br />
Kooperationsprojekte zum Informationsmanagement. Träger des KOSIS-Verb<strong>und</strong>es ist der Verband<br />
Deutscher Städtestatistiker (VDSt) (www.staedtestatistik.de/kosis/kosis-verb<strong>und</strong>.html; vgl. Kap.<br />
8.2.3.).<br />
115 Die <strong>Entwicklung</strong>sgemeinschaft HHSTAT besteht aus den Städten Braunschweig, Dresden, Erlangen,<br />
Frankfurt am Main, Freiburg im Breisgau, Hannover, Köln, Nürnberg, Stuttgart sowie den<br />
Statistischen Landesämtern von Hamburg <strong>und</strong> Sachsen. Daneben gibt es seit 1996 die<br />
Anwendergemeinschaft AHSTAT, die den Einsatz des Verfahrens fördern <strong>und</strong> die Sammlung <strong>und</strong><br />
Weitergabe von Ergebnissen unterstützen soll. Unter der Federführung der Stadt Essen haben bisher<br />
16 Städte ihren Beitritt zur Anwendergemeinschaft erklärt<br />
(www.staedtestatistik.de/kosis/projekte/ahstat.html;<br />
www.staedtestatistik.de/kosis/projekte/hhstat.html).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 161<br />
8.4.3.2. Vorgehensweise des Verfahrens<br />
Das mathematisch-statistische Verfahren HHGen ermöglicht die Generierung<br />
<strong>haushalts</strong>ähnlicher Verbände auf kleinräumiger Ebene. Eine vollständige<br />
Deckungsgleichheit der generierten Verbände mit den real vorhandenen Haushalten im<br />
statistischen Sinne ist dabei nicht gegeben. Die amtliche Statistik versteht unter einem<br />
Privathaushalt jede zusammenwohnende <strong>und</strong> eine wirtschaftliche Einheit bildende<br />
Personengemeinschaft sowie Personen, die allein wohnen <strong>und</strong> wirtschaften. Das<br />
Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen stützt sich dagegen allein auf das Kriterium<br />
des Zusammenwohnens, das gemeinsame Wirtschaften kann nicht aus den Daten<br />
abgeleitet werden (vgl. Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 11). Vergleiche mit<br />
den Ergebnissen der amtlichen Statistik erbringen aber dennoch zufriedenstellende<br />
Resultate (Lindemann 2002: 239). So hat die Stadt Lübeck bei der erstmaligen<br />
Anwendung des Verfahrens HHGen umfangreiche Plausibilitätsprüfungen auf mehreren<br />
räumlichen Ebenen <strong>und</strong> anhand verschiedener Datenquellen durchgeführt, bei denen<br />
sie zu dem Ergebnis kam, dass das Verfahren HHGen mit gewissen Einschränkungen<br />
korrekte Ergebnisse liefert (Bender/ Soike 2002: 7 f.). Außerdem hat die frühere<br />
B<strong>und</strong>esforschungsanstalt für Landesk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Raumordnung (BfLR), heute<br />
B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung (BBR), ausführlich die Ergebnisse der<br />
Volkszählung 1987 mit den Ergebnissen von HHGen verglichen. Der Vergleich verlief<br />
zufriedenstellend, wenn auch nicht immer das Volkszählungsergebnis exakt<br />
reproduziert werden konnte (Lindemann 2002: 242). In jedem Fall werden die<br />
Unzulänglichkeiten im Verfahren aber durch den großen Informationsgewinn mehr als<br />
ausgeglichen (Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 12).<br />
In das Haushaltsgenerierungsprogramm sollten nur Daten von Personen eingehen, von<br />
denen anzunehmen ist, dass sie zur Bevölkerung in Privathaushalten gehören. Das<br />
bedeutet, dass „Personen ohne eigene Haushaltsführung“ gemäß der amtlichen<br />
Statistik, also Personen, die in Gemeinschafts- <strong>und</strong> Anstaltsunterkünften leben, aus<br />
dem Melderegister aussortiert werden sollten. Hier spielen vor allem die<br />
BewohnerInnen von Alten- <strong>und</strong> Pflegeheimen eine Rolle, aber auch Personen in<br />
Übergangswohnheimen oder AsylbewerberInnenunterkünften. Dieser Sachverhalt ist in<br />
den Einwohnermeldedaten jedoch nicht direkt ersichtlich, so dass Informationen über<br />
diesen Sachverhalt aus anderen Quellen herangezogen werden müssen. Am
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 162<br />
einfachsten ist es, die entsprechenden Personen anhand ihrer Anschrift mittels Abgleich<br />
des Melderegisters mit einer Adressenliste der Anstalten <strong>und</strong> Heime auszusortieren. Es<br />
stellt sich hierbei aber die Frage, ob die gesamte Bevölkerung in Gemeinschafts- <strong>und</strong><br />
Anstaltsunterkünften aus dem Haushaltsgenerierungsverfahren ausgeschlossen<br />
werden sollte. Zu überlegen ist, ob nicht Personen, die in reinen Wohnheimen leben,<br />
dort in der Regel ihren eigenen Haushalt führen <strong>und</strong> nur im Bedarfsfall die Versorgungs<strong>und</strong><br />
Betreuungsangebote des Heims in Anspruch nehmen, mit in das Verfahren<br />
eingehen sollten (Härle 1993: 10 f.; Lindemann 2002: 241; Lux-Henseler 2001a; Stadt<br />
Münster 2004: 9 f.).<br />
Weiterhin ist zu klären, ob das Verfahren nur Personen mit Hauptwohnsitz oder auch<br />
solche mit Nebenwohnsitz in der jeweiligen Kommune einbeziehen sollte. Mit dieser<br />
Fragestellung gehen die verschiedenen Kommunen, die HHGen einsetzten,<br />
unterschiedlich um. Geht man von der sogenannten „wohnberechtigten Bevölkerung“<br />
aus, zu der auch die NebenwohnsitzlerInnen gehören, kann man als Begründung<br />
anführen, dass Personen bzw. die zugehörigen Haushalte mit Zweitwohnsitz in der<br />
jeweiligen Kommune in diesem Fall an beiden Wohnsitzen als Wirtschaftseinheit<br />
auftreten <strong>und</strong> damit den Wohnungsmarkt wie auch Infrastruktureinrichtungen an beiden<br />
Orten in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite kann diese Praxis zu<br />
Doppelzählungen führen, sofern eine Person innerhalb einer Kommune in mehreren<br />
Haushalten wohnberechtigt ist. Auch Haushalte mit mehreren Wohnungen innerhalb der<br />
Kommune können unter Umständen mehrfach gezählt werden. In diesen Fällen<br />
erscheint eine Zählung an allen Wohnsitzen nicht sinnvoll, da sich kommunale<br />
Planungsdaten z.B. für Kindergärten <strong>und</strong> Schulen vorwiegend an der Zahl der<br />
EinwohnerInnen orientieren. K<strong>eines</strong>falls als Haushalte gelten sollten diejenigen<br />
Privathaushalte, bei denen k<strong>eines</strong> der Haushaltsmitglieder zur jeweiligen<br />
Wohnbevölkerung rechnet, wie es z.B. bei Ferienwohnungen der Fall ist. Als<br />
Privathaushalte identifiziert werden sollten daher nur solche, bei denen mindestens ein<br />
Haushaltsmitglied zur Bevölkerung vor Ort gehört (Härle 1993: 13; Lux-Henseler<br />
2001a).<br />
Voraussetzung für den Einsatz des Haushaltsgenerierungsverfahrens ist die<br />
Organisation der Einwohnermeldedaten als Standardstatistikdatei Bevölkerungsbestand<br />
gemäß den Empfehlungen des Deutschen Städtetages. Ansonsten ist eine
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 163<br />
Aufbereitung der Daten erforderlich. Dieser Standarddatensatz enthält wie die<br />
ursprünglichen Einwohnermeldedaten jedoch noch keine direkt abrufbaren<br />
Informationen über Haushalte. Daher ist es erforderlich, auf indirektem Wege aus den<br />
gespeicherten Personendaten Merkmale bzw. Indizien über das Zusammenleben von<br />
Personen in Haushalten zu nutzen. Folgende Fakten werden herangezogen:<br />
• Verzeigerungen zwischen Ehegatten sowie zwischen Kindern <strong>und</strong> Eltern,<br />
• Namensübereinstimmungen im Bereich der Familien-, Geburts- <strong>und</strong> früheren<br />
Familiennamen,<br />
• gleiche frühere Wohnadresse,<br />
• gleiches Datum der Anmeldung an der gegenwärtigen Wohnadresse,<br />
• demografische Merkmalskonstellationen bezüglich Alter, Geschlecht, Familienstand<br />
<strong>und</strong> Staatsangehörigkeit, die in Zusammenhang mit anderen Indizien bestimmte<br />
Formen des Zusammenlebens nahe legen oder ausschließen (Bender/ Soike 2002:<br />
5; Härle 1993: 9; Lindemann 2002: 239 f.; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004:<br />
9).<br />
Als Basis der Haushaltsgenerierung dienen die bereits im Einwohnermelderegister<br />
angelegten sogenannten „Verzeigerungen“ zwischen Ehepartnern <strong>und</strong> zwischen<br />
Elternteilen <strong>und</strong> deren Kindern. Der/Die KommunalstatistikerIn kennt diese so<br />
miteinander verknüpften Personen als steuerrechtliche Personenverbände. Diejenigen<br />
Personenverbände, die an einer Adresse gemeldet sind, bilden die „Kernhaushalte“, die<br />
das wichtigste Element der Haushaltsgenerierung darstellen. Kernhaushalte bestehen<br />
demnach aus jeweils allen Personen, die durch Ehe <strong>und</strong>/oder Elternschaft bzw.<br />
Erziehungsrecht miteinander verb<strong>und</strong>en sind <strong>und</strong> an einer Adresse wohnen. Dabei<br />
werden in der Terminologie des Melderegisters unter Kindern Personen verstanden, die<br />
unter 28 Jahren alt, ledig <strong>und</strong> kinderlos sind <strong>und</strong> mit einem Elternteil, einem Stiefeltern-l<br />
oder einem Pflegeelternteil verknüpft sind. Demnach kann ein Kind in einem<br />
Kernhaushalt minderjährig oder bereits erwachsen sein; außerdem kann es sich dabei<br />
sowohl um ein leibliches Kind als auch um ein Stief- oder Pflegekind handeln. Im<br />
Haushaltsgenerierungsverfahren wird demgegenüber unter einem Kind eine Person<br />
verstanden, die unter 18 Jahren alt, ledig <strong>und</strong> ohne Nachkommen ist. Im nächsten<br />
Schritt müssen die Stellungen der Personen im Kernhaushalt ermittelt werden.<br />
Abschließend werden Familien-, Geburts- <strong>und</strong> frühere Familiennamen durch Nummern<br />
ersetzt. Namen werden für die Haushaltsgenerierung nur in diesem ersten Schritt
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 164<br />
benötigt, danach reicht die Nummer, um Namensübereinstimmungen festzustellen<br />
(Bender/ Soike 2002: 5; Lux-Henseler 2001a).<br />
Da ein Zugriff auf Einzeldaten aus dem Einwohnermelderegister erforderlich ist, muss<br />
die Haushaltsgenerierung aus Datenschutzgründen innerhalb einer abgeschotteten<br />
Statistikstelle durchgeführt werden. Darüber hinaus gewährleistet die „Innen-<br />
Anonymisierung“, also die Anonymisierung durch Verwendung von<br />
Namensübereinstimmungsnummern an Stelle von Personennamen innerhalb der<br />
Statistikstelle, einen weitreichenden Missbrauchsschutz (Bender/ Soike 2002: 5; Härle<br />
1993: 9; Lindemann 2002: 239 f.; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 9)<br />
Die Zahl der Kernhaushalte liegt insgesamt noch deutlich über der Zahl der<br />
tatsächlichen Haushalte, was vor allem auf die unrealistisch hohe Anzahl der<br />
Einpersonenkernhaushalte zurückzuführen ist. Daher werden den bereits bestehenden<br />
Kernhaushalten, sofern Zuordnungskriterien wie Namensgleichheit, gleiches<br />
Einzugsdatum oder gleiche Herkunftsadresse erfüllt sind, weitere Kernhaushalte<br />
zugeordnet. Dieses Vorgehen erfolgt in acht Stufen, wobei sich von Stufe zu Stufe die<br />
entstehenden Personenverbände immer mehr den tatsächlichen Verhältnissen<br />
annähern 116 . Es besteht die Möglichkeit, einzelne Stufen zu überspringen oder in den<br />
einzelnen Stufen durch Feinsteuerung der Parameter das Ergebnis zu verändern. So<br />
kann beispielsweise bei der Identifikation nicht ehelicher Lebensgemeinschaften die<br />
maximale Altersdifferenz der Partner frei gewählt werden. Wenn die Daten jedoch<br />
überregional vergleichbar sein sollen, sollte die Generierung mit den empfohlenen<br />
Einstellungen ablaufen. Nach erfolgreichem Ablauf des Haushaltsgenerierungsprogramms<br />
sind die zum generierten Haushalt gehörenden Personen mit einem<br />
Verknüpfungsmerkmal gekennzeichnet <strong>und</strong> können mit vorhandenen Auswertungsprogrammen<br />
als Haushalt ausgewertet werden (Bender/ Soike 2002: 6; Lindemann<br />
2002: 241 f.; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 10 f.).<br />
116<br />
Eine ältere Version des Haushaltsgenerierungsverfahrens bestand nur aus einem sechsstufigen<br />
Verfahren (Härle 1993: 12 f.).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 165<br />
Tab. 20: Das achtstufige Haushaltsgenerierungsverfahren<br />
Stufe Vorgang<br />
1 Herstellen der Startbedingungen<br />
2 Generieren von nicht ehelichen Paaren:<br />
2a Zusammenführen bei gleicher früherer Wohnung <strong>und</strong> gleichem Einzugsdatum<br />
2b Zusammenführen bei gleicher früherer Wohnung oder gleichem Einzugsdatum<br />
3 Zuordnen von erwachsenen Nachkommen zu Eltern(teilen):<br />
3a Zuordnen von Einzelpersonen zu Eltern(teilen) direkt<br />
3b Zuordnen von Einzelpersonen zu Eltern(teilen) über jüngere verzeigerte<br />
Geschwister<br />
3c Zuordnen von Nachkommen mit Kind(ern) zu Eltern(teilen)<br />
4 Zuordnen von älteren Einzelpersonen zu erwachsenen Nachkommen<br />
5 Zuordnen von Nachkommen zu Großeltern(teilen)<br />
6 Zusammenführen von erwachsenen Geschwistern<br />
7 Zuordnen verbliebener Kinder zu Erwachsenen:<br />
7a Zuordnen bei gleicher früherer Wohnung oder gleichem Einzugsdatum<br />
7b Zuordnen restlicher Kinder<br />
8 Zuordnen allein per Identität von früherer Wohnung <strong>und</strong>/oder<br />
Einzugsdatum:<br />
8a Zusammenführen bei gleicher früherer Wohnung <strong>und</strong> gleichem Einzugsdatum<br />
8b Zusammenführen bei gleicher früherer Wohnung <strong>und</strong> unterschiedlichem<br />
Einzugsdatum<br />
8c Zusammenführen bei unterschiedlicher früherer Wohnung <strong>und</strong> gleichem<br />
Einzugsdatum<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Bender/ Soike 2002: 6; Lindemann 2002: 242;<br />
Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster 2004: 11<br />
Ganz entscheidend für die Aussagefähigkeit der Ergebnisse des Verfahrens ist die<br />
Qualität des Einwohnermelderegisters. Stimmen Verknüpfungsinformationen nicht oder<br />
fehlen diese teilweise, so ist eine korrekte Abbildung von Haushaltszusammenhängen<br />
durch HHGen nicht möglich (Lindemann 2002: 241; Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster<br />
2004: 11).<br />
Auch die gewählten Einstellungen des Programms beeinflussen die Ergebnisse.<br />
Darüber hinaus können auch durch den adressenweisen Ausschluss der<br />
Anstaltsbevölkerung Haushalte verloren gehen, wenn beispielsweise eine Hausmeisteroder<br />
Betreuungspersonalwohnung zur gleichen Adresse gehört (Lux-Henseler 2001a;<br />
Stadt Münster 2004: 11).<br />
Aber selbst bei korrektem Datenbestand kann die Generierung nicht gänzlich fehlerfrei<br />
sein. Eine Schwäche des Programms liegt in der nur teilweisen Erkennung von nicht<br />
ehelichen Lebensgemeinschaften. HHGen ordnet nur etwa die Hälfte der nicht
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 166<br />
ehelichen Lebensgemeinschaften richtig zu. Eine Fehlzuordnung findet immer dann<br />
statt, wenn die Einzugsdaten in die gemeinsame Wohnung voneinander abweichen <strong>und</strong><br />
keine gemeinsame frühere Wohnung bestand 117 . Wenn also ein Partner in die bereits<br />
bestehende Wohnung des anderen einzieht, werden diese Personen nicht als zu einem<br />
Haushalt gehörend erkannt <strong>und</strong> bilden dann jeweils einen eigenen Haushalt. Das führt<br />
zu einer Überschätzung der Zahl der Einpersonenhaushalte bzw. der allein Lebenden<br />
<strong>und</strong> einer Unterschätzung der Zweipersonenhaushalte bzw. der nicht ehelichen<br />
Lebensgemeinschaften (Bender/ Soike 2002: 7; Lindemann 2002: 242; Lux-Henseler<br />
2001a; Stadt Münster 2004: 11 f.).<br />
Verfahrensbedingt lassen sich somit keine exakten Werte bzw. Angaben über Zahl <strong>und</strong><br />
Struktur der Haushalte ermitteln, es handelt sich eher um relativ genaue Schätzwerte.<br />
Dennoch bringt das Verfahren einen hohen Informationsgewinn hinsichtlich der<br />
sachlichen <strong>und</strong> räumlichen Verteilung der Haushalte (Lux-Henseler 2001a; Stadt<br />
Münster 2004: 12).<br />
8.4.3.3. Ergebnisse von HHGen<br />
In diesem Abschnitt sollen die in verschiedenen kommunalen Berichten präsentierten<br />
Ergebnisse der Haushaltsgenerierung mit HHGen kritisch in den Blick genommen<br />
werden. Dabei soll folgenden Fragen nachgegangen werden:<br />
• Welche Tatbestände r<strong>und</strong> um den Haushalt lassen sich mit Hilfe des Verfahrens<br />
HHGen darstellen?<br />
• Wie gehen die verschiedenen Kommunen mit den Ergebnissen der<br />
Haushaltsgenerierung um?<br />
• Wo gibt es Verbesserungsbedarf?<br />
Hierzu wird auf die Berichte aus Bad Vilbel (Bad Vilbel 2002), Lübeck (Bender/ Soike<br />
2002), Münster (Stadt Münster 2004), Nürnberg (Lux-Henseler 2001a <strong>und</strong> b) <strong>und</strong><br />
Wiesbaden (Härle 1993) Bezug genommen 118 .<br />
117 Siehe Stufe 2 des Haushaltsgenerierungsverfahrens.<br />
118 Die Auswahl der Berichte stellt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentativität. Sie ist das<br />
Ergebnis unserer Recherche zum Thema Haushaltsgenerierung, ausgehend von den uns<br />
vorliegenden kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 167<br />
Im Bad Vilbeler Sozialbericht 2000 wurden die mit dem Programm HHGen<br />
generierten Haushalte nach Zahl <strong>und</strong> Größe, nach Anzahl der in den Haushalten<br />
lebenden Kinder, nach Alter der Bezugsperson, nach Nationalität der<br />
Haushaltsmitglieder, nach Haushaltstypen <strong>und</strong> nach <strong>Entwicklung</strong>sphasen ausgewertet<br />
(Bad Vilbel 2002: 58 ff.).<br />
Die Differenzierung nach Größe der Haushalte, Anzahl der Kinder <strong>und</strong> Haushaltstypen<br />
macht durchaus Sinn, da sich darin die allgemeine Struktur der Privathaushalte in der<br />
Kommune widerspiegelt. Bei einer sozialräumlichen Zuordnung der Ergebnisse, wie es<br />
auch im Bad Vilbeler Bericht geschieht, lassen sich zudem Aussagen darüber treffen,<br />
ob bestimmte Haushaltskonstellationen in bestimmten Teilen der Kommune besonders<br />
stark verbreitet sind. Diese Informationen sind für die kleinräumige Bedarfsplanung vor<br />
Ort von hohem Interesse. Zeitreihenvergleiche ermöglichen zudem, die Veränderungen<br />
in der Struktur der Haushalte nachzuvollziehen <strong>und</strong> dadurch <strong>Entwicklung</strong>en<br />
abzuschätzen. Anzuregen ist jedoch, bei der Auswertung nach Haushaltstypen (Bad<br />
Vilbel 2002: 60 f.) nicht nur nach der Abwesenheit oder dem Vorhandensein, sondern<br />
zusätzlich noch nach der Anzahl der Kinder (z.B. 1 Kind, 2 Kinder, 3 <strong>und</strong> mehr Kinder)<br />
zu unterscheiden.<br />
Wenig aussagekräftig scheint dagegen die Differenzierung nach Alter der<br />
Bezugsperson. Lediglich bei den Einpersonenhaushalten <strong>und</strong> den allein Erziehenden<br />
kann hier eine sinnvolle Aussage getroffen werden, während sich bei<br />
Mehrpersonenhaushalten die Frage stellt, wer als Bezugsperson anzusehen ist (es ist<br />
zu vermuten, dass die Funktion der Bezugsperson bzw. des Haushaltsvorstandes<br />
demjenigen zugeordnet wird, der hauptsächlich für die Erwirtschaftung des<br />
Lebensunterhalts verantwortlich ist, also in einem Großteil der Fälle wohl dem<br />
(Ehe-)Mann; siehe dazu die Definition des Haushaltsvorstands in Kap. 8.4.2.) <strong>und</strong><br />
welche Relevanz diese Information hat.<br />
Sinnvoll ist dagegen die Auswertung nach Nationalität der Haushaltsmitglieder, wobei<br />
eine Interpretation des Ergebnisses zu den „gemischten Haushalten“ (verstanden als<br />
Haushalte mit deutschen <strong>und</strong> nicht deutschen Mitgliedern) in Richtung einer<br />
gelungenen Integration durch Partnerschaft (Bad Vilbel 2002: 59 f.) in Zweifel gezogen<br />
werden kann. Nicht bedacht wurde hierbei der Umstand, dass es sich bei diesen<br />
„gemischten Haushalten“ wohl vornehmlich um Haushalte handelt, in denen
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 168<br />
ausländische Eltern mit ihren Kindern, die in Deutschland geboren sind <strong>und</strong> dadurch<br />
deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, leben. Von einer „gelungenen Integration durch<br />
Partnerschaft“ kann in diesem Fall nicht die Rede sein.<br />
Die Abbildung der Haushaltstypen nach <strong>Entwicklung</strong>sphasen (Bad Vilbel 2002: 61 ff.)<br />
stellt den Versuch dar, die Anzahl <strong>und</strong> den Anteil der Haushalte in den jeweiligen<br />
Phasen des Haushalts- bzw. Familienzyklus zu beziffern. Dieser Aspekt scheint unter<br />
<strong>haushalts</strong>wissenschaftlicher Perspektive besonders interessant, da sich mit den<br />
unterschiedlichen Phasen des Haushalts- bzw. Familienzyklus spezifische<br />
Problemlagen verbinden, die den Haushalt, aber auch das Umfeld <strong>und</strong> somit eben auch<br />
die Kommunen, vor bestimmte Herausforderungen stellen. So impliziert ein Anstieg der<br />
Anzahl von Familien in der Expansionsphase beispielsweise einen steigenden Bedarf<br />
an institutionellen Kinderbetreuungsangeboten. Aus sozialplanerischer Sicht ist dieses<br />
Vorgehen also durchaus sinnvoll, jedoch ist die Darstellung <strong>und</strong> Abgrenzung der<br />
<strong>Entwicklung</strong>sphasen im Detail nochmals zu überprüfen.<br />
Die Differenzierung der Haushalte nach ihren <strong>Entwicklung</strong>sphasen ermöglicht<br />
außerdem Prognosen über die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> in der Verteilung der<br />
Haushaltstypen. Es sind in planerischer Hinsicht daraus also nicht nur aktuelle, sondern<br />
auch zukünftige Bedarfe ersichtlich. Die im Bad Vilbeler Bericht vorgenommene<br />
Analyse zu Haushalten mit Zuwachserwartungen (Bad Vilbel 2002: 75 ff.) kann jedoch<br />
methodisch nicht gänzlich überzeugen. Für die gewählte Klassifizierung der Haushalte<br />
hinsichtlich ihrer „Zuwachserwartung“ fehlt es an stichhaltigen Begründungen, einige<br />
Zuordnungen sind nicht nachvollziehbar. Zudem wird darauf hingewiesen, dass bei<br />
allen Überlegungen Zu- <strong>und</strong> Fortzüge unberücksichtigt bleiben müssen.<br />
Insgesamt gesehen sind die <strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong> Auswertungen, die sich im Bad<br />
Vilbeler Sozialbericht 2000 finden, zum überwiegenden Teil sinnvoll <strong>und</strong> auch<br />
aussagekräftig, es stellt sich eher das Problem des Umgangs mit den Ergebnissen bzw.<br />
der Interpretation der Ergebnisse.<br />
Der Lübecker Bericht zu EinwohnerInnen <strong>und</strong> Haushalten (Bender/ Soike 2002)<br />
liefert Daten zur Anzahl der Haushalte in Gegenüberstellung zur Anzahl der<br />
EinwohnerInnen, Daten zur Haushaltsgröße, zur Altersstruktur, zur Staatsangehörigkeit,
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 169<br />
zum Geschlecht <strong>und</strong> zum Familienstand der Haushaltsmitglieder, zu den<br />
unterschiedlichen Haushaltstypen <strong>und</strong> zu den <strong>Entwicklung</strong>sphasen der Haushalte. Alle<br />
Ergebnisse werden auch hier kleinräumig dargestellt.<br />
Anhand der Gegenüberstellung von Einwohnerzahlen <strong>und</strong> Haushalten kann man die<br />
durchschnittliche Haushaltsgröße für Lübeck insgesamt (Bender/ Soike 2002: 9) sowie<br />
für die einzelnen Wohnquartiere (Bender/ Soike 2002: 13) berechnen. Diese Werte<br />
machen deutlich, in welchen Teilen der Kommune eher kleinere <strong>und</strong> in welchen eher<br />
größere Haushalte angesiedelt sind.<br />
Mit der Differenzierung nach Haushaltsgröße <strong>und</strong> Haushaltstypen (Bender/ Soike 2002:<br />
9 ff.) lassen sich Erkenntnisse über die Verbreitung bestimmter Haushaltsformen<br />
sowohl in der Gesamtstadt als auch in den Stadtbezirken/Stadtteilen gewinnen. Diese<br />
Erkenntnisse sind wichtige Gr<strong>und</strong>lage für soziale Bedarfsplanung, wie bereits bei der<br />
Diskussion der Ergebnisse des Bad Vilbeler Berichts angeführt. Während die<br />
Darstellung der Daten zur Haushaltsgröße sehr detailliert ausfällt – hier werden in<br />
Einzelschritten alle Haushalte mit einer Anzahl von einer bis zu zwölf Personen<br />
abgebildet, während in Bad Vilbel nur zwischen Haushalten mit einer, zwei, drei, vier,<br />
fünf <strong>und</strong> mehr Personen unterschieden wurde –, differenziert man bei den<br />
Haushaltstypen nur zwischen folgenden fünf Typen: Einpersonenhaushalten,<br />
Paaren/Ehepaaren ohne Kinder, Paaren/Ehepaaren mit Kindern, allein Erziehenden<br />
<strong>und</strong> sonstigen Mehrpersonenhaushalten. Angesichts der Pluralisierung der<br />
Lebensformen <strong>und</strong> den Möglichkeiten des Programms (vgl. die Darstellung der<br />
Haushaltstypen in Nürnberg (Lux-Henseler 2001a) <strong>und</strong> im Wiesbadener Bericht (Härle<br />
1993: 20 ff.), auf die an späterer Stelle noch genauer eingegangen wird) wäre hier eine<br />
weitergehende Differenzierung wünschenswert.<br />
Interessant sind die Ergebnisse der Verknüpfung von Haushaltstypen <strong>und</strong> Altersstruktur<br />
(Bender/ Soike 2002: 9 <strong>und</strong> 16 f.), von Haushaltstypen, Altersgruppen <strong>und</strong><br />
Staatsangehörigkeit sowie von Haushaltstypen, Altersgruppen <strong>und</strong> Geschlecht (Bender/<br />
Soike 2002: 19). Man muss sich hierbei jedoch darüber im Klaren sein, dass bei diesen<br />
Kombinationen wiederum die Individuen, also die einzelnen Haushaltsmitglieder <strong>und</strong><br />
nicht die Haushalte als Ganze Ausgangspunkt der Betrachtung sind. Ansonsten wären<br />
diese Verknüpfungen, die individuenbezogene Merkmale wie Alter, Geschlecht <strong>und</strong>
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 170<br />
Nationalität umfassen, auch nicht möglich. Zum Aspekt Nationalität bietet jedoch eine<br />
andere Darstellung, die von den Haushalten ausgehend nach Staatsangehörigkeit<br />
differenziert <strong>und</strong> zwischen deutschen, ausländischen <strong>und</strong> gemischten Haushalten<br />
unterscheidet (Bender/ Soike 2002: 26), eine sinnvolle Ergänzung. Hier unterbleibt<br />
jedoch sowohl die durchaus wünschenswerte Verknüpfung mit den unterschiedlichen<br />
Haushaltstypen als auch eine detailliertere Aufgliederung der ausländischen Haushalte<br />
nach den verschiedenen Nationalitäten.<br />
Die Differenzierung der Einwohner nach ihrem unterschiedlichen Familienstand, die der<br />
Bericht vornimmt (Bender/ Soike 2002: 11 <strong>und</strong> 14), macht angesichts der weit<br />
aussagekräftigeren Darstellung der verschiedenen Haushaltstypen wenig Sinn. Auf<br />
diese Auswertung der Daten könnte verzichtet werden, da sich hier der Fokus nicht auf<br />
den Haushalt, sondern auf das Individuum richtet.<br />
Wie auch schon im Bad Vilbeler Sozialbericht 2000 wird im Lübecker Bericht der<br />
Versuch unternommen, die verschiedenen <strong>Entwicklung</strong>sphasen der Haushalte<br />
darzustellen (Bender/ Soike 2002: 25). Auch hier ist zu konstatieren, dass dieses<br />
Anliegen aus <strong>haushalts</strong>wissenschaftlicher Sicht durchaus zu begrüßen ist (siehe dazu<br />
die Ausführungen auf S. 13), dass die gewählten <strong>Entwicklung</strong>sphasen <strong>und</strong> die jeweilige<br />
Abgrenzung aber nochmals kritisch zu hinterfragen sind.<br />
Leider verzichtet der Lübecker Bericht gänzlich auf die Differenzierung der Haushalte<br />
bzw. der Haushaltstypen nach Anzahl der Kinder. Gerade in Bezug auf die<br />
Bedarfsplanung im Bereich Kinderbetreuungseinrichtungen <strong>und</strong> Schulen wären diese<br />
Daten von hohem Interesse. Außerdem besteht gerade bei den kinderreichen Familien<br />
eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen <strong>eines</strong> Unterstützungsbedarfs durch die<br />
Kommune (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 8.4.1.), so dass sich die Notwendigkeit<br />
einer quantitativen Abbildung der entsprechenden Haushalte ergibt.<br />
Der Bericht „Haushalte in Münster 2003“ beschränkt sich bei seiner Präsentation der<br />
Ergebnisse der Haushaltsgenerierung auf die Darstellung der Anzahl der Haushalte, der<br />
Haushaltsgröße <strong>und</strong> der Haushaltstypen. Alle Ergebnisse werden auch hier kleinräumig<br />
ausgewiesen.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 171<br />
Zu Anfang wird die Anzahl <strong>und</strong> Größe der mit Hilfe des Verfahrens HHGen generierten<br />
Haushalte mit den entsprechenden Ergebnissen der Volkszählung von 1987 verglichen,<br />
um Aussagen über die Veränderungen von 1987 bis 2003 treffen zu können (Stadt<br />
Münster 2004: 13). Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die methodischen Unterschiede<br />
beider Erhebungen einen solchen Zeitreihenvergleich der Daten verbieten. Bei der<br />
Volkszählung handelte es sich um eine Primärerhebung, deren Gr<strong>und</strong>gesamtheit die<br />
gesamte Bevölkerung darstellte, während das Verfahren HHGen keine empirische<br />
Erhebung, sondern lediglich ein theoretisches Verfahren ist, das <strong>haushalts</strong>ähnliche<br />
Verbände aus den Einwohnermeldedaten generiert <strong>und</strong> damit stark von der<br />
Beschaffenheit des Melderegisters abhängt.<br />
Die Abbildung der Haushaltsgrößen nach Anzahl der im Haushalt lebenden Personen<br />
(Stadt Münster 2004: 14 ff.) gerät sehr ausführlich, wobei auch hier – wie bereits in Bad<br />
Vilbel – zwischen den fünf Haushaltsgrößen „Einpersonenhaushalte, Zweipersonenhaushalte,<br />
Dreipersonenhaushalte, Vierpersonenhaushalte, Haushalte mit fünf <strong>und</strong><br />
mehr Personen“ unterschieden wird. Hier gilt es zu überprüfen, ob nicht eine<br />
weitergehende Differenzierung der letzten Klasse sinnvoll wäre, wie dies im Lübecker<br />
Bericht geschieht, also die gesonderte Darstellung auch von Haushalten mit sechs,<br />
sieben, acht usw. Personen, da gerade bei diesen Haushalten ein erhöhter Bedarf an<br />
Hilfeleistung durch die Kommunen unterstellt werden kann.<br />
Bei der Gliederung der Ergebnisse nach Haushaltstypen (Stadt Münster 2004: 22 ff.)<br />
werden zunächst die bereits bekannten fünf Haushaltstypen, wie sie auch der Lübecker<br />
Bericht verwendet (Einpersonenhaushalte, Paare/Ehepaare ohne Kinder,<br />
Paare/Ehepaare mit Kindern, allein Erziehende, sonstige Mehrpersonenhaushalte),<br />
herangezogen. Dann erfolgt jedoch im Zuge der räumlichen Zuordnung eine weitere<br />
Differenzierung bei den Paaren ohne Kinder, den Paaren mit Kindern <strong>und</strong> den allein<br />
Erziehenden, so dass sich nunmehr zehn Haushaltstypen ergeben:<br />
• Einpersonenhaushalte,<br />
• Paare ohne Kinder ohne weitere Personen im Haushalt,<br />
• Paare ohne Kinder mit mindestens einer weiteren Person im Haushalt,<br />
• Paare ohne Kinder, die in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft leben,<br />
• Paare mit Kindern ohne weitere Personen im Haushalt,<br />
• Paare mit Kindern mit mindestens einer weiteren Person im Haushalt,
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 172<br />
• Paare mit Kindern, die in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft leben,<br />
• allein Erziehende ohne weitere Personen im Haushalt,<br />
• allein Erziehende mit mindestens einer weiteren Person im Haushalt,<br />
• sonstige Mehrpersonenhaushalte (Stadt Münster 2004: 25).<br />
Diese weitergehende Aufgliederung ist gr<strong>und</strong>sätzlich zu begrüßen, jedoch wäre bei den<br />
Haushalten mit Kindern auch hier eine Differenzierung nach Anzahl der Kinder<br />
wünschenswert, wie bereits bei der Diskussion der Ergebnisse des Lübecker Berichts<br />
angeführt. Außerdem ergeben sich Überschneidungen innerhalb der jeweils drei<br />
Unterkategorien der Haushaltstypen Paare ohne Kinder <strong>und</strong> Paare mit Kindern, die<br />
dadurch ausgeräumt würden, wenn man gr<strong>und</strong>sätzlich zwischen Ehepaaren ohne bzw.<br />
mit Kindern <strong>und</strong> nicht ehelichen Lebensgemeinschaften ohne bzw. mit Kindern<br />
unterscheiden würde, wie dies im Bad Vilbeler Bericht der Fall ist (Bad Vilbel 2002: 60).<br />
Die Darstellung der Ergebnisse der Haushaltsgenerierung in Nürnberg erfolgt in zwei<br />
Heften der quartalsweise erscheinenden Zeitschrift „Statistische Nachrichten“ der Stadt<br />
Nürnberg: als Ergebnisüberblick im 3. Heft des Jahres 2001 (Lux-Henseler 2001a) <strong>und</strong><br />
nochmals detailliert im 4. Heft des Jahres 2001 (Lux-Henseler 2001b). Dabei werden<br />
die Anzahl <strong>und</strong> durchschnittliche Größe der Haushalte abgebildet sowie<br />
Differenzierungen nach Familienstand, Alter, Geschlecht, Zahl der Haushaltsmitglieder,<br />
Haushaltstypen, Alter der Bezugsperson des Haushalts <strong>und</strong> Zahl der Kinder<br />
vorgenommen. Zum Teil werden die Merkmale auch in ihrer Verknüpfung dargestellt,<br />
z.B. Haushalte nach Alter <strong>und</strong> Geschlecht oder Haushalte nach Haushaltstyp <strong>und</strong> Zahl<br />
der Kinder. Die Ergebnisse werden sowohl für die Gesamtstadt als auch kleinräumig<br />
ausgewiesen. Als Besonderheit findet bei den einzelnen Aufgliederungen jeweils ein<br />
Zeitreihenvergleich zwischen den Daten von 1994 <strong>und</strong> 2001 statt.<br />
Zu den gewählten Differenzierungen der Haushalte nach Familienstand, Alter,<br />
Geschlecht, Zahl der Haushaltsmitglieder <strong>und</strong> Alter der Bezugsperson gilt hier im<br />
Wesentlichen das, was bereits bei den Betrachtungen zu den übrigen Berichten<br />
angeführt wurde, daher wird auf diese Aspekte nicht mehr näher eingegangen.<br />
Diskutiert werden sollen an dieser Stelle aber die Abbildung der verschiedenen<br />
Haushaltstypen, die Darstellung der Haushalte nach Anzahl der Kinder sowie der<br />
Zeitreihenvergleich der Daten von 1994 mit den aktuellen des Jahres 2001.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 173<br />
In Heft 3 der Statistischen Nachrichten (Lux-Henseler 2001a), in dem es vor allem um<br />
die Darlegung des Konzeptes der Haushaltsgenerierung geht <strong>und</strong> zum Abschluss nur<br />
ein kurzer Überblick über die Ergebnisse geboten wird, werden die Haushalte in zwölf<br />
Haushaltstypen aufgegliedert <strong>und</strong> damit weitaus differenzierter dargestellt als in allen<br />
übrigen betrachteten Berichten. Es wird unterschieden zwischen:<br />
• Einpersonenhaushalten,<br />
• Ehepaaren, keine Kinder, keine weitere Person,<br />
• Ehepaaren, keine Kinder, mindestens eine weitere Person,<br />
• Ehepaaren, mindestens ein Kind, keine weitere Person,<br />
• Ehepaaren, mindestens ein Kind, mindestens eine weitere Person,<br />
• Paaren in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, keine Kinder, keine weitere Person,<br />
• Paaren in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, keine Kinder, mindestens eine<br />
weitere Person,<br />
• Paaren in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, mindestens ein Kind, keine weitere<br />
Person,<br />
• Paaren in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, mindestens ein Kind, mindestens<br />
eine weitere Person,<br />
• Bezugspersonen ohne eheliche oder nicht eheliche Partner, mindestens ein Kind,<br />
keine weitere Person,<br />
• sonstigen Mehrpersonenhaushalten (Lux-Henseler 2001a).<br />
Leider wird diese Typisierung nur für die Abbildung der Haushaltsstrukturen in der<br />
Gesamtstadt herangezogen, in der kleinräumigen Darstellung (Lux-Henseler 2001b)<br />
werden wiederum nur die bereits in Lübeck (siehe S. 14) verwendeten fünf<br />
Haushaltstypen (Einpersonenhaushalte, Paare/Ehepaare ohne Kinder, Paare/Ehepaare<br />
mit Kindern, allein Erziehende, sonstige Mehrpersonenhaushalte) verwendet.<br />
Zu begrüßen ist die bei der Gliederung der Haushalte nach Anzahl der Kinder (ein Kind,<br />
zwei Kinder, drei <strong>und</strong> mehr Kinder) vorgenommene Verknüpfung mit den<br />
unterschiedlichen Familientypen (Lux-Henseler 2001b). Dadurch lassen sich auch<br />
Erkenntnisse zum unterschiedlichen Reproduktionsverhalten innerhalb der<br />
verschiedenen Familientypen gewinnen. So findet sich in 50 Prozent der
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 174<br />
Paarhaushalte 119 in Nürnberg mehr als ein Kind, während demgegenüber nur 31<br />
Prozent der allein Erziehenden zwei <strong>und</strong> mehr Kinder haben. Leider bleibt diese<br />
Verknüpfung von Kinderzahl <strong>und</strong> Haushaltstyp auf die gesamtstädtische Ebene<br />
beschränkt. Dafür wird jedoch zumindest eine eindimensionale kleinräumige Abbildung<br />
nach Zahl der Kinder vorgenommen, die deutlich macht, in welchem Bezirk kinderreiche<br />
Familien, gleich welchen Haushaltstyps, am stärksten vertreten sind.<br />
Interessant ist auch der Vergleich der Haushaltsdaten von 1994 mit denen von 2001.<br />
Dies ist ein erstes Beispiel für die Möglichkeiten <strong>eines</strong> regelmäßigen Einsatzes von<br />
HHGen. Es lassen sich dadurch <strong>Entwicklung</strong>en in der Anzahl <strong>und</strong> Struktur der<br />
Haushalte nachvollziehen, anhand derer beispielsweise die bisherige kommunale<br />
Sozial-, Infrastruktur- <strong>und</strong> Wohnungspolitik evaluiert werden kann.<br />
Im Wiesbadener Bericht (Härle 1993), der sich noch auf das HHGen-<br />
Vorgängerverfahren SIHAGEN stützt, werden die generierten Privathaushalte nach<br />
Haushaltsgröße <strong>und</strong> Haushaltstypen sowie die Haushaltsmitglieder nach Alter,<br />
Geschlecht <strong>und</strong> Nationalität ausgewiesen. Dabei wird eine Verknüpfung zwischen der<br />
Größe des Haushalts <strong>und</strong> den erwähnten demografischen Merkmalen der jeweiligen<br />
Hauhaltsmitglieder hergestellt.<br />
Die Ergebnisse der Haushaltsgenerierung 1993 werden den Volkszählungsergebnissen<br />
von 1987 gegenüber gestellt. Dabei wird aber auch explizit auf die Schwierigkeiten<br />
dieses Vergleichs hingewiesen. Abweichungen zwischen 1987 <strong>und</strong> 1993 spiegeln nicht<br />
nur die realen Veränderungen wider, sondern sind auch in den methodisch vollkommen<br />
unterschiedlichen Zählverfahren begründet (Härle 1993: 15).<br />
Besondere Erwähnung gebührt der umfänglichen Darstellung der verschiedenen<br />
Haushaltstypen. Hier wird zwischen neun Haushaltstypen unterschieden:<br />
• Ehepaare ohne Kinder,<br />
• Ehepaare mit Kindern,<br />
• allein Erziehende,<br />
• nicht eheliche Lebensgemeinschaften ohne Kinder,<br />
119<br />
Dieser Wert bezieht sich ausschließlich auf Paarhaushalte mit Kindern, also nicht auf Paarhaushalte<br />
insgesamt.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 175<br />
• nicht eheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern,<br />
• Erweiterte Kernfamilien (bestehend aus einem Ehepaar entweder mit Kindern oder<br />
ohne Kinder <strong>und</strong> mindestens einem weiteren Erwachsenen),<br />
• Einpersonenhaushalte,<br />
• Wohngemeinschaften ohne Kinder,<br />
• Wohngemeinschaften mit Kindern (Härle 1993: 21 ff.).<br />
Es wird nachdrücklich auf die Bedeutung der Abbildung der Haushalte in Form von<br />
Typen hingewiesen: Eine Aufgliederung der Haushalte nach der Zahl ihrer Mitglieder<br />
ermöglicht zwar einen groben Überblick über die Struktur der Privathaushalte, sie reicht<br />
jedoch nicht aus, da sich hinter Haushalten gleicher Größe völlig unterschiedliche<br />
Formen des Zusammenlebens verbergen können. So kann es sich beispielsweise bei<br />
einem Zweipersonenhaushalt um ein Ehepaar ohne Kinder, eine(n) allein Erziehende(n)<br />
mit Kind, eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft ohne Kinder oder um eine „Zweier-<br />
WG“ handeln. Es liegt auf der Hand, dass jeder dieser Haushaltstypen spezifische<br />
Anforderungen an Wohnung, Wohnumfeld <strong>und</strong> Leistungen der öffentlichen<br />
Daseinsvorsorge stellt. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird die Typisierung der Haushalte als<br />
unerlässlich angesehen (Härle 1993: 20).<br />
Bei den einzelnen Haushaltstypen werden weitere Differenzierungen vorgenommen. So<br />
wird z.B. nach Zahl der Kinder, Staatsangehörigkeit (deutsch, ausländisch, gemischt),<br />
bei allein Erziehenden <strong>und</strong> Einpersonenhaushalten auch nach Geschlecht,<br />
Familienstand <strong>und</strong> Alter <strong>und</strong> bei den erweiterten Kernfamilien <strong>und</strong> den<br />
Wohngemeinschaften mit <strong>und</strong> ohne Kinder auch nach Zahl der Generationen<br />
differenziert. So entsteht ein sehr detailliertes Bild über die verschiedenen<br />
Haushaltstypen <strong>und</strong> ihre je eigenen Charakteristika (Härle 1993: 26 ff.). Anschließend<br />
wird die Verbreitung der Haushalte <strong>und</strong> Haushaltstypen im Stadtgebiet in den Blick<br />
genommen (Härle 1993: 42 ff.).<br />
Der Wiesbadener Bericht führt eindrucksvoll vor Augen, welche Zuordnungen <strong>und</strong><br />
Verknüpfungen bereits mit dem Vorgängerverfahren von HHGen möglich waren.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 176<br />
8.4.4. Fazit <strong>und</strong> Perspektive<br />
Anhand der in den untersuchten fünf Berichten präsentierten Ergebnisse der<br />
Haushaltsgenerierung wird deutlich, welche Chancen das Verfahren HHGen bietet, um<br />
den kommunalen Informationsbedarf bezüglich Zahl <strong>und</strong> Struktur der Haushalte einer<br />
Kommune decken zu können. Die Ergebnisse sind allesamt kleinräumig abbildbar. Es<br />
lassen sich Aussagen über die Zahl <strong>und</strong> durchschnittliche Größe der Haushalte treffen<br />
sowie Differenzierungen nach Anzahl der Haushaltsmitglieder, Haushaltstyp,<br />
Staatsangehörigkeit, Anzahl der Kinder <strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>sphasen im Haushaltszyklus<br />
vornehmen. Außerdem können hinsichtlich der einzelnen Haushaltsmitglieder<br />
Auswertungen zu deren demografischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht <strong>und</strong><br />
Nationalität durchgeführt werden.<br />
Die Ergebnisse in den Berichten haben jedoch auch die Unzulänglichkeiten des<br />
Verfahrens offen gelegt. So sollte vor allem eine Optimierung hinsichtlich des<br />
Erkennens nicht ehelicher Lebensgemeinschaften durch das Verfahren angestrebt<br />
werden. Eine Verbesserung von HHGen im Hinblick auf die Identifikation nicht ehelicher<br />
Lebensgemeinschaften bei unterschiedlichem Einzugsdatum in die jetzige Wohnung<br />
scheint jedoch wenig realistisch.<br />
Verbesserungsbedürftig bei der Darstellung der Ergebnisse scheint vor allem die<br />
Abbildung der Haushalte in Form verschiedener Haushaltstypen. Die in Lübeck<br />
(Bender/ Soike 2002) verwendete Klassifizierung der Haushalte mittels fünf Typen greift<br />
in jedem Fall zu kurz, aber auch mit den im Nürnberger Bericht (Lux-Henseler 2001a)<br />
dargestellten zwölf Haushaltstypen oder den vergleichsweise detaillierten Ausführungen<br />
im Wiesbadener Bericht (Härle 1993), die man hier als Beispiele für „good practice“<br />
anführen kann, sind die bestehenden Möglichkeiten noch nicht voll ausgeschöpft.<br />
Kombiniert man die beiden Darstellungen, käme man zu folgender Typisierung:<br />
• Einpersonenhaushalte,<br />
• Ehepaare, keine Kinder, keine weitere Person,<br />
• Ehepaare, keine Kinder, mindestens eine weitere Person,<br />
• Ehepaare, ein Kind, keine weitere Person,<br />
• Ehepaare, ein Kind, mindestens eine weitere Person,<br />
• Ehepaare, zwei Kinder, keine weitere Person,
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 177<br />
• Ehepaare, zwei Kinder, mindestens eine weitere Person,<br />
• Ehepaare, drei <strong>und</strong> mehr Kinder, keine weitere Person,<br />
• Ehepaare, drei <strong>und</strong> mehr Kinder, mindestens eine weitere Person<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, keine Kinder, keine weitere Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, keine Kinder, mindestens eine weitere<br />
Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, ein Kind, keine weitere Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, ein Kind, mindestens eine weitere<br />
Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, zwei Kinder, keine weitere Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, zwei Kinder, mindestens eine weitere<br />
Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, drei <strong>und</strong> mehr Kinder, keine weitere<br />
Person,<br />
• Paare in nicht ehelicher Lebensgemeinschaft, drei <strong>und</strong> mehr Kinder, mindestens<br />
eine weitere Person,<br />
• allein Erziehende, ein Kind, keine weitere Person,<br />
• allein Erziehende, zwei Kinder, keine weitere Person,<br />
• allein Erziehende, drei <strong>und</strong> mehr Kinder, keine weitere Person,<br />
• sonstigen Mehrpersonenhaushalten ohne Kinder (z.B. Wohngemeinschaften),<br />
• sonstige Mehrpersonenhaushalte mit Kindern<br />
Damit käme man auf eine Maximalversion von 22 Haushaltstypen, die sich mit Hilfe des<br />
Verfahrens abbilden lassen. Unter Einbezug der Möglichkeit, weitere Verknüpfungen<br />
herzustellen, z.B. mit der Staatsangehörigkeit (in Beantwortung der Frage, ob im<br />
Haushalt nur Deutsche, nur AusländerInnen oder beide leben), käme man so zu sehr<br />
differenzierten Darstellungen der Struktur der Privathaushalte vor Ort <strong>und</strong> könnte<br />
dadurch Antworten auf spezifische Fragestellungen, die die binnenstrukturell bedingten<br />
Bedarfe der jeweiligen Haushalte betreffen, finden. Zu überlegen wäre auch, ob man<br />
nicht zusätzlich eine weitergehende Gliederung der Haushaltstypen nach der jeweiligen<br />
<strong>Entwicklung</strong>sphase des Haushalts vornimmt. Die Abbildungen nach<br />
<strong>Entwicklung</strong>sphasen anhand des Haushaltszyklus in den untersuchten Praxisbeispielen<br />
konnten jedoch nicht gänzlich überzeugen. Wie detailliert die Gliederung nach
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 178<br />
Haushaltstypen ausfallen sollte, liegt letztlich im Erkenntnisinteresse der jeweiligen<br />
Kommune <strong>und</strong> hängt zweifellos auch von der entsprechenden Größe der Kommune ab.<br />
Eine große Chance des Haushaltsgenerierungsverfahrens liegt in der Erstellung von<br />
Zeitreihen. Vergleiche der Daten aus dem Haushaltsgenerierungsverfahren mit denen<br />
anderer Erhebungen, wie beispielsweise der Volkszählung 1987, verbieten sich<br />
methodisch. Die Tatsache, dass Einflussfaktoren wie die tatsächlichen Veränderung,<br />
die inkompatible Datengr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Unzulänglichkeiten im Generierungsverfahren<br />
miteinander konkurrieren, sich teilweise gegenseitig verstärken oder auch<br />
kompensieren, macht eine vergleichende Betrachtung unmöglich. Bei einem<br />
kontinuierlichen Einsatz des Verfahrens mit einheitlicher Datengr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong><br />
konstanter Vorgehensweise lassen sich jedoch die realen Veränderungen hinsichtlich<br />
der Zahl <strong>und</strong> Struktur der Haushalte nachzeichnen (Härle 1993: 51). Ein erstes Beispiel<br />
für die Umsetzung einer solchen Zeitreihe liefert Nürnberg (Lux-Henseler 2001b).<br />
Besonders interessant für die Kommunen ist aus sozialplanerischer Sicht die<br />
Möglichkeit, zu Aussagen über die zukünftige <strong>Entwicklung</strong> der Haushalte zu gelangen.<br />
Hier ist ein noch relativ neues KOSIS-Projekt namens „SIKURS“ zu nennen, das sich<br />
damit beschäftigt, wie man in Verbindung der Haushaltsgenerierungsergebnisse mit<br />
einer Bevölkerungsprognose eine Haushaltsprognose rechnen kann. Die<br />
Vorbereitungen sind so weit fortgeschritten, dass ein gesamtstädtisches Verfahren in<br />
die Testphase gehen kann. Die <strong>Entwicklung</strong> einer kleinräumigen Haushaltsprognose<br />
wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen (Lux-Henseler 2001a; Stadt Münster<br />
2004: 34).<br />
Eine besondere Herausforderung, der sich das Programm HHGen zu stellen hat, ist der<br />
Wandel der Lebensformen. Stichworte wie „Patchwork-Familien“, „Singles“, „Ein-Eltern-<br />
Familien“, „binukleare Familiensysteme“ oder „Living apart together“ beherrschen die<br />
entsprechende Diskussion. Es bedarf daher umfassender <strong>und</strong> gesicherter<br />
Informationen über diese nicht konventionellen Lebensformen jenseits der<br />
„Normalfamilie“ (Heidenreich/ Nöthen 2002: 26). Dass dies nicht nur auf<br />
gesamtgesellschaftlicher Ebene, sondern auch für den kommunalen Bereich gilt, haben<br />
einige Kommunen bereits erkannt (vgl. Härle 1993: 20 f.). Diese Lebensformen stellen<br />
mit ihren je eigenen Bedarfen spezifische Anforderungen an die Sozial-, Infrastruktur-
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 179<br />
<strong>und</strong> Wohnungspolitik vor Ort. Daher ist eine ständige Weiterentwicklung <strong>und</strong><br />
Anpassung des Haushaltsgenerierungsverfahrens an die sich vollziehenden<br />
gesellschaftlichen Veränderungen sowie eine kontinuierliche Evaluierung der mit dem<br />
Programm erzielten Ergebnisse <strong>und</strong> ein Abgleich mit der Lebenswirklichkeit erforderlich.<br />
Es bleibt zu konstatieren, dass das Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen eine<br />
Möglichkeit darstellt, um auf kommunaler Ebene zu Aussagen über Zahl <strong>und</strong> Struktur<br />
der Haushalte zu gelangen, die für die Planung in vielen Bereichen der Kommune<br />
unerlässlich sind. Das Programm stößt in seinen Abbildungsmöglichkeiten jedoch<br />
spätestens dann an seine Grenzen, wenn soziale Beziehungen Haushaltsgrenzen<br />
überschreiten. In diesen Zusammenhang sei auf die sogenannte „multilokale<br />
Mehrgenerationenfamilie“ (Bertram 2000) verwiesen. Die Annahme, dass das Vorliegen<br />
bestimmter Haushaltsformen, wie zu Anfang erwähnt (Kap. 8.4.1.), bestimmte<br />
kommunale Hilfebedarfe impliziert, gilt nur insoweit, als man <strong>haushalts</strong>übergreifende<br />
Netzwerkleistungen bei dieser Betrachtung ausspart. Letztlich können die Ergebnisse<br />
der Haushaltsgenerierung in ihrer Generalität nie die höchst spezifischen Situationen<br />
der einzelnen Privathaushalte abbilden.<br />
Außerdem muss man darauf hinweisen, dass mit dem vorgestellten<br />
Haushaltsgenerierungsverfahren der Mangel an Haushaltsdaten lediglich im Bereich<br />
der Bevölkerungsstatistik kompensiert werden kann, während sich ein Haushaltsbezug<br />
innerhalb anderer Themengebiete wie Ges<strong>und</strong>heit, Bildung usw. damit nicht herstellen<br />
lässt.<br />
8.5. Sozialraumorientierung<br />
Veröffentlichungen zu Sozialraum <strong>und</strong> Sozialraumorientierung erleben derzeit – vor<br />
allem in der sozialarbeiterischen Praxis, aber auch in der wissenschaftlichen Diskussion<br />
– einen ungeheuren Boom. Sozialräumliche Abbildungsansätze sind zunehmend auch<br />
Bestandteil kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung.<br />
Von besonderer Relevanz für die kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung ist<br />
die Sozialraumdefinition des Vereins für Sozialplanung (VSOP): “Sozialraum ist<br />
Lebensraum, Quartier, Heimat, der soziale Mikrokosmos, in dem sich globale
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 180<br />
gesellschaftliche <strong>Entwicklung</strong>sprozesse <strong>und</strong> Versäumnisse widerspiegeln <strong>und</strong> brechen”<br />
(VSOP 1998: 1). Ausgangspunkt des Sozialraumbegriffs ist also die Annahme, dass<br />
sich soziale Strukturen <strong>und</strong> soziale Beziehungen in räumlichen Strukturen<br />
widerspiegeln (Baisch-Weber 2002: 80; Schröder 2003: 17).<br />
8.5.1. Methoden der Sozialraumanalyse<br />
Abb. 16:<br />
Methodische Ansätze in der Sozialraumanalyse<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
top<br />
down<br />
gesamtstädtisch /<br />
teilstädtisch<br />
bottom<br />
up<br />
quantitativ /<br />
qualitativ<br />
Innerhalb der Sozialraumanalyse lassen sich die methodischen Ansätze nach gesamt<strong>und</strong><br />
teilstädtisch bzw. “top down” <strong>und</strong> “bottom up” unterscheiden, mit dem Ziel Städte<br />
oder Stadtteile untereinander komparativ, relational oder dynamisch zu vergleichen<br />
(Riege/ Schubert 2002: 37 ff.; Hamm 1984: 283; Schröder 2003: 19). Quer dazu stehen<br />
quantifizierende <strong>und</strong> qualitative Sozialraumanalysen. Quantifizierende Analysen zielen<br />
darauf ab, demografische, sozialstrukturelle <strong>und</strong> ökonomische Dimensionen auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage mathematisch <strong>und</strong> statistisch nachvollziehbarer Verfahren in Form von<br />
Kennziffern zu identifizieren. Quellen sind i.d.R. lokale Statistiken. Qualitative Analysen<br />
entziehen sich quantifizierenden Zugängen <strong>und</strong> fragen nach Handlungs- <strong>und</strong><br />
Lebensbewältigungsstrategien, Bedürfniskonstellationen sowie sozialräumlich<br />
geprägten Sozialisationswirkungen. Methodisch erschließen sich diese Informationen
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 181<br />
im Bereich der Jugendhilfeplanung vor allem über direkte 120 <strong>und</strong> indirekte<br />
Beteiligungsformen (Baisch-Weber 2002: 98 ff.).<br />
Der gesamtstädtische Ansatz hat komplementären Charakter <strong>und</strong> will primär städtische<br />
Teilräume miteinander vergleichen. Der teilstädtische Ansatz dagegen zielt auf die<br />
tiefenscharfe Untersuchung der Strukturen innerhalb <strong>eines</strong> bestimmten Bezirks <strong>und</strong><br />
kann auf mehreren Ebenen analysiert <strong>und</strong> mit der personalen Handlungsebene oder<br />
der übergeordneten Makro- bzw. Mesoebene 121 verknüpft werden. Der<br />
gesamtstädtische Ansatz basiert auf dem klassischen humanökologischen Modell. Im<br />
Rahmen kommunaler Sozialberichterstattung werden in der Regel<br />
bevölkerungsstatistische <strong>und</strong> sozioökonomische Merkmale herangezogen auf der Basis<br />
kommunaler Verwaltungs- oder Geschäftsstatistiken. Ziel ist es meist, Teilräume<br />
voneinander abzugrenzen <strong>und</strong> hinsichtlich der Merkmale <strong>und</strong> ihrer jeweiligen<br />
besonderen Probleme zu vergleichen, um daraus Handlungs- <strong>und</strong> Interventionsbedarf<br />
zu formulieren. Im teilstädtischen Ansatz wird zusätzlich das Verhalten in Räumen<br />
analysiert wie z.B. die alltäglichen Nutzungsmuster, die Aktionsradien oder<br />
Aktionsräume zwischen Wohnungen <strong>und</strong> Infrastrukturgelegenheiten (Riege/ Schubert<br />
2002: 41). Sozialräumlich orientierte Lebensweltanalysen versuchen die Sichtweisen,<br />
Deutungen, Handlungsweisen <strong>und</strong> Interessen der Bewohnerschaft unter dem<br />
Blickwinkel besonderer sozialräumlicher Bedingungen aufzuzeigen. Methodisch eignen<br />
sich hierzu beispielsweise (strukturierte) Stadtteil-Begehungen, Nadelprojekte 122 ,<br />
Cliquenraster 123 , die Burano-Methode 124 oder Institutionenbefragungen (Deinet/ Krisch<br />
2002: 134 ff.).<br />
120 Direkte Beteiligung bedeutet, dass alle potentiell <strong>und</strong>/oder faktisch Betroffenen sich an Planungs- <strong>und</strong><br />
Entscheidungsprozessen <strong>und</strong> deren Umsetzung beteiligen können. Indirekte Beteiligung meint die<br />
Repräsentanz von Betroffeneninteressen durch (gewählte) RepräsentantInnen, Gruppen oder so<br />
genannte AnwältInnen (Feuerbach 2003: 272).<br />
121 Hamm gebraucht die Begriffe Makro- <strong>und</strong> Mesoebene im Zusammenhang von “Verflechtungen mit<br />
anderen Einheiten”, wie z.B. Regionen, Ländern oder Personen (Hamm 1984: 285).<br />
122 Aktivierende Methode, bei der von bestimmten Zielgruppen verschiedenfarbige Nadeln auf<br />
Stadtteilkarten gesteckt werden, um bestimmte Orte zu bezeichnen (Deinet/ Krisch 2002: 138)<br />
123 Cliquenraster dienen der Erforschung von Lebenslagen <strong>und</strong> Lebensstilen von Jugendcliquen innerhalb<br />
<strong>eines</strong> bestimmten Stadtteils (Deinet/ Krisch 2002: 139).<br />
124 Die Burano-Methode ist eine Anfang der 1970er Jahre von deutschen UrlauberInnen auf der<br />
italienischen Insel Burano entwickelte Stadtbeobachtungsmethode zur Beurteilung der<br />
Kommunikationsdichte als Indikator für Lebensqualität. Dabei wird davon ausgegangen, dass neben<br />
wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Gesichtspunkten insbesondere baulich-ästhetische Merkmale die<br />
Kommunikation <strong>und</strong> damit die Lebensqualität beeinflussen (Burano-Gruppe 2002).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 182<br />
Tab. 21: Gesamt- <strong>und</strong> teilstädtische Ansätze der Sozialraumanalyse<br />
Ansatz Gesamtstädtischer<br />
(humanökologischer) Ansatz<br />
Teilstädtischer Ansatz<br />
Charakteristikum Abgrenzung der Sozialräume<br />
“nach außen”<br />
Differenzierung der Sozialräume<br />
“nach innen”<br />
Ziel Profilerstellung zur Ableitung Charakterisierung subjektiver<br />
besonderer Handlungs- <strong>und</strong><br />
Interventionsbedarfe<br />
Verhaltens-, Wahrnehmungsoder<br />
Nutzungsräume<br />
Methode Analyse quantitativer<br />
Quantitativer <strong>und</strong> qualitativer<br />
Aggregatdaten z.B.<br />
Datenzugang z.B. Aktionsraum-,<br />
Sozialraumanalyse nach Shevky/ Milieu- <strong>und</strong> Lebensweltanalysen,<br />
Bell<br />
Buranomethode, Soziografie,<br />
Fotoprojekte <strong>und</strong><br />
Stadtteilbegehungen etc.<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Riege/ Schubert 2002: 38<br />
Zur physischen Abgrenzung von Teilräumen wird beim gesamtstädtischen Ansatz i.d.R.<br />
auf die kommunalen Verwaltungsräume zurückgegriffen, auf denen die jeweils<br />
herangezogenen Geschäfts- oder Verwaltungsstatistiken basieren (Wahlbezirke,<br />
statistische Bezirke). Beim teilstädtischen Ansatz hingegen ist der physische Raum<br />
nicht unbedingt vorgegeben <strong>und</strong> kann gesetzt werden. Diese “Setzung” orientiert sich<br />
an topografischen <strong>und</strong> baulichen Bedingungen wie räumlichen Grenzen (Flüssen oder<br />
Bahnlinien), Erreichbarkeitsbedingungen, funktionalen Flächennutzungen (Wohngebiete,<br />
Gewerbegebiete <strong>und</strong> Mischflächen), Verkehrswegen <strong>und</strong> symbolischen<br />
Identifikationspunkten (z.B. Kirchtürme, (un)belebte Orte oder Hanglagen). Auf der<br />
Gr<strong>und</strong>lage dieser physischen Raumabgrenzung wird in einem zweiten Schritt analysiert,<br />
ob die sozialen Merkmale mit den physischen Merkmalen korrespondieren<br />
(Unterscheidet sich die Bevölkerungsstruktur von Wohngebieten in Autobahnnähe von<br />
denjenigen in Waldnähe oder der Einfamilienhausquartiere von denjenigen mit<br />
Geschosswohnungsbau?). Weil zur Analyse der Übereinstimmung oder Abweichung<br />
von sozialer <strong>und</strong> räumlicher Korrespondenz auf administrative Aggregatdaten<br />
zurückgegriffen werden muss <strong>und</strong> diese nicht immer mit den physischen<br />
Raumstrukturen übereinstimmen, macht eine solche Vorgehensweise nur dann Sinn,<br />
wenn eine weitestgehende Übereinstimmung von Verwaltungseinheiten <strong>und</strong><br />
vorfindlichen physischen Räumen vorliegt (Riege/ Schubert 2002: 40). Eine<br />
kleinräumigere Untergliederung auf der Ebene von Stadtbezirken <strong>und</strong> Blöcken kann<br />
sich daran anschließen.<br />
Schließlich lassen sich “Top-Down”- <strong>und</strong> “Bottom-up”-Untersuchungsdesigns<br />
unterscheiden. Prinzip des Bottom-Up-Verfahrens ist eine Raumabgrenzung, die nicht
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 183<br />
durch PlanerInnen oder “Routinen des administrativen Handelns” (Riege/ Schubert<br />
2002: 42) erfolgt, sondern durch die ortsansässige Wohnbevölkerung bzw. durch die<br />
weiteren lokalen AkteurInnen, wie Einzelhandel oder Kindertagesstätte oder<br />
Jugendtreff. Dahinterstehendes Argument ist, dass ein Sozialraum von der Mehrheit der<br />
ansässigen Wohnbevölkerung als ihr “Kiez”, ihr “Viertel” wahrgenommen wird <strong>und</strong><br />
daher nicht von PlanerInnen oder bestehenden Verwaltungsbezirken definiert <strong>und</strong><br />
abgegrenzt werden kann. Wenn Sozialraum als Ort der (positiven wie negativen)<br />
Identifikation für die Heranwachsenden begriffen wird, spielen die Jugendlichen bei der<br />
Raumabgrenzung eine zentrale Rolle (Schröder 2003: 19). Ferner sind nicht nur die<br />
Defizite, sondern auch die Potentiale einzelner Sozialräume bei der Raumanalyse <strong>und</strong><br />
Raumabgrenzung von Bedeutung. Allerdings sind diese komplexeren “Bottom-Up”-<br />
Untersuchungsdesigns seltener vorzufinden, weil sie mit intensiverem Zeit- <strong>und</strong> damit<br />
Kostenbedarf verb<strong>und</strong>en sind (Riege/ Schubert 2002: 42). Bei Top-Down-Verfahren<br />
hingegen erfolgt die Raumabgrenzung nach administrativen, pragmatischen<br />
Gesichtspunkten. Sie ist daher das gängige Verfahren in der kommunalen<br />
Sozialberichterstattung.<br />
Tab. 22: “Top-Down”- <strong>und</strong> “Bottom-Up”-Ansätze der Sozialraumanalyse<br />
Ansatz “bottom up” “top down”<br />
Charakteristikum Orientierung an Defiziten <strong>und</strong><br />
Potentialen einzelner<br />
Sozialräume<br />
Ziel Raumabgrenzung erfolgt durch<br />
ortsansässige Bevölkerung <strong>und</strong><br />
lokale AkteurInnen<br />
4qualitativer Ansatz<br />
Methode hoher Zeit- <strong>und</strong> Kostenbedarf<br />
durch aufwändige Befragungen<br />
4wird selten umgesetzt<br />
Orientierung an “Routinen<br />
administrativen Handelns”<br />
Raumabgrenzung erfolgt durch<br />
PlanerInnen<br />
4quantifizierender Ansatz<br />
Zeit- <strong>und</strong> Kostenersparnis<br />
durch pragmatisches Vorgehen<br />
4wird meist umgesetzt.<br />
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Riege/ Schubert 2002: 42 <strong>und</strong> Schröder 2003:19<br />
8.5.2. Die Bedeutung der Sozialraumorientierung für die Sozialberichterstattung<br />
Die Analyse sozialer Räume ist eine wesentliche Gr<strong>und</strong>lage für Sozial- <strong>und</strong><br />
Jugendhilfeplanung <strong>und</strong> Kennzeichen integrierter Sozialberichterstattung (vgl. Lutz<br />
2002 <strong>und</strong> Kap. 8.6.). Sozialraumanalysen zielen darauf ab, verschiedene Sozialräume<br />
in ihrer <strong>Entwicklung</strong>, in ihren Potentialen <strong>und</strong> Defiziten zu analysieren <strong>und</strong> zu<br />
vergleichen. Unabhängig davon, ob nachfolgende Entscheidungen über<br />
Infrastruktureinrichtungen <strong>und</strong> ihre Standorte, Projektvorhaben <strong>und</strong>
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 184<br />
Personalentscheidungen oder Budgetierungsmaßnahmen etc. im Einzelfall von allen<br />
AkteurInnen begrüßt werden oder nicht: Sozialraumanalysen sind in jedem Fall die<br />
zentrale Argumentations- <strong>und</strong> Entscheidungsgr<strong>und</strong>lage für die weitere Planung (VSOP<br />
1998: 5). Im Folgenden geht es um die Frage, welcher kommunale Nutzen aus<br />
kleinräumigem Vorgehen gezogen werden kann. Von Interesse ist weiterhin, inwiefern<br />
(sozial-)raumorientiertes Vorgehen in der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung eine<br />
konzeptionelle Rolle spielt, welche Methoden der Raumabgrenzung <strong>und</strong> Raumanalyse<br />
gewählt werden (Begründung), wo die Schwierigkeiten bei der Vereinheitlichung von<br />
Räumen liegen <strong>und</strong> auf welche Indikatoren sich Raumprofile <strong>und</strong> Ranking-Verfahren<br />
letztlich stützen. Schließlich wird auch die Ergebnisdarstellung – meist in Form von<br />
thematischen Karten – in den Blick genommen unter der Fragestellung, welchen<br />
Wahrheitsgehalt Karten aufweisen. Zum Schluss findet sich ein Vorschlag zur<br />
optimierten Vorgehensweise bei der Initiierung sozialräumlicher Berichterstattung.<br />
8.5.2.1. Zielsetzung <strong>und</strong> sozialplanerischer Nutzen<br />
Kommunale Berichte begründen ihre kleinräumige Vorgehensweise unterschiedlich. Zu<br />
unterscheiden sind prinzipielle Ziele allgemeinerer Art sowie konkrete Nennungen des<br />
kommunalen <strong>und</strong> sozialplanerischen Nutzens. Als allgemeine Ziele kleinräumigen<br />
Vorgehens werden zum Beispiel genannt: „Bezugs- <strong>und</strong> Orientierungsrahmen“ für die<br />
Sozialarbeit <strong>und</strong> -verwaltung zur „Bewertung der Situation in den Stadtteilen“ (Bielefeld<br />
2002: 188), „Datenabgleich“ (Darmstadt 1995), „Problemlagen im Raum fokussieren“<br />
(Berlin 1999: 5), „Bewertung des sozialen Status von Stadtteilen <strong>und</strong> Ortschaften im<br />
gesamtstädtischen Vergleich nach ausgewählten Indikatoren“ sowie Aufzeigen der<br />
„Verdichtung von sozialen Problemlagen“ (Erfurt 2001: 108 f.). Zielformulierungen<br />
können entweder defizitorientiert oder ressourcenorientiert formuliert sein, z.B. wie folgt:<br />
„Schließlich geht es auch um die Frage, ob <strong>und</strong> in welcher Weise eine solche<br />
Konzentration benachteiligter Personengruppen die soziale Stabilität der betreffenden<br />
Gebiete gefährdet“ (Frankfurt 2002: 9) oder „Ziel ist die Ermittlung von Ressourcen <strong>und</strong><br />
Potentialen nachbarschaftlicher Hilfen, sozialer Netzwerke <strong>und</strong> bürgerschaftliches<br />
Engagement in den Quartieren“ (Bielefeld 2001: 185).<br />
Der kommunale <strong>und</strong> sozialplanerische Nutzen kleinräumigen Vorgehens wird wie folgt<br />
benannt:
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 185<br />
• sozialräumliche Gliederung zur Nutzung in nahezu allen Planungsbereichen für<br />
fachliche <strong>und</strong> politische Diskussionen <strong>und</strong> Konzeptentwürfe (z.B. Düsseldorf 2001:<br />
5),<br />
• Planung sozialer Dienstleistungen, Personalbedarfsplanung (z.B. Darmstadt 1995),<br />
• „Ermittlung besonderer Bedarfsgruppen <strong>und</strong> vorrangiger Räume, denen in Zeiten<br />
knapper Finanzmittel in erster Linie Unterstützung zukommen sollte“ (z.B. Bielefeld<br />
2001: 185),<br />
• Bekämpfung der Bedingungsfaktoren für soziale Ungleichheit,<br />
• Aufwertung von Wohngebieten durch Ausbau <strong>und</strong> Verbesserung der lokalen<br />
Infrastruktur <strong>und</strong> Freizeiteinrichtungen,<br />
• Förderung der lokalen Identifikation der StadtteilbewohnerInnen,<br />
• Ausloten, welche Projektmaßnahmen dazu am besten geeignet sind (Bielefeld<br />
2001: 184),<br />
• Verdeutlichung unterschiedlicher Versorgungsgrade der sozialen Infrastruktur,<br />
insbesondere Erreichbarkeit, Umfang <strong>und</strong> Qualität,<br />
• Nutzung der Erkenntnisse über die Verteilung sozialer Belastungen für<br />
Budgetierungsmodelle,<br />
• Evaluation gezielter Sozialinterventionen in den einzelnen Sozialräumen,<br />
• Nutzung des kleinräumigen Gliederungsprinzips für weitere Berichtsvorhaben,<br />
Wohnungsmarktanalysen, Jugendhilfeplanung, Anträge auf Landesförderung etc.<br />
(Düsseldorf 2001: 8).<br />
Sehr konkret benennt der Bielefelder Bericht den kommunalen Nutzen <strong>und</strong> betont vor<br />
allem auch die unerwünschten Konsequenzen, die Segregation für die Kommune haben<br />
kann: die Bausubstanz verfällt, die Bodenpreise sinken, Firmen wandern ab, weniger<br />
Unternehmen siedeln sich an, die Stadt verliert Arbeitsplätze etc. „Haben sich<br />
Segregationsprozesse erst stabilisiert, reproduzieren <strong>und</strong> stabilisieren sie auch die<br />
sozialen Problemlagen – mit der Konsequenz steigender sozialer <strong>und</strong> finanzieller<br />
Kosten“ (Bielefeld 2001: 184).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 186<br />
8.5.2.2. Großräumig – kleinräumig – sozialräumlich<br />
In der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung sind großräumige,<br />
kleinräumige <strong>und</strong> sozialräumliche Berichte zu unterscheiden. Als großräumig werden<br />
Berichte bezeichnet, die keinerlei Ergebnisse unterhalb des gesamtstädtischen Gebiets<br />
abgebildet, also z.B. auf Stadtteilebene 125 . Als kleinräumig bezeichnen wir die Berichte,<br />
die bestehende Planungs- <strong>und</strong> Verwaltungsgebiete nutzen, um ausgewählte<br />
Ergebnisse unterhalb der Stadtgebietsebene darzustellen. Die Zuordnung zum<br />
Berichtstyp „kleinräumig“ erfolgte, wenn<br />
a) mindestens ein Indikator unterhalb der Stadtgebietsebene, also in der Regel auf<br />
Stadtteilebene, dargestellt wurde <strong>und</strong><br />
b) die Raumabgrenzung pragmatisch nach Planungsräumen bzw. statistischen<br />
Gebieten erfolgte.<br />
Demzufolge liegt Kleinräumigkeit bereits vor, wenn es innerhalb des Berichts ein<br />
Kapitell über die „Verteilung der Sozialhilfeempfänger im Stadtgebiet“ gibt (z.B.<br />
Magdeburg 2002). Kleinräumig sind auch die Stadtteilberichte, die sich einen Teilraum<br />
herausgreifen <strong>und</strong> nach ganz bestimmten Gesichtspunkten (also nach innen)<br />
analysieren (z.B. Ludwigshafen 2001a <strong>und</strong> b <strong>und</strong> 2002 oder Mannheim 2000b).<br />
Sozialräumliche Berichte schließlich lösen sich von den bestehenden Planungsgebieten<br />
<strong>und</strong>/oder ziehen nicht ausschließlich Verwaltungsbezirke heran bzw. haben eine<br />
Neukonzeption von Räumen nach sozialräumlichen Gesichtspunkten vorgenommen<br />
(zur Raumabgrenzung bei Sozialräumlichkeit vgl. Kap. 8.5.2.3.).<br />
Tab. 23:<br />
Raumorientierung in kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten<br />
großräumig kleinräumig sozialräumlich<br />
Insgesamt 39 66 3<br />
Davon … bis 1999 19 31 2<br />
… ab 2000 20 35 1<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
125 Hierin eingeflossen sind auch Landkreisberichte. „Kleinräumigkeit“ ist bei diesen Berichten relativ, weil<br />
Kleinräumigkeit sich in diesen Berichten bereits unterhalb der Kreisebene abspielt, also meist auf<br />
Gemeindeebene. Landkreisberichte werden daher den großräumigen Berichten zugeordnet.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 187<br />
39 der uns vorliegenden 108 Berichte gehen großräumig vor. Einem kleinräumigen<br />
Berichtsprinzip folgen 66 Berichte. Nur drei der 108 Berichte 126 sind als „sozialräumlich<br />
zu bezeichnen. Ausgehend von der Hypothese, dass Raumorientierung insbesondere<br />
seit den 1990er Jahren eine konzeptionelle Rolle spielt (seit Einführung des KJHG <strong>und</strong><br />
der Diskussion um Sozialraumorientierung als sozialarbeiterisches Handlungsprinzip),<br />
ließe sich Großräumigkeit insbesondere in den 1980er Jahren <strong>und</strong> Kleinräumigkeit<br />
insbesondere seit den 1990er Jahren vermuten. Dem ist aber nicht so: Über die Hälfte<br />
der großräumigen Berichte (20 von 39) wurden noch in den 2000er Jahren verfasst.<br />
Umgekehrt ist ca. die Hälfte der kleinräumig angelegten Berichte (31 der 66) bereits in<br />
den 1980er <strong>und</strong> 1990er Jahren entstanden. Im Unterschied zum Lebenslagenansatz,<br />
der einer bestimmten Epoche zugeordnet werden kann, weil er vor allem seit Mitte der<br />
1990er Jahre „en vogue“ ist, kann Kleinräumigkeit als Berichtsprinzip folglich keinen<br />
bestimmten Jahrgängen zugeordnet werden.<br />
Ungeachtet der Definition <strong>und</strong> des theoretischen Bezugs sprechen zahlreiche<br />
BerichterstatterInnen vom „Sozialraum“, greifen aber faktisch auf statistische Bezirke<br />
zurück. In Darmstadt z.B. wurden sogenannte „Sozialplanungsräume“ bestimmt, die<br />
mehrere statistische Bezirke umfassen. Ein statistischer Bezirk wiederum entspricht hier<br />
einem Sozialraum (Darmstadt 1995: 18). Beim Bezirksamt Pankow wurden<br />
„Sozialräume“ festgelegt, die identisch sind mit den statistischen Gebieten (Berlin 2000:<br />
17) (vgl. auch Viersen 1999: 3 oder Bad Vilbel 1996 <strong>und</strong> 2002).<br />
Weiterhin überrascht nicht, dass im Wesentlichen gesamtstädtische Ansätze zur<br />
Profilerstellung von Stadtteilen <strong>und</strong> Ableitung lokaler Interventionsbedarfe gewählt<br />
werden. Aus Pragmatismus wird zur Raumabgrenzung i.d.R. „top-down“ auf<br />
„administrative Räume“ zurückgegriffen. Kleinräumigkeit spielt sich daher überwiegend<br />
auf der Ebene von Planungsgebieten, Verwaltungsbezirken etc. ab. Landkreisberichte<br />
oder überregionale Berichte sind hiervon ausgenommen, denn „Kleinräumigkeit“ wird<br />
hier bereits auf der Ebene von einzelnen Gemeinden begriffen. Kleinräumig sind<br />
letztlich auch Stadtteilberichte, die sich einen Teilraum/Stadtteil herausgreifen <strong>und</strong><br />
hinsichtlich ganz bestimmter Fragestellungen „nach innen“ analysieren (z.B.<br />
Ludwigshafen 2001a, b <strong>und</strong> 2002 oder Mannheim 2000b).<br />
126 Düsseldorf 1998 (<strong>und</strong> Fortschreibung 2001), Wetzlar 1998 <strong>und</strong> Wiesbaden 2001b
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 188<br />
Ein Beispiel für die Kombination aus teil- <strong>und</strong> gesamtstädtischem Ansatz sind die<br />
Mannheimer Kinderberichte (2000a <strong>und</strong> b). Hierin wurden zunächst anhand <strong>eines</strong><br />
gesamtstädtischen Ansatzes kontrastierende Stadtteile sozialraumanalytisch<br />
abgegrenzt, um sie in einem zweiten Schritt in Form von teilstädtischen Befragungen<br />
nach innen zu charakterisieren. Ziel war es, „Aktionsräume von Kindern“ zu analysieren.<br />
Zu den gewählten Methoden zählen Begehungen, Fotodokumentationen,<br />
Materialrecherchen <strong>und</strong> Kinder- <strong>und</strong> ExpertInnenbefragungen (Mannheim 2000a: 69).<br />
Die Aktionsraumabgrenzung erfolgt hierbei „bottom up“, weil zusätzlich zu den<br />
ExpertInnen die ortsansässigen Kinder selbst befragt werden.<br />
Häufiger werden teil- <strong>und</strong> gesamtstädtische Ansätze auch miteinander kombiniert, wenn<br />
es darum geht, „Stadtteile mit besonderen Problemlagen“ vertiefend zu beschreiben.<br />
Solche teilstädtischen Berichte fungieren als argumentative Gr<strong>und</strong>lage zur Teilnahme<br />
an besonderen Förderprogrammen wie z.B. dem Programm „Soziale Stadt“ (z.B.<br />
Gießen 1999b).<br />
8.5.2.3. Raumbezug <strong>und</strong> Raumabgrenzung<br />
Bei Vorliegen des Prinzips „Kleinräumigkeit“ stellt sich die Frage des zu Gr<strong>und</strong>e<br />
liegenden Raumbezugs, der Raumabgrenzung sowie der Raumgröße.<br />
In der überwiegenden Mehrheit aller Berichte erfolgt Kleinräumigkeit aus Gründen des<br />
Pragmatismus <strong>und</strong> der Fortschreibungsfähigkeit auf der Ebene von sogenannten<br />
Planungsgebieten, Verwaltungseinheiten oder Gebietsflächengrenzen. Die räumliche<br />
Festlegung erfolgt nach Kriterien administrativer Intervention. Administrative<br />
Intervention meint: „verwaltungsmäßiges, institutionell organisiertes Handeln zum<br />
Zwecke des Eingreifens, der Intervention bei sozialen Problemen im individuellen <strong>und</strong><br />
familiären Bereich“ (Darmstadt 1995: 19). Diese Intervention erfolgt auf der Ebene von<br />
Planungsräumen, die in der Regel hierarchisch zueinander angeordnet sind <strong>und</strong> in<br />
Abhängigkeit vom B<strong>und</strong>esland oder der Größe der Kommune unterschiedlich benannt<br />
werden. In einem der Berliner Berichte beispielsweise erfolgt Kleinräumigkeit<br />
überwiegend auf „Verkehrszellenebene“. Die hierarchische Gliederung der<br />
Gebietsflächen verläuft über großräumige Bezirke, Ortsteile, statistische Gebiete,<br />
Verkehrszellen, Subverkehrszellen bis hin zu den kleinteiligsten Einheiten, den Blöcken
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 189<br />
(Berlin 1999: 218). Dass die Planungsräume in unterschiedlichen Städten trotz<br />
möglicherweise übereinstimmender Nomenklatur nicht vergleichbar sind, macht<br />
folgendes Beispiel deutlich: Der Raumbezug „Bezirk“ umfasst im Berliner Fall mehrere<br />
h<strong>und</strong>erttausend EinwohnerInnen, in einer Stadt in der Größenordnung von Mainz (ca.<br />
175.000 EinwohnerInnen) dagegen nur um die 1.000 EinwohnerInnen.<br />
Als Kernpunkt kommunalen administrativen Handelns gilt die Auszahlung der laufenden<br />
Hilfe zum Lebensunterhalt. Die Statistiken sind in fast allen Kommunen kleinräumig<br />
ausgewiesen <strong>und</strong> die Sozialhilfebetroffenheit wird daher in fast allen (kleinräumig<br />
vorgehenden) Berichten kleinräumig erfasst. Weitere Indikatoren anderer<br />
Lebenslagendimensionen werden nur vereinzelt, nicht systematisch <strong>und</strong> nur<br />
unregelmäßig kleinräumig abgebildet. Dafür gibt es zwei Ursachen:<br />
1. Weitere räumliche Bezugseinheiten lassen sich in der Regel nicht in die o.g.<br />
Gebietsflächengrenzen einfügen.<br />
2. Weitere kommunale Bezugseinheiten sind meist auch untereinander räumlich nicht<br />
deckungsgleich. Das trifft in der Praxis für folgende räumliche Einheiten häufig zu:<br />
• Wahlkreise,<br />
• Postleitzahlenbereiche,<br />
• Bereiche der kommunalen Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau,<br />
• Einschulungsbereiche,<br />
• Einzugsbereiche von Schuldnerberatungsstellen o.Ä.,<br />
• Finanzamtsbereiche,<br />
• Polizeireviere,<br />
• Altenhilfebezirke,<br />
• Arbeitsamtsbezirke,<br />
• Kindertagesstättenbezirke<br />
• Bezirke des Allgemeinen Sozialen Dienstes,<br />
• Einzugsbereiche der Jugendpflege etc.<br />
All diese Bezugseinheiten verfolgen ihre je eigene Logik <strong>und</strong> sind – gemessen an ihrer<br />
originären Zielsetzung – vermutlich sinnvoll abgegrenzt <strong>und</strong> durchdacht. Die Logik der<br />
Einschulungsbereiche z.B. liegt nicht darin, sozialräumlich voneinander abgrenzbare<br />
Schulbezirke zu schaffen, sondern Einzugsbereiche, Wohnortnähe <strong>und</strong> Schulkapazitäten<br />
aufeinander abzustimmen. Arbeitsamtsbezirke <strong>und</strong> Postleitzahlenbereiche sind
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 190<br />
nicht nach kommunalen Gesichtspunkten, sondern nach überregionalen Gesichtspunkten<br />
abgegrenzt.<br />
Diese Ungleichheit räumlicher Bezugseinheiten hat zur Konsequenz, dass sich einzelne<br />
Räume überschneiden <strong>und</strong> einzelne Räume über die kommunalen Grenzen<br />
hinausgehen können (z.B. Postleitzahlenbereiche oder Arbeitsamtsbezirke) oder – im<br />
ungünstigsten Fall – sogar innerhalb <strong>eines</strong> Berichtszeitraums ihre räumliche<br />
Abgrenzung ändern können. Wahlkreise beispielsweise können von Wahl zu Wahl<br />
variieren, um die Zahl der Wahlberechtigten anzugleichen (Berlin 1999: 218).<br />
Tatsache ist außerdem, dass bei Weitem nicht alle relevanten Informationen<br />
kleinräumig erfasst werden, sondern sich häufig auf einen Großraum beziehen, der<br />
nicht zwangsläufig deckungsgleich mit dem städtischen Raum sein muss. Dies betrifft<br />
insbesondere die Arbeitslosenstatistik, die sich auf Arbeitsamts- bzw. Hauptamtsbezirke<br />
bezieht. Diese Bezirke können je nach Zuständigkeit der jeweiligen Ämter u.U. mehrere<br />
Landkreise umfassen. Kleinräumigere Auswertungen werden nur ausnahmsweise<br />
gesondert durchgeführt (z.B. Berlin 2000, Frankfurt 2002 oder Gießen 2002). Für die<br />
Erwerbslosenquoten bedeutet dies, dass sie in der Regel nicht kleinräumig dargestellt<br />
werden können. Zur Ermittlung der Quote benötigt man die Zahl der abhängig zivilen<br />
Erwerbspersonen (sozialversicherungspflichtig <strong>und</strong> geringfügig Beschäftigte sowie<br />
Beamte <strong>und</strong> Arbeitslose), also Angaben, die z.T. auf kommunaler Ebene nicht ermittelt<br />
werden können <strong>und</strong> daher schon gar nicht kleinräumig vorliegen. Ein häufig<br />
angewandter „Trick“ zur Darstellung kleinräumiger Arbeitslosigkeit ist es daher, die<br />
Erwerbslosen ins Verhältnis zu den potentiell Erwerbsfähigen zu setzen (z.B. im Alter<br />
zwischen 18 <strong>und</strong> 64 Jahren (Essen 1997a) oder zwischen 15 <strong>und</strong> 65 Jahren (Gießen<br />
2002: 120)). Die auf diese Weise ermittelten, kleinräumigen Erwerbslosenanteile sind<br />
daher nicht vergleichbar mit den offiziellen Arbeitslosenquoten der Agentur für Arbeit<br />
auf Arbeitsamtsbezirks-, Länder- oder B<strong>und</strong>esebene. Die Quoten fallen tendenziell zu<br />
hoch aus.<br />
Auch die polizeiliche Kriminalitätsstatistik erfasst Straftaten nur für Städte insgesamt.<br />
Dies gilt selbst für Millionenstädte wie Berlin. Kleinräumigere Daten können zwar<br />
begrenzt abgebildet werden, müssen dann aber aufwändig jeweils erst aus der<br />
Gesamtdatenmenge herausgefiltert werden (Berlin 2000: 18). Ähnliches gilt für die
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 191<br />
kleinräumige Darstellung der Verteilung der Bildungsabschlüsse. Auch hier liegt einer<br />
räumlichen Ergebnisdarstellung häufig viel Umkodierungsarbeit zu Gr<strong>und</strong>e, weil die<br />
Schulverwaltungsämter ihre Statistiken i.d.R. nicht kleinräumig auswerten (z.B. Wetzlar<br />
1998). Aus diesem Gr<strong>und</strong> liegen zahlreichen Berichten, die ein breites Spektrum an<br />
Lebenslagendimensionen kleinräumig abbilden, eine mühsame „Handarbeit“ <strong>und</strong><br />
aufwendige Sek<strong>und</strong>äranalysen von Statistiken durch Umcodierung der Adressen in<br />
einheitliche Bezugsräume zu Gr<strong>und</strong>e. Zur kleinräumigen Darstellung der<br />
Kariesprävalenz bei Gr<strong>und</strong>schulkindern wurden die Daten im Rahmen des Giessener<br />
Armutsberichts nicht nur eigens für den Bericht kleinräumig ausgewertet, sondern<br />
zunächst überhaupt systematisch digital erfasst:<br />
„Die Dokumentation dieser Daten lag uns in Form handschriftlich ausgefüllter Formblätter vor,<br />
die in mehreren Aktenordnern abgeheftet waren, sortiert nach Schulen <strong>und</strong> Schulklassen.<br />
Eine studentische Hilfskraft erfasste die Daten mehrerer Tage mittels mitgebrachtem Laptop<br />
(Fußnote: in Ermangelung EDV-technischer Ausstattung vor Ort) (Gießen 2002: 191).<br />
Diese Vorgehensweise zur kleinräumigen Auswertung legt nahe, dass<br />
a) sie mit den verwaltungsinternen personellen Ressourcen nicht realisierbar gewesen<br />
wäre,<br />
b) aufwendige Maßnahmen bei der Datenauswertung ergriffen werden mussten, um<br />
datenschutzrechtliche Bestimmungen nicht zu verletzen (wie Schwärzung der<br />
Namen etc.) <strong>und</strong><br />
c) eine Fortschreibung dieser Daten – <strong>und</strong> damit zumindest die Erzielung einer<br />
„unechten Dynamik“ (vgl. Kap. 8.3.2.) – wenig wahrscheinlich ist, sofern sie in<br />
Zukunft erneut mit solch erheblichem Aufwand verb<strong>und</strong>en ist.<br />
Alle genannten Probleme bewirken, dass zur kleinräumigen Darstellung häufig auf<br />
Sozialhilfequoten zurückgegriffen wird, weil sie die „einzigen verlässlichen Quellen zur<br />
Darstellung von sozialer Ungleichheit“ (Frankfurt 2002: 16) sind <strong>und</strong> eine tatsächliche<br />
Darstellung sozialer Schichten seit 1987 (Volkszählung) nicht mehr möglich ist. Die<br />
Nicht-Abbildbarkeit von Schichtindikatoren (Bildung, Erwerbsstatus <strong>und</strong><br />
Einkommensstruktur) wird von vielen BerichterstatterInnen bedauert, <strong>und</strong> eine<br />
zukünftige Abbildbarkeit wird als wünschenswert erachtet (z.B. Erfurt 2001: 119).<br />
Derzeit kann sie aber auf Stadtteilebene nicht realisiert werden.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 192<br />
Ein weiteres gr<strong>und</strong>sätzliches Problem der Planungsgebiete muss in ihrem räumlichen<br />
Zuschnitt gesehen werden. „Häufig sind sie zu klein, um unter Einhaltung des<br />
Datenschutzes überhaupt ausgewertet werden zu können. Andere sind zu groß, um die<br />
wichtigsten Problemlagen angemessen abzubilden“ (Bielefeld 2001: 186). Wieviel<br />
Kleinräumigkeit macht also Sinn?<br />
Die Frage, was „klein <strong>und</strong> groß“ ist, scheint höchst relativ. Berlin beispielsweise hat<br />
Räume mit einer EinwohnerInnenzahl unterhalb von 1.000 aus der Gesamtanalyse<br />
ausgeschlossen mit der Begründung, dass es aufgr<strong>und</strong> der „geringen Einwohnerzahl“<br />
zu Verzerrungen bei der Berechnung des Sozialindex kommen könne. Diese Gebiete<br />
seien auch häufig flächenmäßig sehr groß <strong>und</strong> suggerierten eine Bedeutung in der<br />
kartografischen Darstellung, die inhaltlich nicht berechtigt sei (z.B. überwiegend Waldoder<br />
Gewerbegebiete (Berlin 1999: 209)). In Mainz ist 1.000 hingegen die<br />
durchschnittliche EinwohnerInnenzahl je Stadtbezirk <strong>und</strong> die empfohlene räumliche<br />
Bezugseinheit (Mainz 1995: 15). Optimalerweise sind die Bezugsräume in Relation zur<br />
Gesamtgröße der Stadt so festgelegt, dass sie bezogen auf die EinwohnerInnenzahlen<br />
(nicht flächenmäßig) untereinander vergleichbar sind <strong>und</strong> Problemlagen im Raum so<br />
fokussieren, dass gezieltes Handeln möglich ist. Der Forterhalt der zu Gr<strong>und</strong>e<br />
liegenden Räume ist dann stets ein Kompromiss aus<br />
a) den Anforderungen an die interkommunale Vergleichbarkeit einerseits <strong>und</strong><br />
b) dem Anpassen an räumliche Umgliederungsprozesse aufgr<strong>und</strong> raumstruktureller<br />
Veränderungen andererseits.<br />
Viersen beispielsweise hat bestehende „Sozialräume“ verkleinert (Viersen 2001: 3). In<br />
der Düsseldorfer Sozialberichterstattung sind „neu gewonnene Erfahrungen über<br />
sozialräumlichen Strukturen“ (Düsseldorf 2001: 6) derart eingeflossen, dass die Anzahl<br />
der Sozialräume um 10 auf 166 angehoben wurde, wodurch sich „die Qualität der<br />
Gliederung“ erhöht hat.<br />
Von den kleinräumigen Berichten unterscheiden sich die sozialräumlichen Berichte vor<br />
allem in ihrem Raumbezug <strong>und</strong> in ihren Methoden der Raumabgrenzung. Daher werden<br />
sie genauer vorgestellt.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 193<br />
Beispiel Düsseldorf: Die bereits 1997 in Düsseldorf entwickelte sozialräumliche Gliederung<br />
wurde in Zusammenarbeit mit dem Bezirkssozialdienst erarbeitet. In mehreren Arbeitssitzungen<br />
wurden die zehn Düsseldorfer Stadtbezirke durch den jeweiligen Bezirkssozialdienst<br />
in 156 Stadtgebiete aufgeteilt. Folgende Gesichtspunkte spielten dabei<br />
eine Rolle:<br />
• die subjektiven Eindrücke der BezirkssozialarbeiterInnen über sozialräumliche<br />
Strukturen,<br />
• das Wissen über Entstehungsgeschichten von Siedlungen sowie über das<br />
Zugehörigkeitsgefühl <strong>und</strong> die Gewohnheiten der ansässigen Bevölkerung sowie<br />
• weitere qualitative Beschreibungen wie Kenntnisse über die sozioökonomische<br />
Situation <strong>und</strong> die Wohnsituation (Düsseldorf 2001: 6).<br />
Letztlich ist der Düsseldorfer Ansatz daher eine Mischung aus „bottom up“ <strong>und</strong> „top<br />
down“, weil sich ausgehend von den zehn Stadtbezirken zunächst an den Routinen<br />
administrativen Handelns orientiert wurde, aber innerhalb dieser Bezirke lokale AkteurInnen<br />
nach qualitativen Gesichtspunkten den exakten Raum abgrenzten. Die auf diese<br />
Weise konzipierte sozialräumliche Gliederung ist nun ein Gr<strong>und</strong>prinzip, an dem sich die<br />
Jugend-, Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitshilfe orientieren. Durch Verknüpfung mit der städtischen<br />
Gebietsgliederung des Amtes für Statistik <strong>und</strong> Wahlen werden mittlerweile folgende<br />
Datenbestände sozialräumlich genutzt: Sozialhilfedatei, Gebäudedatei, SchülerInnendatei,<br />
EinwohnerInnendatei, Daten zur Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> zur Beschäftigung,<br />
Daten zu den Erziehungshilfen <strong>und</strong> zur Kindergartenbedarfsplanung, Daten zur Gewalt<br />
gegen Kinder <strong>und</strong> zu den Straftaten Minderjähriger sowie Daten der Schuleingangsuntersuchungen.<br />
Auch von der Polizei, den Universitäten <strong>und</strong> Fachhochschulen sowie<br />
dem Wohnungsamt wird die sozialräumliche Gliederung nachgefragt (Düsseldorf 2001:<br />
8 f). Aufgr<strong>und</strong> des großen Interesses <strong>und</strong> den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten ergeben<br />
sich neue Formen ämterübergreifender Zusammenarbeit. Das Jugendamt Düsseldorf<br />
hat schließlich einen Wegweiser durch die sozialräumliche Gliederung Düsseldorfs<br />
herausgegeben, der allen Interessierten zugänglich gemacht wird.<br />
Beispiel Wiesbaden: Die längste Tradition <strong>und</strong> das weitestentwickelte System kleinräumiger<br />
Datenaufbereitung hat Wiesbaden. Zusätzlich hat Wiesbaden im Rahmen <strong>eines</strong><br />
Projekts 2001 ein ergänzendes, kleinräumig angelegtes Beobachtungskonzept entwickelt.<br />
Anlass dazu gab eine „öffentlich <strong>und</strong> halböffentlich geführte Diskussion“ über zu-
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 194<br />
nehmend problembehaftete Wohngebiete <strong>und</strong> Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus<br />
(Wiesbaden 2001b: 1). Ziel des Projekts war es, anhand einer Beobachtungssystematik<br />
zu dokumentieren, warum bestimmte Risikokonstellationen an einem Ort zu Problemen<br />
führen <strong>und</strong> am anderen Ort nicht. Hierzu war es zunächst nötig, sogenannte „Verdachtsquartiere“<br />
zu eruieren. Die Auswahl der Gebiete erfolgte aufgr<strong>und</strong> <strong>eines</strong> qualitativen<br />
<strong>und</strong> quantitativen Methodenmixes. Zunächst wurden so genannte Schlüsselpersonen<br />
(ExpertInnen aus den Bereichen Wohnungsamt, Sozialamt, Sozialdienst etc.) nach<br />
ihrer Einschätzung darüber befragt, welche Gebiete sie als problematisch <strong>und</strong> risikobehaftet<br />
einstufen. In einem zweiten Schritt wurde auf Blockebene als weiteres Kriterium<br />
die HLU-Dichte herangezogen. Auswahlkriterium waren Wiesbadener Baublöcke, in<br />
denen mindestens 15 Prozent der erwachsenen Bevölkerung im HLU-Bezug standen<br />
(Wiesbaden 2001b: 12). Auch dieses Verfahren orientiert sich im Groben an den Routinen<br />
administrativen Handelns (Blockebene), bezieht aber ergänzend lokale AkteurInnen<br />
mit ein.<br />
Der Zugang zur Kleinräumigkeit, aber auch zur Sozialräumlichkeit, ist also in erster Linie<br />
pragmatisch <strong>und</strong> orientiert sich überwiegend an den Routinen administrativen Handelns.<br />
Die sozialräumlich angelegten Berichte unterscheiden sich allerdings darin, dass<br />
sie ergänzend immer auch qualitative Kriterien einbeziehen. Dies geschieht vor dem<br />
Hintergr<strong>und</strong>, dass rein datengestützte Informationen allein nicht ausreichen, tatsächliche<br />
Bedarfs- <strong>und</strong> Problemräume zu identifizieren. Relevant ist auch die Einschätzung<br />
<strong>und</strong> Beurteilung der dort lebenden Bevölkerung oder der dort agierenden Schlüsselpersonen<br />
sowie die Innen- <strong>und</strong> Außenwahrnehmung <strong>eines</strong> bestimmten Stadtteils, insbesondere<br />
im Zeitverlauf.<br />
8.5.2.4. Ranking-Verfahren <strong>und</strong> Indizes<br />
An keinem anderen Beispiel werden Einzigartigkeit, Unvergleichbarkeit <strong>und</strong> schöpferische<br />
Vielfalt der Berichte deutlicher als beim Thema Indexbildung <strong>und</strong> Ranking-Verfahren<br />
im Rahmen von (Sozial-)Raumanalysen. Auf diesem Gebiet gibt es an möglichen<br />
Verfahren der Indexbildung <strong>und</strong> Konzepten zur Raumprofilerstellung nichts, was nicht<br />
irgendwo erprobt worden wäre. Auffällig ist, dass innerhalb der betrachteten Berichte<br />
k<strong>eines</strong> der Verfahren auch nur annähernd mit einem anderen vergleichbar ist, insbesondere<br />
was die betrachteten Lebenslagendimensionen, die Anzahl der Indikatoren, die
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 195<br />
Methoden der Indexbildung <strong>und</strong> die Klassifizierung der Räume betrifft. Selbst innerhalb<br />
von Kommunen wird häufig nicht an einem einmal entwickelten Rankingverfahren festgehalten.<br />
Im Gegenteil scheinen Kommunen stetig bemüht zu sein, auf diesem Gebiet<br />
möglichst viel zu experimentieren, zu verändern <strong>und</strong> zu variieren. Konsequenz ist eine<br />
höchst kreative Vielfalt bei inter- wie intrakommunaler Unvergleichbarkeit (vgl. Tab. X).<br />
Um beurteilen zu können, in welchen Räumen sich „Problemlagen verdichten“, „soziale<br />
Belastungen“ oder „Armutsrisiken“ <strong>und</strong> „Risikobelastungen“ kumulieren, bedarf es mindestens<br />
a) einer Gesamtschau aller – möglichst sinnvoll abgegrenzten – Räume,<br />
b) einer begründeten Indikatorenauswahl, die geeignet ist, Risiken <strong>und</strong> Belastungen<br />
oder <strong>Entwicklung</strong>en <strong>und</strong> Potentiale anzuzeigen <strong>und</strong><br />
c) <strong>eines</strong> Klassifikations- oder Typisierungsverfahrens für die abschließende Beurteilung<br />
einer Ein- oder Abstufung von Belastungsgraden der jeweiligen Räume.<br />
Die Sozialhilfebetroffenheit (HLU), dargestellt als Dichte oder Quote, ist der Indikator,<br />
der in unterschiedlichen Begründungszusammenhängen ausnahmslos immer herangezogen<br />
wird. Darüber hinaus werden zwischen einem bis hin zu 30 Indikatoren in der<br />
Berechnung des Gesamtindex berücksichtigt (vgl. Tab. 24). Der Indikator „Sozialhilfebetroffenheit“<br />
kann dabei entweder gleichberechtigt neben anderen Indikatoren betrachtet<br />
werden oder aber als eine Art Leitindikator fungieren, der entweder höher gewichtet<br />
wird oder von dem die Betrachtung aller weiteren Indikatoren abhängt.<br />
Exemplarisch für das „Leitbildprinzip“ steht die Gelsenkirchener Sozialprofilerstellung<br />
namens „Mittelblock-Sozialprofile mit Filterindex“. Hierbei handelt es sich um ein kompliziertes,<br />
mehrstufiges Verfahren, ausgehend vom „Leitindikator HLU“ unter Einbeziehung<br />
weiterer Indikatoren wie Wohngeldbezug, AusländerInnenanteile oder Anteile von<br />
Aussiedlerinnen, AsylbewerberInnen <strong>und</strong> Flüchtlingen etc. Die Ergebnisdarstellung erfolgt<br />
kartografisch <strong>und</strong> die Sozialprofile werden in fünf Teilmengen differenziert von<br />
Teilmenge Null (unauffällig) bis Teilmenge Vier. Bei der Teilmenge Eins erfüllt der Leitindikator<br />
die so genannten „Rangkriterien“. Jede nächsthöhere Teilmenge erfüllt stets<br />
auch die vorherigen Rangkriterien, ergänzt um ein weiteres Rangkriterium, gemessen<br />
über o.g. Indikatoren (Gelsenkirchen 2001: 70).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 196<br />
Tab. 24:<br />
Vielfalt kleinräumiger Ranking-Konzepte in kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten nach<br />
Konzept <strong>und</strong> Anzahl der Indikatoren<br />
Bericht Konzept Anzahl der<br />
Indikatoren 127<br />
Bad Vilbel 1996: 179 Rankingkonzept nach „Punktwert der Problembelastung“ nach<br />
7<br />
Bad Vilbel 2002: 129 Shevky <strong>und</strong> Bell<br />
Berlin 1999: 137 Rangskala der sozialen Belastungen mit Faktorenanalyse<br />
(Sozial- <strong>und</strong> Statusindex)<br />
25<br />
Bielefeld 2001: 188 Index „Bevölkerungsgruppen mit besonderen sozialen<br />
3<br />
Gelsenkirchen<br />
70<br />
Risiken“ oder „Grad der Risikobelastung <strong>eines</strong> Bezirks“<br />
2001: „Mittelblock-Sozialprofile mit Filterindex“ 4<br />
Darmstadt 1995: 29 „Index der administrativen Intervention“ 4<br />
Darmstadt 2002 „Sozialindexanalyse“ 5-8<br />
Erfurt 2001: 109 „Bewertung des sozialen Status von Stadtteilen <strong>und</strong><br />
Ortschaften nach ausgewählten Indikatoren“<br />
+ Infrastrukturatlas 128<br />
14<br />
Essen 1999b kartografische Darstellung der Infrastruktur nach Einrich-<br />
Frankfurt a. M. 1997:<br />
311<br />
Frankfurt a. M. 2002:<br />
28<br />
„Konzept der relativen Benachteiligungsposition“<br />
(Kombination aus qualitativer Wohngebietsanalyse <strong>und</strong><br />
statistischer Stadtbezirksanalyse)<br />
„Index der Segregation nach Friedrichs“<br />
ergänzt um „Produkt-Moment-Korrelation“ (Zusammenhang<br />
mit demografischen Merkmalen)<br />
tungen 129<br />
Gießen 2002: 210 „Stadtbezirks-Ranking<br />
Benachteiligung“<br />
nach Armutsrisiken <strong>und</strong> sozialer<br />
14<br />
Koblenz 1999: 95 „Bereiche verdichteter Problemlagen“<br />
„Verdichtung von Armutsproblemlagen“<br />
7<br />
München 1999: 5 Quantifizierung der Armutsbevölkerung in den Stadtbezirken<br />
über die „Armutsdichte“<br />
3<br />
Wiesbaden 1996: A7 „Ermittlung von Stadtteilen nach sozialen<br />
4<br />
Wiesbaden 2001: 15 f.<br />
Belastungsindikatoren“<br />
„Quartiere mit dem Verdacht auf besondere Bedarfslagen“ 11<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Weitere häufig herangezogene Indikatoren sind Dichteziffern über WohngeldempfängerInnen,<br />
Arbeitslosenquoten, AusländerInnenanteile, Jugendgerichtshilfefälle,<br />
Erziehungshilfefälle, Wanderungen (Zu- <strong>und</strong> Fortzüge) sowie ferner bestimmte Anteile<br />
von Haushalts- <strong>und</strong> Familientypen z.B. kinderreiche Familien oder allein Erziehende.<br />
Als Begründungen werden meist Pragmatismus, Datenverfügbarkeit, räumliche<br />
Abbildungsfähigkeit sowie die Zuverlässigkeit der Datengewinnung genannt. Häufig<br />
wird die Indikatorenauswahl in ein übergeordnetes Konzept eingeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> im<br />
127 in den Berichten auch Schlüsselvariablen, Variablen oder Merkmale genannt<br />
128 Je Stadtteil <strong>und</strong> Ortschaft werden die Anzahl der Kindertageseinrichtungen, der Schulen, der Kinder-<br />
<strong>und</strong> Jugendfreizeiteinrichtungen, der ambulanten <strong>und</strong>/oder stationären Hilfen zur Erziehung, der<br />
Kommunikationsangebote für Frauen, Familien <strong>und</strong> Senioren sowie der anerkannten Fachberatungen<br />
<strong>und</strong> Kontaktstellen dargestellt (Erfurt 2001: 125 ff.).<br />
129 Kartografisch dargestellt werden „Einrichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen, Aussiedlern,<br />
Obdachlosen, Großsiedlungen <strong>und</strong> sonstige Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus“ (Essen 1999b:<br />
Anhang).<br />
> 30<br />
2
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 197<br />
Folgenden ausschließlich inhaltlich begründet. Gelegentlich jedoch legen auch<br />
diejenigen Berichte mit übergeordnetem Raumprofilkonzept offen, dass es sich in<br />
Wirklichkeit um pragmatische Gründe handelt:<br />
„Zusammenfassend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es sich bei dem<br />
gebildeten Index „Bevölkerungsgruppen mit besonderen sozialen Risiken“ <strong>und</strong> der daran<br />
anschließenden Klassifikation der städtischen Räume weder um eine theoretisch noch<br />
empirisch-methodisch f<strong>und</strong>ierte Vorgehensweise handelt. Vielmehr standen rein<br />
pragmatische Gesichtspunkte im Vordergr<strong>und</strong>“ (Bielefeld 2001: 188).<br />
In der Praxis werden Indikatoren häufig bestimmten Aussagebereichen oder<br />
Beobachtungsdimensionen zugeordnet.<br />
Tab. 25:<br />
Aussagebereiche <strong>und</strong> Beobachtungsdimensionen zur Indikatorenbündelung in ausgewählten<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten<br />
Bad Vilbel 1996<br />
<strong>und</strong> 2002, Wetzlar<br />
1998<br />
Berlin 1999: 35 Darmstadt 1995 Wiesbaden 2001: 5<br />
- Administrative - Demografie - Administrative - Administrative Intervention<br />
Intervention - Haushaltsstruktur Intervention<br />
- Riskante biografische Lagen<br />
- Soziale - Bildung<br />
- Fluktuation/Wohndauer<br />
Segregation - Erwerbsleben<br />
- Erwerbsausschluss<br />
- Soziale Position - Einkommensquelle<br />
- Ethnische Segregation<br />
- Ges<strong>und</strong>heitszu-<br />
- Siedlungsbedingungen<br />
stand<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Wenn auch die Zuordnung der Indikatoren im Einzelfall schlüssig begründet wird, so<br />
wirken die Zuordnungsergebnisse in der Zusammenschau beliebig. Beispielsweise gilt<br />
die SozialhilfeempfängerInnendichte wahlweise als Indikator für „Soziale Segregation“<br />
(Bad Vilbel 1996 <strong>und</strong> 2002), für „Administrative Intervention“ (Wiesbaden 2001,<br />
Darmstadt 1995) oder auch für die „Soziale Position“ (Wetzlar 1998: 46).<br />
Gängiges Verfahren zur zusammenfassenden Bewertung der unterschiedlichen Räume<br />
ist die Reduktion der Komplexität durch einen Wert, über den ein Stadtteil abschließend<br />
im Vergleich mit anderen beurteilt wird. Gr<strong>und</strong>problem aller Indizes ist die Frage der<br />
Auswahl <strong>und</strong> Gewichtung von Indikatoren bzw. Indikatorenbündeln (Indizes). Folgende<br />
Verfahren sind prinzipiell vorzufinden:<br />
• komplexe statistische Verfahren,<br />
• einfache auf- oder absteigende Reihung der prozentualen Anteile,
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 198<br />
• Verrechnung der einzelnen Indikatorenwerte <strong>und</strong> anschließende Reihung oder<br />
Verrechnung der Reihung zur Ermittlung <strong>eines</strong> Gesamtergebnisses.<br />
Der Berliner <strong>und</strong> der Frankfurter Bericht stehen exemplarisch für komplexe statistische<br />
Verfahren, die selbst mit statistischer Vorbildung nur schwer nachvollziehbar sind.<br />
Gr<strong>und</strong>lage der Berliner Rankingmethode ist eine multivariate Analysemethode unter<br />
Einbeziehung von 25 Variablen, die wiederum Dimensionen zugeordnet. Zwei<br />
Darstellungsvarianten werden gewählt: Schichten <strong>und</strong> Cluster.<br />
Die Schichtdarstellung ermöglicht die Identifizierung von Gebieten mit großer (Schicht<br />
7) bzw. geringer (Schicht 1) Belastung. Prinzip der Schichtklassifizierung ist die<br />
Gleichverteilung der Indizes. Hierzu wird die Spannweite der Indizes in sieben gleich<br />
große Perzentile unterteilt <strong>und</strong> jeweils einem Siebtel der Gebiete <strong>und</strong> damit einer<br />
bestimmten „Schicht“ auf einer Rangskala von 1 bis 7 zugeordnet. Das Clusterprinzip<br />
zielt auf die Gruppierung der Regionen mit großer Ähnlichkeit hinsichtlich der<br />
Ausprägung der einzelnen Indizes ab (Berlin 1999: 139).<br />
Zur weiteren Reduktion von Komplexität werden mittels einer Faktoranalyse<br />
Korrelationen zwischen Indizes <strong>und</strong> Variablen ermittelt, die wiederum zu einem<br />
Sozialindex oder Statusindex zusammengefasst werden. Der Sozialindex umfasst<br />
Variablen, die die „soziale Betroffenheit in den Bezirken widerspiegeln“ (Berlin 1999:<br />
137). Ein typisches Sozialindex-Ergebnis ist z.B., dass es eine positive Korrelation von<br />
hoher Arbeitslosigkeit in Gebieten mit hoher Sozialhilfeempfängerdichte, ausländischem<br />
Bevölkerungsanteil <strong>und</strong> geringem Pro-Kopf-Einkommen sowie geringer<br />
Lebenserwartung gibt (Berlin 1999: 137). Der Statusindex verweist z.B. auf eine hohe<br />
Korrelation von Gebieten, die einen hohen Anteil an Personen mit Hochschulreife <strong>und</strong><br />
Hochschulabschluss haben, einen hohen Angestelltenanteil <strong>und</strong> gleichzeitig einen<br />
geringen Anteil an Kindern (Berlin 1999: 139).<br />
Auch der Frankfurter Bericht geht über ein Ranking hinaus, indem Korrelationen<br />
dargestellt werden. Gr<strong>und</strong>lage ist die Verwendung des „Index der Segregation“ (IS. Der<br />
IS ist ein Maß für die Ungleichverteilung einer Personengruppe im gesamten<br />
Stadtgebiet. Insbesondere durch Betrachtung des IS zu verschiedenen Zeitpunkten<br />
kann beobachtet werden, ob die Segregation zu- oder abgenommen hat. Der IS kann
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 199<br />
Werte zwischen 0 (keine Segregation) <strong>und</strong> 100 (totale Segregation) annehmen.<br />
Rechnerisches Ergebnis in Frankfurt ist zum Beispiel, dass sich auf der Basis von 111<br />
Stadtbezirken ein „IS HLU-EmpfängerInnen“ von 19,4 ergibt <strong>und</strong> ein „IS Arbeitslosigkeit“<br />
von 14,3. Das bedeutet, dass sich die Arbeitslosen etwas weniger ungleich über die<br />
Stadt verteilen als die HLU-EmpfängerInnen. Damit eine Gleichverteilung der HLU-<br />
EmpfängerInnen über die Stadt erfolgen könnte, müssten 19,4 Prozent von ihnen<br />
umziehen. Dies wären 7.000 von 38.000 Personen (Frankfurt 2002: 21). In einem<br />
weiteren Schritt werden die Zusammenhänge zwischen sozialen <strong>und</strong> demografischen<br />
Merkmalen („Produkt-Moment-Korrelationen“) errechnet. Ergebnis hiervon ist z.B., dass<br />
die AusländerInnenquote dort hoch ist, wo die SozialhilfeempfängerInnenquote <strong>und</strong> die<br />
Arbeitslosenquote hoch <strong>und</strong> der Anteil älterer Personen niedrig ist.<br />
Mathematisch weniger komplex <strong>und</strong> damit auch für jeden Laien nachvollziehbar sind<br />
einfache prozentuale Reihungen (z.B. Wetzlar 1998, Gießen 2002). Dies sind simple<br />
Dichtenvergleiche in Räumen <strong>und</strong> Reihungen der Dichten im Raumvergleich, meist<br />
ohne Gewichtung einzelner Werte. Sie sind eine gute Möglichkeit, Rankings „mit dem<br />
ges<strong>und</strong>en Menschenverstand“ nachzuvollziehen, entbehren jedoch der Möglichkeit,<br />
Korrelationen statistisch nachzuweisen. Dennoch können einzelne Räume ausgewiesen<br />
werden, die besonders häufig von Indikatoren unterschiedlich oder überdurchschnittlich<br />
„betroffen“ sind. Durchschnittswerte im intrakommunalen Vergleich beziehen sich in<br />
aller Regel auf dem gesamtstädtischen Durchschnittswert der jeweiligen Kommune.<br />
D.h. über- oder unterdurchschnittliche Betroffenheiten beziehen sich meist auf den<br />
aktuellen städtischen Durchschnitt. Insofern können auch unterdurchschnittliche<br />
Betroffenheiten im B<strong>und</strong>esvergleich überdurchschnittlich sein <strong>und</strong> umgekehrt.<br />
Sofern einzelne Indikatoren zu einem Gesamtindex verrechnet werden, um auf dieser<br />
Gr<strong>und</strong>lage ein Stadtteil-Ranking zu erstellen, hängt es jedoch entscheidend davon ab,<br />
auf welche Weise „in Reihe gebracht“ wird. Prinzipiell ist es möglich, zunächst die<br />
einzelnen Indikatorenwerte zu verrechnen, um sie anschließend en bloc „in Reihe“ zu<br />
bringen. Denkbar sind jedoch auch die Reihung jedes Einzelindikators <strong>und</strong> die<br />
anschließende Verrechnung der Reihung zur Ermittlung <strong>eines</strong> Mittelwertes, der<br />
wiederum für ein Gesamtergebnis in eine Klassifikation umgewandelt wird. Dieses<br />
Verfahren birgt zahlreiche Ungenauigkeiten durch Auf- <strong>und</strong> Abr<strong>und</strong>ungen, ist jedoch<br />
durchaus gängig (z.B. Bielefeld 2001: 188).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 200<br />
Rechnerische Nachvollziehbarkeit für Nicht-ExpertInnen ist kein Gütekriterium als<br />
solches, ebenso wenig wie die höhere Statistik kein Selbstweck ist. Wesentlich ist, dass<br />
der Raumprofilerstellung ein Konzept zu Gr<strong>und</strong>e liegt, dass<br />
a) transparent gemacht wird <strong>und</strong><br />
b) sinnvoll <strong>und</strong> begründet Räume so voneinander abgrenzt, dass soziale Unterschiede<br />
deutlich werden <strong>und</strong> gezieltes Handeln im Raum möglich wird. Hierbei kommt<br />
insbesondere der Darstellung der Ergebnisse, z.B. Karten <strong>und</strong> Klasseneinteilung<br />
eine bedeutende Rolle zu.<br />
8.5.2.5. „Die Macht der Karten“ 130 – Kartografie <strong>und</strong> Klassenbildung<br />
„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte …“ lautet der Untertitel <strong>eines</strong> Artikels über das<br />
Stuttgarter Geoinformationssystem (Hanke-Crane et al. 2004: 91). Diese Erkenntnis hat<br />
sich auch in der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung durchgesetzt.<br />
Nahezu zwei Drittel der kleinräumigen <strong>und</strong> alle sozialräumlichen Berichte (44 von<br />
insgesamt 69 klein- bzw. sozialräumlichen Berichten) wählen Karten zur Darstellung der<br />
Raumprofile. Karten sind die komprimierteste <strong>und</strong> höchstverdichtetste Form zur<br />
Reduktion von Komplexität. Sie sind quasi das visualisierte Endergebnis einer Fülle von<br />
vorangegangenen Schritten, die zur Interpretation der Karte zwingend offen gelegt<br />
werden müssen, wie z.B. der zeitliche Bezug, die Datenquelle, die Indikatorenwahl<br />
sowie evtl. Gewichtungen, Indizes <strong>und</strong> die Methode der finalen Klasseneinteilung.<br />
Karten sind Chance <strong>und</strong> Gefahr zugleich. Die Chance liegt darin, Raumprofile auf einen<br />
Blick zu erschließen. Die Gefahr von Karten liegt darin, dass über die abgebildeten<br />
Räume eine Momentaufnahme fixiert wird, die quasi alle dort ansässigen Personen<br />
bzw. Privathaushalte „über einen Kamm schert“ <strong>und</strong> den tatsächlichen<br />
Veränderungsprozessen sowie der Vielfalt an Konstellationen <strong>und</strong> sozialen Lagen nicht<br />
annähernd gerecht wird.<br />
Karten trennen Räume voneinander, die sich u.U. nur um einen Bruchteil nach dem<br />
Komma vom Nachbarraum unterscheiden, aber je nach gewählter Methode rein<br />
rechnerisch genau dieser Raumklasse zugeordnet werden. Auf diese Weise werden<br />
Räume zu Problemräumen oder riskanten Räumen deklariert <strong>und</strong> andere in den Rang<br />
<strong>eines</strong> unauffälligen oder privilegierten Raums erhoben.<br />
130<br />
“Die Macht der Karten: Ein kritischer Blick auf Thematische Karten” lautet ein Aufsatz von Dr. Georg<br />
Glasze (2003).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 201<br />
In der Mehrzahl werden geografische Informationssysteme (GIS) als<br />
Bewertungsverfahren in der raum<strong>bezogenen</strong> Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung<br />
genutzt. Dabei handelt es sich um EDV- Programme, die in der Raumplanung sämtliche<br />
Schritte integrieren, die für eine grafische Präsentation der Ergebnisse nötig sind: von<br />
der Datenerfassung <strong>und</strong> Datenprüfung, über die Bereitstellung von Schnittstellen zur<br />
Übernahme von Daten aus anderen Informationsquellen bis hin zur Auswertung der<br />
Datenbestände <strong>und</strong> Aggregation nach Werten <strong>und</strong> Variablen <strong>und</strong> letztendlichen<br />
Kartografierung (Schwarz-von Raumer 1999: 57). GIS gelten seit Ende der 1980er<br />
Jahre als die Schlüsseltechnologie zur Bewältigung raumbezogener Analysen. Eine<br />
Vielzahl von Software-Programmen zu unterschiedlichen Planungsfeldern sind bereits<br />
entwickelt worden 131 . Von SozialplanerInnen wird jedoch bemängelt, „dass GIS in der<br />
Sozialplanung nicht schon sehr viel verbreiteter sind“ (Werner/Feldmann 2004: 96), weil<br />
sie „eine notwendige <strong>und</strong> inzwischen überfällige methodische Unterstützung für die<br />
sozialräumliche Arbeit in der Sozialplanung“ (dies.: 96) darstellen. Doch auch bis ins<br />
Jahr 2000 hinein werden thematische Karten im Rahmen von Berichterstattung quasi<br />
manuell erstellt <strong>und</strong> regelrecht per Hand gezeichnet (z.B. Kassel 1996 <strong>und</strong> 2000,<br />
Wetzlar 1998).<br />
Wesentlich für das Gesamtergebnis ist jedoch weniger der Grad der<br />
programmtechnischen Fortgeschrittenheit. Schließlich befreit auch die Nutzung von GIS<br />
die AnwenderInnen nicht davon, inhaltliche <strong>und</strong> methodische Entscheidungen zu<br />
treffen, die das Ergebnis maßgeblich beeinflussen können. Zu erörtern ist neben<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich inhaltlichen Fragen wie Raumbezug <strong>und</strong> Indikatorenwahl vor allem die<br />
Frage der Klassenbildung.<br />
Klassenbildung kann auf Gr<strong>und</strong>lage der Spannbreite zwischen höchstem <strong>und</strong><br />
geringstem Wert erfolgen oder auf Basis des gesamtstädtischen Durchschnitts. Die<br />
Wahl der Anzahl der Klassen 132 ist genauso entscheidend wie die Abgrenzung der<br />
Klassen. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, Klassen zu bilden, nämlich äquivalent<br />
oder äquidistant.<br />
131 z.B. Map-View, ArcView/ArcGis, PC-Map (Werner/Feldmann 2004: 95).<br />
132 Zur Festlegung der Klassenzahl gibt es nach Glasze 2003 verschiedene Faustformeln. Die gängigsten<br />
sind a) K=5*log n oder b) K=Wurzel aus n oder c) K=1+3,32*log n (wobei n = Anzahl räumlicher<br />
Elemente).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 202<br />
Äquivalent: Alle Klassen haben die gleiche Anzahl von Werten (umfangsgleich) <strong>und</strong><br />
demzufolge in der Karte die gleiche Anzahl von Räumen. Nachteil ist, dass die<br />
Klassenbreiten dabei extrem unterschiedlich sein können. Der Vorteil des<br />
äquivalenten Verfahrens liegt darin, die Wirkung von so genannten „Ausreißern“<br />
abzuschwächen. Ausreißer können zum Beispiel dadurch zustande kommen, dass<br />
der betrachtete Teilraum im Unterschied zu anderen Teilräumen extrem<br />
bevölkerungsarm oder -reich ist <strong>und</strong> daher Abweichungen besonders extrem<br />
ausfallen können 133 . Beim äquivalenten Verfahren wird außerdem gewährleistet,<br />
dass tatsächlich jeder Klasse Räume zugeordnet werden.<br />
Äquidistant: Alle Klassen haben die gleiche Klassenbreite, d.h. die Klassengrenzen<br />
werden durch die Klassenzahl vorgegeben. Diese Methode ist geeignet, um<br />
Veränderungsprozesse im Zeitverlauf abzubilden. Nachteil ist, dass die<br />
Klassengrenzen nicht sachlogisch begründet werden <strong>und</strong> daher Bereiche ähnlicher<br />
Werte trennen können. Beim äquidistanten Prinzip ist es außerdem möglich, dass<br />
nicht alle Klassen mit Räumen besetzt sind <strong>und</strong> sich daher zum Beispiel alle Räume<br />
in nur zwei von vier möglichen Klassen befinden. Ferner ist es wesentlich, dass auf<br />
Verhältniszahlen zurückgegriffen wird <strong>und</strong> nicht absolute Zahlenwerte zu Gr<strong>und</strong>e<br />
liegen. Flächenhafte Darstellung von absoluten Werten wäre ausschließlich bei<br />
gleich großen Flächeneinheiten zulässig (Glasze 2003).<br />
Sehr viele Berichte setzen auf Karten zur finalen Gesamtbetrachtung bei der Ermittlung<br />
von Stadtteilen nach sozialen Belastungsindikatoren. In der Regel werden fünf Klassen<br />
gebildet, die die Räume von „sehr niedrig“ über „durchschnittlich“ bis „sehr hoch“ in<br />
soziale Risiken oder Belastungen einstufen (z.B. Bielefeld 2001, Wiesbaden 1996 <strong>und</strong><br />
Frankfurt 2002). Fakt ist aber, dass trotz Anwendung <strong>eines</strong> modernen GIS eine Karte<br />
die Stadt nicht so darstellen kann, „wie sie ist“ (Glasze 2003), sondern sie immer das<br />
Ergebnis einer mehr oder weniger durchdachten Auswahl von Methoden, Maßstäben,<br />
Kartenausschnitten oder Themen ist. Insbesondere die Wahl der Klassenbildung hat<br />
Konsequenzen für die Frage, welche Räume unter- <strong>und</strong> welche überdurchschnittlich<br />
betroffen sind <strong>und</strong> welche Räume welchem Risikotyp zugeordnet werden. Gerade weil<br />
133 Dies ist zum Beispiel häufig bei Karten auf Basis der deutschen B<strong>und</strong>esländer der Fall. Die<br />
Stadtstaaten Berlin, Hamburg <strong>und</strong> Bremen weisen regelmäßig Extremwerte auf, während die Städte<br />
München oder Köln auf dem Aggregierungsniveau von Bayern oder Nordrhein-Westfalen unsichtbar<br />
bleiben (Glasze 2003).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 203<br />
eine Karte „mehr als tausend Worte“ sagt, geht von ihnen eine besondere Macht aus,<br />
<strong>und</strong> es ist daher umso nötiger, jeder Karte tausend Worte hinzuzufügen.<br />
8.5.2.6. Fazit: Optimierte Vorgehensweise<br />
Berichterstattung<br />
zur Initiierung sozialräumlicher<br />
Zusammenfassend lässt sich in der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung<br />
zum Thema Raumorientierung Folgendes festhalten:<br />
1. Bei aller Unvergleichlichkeit in den Methoden der Raumprofilerstellung <strong>und</strong><br />
Indexbildung ist eine große Einstimmigkeit festzustellen, was die Begründung für<br />
kleinräumiges Vorgehen betrifft. Zu unterscheiden sind prinzipielle Zielsetzungen<br />
allgemeiner Art von konkreten Nennungen des kommunalen <strong>und</strong> sozialplanerischen<br />
Nutzens.<br />
2. Trotz des vielfach benannten Nutzens <strong>und</strong> kommunalen Gewinns, den<br />
kleinräumiges Vorgehen für Kommunen bedeutet, sind über ein Drittel der Berichte<br />
großräumig angelegt. Weil es sich dabei in der Hälfte aller Fälle um Berichte<br />
neueren Datums handelt (ab dem Jahr 2000), auf der anderen Seite aber<br />
kleinräumige Berichte seit den 1980er Jahren 134 existieren <strong>und</strong> geografische<br />
Informationssysteme seit den 1990er Jahren verbreitet sind, ist nicht davon<br />
auszugehen, dass in Ermangelung an Information oder Software großräumig<br />
vorgegangen wird. Kleinräumiges Vorgehen bedarf weder <strong>eines</strong> bestimmten<br />
Computer-Programms noch besonderer finanzieller Ressourcen, sondern zunächst<br />
einmal <strong>eines</strong> sozialplanerischen Willens.<br />
3. Faktisch abgegrenzte Räume basieren in der Regel auf administrativen<br />
Gebietseinheiten <strong>und</strong> sind daher keine Sozialräume. Für diese Vorgehensweise<br />
spricht neben Pragmatismus auch, dass diese Räume in der Regel stabil sind <strong>und</strong><br />
sich nur in Ausnahmefällen (Gebietsaustausch durch bauliche Maßnahmen, wie<br />
Blockteilung o.ä.) ändern <strong>und</strong> daher Fortschreibungsfähigkeit gewährleistet wird.<br />
4. Das größte Problem beim Rückgriff auf administrative Gebietseinheiten besteht<br />
darin, dass sie nicht mit den Bezugsräumen anderer Datenquellen harmonieren.<br />
134<br />
Der vermutlich erste kleinräumige Bericht war 1976 ein Jugendbericht der Landeshauptstadt<br />
Wiesbaden (Wiesbaden 2001b: 1).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 204<br />
Verwaltungsstrukturen sind geprägt von fachlicher Spezialisierung, Ressortdenken,<br />
sektoralen Fachkenntnissen <strong>und</strong> vertikaler statt horizontaler Koordination. Letztlich<br />
schlagen sich die gegebenen Verwaltungsstrukturen in den Datenquellen <strong>und</strong> ihrer<br />
räumlichen Aufbereitung nieder. In zahlreichen Berichten wird daher die<br />
Unzulänglichkeit administrativ-kleinräumigen Vorgehens offengelegt <strong>und</strong> eine<br />
Vereinheitlichung der Räume von Verwaltung <strong>und</strong> anderen Trägern empfohlen.<br />
5. Administrativ-kleinräumiges Vorgehen folgt also stets dem „Top-Down-Ansatz“.<br />
Explizite „Bottom-Up-Ansätze“ werden zwar in der Theorie beschrieben, sind aber<br />
in der Praxis nicht vorzufinden, jedenfalls nicht in Reinform. Sozialräumliche<br />
Herangehensweisen sind stets eine Kombination aus beidem. Dies geschieht vor<br />
dem Hintergr<strong>und</strong>, dass ausschließlich datengestützte Informationen zur<br />
Raumabgrenzung als unzulänglich beschrieben werden. Als „Bottom-Up-<br />
RepräsentantInnen“ fungieren in erster Linie sogenannte Schlüsselpersonen mit<br />
ExpertInnenhintergr<strong>und</strong>, weniger die ortsansässige Bevölkerung.<br />
6. Kleinräumiges <strong>und</strong> sozialräumliches Vorgehen erfordert ein planerisches<br />
Management, das nicht nebenbei zu bewältigen ist. Bereits im Vorfeld <strong>und</strong> in der<br />
konzeptionellen Anlage sind eine Reihe von Fragen zu klären, Vorentscheidungen<br />
zu treffen <strong>und</strong> eine Vielzahl von AkteurInnen einzubeziehen. Darüber müssen viele<br />
methodische Entscheidungen getroffen werden, die in ihren Konsequenzen im<br />
Anfangsstadium möglicherweise nicht vorhersehbar sind. Im weiteren Verlauf<br />
handelt es sich bei sozialräumlichem Denken um einen Prozess, der stadtweit<br />
Schule machen kann <strong>und</strong> mit zunehmender Vereinheitlichung von Räumen Eingang<br />
in die Datenaufbereitung <strong>und</strong> in das professionelle Handeln vieler AkteurInnen<br />
findet (Beispiel Düsseldorf).<br />
Die optimale Vorgehensweise zur Initiierung einer sozialräumlichen Gliederung sähe<br />
demnach so aus, dass<br />
• eine Abgrenzung der Planungsräume „bottom up“ in Kombination mit statistischen<br />
Daten erfolgt;<br />
• die Bezugsräume in Relation zur Gesamtgröße der Stadt so festgelegt sind, dass sie<br />
bezogen auf die EinwohnerInnenzahlen (nicht flächenmäßig) untereinander<br />
vergleichbar sind;
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 205<br />
• die einmal festgelegten Sozialräume für alle relevanten Fachplanungen <strong>und</strong> freien<br />
Träger verbindliche Gr<strong>und</strong>lage sind, aber dennoch beliebig flexibel für<br />
unterschiedliche thematische Bezüge aggregiert werden können, weil ihr „kleinster<br />
Nenner“ ein gemeinsamer räumlicher Bezugsnenner ist;<br />
• das Territorialprinzip – geprägt durch horizontale Koordination, ganzheitliche<br />
Sichtweise <strong>und</strong> Querschnittswissen – gegenüber dem Ressortprinzip –<br />
gekennzeichnet durch Ressortdenken, sektorale Fachkenntnisse <strong>und</strong> vertikale<br />
Koordination – an Bedeutung gewinnt (Staubach 2004);<br />
• die jeweils zu einem Indikatorenbündel oder Index herangezogenen Indikatoren<br />
möglichst hohe Korrelationen untereinander aufweisen, damit inhaltliche<br />
Zusammenhänge deutlich werden;<br />
• Sozialraumprofile im Zeitverlauf vergleichbar sind, aber räumliche Veränderungen<br />
der Stadtentwicklung dennoch aufgegriffen werden, indem bei Bedarf die<br />
Gesamtzahl der Räume erhöht bzw. erniedrigt wird oder einzelne Räume verkleinert<br />
oder vergrößert werden;<br />
• die Chance erkannt wird, die in den geografischen Informationssystemen für die<br />
Sozialplanung <strong>und</strong> Berichterstattung liegt, gerade was die Bereitstellung von<br />
Schnittstellen <strong>und</strong> den potentiellen Zugriff auf eine von allen Informationsquellen zu<br />
pflegende Datenbank betrifft. Allerdings sollte ihr Output – die thematische Karte –<br />
nicht überschätzt werden, sondern als ein visualisiertes Ergebnis neben anderen<br />
Ergebnissen betrachtet werden.<br />
8.6. Integrative Ansätze in der Berichterstattung<br />
8.6.1. Philosophie <strong>und</strong> Ansatzpunkte<br />
Nicht integrative Spezialberichte finden zunehmend Verbreitung <strong>und</strong> zunehmend Kritik.<br />
Kritisiert wird, dass sie es versäumen, Armut oder andere Themen in einem<br />
<strong>lebenslagen</strong><strong>bezogenen</strong>, gender- <strong>und</strong> generationensensiblen Kontext zu erörtern (Lutz<br />
2004: 41) <strong>und</strong> über „künstlich isolierte Einzelphänomene“ (Viersen 2003: 3) berichten,<br />
die nicht in ihrer Zusammenschau unter verschiedenen Aspekten beleuchtet werden<br />
<strong>und</strong> folglich kein umfassendes Bild der sozialen Struktur einer Kommune abgeben.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 206<br />
Integrierte 135 Berichtserstattung gilt daher aktuell als das fortgeschrittenste Konzept<br />
kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung (Lutz 2003; Cremer/ Richter 2003;<br />
Kistler/ Sing 2001). Der Begriff „integriert“ steht für eine Berichtsphilosophie, die<br />
möglichst eine Vielzahl von AkteurInnen <strong>und</strong> Fachplanungen konzeptionell wie<br />
methodisch einbezieht. Integrative Ansätze ermöglichen eine ganzheitliche,<br />
ressortübergreifende Betrachtung der sozialen Lagen vor Ort, anstatt aus der<br />
Perspektive <strong>eines</strong> Tunnelblicks einzelne Themen zu fokussieren, ohne sie in den<br />
Gesamtkontext einzubetten. Auf der Ebene der Berichtsphilosophie <strong>und</strong> konzeptionellen<br />
Ebene steht der Begriff „integriert“ für:<br />
• eine sinnvolle Verknüpfung zwischen Armutsberichterstattung,<br />
Pflegebedarfsplanung, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Wohnungsmarktberichterstattung,<br />
Kindertagesstättenplanung, Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Migrationberichterstattung sowie ggf.<br />
Umweltberichterstattung (Cremer/ Richter 2003: 1),<br />
• eine „interdisziplinäre, intersektorale <strong>und</strong> Verwaltungseinheiten übergreifende“<br />
(Cremer/ Richter 2003: 2) Herangehensweise,<br />
• die Einbindung kommunaler Standardisierungsprozesse in die<br />
Standardisierungsbemühungen auf B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Länderebene (Cremer/ Richter<br />
2003: 2),<br />
• eine „Einbeziehung nicht nur der monetären Dimensionen, sondern auch der<br />
sogenannten Realtransfers, der sozialen Dienstleistungen“ (Kistler/ Sing 2001: 161),<br />
• eine Integration im doppelten Sinne: „hinsichtlich <strong>eines</strong> integrierenden Blickes auf<br />
alle Dimensionen menschlichen Lebens <strong>und</strong> hinsichtlich des Einbezugs aller daran<br />
beteiligten Akteure“ (Lutz 2003: 6),<br />
• eine Berichtskonzeption, die Zusammenhänge herstellt, Wechselwirkungen aufzeigt<br />
<strong>und</strong> Querverbindungen analysiert (Lutz 2003: 8), auch „interplay of factors“ genannt.<br />
Es gilt, möglichst nicht einzelne Faktoren, wie Arbeit, Sozialsystem oder Migration<br />
abzubilden, sondern das Zusammenspiel o.g. <strong>und</strong> anderer Faktoren<br />
herauszuarbeiten. Ergebnis wären „wissenschaftsgetragene Berichtssysteme“<br />
(Kistler/ Sing 2001: 162).<br />
Auf der konkreten Umsetzungsebene wird integrative Berichterstattung begriffen als<br />
• die Einbeziehung mehrerer Fachplanungen, ohne dass diese sich in ihren<br />
„Einzelheiten verlieren“ (Cremer/ Richter 2003: 1),<br />
135 Der Begriff „integrativ“ wird in der Literatur synonym zu „integriert“ gebraucht (vgl. Lutz 2003).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 207<br />
• bewertendes <strong>und</strong> planerisches Vorgehen, das über die reine Beobachtung<br />
hinausgeht,<br />
• die Integration von Daten über Nachfrage <strong>und</strong> Akzeptanz von Hilfen in prekären<br />
Lagen,<br />
• die Integration von quantitativen <strong>und</strong> qualitativen Methoden,<br />
• die Integration kleinräumigen Vorgehens sowie<br />
• die Einbeziehung von Politik, Verwaltung <strong>und</strong> anderen Trägern sozialer Arbeit <strong>und</strong><br />
Wissenschaft (Lutz 2003: 8).<br />
Vorteile einer integrierten Berichterstattung werden darin gesehen, dass sie zeit- <strong>und</strong><br />
raumnäher ist, dauerhafter, nachhaltiger <strong>und</strong> <strong>lebenslagen</strong>orientierter <strong>und</strong> dadurch<br />
letztendlich auch kostengünstiger (Lutz 2003: 11). Das Gegenteil integrierter<br />
Sozialberichterstattung wäre demnach eine Berichterstattung, die aus der Perspektive<br />
einer einzigen Fachplanung ein Einzelthema isoliert, kontextlos <strong>und</strong> interdependenzfrei<br />
betrachtet, ohne zu werten, das Ganze großräumig <strong>und</strong> unter alleinigem Rückgriff auf<br />
veraltete, ausschließlich quantitative Datenzugänge abbildet, ohne schließlich in eine<br />
sozialplanerische oder sozialpolitische Umsetzung zu münden. Für die Fragestellung<br />
<strong>und</strong> Zielsetzung dieses Projektes ist es jedoch nicht von Interesse, ob <strong>und</strong> wie viele<br />
Berichte nicht-integriert sind, sondern vielmehr, wie Integration gelingen kann. Auf der<br />
Basis der uns vorliegenden Berichte (vgl. Kap. 5.3.) ist also zu analysieren, inwiefern<br />
die Berichtsergebnisse ein Produkt der Einbeziehung mehrerer Fachplanungen <strong>und</strong><br />
weiterer AkteurInnen sind, inwiefern neben quantitativen Methoden auch qualitatives<br />
Vorgehen eine Rolle spielt <strong>und</strong> ob mehrere Lebenslagendimensionen in ihren<br />
Wechselwirkungen betrachtet werden (vgl. auch Kap. 7.2.). Die Integration<br />
kleinräumigen Vorgehens ist ebenfalls von Interesse; sie wurde bereits im Rahmen des<br />
Kapitels 8.5. thematisiert.<br />
8.6.2. Die Integration von AkteurInnen<br />
Inwiefern die Berichte mehrere Fachplanungen einbeziehen, lässt sich nicht immer den<br />
Berichten selbst entnehmen. Unterscheidet man die Berichte zunächst danach, ob sie<br />
ausschließlich von der Stadtverwaltung selbst erstellt oder an externe Institutionen (z.B.<br />
Wohlfahrtsverbände, Forschungsinstitute usw.) delegiert wurden oder ein<br />
Kooperationsprodukt von Verwaltung <strong>und</strong> externen Institutionen sind, zeigt sich, dass
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 208<br />
62 Berichte verwaltungsintern erstellt wurden, 20 Berichte durch externe Institutionen<br />
<strong>und</strong> 19 Berichte in Kooperation von Verwaltung <strong>und</strong> Externen. Bei zwei Berichten blieb<br />
die Autorenschaft unklar 136 .<br />
Tab. 26:<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Anzahl verfügbarer, kommunaler Berichte nach<br />
institutioneller Einbindung der AutorInnen<br />
Erstellung der Berichte durch … Verfügbare, kommunale<br />
Verwaltung, Sozialplanung, Ämter 62<br />
externe Institutionen 20<br />
Kombination aus beidem 19<br />
Autorenschaft unklar 2<br />
Insgesamt 103<br />
Berichte<br />
Die Unterscheidung nach Autorenschaft ermöglicht zum einen Hinweise über den Grad<br />
der Nähe bzw. der Distanz zu den politischen Entscheidungsträgern (Korpi 1992: 301)<br />
sowie über den Zugang zu den Prozessdaten. Verwaltungsinterne Berichte werden<br />
häufig unter der konzeptionellen Federführung <strong>eines</strong> bestimmten Amtes in Kooperation<br />
mit weiteren Ämtern verfasst. Die Federführung liegt z.B. beim Amt für Statistik, beim<br />
Sozialamt, beim Jugendamt oder auch beim Amt für <strong>Entwicklung</strong>splanung oder<br />
Stadtforschung 137 . Gelegentlich werden speziell für die Berichterstattung<br />
fachübergreifende Arbeitsgruppen gegründet, wie z.B. in Mainz die Gründung der<br />
Arbeitsgruppe „Jugend- <strong>und</strong> Sozialplanung in Zusammenarbeit mit den Fachämtern des<br />
Sozialdezernates“ (Mainz 1992 <strong>und</strong> 1995). Eine Reihe von Berichten arbeitet darüber<br />
hinaus nicht nur mit Ämtern zusammen, sondern auch mit weiteren kommunalen<br />
Institutionen jenseits der Verwaltung. An der Bielefelder Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung<br />
haben beispielsweise die AIDS-Hilfe Bielefeld e.V., die Allgemeine Ortskrankenkasse<br />
Westfalen-Lippe, das Mädchenhaus Bielefeld e.V. sowie der Stadtsportb<strong>und</strong> Bielefeld<br />
e.V. mitgewirkt, jeweils unter der konzeptionellen Federführung des Ges<strong>und</strong>heits-,<br />
Veterinär- <strong>und</strong> Lebensmittelüberwachungsamtes der Stadt Bielefeld (Bielefeld 2002:<br />
Vorwort).<br />
136 Die Gesamtzahl der Berichte ist hier <strong>und</strong> im Folgenden 103 <strong>und</strong> nicht 108, da Teilberichte, die sich zu<br />
einem Gesamtbericht zusammenfügen, als ein Bericht betrachtet wurden. Das betraf die Berichte<br />
Frankfurt/Main 2000a <strong>und</strong> b, 2001a <strong>und</strong> b <strong>und</strong> 2002 sowie Köln 1998a <strong>und</strong> b.<br />
137 Die Organisationsstruktur <strong>und</strong> Bezeichnung der Ämter variiert von Stadt zu Stadt.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 209<br />
Ein Großteil der Berichte ist also das Produkt <strong>eines</strong> bestimmten Amtes, das<br />
federführend Bericht erstattet, oft unter Beteiligung weiterer AkteurInnen, i.d.R. weiterer<br />
Ämter, aber auch freier Träger wie Wohlfahrtsverbände etc. Eine Delegation der<br />
Berichterstattung an externe Institutionen ist eher selten. Unklar <strong>und</strong> mittels<br />
Berichtsanalyse methodisch nicht herauszufinden bleibt jedoch, inwiefern die<br />
Integration weiterer AkteurInnen ein konzeptionelles oder inhaltliches Beteiligungsrecht<br />
umfasst oder schlicht die Integration weiterer Datenquellen anderer Ämter oder<br />
Wohlfahrtsverbände meint.<br />
8.6.3. Die Integration von Methoden<br />
Integrativ bedeutet auch die Integration verschiedener Methoden. Es beziehen jedoch<br />
nur wenige Berichte qualitative Methoden ergänzend in ihre Berichterstattung mit ein.<br />
Nur 8 der von uns betrachteten 108 Berichte wählen neben rein quantitativem<br />
Datenzugang auch qualitative Methoden. In der Regel handelt es sich dabei um<br />
• Fallbeispiele von Armut betroffener Haushalte oder ausgewählter Zielgruppen,<br />
die als ExpertInnen in eigenen Belangen befragt werden, wie z.B. Obdachlose,<br />
Kinder in Armut oder arme Familien,<br />
• ExpertInneninterviews <strong>und</strong>/oder Selbstdarstellungen sozialer Dienste sowie<br />
• Fotodokumentationen (z.B. von belasteten Wohnquartieren, Kinderspielplätzen<br />
oder sozialer Arbeit vor Ort).<br />
Mit der Methodentriangulation verbinden sich verschiedene Vorteile: Der Hauptvorteil<br />
wird darin gesehen, dass sich die Aussagekraft erhöhen <strong>und</strong> die Kumulation von<br />
Mehrfachproblemlagen besser darstellen lässt. Ein Teil der Berichte ist sich der<br />
Bedeutung der Interdependenzen bewusst <strong>und</strong> benennt sie explizit, wie z.B. der<br />
Bielefelder Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht:<br />
„Soziale Problemlagen haben viele Aspekte … Prekäre Situationen entstehen vor alle dann,<br />
wenn mehrere Probleme <strong>und</strong> Risiken kumulieren <strong>und</strong> sie dann von den Betroffenen nicht<br />
mehr aus eigener Anstrengung bewältigt werden können … Somit besteht ein enger<br />
Zusammenhang zwischen materieller Ausstattung <strong>und</strong> anderen Aspekten, die die<br />
Lebenslage bestimmen. Dabei beeinflussen sich die Bereiche gegenseitig. ... So führt z.B.<br />
ein geringer Bildungsstand oder eine schlechtere ges<strong>und</strong>heitliche Verfassung im<br />
allgemeinen zu einem geringeren Erwerbseinkommen, wie auch umgekehrt ein geringeres
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 210<br />
Einkommen die Möglichkeiten der Bildungsteilnahme <strong>und</strong> der Pflege des<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustandes beschränkt“ (Bielefeld 2001: 6).<br />
Aufgr<strong>und</strong> dieser Erkenntnis begnügt sich der Bielefelder Bericht nicht damit,<br />
Interdependenzen gezwungenermaßen auszuklammern, weil sie sich durch einen<br />
Rückgriff auf gängige Datenquellen nicht darstellen lassen. Beschrieben werden<br />
Teilgruppen, bei denen sich Risiken <strong>und</strong> Probleme kumulieren, wozu die<br />
Einschätzungen der MitarbeiterInnen des Sozialdezernats „integriert“ werden, die diese<br />
Teilgruppen regelmäßig betreuen (Bielefeld 2001: 8 ff.). In Ermangelung harter Daten<br />
ist dieser Kunstgriff in kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten sehr beliebt <strong>und</strong><br />
verdeutlicht, dass BerichterstatterInnen Mehrfachbetroffenheiten integrieren wollen,<br />
aber mit herkömmlichen Datenquellen nicht können, wie z.B. im Gießener<br />
Armutsbericht:<br />
„Auf diesem Wege [Einbezug von Fallbeispielen] wurde versucht, die offensichtlichen<br />
Defizite an aussagekräftigen Daten zur Bestimmung von Unterversorgungslagen … ein<br />
Stück weit auszugleichen. Außerdem illustrieren die Fallbeispiele von Gießener Haushalten<br />
… die wechselseitigen Verknüpfungen <strong>und</strong> Zusammenhänge von Unterversorgungslagen in<br />
den Bereichen Einkommen, Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Bildung überaus eindrücklich.<br />
Insofern profitiert der vorliegende Bericht von einem Methodenmix – wenngleich dieser<br />
zunächst nicht anvisiert war, sondern gewissermaßen aus der „Datennot“ geboren wurde.<br />
Schließlich werden an Hand der Fallbeispiele verschiedene Armutskonstellationen deutlich,<br />
die mittels statistischer Erhebungen ohnehin nicht erfasst werden können oder in ihrer<br />
Brisanz durch statistische Durchschnittswerte verdeckt oder gar nivelliert werden“ (Gießen<br />
2002: 12).<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> kommt qualitativen Berichtsansätzen <strong>und</strong> Fallbeispielen eine<br />
enorme methodische Bedeutung zu, weil häufig nur sie es ermöglichen,<br />
<strong>lebenslagen</strong>bezogene Ansätze in einem integrierenden Kontext zu erörtern.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 211<br />
8.6.4. Die Integration von Dimensionen<br />
Ob ein Bericht schließlich das Etikett integrativ oder nicht integrativ erhält, wird in letzter<br />
Konsequenz daran gemessen, ob <strong>und</strong> wie viele Lebenslagendimensionen in ihren<br />
Wechselwirkungen betrachtet werden. Das zeigt beispielsweise folgendes Zitat aus der<br />
Einleitung des Viersener Sozialberichts:<br />
„Die Zusammenstellung der Themenblöcke weist die Viersener Sozialberichterstattung als<br />
eine sogenannte „integrierte SB“ aus. Dies bedeutet, dass nicht über künstlich isolierte<br />
Einzelphänomene berichtet wird, also etwa nur über die Sozialhilfe, was einem<br />
Sozialhilfebericht entspräche, sondern dass in der Zusammenschau verschiedener Aspekte<br />
versucht wird, ein möglichst umfassendes Bild der sozialen Struktur der Stadt Viersen zu<br />
gewinnen. Damit ist dann zumindest in den Gr<strong>und</strong>zügen die Möglichkeit geschaffen, auch die<br />
Ursachen von Problemlagen in den Blick zu bekommen“ (Viersen 2003: 3f).<br />
Zwar steht „integriert“ für weitaus mehr als die Zusammenschau verschiedener Aspekte<br />
(s.o.), dennoch kommt dem Lebenslagenansatz eine entscheidende Rolle zu, wenn es<br />
darum geht, Integration in der Praxis umzusetzen. Daher wird im Folgenden die<br />
Viersener Argumentation aufgegriffen <strong>und</strong> die Berichte werden darauf hin analysiert, ob<br />
sie einen integrierten Berichtsansatz verfolgen. Als Maßstab wird der<br />
Lebenslagenansatz herangezogen.<br />
Ein zunächst oberflächlicher Blick auf die Berichtslandschaft zeigt, dass 15 138 der 108<br />
vorliegenden Berichte Themen- bzw. Spezialberichte sind, die einzelne Lebenslagen<br />
wie Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Arbeitslosigkeit vertiefen <strong>und</strong>/oder spezielle Zielgruppen<br />
wie MigrantInnen, Obdachlose, allein Erziehende, Familien oder Kinder fokussieren.<br />
Folgt man oben beschriebener Definition von „integrativ“, lässt sich daraus weder der<br />
Umkehrschluss ziehen, dass diese 15 Berichte „nicht integrativ“ sind, noch dass alle<br />
anderen einen integrierenden Ansatz verfolgen. Auch genügt es nicht, die Anzahl der<br />
betrachteten Lebenslagendimensionen zu zählen, um anschließend zum Ergebnis zu<br />
kommen, dass X der 108 Berichte Y Lebenslagendimensionen betrachtet haben. Selbst<br />
bei einer hohen Anzahl betrachteter Lebenslagendimensionen müssen diese nicht<br />
zwangsläufig in ihren Zusammenhängen <strong>und</strong> Interdependenzen dargestellt sein.<br />
138 Hierin inbegriffen sind nicht die Sozialhilfe- <strong>und</strong> Leistungsberichte <strong>und</strong> auch nicht die teilräumlichen<br />
Berichte. Auch in Serie erscheinende Themenberichte (z.B. Frankfurt a.M. 2000 a <strong>und</strong> b, 2001 a <strong>und</strong><br />
b, 2002 oder Köln 1998 a <strong>und</strong> b), denen ein übergeordnetes, integratives Gesamtkonzept unterstellt<br />
werden kann, werden hier nicht dazugezählt.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 212<br />
Umgekehrt kann ein Spezialbericht zahlreiche Querverbindungen zu anderen<br />
Lebenslagen <strong>und</strong> Wechselwirkungen aufzeigen. All diese Kombinationsmöglichkeiten<br />
lassen sich in Bezug auf die Integration mehrere Dimensionen „menschlichen Lebens“<br />
exemplarisch auf folgende vier Prototypen reduzieren, die jeweils an einem<br />
Praxisbeispiel dargestellt werden:<br />
a) integrierte Sozialberichterstattung (Sozialberichterstattung, die Integration anstrebt<br />
<strong>und</strong> umsetzt),<br />
b) nicht integrative Sozialberichterstattung (Sozialberichterstattung, die Integration evtl.<br />
anstrebt, aber nicht umsetzt),<br />
c) integrierte Spezialberichterstattung (Spezialberichterstattung, die Zusammenhänge<br />
herstellt <strong>und</strong> Wechselwirkungen aufzeigt) <strong>und</strong><br />
d) nicht integrative Spezialberichterstattung (Spezialberichterstattung, die weder<br />
Zusammenhänge herstellt noch Wechselwirkungen aufzeigt).<br />
Zu a): Integrierte Sozialberichterstattung<br />
Die Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte, die die Lebenslagen der Bevölkerung möglichst breit<br />
abbilden wollen, sind bereits an ihrer Gliederung erkennbar. Die Kapitelüberschriften<br />
lesen sich wie eine mehr oder weniger umfassende Auflistung aller Dimensionen des<br />
menschlichen Lebens. Hierzu zählen beispielsweise die Berichte Bielefeld 2001, Erfurt<br />
2001 <strong>und</strong> Gießen 2002. Der 432 Seiten umfassende Bielefelder Bericht z.B. gliedert die<br />
16 Hauptkapitel entlang der Themen Soziale Problemlagen, Bevölkerung, Qualifikation,<br />
Wirtschaft <strong>und</strong> Beschäftigung, Einkommen <strong>und</strong> Vermögen, Ressourcen der Stadt,<br />
Armutsbegriff <strong>und</strong> Armutsmessung, Sozialhilfebezug, Überschuldung,<br />
Wohnraumversorgung, Arbeitslosigkeit, Armut <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, Kriminalität,<br />
Sozialraumanalyse sowie Zusammenfassung <strong>und</strong> politische Implikationen. Inhaltlich<br />
ähnlich – wenn auch in der Terminologie <strong>und</strong> Gliederung abweichend – verfahren der<br />
Gießener <strong>und</strong> der Erfurter Bericht. Der Erfurter Bericht beispielsweise widmet<br />
ergänzend den Menschen mit Behinderungen <strong>und</strong> den SeniorInnen <strong>und</strong><br />
AusländerInnen ein eigenes Kapitel. Der Gießener Armutsbericht fasst Überschuldung<br />
mit weiteren Indikatoren für finanzielle Probleme in Gießener Haushalten zusammen.<br />
Eine am Lebenslagenansatz orientierte Gliederung macht jedoch noch keine integrierte<br />
Sozialberichterstattung aus. Wesentlich ist vielmehr, ob die Lebenslagendimensionen<br />
untereinander in Verbindung gebracht werden, also z.B. Ges<strong>und</strong>heit in Bezug auf<br />
soziale Herkunft, Bildung <strong>und</strong> Einkommen erörtert oder die Wohnsituation im Kontext
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 213<br />
des Haushalts- oder Familientyps beurteilt wird. In der Regel sind Wechselwirkungen<br />
aber nur dann herzustellen, wenn das Ausgangsdatenmaterial diese Verknüpfungen<br />
von vornherein einbezieht. Genau dies tun klassische Datenquellen jedoch nicht (vgl.<br />
hierzu Kap. 7.2.). Ergebnis ist in aller Regel ein Bericht, der zwar alle „Dimensionen des<br />
menschlichen Lebens“ einbezieht <strong>und</strong> die Dimensionen nacheinander unter Einbezug<br />
der gängigen Datenquellen aufführt <strong>und</strong> aufbereitet. Integration im Sinne von<br />
„Aufzählen aller Lebenslagendimensionen“ findet also statt. Integration im Sinne von<br />
„Aufzeigen von Querverbindungen“ findet in der Regel nur ausnahmsweise statt,<br />
nämlich dann, wenn die Datenlage diese Querverbindungen ausnahmsweise herstellen.<br />
Selbst dort, wo das Datenmaterial Querverbindungen ermöglichen würde, werden diese<br />
häufig nicht systematisch ausgeschöpft. Für die Querverbindung „Arbeitslosigkeit <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit“ z.B. hält die Arbeitslosenstatistik die Arbeitslosenzahlen nach<br />
ges<strong>und</strong>heitlicher Einschränkung bereit. Im Erfurter Sozialbericht (2001: 60 ff.) wird die<br />
Erfurter Arbeitsmarktsituation umfassend dargestellt, insbesondere die <strong>Entwicklung</strong> der<br />
Arbeitslosenquote nach Altersstruktur <strong>und</strong> Geschlecht. Eine Darstellung der<br />
Arbeitslosen nach ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen oder Qualifikation <strong>und</strong> Dauer der<br />
Arbeitslosigkeit wird im Unterschied zu Bielefelder Bericht (2001: 145 ff.) nicht<br />
vorgenommen.<br />
Zu b): Nicht integrative Sozialberichterstattung<br />
Exemplarisch für einen nicht integrativen Armutsbericht steht der Berliner Einkommens<strong>und</strong><br />
Armutsbericht 2002 (Berlin 2001). Auf der Basis des Mikrozensus werden die<br />
Einkommensverhältnisse der Berliner Bevölkerung sowohl im innerstädtischen<br />
Vergleich als auch im Vergleich mit anderen Regionen der B<strong>und</strong>esrepublik dargestellt.<br />
Armut wird auf Einkommensarmut reduziert. Der entsprechende Indikator ist das<br />
bedarfsgewichtete Äquivalenzeinkommen, das nach Haushaltstypen, Altersklassen,<br />
Nationalität <strong>und</strong> Stadtbezirken bzw. Ost/West aufgeschlüsselt wird. Auch die<br />
Ausgabenseite wird beleuchtet, nämlich anhand des Indikators „Mietbelastung der<br />
Mieter“ (Berlin 2001: 15 ff.). Der einzig erkennbare Querbezug zu weiteren<br />
Lebenslagendimensionen besteht in der Differenzierung des Einkommensniveaus nach<br />
MieterInnen <strong>und</strong> WohnungseigentümerInnen mit dem Ergebnis, dass das<br />
Einkommensniveau der WohnungseigentümerInnen um ca. 33 Prozent über dem<br />
Berliner Durchschnitt, dasjenige der Mieter hingegen drei Prozent unter dem<br />
Durchschnitt liegt. Weitere Wechselwirkungen zwischen Einkommen <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 214<br />
oder Einkommen <strong>und</strong> Bildung, Erwerbsarbeit oder Partizipation werden nicht<br />
hergestellt, obwohl dies auf Basis des Mikrozensus, also einer vergleichsweise<br />
komfortablen Datengr<strong>und</strong>lage, durchaus möglich gewesen wäre.<br />
Zu c): Integrierte Spezialberichterstattung<br />
Prototypisch für eine Spezialberichterstattung, die eine bestimmte Lebenslage zentral in<br />
den Vordergr<strong>und</strong> rückt, aber dennoch eine Integration anstrebt <strong>und</strong> umsetzt ist die<br />
Bielefelder Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung. Neben klassischen Datenquellen <strong>und</strong><br />
Indikatoren wie Zahnges<strong>und</strong>heit im Rahmen des Gr<strong>und</strong>schulsurveys <strong>und</strong><br />
Früherkennungsuntersuchungen oder Wahrnehmung der Impfvorbeugungen werden<br />
Querbezüge zu Bildung, Wohnen <strong>und</strong> Einkommen sowie den Haushalts- <strong>und</strong><br />
Familienstrukturen oder Themen wie Jugendarbeitslosigkeit, Armut oder Gewalt <strong>und</strong><br />
sexuellem Missbrauch hergestellt.<br />
Konzeptionelle Integration weiterer Lebenslagen gelingt hier durch eine<br />
Zusatzbefragung 139 der Eltern einzuschulender Kinder, weil eine zusätzliche<br />
Einbeziehung der Schichtindikatoren Bildung, Einkommen <strong>und</strong> Beruf gewünscht <strong>und</strong><br />
folglich erhoben wird (Bielefeld 2002: 25 ff.). Auch der Lebenslagenbereich Wohnen<br />
wird berücksichtigt. Der Einfluss des Wohnens auf das Familienklima bzw. die<br />
Zufriedenheit mit der Partnerschaft wird anhand des Indikators „Wohnfläche“<br />
berücksichtigt. Auch die Ausstattung der Wohnung, die Infrastruktur des Wohngebiets<br />
(gemessen über die Indikatoren Freizeitangebote für Kinder <strong>und</strong> Erwachsene sowie<br />
Grün- <strong>und</strong> Parkanlagen) <strong>und</strong> die Wohnungsbelastungen (gemessen über die<br />
Indikatoren Feuchtigkeit, Hellhörigkeit, sanitäre Einrichtungen oder<br />
ges<strong>und</strong>heitsabträgliche Baustoffe) werden einbezogen <strong>und</strong> im Zusammenhang mit dem<br />
Familientyp erörtert <strong>und</strong> ausgewertet. Wechselbeziehungen zwischen<br />
Wohnbedingungen <strong>und</strong> Familientyp, sozialem Status <strong>und</strong> Familientyp oder<br />
ges<strong>und</strong>heitlicher <strong>und</strong> finanzieller Lage der Familien sind konzeptioneller <strong>und</strong> inhaltlicher<br />
Bestandteil des Berichts. Die Ausgangslage des Bielefelder Datenmaterials ist zunächst<br />
nicht komfortabler als die anderer Kommunen, denn Hauptdatenquelle ist die<br />
Schuleingangsuntersuchung. Im Unterschied zu anderen Kommunen wird diese<br />
139 Die Rücklaufquote der freiwillig von den Eltern auszufüllenden Zusatzbefragung betrug allerdings nur<br />
24,7 %, was für diese Art der Befragung von den AutorInnen aber als gut eingestuft wird (Bielefeld<br />
2002: 25). Die im Ergebnis linksschiefe Verteilung mit Unterrepräsentanz der Eltern ausländischer<br />
Herkunft <strong>und</strong> ausgeprägtem Mittelschichtsbias wird bei der Ergebnisinterpretation berücksichtigt.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 215<br />
Datenquelle nicht nur regelmäßig ausgewertet, sondern außerdem ergänzt um eine<br />
Zusatzbefragung, die Interdependenzen zu anderen Lebenslagenbereichen aufzeigt<br />
<strong>und</strong> somit Integration anstrebt <strong>und</strong> umsetzt. Auch im Rahmen der Bielefelder Armuts<strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung nimmt der Bereich Ges<strong>und</strong>heit viel Raum ein <strong>und</strong> ist<br />
Ergebnis einer sinnvollen Zusammenführung der Berichtssysteme 140 .<br />
Zu d): Nicht-integrative Spezialberichterstattung<br />
Spezialberichterstattung, die nichts integriert ist <strong>und</strong> Querbezüge meidet, ist weit<br />
verbreitet. Zwei unterschiedliche konzeptionelle <strong>und</strong> epochale Zugänge innerhalb der<br />
Berichte lassen sich hier unterscheiden. Erstens: Ein Bericht zieht zu einem<br />
Spezialthema nur eine einzige Datenquelle heran, welche keine Wechselwirkungen <strong>und</strong><br />
Querbezüge zu weiteren Lebenslagendimensionen integriert, <strong>und</strong> die AutorInnen geben<br />
sich mit dieser Ausgangslage konzeptionell zufrieden. Dies betrifft insbesondere die<br />
Sozialhilfeberichte <strong>und</strong> Berichte zur Arbeitslosigkeit der späten 1980er <strong>und</strong> frühen<br />
1990er Jahre. Zweitens: Die laufende Sozialberichterstattung einer Kommune fußt auf<br />
einer Aneinanderreihung von Spezialberichten, die die verschiedenen sozialen Lagen in<br />
ihrem Gesamtkontext in einzelne Speziallagen zerlegt, aber konzeptionell beansprucht,<br />
einen Überblick über die soziale Lage der Bevölkerung insgesamt zu liefern. Diese Art<br />
der Berichterstattung gleicht einem Sozialbericht mit verschiedenen Unterkapiteln,<br />
allerdings mit dem Unterschied, dass die Unterkapitel in verschiedenen Jahren<br />
erscheinen, aber trotzdem in ihrer Gesamtheit betrachtet <strong>und</strong> beurteilt werden sollen.<br />
Exemplarisch für einen Spezialbericht im Kontext laufender Berichterstattung sei hier<br />
der Essener Bericht zur „Arbeitslosigkeit im September 1996“ genannt (Essen 1997a).<br />
Der Bericht gilt konzeptionell als „wesentlicher Baustein der laufenden<br />
Sozialberichterstattung“ (Essen 1997a: 17). Berichte über die Wohnsituation in Essen,<br />
ältere Menschen oder soziale Ungleichheit in Essen erscheinen daneben in<br />
regelmäßigen Abständen. Zusätzlich werden in Essen statistische Vierteljahresberichte<br />
herausgegeben, die sich jeweils einem Sonderthema wie Mobilität,<br />
Wanderungsbewegungen oder Beschäftigungsstruktur <strong>und</strong> Wahlverhalten widmen. Der<br />
Bericht zur Arbeitslosigkeit in Essen nimmt das Ausmaß der Betroffenheit<br />
unterschiedlicher Berufsgruppen kleinräumig in den Blick. Datenquellen sind das<br />
Arbeitsamt Essen sowie die Einwohnermeldedatei. Im Ergebnis ist der Bericht ein<br />
140 Kistler/ Sing halten es für eine „Bringschuld der Wissenschaft selbst, gerade auch von uns<br />
Sozialberichterstattern, die Ergebnisse an andere Berichtssysteme hinüberzureichen“ (Kistler/ Sing 2001:<br />
162).
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 216<br />
typischer Arbeitslosenbericht, der nach Altersklassen, Geschlecht, Nationalität <strong>und</strong><br />
beruflicher Qualifikation unterscheidet. Thematisiert wird außerdem die<br />
Sozialhilfebedürftigkeit in Folge der Arbeitslosigkeit (Essen 1997a: 35 ff.). Ein<br />
Zusammenhang von Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen oder<br />
Schul- <strong>und</strong> Berufsabschluss wird nicht hergestellt, obwohl die gängigen<br />
Arbeitslosenstatistiken der Arbeitsämter problemlos daraufhin auswertbar gewesen<br />
wären. Mit Ausnahme der einleitenden Bek<strong>und</strong>ung, dass es sich bei dem Bericht um<br />
einen Baustein der Sozialberichterstattung handele, werden keine weiteren<br />
Lebenslagen in den Blick genommen oder Bezüge zu weiteren Lebenslagen anderer<br />
Berichte hergestellt.<br />
Fazit: Wird „Integration“ auf die Frage der Integration von Lebenslagendimensionen<br />
fokussiert, sind vier verschiedene Prototypen erkennbar, worunter die integrierten<br />
Sozialberichte seit Mitte der 1990er Jahre aufgr<strong>und</strong> der Verbreitung des<br />
Lebenslagenansatzes durchaus überwiegen. Das Problem, Lebenslagendimensionen<br />
nicht in ihren Wechselwirkungen darstellen zu können, wird jedoch in den seltensten<br />
Fällen benannt. Dies mag entweder daran liegen, dass dies aus Sicht der AutorInnen<br />
kein Problem darstellt oder daran, dass methodisch-konzeptionelle Probleme mit<br />
Rücksicht auf potentielle LeserInnen gr<strong>und</strong>sätzlich selten Bestandteile der Berichte<br />
sind.<br />
8.6.5. Fazit: Bedingungsfaktoren für integrierte Berichtsansätze<br />
Die Bedingungsfaktoren für erfolgreiches Gelingen integrierter Berichterstattung lassen<br />
sich aus den bisherigen Erkenntnissen wie folgt auf den Punkt bringen:<br />
1. Ausschöpfung des prinzipiell Machbaren: Die meisten Datenquellen geben mehr<br />
her, als Berichterstattung auswertet <strong>und</strong> ausschöpft. Hier gilt es, an den<br />
entscheidenden Schnittstellen zwischen einzelnen Lebenslagendimensionen mehr<br />
„herauszuholen“ <strong>und</strong> sich gleichzeitig auf das Wesentliche zu reduzieren.<br />
2. Ein gewisses Maß an Renitenz: BerichterstatterInnen begnügen sich nicht mit dem,<br />
was Datenquellen original hergeben, sondern initiieren Zusatzbefragungen oder<br />
erschließen weitere Datenquellen <strong>und</strong>/oder integrieren weitere methodische, auch<br />
qualitative Zugänge wie z.B. Fallbeispiele oder ExpertInnenbefragungen.
8. Zentrale Herausforderungen in der kommunalen Berichterstattung 217<br />
3. Kontinuität <strong>und</strong> Vergleichbarkeit: Die Fortschreibungsfähigkeit von Indikatoren<br />
innerhalb <strong>eines</strong> standardisierten Berichtswesens ist wesentlich für das Gelingen<br />
integrierter Berichterstattung ebenso wie Diskussion <strong>und</strong> Evaluation der Berichte<br />
innerhalb <strong>eines</strong> regelmäßig tagenden Beirats.<br />
4. Kritisch-hinterfragender <strong>und</strong> reflektierter Umgang mit wissenschaftlichen Konzepten<br />
(Jacobs 2004): Der Lebenslagenansatz mag zwar aktuell der fortschrittlichste<br />
Berichtsansatz sein, den die Wissenschaft zu bieten hat. Das sollte aber nicht dazu<br />
führen, die Schwächen des Ansatzes auszublenden. Wer die Schwächen erkennt,<br />
neigt zu Unzufriedenheit. Wer unzufrieden ist, sucht nach kreativen Lösungen.<br />
8.7. Fazit<br />
Dieses Kapitel hat detailliert die Herausforderungen aufgezeigt, denen sich eine<br />
kommunale Berichterstattung zu stellen hat, die kontinuierlich <strong>und</strong> intrakommunal wie<br />
interkommunal vergleichbar ist, verlaufsorientiert <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong>bezogen vorgeht sowie<br />
konsequent sozialraumbezogen <strong>und</strong> <strong>lebenslagen</strong>orientiert erfolgt. Bei jedem der<br />
erörterten Themen wurden die Relevanz <strong>und</strong> der sozialplanerische Nutzen verdeutlicht,<br />
kreative Beispiele für die Umsetzung angeführt sowie auch die jeweiligen Chancen <strong>und</strong><br />
Schwierigkeiten diskutiert. Am Ende der sechs Unterkapitel wurde Empfehlungen für die<br />
Umsetzung unterbreitet bzw. der Handlungsbedarf formuliert.<br />
Keiner der uns vorliegenden Berichte wird durchgängig allen hier formulierten<br />
Herausforderungen gerecht, jedoch haben einzelne Berichte innerhalb der<br />
angesprochenen Themen durchaus Vorbildfunktion. Die in ihnen niedergelegten<br />
Erkenntnisse sollten genutzt werden, um die kommunale Berichterstattung<br />
konzeptionell <strong>und</strong> methodisch weiterzuentwickeln.
9. Das Datenmodulsystem 218<br />
9. Das Datenmodulsystem<br />
Das nachfolgende Kapitel befasst sich mit dem Hauptanliegen des Projektes, der<br />
Konzipierung <strong>eines</strong> Datenmodulsystems, das aussagekräftige Indikatoren zu<br />
materiellen <strong>und</strong> immateriellen Lebenslagen umfasst <strong>und</strong> verschiedene Typen von<br />
Kommunen in die Lage versetzt, mit einem vertretbaren Aufwand quartiersbezogene<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichte zu erstellen. Dabei wird zuerst das Vorgehen bei der<br />
Zusammenstellung des Datenmodulsystems beschrieben, dann wird das<br />
Datenmodulsystem in seinen verschiedenen Versionen im Überblick vorgestellt <strong>und</strong><br />
anschließend inhaltlich erläutert. Mit Empfehlungen für die praktische Umsetzung des<br />
Datenmodulsystems schließt das Kapitel.<br />
Es ist wichtig zu betonen, dass das hier präsentierte Datenmodulsystem als eine<br />
Diskussionsgr<strong>und</strong>lage verstanden werden sollte <strong>und</strong> im Einzelfall noch an die<br />
jeweiligen Gegebenheiten vor Ort angepasst werden muss. Dies unterstreicht die<br />
Notwendigkeit einer Erprobung des erstellten Prototyps im Rahmen <strong>eines</strong><br />
Anschlussprojektes.<br />
9.1. Vorgehen bei der Konzipierung des Datenmodulsystems<br />
In einem ersten Schritt wurden die verfügbaren kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichte daraufhin untersucht, welche Indikatoren sie zu den verschiedenen<br />
Lebenslagendimensionen beinhalten. Für die Dimensionen Demografie,<br />
Finanzsituation, Bildung, Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit, Partizipation <strong>und</strong> Kriminalität 141 wurden<br />
alle in den Berichten vorzufindenden Indikatoren in tabellarischer Form systematisch<br />
zusammengestellt. Dabei wurde unterschieden zwischen Standard- <strong>und</strong><br />
Spezialindikatoren bzw. ihren Standard- <strong>und</strong> Spezialausprägungen. Als<br />
Standardindikatoren bzw. -ausprägungen wurden solche angesehen, die in fast allen<br />
Berichten, in denen die entsprechende Lebenslagendimension vertreten ist, nahezu<br />
standardmäßig abgebildet wurden. Unter Spezialindikatoren bzw. -ausprägungen<br />
141 Die untersuchten Dimensionen entsprechen den in den kommunalen Berichten vertretenen<br />
Dimensionen (vgl. Kap. 5.4.4.). Ausgenommen von der hier geschilderten systematischen<br />
Evaluierung wurden die Dimension „Erwerbsarbeit“ <strong>und</strong> der Indikator „Hilfe zum Lebensunterhalt“.<br />
Hier ist in Folge der Sozialreformen (besonders Hartz IV) mit ihren noch nicht absehbaren<br />
Veränderungen in der Arbeitslosen- <strong>und</strong> Sozialhilfestatistik mit einer weitgehenden Unbrauchbarkeit<br />
der uns vorliegenden Berichte für die Konzeption <strong>eines</strong> Datenmodulsystems zu rechnen. Eine<br />
umfassende Auflistung der Ausprägungen in diesen Bereichen schien uns daher wenig sinnvoll.
9. Das Datenmodulsystem 219<br />
wurden dagegen solche verstanden, die sich nur vereinzelt in Berichten fanden <strong>und</strong><br />
damit sozusagen eine Abweichung von der Norm darstellen. Zudem wurde jeweils die<br />
kleinste räumliche Bezugseinheit angegeben, in der ein Indikator bzw. eine Ausprägung<br />
in den Berichten ausgewiesen war. Diese muss nicht zwangsläufig deckungsgleich mit<br />
dem kleinstmöglichen Bezugsraum sein, also mit der kleinsten räumlichen Einheit, für<br />
die der jeweilige Indikator bzw. die jeweilige Ausprägung abbildbar ist. Zuletzt wurden<br />
die angegebenen Datenquellen für die Indikatoren bzw. ihre Ausprägungen aufgeführt,<br />
sofern die Quelle ersichtlich war. Die Ergebnisse dieser systematischen Evaluierung der<br />
in den Berichten vertretenen Indikatoren finden sich im Anhang.<br />
In einem zweiten Schritt nahmen wir uns diese Auflistungen vor <strong>und</strong> entwickelten<br />
daraus ein Schema für ein Datenmodulsystem, das die vier Themenbereiche/<br />
Lebenslagendimensionen „Demografie“, „Finanzsituation“, „Immaterielle Lebenslagen“<br />
<strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ 142 umfasst. Innerhalb dieser vier<br />
Dimensionen unterschieden wir nach Basismodulen, die unserer Ansicht nach<br />
standardmäßig in Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichten vertreten sein sollten <strong>und</strong><br />
zusammengenommen die Basisversion, also die „Normalversion“ <strong>eines</strong> kommunalen<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichts bilden, <strong>und</strong> nach Zusatzmodulen, die zur Beantwortung<br />
spezifischer Fragestellungen nach Bedarf in die Berichterstattung mit einbezogen<br />
werden sollten <strong>und</strong> gemeinsam mit den Basismodulen die Maximalversion des<br />
Datenmodulsystems darstellen. Außerdem differenzierten wir innerhalb der Module<br />
nach zwei unterschiedlichen Typen von Kommunen: Kommunen mit Zugriffsmöglichkeit<br />
auf den Mikrozensus 143 <strong>und</strong> Kommunen ohne diese Option. Zusätzlich konzipierten wir<br />
eine Minimalversion des Datenmodulsystems, die hinsichtlich ihres Indikatorenumfangs<br />
noch deutlich unterhalb der Ebene der Basisversion angesiedelt sein sollte <strong>und</strong> das<br />
absolute Minimum an Indikatoren für eine <strong>lebenslagen</strong>orientierte Berichterstattung<br />
umfasst.<br />
Zuletzt wählten wir diejenigen Indikatoren <strong>und</strong> Ausprägungen für den Eingang in das<br />
entwickelte Schema des Datenmodulsystems aus, die aus unserer Sicht die relevanten<br />
142 Da es sich bei „Demografie“ um keine Lebenslagendimension handelt, verwenden wir ergänzend den<br />
Begriff „Themenbereiche“. Im Folgenden werden diese Themenbereiche/Lebenslagendimensionen<br />
der Einfachheit halber nur noch als „Dimensionen“ bezeichnet.<br />
143 Beim Mikrozensus handelt es sich um eine jährliche amtliche Repräsentativstatistik über die<br />
Bevölkerung <strong>und</strong> den Arbeitsmarkt mit einem Auswahlsatz von einem Prozent der b<strong>und</strong>esdeutschen<br />
Bevölkerung (für nähere Erläuterungen siehe Emmerling/Riede 1997; vgl. auch Kap. 6.2.1.).
9. Das Datenmodulsystem 220<br />
<strong>und</strong> aussagekräftigen Indikatoren für die jeweiligen Module darstellen <strong>und</strong> ordneten<br />
diese entsprechend zu.<br />
9.2. Das Datenmodulsystem im Überblick<br />
Wie bereits in Kap. 9.1. angesprochen gibt es drei Versionen des Datenmodulsystems:<br />
eine Minimalversion, eine Basisversion <strong>und</strong> eine Maximalversion. Die Minimalversion<br />
besteht aus acht Modulen, die innerhalb der vier Dimensionen „Demografie“,<br />
„Finanzsituation“, „Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben“ angesiedelt sind (Abb. 17). Die Basisversion, die wir als anzustrebende<br />
Version des Datenmodulsystems empfehlen, besteht aus zehn Modulen, die wir auch<br />
als Basismodule bezeichnen. Diese finden sich wiederum innerhalb der vier<br />
Dimensionen „Demografie“, „Finanzsituation“, „Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe<br />
am gesellschaftlichen Leben“ (Abb. 18). Die Maximalversion des Datenmodulsystems<br />
schließlich ergänzt die Basisversion um neun Zusatzmodule, die wiederum innerhalb<br />
der vier Dimensionen „Demografie“, „Finanzsituation“, „Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong><br />
„Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ oder aber an der Schnittstelle zwischen diesen<br />
Dimensionen anzusiedeln sind (Abb. 19).<br />
Lesehilfe für die Abbildungen: Die grau eingefärbten, vertikal beschrifteten Flächen<br />
der Balken in den Abbildungen stellen die jeweiligen Dimensionen dar, innerhalb der<br />
weißen Flächen der Balken in Abb. 17 <strong>und</strong> 18 bzw. innerhalb der Ellipsen in Abb. 19<br />
finden sich die Module. Die Pfeile zwischen den Balken in Abb. 18 verdeutlichen die<br />
Interdependenzen zwischen den verschiedenen Lebenslagendimensionen.
9. Das Datenmodulsystem 221<br />
Abb. 17:<br />
Demographie<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Abb. 18:<br />
Demographie<br />
Demographie<br />
Demographie<br />
Finanzsituation<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Finanzsituation<br />
Datenmodulsystem<br />
- Minimalversion -<br />
Transfereinkommen<br />
Überschuldung<br />
Immaterielle Lebenslagen<br />
Bildung<br />
Wohnen<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Datenmodulsystem<br />
- Basisversion -<br />
Einkommen<br />
allgemein<br />
Transfereinkommen<br />
Weitere<br />
Indikatoren<br />
für prekäre<br />
EinkommenslageÜberschuldung<br />
Immaterielle Lebenslagen<br />
Bildung<br />
Wohnen<br />
Ges<strong>und</strong>heit<br />
Teilhabe am gesellsch. Leben<br />
Teilhabe am gesellsch. Leben<br />
Erwerbsarbeit<br />
Politische<br />
Partizipation<br />
Erwerbsarbeit<br />
Politische<br />
Partizipation
9. Das Datenmodulsystem 222<br />
Abb. 19:<br />
Datenmodulsystem - Zusatzmodule als Ergänzung<br />
der Basisversion zur Maximalversion -<br />
Demographie<br />
Migration<br />
Behinderung<br />
Wanderung<br />
+ Bevölkerungsprognose<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
9.2.1. Die Minimalversion<br />
Finanzsituation<br />
Vermögen<br />
+ Reichtum<br />
Wohnungsnotfälle<br />
Ges<strong>und</strong>heitsverhalten/<br />
-risiken<br />
Die Minimalversion des Datenmodulsystems umfasst gerade so viele Indikatoren, dass<br />
man noch von einer <strong>lebenslagen</strong>basierten Berichterstattung sprechen kann. Diese<br />
Version des Datenmodulsystems berücksichtigt besonders, dass die Datenquellen der<br />
beinhalteten Indikatoren problemlos für jede Kommune verfügbar <strong>und</strong> ohne größeren<br />
Aufwand auswertbar sind. Es muss jedoch an dieser Stelle deutlich darauf hingewiesen<br />
werden, dass in dieser Version Verknüpfungsmöglichkeiten zwischen den einzelnen<br />
Modulen, wie sie innerhalb der Basis- <strong>und</strong> der Maximalversion möglich sind, fast<br />
vollständig verloren gehen. Daher plädieren wir eher für eine Umsetzung der<br />
weitergehenden Basisversion, jedoch kann die Minimalversion für Kommunen, die im<br />
Bereich der Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung noch unerfahren sind, ein Einstieg<br />
sein. Denn zumindest gibt diese Version einen Hinweis auf die Breite der Lebenslagen<br />
der Bevölkerung vor Ort, wenn die Lebenslagen in ihrer Tiefe auch nur unzureichend<br />
beschrieben werden können.<br />
Immaterielle Lebenslagen<br />
Soziale Dienste<br />
Sprachstand<br />
Kriminalität<br />
Teilhabe am gesellsch. Leben
9. Das Datenmodulsystem 223<br />
Einige der Indikatoren innerhalb der Basismodule „Transfereinkommen“ <strong>und</strong><br />
„Erwerbsarbeit“ sind in ihren konkreten Ausprägungen aufgr<strong>und</strong> der Auswirkungen von<br />
Hartz IV auf die jeweilige Datengr<strong>und</strong>lage noch nicht endgültig zu beschreiben, daher<br />
ist bei ihnen vermerkt, dass sie sich noch in Bearbeitung befinden.<br />
Abb. 20 stellt die Minimalversion des Datenmodulsystems mit den zugehörigen 14<br />
Indikatoren im Überblick dar.<br />
Abb. 20: Die Indikatoren des Datenmodulsystems auf einen Blick (Minimalversion)<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Demografie“<br />
Basismodul „Demografie“<br />
Bevölkerungsbestand (Individuen)<br />
Bevölkerungsbestand (Familien)<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Finanzsituation“<br />
Basismodul „Transfereinkommen“<br />
Wohngeld (in Bearbeitung)<br />
Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII (in Bearbeitung)<br />
Gr<strong>und</strong>sicherung nach SGB XII (in Bearbeitung)<br />
Arbeitslosengeld I (in Bearbeitung)<br />
Arbeitslosengeld II nach SGB II (in Bearbeitung)<br />
Sozialgeld nach SGB II (in Bearbeitung)<br />
Basismodul „Überschuldung“<br />
Beratungsfälle der Schuldnerberatungsstellen<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Immaterielle Lebenslagen“<br />
Basismodul „Bildung“<br />
Schulische Qualifikation<br />
Basismodul „Wohnen“<br />
Soziale Wohnungsversorgung<br />
Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
Themenbereich / Lebenslagendimension „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Registrierte Arbeitslose (in Bearbeitung)<br />
Basismodul „Politische Partizipation“<br />
Wahlbeteiligung<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung
9. Das Datenmodulsystem 224<br />
Nachfolgend findet sich eine detaillierte Aufstellung des Datenmodulsystems in<br />
tabellarischer Form. Dabei wird jeder Indikator nochmals unter folgenden Kriterien<br />
beleuchtet:<br />
• Ausprägungen: Auflistung der konkreten Ausprägungen des Indikators, die erhoben<br />
werden sollen,<br />
• Funktion/Aussagewert: das Erkenntnisinteresse <strong>und</strong> die Interpretationsmöglichkeiten<br />
des Indikators,<br />
• Raumbezug: die anzustrebende räumliche Auswertungsebene, wobei zwischen<br />
kleinräumig <strong>und</strong> gesamtstädtisch unterschieden wird,<br />
• Datenquelle: das Amt bzw. die Statistik, von dem bzw. aus der die Daten stammen,<br />
• Nutzen für die Fachplanung: die Planungsbereiche, in denen der Indikator<br />
Anwendung finden kann,<br />
• Verknüpfungsmöglichkeiten: Verweise auf modulübergreifende Indikatorenausprägungen,<br />
die Interdependenzen zwischen verschiedenen Lebenslagendimensionen<br />
sichtbar machen.<br />
Als hilfreich für diese Aufstellung erwiesen sich vor allem die Indikatorenliste der<br />
Sozialraumanalyse in Mainz (Mainz 1995: 59 ff.) <strong>und</strong> die Aufstellung der Indikatoren für<br />
das sozialräumliche Monitoringsystem der Städte Gießen <strong>und</strong> Wetzlar (Meier/ Löser<br />
2004: 19 ff.).
9. Das Datenmodulsystem 225<br />
Tab. 27: Indikatorenset des Datenmodulsystems (Minimalversion)<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Demografie“<br />
Basismodul „Demografie“<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Individuen)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Alter,<br />
nach Nationalität,<br />
AussiedlerInnen 144 ,<br />
nach Familienstand<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Prognose von Zielgruppen, Überalterung, Segregation, erhöhte<br />
Integrationsanforderungen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe,<br />
Altenhilfe, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Familien)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Familientyp,<br />
nach Kinderzahl,<br />
nach Alter der Kinder,<br />
nach Nationalität<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Kinderbetreuungsbedarf<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister / Familienverbandsstatistik<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, familienorientierte Kommunalpolitik,<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
144 AussiedlerInnen werden über die doppelte Staatsbürgerschaft/zweite Staatsangehörigkeit identifiziert.
9. Das Datenmodulsystem 226<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Finanzsituation“<br />
Basismodul „Transfereinkommen“<br />
Indikator Wohngeld<br />
Ausprägungen nach Personen,<br />
nach Haushalten,<br />
nach Dauer des Wohngeldbezugs,<br />
durchschnittlicher Wohngeldanspruch<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Wohngeldempfängerdatei<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten ?<br />
Indikator Gr<strong>und</strong>sicherung nach SGB XII<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten ?<br />
Indikator Arbeitslosengeld I<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete, Zielgruppe der Sozialplanung<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Indikator Arbeitslosengeld II nach SGB II<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete, Zielgruppe der Sozialplanung<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“
9. Das Datenmodulsystem 227<br />
Indikator Sozialgeld nach SGB II<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten ?<br />
Basismodul „Überschuldung“<br />
Indikator Beratungsfälle der Schuldnerberatungsstellen<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der Bevölkerung,<br />
je nach Geschäftsstatistik der Schuldnerberatungsstellen auch<br />
nach soziodemografischen Merkmalen, Einkommensarten <strong>und</strong><br />
Einkommenshöhe, Schuldenarten, Ursachen für Überschuldung,<br />
Schuldenvolumen, Anzahl der Gläubiger<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Schuldnerberatungsstellen<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten
9. Das Datenmodulsystem 228<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Immaterielle Lebenslagen“<br />
Basismodul „Bildung“<br />
Indikator Schulische Qualifikation<br />
Ausprägungen SchülerInnen <strong>eines</strong> Schuljahres nach Schulformen,<br />
Übergänge von den Gr<strong>und</strong>schulen in weiterführende Schulen,<br />
SchulabgängerInnen <strong>eines</strong> Schuljahres nach höchstem erreichten<br />
Schulabschluss bzw. ohne Abschluss<br />
Funktion/Aussagewert Bildungsstruktur, sozioökonomischer <strong>und</strong> sozialer Status,<br />
Erwerbschancen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Schulen / Angaben des Schulverwaltungsamtes bzw.<br />
staatlichen Schulamtes<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Themenbereich / der Lebenslagendimension<br />
„Finanzsituation“:<br />
Nach BaFög geförderte SchülerInnen 145 ,<br />
Beihilfen für finanziell benachteiligte SchülerInnen 146<br />
Basismodul „Wohnen“<br />
Indikator Soziale Wohnungsversorgung<br />
Ausprägungen Soziale Wohnungsbauförderung,<br />
Belegungs- <strong>und</strong> Mietpreisbindung,<br />
Anteil Sozialwohnungen an allen Wohnungen,<br />
Angebot spezieller Wohnformen (alten- <strong>und</strong> behindertengerecht,<br />
betreutes Wohnen für Senioren / im Kinder- <strong>und</strong> Jugendbereich),<br />
Anzahl der Wohnungssuchenden im Verhältnis zum Angebot<br />
Funktion/Aussagewert statusschwache Gebiete, Struktur des Wohnungsangebot für<br />
spezielle Bedarfe<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Kommunales Amt für Wohnungswesen, Statistisches Landesamt,<br />
Wohnungsbaugesellschaften<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“<br />
Indikator Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
Ausprägungen Morbiditätsraten (nach Adipositas <strong>und</strong> Karies)<br />
Funktion/Aussagewert Ernährungsstörungen, Sozialisationsbedingungen, ungünstige<br />
Prognose für Ges<strong>und</strong>heitszustand als Erwachsene<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Schuleingangsuntersuchungen / Gr<strong>und</strong>schuluntersuchungen des<br />
Ges<strong>und</strong>heitsamtes<br />
Nutzen für Fachplanung Prävention, Interventions- <strong>und</strong> Schulungsbedarf der Eltern,<br />
LehrerInnen <strong>und</strong> Kinder<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“:<br />
Arbeitslose nach ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen 147<br />
145 Quelle hierfür sind Angaben des Sozialamtes.<br />
146 Quelle hierfür ist unklar.<br />
147 Quelle sind Angaben der Agentur für Arbeit.
9. Das Datenmodulsystem 229<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Indikator Registrierte Arbeitslose<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Arbeitslosenquote (Anteil bezogen auf alle<br />
abhängigen zivilen Erwerbspersonen 148 ),<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Alter,<br />
nach Nationalität,<br />
nach Dauer der Arbeitslosigkeit,<br />
nach vorheriger Stellung im Beruf,<br />
nach Voll- <strong>und</strong> Teilzeitsuchenden,<br />
Verhältnis von offenen Stellen <strong>und</strong> Arbeitslosen<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Zielgruppe der Sozialplanung,<br />
Struktur der Arbeitslosen, Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Agentur für Arbeit<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld I <strong>und</strong> II 149<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“:<br />
Arbeitslose nach ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen 150<br />
Basismodul „Politische Partizipation“<br />
Indikator Wahlbeteiligung<br />
Ausprägungen Anteil der Wahlbeteiligung an den Wahlberechtigten<br />
(B<strong>und</strong>estagswahl, Landtagswahl, Kommunalwahl)<br />
Funktion/Aussagewert Politisches Tagesinteresse, Sozialisationsbedingungen,<br />
NichtwählerInnen: passive Verweigerung, Integrationsbedarf<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Amt für Wahlen<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
9.2.2. Die Basisversion <strong>und</strong> ihre Ergänzung zur Maximalversion<br />
Zur Basisversion, der von uns empfohlenen „Normalversion“ <strong>eines</strong> kommunalen<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichts, gehören 40 bzw. 34 151 Indikatoren. Dabei ist nochmals zu<br />
unterscheiden zwischen dem Indikatorenset für Städte, die auf den Mikrozensus<br />
zurückgreifen können, <strong>und</strong> dem Indikatorenset für Städte, für die diese Datenquelle<br />
nicht offen steht. Diese Differenzierung begründet sich darin, dass bestimmte<br />
Indikatoren, nämlich „Monatliches Nettoeinkommen“, „Berufliche Qualifikation“ <strong>und</strong><br />
148 Sozialversicherungspflichtig <strong>und</strong> geringfügig Beschäftigte, BeamtInnen <strong>und</strong> Arbeitslose.<br />
149 Quelle hierfür sind die Agentur für Arbeit bzw. die kommunalen Träger von Arbeitslosengeld II.<br />
150 Sofern bei den Verknüpfungsmöglichkeiten keine Datenquelle angegeben ist, handelt es sich um die<br />
in derselben Tabelle jeweils oben genannte Datenquelle.<br />
151 40 Indikatoren sind es nur für die Städte mit Zugang zum regionalisierten Mikrozensus, für die übrigen<br />
Kommunen gehören 34 Indikatoren zur Basisausstattung <strong>eines</strong> kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichts. Siehe dazu auch die Erläuterungen im Folgenden.
9. Das Datenmodulsystem 230<br />
„Beteiligung am Erwerbsleben“, nur über eine so genannte regionalisierte Auswertung<br />
des Mikrozensus zu erheben sind. Eine solche regionalisierte Auswertung ist für<br />
Kommunen ab etwa 200.000 EinwohnerInnen zu beziehen (vgl. Kap. 6.2.1.). Einige<br />
Indikatoren sind auch doppelt aufgeführt, z.B. „Bevölkerungsbestand (Haushalte)“ oder<br />
„Schulische Qualifikation“. Für diese Indikatoren lassen sich sowohl kommunale<br />
Statistiken als auch der Mikrozensus als Quelle heranziehen. Es macht aber durchaus<br />
Sinn, dass Städte, für die die Möglichkeit des Zugriffs auf Mikrozensusdaten besteht 152 ,<br />
diese doppelt vertretenen Indikatoren auch in beiden Ausführungen erheben: Einerseits<br />
beinhaltet der Mikrozensus in diesen Fällen über die Informationen aus den<br />
kommunalen Statistiken hinaus noch zusätzliche Merkmale, so dass Querverbindungen<br />
zwischen den Lebenslagendimensionen aufgezeigt werden können. Andererseits sind<br />
die Daten des regionalisierten Mikrozensus jedoch mit Ausnahme von Berlin nur auf<br />
gesamtstädtischer Ebene verfügbar, bei einer kleinräumigeren Auswertung ist aufgr<strong>und</strong><br />
des zu geringen Stichprobenumfangs des Mikrozensus die Repräsentativität <strong>und</strong> damit<br />
die Aussagekraft nicht mehr gewährleistet. Die Indikatoren, die sich aus kommunalen<br />
Datenquellen ableiten, lassen sich jedoch zum überwiegenden Teil auch kleinräumig<br />
auswerten.<br />
Die Maximalversion stellt eine Ergänzung der Basisversion um bis zu neun<br />
Zusatzmodule dar. Dadurch erhöht sich die Zahl der Indikatoren um bis zu 19. Die<br />
Zusatzmodule dienen der Beantwortung spezifischer Fragestellungen, die über die<br />
allgemeine Berichterstattung hinausgehen. Sie sind je nach Problemkonstellation <strong>und</strong><br />
Erkenntnisinteresse der Kommune in die Berichterstattung einzubeziehen.<br />
Abb. 21 zeigt die Indikatoren der Basis- <strong>und</strong> der Ergänzung zur Maximalversion im<br />
Überblick.<br />
152 im Folgenden kurz „Mikrozensus-Städte“ genannt.
9. Das Datenmodulsystem 231<br />
Abb. 21: Die Indikatoren des Datenmodulsystems auf einen Blick (Basis- <strong>und</strong><br />
Maximalversion)<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Demografie“<br />
Basismodul „Demografie“<br />
Bevölkerungsbestand (Individuen)<br />
Bevölkerungsbestand (Haushalte)<br />
Bevölkerungsbestand (Haushalte) 153<br />
Bevölkerungsbestand (Familien)<br />
Bevölkerungsbestand (Familien)<br />
Bevölkerungsbewegungen<br />
Zusatzmodul „Migration“<br />
Migration<br />
Zusatzmodul „Behinderung“<br />
Behinderte<br />
Zusatzmodul „Wanderung <strong>und</strong> Bevölkerungsprognose“<br />
Wanderung<br />
Bevölkerungsprognose<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Finanzsituation“<br />
Basismodul „Einkommen allgemein“<br />
Steuerpflichtiges Einkommen<br />
Monatliches Nettoeinkommen<br />
Basismodul „Transfereinkommen“<br />
Wohngeld (in Bearbeitung)<br />
Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII (in Bearbeitung)<br />
Gr<strong>und</strong>sicherung nach SGB XII (in Bearbeitung)<br />
Arbeitslosengeld I (in Bearbeitung)<br />
Arbeitslosengeld II nach SGB II (in Bearbeitung)<br />
Sozialgeld nach SGB II (in Bearbeitung)<br />
Basismodul „Sonstige Indikatoren für prekäre Einkommenslage“<br />
Pass zur Ermäßigung öffentlicher Angebote<br />
Elternbeiträge in Kindertagesstätten<br />
Wohnberechtigungsscheine<br />
R<strong>und</strong>funkgebührenbefreiung<br />
Beitragsermäßigungen bei VHS-Kursen<br />
Basismodul „Überschuldung“<br />
Beratungsfälle der Schuldnerberatungsstellen<br />
Energieschulden<br />
Räumungsklagen <strong>und</strong> Zwangsräumungen<br />
Abgegebene Eidesstattliche Versicherungen<br />
Mietschulden<br />
Zusatzmodul „Vermögen <strong>und</strong> Reichtum“<br />
Vermögensteuerpflichtige<br />
Reiche Haushalte<br />
Reiche Haushalte<br />
153 Kursiv gesetzte Indikatoren sind solche, die zusätzlich von Mikrozensus-Städten zu erheben sind. Bei<br />
doppelt aufgeführten Indikatoren wie z.B. „Bevölkerungsbestand (Haushalte)“ sind neben den für alle<br />
Kommunen zugänglichen Daten für Mikrozensus-Städte besondere Merkmale verfügbar (vgl. dazu<br />
die Erläuterungen im Text).
9. Das Datenmodulsystem 232<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Immaterielle Lebenslagen“<br />
Basismodul „Bildung“<br />
Schulische Qualifikation<br />
Schulische Qualifikation<br />
Berufliche Qualifikation<br />
Basismodul „Wohnen“<br />
Allgemeine Wohnungsversorgung<br />
Soziale Wohnungsversorgung<br />
Wohnqualität<br />
Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“<br />
Aktuelle Obdach-/Wohnungslosigkeit<br />
Unzumutbare Wohnverhältnisse<br />
Drohender Wohnungsverlust<br />
Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
Prävention<br />
Ges<strong>und</strong>heitsinfrastruktur<br />
Sterblichkeit<br />
Zusatzmodul „Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrisiken“<br />
Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrisiken<br />
Schnittstelle der Themenbereiche/Lebenslagendimensionen „Immaterielle<br />
Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Zusatzmodul „Sprachstand“<br />
Spracharmut<br />
Sprach- <strong>und</strong> Sprechstörungen<br />
Schlechte Deutschkenntnisse<br />
Analphabetismus<br />
Zusatzmodul „Kriminalität“<br />
Jugendkriminalität<br />
Kriminalitätsbelastung<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (in Bearbeitung)<br />
Registrierte Arbeitslose (in Bearbeitung)<br />
Beteiligung am Erwerbsleben<br />
Basismodul „Politische Partizipation“<br />
Wahlbeteiligung<br />
RechtswählerInnen<br />
Politische Repräsentanz<br />
Schnittstelle der Themenbereiche/Lebenslagendimensionen „Finanzsituation“,<br />
„Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Zusatzmodul „Soziale Dienste“<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />
Allgemeiner Sozialer Dienst<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung
9. Das Datenmodulsystem 233<br />
Nachfolgend findet sich analog zur Minimalversion des Datenmodulsystems eine<br />
detaillierte Aufstellung des Datenmodulsystems in tabellarischer Form, wobei jeder<br />
Indikator nochmals unter den Kriterien Ausprägungen, Funktion/Aussagewert,<br />
Raumbezug, Datenquelle, Nutzen für die Fachplanung <strong>und</strong> Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
beleuchtet wird (zur Erläuterungen der Kriterien vgl. Kap. 9.2.1.).
9. Das Datenmodulsystem 234<br />
Tab. 28: Indikatorenset des Datenmodulsystems (Basis- <strong>und</strong> Maximalversion)<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Demografie“<br />
Basismodul „Demografie“<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Individuen)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Alter,<br />
nach Nationalität,<br />
AussiedlerInnen 154 ,<br />
nach Familienstand<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Prognose von Zielgruppen, Überalterung, Segregation, erhöhte<br />
Integrationsanforderungen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe,<br />
Altenhilfe, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Haushalte)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Personenzahl,<br />
nach Kinderzahl,<br />
nach Haushalts- <strong>und</strong> Familientyp,<br />
bei Einpersonenhaushalten auch nach Geschlecht, Alter<br />
<strong>und</strong> Nationalität<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Kinderbetreuungsbedarf, Pflegebedarf, Wohnungsversorgung<br />
<strong>und</strong> Wohnungsnachfrage<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister + Haushaltsgenerierungsverfahren<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe,<br />
Altenhilfe, Soziale Infrastrukturplanung, Wohnungspolitik<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Familien)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Familientyp,<br />
nach Kinderzahl,<br />
nach Alter der Kinder,<br />
nach Nationalität<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Kinderbetreuungsbedarf<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister / Familienverbandsstatistik<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, familienorientierte Kommunalpolitik,<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
154 AussiedlerInnen werden über die doppelte Staatsbürgerschaft/zweite Staatsangehörigkeit identifiziert.
9. Das Datenmodulsystem 235<br />
Indikator Bevölkerungsbewegungen<br />
Ausprägungen Bevölkerungsbewegungen insgesamt / Bevölkerungsentwicklung,<br />
Wanderungsbewegungen: Zuzüge, Fortzüge, Wanderungssaldo,<br />
Natürliche Bevölkerungsbewegungen: Geburten, Sterbefälle,<br />
Bevölkerungssaldo<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsentwicklung, Soziale Netze,<br />
Stabilität von Stadtteilen, Kinderbetreuungsbedarf, Überalterung<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Zusätzlich für Mikrozensus-Städte:<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Haushalte)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Personenzahl,<br />
nach Kinderzahl,<br />
nach Haushalts- <strong>und</strong> Familientyp,<br />
bei Einpersonenhaushalten auch nach Geschlecht, Alter <strong>und</strong><br />
Nationalität<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Kinderbetreuungsbedarf, Pflegebedarf, Wohnungsversorgung<br />
<strong>und</strong> Wohnungsnachfrage<br />
Raumbezug gesamtstädtisch (mit Ausnahme von Berlin)<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe,<br />
Altenhilfe, Soziale Infrastrukturplanung, Wohnungspolitik<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Bildung“: 155<br />
allgemeiner Schulabschluss der Bezugsperson,<br />
beruflicher Abschluss der Bezugsperson,<br />
überwiegender Lebensunterhalt der Bezugsperson<br />
Indikator Bevölkerungsbestand (Familien)<br />
Ausprägungen nach Anzahl,<br />
nach Familientyp,<br />
nach Kinderzahl,<br />
nach Alter der Kinder,<br />
nach Nationalität<br />
Funktion/Aussagewert Deskription der Bevölkerungsstruktur, spezielle Bedarfslagen,<br />
Kinderbetreuungsbedarf<br />
Raumbezug gesamtstädtisch (mit Ausnahme von Berlin)<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, familienorientierte Kommunalpolitik,<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
155 Sofern bei den Verknüpfungsmöglichkeiten keine Datenquelle angegeben ist, handelt es sich um die<br />
in derselben Tabelle jeweils oben genannte Datenquelle.
9. Das Datenmodulsystem 236<br />
Zusatzmodul „Migration“<br />
Indikator Migration<br />
Ausprägungen Einbürgerungen,<br />
AusländerInnen nach Aufenthaltsstatus,<br />
AsylbewerberInnen,<br />
Flüchtlinge in Übergangswohnheimen,<br />
Anzahl der Nationalitäten<br />
Funktion/Aussagewert Segregation, erhöhte Integrationsanforderungen, soziale<br />
Problemgebiete, Nationalitätenvielfalt<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister / Ausländerzentralregister / Angaben<br />
des Sozialamtes (Belegstatistik)<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Zusatzmodul „Behinderung“<br />
Indikator Behinderte<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der Bevölkerung,<br />
nach Grad der Behinderung,<br />
nach Merkzeichen in Schwerbehindertenausweisen,<br />
nach Art der Behinderung<br />
Funktion/Aussagewert Problemgruppe der Sozialplanung, erhöhte Integrationsanforderungen,<br />
spezielle Bedarfslagen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister / Versorgungsamt<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Behindertenplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Zusatzmodul „Wanderung <strong>und</strong> Bevölkerungsprognose“<br />
Indikator Wanderung<br />
Ausprägungen nach Zielgebiet,<br />
nach Herkunftsgebiet,<br />
nach Alter,<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Nationalität,<br />
nach Familienstatus<br />
Funktion/Aussagewert Stabilität von Stadtteilen, Segregation, spezielle Bedarfslagen,<br />
Kinderbetreuungsbedarf, Überalterung<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister<br />
Nutzen für Fachplanung Soziale Infrastrukturplanung, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe, Altenhilfe<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Bevölkerungsprognose<br />
Ausprägungen <strong>Entwicklung</strong> der Bevölkerungszahl<br />
Funktion/Aussagewert zukünftige Bevölkerungsentwicklung<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister + SIKURS<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe,<br />
Altenhilfe, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten
9. Das Datenmodulsystem 237<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Finanzsituation“<br />
Basismodul „Einkommen allgemein“<br />
Indikator Steuerpflichtiges Einkommen<br />
Ausprägungen im Durchschnitt,<br />
nach Einkommensklassen<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Lohn- <strong>und</strong> Einkommensteuerstatistik<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Vermögen <strong>und</strong> Reichtum“:<br />
Haushalte mit 200 % <strong>und</strong> mehr des durchschnittlichen<br />
Äquivalenzeinkommens<br />
Zusätzlich für Mikrozensus-Städte:<br />
Indikator Monatliches Nettoeinkommen<br />
Ausprägungen Bevölkerung nach monatlichem Nettoeinkommen im<br />
Durchschnitt <strong>und</strong> nach Einkommensklassen,<br />
Haushalte nach monatlichem Nettoeinkommen im Durchschnitt<br />
<strong>und</strong> nach Einkommensklassen,<br />
Quelle des überwiegenden Lebensunterhalts,<br />
<strong>Entwicklung</strong> des Einkommensniveaus,<br />
Anteil der Personen mit 50 % <strong>und</strong> weniger des<br />
Nettoäquivalenzeinkommens an der Bevölkerung,<br />
Anteil der Haushalte mit 50 % <strong>und</strong> weniger des<br />
Nettoäquivalenzeinkommens an allen Haushalten<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug gesamtstädtisch (mit Ausnahme von Berlin)<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen der<br />
WohngeldempfängerInnenhaushalte 156<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Wohnen“:<br />
Monatliches Nettoeinkommen der Mieter <strong>und</strong><br />
Wohnungseigentümer im Vergleich<br />
Verknüpfung mit Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“:<br />
Mietbelastung / Anteil der Bruttokaltmiete am monatlichen<br />
Nettoeinkommen<br />
Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Vermögen <strong>und</strong> Reichtum“:<br />
Haushalte mit 200 % <strong>und</strong> mehr des durchschnittlichen<br />
Äquivalenzeinkommens<br />
156 Quelle hierfür ist die Wohngeldempfängerdatei.
9. Das Datenmodulsystem 238<br />
Basismodul „Transfereinkommen“<br />
Indikator Wohngeld<br />
Ausprägungen nach Personen,<br />
nach Haushalten,<br />
nach Dauer des Wohngeldbezugs,<br />
durchschnittlicher Wohngeldanspruch<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Wohngeldempfängerdatei<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Einkommen allgemein“:<br />
durchschnittliches monatliches Bruttoeinkommen der WohngeldempfängerInnenhaushalte<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Wohnen“:<br />
Durchschnittliche Quadratmetermieten der WohngeldempfängerInnenhaushalte<br />
Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“:<br />
Mietbelastung vor <strong>und</strong> nach Wohngeldbezug,<br />
Räume je EinwohnerIn / EinwohnerInnen je Wohnung<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“:<br />
WohngeldempfängerInnen nach Stellung im Beruf<br />
Indikator Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten ?<br />
Indikator Gr<strong>und</strong>sicherung nach SGB XII<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten ?<br />
Indikator Arbeitslosengeld I<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete, Zielgruppe der Sozialplanung<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“
9. Das Datenmodulsystem 239<br />
Indikator Arbeitslosengeld II nach SGB II<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete, Zielgruppe der Sozialplanung<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Indikator Sozialgeld nach SGB II<br />
Ausprägungen ?<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Problemlage geringes Haushaltseinkommen,<br />
soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug ?<br />
Datenquelle ?<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten ?<br />
Basismodul „Sonstige Indikatoren für prekäre Einkommenslage“<br />
Indikator Pass zur Ermäßigung öffentlicher Angebote<br />
Ausprägungen Anzahl der PassinhaberInnen bzw. Anteil an der Bevölkerung<br />
Funktion/Aussagewert Indikator für prekäre Einkommenslage, soziale Intervention,<br />
Problemgruppen bzw. Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Pass-Ausgabestellen<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Elternbeiträge / Zuschüsse in Kindertagesstätten<br />
Ausprägungen nach Beitragsklassen / Einkommensgruppen,<br />
Gebührenbefreiung<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Indikator für prekäre<br />
Einkommenslage, soziale Intervention, Problemgruppen bzw.<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Kindertagesstätten<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Wohnberechtigungsscheine<br />
Ausprägungen nach Personen,<br />
nach Haushalten,<br />
nach Art der Wohnberechtigung (allgemein, gezielt, unversorgt,<br />
Freistellung)<br />
Funktion/Aussagewert Indikator für prekäre Einkommenslage, soziale Intervention,<br />
Problemgruppen<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle unklar<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Wohnen“
9. Das Datenmodulsystem 240<br />
Indikator R<strong>und</strong>funkgebührenbefreiung<br />
Ausprägungen nach anspruchsberechtigten Gruppen<br />
Funktion/Aussagewert Indikator für prekäre Einkommenslage, soziale Intervention,<br />
Problemgruppen<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle unklar<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Beitragsermäßigungen bei VHS-Kursen<br />
Ausprägungen TeilnehmerInnen an VHS-Kursen mit ermäßigtem Kursbeitrag<br />
nach Ermäßigungsgr<strong>und</strong><br />
Funktion/Aussagewert Indikator für prekäre Einkommenslage, soziale Intervention,<br />
Problemgruppen bzw. Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der VHS<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Sprachstand“:<br />
TeilnehmerInnen an Deutschkursen der VHS<br />
Basismodul „Überschuldung“<br />
Indikator Beratungsfälle der Schuldnerberatungsstellen<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der Bevölkerung,<br />
je nach Geschäftsstatistik der Schuldnerberatungsstellen auch<br />
nach soziodemografischen Merkmalen, Einkommensarten <strong>und</strong><br />
Einkommenshöhe, Schuldenarten, Ursachen für Überschuldung,<br />
Schuldenvolumen, Anzahl der Gläubiger<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Schuldnerberatungsstellen<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Wohnen“:<br />
Wohnsituation der Überschuldeten (sofern von den Schuldnerberatungsstellen<br />
erhoben)<br />
Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“:<br />
Mietbelastung der Überschuldeten (sofern von den<br />
Schuldnerberatungsstellen erhoben)<br />
Indikator Energieschulden<br />
Ausprägungen Anzahl der betroffenen Haushalte bzw. Anteil an allen<br />
Haushalten,<br />
nach Schuldenhöhe,<br />
Anzahl der Sperrungen nach Energiearten<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Stadtwerke<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Räumungsklagen <strong>und</strong> Zwangsräumungen<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der Bevölkerung<br />
Funktion / Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben des Amtsgerichts<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“
9. Das Datenmodulsystem 241<br />
Indikator Abgegebene Eidesstattliche Versicherungen<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der Bevölkerung<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle Angaben des Amtsgerichts<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Mietschulden<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der Bevölkerung,<br />
nach Schuldenhöhe,<br />
nach Dauer der Mietrückstände,<br />
nach Ursache,<br />
Übernahme von Mietschulden gemäß § 15a BSHG<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle Angaben der Mietschuldnerberatung, des Allgemeinen Sozialen<br />
Dienstes <strong>und</strong> der Wohnungsunternehmen<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Einkommen allgemein“:<br />
MietschuldnerInnenhaushalte nach Haupteinkommensart<br />
Zusatzmodul „Vermögen <strong>und</strong> Reichtum“<br />
Indikator Vermögensteuerpflichtige<br />
Ausprägungen nach Höhe des zu versteuernden Vermögens <strong>und</strong><br />
Vermögensarten<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle Vermögensteuerstatistik<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Reiche Haushalte<br />
Ausprägungen Haushalte mit 200 % <strong>und</strong> mehr des durchschnittlichen<br />
Äquivalenzeinkommens<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle Lohn- <strong>und</strong> Einkommenssteuerstatistik<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Einkommen allgemein“<br />
Zusätzlich für Mikrozensus-Städte:<br />
Indikator Reiche Haushalte<br />
Ausprägungen Haushalte mit 200 % <strong>und</strong> mehr des durchschnittlichen<br />
Äquivalenzeinkommens<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Einkommen allgemein“
9. Das Datenmodulsystem 242<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Immaterielle Lebenslagen“<br />
Basismodul „Bildung“<br />
Indikator Schulische Qualifikation<br />
Ausprägungen SchülerInnen <strong>eines</strong> Schuljahres nach Schulformen,<br />
Übergänge von den Gr<strong>und</strong>schulen in weiterführende Schulen,<br />
SchulabgängerInnen <strong>eines</strong> Schuljahres nach höchstem<br />
erreichten Schulabschluss bzw. ohne Abschluss<br />
Funktion/Aussagewert Bildungsstruktur, sozioökonomischer <strong>und</strong> sozialer Status,<br />
Erwerbschancen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der Schulen / Angaben des Schulverwaltungsamtes<br />
bzw. staatlichen Schulamtes<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Themenbereich / der<br />
Lebenslagendimension „Finanzsituation“:<br />
Nach BaFög geförderte SchülerInnen 157 ,<br />
Beihilfen für finanziell benachteiligte SchülerInnen 158<br />
Zusätzlich für Mikrozensus-Städte:<br />
Indikator Schulische Qualifikation<br />
Ausprägungen Höchster erreichter Schulabschluss bzw. Personen ohne<br />
Abschluss<br />
Funktion/Aussagewert Bildungsstruktur, sozioökonomischer <strong>und</strong> sozialer Status,<br />
Erwerbschancen<br />
Raumbezug gesamtstädtisch (mit Ausnahme von Berlin)<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Demografie“:<br />
allgemeiner Schulabschluss der Bezugsperson des Haushalts,<br />
beruflicher Abschluss der Bezugsperson des Haushalts,<br />
überwiegender Lebensunterhalt der Bezugsperson des<br />
Haushalts<br />
Indikator Berufliche Qualifikation<br />
Ausprägungen Höchster beruflicher Ausbildungsabschluss bzw. Personen ohne<br />
Bildungsabschluss<br />
Funktion/Aussagewert Ausbildungsstruktur, sozioökonomischer <strong>und</strong> sozialer Status,<br />
Erwerbschancen<br />
Raumbezug gesamtstädtisch (mit Ausnahme von Berlin)<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit der Themenbereich / der<br />
Lebenslagendimension „Finanzsituation“:<br />
Nach BAFöG beförderte Studierende 159<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“:<br />
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach<br />
Berufsausbildung 160 ,<br />
Arbeitslose nach Berufsausbildung<br />
Verhältnis von gemeldeten Ausbildungsstellen <strong>und</strong> gemeldeten<br />
BewerberInnen 161<br />
157 Quelle hierfür sind Angaben des Sozialamtes.<br />
158 Quelle hierfür ist unklar.<br />
159 Quelle hierfür sind Angaben des Amtes für Ausbildungsförderung der jeweiligen Universität.<br />
160 Quelle hierfür ist die Beschäftigtenstatistik der Agentur für Arbeit.<br />
161 Quelle hierfür sind Angaben der Agentur für Arbeit.
9. Das Datenmodulsystem 243<br />
Basismodul „Wohnen“<br />
Indikator Allgemeine Wohnungsversorgung<br />
Ausprägungen Wohnungsbestand (nach Baualter, Eigentumsquote, Wohnungen<br />
je Gebäude, Wohnfläche je Wohnung),<br />
Wohnungsbautätigkeit,<br />
Wohnungsleerstand,<br />
Mietpreisniveau <strong>und</strong> dessen <strong>Entwicklung</strong><br />
Funktion/Aussagewert Bebauungsstruktur, Problem- bzw. Ballungsgebiete, Verdichtung<br />
spezieller Wohnformen, Bindungen an den Stadtteil,<br />
Sozialisationsbedingungen, Verfügbarkeit preiswerten Wohnraums<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
kleinräumig: Wohnungen je Gebäude, Wohnfläche je Wohnung,<br />
Mietpreisniveau<br />
Datenquelle Statistisches Landesamt, Fortschreibung der Gebäude- <strong>und</strong><br />
Wohnraumzählung anhand der Bautätigkeitsstatistik, Mietspiegel,<br />
Immobilienverband Deutschland<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Spielplatzplanung, Kindertagesstättenbedarfsplanung,<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Einkommen allgemein“:<br />
Monatliches Nettoeinkommen der Mieter <strong>und</strong><br />
Wohnungseigentümer im Vergleich 162<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
Durchschnittliche Quadratmetermieten der WohngeldempfängerInnenhaushalte<br />
163<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Überschuldung“:<br />
Wohnsituation der Überschuldeten (sofern von den Schuldnerberatungsstellen<br />
erhoben) 164<br />
Indikator Soziale Wohnungsversorgung<br />
Ausprägungen Soziale Wohnungsbauförderung,<br />
Belegungs- <strong>und</strong> Mietpreisbindung,<br />
Anteil Sozialwohnungen an allen Wohnungen,<br />
Angebot spezieller Wohnformen (alten- <strong>und</strong> behindertengerecht,<br />
betreutes Wohnen für Senioren / im Kinder- <strong>und</strong> Jugendbereich),<br />
Anzahl der Wohnungssuchenden im Verhältnis zum Angebot<br />
Funktion/Aussagewert statusschwache Gebiete, Struktur des Wohnungsangebot für<br />
spezielle Bedarfe<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Kommunales Amt für Wohnungswesen, Statistisches Landesamt,<br />
Wohnungsbaugesellschaften<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Soziale Infrastrukturplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Weitere Indikatoren für prekäre<br />
Einkommenslage“:<br />
Wohnberechtigungscheine 165<br />
162<br />
Quelle hierfür ist der Mikrozensus.<br />
163<br />
Quelle hierfür ist die Wohngeldempfängerdatei.<br />
164<br />
Quelle hierfür sind Angaben der Schuldnerberatungsstellen.<br />
165<br />
Quelle hierfür ist unklar.
9. Das Datenmodulsystem 244<br />
Indikator Wohnqualität<br />
Ausprägungen Wohndauer,<br />
Modernisierungsmaßnahmen (sanitäre Ausstattung /<br />
Zentralheizung),<br />
durchschnittliche Gesamtwohnfläche,<br />
Pro-Kopf-Wohnfläche<br />
Funktion/Aussagewert Soziale Netze <strong>und</strong> Stabilität, Wohnzufriedenheit, erzwungene<br />
Sesshaftigkeit, Sanierungsbedarf, Sozialisationsbedingungen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Einwohnermelderegister, kommunales Amt für Wohnungswesen,<br />
Fortschreibung der Gebäude- <strong>und</strong> Wohnraumzählung anhand der<br />
Bautätigkeitsstatistik, Statistisches Landesamt<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“<br />
Indikator Aktuelle Obdach- / Wohnungslosigkeit<br />
Ausprägungen Anzahl der Betroffenen,<br />
nach Art der Unterbringung<br />
Funktion/Aussagewert Zielgruppe der Sozialplanung<br />
Raumbezug gesamtstädtisch<br />
Datenquelle Sozialamt, Sammelunterkünfte, Übergangswohnheime,<br />
Schätzungen durch Beratungsstellen, Streetworker <strong>und</strong><br />
Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe<br />
Nutzen für Fachplanung Präventive Obdachlosenhilfe<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Unzumutbare Wohnverhältnisse<br />
Ausprägungen Mietnot (Mietbelastung > 30%),<br />
Raumnot (Kölner Empfehlungen),<br />
Beziehungsnot (Gewalt, Trennungen)<br />
Funktion/Aussagewert Allgemeiner Interventionsbedarf, Prävention,<br />
Sozialisationsbedingungen für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Wohngeldempfängerdatei, Frauenhäuser<br />
Nutzen für Fachplanung Präventive Obdachlosenhilfe<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Einkommen allgemein“:<br />
Mietbelastung / Anteil der Bruttokaltmiete am monatlichen<br />
Nettoeinkommen 166<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
Mietbelastung vor <strong>und</strong> nach Wohngeldbezug,<br />
Räume je EinwohnerIn / EinwohnerInnen je Wohnung<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Überschuldung“:<br />
Mietbelastung der Überschuldeten (sofern von den<br />
Schuldnerberatungsstellen erhoben) 167<br />
166 Quelle hierfür ist der Mikrozensus.<br />
167 Quelle hierfür sind Angaben der Schuldnerberatungsstellen.
9. Das Datenmodulsystem 245<br />
Indikator Drohender Wohnungsverlust<br />
Ausprägungen Räumungsklage,<br />
Zwangsräumungen,<br />
Mietschulden<br />
Funktion/Aussagewert Integrationsanforderungen, Beratungsbedarf, Prävention<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Sozialamt, Wohnungsbaugesellschaften, Schuldnerberatungsstellen<br />
Nutzen für Fachplanung Präventive Obdachlosenhilfe<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Überschuldung“:<br />
Räumungsklagen <strong>und</strong> Zwangsräumungen 168 ,<br />
Mietschulden 169<br />
Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“<br />
Indikator Ges<strong>und</strong>heitszustand<br />
Ausprägungen Morbiditätsraten (nach Adipositas, Karies, Herz-Kreislauf-<br />
Erkrankungen),<br />
kinder- <strong>und</strong> jugendpsychiatrisch beratene Kinder nach sozialem<br />
Status der Eltern<br />
Funktion/Aussagewert Ernährungsstörungen, Sozialisationsbedingungen, ungünstige<br />
Prognose für Ges<strong>und</strong>heitszustand als Erwachsene<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Schuleingangsuntersuchungen / Gr<strong>und</strong>schuluntersuchungen des<br />
Ges<strong>und</strong>heitsamtes, Angaben des Ges<strong>und</strong>heitsamtes<br />
Nutzen für Fachplanung Prävention, Interventions- <strong>und</strong> Schulungsbedarf der Eltern,<br />
LehrerInnen <strong>und</strong> Kinder<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfungen mit den Basismodulen „Einkommen allgemein“,<br />
„Bildung“ <strong>und</strong> „Wohnen“:<br />
durch freiwillige Zusatzbefragungen<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Erwerbsarbeit“:<br />
Arbeitslose nach ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen 170<br />
Indikator Prävention<br />
Ausprägungen Impfraten,<br />
Inanspruchnahme der Vorsorgeuntersuchungen (U1-U9),<br />
Frühförderung<br />
Funktion/Aussagewert Sozialisationsbedingungen, Erreichbarkeit bestimmter Zielgruppen<br />
durch Präventionsmaßnahmen, Zusammenhang von Ges<strong>und</strong>heit<br />
<strong>und</strong> Bildung<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Schuleingangsuntersuchungen des Ges<strong>und</strong>heitsamtes,<br />
Jugendamt<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfungen mit den Basismodulen „Einkommen allgemein“,<br />
„Bildung“ <strong>und</strong> „Wohnen“:<br />
durch freiwillige Zusatzbefragungen<br />
168<br />
Quelle hierfür sind Angaben des Amtsgerichts.<br />
169<br />
Quelle hierfür sind Angaben der Mietschuldnerberatung, des Allgemeinen Sozialen Dienstes <strong>und</strong> der<br />
Wohnungsunternehmen.<br />
170<br />
Quelle sind Angaben der Agentur für Arbeit.
9. Das Datenmodulsystem 246<br />
Indikator Ges<strong>und</strong>heitsinfrastruktur<br />
Ausprägungen Ärztliche Versorgung (Kinderärzte, Allgemeinmediziner),<br />
Apothekenversorgung<br />
Funktion/Aussagewert Versorgungsdichte, Erreichbarkeit, Möglichkeiten der ärztlichen/<br />
medizinischen Versorgung<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Kassenärztliche Vereinigung, Branchenbuch<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Planung des ÖPNV<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Sterblichkeit<br />
Ausprägungen Lebenserwartung,<br />
Mortalität nach Todesursachen,<br />
Säuglingssterblichkeit<br />
Funktion/Aussagewert Lebensqualität, Effektivität der Primärprävention, Sozialisationsbedingungen<br />
Raumbezug kleinräumig (wenn möglich)<br />
Datenquelle Statistisches Landesamt<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Zusatzmodul „Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrisiken“<br />
Indikator Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrisiken<br />
Ausprägungen Krankenversicherungsschutz,<br />
Rauchverhalten von Eltern einzuschulender Kinder,<br />
Suchtmittelabhängigkeit,<br />
Ernährungsverhalten Kinder <strong>und</strong> Jugendlicher,<br />
Fallzahlen Gewalt nach Gewaltformen,<br />
Lärmbelästigung,<br />
Motorisierungsgrad,<br />
Emission,<br />
Grünflächen,<br />
Naherholung/Industrie<br />
Funktion/Aussagewert Sozialisationsbedingungen, Lebensqualität, Erholungsqualität<br />
Raumbezug kleinräumig (wenn möglich)<br />
Datenquelle Angaben des Sozialamtes, Hausbesuchsdokumentation der<br />
Kinderkrankenpflege, Zusatzbefragungen bei den<br />
Schuleingangsuntersuchungen, Beratungsstellen,<br />
Stadtteilbegehungen, Ärztekammer<br />
Nutzen für Fachplanung Präventions- <strong>und</strong> Interventionsbedarf, Flächennutzungsplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten
9. Das Datenmodulsystem 247<br />
Schnittstelle der Themenbereiche/Lebenslagendimensionen<br />
„Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben“<br />
Zusatzmodul „Sprachstand“<br />
Indikator Spracharmut<br />
Ausprägungen Von Spracharmut betroffene Kinder bei der Schuleingangsuntersuchung<br />
Funktion/Aussagewert Sozialisationsbedingungen, erhöhter Integrationsbedarf<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Ges<strong>und</strong>heitsamt: Schuleingangsuntersuchungen<br />
Nutzen für Fachplanung Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung, Kindertagesstättenbedarfsplanung,<br />
Schulentwicklungsplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Sprach- <strong>und</strong> Sprechstörungen<br />
Ausprägungen Von Sprach- <strong>und</strong> Sprechstörungen betroffene Kinder bei der<br />
Schuleingangsuntersuchung<br />
Funktion/Aussagewert Sozialisationsbedingungen, erhöhter Integrationsbedarf<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Ges<strong>und</strong>heitsamt: Schuleingangsuntersuchungen<br />
Nutzen für Fachplanung Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung, Kindertagesstättenbedarfsplanung,<br />
Schulentwicklungsplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Schlechte Deutschkenntnisse<br />
Ausprägungen Von schlechten Deutschkenntnissen betroffene Kinder bei der<br />
Schuleingangsuntersuchung,<br />
TeilnehmerInnen an Deutschkursen der VHS<br />
Funktion/Aussagewert Sozialisationsbedingungen, erhöhter Integrationsbedarf, sozialer<br />
Status, Erwerbschancen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Ges<strong>und</strong>heitsamt: Schuleingangsuntersuchungen, Angaben der<br />
VHS<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage, Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung,<br />
Kindertagesstättenbedarfsplanung, Schulentwicklungsplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Sonstige Indikatoren für<br />
prekäre Einkommenslage“<br />
Indikator Analphabetismus<br />
Ausprägungen TeilnehmerInnen an Alphabetisierungskursen der VHS<br />
Funktion/Aussagewert Integrationsbedarf AusländerInnen, sozialer Status, Erwerbschancen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben der VHS<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten
9. Das Datenmodulsystem 248<br />
Zusatzmodul „Kriminalität“<br />
Indikator Jugendkriminalität<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Anteil an der 14-20-jährigen Bevölkerung,<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Nationalität,<br />
nach Art des Delikts<br />
Funktion/Aussagewert Sozialisationsbedingungen, Bedarf an integrativen Leistungen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Jugendamt: Abteilung Jugendhilfe (Jugendgerichtshilfefälle), ASD<br />
Nutzen für Fachplanung Jugendhilfeplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Soziale Dienste“:<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />
Indikator Kriminalitätsbelastung<br />
Ausprägungen Bekannt gewordene <strong>und</strong> aufgeklärte Straftaten nach Tatort,<br />
je 1000 EinwohnerInnen,<br />
Straftaten nach Täter,<br />
polizeilich registrierte Tatverdächtige<br />
Funktion/Aussagewert Gefährdung/Sicherheitsgefühl im Stadtteil<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Polizeiliche Kriminalitätsstatistik, Landeskriminalamt<br />
Nutzen für Fachplanung Sozialplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten
9. Das Datenmodulsystem 249<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Indikator Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte<br />
Ausprägungen Anzahl im <strong>Entwicklung</strong>sverlauf,<br />
nach Wohnort 171 <strong>und</strong> Arbeitsort 172 ,<br />
nach Ein- <strong>und</strong> AuspendlerInnen,<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Alter,<br />
nach Nationalität,<br />
nach Stellung im Beruf,<br />
nach Vollzeit-/Teilzeitbeschäftigung,<br />
nach Wirtschafts- <strong>und</strong> Berufsbereichen<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Struktur der Beschäftigten, Typisierung<br />
von Gebieten hinsichtlich ihrer Sozialstruktur<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Beschäftigtenstatistik der Agentur für Arbeit<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
WohngeldempfängerInnen nach Stellung im Beruf 173<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Bildung“:<br />
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte nach Berufsausbildung,<br />
Verhältnis von gemeldeten Ausbildungsstellen <strong>und</strong> gemeldeten<br />
BewerberInnen 174<br />
Indikator Registrierte Arbeitslose<br />
Ausprägungen Anzahl bzw. Arbeitslosenquote (Anteil bezogen auf alle<br />
abhängigen zivilen Erwerbspersonen 175 ),<br />
nach Geschlecht,<br />
nach Alter,<br />
nach Nationalität,<br />
nach Dauer der Arbeitslosigkeit,<br />
nach vorheriger Stellung im Beruf,<br />
nach Voll- <strong>und</strong> Teilzeitsuchenden,<br />
Verhältnis von offenen Stellen <strong>und</strong> Arbeitslosen<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, Zielgruppe der Sozialplanung, Struktur<br />
der Arbeitslosen, Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Agentur für Arbeit<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld I <strong>und</strong> II 176<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Bildung“:<br />
Arbeitslose nach Berufsausbildung<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“:<br />
Arbeitslose nach ges<strong>und</strong>heitlichen Einschränkungen<br />
171 Erwerbstätige einschließlich AuspendlerInnen.<br />
172 Erwerbstätige einschließlich EinpendlerInnen.<br />
173 Quelle hierfür ist die Wohngeldempfängerdatei.<br />
174 Quelle hierfür sind Angaben der Agentur für Arbeit.<br />
175 sozialversicherungspflichtig <strong>und</strong> geringfügig Beschäftigte, BeamtInnen <strong>und</strong> Arbeitslose.<br />
176 Quelle hierfür sind die Agentur für Arbeit bzw. die kommunalen Träger von Arbeitslosengeld II.
9. Das Datenmodulsystem 250<br />
Zusätzlich für Mikrozensus-Städte:<br />
Indikator Beteiligung am Erwerbsleben<br />
Ausprägungen Erwerbstätige, Erwerbslose <strong>und</strong> Nichterwerbspersonen (insgesamt<br />
sowie nach Geschlecht <strong>und</strong> Alter),<br />
Erwerbstätige nach Stellung im Beruf,<br />
Erwerbstätige nach Wirtschaftsbereichen<br />
Funktion/Aussagewert sozioökonomischer Status, sektorale Struktur<br />
Raumbezug gesamtstädtisch (mit Ausnahme von Berlin)<br />
Datenquelle Mikrozensus<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Basismodul „Transfereinkommen“:<br />
WohngeldempfängerInnen nach Stellung im Beruf 177<br />
Verknüpfung mit dem Basismodul „Bildung“:<br />
Verhältnis von gemeldeten Ausbildungsstellen <strong>und</strong> gemeldeten<br />
BewerberInnen 178<br />
Basismodul „Politische Partizipation“<br />
Indikator Wahlbeteiligung<br />
Ausprägungen Anteil der Wahlbeteiligung an den Wahlberechtigten<br />
(B<strong>und</strong>estagswahl, Landtagswahl, Kommunalwahl)<br />
Funktion/Aussagewert Politisches Tagesinteresse, Sozialisationsbedingungen,<br />
NichtwählerInnen: passive Verweigerung, Integrationsbedarf<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Amt für Wahlen<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator RechtswählerInnen<br />
Ausprägungen NPD-, DVU- + Republikaneranteil an den WählerInnenstimmen<br />
Funktion/Aussagewert Tiefgreifende Unzufriedenheit mit dem Parteienspektrum <strong>und</strong><br />
seinen RepräsentantInnen sowie den sozialen Verhältnissen,<br />
aktive Verweigerung, Integrationsbedarf,<br />
Sozialisationsbedingungen<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Amt für Wahlen<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Indikator Politische Repräsentanz<br />
Ausprägungen Anteil politisch wirksamer WählerInnenstimmen (Stimmen für in<br />
der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Parteinen)<br />
Funktion/Aussagewert Niedrige politische Repräsentanz: Niedrige Vertretung bestimmter<br />
Stadtteile im politischen System, Konsequenz für Wahlbeteiligung<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Amt für Wahlen<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
177 Quelle hierfür ist die Wohngeldempfängerdatei.<br />
178 Quelle hierfür sind Angaben der Agentur für Arbeit.
9. Das Datenmodulsystem 251<br />
Schnittstelle der Themenbereiche/Lebenslagendimensionen „Finanzsituation“,<br />
„Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Zusatzmodul „Soziale Dienste“<br />
Indikator Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />
Ausprägungen ambulante Fälle von Hilfe zur Erziehung nach SGB VIII,<br />
stationäre Fälle von Hilfe zur Erziehung nach SGB VIII,<br />
Jugendgerichtshilfefälle<br />
Funktion/Aussagewert Deskription familialer Problemlagen, soziale Intervention, soziale<br />
Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Jugendamt<br />
Nutzen für Fachplanung Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfeplanung<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten Verknüpfung mit dem Zusatzmodul „Kriminalität“:<br />
Jugendkriminalität<br />
Indikator Allgemeiner Sozialer Dienst<br />
Ausprägungen Interventionsfälle insgesamt bzw. „Interventionsdichte“<br />
Funktion/Aussagewert soziale Intervention, soziale Problemgebiete<br />
Raumbezug kleinräumig<br />
Datenquelle Angaben des Sozialamtes<br />
Nutzen für Fachplanung Allgemeine Planungsgr<strong>und</strong>lage<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten<br />
Quelle: Eigene Zusammenstellung<br />
9.3. Inhaltliche Erläuterungen zu den einzelnen Modulbausteinen<br />
Themenbereich/ Lebenslagendimension „Demografie“<br />
Basismodul „Demografie“<br />
Das Basismodul Demografie stellt zwar keine Lebenslagendimension dar, ist aber für<br />
eine Berichterstattung, die die soziale Lage der Bevölkerung vor Ort abbilden will,<br />
unverzichtbar. Bereits anhand des Bevölkerungsbestands <strong>und</strong> der<br />
Bevölkerungsentwicklung sowie der Bevölkerungsbewegung <strong>und</strong> der kleinräumigen<br />
Haushalts- <strong>und</strong> Familienstruktur lassen sich Hypothesen über die räumliche<br />
Konzentration von Bevölkerungsgruppen mit erhöhten Armutsrisiken ableiten. Umso<br />
erstaunlicher ist, dass dem Thema Demografie in der Berichterstattung nicht mehr<br />
Aufmerksamkeit geschenkt wird. Nur 55 Prozent der von uns analysierten Berichte<br />
nahmen eine Abbildung der Bevölkerungsstruktur vor. Dabei ist doch der Zugang zum<br />
Melderegister, der entscheidenden Datenquelle für das Modul Demografie,<br />
komplikationslos. Die Daten sind leicht verfügbar, stets aktuell <strong>und</strong> übersichtlich.<br />
Beliebige Merkmalsverknüpfungen zwischen Geschlecht, Alter, Nationalität <strong>und</strong><br />
Raumbezug ermöglichen höchst spezifische Aussagen. Häufig wird das<br />
Einwohnermelderegister zwar als Hintergr<strong>und</strong>quelle zur Abbildung von
9. Das Datenmodulsystem 252<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheiten, Quoten <strong>und</strong> Dichten in anderen Lebenslagenbereichen<br />
herangezogen, seltener jedoch als eigenständige Quelle. Der sozialplanerische Nutzen<br />
des Melderegisters wird somit systematisch unterschätzt.<br />
Ein Problem des Einwohnermelderegisters besteht allerdings darin, dass es<br />
ausschließlich eine personenbezogene Aufgliederung der Bevölkerung erlaubt. Ein<br />
Bezug zur Haushalts- <strong>und</strong> Familienstruktur wird jedoch in Kombination mit dem<br />
Haushaltsgenerierungsverfahren HHGen (vgl. Kap. 8.4.), dessen Anschaffung wir den<br />
Kommunen ausdrücklich empfehlen, sowie der Familienverbandsstatistik kommunaler<br />
Datenzentralen 179 möglich.<br />
Zusatzmodul „Migration“<br />
Dem Bereich Migration haben wir ein eigenes Modul gewidmet, da MigrantInnen eine<br />
der Bevölkerungsgruppen mit den höchsten Armutsrisiken sind, eine detaillierte<br />
Abbildung jedoch den Rahmen einer „normalen“ Berichterstattung sprengen würde. Die<br />
Ursache dafür liegt vor allem in der unbefriedigenden Datenlage r<strong>und</strong> um das Thema<br />
Migration. Eine Differenzierung der Bevölkerung nach Nationalität ist zwar problemlos<br />
aus dem Einwohnermelderegister zu beziehen <strong>und</strong> daher auch Bestandteil des<br />
Basismoduls Demografie. In Anbetracht der Veränderungen, die durch das neue<br />
Staatsangehörigkeitsgesetz hervorgerufen wurden, verliert eine Unterscheidung nach<br />
Staatsangehörigkeit jedoch zunehmend an Aussagekraft. Insbesondere trifft das für<br />
Kinder zu: In wenigen Jahren wird die Mehrzahl der in Deutschland aufwachsenden<br />
Kinder ausländischer Herkunft einen deutschen Pass besitzen. Statistiken, die lediglich<br />
die formale Staatsangehörigkeit als Indikator heranziehen, werden der Lebensrealität<br />
damit zukünftig nicht mehr gerecht (Berlin 2003a: 11 ff.; Delekat 2003).<br />
Die von uns vorgeschlagenen Indikatorenausprägungen erweitern das Spektrum zum<br />
Thema Migration, indem sie über die alleinige Abbildung der Staatsangehörigkeit hinaus<br />
gehen, um Integrationsanforderungen <strong>und</strong> Segregation realitätsnäher aufzeigen zu<br />
können. Dennoch mangelt es in diesem Bereich weiterhin an einem schlüssigen<br />
Abbildungskonzept. Hier besteht weiterer Optimierungsbedarf.<br />
179 Hierbei handelt es sich um einen Zusammenschluss verschiedener Kommunen zu kommunalen<br />
Datenzentralen, die sich in zahlreichen B<strong>und</strong>esländern gegründet haben. Ihr Ziel ist die Verbesserung<br />
der Leistungsfähigkeit der Kommunalverwaltungen durch Einsatz <strong>und</strong> Nutzung der<br />
technikunterstützten Informationsverarbeitung (vgl. z.B. www.kgst.de, www.kiv.de, www.kivbf.de).
9. Das Datenmodulsystem 253<br />
Zusatzmodul „Behinderung“<br />
Ein hoher Anteil an behinderten Menschen in einer Kommune bzw. in bestimmten<br />
Teilräumen der Kommune impliziert einen erhöhten Integrationsbedarf. Zwar sind die<br />
Kommunen gesetzlich dazu verpflichtet, bei der öffentlichen Infrastruktur auf eine<br />
barrierefreie Gestaltung zu achten, dennoch erfordern Behinderte je nach Art <strong>und</strong><br />
Schwere ihrer Behinderung spezielle Angebote <strong>und</strong> Einrichtungen seitens der<br />
Kommune. Daher sollten Daten über dieses Thema zumindest in Form <strong>eines</strong><br />
Zusatzmoduls erhoben werden.<br />
Zusatzmodul „Wanderung <strong>und</strong> Bevölkerungsprognose“<br />
Die Wanderungsbewegungen sind als zweite Komponente der<br />
Bevölkerungsentwicklung neben den natürlichen Bevölkerungsbewegungen zwar<br />
bereits innerhalb des Basismoduls Demografie vertreten, jedoch reduziert auf Zu- <strong>und</strong><br />
Fortzüge insgesamt <strong>und</strong> den Wanderungssaldo 180 . Es ist aber durchaus sinnvoll, die<br />
Wanderungsbewegungen auch bezogen auf einzelne Bevölkerungsgruppen zu<br />
betrachten. Dadurch kann man auf Veränderungen in der demografischen <strong>und</strong> sozialen<br />
Struktur städtischer Teilräume schließen. So kann z.B. anhand der Differenzierung nach<br />
Nationalität untersucht werden, ob Deutsche <strong>und</strong> MigrantInnen in gleichem Maße<br />
zuwandern (unveränderte Nationalitätsstruktur) oder ob einer hohen Zuwanderung von<br />
Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> ein negativer Wanderungssaldo von Deutschen<br />
gegenübersteht. Hieraus ergeben sich jeweils andere zielgruppenspezifische<br />
Problemkonstellationen (vgl. Mainz 1995: 39). Altersgruppenspezifische <strong>und</strong><br />
familienstatusbezogene Betrachtungen können z.B. aufzeigen, ob ein Stadtteil<br />
„überaltert“ oder von jungen Familien bevorzugt wird. Dies hat entsprechende<br />
Konsequenzen für die Planung der sozialen Infrastruktur vor Ort.<br />
Auch die Bevölkerungsprognose, die das Ziel verfolgt, die zukünftige<br />
Bevölkerungsentwicklung darzustellen, findet sich in diesem Zusatzmodul.<br />
Stadtentwicklungs- <strong>und</strong> Sozialplanung sind auf zukünftiges politisches Handeln<br />
ausgerichtet. Es gilt daher, f<strong>und</strong>ierte Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung zu<br />
erlangen (Bad Vilbel 1996: 42). Allerdings ist hierzu der Einsatz <strong>eines</strong><br />
Prognoseprogramms wie z.B. SIKURS 181 erforderlich.<br />
180 Differenz aus Zu- <strong>und</strong> Fortzügen<br />
181 SIKURS nennt sich ein KOSIS-Gemeinschaftsprojekt, das die Wartung, Pflege <strong>und</strong> Weiterentwicklung<br />
<strong>eines</strong> Programmbaukastens zur regionalisierten Bevölkerungsprognose betreibt (vgl. Kap. 8.2.3.).
9. Das Datenmodulsystem 254<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Finanzsituation“<br />
Basismodul „Einkommen allgemein“<br />
Als ein besonders schwieriger Bereich erweist sich die Berichterstattung über die<br />
Einkommenssituation der Privathaushalte einer Kommune. Zwar lässt der<br />
regionalisierte Mikrozensus repräsentative <strong>und</strong> detaillierte Aussagen über die<br />
monatlichen Nettoeinkommen der Bevölkerung zu, jedoch ermöglichen diese Daten<br />
keine Auswertungen unterhalb der gesamtstädtischen Ebene – mit Ausnahme von<br />
Berlin. Damit eignen sich diese Daten zwar im Zuge <strong>eines</strong> interkommunalen Vergleichs,<br />
nicht jedoch, um den sozioökonomischen Status innerhalb der Stadt kleinräumig zu<br />
analysieren.<br />
Kleinräumige Daten über die Einkommenssituation der privaten Haushalte einer<br />
Kommune stehen kaum zur Verfügung. Die einzige Quelle, auf die man in diesem<br />
Zusammenhang zurückgreifen kann, ist die Lohn- <strong>und</strong> Einkommensteuerstatistik. Auch<br />
diese Statistik ist mit Mängeln behaftet: So erfasst man nur den<br />
einkommensteuerpflichtigen Teil der Bevölkerung vor Ort. In einer Stadt wie Hamburg<br />
wird z.B. nur jeder Zweite zur Steuer „veranlagt“. In Quartieren, in denen das<br />
Steueraufkommen der Höhe nach im unteren Bereich liegt, ist der Anteil der<br />
Steuerpflichtigen noch geringer. Das steuerpflichtige Einkommen ist außerdem eine<br />
weit weniger verlässliche Größe als das monatliche Nettoeinkommen, da staatliche<br />
Leistungen gänzlich unberücksichtigt bleiben <strong>und</strong> viele Einkünfte gar nicht oder nur<br />
begrenzt steuerpflichtig sind. Darüber hinaus handelt es sich weder durchgängig um<br />
Individual- noch um Haushaltseinkommen. So werden beispielsweise zusammen<br />
veranlagte Ehepaare als statistische Einheit betrachtet. Weiterhin darf man die<br />
Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Einkommensklassen nicht überschätzen, da in<br />
den oberen Klassen die Möglichkeiten, das zu versteuernde Einkommen durch<br />
geschickte Deklarationen oder Kapitaltransfers herunterzufahren, deutlich besser sind<br />
als bei einem/einer ArbeitnehmerIn, dem/der die monatliche Steuervorauszahlung vom<br />
Lohn einbehalten wird (vgl. Hamburg 1997b: 22 f.).<br />
Dennoch ist es durchaus sinnvoll, die Steuerstatistik als Quelle für die<br />
Einkommensituation heranzuziehen. Da sich die Erhebungstechnik über die Jahre<br />
wenig verändert hat, bietet sich die Möglichkeit <strong>eines</strong> intrakommunalen Vergleichs im
9. Das Datenmodulsystem 255<br />
<strong>Entwicklung</strong>sverlauf. Außerdem sind kleinräumige Auswertungen möglich (vgl.<br />
Hamburg 1997b: 22).<br />
Basismodul „Transfereinkommen“<br />
Das Transfereinkommen stellt den am häufigsten in kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichten vertretenen Indikatorenbereich dar. Insbesondere die Hilfe zum<br />
Lebensunterhalt wird nahezu standardmäßig abgebildet (vgl. Kap. 5.4.4.). Die<br />
Indikatoren im Bereich Transfereinkommen verweisen auf Einkommensarmut bzw.<br />
prekäre Einkommenslagen. Dabei darf man aber die zum Teil hohen Dunkelziffern nicht<br />
vergessen, also bezugsberechtigte Personen, die diese Leistungen nicht in Anspruch<br />
nehmen. Im Falle der Hilfe zum Lebensunterhalt spricht man von „verdeckter Armut“.<br />
Laut Schätzungen kommt auf jede/n SozialhilfeempfängerIn eine Person, die Anspruch<br />
auf diese Leistung hat, diesen aber nicht geltend macht (Neumann/Hertz 1998;<br />
Neumann 1999).<br />
Das Modul Transfereinkommen konnte im Zeitraum unseres Projektes noch nicht<br />
fertiggestellt werden. Die Änderungen im Zuge der Einführung des vierten Teils der<br />
Hartz-Reformen zu Anfang des Jahres 2005 haben massive Auswirkungen auf die in<br />
diesem Modul herangezogenen Statistiken mit sich gebracht. Die genaue<br />
Ausgestaltung der neuen Statistiken ist noch nicht absehbar. Daten werden frühestens<br />
im Jahr 2006 zur Verfügung stehen. Somit konnten wir die genauen Ausprägungen, den<br />
Raumbezug <strong>und</strong> die Verknüpfungsmöglichkeiten der Indikatoren „Hilfe zum<br />
Lebensunterhalt nach SGB XII“, „Gr<strong>und</strong>sicherung nach SGB XII“, „Sozialgeld nach SGB<br />
II“, „Arbeitslosengeld II nach SGB II“ <strong>und</strong> „Arbeitslosengeld I“ noch nicht festlegen.<br />
Für die Neukonzeption der Statistiken, die man auch als Chance begreifen sollte, gilt es<br />
insbesondere, die Hinweise bezüglich Verknüpfbarkeit <strong>und</strong> Anschlussfähigkeit in Kap.<br />
7.2. <strong>und</strong> 7.3. zu beachten. Außerdem sollten die Daten kleinräumig <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong>bezogen auswertbar sein. Ein gelungenes Beispiel hierfür stellt die<br />
Wohngeldstatistik dar. Sie gehört zu den jährlich aktuellen <strong>und</strong> bestgegliederten<br />
Datengr<strong>und</strong>lagen, die kommunaler Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung zur Verfügung<br />
stehen. In ihrer Tiefe hinsichtlich der Gliederungsmerkmale ermöglicht sie sowohl eine<br />
<strong>haushalts</strong>bezogene Abbildung als auch Verknüpfungen zur Einkommenssituation, zur<br />
Wohnsituation <strong>und</strong> zur Stellung im Beruf (vgl. Gießen 2002: 115).
9. Das Datenmodulsystem 256<br />
Basismodul „Sonstige Indikatoren für prekäre Einkommenslage“<br />
Einige Kommunen ziehen angesichts der unzureichenden Verfügbarkeit von<br />
Einkommensdaten ersatzweise „Hilfsindikatoren“ heran, die Auskunft über Haushalte in<br />
prekären Einkommenslagen geben. Dazu zählen Pässe zur Ermäßigung öffentlicher<br />
Angebote wie z.B. der Gießen-Pass (Gießen 2002), der Frankfurt-Pass (Frankfurt 1997)<br />
oder der Magdeburg-Pass (Magdeburg 2002), Elternbeiträge bzw. Zuschüsse für<br />
Kindertagesstätten, Wohnberechtigungsscheine, R<strong>und</strong>funkgebührenbefreiung <strong>und</strong><br />
Beitragsermäßigungen bei Volkshochschul-Kursen. Diese Indikatoren erlauben, neben<br />
dem „harten Kern“ der materiell Bedürftigen auch diejenigen Haushalte zu identifizieren,<br />
die innerhalb des Bereichs des prekären Wohlstands anzusiedeln sind, aber beim<br />
Eintritt unvorhergesehener Lebensereignisse (z.B. Arbeitslosigkeit, Scheidung) leicht in<br />
die Armut abrutschen (vgl. auch Kap. 6.5.1.).<br />
Basismodul „Überschuldung“<br />
Es besteht kein Konsens über eine verbindliche Definition von Ver- <strong>und</strong> Überschuldung.<br />
Außerdem sind die Unterscheidungen zwischen beiden oft nicht trennscharf.<br />
Verschuldung beschreibt im weitesten Sinne die Verpflichtung zu einer finanziellen<br />
Leistung, also das Eingehen von Verbindlichkeiten. Von Überschuldung spricht man im<br />
Allgemeinen dann, wenn ein Haushalt nicht mehr in der Lage ist, seinen finanziellen<br />
Verbindlichkeiten nachzukommen (vgl. Korczak 2004).<br />
Überschuldung ist ein gesellschaftlich deutlich wachsendes Problem. Ursachen dafür<br />
können einerseits krisenhafte Lebensereignisse <strong>und</strong> andererseits mangelnde Erfahrung<br />
im Umgang mit Kredit- bzw. Finanzkaufangeboten sein. Die Folgen sind Probleme <strong>und</strong><br />
Mängel in den verschiedensten Lebensbereichen, Konto- <strong>und</strong> Arbeitsplatzverlust sowie<br />
Beeinträchtigungen der psychischen <strong>und</strong> physischen Ges<strong>und</strong>heit (Hellmeister et al.<br />
2004: 52; vgl. auch Gießen 2002: 104).<br />
Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema Überschuldung in kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichten eine eher untergeordnete Rolle spielt. Das mag daran liegen, dass<br />
Überschuldung nicht unmittelbar kommunale Belange berührt. Überschuldung ist jedoch<br />
eine Problemlage, die die betroffenen Haushalte konkret vor Ort belastet <strong>und</strong> die auch<br />
konkret vor Ort Hilfestellung erfordert. Daher ist eine kommunale Berichterstattung zu
9. Das Datenmodulsystem 257<br />
diesem Thema unverzichtbar (Hellmeister et al. 2004) <strong>und</strong> findet sich im Rahmen<br />
unseres Datenmodulsystems als Basismodul.<br />
Als ein Indikator bieten sich die Beratungsfälle der Schuldnerberatungsstellen an,<br />
jedoch erfasst man hiermit nur diejenigen SchuldnerInnen, die eine solche<br />
Beratungsstelle aufsuchen. Problematisch ist die sehr unterschiedliche statistische<br />
Erfassung, hier wäre eine Vereinheitlichung der Geschäftsstatistiken der<br />
Schuldnerberatungsstellen anzuregen. Als deutliche Anzeichen des Vorliegens einer<br />
Überschuldungssituation können Schulden in den existentiellen Bereichen Miete <strong>und</strong><br />
Energie angesehen werden. Gleichwohl stellen Miet- <strong>und</strong> Energieschulden in ihrer<br />
Höhe meist nur die Spitze des Eisbergs dar. Die betroffenen Haushalte riskieren<br />
Obdachlosigkeit bzw. Stromsperrungen. Räumungsklagen <strong>und</strong> Zwangsräumungen sind<br />
meist die Folgen von über einen längeren Zeitraum angewachsenen Mietschulden. Zu<br />
den wirklich „harten“ Indikatoren zur Ermittlung der Zahl der Überschuldeten gehören<br />
die abgegebenen Eidesstattlichen Versicherungen, die noch dazu relativ leicht ermittelt<br />
werden können (vgl. Hellmeister et al. 2004: 54; Gießen 2002: 104 ff.).<br />
Zusatzmodul „Vermögen <strong>und</strong> Reichtum“<br />
Den Daten über Haushalte, die sich in prekären Finanzsituationen befinden, sollen mit<br />
Hilfe dieses Zusatzmoduls „Vermögen <strong>und</strong> Reichtum“ Daten über die finanziell<br />
gutsituierten Haushalte gegenüber gestellt werden. Die Erfassung von Reichtum stellt<br />
jedoch sowohl theoretisch als auch methodisch ein Problem dar, wie bereits der Erste<br />
Armuts- <strong>und</strong> Reichtumsbericht der B<strong>und</strong>esregierung (BMA 2001a) konstatierte.<br />
Im Rahmen dieses Moduls stützen wir uns auf den Münchener Bericht (2002: 158 ff.),<br />
der dem Thema Reichtum ein eigenständiges Kapitel widmet. Reichtum wird hier<br />
gemessen mit Hilfe des inzwischen weit verbreiteten 200-Prozent-Schwellenwerts.<br />
Demnach liegt Reichtum dann vor, wenn das gewichtete Haushaltseinkommen das<br />
Doppelte des Durchschnitts überschreitet. Als Datenquellen für die benötigten<br />
Einkommensdaten lassen sich dabei der Mikrozensus <strong>und</strong> die Lohn- <strong>und</strong><br />
Einkommensteuerstatistik heranziehen 182 . Zur Erfassung <strong>und</strong> Beurteilung von Reichtum<br />
privater Haushalte reicht jedoch die alleinige Betrachtung des Einkommens nicht aus.<br />
Die soziale Lage wird insbesondere durch das Vermögen entscheidend mitbeeinflusst<br />
182<br />
zur genauen Vorgehensweise bei der Quantifizierung der nach obiger Definition reichen Haushalte<br />
vgl. München 2002: 168 ff.
9. Das Datenmodulsystem 258<br />
(vgl. Thiele 1999). Daher sollte zusätzlich auf die Zahl der Vermögenssteuerpflichtigen<br />
zurückgegriffen werden, wie sie die Vermögensteuerstatistik offen legt. Die<br />
Vermögensteuerstatistik ist jedoch an die steuerrechtlichen Tatbestände der<br />
Hauptveranlagung zur Vermögensteuer geb<strong>und</strong>en. Daraus folgt, dass ein Großteil der<br />
Haushalte mit Vermögen auf Gr<strong>und</strong> von Bewertungsgr<strong>und</strong>sätzen <strong>und</strong> steuerlichen<br />
Freibeträgen entweder überhaupt nicht oder lediglich mit einem niedrigeren als dem<br />
tatsächlich vorhandenen Vermögen erfasst wird (Düsseldorf 1998: 8). Die Aussagekraft<br />
aller Daten in diesem Modul wird zudem dadurch beeinträchtigt, dass keine<br />
kleinräumigen Auswertungen – von Berlin einmal abgesehen – möglich sind. Dennoch<br />
kann gerade die Gegenüberstellung der Reichtums- <strong>und</strong> der Armutspopulation belegen,<br />
wie tief die Kluft zwischen Arm <strong>und</strong> Reich innerhalb einer Kommune ist.<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Immaterielle Lebenslagen“<br />
Basismodul „Bildung“<br />
Schulische Bildung <strong>und</strong> erreichtes Ausbildungsniveau sind f<strong>und</strong>amentale<br />
Bestimmungsfaktoren für die Lebenschancen <strong>und</strong> Erwerbsperspektiven des Einzelnen.<br />
Darüber hinaus hat der Bildungsweg einen entscheidenden Einfluss auf die <strong>Entwicklung</strong><br />
von Persönlichkeitskompetenzen <strong>und</strong> -ressourcen, denen in Folge der wachsenden<br />
Anforderungen zur Bewältigung einer immer komplexer werdenden Lebensführung <strong>und</strong><br />
Alltagsgestaltung eine hohe Bedeutung zukommt. Die Zusammenhänge zwischen<br />
Bildung <strong>und</strong> sozialer Ungleichheit wurden zahlreich belegt, nicht zuletzt durch die für<br />
Deutschland ernüchternden Ergebnisse der Pisa-Studie. Eine zahlenmäßig wachsende<br />
Gruppe ist in Deutschland bildungsarm <strong>und</strong> wird es auch zeitlebens bleiben. Dieser<br />
Bef<strong>und</strong> ist umso erschreckender, wenn man den Prozess intergenerationeller<br />
Weitergabe von Bildungschancen mitbedenkt (vgl. Gießen 2002: 133 ff.).<br />
Im Gegensatz zu diesen Erkenntnissen steht jedoch die weithin unbefriedigende<br />
Datenlage im Bereich Bildung. Eine quartiersbezogene Auswertung der Daten zur<br />
schulischen Qualifikation ist meist mit nicht unerheblichem Aufwand verb<strong>und</strong>en,<br />
außerdem stellt die Abgrenzung zwischen dem Wohnort der SchülerInnen <strong>und</strong> dem<br />
Schulort, der nicht mit dem Wohnort deckungsgleich sein muss, ein Problem dar (vgl.<br />
Kap. 6.5.4.). Dennoch sollten Kommunen diesen Auswertungsaufwand auf sich<br />
nehmen, da kleinräumig differenzierte Daten zur Bildungssituation für eine
9. Das Datenmodulsystem 259<br />
<strong>lebenslagen</strong>orientierte, integrierte <strong>und</strong> zukunftsgerichtete Berichterstattung<br />
unverzichtbar sind. Städte mit Option auf regionalisierte Mikrozensusauswertungen<br />
können auf eine weit komfortablere, die gesamte Bevölkerung vor Ort <strong>und</strong> nicht nur die<br />
aktuellen SchülerInnen umfassende Datengr<strong>und</strong>lage zurückgreifen. Die Daten erlauben<br />
allerdings – mit Ausnahme von Berlin – keine kleinräumige Darstellung.<br />
Noch unbefriedigender stellt sich die Datenlage im Bereich der beruflichen Qualifikation<br />
dar: Informationen zur Ausbildungssituation sind nur über dem Mikrozensus zu erhalten,<br />
eine andere aussagekräftige Datenquelle existiert nicht.<br />
Die beschriebene mangelhafte Datenverfügbarkeit im Bereich Bildung ist nicht länger<br />
haltbar. Perspektivisch bedarf es einer aussagekräftigen kommunalen Bildungsstatistik.<br />
Basismodul „Wohnen“<br />
Lebenschancen von Menschen werden maßgeblich durch ihre Wohnbedingungen <strong>und</strong><br />
ihr Wohnumfeld beeinflusst. Da eine Analyse der Wohnumfeldbedingungen wie z.B. der<br />
Erreichbarkeit alltagsrelevanter Infrastruktur mit hohem Aufwand <strong>und</strong> methodischen<br />
Problemen verb<strong>und</strong>en ist (vgl. Kap. 4.3.), können im Rahmen <strong>eines</strong> kommunalen<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichts lediglich die Wohnbedingungen fokussiert werden.<br />
Wichtig sind in diesem Zusammenhang sowohl die Indikatoren „Allgemeine<br />
Wohnbedingungen“ <strong>und</strong> „Wohnqualität“, die Aussagen über die Wohnbedingungen der<br />
gesamten Bevölkerung vor Ort zulassen, als auch der Indikator „Soziale<br />
Wohnungsversorgung“, der speziell die Wohnbedingungen von sozial benachteiligten<br />
Haushalten in den Blick rückt. Eine Zusammenschau der verschiedenen Ergebnisse<br />
kann zeigen, ob sich bestehende soziale Ungleichheiten innerhalb der Bevölkerung<br />
sozialräumlich manifestieren <strong>und</strong> sich eine Polarisierung der Sozialstruktur verstärkt im<br />
Wohnbereich niederschlägt (vgl. Gießen 2002: 183). Diese Bef<strong>und</strong>e wiederum müssen<br />
entsprechende Konsequenzen für Städteplanung <strong>und</strong> Städtebau haben.<br />
Zusatzmodul „Wohnungsnotfälle“<br />
Denkt man an Wohnungsarmut, stellt sich schnell die Assoziation an Obdach- bzw.<br />
Wohnungslosigkeit ein. Der hier als Ausdruck von Wohnungsarmut verwendete Begriff<br />
„Wohnungsnotfälle“ orientiert sich dagegen an einer Definition des Deutschen
9. Das Datenmodulsystem 260<br />
Städtetages <strong>und</strong> umfasst nicht nur Personen ohne Dach über dem Kopf, sondern ist ein<br />
Überbegriff für zahlreiche absolute <strong>und</strong> relative Unterversorgungslagen im Bereich<br />
Wohnen (vgl. Kap. 6.4.). Unterschieden werden die drei Indikatoren „Aktuelle Obdachbzw.<br />
Wohnungslosigkeit“, „Unzumutbare Wohnverhältnisse“ <strong>und</strong> „Drohender<br />
Wohnungsverlust“. Zwar sind die Grenzen zwischen den Indikatoren zum Teil fließend –<br />
so kann Beziehungsnot als eine Ausprägung des Indikators „Unzumutbare<br />
Wohnverhältnisse“ durch Wohnungsflucht zu drohender Wohnungslosigkeit führen (vgl.<br />
Abb. 11 in Kap. 6.4.) –, dennoch stellt diese Systematik einen Versuch dar,<br />
Wohnungsnotfälle strukturiert zu erfassen. Es geht dabei nicht primär um eine<br />
vollständige quantitative Erfassung. Ziel ist es vielmehr, die große Vielfalt von<br />
Problemlagen aufzuzeigen, die sich als Wohnungsnotfall niederschlagen, obwohl ihnen<br />
nicht ursächlich ein Wohnungsproblem im engeren Sinne zu Gr<strong>und</strong>e liegen muss (vgl.<br />
Gießen 2002: 160).<br />
Wenngleich es sich bei den Wohnungsnotfällen unzweifelhaft um die massivste<br />
Ausprägung von Armut in Deutschland handelt, rechtfertigt die zahlenmäßig nur äußerst<br />
geringe Betroffenheit die Darstellung lediglich in Form <strong>eines</strong> Zusatzmoduls.<br />
Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“<br />
Der Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit wird als<br />
ges<strong>und</strong>heitliche Ungleichheit bezeichnet. Zahlreiche Untersuchungen belegen den<br />
Zusammenhang zwischen Mortalität <strong>und</strong> sozialem Status. Je weiter Personengruppen<br />
auf der Statusskala voneinander entfernt liegen, desto ungleicher ist die<br />
Lebenserwartung verteilt. Ergebnisse zur Morbidität zeigen Ähnliches: Statushöhere<br />
Personen erkranken seltener an bestimmten Krankheiten <strong>und</strong> haben weniger häufig<br />
Unfälle als Personen aus unteren sozialen Schichten (vgl. Mielck 2000).<br />
Zur Erklärung ges<strong>und</strong>heitlicher Ungleichheit existieren zwei Ansätze:<br />
4. „Armut macht krank.“ Oder: Der sozioökonomische Status beeinflusst den<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand.<br />
5. „Krankheit macht arm.“ Oder: Der Ges<strong>und</strong>heitszustand beeinflusst den<br />
sozioökonomischen Status.<br />
Die meisten Erklärungsansätze stützen sich auf die erstgenannte Hypothese. So<br />
beeinflussen die vielfältigen täglichen Belastungen auf Gr<strong>und</strong> finanzieller Armut die
9. Das Datenmodulsystem 261<br />
Ges<strong>und</strong>heit negativ. Arme Personen bzw. Haushalte sehen sich im Vergleich mit<br />
Bessergestellten ungünstigeren Arbeits- <strong>und</strong> Wohnbedingungen ausgesetzt, die sich<br />
ungünstig auf die Ges<strong>und</strong>heit auswirken. Es ist jedoch darüber hinaus auch das<br />
unterschiedliche Ges<strong>und</strong>heitsverhalten, das negative ges<strong>und</strong>heitliche Folgen hat: So<br />
werden Vorsorge- <strong>und</strong> Früherkennungsuntersuchungen in den unteren Statusgruppen<br />
beispielsweise seltener in Anspruch genommen als in höheren Statusgruppen, bei<br />
HauptschülerInnen ist das Rauchen verbreiteter als bei GymnasiastInnen usw. (vgl.<br />
Mielck 2000). Ges<strong>und</strong>heitliche Ungleichheit resultiert damit aus dem Zusammenspiel<br />
von ungleichen Lebensbedingungen, verschiedenen Bildungsvoraussetzungen <strong>und</strong><br />
unterschiedlichem Ges<strong>und</strong>heitsverhalten (Gießen 2002: 190).<br />
Innerhalb des Moduls „Ges<strong>und</strong>heit“ haben wir aufgr<strong>und</strong> der eben aufgezeigten<br />
Vielschichtigkeit des Themas folgende Zugänge gewählt: Der Indikator<br />
„Ges<strong>und</strong>heitszustand“ bildet den Bereich der Morbidität ab. Der Indikator „Prävention“<br />
stellt die individuelle Inanspruchnahme medizinischer Infrastruktur dar.<br />
Korrespondierend dazu ist der Indikator „Ges<strong>und</strong>heitsinfrastruktur“ zu sehen, der die<br />
infrastrukturell vorgegebenen Möglichkeiten, sich individuell um seine Ges<strong>und</strong>heit zu<br />
kümmern, aufzeigt. Der Indikator „Sterblichkeit“ schließlich deckt den Bereich der<br />
Mortalität ab.<br />
Ein Problem dieses Moduls ist die nur unzureichende Verfügbarkeit von<br />
Ges<strong>und</strong>heitsdaten. So ziehen die beiden erstgenannten Indikatoren als Datenquelle die<br />
Schuleingangsuntersuchungen heran, so dass sich Aussagen hinsichtlich Morbidität<br />
<strong>und</strong> Prävention nur für die Gruppe der SchulanfängerInnen treffen <strong>und</strong> nicht für den<br />
ges<strong>und</strong>heitlichen Zustand der gesamten Bevölkerung vor Ort verallgemeinern lassen.<br />
Zu diesem Zweck wäre eine eigenständige Erhebung vonnöten, die im Rahmen der<br />
kommunalen Berichterstattung standardmäßig nicht zu leisten ist. Dafür bieten die über<br />
die Schuleingangsuntersuchung zu beziehenden Daten jedoch eine sehr<br />
aussagekräftige Basis für Analysen der ges<strong>und</strong>heitlichen Ungleichheit, wenn man<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche in den Blick nimmt (vgl. Kap. 6.5.3.).<br />
Ein weiteres Problem ist, dass sich die entscheidenden Verbindungen zwischen<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand <strong>und</strong> sozialem Status nicht herstellen lassen. Ersatzweise lassen<br />
sich jedoch Zusammenhänge zwischen den Sozialprofilen der städtischen Räume <strong>und</strong>
9. Das Datenmodulsystem 262<br />
dem Ges<strong>und</strong>heitszustand der in diesen Räumen ansässigen Kinder aufzeigen.<br />
Anzuregen sind in diesem Fall zusätzliche, freiwillige Erhebungen zum Bildungs- <strong>und</strong><br />
Erwerbsstatus der Eltern <strong>und</strong> zur Wohnsituation der Familie bei den<br />
Schuleingangsuntersuchungen (vgl. Gießen 2002: 203).<br />
Zusatzmodul „Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitsrisiken“<br />
Wie bereits beim Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“ angesprochen, resultiert ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Ungleichheit aus dem Zusammenspiel von ungleichen Lebensbedingungen <strong>und</strong><br />
unterschiedlichem Ges<strong>und</strong>heitsverhalten Das Zusatzmodul „Ges<strong>und</strong>heitsverhalten <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitsrisiken“ erweitert den Blick auf umfeldbedingte <strong>und</strong> individuelle<br />
Ges<strong>und</strong>heitsrisiken gegenüber dem Basismodul „Ges<strong>und</strong>heit“. Für die innerhalb dieses<br />
Moduls befindlichen Ausprägungen bedarf es jedoch zusätzlicher Erhebungen <strong>und</strong> ganz<br />
eigener Erfassungsmethoden.<br />
Schnittstelle der Themenbereiche/Lebenslagendimensionen „Immaterielle<br />
Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Zusatzmodul „Sprachstand“<br />
Sprache ist das zentrale Kommunikationsmittel des Menschen. Sie ist elementar für die<br />
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: Sie bestimmt soziale Verhältnisse <strong>und</strong> bildet die<br />
Basis für die Einordnung in soziale Bezüge. Der Sprache kommt eine<br />
Indikatorenfunktion für ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> unges<strong>und</strong>e soziale <strong>und</strong> emotionale Verhältnisse<br />
<strong>und</strong> <strong>Entwicklung</strong>en zu. Dementsprechend stellt die Prävention von Sprach- <strong>und</strong><br />
Sprechstörungen auch ein prioritäres Ges<strong>und</strong>heitsziel dar (vgl. Berlin 2003a: 24).<br />
Aufgr<strong>und</strong> dieser Relevanz von Sprache sowohl für die Lebenslagendimension<br />
Ges<strong>und</strong>heit als auch für die soziale Teilhabe haben wir das Modul „Sprachstand“ an der<br />
Schnittstelle zwischen den Dimensionen „Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am<br />
gesellschaftlichen Leben“ angesiedelt.<br />
Bei der Erfassung des Sprachstandes sind gr<strong>und</strong>sätzlich zwei Ebenen voneinander<br />
abzugrenzen:<br />
1. Vorrangig wichtig ist es, überhaupt irgendeiner Sprache mächtig zu sein, um sich<br />
verbal verständigen zu können. Diese Ebene wird repräsentiert durch die<br />
Indikatoren „Spracharmut“ sowie „Sprach- <strong>und</strong> Sprechstörungen“. Spracharmut<br />
meint dabei das Unvermögen, sich in vielgestaltiger Weise seiner Muttersprache
9. Das Datenmodulsystem 263<br />
bedienen <strong>und</strong> mit ihrer Hilfe auch Nuancen ausdrücken zu können, während unter<br />
Sprach- <strong>und</strong> Sprechstörungen einerseits Schwierigkeiten bei der Aussprache <strong>und</strong><br />
andererseits Probleme beim richtigen Sprachverständnis <strong>und</strong> richtigen<br />
grammatikalischen Sprechen zu verstehen sind 183 .<br />
2. An zweiter Stelle ist es für die Teilhabe in unserer Gesellschaft entscheidend, ob<br />
man der deutschen Sprache mächtig ist. Hierfür steht der Indikator „Schlechte<br />
Deutschkenntnisse“.<br />
Ergänzend haben wir noch den Indikator „Analphabetismus“ herangezogen.<br />
Analphabetismus beschreibt mehr oder weniger große Defizite beim Lesen <strong>und</strong>/oder<br />
Schreiben, also Schwierigkeiten beim schriftlichen Umgang mit Sprache (vgl.<br />
www.analphabetismus.de). Dadurch wird das Modul Sprachstand um die Betrachtung<br />
der Schriftsprachkompetenz erweitert.<br />
Die wichtigste Quelle für das Modul „Sprachstand“ stellt die<br />
Schuleingangsuntersuchung dar. Damit die Ergebnisse innerhalb des Moduls jedoch<br />
nicht nur den Sprachstand von Kindern widerspiegeln, sondern auch Erwachsene mit<br />
sprachlichen Problemen berücksichtigen, werden Angaben der Volkshochschule zu den<br />
TeilnehmerInnen von Alphabetisierungs- <strong>und</strong> Deutschkursen einbezogen. Allerdings<br />
muss man in diesem Zusammenhang berücksichtigen, dass die Daten von<br />
TeilnehmerInnen nichts über den eigentlichen Bedarf an Alphabetisierung <strong>und</strong><br />
Verbesserung der Deutschkenntnisse aussagen, sondern lediglich die bildungswilligen<br />
<strong>und</strong> in diese Richtung aktiv werdenden Personen mit eben geschilderten Problemlagen<br />
erfassen.<br />
Zusatzmodul „Kriminalität“<br />
Für die Einbeziehung des Themas Kriminalität in die kommunale<br />
Sozialberichterstattung gibt es zwei Gründe:<br />
1. Aus sozialräumlicher Perspektive ist zum einen von Interesse, ob <strong>und</strong> inwiefern sich<br />
kriminelle Handlungen in bestimmten Quartieren häufen <strong>und</strong> wie sie sich in Quantität<br />
<strong>und</strong> Form über die Zeit entwickeln. Gefragt wird hier: Welche Räume sind besonders<br />
gefährdet?<br />
183 für genauere Erläuterungen vgl. Berlin 2003a: 25 ff.
9. Das Datenmodulsystem 264<br />
2. Zum anderen ist von Interesse, ob es einen Zusammenhang zwischen kriminellen<br />
Handlungen <strong>und</strong> sozialer Benachteiligung gibt (vgl. Pfeiffer et al. 1998). Gefragt wird<br />
hier nach dem Wohnort der TäterInnen <strong>und</strong> ihrer sozialen Herkunft bzw. ihrem<br />
sozialen Status.<br />
Prinzipiell zur Verfügung stehen die polizeiliche Kriminalitätsstatistik (PKS) des<br />
Landeskriminalamts <strong>und</strong> die Jugendgerichtshilfefälle, die meistens beim Jugendamt<br />
(Abteilung Jugendhilfe) erfasst sind. Beide Statistiken geben jedoch streng genommen<br />
keine Antworten auf die oben gestellten Fragen. Die PKS ist primär ein<br />
Tätigkeitsnachweis der polizeilichen Arbeit. Erfasst werden die Straftaten, die polizeilich<br />
registriert wurden. Sie sind abhängig von Selektivität <strong>und</strong> Intensität polizeilicher<br />
Ermittlungen sowie der Anzeigebereitschaft der Bevölkerung <strong>und</strong> ihrer Sensibilität <strong>und</strong><br />
Wahrnehmung der Realität gegenüber. Auf- <strong>und</strong> Abwärtsentwicklungen spiegeln folglich<br />
nicht zwangsläufig Kriminalitätsentwicklungen wider. Weiterhin ist die PKS eine<br />
Ausgangstatistik, d.h. die Fälle werden erst erfasst, wenn die polizeilichen Ermittlungen<br />
abgeschlossen sind (vgl. Lehne 1998). Im Übrigen sehen sich die Landeskriminalämter<br />
häufig nicht in der Lage, die Delikte auf das kleinräumige Gebietsschema der<br />
Kommunen zu beziehen (Bad Vilbel 2002: 106). In der Konsequenz ist das<br />
„Kriminalitätslagebild“ (Bielefeld 2001: 174) stets zeitverzögert, selten kleinräumig <strong>und</strong><br />
nie aktuell. Auch die Erfassung der Jugendgerichtshilfefälle ermöglicht i.d.R. keine<br />
Aussagen über die soziale Herkunft der Jugendlichen, es sei denn, es werden<br />
Sonderauswertungen zum familiären Hintergr<strong>und</strong> oder dem Schulabschluss durch das<br />
Jugendamt durchgeführt wie z.B. in Bad Vilbel (1996 <strong>und</strong> 2002).<br />
Von sozialplanerischem Interesse ist häufig die Frage der Sicherheit. Für die<br />
Sicherheitslage einer Kommune ist es jedoch nicht relevant, ob die Personen, die als<br />
Straftäter in Erscheinung getreten sind, aus der jeweiligen Kommune stammen oder<br />
nicht. Auch können objektive Sicherheitslage <strong>und</strong> subjektives Sicherheitsgefühl weit<br />
auseinander klaffen, weil spektakuläre Einzelfälle das Sicherheitsgefühl <strong>und</strong> das<br />
subjektive Viktimisierungsrisiko enorm beeinflussen.<br />
Eine tatsächliche Transparenz über die Kriminalitätsentwicklung im Rahmen<br />
kommunaler Sozialberichterstattung wäre künftig wünschenswert. Die tatsächlich<br />
verfügbaren Statistiken hierüber sind jedoch nur begrenzt brauchbar <strong>und</strong> verlangen den
9. Das Datenmodulsystem 265<br />
LeserInnen enorm viel Vorwissen über deren Zustandekommen <strong>und</strong> ihre Methoden ab.<br />
Die Gefahr einer Fehlinterpretation der Kriminalitätsentwicklung anhand der örtlichen<br />
PKS ist daher groß. Eine Einbeziehung der Dimension Kriminalität wird daher als<br />
Zusatzmodul angeregt, das an der Schnittstelle zwischen den Dimensionen „Teilhabe<br />
am gesellschaftlichen Leben“ <strong>und</strong> „Immaterielle Lebenslagen“ – hier insbesondere<br />
Bildung <strong>und</strong> Wohnen – liegt.
9. Das Datenmodulsystem 266<br />
Themenbereich/Lebenslagendimension „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Basismodul „Erwerbsarbeit“<br />
Die Teilhabe an der Erwerbsarbeitsgesellschaft bzw. die Nichtteilhabe in Folge von<br />
Erwerbslosigkeit bestimmt die Lebenssituation der Betroffenen erheblich. In den von<br />
uns analysierten Berichten wird Erwerbsarbeit jedoch meist ausschließlich unter<br />
finanziellen Aspekten thematisiert (vgl. Kap. 5.4.4.). Diese Sichtweise ist ohne Zweifel<br />
berechtigt – daher umfasst das Datenmodulsystem innerhalb des Moduls<br />
„Transfereinkommen“ auch die Indikatoren „Arbeitslosengeld I <strong>und</strong> II“ –, aber<br />
gleichzeitig werden durch Erwerbslosigkeit auch der soziale Status, der sich nicht<br />
unwesentlich durch die berufliche Position definiert, <strong>und</strong> die durch das Erwerbsleben<br />
geprägten sozialen Beziehungen in Frage gestellt (vgl. Darmstadt 2002: 11).<br />
Die Integration in das Erwerbsleben beeinflusst in Abhängigkeit vom erreichten<br />
Qualifikationsniveau nicht nur die Lebenschancen der jeweiligen Erwerbsperson,<br />
sondern auch die Lebenschancen derer, die mit dieser Person einen Haushalt bilden.<br />
Eine Unterversorgung im Bereich Erwerbsarbeit, also ein fehlender Zugang zum<br />
Arbeitsmarkt, führt damit vielfach zur Einkommensarmut aller Haushaltsmitglieder.<br />
Erwerbslosigkeit hat zudem erhebliche Auswirkungen auf andere<br />
Lebenslagendimensionen wie Wohnen, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Bildung (Gießen 2002: 117).<br />
Angesichts des hohen Ausmaßes der Erwerbslosigkeit mit ihren an dieser Stelle<br />
skizzierten Konsequenzen ist eine detaillierte Berichterstattung unbedingt erforderlich.<br />
Um nicht nur die Seite der „Nichtteilhabe am gesellschaftlichen Leben durch<br />
Erwerbsarbeit“, sondern auch die Teilhabe zu erfassen, haben wir den Indikator<br />
„Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte“ in das Modul aufgenommen, wohl wissend,<br />
dass damit nicht alle Erwerbstätigen erfasst werden. Eine andere kleinräumig<br />
auswertbare Datenquelle liegt jedoch nicht vor. Städte, die Zugang zu Daten des<br />
regionalisierten Mikrozensus haben, sollten zusätzlich den Indikator „Beteiligung am<br />
Erwerbsleben“ heranziehen. Der Mikrozensus liefert hier eine weit bessere, allerdings<br />
mit Ausnahme von Berlin lediglich auf gesamtstädtischer Ebene vorliegende<br />
Datengr<strong>und</strong>lage zur Erfassung des Themas Erwerbsarbeit.
9. Das Datenmodulsystem 267<br />
Basismodul „Politische Partizipation“<br />
Für die Teilnahme an Wahlen gibt es im Hinblick auf Chancengleichheit <strong>und</strong> Mitwirkung<br />
an der Demokratie zwei Hauptargumente. Auf der einen Seite ermöglicht sie die<br />
„Durchsetzung von Interessen im politischen Prozess“, auf der anderen Seite befriedigt<br />
sie das „menschliche Gr<strong>und</strong>bedürfnis weitgehender Selbstbestimmung“. Das Wahlrecht<br />
stellt eine Chance dar, deren Nutzung stark von der Motivation jedes einzelnen Bürgers<br />
abhängt (Gießen 2002: 42). Die politische Partizipation stellt eine Reaktion auf die<br />
objektiv vorliegenden <strong>und</strong> subjektiv wahrgenommenen Lebensbedingungen dar. In der<br />
Wahlforschung ist der Zusammenhang von Wahlverhalten <strong>und</strong> sozialer Lage gut belegt<br />
(Hamburg 1997b: 30).<br />
Innerhalb des Moduls „Politische Partizipation“ haben wir die drei Indikatoren<br />
„Wahlbeteiligung“, „RechtswählerInnen“ <strong>und</strong> „Politische Repräsentanz“ gewählt. Die<br />
Wahlbeteiligung gilt als Indikator für das „politische Tagesinteresse“ <strong>und</strong> ist<br />
erfahrungsgemäß umso höher, je mehr politische Relevanz der Entscheidung<br />
beigemessen wird. Wahlbeteiligung ist aber auch ein Gradmesser dafür, inwieweit sich<br />
die BürgerInnen mit dem politisch-parlamentarischen System überhaupt verb<strong>und</strong>en<br />
fühlen. Eine niedrige Wahlbeteiligung steht für eine resigniert-passive Haltung<br />
gegenüber Formen der politischen Beteiligung. Im Gegensatz dazu kann man einen<br />
hohen Anteil an RechtswählerInnen als aktiven Protest <strong>und</strong> eine tiefgreifende<br />
Unzufriedenheit gegenüber den etablierten Parteien, ihren RepräsentantInnen sowie<br />
den sozialen Verhältnissen deuten. Die Indikatoren „Wahlbeteiligung“ <strong>und</strong><br />
„RechtswählerInnen“ gehören damit eng zusammen. Sie stellen lediglich zwei<br />
unterschiedliche Reaktionsformen auf die als unbefriedigend empf<strong>und</strong>enen politischen<br />
<strong>und</strong> sozialen Verhältnisse dar (Hamburg 1997b: 31; vgl. auch Kap. 6.5.5.).<br />
Beim Indikator „Politische Repräsentanz“ werden dagegen nur die politisch wirksamen<br />
WählerInnenstimmen in den Blick genommen. Als „politisch wirksam“ sind lediglich die<br />
Stimmen einzustufen, die an Parteien vergeben wurden, die es letztlich geschafft<br />
haben, in die Stadtverordnetenversammlung zu kommen. Wahlenthaltungen <strong>und</strong><br />
Präferenzen für rechtsextreme Parteien, die letztlich nicht die Fünf-Prozent-Hürde<br />
überschreiten, kumulieren in bestimmten städtischen Teilräumen, so dass diese<br />
Gebiete durch die im Stadtparlament vertretenen Parteien politisch nur noch in<br />
geringem Maße repräsentiert sind (Hamburg 1997b: 31 f.).
9. Das Datenmodulsystem 268<br />
Schnittstelle der Themenbereiche/Lebenslagedimensionen „Finanzsituation“,<br />
„Immaterielle Lebenslagen“ <strong>und</strong> „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“<br />
Zusatzmodul „Soziale Dienste“<br />
Die soziale Infrastruktur vor Ort ist in den verschiedenen Feldern der kommunalen<br />
Sozialpolitik <strong>eines</strong> der wichtigsten Interventionsmittel zur Sicherung der Versorgung <strong>und</strong><br />
zur sozialen Problemregulierung in spezifischen Leistungsbereichen (Mainz 1995: 55).<br />
Die Erfassung der Quantität <strong>und</strong> Qualität der sozialen Infrastruktur im Zuge der<br />
kommunalen Berichterstattung ist daher zwar überaus sinnvoll, jedoch eher<br />
ungewöhnlich <strong>und</strong> gerade bezogen auf den qualitativen Aspekt mit hohem Aufwand <strong>und</strong><br />
konzeptionellen Schwierigkeiten verb<strong>und</strong>en (vgl. Kap. 4.3.). Eine zielgruppenspezifische<br />
Berichterstattung zur sozialen Infrastruktur sollte daher zwar perspektivisch angedacht<br />
werden, im Rahmen dieses Datenmodulsystems ist sie aber noch nicht miteinbezogen<br />
worden.<br />
Neben der Ausstattung städtischer Teilgebiete mit sozialer Infrastruktur ist jedoch<br />
zumindest die öffentliche Problemintervention durch soziale Dienste ein Bereich, der in<br />
die kommunale Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung – zumindest in Form <strong>eines</strong><br />
Zusatzmoduls – Einbeziehung finden sollte. Die entsprechenden Indikatoren geben<br />
aussagekräftige Hinweise auf unterschiedliche Problemstrukturen <strong>und</strong><br />
Handlungsbedarfe in den städtischen Teilräumen. Besonders geeignet erschienen uns<br />
dazu die Indikatoren im Bereich „Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe“ – reduziert auf die<br />
Betrachtung der Fälle von Hilfe zur Erziehung <strong>und</strong> der Jugendgerichtshilfefälle – <strong>und</strong> die<br />
Interventionsfälle des Allgemeinen Sozialen Dienstes.<br />
Diese Indikatoren können im Zuge der kommunalen Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung jedoch nicht in ihrer Tiefe erörtert werden. Für den Bereich<br />
Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe existiert gemäß SGB VIII eine eigenständige, vorgeschriebene<br />
Berichterstattung, daher kann im Rahmen <strong>eines</strong> Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichts auf eine<br />
detailliertere Darstellung verzichtet werden. Das Tätigkeitsfeld des Allgemeinen<br />
Sozialen Dienstes dagegen ist so breit, dass eine differenzierte <strong>und</strong> standardisierte<br />
Auswertung kaum möglich ist. Daher sollte man sich in diesem Fall mit den<br />
Gesamtzahlen der Interventionsfälle begnügen, die allerdings kleinräumig <strong>und</strong><br />
<strong>haushalts</strong>bezogen darzustellen sind.
9. Das Datenmodulsystem 269<br />
9.4. Empfehlungen für die praktische Umsetzung<br />
An dieser Stelle sollen einige Hinweise aufgeführt werden, die bei der praktischen<br />
Umsetzung des hier vorgestellten Prototyps des Datenmodulsystems zu beachten sind.<br />
Die dargelegten Empfehlungen sind eher gr<strong>und</strong>sätzlicher Art, bezogen auf die<br />
einzelnen Module bzw. Indikatoren wären sie im Zuge des geplanten<br />
Anschlussprojektes noch weiter zu spezifizieren.<br />
Ein wichtiger Aspekt, der bei der Umsetzung des Datenmodulsystems zu beachten ist,<br />
ist die Verständigung auf eine einheitliche Abgrenzung der städtischen Räume,<br />
möglichst nach sozialräumlichen Gesichtspunkten (vgl. Kap. 8.5.). Nur wenn die<br />
innerhalb der verschiedenen Module <strong>und</strong> Indikatoren als Abbildungsebene<br />
herangezogenen städtischen Teilräume in ihren Grenzen deckungsgleich sind, können<br />
stichhaltige Aussagen über räumliche Häufungen von Auffälligkeiten getroffen werden.<br />
Die Vereinheitlichung der Bezirksgrenzen mittels Senatsbeschluss, wie sie 1996 in<br />
Wetzlar vollzogen wurde (vgl. Meier/ Löser 2004: 19), ist dabei als ein vorbildlicher<br />
Schritt in die richtige Richtung zu sehen.<br />
Neben einer Vereinheitlichung der räumlichen Abbildungsebene ist jedoch auch auf<br />
eine Vergleichbarkeit innerhalb der Merkmalskategorien zur soziodemografischen<br />
Klassifizierung von Personen <strong>und</strong> Haushalten zu achten. Deshalb müssen<br />
Altersklassen, Differenzierungen nach Staatsangehörigkeit, Haushalts- <strong>und</strong><br />
Familientypen usw. innerhalb der unterschiedlichen Module <strong>und</strong> Indikatoren<br />
übereinstimmen, um Personengruppen <strong>und</strong> Haushalte mit Mehrfachbetroffenheiten klar<br />
identifizieren zu können.<br />
Für die quantitative Abbildung sozialer Ungleichheit muss festgelegt werden, welche<br />
Arten von Zahlen genutzt werden sollen, um Indikatoren darzustellen. Verhältniszahlen<br />
in Form von Gliederungszahlen (Quoten wie z.B. Anteil der Arbeitslosen an allen<br />
abhängigen zivilen Erwerbspersonen in Prozent) oder Beziehungszahlen (Dichteziffern<br />
wie z.B. von Obdach-/Wohnungslosigkeit Betroffenen je tausend EinwohnerInnen) sind<br />
absoluten Zahlen eindeutig vorzuziehen, weil Letztere keinen Bezug zur<br />
Gr<strong>und</strong>gesamtheit herstellen <strong>und</strong> damit in ihrer Aussagekraft stark eingeschränkt sind.<br />
So hat beispielsweise eine absolute Zahl von 54 SozialhilfeempfängerInnen in einem
9. Das Datenmodulsystem 270<br />
städtischen Teilgebiet mit insgesamt 100 EinwohnerInnen eine andere Bedeutung als in<br />
einem Gebiet mit 1000 EinwohnerInnen.<br />
Wichtig ist auch die Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen bei der<br />
Datenerfassung, -auswertung <strong>und</strong> anschließenden Darstellung der Ergebnisse. Die<br />
kommunale Berichterstattung stützt sich jedoch überwiegend auf Statistiken, in denen<br />
sich keine Einzelangaben zu Betroffenen, sondern eine Aggregation von Daten<br />
mehrerer Personen finden. Die Einzelfälle erfahren in diesen Statistiken eine<br />
Anonymisierung. Das bedeutet, dass personenbezogene Daten derart verändert<br />
werden – z.B. durch Trennung von Namen <strong>und</strong> Geburtsdatum von den übrigen<br />
Merkmalen –, „dass die Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse<br />
nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand einer bestimmten oder<br />
bestimmbaren Person zugeordnet werden können“ (Zilkens 2003: 212). Solche<br />
anonymisierten <strong>und</strong> aggregierten Daten fallen nicht mehr unter den Datenschutz<br />
(Kloppert 2003: 171). Die Auswertung stellt folglich kein datenschutzrechtliches<br />
Problem dar. Bei der kleinräumigen Ergebnispräsentation muss jedoch darauf geachtet<br />
werden, die Fallzahl in einem Gebiet nicht unter einer Grenze liegt, welche die<br />
Anonymität der Betroffenen nicht mehr gewährleistet (vgl. auch Meier/ Löser 2004: 11<br />
ff.).<br />
Anders liegt der Fall, wenn Zusatzerhebungen durchgeführt werden. Hier spielen<br />
datenschutzrechtliche Belange eine wichtige Rolle. Zu beachten sind die<br />
verfassungsrechtlichen Datenschutzgr<strong>und</strong>sätze der Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit<br />
<strong>und</strong> Geeignetheit. Folgende Fragen sind für die rechtliche Bewertung des<br />
Verfahrens „Zusatzbefragung“ zu stellen:<br />
1. Ist die Verarbeitung durch eine Rechtsgr<strong>und</strong>lage gedeckt oder beruht sie auf einer<br />
wirksamen Einwilligung?<br />
2. Hält sich die Datenverarbeitung im Rahmen der Zweckbindung der Rechtsvorschrift<br />
oder des bei der Einwilligung mitgeteilten Verwendungszwecks?<br />
3. Ist der Gr<strong>und</strong>satz der Erforderlichkeit <strong>und</strong> Datenvermeidung beachtet?<br />
4. Werden die Daten nur so lange gespeichert, wie sie benötigt werden?<br />
5. Stellt das Verfahren sicher, dass nur berechtigte Stellen die Daten verarbeiten<br />
können?<br />
6. Werden nur zuverlässige Datenübermittlungen vorgenommen? (Arlt 2003: 21 f.)
9. Das Datenmodulsystem 271<br />
Abschließend ist auch die Periodizität der Berichterstattung zu bedenken. Es bedarf<br />
einer Regelmäßigkeit, durch die man soziale Abwärtstendenzen in bestimmten<br />
Bereichen bzw. städtischen Teilräumen frühzeitig identifizieren <strong>und</strong> somit rechtzeitig<br />
intervenieren kann. Dazu darf die Zeitspanne zwischen der Erstellung der Berichte nicht<br />
zu groß sein. Eine Festlegung auf einen einzigen Erscheinungsturnus für alle Städte ist<br />
jedoch angesichts der sehr unterschiedlichen Planungsvoraussetzungen wenig<br />
geeignet. Wir empfehlen daher eine Erscheinungsfolge von einem bis zu fünf Jahren.
10. Gesamtfazit <strong>und</strong> Perspektive 272<br />
10. Gesamtfazit <strong>und</strong> Perspektive<br />
10.1. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse<br />
Ziel des Projektes war es zunächst, eine gr<strong>und</strong>sätzliche Analyse der Methoden <strong>und</strong><br />
Konzepte in der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung durchzuführen, um<br />
auf dieser Basis den Prototyp <strong>eines</strong> <strong>lebenslagen</strong>- <strong>und</strong> <strong>haushalts</strong><strong>bezogenen</strong><br />
Datenmodulsystems zu entwickeln. Beide Arbeitsschritte sollten im Ergebnis dazu<br />
dienen, die kommunale Berichterstattung auf eine qualifiziertere Basis zu stellen.<br />
Unser Ausgangspunkt war eine empirische Analyse kommunaler Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichte (Kap. 5). Durch diese gelangten wir zu folgenden Erkenntnissen über<br />
konzeptionelle <strong>und</strong> methodische Charakteristika der bisherigen Berichterstattung:<br />
• Es existiert weder konzeptionell noch inhaltlich ein Unterschied zwischen Armuts<strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung. Die Nomenklatur der Berichte scheint eher zufällig.<br />
• Jeder Bericht erweist sich als ein Unikat. Ein Vergleich ist selbst auf<br />
intrakommunaler Ebene bei Berichten aus unterschiedlichen Jahren in den<br />
seltensten Fällen möglich. Vergleiche zwischen verschiedenen Städten schließen<br />
sich kategorisch aus.<br />
• Eine Orientierung am Lebenslagenansatz ist in der Berichterstattung weit verbreitet.<br />
Den <strong>lebenslagen</strong><strong>bezogenen</strong> Berichten gelingt es in der Regel jedoch nicht, die<br />
verschiedenen Dimensionen in ihren Querbezügen <strong>und</strong> Interdependenzen<br />
darzustellen, wie es sowohl aus theoretischer als auch aus praktischer Sicht<br />
wünschenswert wäre.<br />
• Die meisten Berichte gehen pragmatisch vor <strong>und</strong> bilden das ab, was die Datenlage<br />
vor Ort hergibt. Einige Berichte begnügen sich jedoch nicht mit der unzureichenden<br />
Datenverfügbarkeit in bestimmten Bereichen <strong>und</strong> entwickeln kreative<br />
Berichtsansätze <strong>und</strong> Umsetzungsstrategien.<br />
Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt in der kommunalen Berichterstattung ist die Datenverfügbarkeit.<br />
Das beste Konzept einer kommunalen Berichterstattung erweist sich als wertlos, wenn<br />
für seine Operationalisierung keine Daten zu Verfügung stehen. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />
haben wir die kommunale Datenverfügbarkeiten in den Blick genommen (Kap. 6). Dabei<br />
kamen wir zu folgenden Ergebnissen:
10. Gesamtfazit <strong>und</strong> Perspektive 273<br />
• Die kommunale Berichterstattung stützt sich überwiegend auf öffentliche Statistiken,<br />
Statistiken freier Träger kommen dagegen zu kurz.<br />
• Die im Rahmen der Berichterstattung herangezogenen Statistiken sind originär nicht<br />
für diesen Zweck konzipiert. Sie sind Ausdruck einer vertikal organisierten,<br />
größtenteils versäulten Verwaltung, erweisen sich als individuenzentriert <strong>und</strong><br />
fokussieren überwiegend monetäre Transferleistungen. Das schlägt sich in der<br />
Berichterstattung nieder <strong>und</strong> hat negative Konsequenzen für die Umsetzbarkeit des<br />
Lebenslagenansatzes sowie für eine notwendige Orientierung am Privathaushalt als<br />
Bezugsgröße.<br />
• Neben den standardmäßig herangezogenen Statistiken existieren eine Reihe von<br />
Datenquellen jenseits des Verwaltungsvollzugs, die ergänzend herangezogen<br />
werden können <strong>und</strong> damit die Berichterstattung bereichern.<br />
Die Darstellung der Lebenslagen der Bevölkerung in ihrem Zusammenhang scheitert<br />
vor allem an der Inkompatibilität der herangezogenen Datenquellen. Am Beispiel von<br />
drei Statistiken, die bis einschließlich 2004 eine zentrale Bedeutung für die kommunale<br />
Berichterstattung hatten, wird dies verdeutlicht (Kap. 7). Im Rahmen der Neukonzeption<br />
dieser Statistiken muss eine Erfassungsstruktur entwickelt werden, die Vernetzungen<br />
<strong>und</strong> Querbezüge zulässt. Eine Verständigung auf einheitliche Merkmalsausprägungen<br />
<strong>und</strong> identische Bezugsräume ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.<br />
Zentrale Erfordernisse, denen sich die kommunale Berichterstattung – unabhängig von<br />
einzelnen Datenquellen <strong>und</strong> Statistiken – zu stellen hat, sind vor allem intrakommunale<br />
Vergleichbarkeit <strong>und</strong> Kontinuität, interkommunaler Vergleichbarkeit, Dynamik <strong>und</strong><br />
Verlaufsorientierung, Haushaltsbezug, Sozialraumorientierung <strong>und</strong> integrierte Ansätze<br />
(Kap. 8). Hierzu existieren jedoch bereits eine Reihe von kreativen Ideen in der<br />
Berichterstattungslandschaft, die von uns systematisch zusammengetragen wurden.<br />
Die kreativen Konzepte können – unter Berücksichtigung der jeweils unterschiedlichen<br />
Verhältnisse vor Ort – auf andere Kommunen übertragen <strong>und</strong> zu einer konzeptionellen<br />
<strong>und</strong> methodischen Weiterentwicklung der Berichterstattung genutzt werden.<br />
Die gewonnenen Erkenntnisse mündeten schließlich in das zu generierende<br />
Datenmodulsystem ein (Kap. 9). Dieses stellt gegenüber der bisherigen Praxis in der<br />
kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung eine deutliche Verbesserung dar,
10. Gesamtfazit <strong>und</strong> Perspektive 274<br />
indem es einerseits die im Projektbericht aufgezeigten kreativen Datenquellen <strong>und</strong><br />
Umsetzungsstrategien berücksichtigt <strong>und</strong> damit einen Teil der bisherigen Datenlücken<br />
schließt <strong>und</strong> andererseits gezielt auf mögliche Querbezüge zwischen den einzelnen<br />
Lebenslagendimensionen hinweist.<br />
10.2. Ausblick<br />
Wenngleich das entwickelte Datenmodulsystem die kommunale Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialberichterstattung im Hinblick auf die Umsetzung des Lebenslagenansatzes ein<br />
gutes Stück voranbringt, besteht noch weiterer Handlungsbedarf, dem im Zuge <strong>eines</strong><br />
geplanten Anschlussprojektes Rechnung zu tragen ist.<br />
Da sich Datenverfügbarkeiten von Kommune zu Kommune unterschiedlich gestalten<br />
können, muss das Datenmodulsystem noch daraufhin überprüft werden, ob es sich<br />
tatsächlich in jeder Kommune problemlos umsetzen lässt. Dazu ist ein Probelauf des<br />
Datenmodulsystems unumgänglich. Entsprechend der aus diesen Testlauf gewonnenen<br />
Erkenntnisse muss der entwickelte Prototyp noch an die verschiedenen örtlichen<br />
Gegebenheiten angepasst werden. Im Zuge <strong>eines</strong> Anschlussprojektes ist darüber<br />
hinaus zu prüfen, wie sich die aufgezeigten kreativen Ansätze verstetigen lassen.<br />
Im Bereich der monetären Transferleistungen hat die Zusammenlegung von<br />
Arbeitslosen- <strong>und</strong> Sozialhilfe im Rahmen von Hartz IV zu einem gewaltigen Umbruch<br />
auch in den entsprechenden Statistiken geführt. Die konkreten Auswirkungen sind noch<br />
nicht abzusehen. Das Datenmodulsystem weist aus diesem Gr<strong>und</strong> im Bereich<br />
Transfereinkommen noch Lücken auf, die es mittelfristig zu schließen gilt. Bei der<br />
Neugestaltung dieser für die kommunale Berichterstattung bedeutungsvollen Statistiken<br />
müssen die Datenverfügbarkeiten auf kommunaler Ebene sowie die Auswertbarkeit im<br />
Rahmen der kommunalen Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung gewährleistet <strong>und</strong><br />
Kompatibilität <strong>und</strong> Anschlussfähigkeit an andere Statistiken verankert werden. Darauf<br />
sollte im Rahmen <strong>eines</strong> Anschlussprojektes hingewirkt werden.<br />
Weiterhin sollte im Zuge <strong>eines</strong> Anschlussprojektes an Verbesserungen der<br />
kommunalen Datengr<strong>und</strong>lage in den Bereichen Bildung <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit sowie bei der<br />
Differenzierung von Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> gearbeitet werden. Hier
10. Gesamtfazit <strong>und</strong> Perspektive 275<br />
existieren entweder noch keine durchgängig schlüssigen Konzepte, so z.B. zur<br />
Darstellung der Ausbildungssituation oder aber es liegen Daten ungenutzt brach, so<br />
z.B. zahlreiche von den Ges<strong>und</strong>heitsämtern erhobene Daten.<br />
Bei der praktischen Erprobung des Datenmodulsystems sind Synergieeffekte zu<br />
erwarten, die sich daraus ergeben, dass mehrere Kommunen kooperativ an die<br />
Umsetzung gehen <strong>und</strong> ihr jeweiliges Know-How einbringen. Dies wird auf der einen<br />
Seite die Qualität der zu erstellenden Endfassung des Datenmodulsystems deutlich<br />
steigern <strong>und</strong> damit letztlich den dieses System einsetzenden Kommunen zu Gute<br />
kommen, andererseits wird jedoch auch die nationale Berichterstattung auf eine<br />
wesentlich qualifiziertere Datenbasis in den Kommunen zurückgreifen können.<br />
Es haben bereits vier Städte <strong>und</strong> ein Landkreis ihr Interesse an einem Testlauf des<br />
Datenmodulsystems bek<strong>und</strong>et: Kaiserslautern, Magdeburg, Nürnberg, Stuttgart <strong>und</strong> der<br />
Kreis Groß-Gerau. Es sollten jedoch noch weitere Städte rekrutiert werden. Durch die<br />
Unterscheidung verschiedener Versionen des Datenmodulsystems – Minimalversion,<br />
Basisversion <strong>und</strong> Maximalversion – können gr<strong>und</strong>sätzlich sowohl Kommunen, die<br />
bereits Erfahrung mit Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung haben, als auch solche, die in<br />
diesem Bereich Neuland betreten, an der Erprobung des Prototyps teilnehmen.<br />
Außerdem sollten sowohl Städte mit Zugriff auf regionalisierte Mikrozensusdaten als<br />
auch Städte ohne diese Option am Testlauf teilnehmen, um durch einen Vergleich der<br />
Berichtsergebnisse zu überprüfen, inwieweit die Einbeziehung von Mikrozensusdaten<br />
die Berichterstattung hinsichtlich einer vernetzten Darstellung der<br />
Lebenslagendimensionen voranbringen kann.
Literaturverzeichnis 276<br />
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Sozialberichterstattungsvorhaben der Städte Gießen <strong>und</strong> Wetzlar.<br />
Unveröffentlicher Projektbericht. Gießen<br />
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Tripp, G.; Bruhn-Tripp, J. (2004): Das neue Arbeitslosengeld II. Dortm<strong>und</strong><br />
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Schuleingangsuntersuchungen. Unveröffentlichte Diplomarbeit, JLU Gießen<br />
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Werner, W.; Feldmann, U. (2004): Geographische Informationssysteme (GIS) in der<br />
Sozialplanung - ein wirksames Instrument zur Steuerung in der Sozialverwaltung.<br />
In: NDV, Jg. 84, Heft 3, S. 95-100<br />
Zilkens, M. (2003): Schulpsychologische Beratung <strong>und</strong> Datenschutz. In: Zilkens, M.<br />
(Hg.): Datenschutz in der Kommune. Aktuelle Fragestellungen <strong>und</strong><br />
Lösungsansätze - unter besonderer Berücksichtigung nordrhein-westfälischen<br />
Landesrechts. Deutsches Institut für Urbanistik, Materialien, Berlin, S. 203-218
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 291<br />
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte<br />
Kurztitel Vollständiger Titel<br />
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Armutsberichterstattung in der Stadt <strong>und</strong> dem Kreis Aachen. Aachen<br />
Aschaffenburg 1999 Stadt Aschaffenburg, Sozialamt (Hg.), 1999: Sozialbericht: I<br />
Sozialhilfe <strong>und</strong> soziale Bedürftigkeit. Aschaffenburg<br />
Augsburg 1995 Augsburger Armutskonferenz (Hg.), 1995: Erster Armutsbericht für<br />
Augsburg. Augsburg<br />
Augsburg 1997 Augsburger Armutskonferenz (Hg.), Zweiter Armutsbericht für<br />
Augsburg. Augsburg<br />
Augsburg 2000 Riss/Augsburger Armutskonferenz (Hg.), 2000: Dritter Armutsbericht<br />
für Augsburg. Riss – Augsburgs Zeitung für soziale Themen 10/11<br />
2000. Augsburg<br />
Augsburg 2003 Augsburger Armutskonferenz (Hg.), 2003: Vierter Armutsbericht für<br />
Augsburg. Augsburg<br />
Bad Vilbel 1996 Gemeinwesenentwicklung Bad Vilbel (Hg.), 1996: Kommunaler<br />
<strong>Entwicklung</strong>splan der Stadt Bad Vilbel. Teil 1: Datenreport. Bad<br />
Vilbel<br />
Bad Vilbel 2002 Stadt Bad Vilbel (Hg.), 2002: Sozialbericht 2000. Aachen<br />
Berlin 1990 Meinlschmidt, Gerhard; Imme, Uwe; Kramer, Ramona, 1990:<br />
Sozialstrukturatlas Berlin (West) – Eine statistisch-methodische<br />
Analyse mit Hilfe der Faktorenanalyse. Berlin<br />
Berlin 1999 Meinlschmidt, G.; Brenner, M.H. (Hg.), 1999: Sozialstrukturatlas<br />
Berlin 1999 – Eine soziale Diagnose für Berlin. Berlin<br />
Berlin 2000 Bezirksamt Pankow von Berlin/ Abteilung Personal <strong>und</strong> Verwaltung,<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziales (Hg.), 2000: Sozialbericht für Pankow. Ein<br />
Beitrag zur Sozialberichterstattung <strong>und</strong> Sozialraumanalyse. Berlin<br />
Berlin 2001 TOPOS, 2001: Einkommens- <strong>und</strong> Armutsbericht Berlin 2000. Berlin.<br />
Berlin 2002 Senatsverwaltung für Ges<strong>und</strong>heit, Soziales <strong>und</strong> Verbraucherschutz<br />
(Hg.), 2002: Armut <strong>und</strong> soziale Ungleichheit in Berlin. Berlin<br />
Berlin 2003 a Delekat, Dietrich, 2003: Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung Berlin.<br />
Spezialbericht 2003 – 2. Zur ges<strong>und</strong>heitlichen Lage von Kindern in<br />
Berlin – Ergebnisse <strong>und</strong> Handlungsempfehlungen auf Basis der<br />
Einschulungsuntersuchungen 2001 –. Berlin<br />
Berlin 2003 b Meinlschmidt, Gerhard; Imme, Uwe; Seeger, Michael, 2003:<br />
Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung Berlin. Spezialbericht 2003 – 1.<br />
Sozialhilfeempfängerprognoseverfahren in Berlin. Berlin<br />
Berlin 2004 Senatsverwaltung für Ges<strong>und</strong>heit, Soziales <strong>und</strong> Verbraucherschutz/<br />
Referat Quantitative Methoden, Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung,<br />
Epidemiologie, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Sozialinformationssysteme (Hg.),<br />
2004: Sozialstrukturatlas Berlin 2003. Ein Instrument der<br />
quantitativen, interregionalen <strong>und</strong> intertemporalen<br />
Sozialraumanalyse <strong>und</strong> -planung. Spezialbericht 2004 - 1. Berlin<br />
Bielefeld 2001 Stadt Bielefeld/ Der Oberbürgermeister, Sozialdezernat (Hg.), 2001:<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialbericht der Stadt Bielefeld. Bielefeld<br />
Bielefeld 2002 Stadt Bielefeld/ Dezernat 3, Umwelt <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, Ges<strong>und</strong>heits-,<br />
Veterinär- <strong>und</strong> Lebensmittelüberwachungsamt,<br />
Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung (Hg.), 2002: Kinder- & Jugend-<br />
Ges<strong>und</strong>heitsbericht – Bielefelder Ges<strong>und</strong>heitsberichterstattung.<br />
Bielefeld<br />
Bielefeld 2003 Stadt Bielefeld/ Dezernat 3, Umwelt <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, Stab Umwelt<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit, Geschäftsführung Kommunale<br />
Ges<strong>und</strong>heitskonferenz (Hg.), 2003: Bielefelder Ges<strong>und</strong>heitsziele –<br />
für eine bessere Ges<strong>und</strong>heit. Bielefeld
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 292<br />
Braunschweig 1998 Stadt Braunschweig/ Dezernat für Jugend, Soziales <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit,<br />
1998: Sozialbericht <strong>und</strong> Sozialbudget BS ´97. Braunschweiger Hefte<br />
zum Jugend-, Sozial- <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen 35/Februar 1998.<br />
Braunschweig<br />
Bremen 1992 Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtsverbände (Hg.), 1992:<br />
„Das macht die Seele so kaputt...“. Armut in Bremen. Bremen<br />
Bremen 2002 Arbeitnehmerkammer Bremen (Hg.), 2002: Armut in Bremen. Bericht<br />
2002. Bremen<br />
Darmstadt 1995 Magistrat der Stadt Darmstadt/ Sozialdezernat, Stadtrat Gerd<br />
Grünewaldt (Hg.), 1995: Armut in Darmstadt. Darmstadt<br />
Darmstadt 2000 Wissenschaftsstadt Darmstadt/ Der Magistrat, Sozial- <strong>und</strong><br />
Jugenddezernat (Hg.), 2000: Armut in Darmstadt. Zweiter Bericht.<br />
Darmstadt<br />
Darmstadt 2002 Wissenschaftsstadt Darmstadt/ Der Oberbürgermeister, AG<br />
Sozialplanung (Hg.), 2002: Sozialatlas Darmstadt. Bildung <strong>eines</strong><br />
Sozialindex. Beiträge zur Sozialberichterstattung 1/2002. Darmstadt<br />
Düren 1999 Gesellschaft für demokratische Regionalentwicklung des Forums der<br />
Arbeit in der Wirtschaftsregion Aachen mbH, 1999: Der Armuts- <strong>und</strong><br />
Sozialbericht für den Kreis Düren. Tübingen<br />
Düsseldorf 1998 Landeshauptstadt Düsseldorf/ Der Oberstadtdirektor (Hg.), 1998:<br />
Armut <strong>und</strong> Reichtum in Düsseldorf. Fortschreibung des<br />
Armutsberichts. Düsseldorf.<br />
Düsseldorf 2002 Landeshauptstadt Düsseldorf/ Der Oberbürgermeister, Jugendamt,<br />
Amt für Statistik <strong>und</strong> Wahlen, Initiativen <strong>und</strong> Verbände, 2002:<br />
Armutsbericht 1999 - Kinder <strong>und</strong> Jugendliche. Düsseldorf<br />
Erfurt 2001 Landeshauptstadt Erfurt/ Stadtverwaltung, 2001: 2. Sozialbericht der<br />
Stadt Erfurt. Erfurt<br />
Erfurt 2002 Landeshauptstadt Erfurt/ Stadtverwaltung, 2002: Sozialstrukturatlas<br />
der Stadt Erfurt 2002. Fortschreibung des 2. Sozialberichtes. Erfurt<br />
Essen 1997 a Stadt Essen/ Der Oberstadtdirektor, Amt für <strong>Entwicklung</strong>splanung,<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen (Hg.), 1997: Arbeitslosigkeit in<br />
Essen im September 1996 – Ausmaße der Betroffenheit<br />
unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen <strong>und</strong> Struktur der<br />
Arbeitslosen im kleinräumigen Vergleich. Beiträge zur<br />
Stadtforschung 19. Essen<br />
Essen 1997 b Stadt Essen/ Der Oberstadtdirektor, Amt für <strong>Entwicklung</strong>splanung,<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen (Hg.), 1997: Der Stadtteil<br />
Altendorf – eine Beschreibung der Situation aus der Sicht der<br />
Statistik. Beiträge zur Stadtforschung 18. Essen<br />
Essen 1999 a Stadt Essen/ Der Oberstadtdirektor, Amt für <strong>Entwicklung</strong>splanung,<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen (Hg.), 1999: Soziale Lage von<br />
Empfängerinnen <strong>und</strong> Empfängern existenzsichernder Hilfen.<br />
Beiträge zur Stadtforschung 23. Essen<br />
Essen 1999 b Stadt Essen/ Der Oberstadtdirektor, Amt für <strong>Entwicklung</strong>splanung,<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen (Hg.), 1999: Soziale<br />
Ungleichheit im Stadtgebiet: Kleinräumige <strong>Entwicklung</strong>en im<br />
Zeitraum 31.12.1994 – 31.12.1997 – Tabellenband. Statistisches<br />
Sonderheft 1/99. Essen<br />
Frankfurt/Main 1992 Freyberg, Thomas von (Hg.), 1992: Armut in Frankfurt. Probleme der<br />
Armutsberichterstattung. Offenbach/Main<br />
Frankfurt/Main 1997 Bartelheimer, Peter, 1997: Risiken für die soziale Stadt. Erster<br />
Frankfurter Sozialbericht (erstellt im Auftrag des Sozialdezernates<br />
der Stadt Frankfurt am Main). Frankfurt
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 293<br />
Frankfurt/Main 2000 a Stadt Frankfurt am Main/ Der Dezernent für Soziales <strong>und</strong> Jugend<br />
(Hg.), 2000: Frankfurter Sozialbericht. Risiken <strong>und</strong> Chancen des<br />
Frankfurter Arbeitsmarktes. Reihe Soziales <strong>und</strong> Jugend Nr. 20.<br />
Frankfurt am Main<br />
Frankfurt/Main 2000 b Stadt Frankfurt am Main/ Der Dezernent für Soziales <strong>und</strong> Jugend<br />
(Hg.), 2000: Frankfurter Sozialbericht. Teil II: Sozialhilfeempfänger.<br />
Reihe Soziales <strong>und</strong> Jugend Nr. 21. Frankfurt am Main<br />
Frankfurt/Main 2001 a Stadt Frankfurt am Main/ Der Dezernent für Soziales <strong>und</strong> Jugend<br />
(Hg.), 2001: Frankfurter Sozialbericht. Teil III: Wohnungsversorgung.<br />
Reihe Soziales <strong>und</strong> Jugend Nr. 22. Frankfurt am Main<br />
Frankfurt/Main 2001 b Stadt Frankfurt am Main/ Der Dezernent für Soziales <strong>und</strong> Jugend<br />
(Hg.), 2001: Frankfurter Sozialbericht. Teil IV: Medizinische<br />
Versorgung, Prävention <strong>und</strong> ausgewählte ges<strong>und</strong>heitliche<br />
Gefährdungen. Reihe Soziales <strong>und</strong> Jugend Nr. 24. Frankfurt am<br />
Main<br />
Frankfurt/Main 2002 Stadt Frankfurt am Main/ Der Dezernent für Soziales <strong>und</strong> Jugend<br />
(Hg.), 2002: Frankfurter Sozialbericht. Teil V: Segregation <strong>und</strong><br />
Wohngebiete mit verdichteten sozialen Problemlagen. Reihe<br />
Soziales <strong>und</strong> Jugend Nr. 25. Frankfurt am Main<br />
Freiburg/Breisgau 2001 Amt für Statistik <strong>und</strong> Einwohnerwesen der Stadt Freiburg im<br />
Breisgau (Hg.) 2001: Sozialhilfe in der Stadt Freiburg 2000. Beiträge<br />
zur Statistik der Stadt Freiburg im Breisgau. Freiburg im Breisgau<br />
Fulda 2000 Magistrat der Stadt Fulda/ Amt für Jugend <strong>und</strong> Familie, Sozial- <strong>und</strong><br />
Wohnungsamt, Dipl.-Psych. Gisela Wehr-Tiemeier, 2000: Sozialatlas<br />
der Stadt Fulda. Fulda<br />
Gelsenkirchen 1987 Stadt Gelsenkirchen/ Jugendamt (Hg.), 1987: Bericht über die<br />
Situation junger Menschen in Gelsenkirchen auf dem Ausbildungs-<br />
<strong>und</strong> Arbeitsmarkt 1987. Informationen zur Jugend- <strong>und</strong> Sozialhilfe Nr.<br />
5. Gelsenkirchen<br />
Gelsenkirchen 2001 Stadt Gelsenkirchen (Hg.), 2001: Gelsenkirchener Sozialbericht<br />
2001. Gelsenkirchen<br />
Gießen 1993 Bardelmann, Josef et al., 1993: Armutsbericht der Universitätsstadt<br />
Gießen. Gießen<br />
Gießen 1999 a Gotthardt, Gabriele, 1999: Sozialstrukturdaten zur Beschreibung der<br />
Lebenslage von Kindern, Jugendlichen <strong>und</strong> Familien in der<br />
Universitätsstadt Gießen. Materialien zur Jugendhilfeplanung Band<br />
13. Gießen<br />
Gießen 1999 b Träger, Jutta/ Bardelmann, Josef, 1999: Soziale<br />
Strukturdatenanalyse Gießener Nordstadt. Materialien zur Sozialen<br />
Stadterneuerung Gießener Nordstadt Band III. Gießen<br />
Gießen 2000 Gotthardt, Gabriele et al., 2000: Sozialbericht des Landkreises<br />
Gießen. Erste Fortschreibung – 2000 –. Gießen<br />
Gießen 2002 Magistrat der Stadt Gießen/ Dezernat für Soziales <strong>und</strong> Jugend (Hg.),<br />
2002: Kommunaler Armutsbericht. Gießen.<br />
Gütersloh 1998 Universität Bielefeld/ Institut für Bevölkerungsforschung <strong>und</strong><br />
Sozialpolitik, 1998: Familien- <strong>und</strong> Sozialbericht der Stadt Gütersloh<br />
unter besonderer Berücksichtigung der Verbreitung von Armut.<br />
Bielefeld<br />
Hamburg 1996 Behörde für Arbeit, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziales der Freien <strong>und</strong><br />
Hansestadt Hamburg/ Landessozialamt (Hg.), 1996: Armut in<br />
Hamburg. Beiträge zur Sozialberichterstattung. Nachdruck. Hamburg
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 294<br />
Hamburg 1997 a Behörde für Arbeit, Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Soziales der Freien <strong>und</strong><br />
Hansestadt Hamburg/ Landessozialamt (Hg.), 1997: Armut in<br />
Hamburg II. Beiträge zur Sozialberichterstattung. Zweiter<br />
Armutsbericht für die Freie <strong>und</strong> Hansestadt Hamburg, Schwerpunkte:<br />
Arbeiten, Wohnen, Daten zur Sozialhilfe. Hamburg<br />
Hamburg 1997 b Podszuweit, Ulrich; Schütte, Wolfgang, 1997: Sozialatlas Hamburg<br />
1997. Hamburg<br />
Hamm 2000 Der Oberbürgermeister der Stadt Hamm, Fachbereich Jugend <strong>und</strong><br />
Soziales (Hg.), 2000: Zur Lebenssituation benachteiligter Menschen<br />
in Hamm. Kommunaler Armutsbericht. Hamm<br />
Hanau 1998 Magistrat der Stadt Hanau/ Sozialamt (Hg.), 1998:<br />
Armutsberichterstattung für die Stadt Hanau. Herausforderung für<br />
eine Verantwortungsgemeinschaft. Die soziale Zukunft einer<br />
Kommune. Frankfurt am Main.<br />
Hannover 1993 Landeshauptstadt Hannover (Hg.), 1993: Sozialbericht 1993. Zur<br />
Lage der Kinder, Jugendlichen <strong>und</strong> Familien in Hannover.<br />
Schriftenreihe zur kommunalen Sozial-, Jugend- <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitspolitik. Band 13. Hannover<br />
Hannover 1998 Landeshauptstadt Hannover/ Ges<strong>und</strong>heits-, Jugend- <strong>und</strong><br />
Sozialdezernat (Hg.), 1998: Sozialbericht 1998. Bericht zur sozialen<br />
Situation in Hannover. Hannover<br />
Hannover 2002 Landeshauptstadt Hannover/ Jugend- <strong>und</strong> Sozialdezernat (Hg.),<br />
2002: Sozialbericht 2002. Bericht zur sozialen Situation in Hannover.<br />
Hannover<br />
Herford 1997 Stadt Herford/ Fachbereich Soziales (Hg.), 1997: Erster Sozialbericht<br />
der Stadt Herford unter besonderer Berücksichtigung der Situation<br />
Alleinerziehender, Kinder <strong>und</strong> Jugendlicher. Herford<br />
Kaiserslautern 2001 Hirth, Michael, 2001: Berichte zur sozialen Lage in der Stadt<br />
Kaiserslautern. Teil I: Armut <strong>und</strong> ihre Risiken. Kaiserslautern<br />
Karlsruhe 1993 Stadt Karlsruhe/ Sozialdezernat (Hg.), 1993: Sozialbericht ´93.<br />
Material <strong>und</strong> sozial benachteiligte Gruppen in Karlsruhe: Daten <strong>und</strong><br />
Fakten zur Armut in Karlsruhe sowie Strategien ihrer Bekämpfung.<br />
Karlsruhe<br />
Kassel 1996 Magistrat der Stadt Kassel/ Jugendamt, Jugendhilfeplanung (Hg.),<br />
1996: Bericht zur Lage von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen in Kassel.<br />
Kassel<br />
Kassel 2000 Magistrat der Stadt Kassel/ Sozialamt, 2000: Statistik <strong>und</strong><br />
Strukturdaten der Sozialhilfe. Kassel<br />
Kiel 1998 Landeshauptstadt Kiel/ Der Oberbürgermeister, Sozialdezernat (Hg.),<br />
1998: Bericht über die <strong>Entwicklung</strong> der Armut in Kiel. Kiel<br />
Koblenz 1999 Stadt Koblenz/ Sozialamt (Hg.), 1999: Bericht zur sozialen Lage in<br />
Koblenz. Koblenz<br />
Köln 1998 a Stadt Köln/ Der Oberstadtdirektor, Dezernat für Soziales <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit (Hg.), 1998: Kölner Sozialbericht. Sicherung des<br />
Lebensunterhalts <strong>und</strong> Einkommenssituation. Band I der Kölner<br />
Sozialberichterstattung. Köln<br />
Köln 1998 b Stadt Köln/ Der Oberstadtdirektor, Dezernat für Soziales <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heit (Hg.), 1998: Kölner Sozialbericht. Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Hilfen<br />
bei Krankheit. Band II der Kölner Sozialberichterstattung. Köln<br />
Lahn-Dill-Kreis 2001 Öner, Özgür, 2001: Sozialatlas 2000. Ein sozialstruktureller<br />
Überblick. Wetzlar
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 295<br />
Leipzig 1999 Stadt Leipzig/ Dezernat für Soziales <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit (Hg.), 1999:<br />
Lebenslagenreport Leipzig. Bericht zur <strong>Entwicklung</strong> sozialer<br />
Strukturen <strong>und</strong> Lebenslagen in Leipzig. Studie im Auftrag des<br />
Dezernates für Soziales <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit Leipzig. Leipzig<br />
Ludwigshafen 2001 a Stadt Ludwigshafen am Rhein/ Stadtentwicklung <strong>und</strong><br />
Wirtschaftsförderung (Hg.), 2001: Bevölkerungs- <strong>und</strong> Sozialstruktur<br />
in den Stadtteilen Nord-Hemshof <strong>und</strong> West im Jahre 2000. Berichte<br />
zur Stadtentwicklung B2/2001. Ludwigshafen<br />
Ludwigshafen 2001 b Stadt Ludwigshafen am Rhein/ Stadtentwicklung <strong>und</strong><br />
Wirtschaftsförderung (Hg.), 2001: Stadtteilentwicklungsplanung<br />
Rheingönheim. Stadtteilbericht 2000: Soziales <strong>und</strong> Wohnen. Berichte<br />
zur Stadtentwicklung B5/2001. Ludwigshafen<br />
Ludwigshafen 2002 Stadt Ludwigshafen am Rhein/ Stadtentwicklung <strong>und</strong><br />
Wirtschaftsförderung (Hg.), 2002: Stadtteilentwicklungsplanung Mitte<br />
<strong>und</strong> Süd. Stadtteilbericht 2000: Soziales <strong>und</strong> Wohnen. Berichte zur<br />
Stadtentwicklung B1/2002. Ludwigshafen<br />
Lübeck 2003 Hansestadt Lübeck (Hg.), 2003: Armuts-Sozialbericht. Teil I:<br />
Sozialatlas. Lübeck<br />
Magdeburg 2002 Landeshauptstadt Magdeburg, Der Oberbürgermeister (Hg.), 2002:<br />
Sozialbericht der Landeshauptstadt Magdeburg 2000/2001.<br />
Magdeburg<br />
Mainz 1992 Stadt Mainz/ Sozialdezernat (Hg.), 1992: Sozialbericht 1992. Ein-<br />
Elternteil-Familien in Mainz. Mainz<br />
Mainz 1995 Stadt Mainz/ Sozialdezernat (Hg.), 1995: Sozialraumanalyse Mainz.<br />
Teil 1: Aufgabendefinition, Analyse der Datenquellen <strong>und</strong><br />
<strong>Entwicklung</strong> <strong>eines</strong> Indikatorensets. Mainz<br />
Mainz 1996 Stadt Mainz/ Sozialdezernat (Hg.), 1996: Wohnungsnot <strong>und</strong><br />
Obdachlosigkeit in Mainz. Analysen – Perspektiven. Mainz<br />
Mannheim 2000 a Stadtjugendamt Mannheim/ Sozialdezernat (Hg.), 2000:<br />
Kinderbericht Mannheim. Kinder im Stadtteil Hochstätt.<br />
Schriftenreihe des Stadtjugendamtes Band 20. Mannheim<br />
Mannheim 2000 b Stadtjugendamt Mannheim/ Sozialdezernat (Hg.), 2000:<br />
Kinderbericht Mannheim. Kinder im Stadtteil Niederfeld.<br />
Schriftenreihe des Stadtjugendamtes Band 22. Mannheim<br />
Mannheim 2003 a Stadt Mannheim/ Fachbereich Kinder, Jugend <strong>und</strong> Familie –<br />
Jugendamt/Jugendhilfeplanung (Hg.), 2003: Kinderbericht<br />
Mannheim. Band VII: Daten: Stadt, Stadtteile, Erläuterungen.<br />
Schriftenreihe des Stadtjugendamtes Band 31. Mannheim<br />
Mannheim 2003 b Stadt Mannheim/ Fachbereich Kinder, Jugend <strong>und</strong> Familie –<br />
Jugendamt/Jugendhilfeplanung (Hg.), 2003: Kinderbericht<br />
Mannheim. Band VI: Synopse, Empfehlungen. Schriftenreihe des<br />
Stadtjugendamtes Band 33. Mannheim<br />
Marburg 2000 Magistrat der Stadt Marburg/ Dezernat für Jugend, Soziales <strong>und</strong><br />
Umwelt (Hg.), 2000: Marburger Sozialberichte. Sozialdaten zum<br />
Sozialhilfebezug in der Universitätsstadt Marburg. Materialien zur<br />
Sozialplanung, Band 1. Marburg<br />
München 1999 Landeshauptstadt München/ Sozialreferat (Hg.), 1999: Münchner<br />
Armutsbericht – Fortschreibung ´97. Armutsprofile der Stadtbezirke<br />
<strong>und</strong> Sozialregionen. Beiträge zur Sozialplanung 152. München<br />
München 2002 Landeshauptstadt München/ Sozialreferat (Hg.), 2002: Münchner<br />
Armutsbericht 2000. Beiträge zur Sozialplanung 162. München<br />
Nürnberg 1992 Stadt Nürnberg/ Sozialreferat (Hg.), 1992: Armut in Nürnberg. Erster<br />
Armutsbericht der Stadt Nürnberg. Nürnberg
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 296<br />
Offenbach 2000 Stadt Offenbach am Main/ Dezernat für Umwelt, Verkehr <strong>und</strong><br />
Soziales (Hg.), 2000: Sozialhilfe-Geschäftsbericht 1999. Offenbach<br />
am Main<br />
Offenbach 2001 Stadt Offenbach am Main/ Dezernat für Umwelt, Verkehr <strong>und</strong><br />
Soziales (Hg.), 2001: Sozialhilfe-Geschäftsbericht 2000. Offenbach<br />
am Main<br />
Potsdam 1997 a Landeshauptstadt Potsdam/ Der Oberbürgermeister, Amt für<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen, 1997: Armut <strong>und</strong> öffentliche<br />
Fürsorge in der Stadt Potsdam – gestern – heute – morgen. Eine<br />
statistische Dokumentation. Beiträge zur Statistik <strong>und</strong> Stadtforschung<br />
Heft 2/1997. Potsdam<br />
Potsdam 1997 b Stadtverwaltung der Landeshauptstadt Potsdam/ Amt für Statistik,<br />
Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen (Hg.), 1997: Quartalsbericht der Stadt<br />
Potsdam. IV. Quartal 1996. Statistik – unverzichtbarer Bestandteil bei<br />
der Steuerung der Verwaltung <strong>und</strong> Stadtentwicklung – Beispiel<br />
Sozialamt. Potsdam<br />
Potsdam 1998 Landeshauptstadt Potsdam/ Der Oberbürgermeister, Amt für<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen, 1998: Wohngeld in der Stadt<br />
Potsdam – Ergebnisse der Wohngeldstatistik. Beiträge zur Statistik<br />
<strong>und</strong> Stadtforschung Heft 1/1998. Potsdam<br />
Potsdam 1999 Landeshauptstadt Potsdam/ Der Oberbürgermeister, Amt für<br />
Statistik, Stadtforschung <strong>und</strong> Wahlen, 1999: Sozialhilfe in der Stadt<br />
Potsdam. Ergebnisse der Sozialhilfestatistik 1995 bis 1998. Beiträge<br />
zur Statistik <strong>und</strong> Stadtforschung Potsdam Heft II/1999. Potsdam<br />
Regensburg 1989 Jugend- <strong>und</strong> Sozialdezernat/ Stadtjugendamt (Hg.), 1989: Sozialatlas<br />
Regensburg. Regensburg<br />
Speyer 2000 Herrling, Volker, 2000: Soziale Problemlagen in Speyer. Beiträge zur<br />
Armuts- <strong>und</strong> Sozialberichterstattung für die Stadt Speyer. Speyer<br />
Stuttgart 1990 Landeshauptstadt Stuttgart/ Statistisches Amt (Hg.), 1990: Strukturen<br />
der räumlichen Armut. Statistischer Informationsdienst. Beiträge aus<br />
Statistik <strong>und</strong> Stadtforschung. Sonderheft 12/1989. Stuttgart<br />
Stuttgart 2002 Landeshauptstadt Stuttgart/ Sozialamt (Hg.), 2002: Armut in<br />
Stuttgart. Quantitative <strong>und</strong> qualitative Analysen. Sozialbericht 1.<br />
Stuttgart<br />
Suhl 2000 Stadt Suhl/ Sozialdezernat, Sozialamt (Hg.), 2000: Sozialbericht<br />
2000. Suhl<br />
Suhl 2001 Stadt Suhl/ Sozialdezernat (Hg.), 2001: Bericht zur sozialen Situation<br />
in der Stadt Suhl. Suhl.<br />
Suhl 2002 Stadt Suhl/ Sozialdezernat, Sozialamt (Hg.), 2002: Sozialbericht<br />
2002. Suhl<br />
Viersen 1999 Stadt Viersen/ Die Bürgermeisterin, Fachbereich 40 – Jugend,<br />
Soziales <strong>und</strong> Wohnen, Abteilung I – Soziale Hilfen (Hg.), 1999:<br />
Sozialbericht 1999 der Stadt Viersen. Viersen<br />
Viersen 2001 Stadt Viersen/ Die Bürgermeisterin, Fachbereich 40 – Jugend,<br />
Soziales <strong>und</strong> Wohnen, Abteilung I – Soziale Hilfen (Hg.), 2001:<br />
Sozialbericht 2001 der Stadt Viersen. Viersen<br />
Viersen 2003 Stadt Viersen/ Die Bürgermeisterin, Fachbereich 40 – Soziales <strong>und</strong><br />
Wohnen, Abteilung I – Soziale Hilfen (Hg.), 2003: Sozialbericht 2003<br />
der Stadt Viersen. Viersen<br />
Wetzlar 1998 Magistrat der Stadt Wetzlar/ Kommunale <strong>Entwicklung</strong>splanung/<br />
Sozialplanung (Hg.), 1998: Sozialstrukturatlas 198/99.Wetzlar<br />
Wiesbaden 1996 Landeshauptstadt Wiesbaden/ Sozialdezernat (Hg.), 1996:<br />
Wiesbadener Sozialatlas ´95, Beiträge zur Sozialplanung Nr. 16.<br />
Wiesbaden
Verzeichnis der vorliegenden <strong>und</strong> zitierten kommunalen Berichte 297<br />
Wiesbaden 2001 a Brennecke, Julia et al., 2001: Macht Sozialhilfe abhängig? Eine<br />
Analyse zur Dauer des Sozialhilfebezuges in Wiesbaden. Beiträge<br />
zur Sozialplanung Nr. 21. Wiesbaden<br />
Wiesbaden 2001 b Landeshauptstadt Wiesbaden/ Amt für Wahlen, Statistik <strong>und</strong><br />
Stadtforschung (Hg.), 2001: Statistische Berichte 2/2001. Aufbau<br />
<strong>eines</strong> Monitoringsystems zur sozialen Siedlungsentwicklung in<br />
Wiesbaden. Wiesbaden<br />
Wiesbaden 2002 a Landeshauptstadt Wiesbaden/ Sozialdezernat (Hg.), 2002: Hilfe<br />
zum Lebensunterhalt in Wiesbaden 1996-2001. Umfang, Struktur,<br />
<strong>Entwicklung</strong>en. Beiträge zur Sozialplanung Nr. 22. Wiesbaden<br />
Wiesbaden 2002 b Landeshauptstadt Wiesbaden/ Sozialdezernat, Amt für Soziale<br />
Arbeit, Gr<strong>und</strong>satz <strong>und</strong> Planung (Hg.), 2002: Wiesbadener<br />
Sozialatlas 2001. Materialien zur Jugendhilfe- <strong>und</strong> Sozialplanung.<br />
Wiesbaden
Verzeichnis der Internetquellen 298<br />
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http://www.bmgs.b<strong>und</strong>.de/download/gesetze_web/sgb12/sgb12X041.htm vom 08.06.04<br />
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vom 31.08.04