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Beschaffung aktuell 03.2023

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» MANAGEMENT Olaf Komitsch, CPO der EnBW AG Die Energiewende meistern Olaf Komitsch managt die Beschaffung für die EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Mit der Energiewende hat sich das Geschäftsmodell des Energieversorgers stark verändert . Zudem hat der Infrastrukturausbau das Einkaufsvolumen vervielfacht. Was das für den Einkauf bedeutet, erzählt CPO Komitsch im Interview. Beschaffung aktuell: Herr Komitsch, Sie leiten seit 2018 den Einkauf für den Energieversorger EnBW. Inwiefern hat sich die Beschaffung seitdem verändert? Olaf Komitsch: In zwei wesentlichen Punkten: Zum einen hat die EnBW ihre Strategie als Energieversorger völlig neu ausgerichtet und einen Wandel zur „grünen“ Energie vollzogen. Das hat unsere Lieferantenbasis komplett verändert. Zum anderen hat sich durch den Infrastrukturausbau unser Einkaufsvolumen auf aktuelle sechs Milliarden Euro jährlich vervielfacht. Parallel haben wir unsere Organisation an die neuen Anforderungen angepasst mit dem Ergebnis, dass mittlerweile ein Drittel unserer Einkäuferinnen und Einkäufer veränderte Aufgaben haben. Kommerziell muss man einem Einkäufer prinzipiell nicht viel beibringen. Es geht für mich heute, zumal als Quereinsteiger aus Finance und Vertrieb, eher um die Themen Risikomanagement und Digitalisierung. Deshalb haben wir ein konsequentes Transformationsprogramm für die nächsten zwei Jahre aufgesetzt. Hier verändern wir insbesondere Ways of Working, investieren konsequent in Digitalisierung sowie Automatisierung und integrieren unsere Lieferanten in unsere Wertschöpfung. »Über Verträge allein lassen sich nicht alle unerwarteten Eventualitäten einer Lieferkette abdecken.« Sie kaufen heute keine schlüsselfertigen Großkraftwerke mehr, sondern Solarpanel, Windräder, Ladesäulen. Komitsch: In der Tat kaufen wir sehr viele neue Materialien und Komponenten und das hat einen großen Einfluss auf unsere Arbeit. Wir haben neben der reinen Warengruppenlogik nun verstärkt komplexe Produkte und kleinteilige Projekte im Einkauf zu managen. Unsere Lieferantenbasis hat sich internationalisiert, in dieser Dimension ist dies neu für die EnBW. Was bedeutet das für den Einkauf? Komitsch: Die Herausforderung liegt darin, mit der Vielfalt umzugehen und die Olaf Komitsch Olaf Komitsch ist seit über 20 Jahren für die EnBW tätig in den Bereichen Vertrieb, Performance Management, Controlling und Risikomanagement. Seit 2018 leitet er den Zentraleinkauf des Energieversorgers. Weitere berufliche Stationen des Diplom-Ingenieurs für Energietechnik war die EDF Energy in London und ein Praktikum im Silicon Valley. Olaf Komitsch ist systemischer Coach und hat eine Ausbildung im Digital Leadership. Komplexität zu reduzieren. Im Projekteinkauf setzen wir auf die Kompetenz der einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und auf die Selbstverantwortung. Über die Projektkennzahlen hinaus wenden wir keine einkaufspezifische KPI an und garantieren so eine einheitliche Ausrichtung auf den Gesamterfolg der Projekte. Hier braucht der Einkäufer über seine einkäuferischen Fähigkeiten hinaus einen Sinn für Unternehmertum. Unser Commodity-Einkauf, der eine große Breite an Materialien und Dienstleistungen beinhaltet, muss in schnellen, effizienten Prozessen bestmögliche Einsparungen generieren. Komponenten wie Trafos, Wechselrichter und Instandhaltungsleistungen kaufen wir zentral, da geht es um Economies of Scale und Standardisierung mit der Frage, was lässt sich ohne Qualitätsverlust vereinheitlichen? Hinzu kommt die Interaktion mit unseren Bedarfsträgern und Lieferanten. Im Fokus steht das digitale Arbeiten und die durchgängige Automatisierung von Massenprozessen. Digitales Arbeiten macht nur Spaß, wenn sich Systeme intuitiv nutzen lassen. Dazu setzen wir auf Katalogsysteme und verbessern Prozesse und Systeme mit User Experience (UX). Das alles verändert die Organisation des Einkaufs und die Arbeitsweise entlang der Wertschöpfung. Das ist nicht trivial, lässt sich über eine KPI kaum abbilden, ist aber entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Es geht nicht mehr allein um Verhandlungskompetenz. Wir brauchen Verhandlerinnen und Changemanager im Einkauf. 14 Beschaffung aktuell » 03 | 2023

Bild: EnBW Olaf Komitsch, EnBW: „Für mich entsteht erfolgreiche Digitalisierung aus dem digitalen Denken und nicht aus der Einführung von Tools.“ Inwiefern spüren Sie den Material - mangel? Komitsch: Es ist anspruchsvoll, gleichzeitig hilft der Mangel die Standardisierung zu treiben, weil er einen Veränderungswillen erzeugt. Differenzieren wird zur Option, wenn der Top- Lieferant nicht mehr die vollen Mengen liefern kann. Wir fragen uns gemeinsam mit den Netzgesellschaften: Was ist das technisch Notwendige, wo entsteht ein Mehrwert und auf welche Spezifikationen können wir verzichten? Aufgrund der disruptiven Lieferketten sind wir gezwungen sehr vieles zu hinterfragen. Wie herausfordernd ist der aktuellen Lieferantenmarkt? Komitsch: Die EnBW hat trotz schwieriger gesamtwirtschaftlicher Lage hohe ambitionierte Ziele im Ausbau der Infrastruktur, z. B. bei Breitband, smarte Netze und natürlich erneuerbare Energien. Wir agieren in einem absoluten Wachstumsfeld. Politik und Gesellschaft erwarten von uns eine schnelle Energiewende. Fachkräftemangel, disruptive Lieferketten fordern Lieferanten wie auch uns. Wir sehen die Sorgen unserer Lieferanten, und machen uns bereit , viel stärker gemeinsame Lösungen zu finden. Geopolitische Krisen und Pandemien benötigen trotz allem viel Aufmerksamkeit und Kreativität. »Es gibt in den Lieferketten unendlich viele Daten bei gleichzeitiger Unterinformation aller Beteiligten.« Entsprechend hoch ist die Verantwortung, die der Einkauf für diese Aufgabe hat. Unser Augenmerk muss daher auch auf den Mitarbeitenden liegen. Wir müssen sie resilienter machen, um ihnen eine gesunde Selbststeuerung zu ermöglichen. In der Finanzkrise 2008 haben Konzerne ihre mittelständischen Lieferanten finanziell unterstützt. Gehen Sie mit Blick auf Material oder Fachkräfte ähnlich vor, um Ihre Lieferkette zu stabilisieren? Komitsch: In den Netzbereichen gibt es tatsächlich eine Taskforce, in der wir situativ entscheiden, inwiefern wir z. B. Lieferanten beim Materialtransport, mit Fahrzeugen, Transportmitarbeitern unterstützen können. Wir überprüfen die Baustellenlogistik und schauen, wo wir unsere Eigenleistung hochfahren. Das ist ein sehr operativer Prozess und entlastet Lieferanten. Außerdem sind wir ein verlässlicher Auftraggeber mit einer hohen Zahlungsmoral und Vorreiter für „grüne“ Infrastruktur. Aber wir sind auch in Förderungsmärkten unterwegs, in denen plötzlich neue Technologien und Infrastrukturen gefördert werden mit einer entsprechenden Auswirkung auf die Nachfrage. Und in diesem Umfeld, da helfen dann vor allem gute Lieferantenbeziehungen. Die Lieferanten warten selbst auf Materialien. Wie tief ist Ihr Einblick in die Lieferkette? Komitsch: Um es in einem Satz zusammenzufassen: Es gibt in den Lieferketten unendlich viele Daten bei gleichzeitiger Unterinformation aller Beteiligten. Die klare Sicht auf alle Stufen der Lieferkette, aus der Datenmenge die relevanten Informationen zu erhalten, ist eine echte Sisyphusaufgabe. Wir gehen diesen Weg in kleinen Schritten. Digitalisierung ist das eine, aber man braucht auch Menschen, die vor diesem Elefanten keinen Respekt haben und ihn beherzt in Scheiben schneiden. Beschaffung aktuell » 03 | 2023 15

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