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Beschaffung Aktuell 07-08.2018

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Themen C-Teile-Management, Energie, E-Procurement, Management und Einkauf, Zulieferung

E-PROCUREMENT Digitale

E-PROCUREMENT Digitale Einheiten Warum die wahren Helden der Digitalisierung in der Kernorganisation sitzen Alte Strukturen neu aufstellen ist keine einfache Aufgabe. Schließlich müssen dafür Gewohnheiten und starres Denken in der Belegschaft überwunden werden. Neben einem „geschützen Raum“ gibt es weitere Tricks, die bei der Digitalisierung eines Unternehmens helfen. Digitalisierung bedeutet Wandel – und Wandel wird nicht von Technologien getrieben, sondern von Menschen. Sind diese unmittelbar davon betroffen, fürchten sie um Job und Einfluss und stehen Veränderungen naturgemäß skeptisch gegenüber. Genau deshalb können Innovationen im Sinne neuer digitaler Geschäftsmodelle niemals innerhalb eines Unternehmens erfolgreich entwickelt werden, denn schließlich geht es darum, die gesamte Wertschöpfungskette und das Geschäftsmodell zu hinterfragen. Das werden nur in den seltensten Fällen diejenigen tun, die dafür verantwortlich sind. Agilität und Kundenzentrierung Der erste Schritt bei der Digitalisierung muss also sein: Raus aus der Kernorganisation – hinein in den „geschützten Raum”. Ob Digital- Einheit oder Innovation Lab genannt – das Grundprinzip ist eine eigenständige Einheit, in der Innovations- und Digitalprojekte unabhängig von der Unternehmens-Bürokratie, IT-Strukturen , Compliance-Bedenken, juristischen Fragen und ähnlichen Hindernissen entwickelt werden. Ein Team aus internen und externen Mitgliedern entwickelt und testet innerhalb weniger Wochen kreative Ideen und Prototypen, holt direktes Kundenfeedback ein und setzt erste Leuchtturmprojekte um. Dabei geht es nicht um die Entwicklung perfekter Produkte, sondern um die schnelle Umsetzung von Innovationen und ihre Weiterentwicklung nah am Kunden und seinen Bedürfnissen. Scheitern ist erlaubt – Fehler werden als Chance gesehen, um aus ihnen zu lernen. Für die deutschen Unternehmen stellt das einen radikalen Umbruch dar. Denn das für Deutschland klassische „Ingenieurs - denken“ sieht eine Entwicklung im Geheimen und nach Pflichten-Lasten-Heft vor, während Budgets in mehrjährigen Zyklen geplant werden. Produkte werden erst zur Perfektion gebracht , ehe sie überhaupt einmal dem Kunden gezeigt werden. „Die Digitalisierung erfasst sämtliche Branchen und verändert bestehende Wirtschaftsmuster tiefgreifend. Wenn Unternehmen auch in Zukunft noch ein funktionierendes Geschäftsmodell haben wollen, müssen sie jetzt handeln .“ Kein Wunder, dass die Digital-Einheit zunächst mit enormen Vorurteilen zu kämpfen hat. Schließlich trifft hier dynamisches Startup-Mindset auf starre Konzernstrukturen. Meist junge Digital Natives, die oft weder Branchen- noch Ingenieurs-Expertise mitbringen und von festen Arbeitszeiten und Hierarchien nichts wissen wollen – wie die zum Unternehmenserfolg beitragen sollen, erscheint vor allem den langjährigen Mitarbeitern rätselhaft. Doch in der Regel lassen sich bereits nach wenigen Monaten erste Erfolge aus der Digital-Einheit vermelden. Von den vielen neuen Ideen, die entstanden sind, konnten die ersten bereits in Form von Prototypen umgesetzt und getestet werden. Einige wurden validiert und werden nun weiter vorangetrieben, wieder andere sind nach den ersten Tests gescheitert und werden verworfen. Die Kernorganisation öffnet sich Jetzt ist die Kernorganisation gefragt – sowohl die einzelnen Mitarbeiter als auch die Organisation als Ganzes. Langsam aber sicher öffnen sie sich und die Vorurteile weichen einer Neugier. Die Projekte und Methoden aus dem geschützten Raum werden plötzlich auch für die Gesamtorganisation interessant. Erfolgreich getestete und validierte Innovationen können in die Kernorganisation übertragen werden. Erste digitale Services und Produkte dienen damit als Speerspitze für die Trans - formation des gesamten Unternehmens. Mitarbeiter der Digital-Einheit werden vermehrt auf ihre Arbeit angesprochen und eingeladen, in anderen Abteilungen wie Buchhaltung oder Vertrieb von ihren Erfahrungen zu berichten. Mitarbeiter aus der Kernorganisation bewerben sich um Stellen in der Digital-Einheit oder fordern Rotationsprogramme, mit denen sie, zumindest auf begrenzte Zeit, im “geschützten Raum” arbeiten dürfen. Auf diese Weise wird mittelfristig auch der notwendige intensive Austausch zwischen Kernorganisation und Innovationseinheit initiiert. Das zu verstehen und zu akzeptieren, ist Aufgabe der Kernorganisation. Gerade für sie, die von den Veränderungen am meisten betroffen ist, wird die digitale Transformation zu 36 Beschaffung aktuell 2018 7-8

Die Helden der Digitalisierung sind nicht immer offensichtlich, da sich dabei auch viel im Kopf abspielt. Bild: pathdoc/Fotolia eine r großen Herausforderung. Denn es braucht viel Mut, um aus gewohnten Strukturen auszubrechen, von Grund auf neu zu denken und Disruption nicht zu scheuen, sondern sie selbst herbeizuführen. Deshalb sitzen die wahren Helden des digitalen Wandels in der Kernorganisation. Es sind also genau diejenigen, von denen man es zunächst nicht vermuten würde: erfahrene Mitarbeiter, die im Unternehmen und darüber hinaus gut vernetzt sind, zur Management-Ebene einen direkten Draht haben und auch von anderen Mitarbeitern gehört und geschätzt werden. Sie treiben den Wandel gemeinsam und im Austausch mit der Innovations-Einheit, sie öffnen sich gegenüber Neuem und entdecken nach und nach, dass im Zeitalter der Digitalisierung vieles anders funktioniert als noch vor wenigen Jahren. Geschützter Raum verbindet alle Stärken Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass etablierte Mitarbeiter ihre Expertise in die Digital -Einheit hineintragen. Das fängt mit langjährigen Erfahrungswerten, umfassender Branchenexpertise und mühsam aufgebauten Kundenbeziehungen an – alles starke Assets, die eine Digital-Einheit mit ihren Startup-ähnlichen Strukturen noch nicht aufweisen kann. Und genau darin liegt die Krux. Denn nicht zuletzt ermöglicht die Digitalisierung im „geschützten Raum“ auch, alte und neue Stärken zu verbinden. Digitale Transforma - tion bedeutet nämlich nicht, Perfektion, Präzision und Ingenieursdenken – Stärken, die die deutschen Unternehmen erst groß Philipp Depiereux Der Autor „Changing the game“ – Unter diesem Leit - gedanken treibt Philipp Depiereux als Gründer und Geschäftsführer der Digitalberatung und Startup-Schmiede Etventure den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft voran, mit neuen Denkweisen und neuen Methoden. Gemeinsam mit zwei Partnern gründete der Betriebswirt 2010 Etventure mit der Vision, Erfahrungen aus Innovationsprojekten in Mittelstand, Konzernwelt und Start-ups in einem Unternehmen zu bündeln. Das Erfolgsrezept bei der Entwicklung neuer Digitalideen: schnell, radikal nutzerzentriert und mit unternehmerischem Mindset in der Umsetzung. Dafür nutzt Etventure Innovationsmethoden wie Lean Start-up und Design Thinking. Zu den Kunden zählen unter anderem die Barmer, Daimler Financial Services, Franz Haniel & Cie., Schwan-´Stabilo oder der Stahlhändler Klöckner . Seit Oktober 2017 ist Etventure Teil der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Zuvor war Philipp Depiereux als Geschäfts - führer eines mittelständischen Unternehmens sowie Unternehmensberater tätig. gemacht haben – über Bord zu werfen. Im Gegenteil, im digitalen Zeitalter werden diejenigen erfolgreich sein, die es schaffen, neue und alte Methoden zu kombinieren, lang - jährige Kundenbeziehungen und Branchen - erfahrungen weiter auszubauen und gleichzeitig mit Innovations- und Pioniergeist neue Wege zu gehen. Erfolgreicher Aufbau einer Digital-Einheit beim Stahlhändler Klöckner Unternehmen wie Klöckner haben diese Philosophie bereits erfolgreich umgesetzt. Fernab von der Kernorganisation in Duisburg entwickelt und validiert die Berliner Digital- Einheit kloeckner.i Digitalkanäle und weitere innovative Geschäftsmodelle. Diese wurden in den vergangenen Jahren bereits erfolgreich in die Kernorganisation integriert und am Markt bei allen Kunden weltweit ausgerollt. Gleichzeitig gibt die Kernorganisation Erfahrungen und fachliches Know-how an die Berliner Truppe weiter, treibt die digitale Transformation nun selbstbewusst und kompetent voran, nutzt Innovationsmethoden und setzt Projekte eigenständig um. Der größte Treiber der Digitalisierung im Unternehmen ist CEO Gisbert Rühl, der aus einem traditionellen Stahlhändler einen echten Digital Player mit mehr als einer Milliarde Digitalumsatz gemacht hat. Sein erklärtes Ziel: Bis 2019 soll die Hälfte des Umsatzes über digitale Kanäle erwirtschaftet werden. Der Autor Philipp Depiereux, Gründer und Geschäftsführer von Etventure Beschaffung aktuell 2018 7-8 37

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