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Lebenszeit Ausgabe Frühjahr 2021

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Thema Virtuelle Trauer

Thema Virtuelle Trauer im Netz Die Pandemie hat auch die Trauerbegleitung zum Teil in die virtuelle Welt gedrängt. Da, wo die Möglichkeit zum persönlichen Gespräch fehlt, mussten neue Wege gefunden werden. Edda Kaufmann erzählt über ihre Begegnung mit einer einer Teilnehmerin des ersten virtuellen Trauercafés. VON EDDA KAUFMANN Wir haben uns einen Termin über Zoom vereinbart. Ich freue mich auf diesen Termin. Auf diese besondere Frau. Stephanie habe ich bereits in unserem ersten virtuell angebotenen Trauercafé kennengelernt. Ich kann mich noch gut erinnern. 16. Dezember 2020. 16 Uhr. Ein Versuch: das Anbieten eines virtuellen Ortes zur Begegnung während der Trauer. Ein so neues Format – vor allem für die TeilnehmerInnen. Die älteste Teilnehmerin war 70 Jahre alt, und alle waren sie an diesem Tag erstmals in diesem „neuen Raum“. Vor Freude übersprudelnd, es geschafft zu haben. Freunde, Verwandte wurden um Mithilfe gebeten, Handyshops aufgesucht, alles – trotz technischer Anlaufschwierigkeiten – versuchend, um dabei sein zu können. Und da waren wir, mitten in unseren Wohnzimmern, lachend, weinend, zuhörend, sprechend, fragend, trauernd, teilend und da war auch ein so wunderbares Gefühl der Begegnung. Das Gefühl, nicht alleine zu sein. In diesem Moment. Während „Corona“. Zur oft so einsamen Weihnachtszeit. Im Gespräch meint Stephanie, davor durchaus aufgeregt gewesen zu sein. Testläufe wurden gestartet, man wusste irgendwie nicht, was auf einen zukommt. Diese Testläufe waren wichtig. Sie war zum Beispiel davon ausgegangen, dass ihr Computer eine Kamera hat. Die Nichte hat sie aufgeklärt und ihr geholfen eine Kamera zu kaufen und einzurichten. Nach Überwindung der zu Beginn spürbaren Hemmschwelle, der Nervosität, den technischen Anlaufschwierigkeiten ist mittlerweile eine ganze neue Welt entstanden. Eine Welt, die sie zutiefst beeindruckt. Denn gerade in Zeiten von Corona wird die Einsamkeit so groß. Die Trauer noch intensiver. Gehen so viele Möglichkeiten verloren, auch Ablenkung und andere Kontakte zu finden und zu pflegen. Sie ist froh, noch berufstätig zu sein. Noch in der Arbeitswelt zu stehen. Die meisten der anderen Trauernden in ihrer Gruppe sind bereits in Pension und die Einsamkeit und das Fehlen von sozialen Kontakten wird dadurch noch größer. Eine neue Gemeinschaft Einige der TeilnehmerInnen des Trauercafés haben mittlerweile auch privat über Zoom Kontakt, sogar Silvester wurde „miteinander“ gefeiert. „Von acht Uhr bis halb zwei Uhr morgens“, sagt Steffi. Sie muss lachen. Es wurde geplaudert, Brötchen vorbereitet und gegessen, zu Mitternacht der Donauwalzer gehört und Sekt getrunken. Eine neue virtuelle Gemeinschaft, die sich alles andere als unecht anfühlt. Die Hemmschwelle und Nervosität, die sie vor dem ersten virtuellen Trauerabend gefühlt hat, war ähnlich mit jener, die sie vor dem ersten Trauerspaziergang mit einer Koordinatorin und anderen TeilnehmerInnen hatte. Es waren dieselben Bedenken und Sorgen, meint sie: „Wen werde ich treffen? Werde ich mich wohlfühlen?“, und dann, nach kurzem Nachdenken, die Erkenntnis: „Nein, eigentlich war es vor dem ersten Trauerspaziergang noch ärger, da kannte ich diese Möglichkeit überhaupt noch nicht.“ Eine Offenheit für Angebote, ein sich generell öffnen, neugierig sein und einlassen sind Grundbedingungen für solch ein Angebot. Aber es lohnt sich. Ähnliche (Trauer)erfahrungen und natürlich auch Sympathie sind förderlich – wie im wahren Leben und bei wahren Begegnungen auch. Obwohl, wahr sind auch die digitalen Begegnungen, das ist nach dem letzten Jahr uns beiden klar. Nur die Technik ist manchmal als „Nachteil“ zu nennen. Wenn es einfach nicht klappen mag. Einer Teilnehmenden sei es das letzte Mal passiert. Und wie wütend und verzagt sie dann war. Sie hatte es 8 LebensZeit Mobiler Hospizdienst der Caritas der Diözese St. Pölten

Thema Foto: Adobe Stock doch so versucht. Ja, die Technik sei wohl der einzige Grund, der kritisch zu betrachten sei, der den Zugang zu solch einem Angebot verwehre oder erschwere. Die allerletzte Fahrt Stephanies Mann ist vor zwei Jahren nach einer Krebsdiagnose am 15. Februar 2019 verstorben. Sie strahlt durch den Bildschirm in mein Wohnzimmer, wenn sie von ihm spricht. Mir wird warm ums Herz. Er wird „immer ein Teil von ihr sein und bleiben“, durch dick und dünn sind sie gegangen. 40 Jahre. Bis zum Schluss. Und auch am Ende unseres Gesprächs habe ich wieder die Erkenntnis und das Gefühl, das mich auch im letzten Jahr so oft begleitet hat, ob bei Lehrveranstaltungen oder in der Trauergruppe: Es ist tatsächlich möglich, über und „durch“ den Bildschirm Gefühle zu teilen, Emotionen zu zeigen und sie zu spüren, es gibt Momente, da vergisst man sogar die räumliche Trennung und erahnt und spürt die feinsten Nuancen – trotz der Distanz. Nach dem Gespräch schwingt noch einiges nach: Ich muss an Stephanies verstorbenen Mann denken. Und wie stolz er auf seine Frau sein kann. Wie sie das alles meistert. Wie sie sich einen neuen Kreis erschlossen hat. Trotz der Pandemie. Und er würde lächeln, wie sie über ihn spricht. Woran sie sich erinnert? Als sie von seinem 60. Geburtstag erzählt, kurz vor seinem Tod. Er wollte keine Zehrung, er wollte doch bei seinem letzten Essen auch selbst dabei sein. Ein Fest im Gasthaus. Bis um 21 Uhr hat er durchgehalten, es war ihm wichtig, trotz körperlicher Schwächung. Die allerletzte Fahrt hat dann seine ihm so eng verbundene Nichte übernommen. Um die Urne an seinen letzten Ort zu bringen. Nach Hause. Trauercafé - Ein Platz zum Erinnern Das Trauercafé findet jeden letzten Mittwoch im Monat von 16:00 Uhr bis 18:00 Uhr statt. Es ist ein offenes, unverbindliches und kostenloses Angebot für trauernde Menschen, unabhängig davon, wie lange der Verlust zurückliegt. Die TeilnehmerInnen werden von TrauerbegleiterInnen des Mobilen Hospizdienstes begleitet. Solange aufgrund der Pandemie keine Vor-Ort-Veranstaltungen möglich sind, findet das Trauercafé virtuell statt. Ein Link für die Teilnahme wird vorab zugesandt. Anmeldung: hospiz@caritas-stpoelten.at April 2021 LebensZeit 9

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