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PLAYING AND REALITY

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EJ Majors Werk fokussiert auf den Moment vor dem zerstörerischen Akt, wenn sie in Gestalt von Richardson vor dem Gemälde<br />

steht und mit der Entscheidung ringt, ob sie die Handlung ausführen soll oder nicht. Die Künstlerin erklärt dazu: „Als<br />

Mary Richardson mit dem Beil auf die Venus von Rokeby losging, war dies nicht nur ein Akt der Zerstörung von Eigentum; es<br />

war die Zerstörung einer besonderen Art von Eigentum: von Kunst. Ein solcher Akt verunsichert mich sehr im Kontext des<br />

Kampfs der Suffragetten, an den ich glaube. So etwas wirft komplexe Fragen auf zum Kunstschaffen und seiner Beziehung<br />

zu ökonomischen und moralischen Werten. Es sind diese widersprüchlichen Antworten, die mich interessieren und die<br />

meine Arbeit beeinflussen.“ 2<br />

Symbolisch gesehen besitzt der Akt von Richardson eine andere Ebene, die den Umstand betrifft, dass das von ihr gewählte<br />

und attackierte Bild eine weibliche Figur zeigt – einen Akt. Dies ist ein Thema, das Major auch in dem Werk Venus Vanitas<br />

(2009) beschäftigt, das Teil der Serie Shoulder to Shoulder ist. In der Nachstellung der Venus von Rokeby erscheint die<br />

Künstlerin gleich zweimal neben ihrer Mutter. Das Gesicht der Mutter wird im Spiegel reflektiert, während der mit Photoshop<br />

bearbeitete nackte Körper der Künstlerin im Vordergrund des Bildes liegt, den Rücken uns zugekehrt. Zugleich erscheint die<br />

Künstlerin als Krankenschwester gekleidet, den Spiegel haltend und sich selbst, die liegende Figur, betrachtend. In dieser<br />

Arbeit betrachtet die Künstlerin drei Typen von Frauen, die uns aus der traditionellen Ikonographie geläufig sind: die ältere<br />

Mutter oder Madonna, die Sklavin/Bedienstete/Krankenschwester, und die junge nackte Frau. Während die beiden ersten<br />

Frauentypen innerhalb des Kanons der klassischen Kunst als asexuell gelten, ist die nackte junge Figur das sexuell begehrte<br />

Objekt, die Muse. Diese weibliche Figur ist so geläufig in der klassischen traditionellen Kunst, dass sie als Objekt des männlichen<br />

künstlerischen Blickes fast normal erscheint. Die amerikanische Agit-Group The Guerilla Girls hat wiederholt hervorgehoben,<br />

dass mehr Darstellungen nackter Frauen an den Wänden der meisten großen Museen hängen als Künstlerinnen in<br />

ihren Sammlung vertreten sind. Oder wie sie überspitzt formulierten: Müssen Frauen nackt sein, um ins MET zu gelangen? 3<br />

2011, als die Künstlerin 40 Jahre alt wurde. Das Material wurde zusammengestellt und als Stills exportiert, ein einzelner<br />

Rahmen pro Sekunde. When nothing will do bezieht sich auf zwei Filme, die aus Bildern ihres Elternhauses in Malvern und aus<br />

ihrem Atelier in London entstanden sind und zwischen 2010 und 2013 aufgenommen wurden. Viele der Standbilder zeigen<br />

Major, wie sie die Schnappschüsse mit ihren Eltern und ihrem Bruder inszeniert. Wir sehen Ausschnitte aus dem Haus<br />

der Familie und der Garage, die vollgestellt ist mit Kisten, die auf Lebensumstände der Familie während der Kindheit der<br />

Künstlerin hinweisen. In dieser Arbeit scheint sie ihre eigene Lebensgeschichte als Ausgangspunkt für Ihr Werk zu nutzen.<br />

Die Frage nach der Kontrolle wird in der Arbeit gestellt, wenn die Künstlerin wiederholt ihre Hand am Auslöser zeigt, die<br />

die Kamera zu einem Schnappschuss instruiert. Und doch steckt in vielen dieser Bilder eine Art Klaustrophobie, wenn wir<br />

das alternierende Selbst beim Spiel sehen.<br />

Mit ihren Eltern ist sie streng gekleidet und spielt die Rolle der gehorsamen Tochter; in der Garage sehen wir sie in Pufferjacke,<br />

in einem Raum der Introspektion und Nachdenklichkeit, wenig posierend und nicht direkt in die Kamera schauend.<br />

Die Arbeit scheint nach der Familiendynamik zu fragen und zu untersuchen, wie unsere Identität konstruiert wird durch<br />

Fotografien, die uns einen Platz zuweisen und anderen Menschen sagen, wer und was wir sind. Aber natürlich erzählen<br />

die Fotografien nicht die ganze Geschichte unserer komplexen Veränderungen, unserer sich wandelnden Persönlichkeit,<br />

unseres Charakters. In gewisser Weise erscheint diese Arbeit persönlicher als ihre vorangehenden Serien, dennoch gibt es<br />

nicht mehr Enthüllendes und Bekennendes als in jedem ihrer anderen Werke. Was den Ausstellungstitel betrifft, scheinen<br />

wir Verschiebungen in ihrem Werk zu erkennen. Auf der einen Seite sehen wir die Künstlerin in Momenten der Einsamkeit<br />

und Verzweiflung, wenn ihr Selbstgefühl begrenzt zu sein scheint, sich in die Familie einzufügen. Dann gibt es wieder<br />

Momente der Reflexion, der Inszenierung in der Landschaft, durch die die Künstlerin in der Lage zu sein scheint, ganz ihr<br />

„wahres Selbst“ zu sein, wie Winnicott es ausdrücken würde.<br />

23<br />

Feministische Performance-Künstlerinnen haben seit den siebziger Jahren ihren eigenen Körper als Subjekt ihrer Arbeit<br />

eingesetzt, um ihn auf diese Weise zurückzuerobern. Indem Sie ihren Körper dem männlichen Blick entzogen, haben sie<br />

sich im wahrsten Sinne selbst als Statement in den Rahmen einbezogen. Gleichzeitig Künstlerin und Modell, verschiebt<br />

sich so die Machtdynamik des Bildes. Dies ist eine Seite der Performance-Kunst, die noch heute Anziehungskraft und<br />

Bedeutung für Künstlerinnen wie EJ Major besitzt.<br />

In beiden dieser frühen Werke greift die Künstlerin auf vorgefundene Fotografien als Inspirationsquelle zurück. In ihrer<br />

jüngst entstandenen Arbeit Every Day in November/When nothing will do, eine zweiteilige Installation, schöpft sie aus dem<br />

eigenen Archiv sowie aus den Beständen ihrer Familie. Every Day in November bezieht sich auf Filmmaterial vom November<br />

PROZESS UND METHODE<br />

Hinter Majors Arbeiten gibt es eine Struktur, einen konzeptuellen Prozess, der strikt befolgt wird. Es ist diese Selbstdisziplin,<br />

die das Betrachten des Werks manchmal schmerzvoll erscheinen lässt, so wie es auch schmerzvoll scheint, ein solches<br />

Werk zu gestalten. Wir werden Zeugen von Majors kreativen Blockaden sowie von ihren emotionalen Zuständen während<br />

des Schaffens. Zuweilen scheint sie unsere Anteilnahme ihres Leidens zu verlangen, wie schon viele Künstler vor ihr. Es<br />

ist kein masochistisches oder selbstzerstörerisches Verlangen, wie etwa bei den Wiener Aktionisten, dennoch finden sich<br />

in einigen ihrer Werke Spannung und Missbehagen. Die Performance der Straßendemonstrationen für Shoulder to Shoulder<br />

war sicherlich nicht leicht für sie, und auch in den Stills von Every Day in November sehen wir sie sich wieder und wieder<br />

zur Selbstdarstellung zu zwingen in einer Zeit großer emotionaler Anspannung.

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