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Beschaffung Aktuell 07-08.2018

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Themen C-Teile-Management, Energie, E-Procurement, Management und Einkauf, Zulieferung

RECHT der Umstände

RECHT der Umstände nicht oder nicht in der Form geschlossen hätten. Damit dürfte § 313 BGB für diejenigen Verträge nicht einschlägig sein, die nach der Ankündigung eines Brexit- Referendums geschlossen wurden. Betreffend die älteren Verträge sind die Erfolgsaussichten einer Klage höchst einzelfallabhängig. Sie würden jedenfalls dann erschwert, wenn ein Austrittsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich einen Interessenausgleich für solche Verträge schafft. Erschwerend kommt hinzu, dass es betreffend den Brexit noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen gibt, die als Leitentscheidungen zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage herangezogen werden können. Dies überrascht nicht, da der aktuelle Verhandlungsstand zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich sowohl die Möglichkeit des „harten Brexit“ als auch diejenige eines geordneten Austritts („weicher Brexit“) noch weitgehend offen lässt. Geltende Verträge und laufende Vertragsverhandlungen sollten einer „Brexit-Kontrolle“ unterzogen werden. Bild: FotolEdhar/Fotolia jeweiligen Formulierung ab. Dass der Brexit für die Vertragsparteien nicht beherrschbar und beeinflussbar war, dürfte unzweifelhaft sein und für einen Fall höherer Gewalt sprechen. Problematisch ist jedoch, wenn die Gefahr eines Brexit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schon absehbar war und die Parteien diesen Fall nicht geregelt haben. Dann wird zweifelhaft sein, ob die für einen Fall höherer Gewalt maßgebliche Unvorhersehbarkeit vorlag. Es wird jedenfalls genau zu beobachten sein, wie die Gerichte die Vielzahl an bestehenden Force-Majeur-Klauseln beurteilen werden. Brexit und Vertragsanpassung Insbesondere längerfristige Beschaffungs - verträge und Rahmenverträge sollten dahingehend überprüft werden, welche wirtschaftlichen Effekte der Brexit auf sie haben wird. Wird festgestellt, dass diese Effekte so gravierend sind, dass der Vertrag schlechterdings nicht unverändert fortgeführt werden kann, so ist zu prüfen, ob eine Anpassung auch gegen den Willen des Vertragspartners durchgeführt werden kann. Liegt eine schwerwiegende Veränderung der Umstände vor, die Grundlage des Vertrags sind, und ist ein Festhalten an der ursprünglichen Regelung für die betreffende Partei unzumutbar, so könnte diese unter Umständen nach § 313 BGB auf Vertragsanpassung klagen. Im Bereich Zölle wird dies oft problematisch sein, denn „In der Praxis konnte bereits der Versuch britischer Kanzleien beobachtet werden, für ihre Mandanten recht einseitig gestaltete Brexit-Klauseln durchzusetzen.“ wurden etwa die Incoterms „EXW“ gewählt, so trägt eindeutig der Käufer das Zollrisiko, während es bei Anwendung von „DAP“ genau umgekehrt ist. Eine Anwendbarkeit des § 313 BGB dürfte in diesen Fällen die Ausnahme sein. Und Folgendes kommt hinzu: Voraussetzung für die Anwendbarkeit von § 313 BGB ist, dass die Parteien den Vertrag bei Kenntnis Vorsicht vor einseitigen Brexit-Klauseln Bei Beschaffungsverträgen, die aktuell verhandelt werden, ist es unverzichtbar, den Brexit und bestimmte damit verbundene Risiken zu regeln, etwa solche, die sich aus zukünftigen Schwankungen des Britischen Pfunds ergeben können. Wo immer möglich, sollten also geltende Verträge und laufende Vertragsverhandlungen einer „Brexit-Kontrolle“ unterzogen werden. Besondere Vorsicht hat in Vertragsverhandlungen mit Partnern aus dem Vereinigten Königreich zu gelten: In der Praxis konnte bereits der Versuch britischer Kanzleien beobachtet werden, für ihre Mandanten recht einseitig gestaltete Brexit- Klauseln durchzusetzen. Diese Klauseln sehen ein einseitiges (!) Recht für die britische Partei vor, im Falle von nachteiligen Auswirkungen des Brexits die Konditionen nach - verhandeln zu dürfen. Für den Fall der Nichteinigung gilt dann freilich ein einseitiges Kündigungsrecht für die britische Partei. Solche Klauseln sollten keinesfalls akzeptiert werden. Ein allgemeinverbindliches Vertragsrecht der EU gibt es nicht. Nichtsdestotrotz nimmt die europäische Rechtssetzung umfangreich Einfluss auf viele Bereiche des Wirtschafts - lebens. Was passiert mit diesen Einflüssen nach dem Brexit? Hier herrscht große Unsicherheit. Die britische Regierung hat zwar eine sogenannte „Great Repeal Bill“ angekündigt. Das wäre ein Gesetz, das europäisches Recht in britisches Recht umwandelt. Die 28 Beschaffung aktuell 2018 7-8

RECHT tatsächliche Verabschiedung eines solchen Gesetzes ist aber noch nicht absehbar. Unklar ist zudem, ob dieses Gesetz nur für bestehendes EU-Recht gilt oder auch einen Automatismus für die Zukunft vorsieht. Angesichts der Tatsache, dass die britische Regierung nach dem Brexit jegliche Mitspracherechte auf europäischer Ebene verlieren wird, erscheint die unveränderte Übernahme sämtlichen EU- Rechts für die Zukunft aber als eher unwahrscheinlich. Am wahrscheinlichsten ist vielmehr ein schrittweiser Rückgang der Harmonisierung zwischen dem europäischen und dem britischen Rechtsraum. Die Empfehlung lautet deshalb: Die Wahl des britischen Rechts ist zu vermeiden. Im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr enthalten Beschaffungsverträge häufig Rechts - wahlklauseln. Auch nach Vollzug des Brexits sind die Parteien bezüglich der Wahl des anzuwendenden Rechts frei. Es kann also ohne Weiteres das Recht des Vereinigten König - reichs gewählt werden. Aber Vorsicht: Für die Wahl des deutschen Rechts sprechen gewichtige Argumente. Eine fortdauernde EU-Mitgliedschaft Deutschlands bedeutet eine höhere Rechtssicherheit, während das Vereinigte Königreich zwar in Zukunft autonomer in der Gestaltung seines Rechts sein wird, dies aber auch zu einer gewissen Volatilität in der Rechtslage führen kann. Für bestehende Verträge gilt, dass auch hier durch Auslegung zu ermitteln ist, ob die Rechtswahlklausel nach dem Brexit überhaupt noch gelten soll. Beschränkende Vertriebsverträge Häufig enthalten Beschaffungsverträge wett - bewerbsbeschränkende Regelungen. Das können etwa Preisklauseln, Gebietsbeschränkungen oder Wettbewerbsverbote sein. Hier besteht derzeit Rechtssicherheit, da die entsprechende vertikale Gruppenfreistellungsverordnung heute noch das Vereinigte Königreich umfasst. Dies ändert sich nach dem Brexit dahingehend, dass die Gruppenfreistellungsverordnung nicht mehr unmittelbar anwendbar ist. Sowohl aktuell gültige als auch zukünftige Verträge müssen nach dem Brexit somit auch dem nationalen britischen Wettbewerbsrecht angepasst werden. Hier ist aber noch abzuwarten, wie das nationale Wettbewerbsrecht des Vereinigten König - reichs zukünftig mit solchen Sachverhalten umgeht, bevor Anpassungen vorgenommen werden können. Sofern im Zeitpunkt des Vertragsschlusses diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist, können Klauseln zur Vertragsanpassung das Mittel der Wahl sein. Gerichtsstand Nach Vollzug des Brexits wird die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungs-Verordnung nicht mehr als unmittelbar geltendes Recht im Vereinigten Königreich anwendbar sein. Diese Verordnung regelt unter anderem die EU-weite Vollstreckbarkeit von Urteilen. Folglich werden Urteile von Gerichten der übrigen EU-Staaten im Vereinigten Königreich nicht mehr ohne Weiteres automatisch vollstreckbar sein. Gleiches gilt für die Urteile britischer Gerichte im zukünftigen Gebiet der Europäischen Union. Da Erschwernisse bei der Vollstreckbarkeit für die berechtigte Vertragspartei höchst lästig und kostenträchtig sind, ist die Wahl eines britischen Gerichtsstands nur dann empfehlenswert, wenn das Vereinigte Königreich langfristig unverlässlich entsprechende Regelungen in das nationale Recht aufnimmt. Wohin hier die Reise geht, ist noch völlig unklar. Empfehlung und Ausblick Es empfiehlt sich dringend, bestehende Verträge sowohl in wirtschaftlicher als auch in rechtlicher Hinsicht fachkundig zu prüfen. Bestehende Unsicherheiten in rechtlichen Fragen können im Idealfall durch Auslegung oder Klarstellungsvereinbarungen beseitigt werden. Vereitelt der Brexit das wirtschaftliche Ziel des Vertrags, so sollte geprüft werden, ob eine Force-Majeur-Klausel dem betroffenen Vertragspartner ein wirksames Sonderkündigungsrecht gewährt oder ob die andere Vertragspartei zumindest auf Vertragsanpassung verklagt werden kann. Bei zukünftigen Verträgen sollte besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, alle denkbaren Auswirkungen des Brexits zu regeln. Da der konkrete Ablauf des Brexits politisch noch weitgehend ungeklärt ist, liegen die Anforderungen an die Qualität einer derzeitigen Vertragsgestaltung besonders hoch. Die jeweils aktuellen Entwicklungen müssen dabei stets genauestens im Blick behalten werden. Der Autor Rechtsanwalt Dr. Christoph Bentele, LL.M., Reith Neumahr Rechtsanwälte, Stuttgart Umformtechnik auf höchstem Niveau Zertifiziert nach DIN EN ISO 9001 Carl-Goerdeler-Allee 6 | 56470 Bad Marienberg Tel. 0049 (0)2661 9851-0 | Fax 0049 (0)2661 985151 E-Mail info@helmut-ruebsamen.de | www.helmut-ruebsamen.de Beschaffung aktuell 2018 7-8 29

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