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Beschaffung aktuell 7-8.2022

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» MANAGEMENT China-Sourcing auf dem Prüfstand China – vom gelobten Land zum Klumpenrisiko Lange – wie wir heute wissen zu lange und vor allem zu blauäugig – haben die Top-Etagen deutscher Unternehmen mit Begeisterung auf China geblickt und sich im Reich der Mitte sowohl auf der Absatzseite als auch auf der Beschaffungsseite massiv exponiert. Sie haben dabei ausgeblendet, wie gefährlich abhängig sie ihre Unternehmen von China und dem Wohlwollen der autokratischen Regierung gemacht haben. In der Zwischenzeit hat ein Umdenken eingesetzt und die sehr starke China- Abhängigkeit wird mittlerweile als Klumpenrisiko erkannt. Führungskräfte in unserer Wirtschaft betrachteten lange Zeit China als ein straff organisiertes Land, das mit strategischer Weitsicht generalstabsmäßig seinen scheinbar unaufhaltsamen wirtschaftlichen Aufstieg plante. Das Wachstum war beeindruckend. Der ökonomische und auch der technologische Aufstieg Chinas schienen unter dem staatskapitalistischen System keine Grenzen zu kennen. So ist über die letzten zehn Jahre das Handelsvolumen zwischen Deutschland und China sukzessive gestiegen. Die Importe haben sich zwischen 2012 und 2021 von 78 auf 141 Mrd. Euro fast verdoppelt, auch die Exporte stiegen im gleichen Zeitraum von 66,7 auf 103 Mrd. Euro. Der angeschlagene Zustand der chinesischen Wirtschaft Mitte 2022 An dieser scheinbar nicht enden wollenden Bonanza wollten die deutschen Unternehmen partizipieren. Man machte die Augen zu vor dem sich immer weiter entwickelnden Überwachungsstaat und den eklatanten Menschenrechtsverletzungen im Reich der Mitte. Leider wurden auch die von namhaften Ökonomen schon seit längerer Zeit aufgezeigten Schwächen des chinesischen Wirtschaftsmodells und hierbei insbesondere das schuldenfinanzierte Wirtschaftswachstum ausgeblendet. Mitte Prof. Dr. Robert Fieten, wissenschaftlicher Berater 2022 ist Ernüchterung eingetreten. China schwächelt und die der Beschaffung aktuell, Köln chinesische Regierung greift mit ihrer Zero-Covid-Ideologie immer rigoroser in das Wirtschaftsgeschehen ein – koste es, was es wolle. Für Unternehmen, die mit China Geschäfte machen, sind dadurch Planbarkeit und Vorhersehbarkeit verloren gegangen. Nachdem China viel besser als andere Staaten durch die erste Covid-Welle in 2020 kam und dafür viel Beifall erhielt, haben die Mutationen des kleinen bösartigen Virus und vor allem die panischen Reaktionen der chinesischen Führung darauf in 2021 und in 2022 das Reich der Mitte massiv und möglicherweise dauerhaft verändert. Die Restriktionen der Lokal- und Zentralregierungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie drücken vor allem auf den Konsum. Hinzu kommen die Immobilienkrise, innerchinesische Lieferkettenprobleme und Stromausfälle. Im Ergebnis ist die Wirtschaftslage im Reich der Mitte mittlerweile so angespannt wie seit der Asienkrise in den Neunzigerjahren nicht mehr (mehr hierzu im Handelsblatt vom 13./14./15. Mai 2022). Es spricht viel dafür, dass die grandiose chinesische Wachstumsstory zunächst einmal vorbei ist angesichts der brachialen Lockdowns, der politischen Transition, der übermäßigen Regulierung der Tech- Konzerne und der schleichenden Immobilienkrise. China ist zurzeit nicht mehr die Konjunkturlokomotive der Welt. Es wird nur noch mit rund 4 Prozent Wirtschaftswachstum für 2022 gerechnet (Financial Times vom 27. Juni 2022). Dies liegt weit unter dem von der Regierung angestrebten Wachstum von 5,5 Prozent. Die chinesische Binnenwirtschaft ist heute einem dreifachen Druck ausgesetzt: schrumpfende Nachfrage, Angebotsschocks und gedämpfte Erwartungen. Die Entwicklung des Einkaufsmanagerindex China zeichnet ein Bild von der Entwicklung. Ob der Schwenk nach oben im Mai 2022 nachhaltig ist, wird 18 Beschaffung aktuell » 7-8 | 2022

Bild: Mirko/stock.adobe.com von Experten bezweifelt. Die strikte Bekämpfung der Pandemie durch eine „Zero Covid“-Politik hat China weitgehend vom Rest der Welt abgeschottet. Zur Abschottung trägt aber auch bei, dass Peking mit seiner Initiative „Made in China 2025“ in vielen Spitzentechnologien unverblümt Autarkie anstrebt. Das Horrorszenario besteht in dem Zerfall der Welt in zwei große, sich feindlich gegenüberstehende Blöcke. Auch bei den ausländischen Unternehmen in China hat sich die Stimmung deutlich verschlechtert. Westliche Firmen klagen rund 20 Jahre nach dem Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation WTO immer noch über massive Subventionen für chinesische Unternehmen, Wettbewerbsverzerrungen durch Staatsbetriebe, erzwungenen Technologietransfer und den Diebstahl geistigen Eigentums. Offenbar steckt Chinas Wirtschaftsmodell tief in der Krise und dies hängt nicht nur mit den aktuellen Lockdowns, die sich zäh wieder auflösen, zusammen. Das chinesische Wirtschaftsmodell ist nach wie vor abhängig vom Export. Doch chinesische Produkte sind nicht mehr überall willkommen und dies nicht erst seit Donald Trump. Die amerikanischen Technologiesanktionen haben China schwer getroffen, und das Produktivitätswachstum nimmt ab. Doch die größten Probleme kommen erst noch: Die Geburtenrate ist mit 8,5 Geburten pro 1000 Einwohner in China derzeit so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Erwerbsbevölkerung wird daher noch schneller schrumpfen als befürchtet. Daraus ergibt sich ein Fachkräftemangel, der für steigende Löhne sorgt und Chinas Wettbewerbsfähigkeit gegenüber seinen aufstrebenden bevölkerungsreichen ostasiatischen Nachbarländern unterminiert. Im Europa beginnt in der Politik und auch in den Konzernzentralen ein Umdenken. Man will sich aus den einseitigen Abhängigkeiten von China lösen und sich auf der Absatz- und der Beschaffungsseite mehr diversifizieren. Auch China-Investitionen werden zunehmend kritisch auf den Prüfstand gestellt. Deutschlands Rohstoffabhängigkeit von China Deutschland ist bei der Versorgung mit wichtigen Rohstoffen auf China angewiesen. Das autokratisch geführte China kontrolliert seit etwa zwei Jahrzehnten beinahe die gesamte Wertschöpfungskette für Seltene Erden und hat auch eine große Bedeutung für Silizium. Diese Materialien sind von zentraler Bedeutung für die Klimawende. Deutschlands Abhängigkeit von vielen mineralischen Rohstoffen aus China ist nach Erkenntnissen des BDI bereits heute größer als jene von Erdöl und Erdgas aus Russland. Ein Lieferstopp würde die Energiewende deshalb Die chinesische Regierung greift immer rigoroser in das Wirtschaftsgeschehen ein. Im Bild: Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas bei einer Sitzung in der Großen Halle des Volkes in Peking am 13. März 2014. Beschaffung aktuell » 7-8 | 2022 19

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