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Centurion Germany Winter 2023

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|Reſlections|

|Reſlections| verwunderlich, dass die Schönheit dieser Region, die leuchtenden Blau- und Grüntöne der Seen und Berge und vor allem ihr besonderes Licht Künstler schon lange in ihren Bann ziehen. Nietzsche kam 1881 auf der Suche nach „einem ewig heiteren Himmel“ zum ersten Mal hierher (St. Moritz verzeichnet unglaubliche 322 Sonnentage im Jahr). Sieben aufeinanderfolgende Sommer verbrachte er in einer Villa aus dem 18. Jahrhundert – heute ein Museum – in der nahe gelegenen Gemeinde Sils und schrieb dort einen Großteil seiner berühmten Werke Also sprach Zarathustra und Jenseits von Gut und Böse. Sils sei, so schrieb er, „der schönste Winkel der Erde […]“. Über ein Jahrhundert später stimmte der Künstler Gerhard Richter ihm zu: „Ja, genau das ist es: das Licht“, sagte er über das außergewöhnliche Zusammenspiel von nördlichem und südlichem Licht. „Nietzsche beschrieb es genau richtig.“ Natürlich war Richter, der eine Ausstellung und ein 1992 veröffentlichtes Künstlerbuch nach Sils benannte, nicht der erste Künstler, der von dem Ort fasziniert war. Marc Chagall würdigt das Dorf in mindestens einem halben Dutzend bedeutender Gemälde, die er dort malte. Die meisten zeigen Schlitten oder Sonnenblumen, eines davon trägt den abstrakten Titel Ein Treffen der Farben im Schnee bei Sils. Er wohnte, wie viele wohlhabende Gäste, im Traditionshotel Waldhaus Sils (waldhaus-sils.ch), das noch immer im Besitz der Familie ist, die es 1908 eröffnete. So unterschiedliche Künstler wie Joseph Beuys, Max Ernst, Andreas Gursky, Ferdinand Hodler, Oskar Kokoschka, Max Liebermann und Emil Nolde haben sich im Laufe der Zeit in das Gästebuch des Hotels eingetragen. Auf Empfehlung des angesehenen Schweizer Kunstkurators Dieter Schwarz übernachtete Richter 1989 zum ersten Mal dort. „Er ist ein Künstler, der nicht gerne reist“, erzählt mir Schwarz. Aber in jenem Jahr „fragte er mich, ob ich einen Ort für einen Winterurlaub wüsste, und ich schlug das Oberengadin und ein Hotel vor, das ich sehr mag“. Richter nahm ihn beim Wort und fuhr hin. „Und zu meiner Überraschung war er ganz begeistert und reiste mit seiner Familie immer wieder dorthin. Er war fasziniert von den Schweizer Bergen. Und jahrzehntelang war er ein regelmäßiger Gast, bis er sich zu alt fühlte. [Er ist jetzt 91.] Er liebte das Wandern, das alpine Skifahren, die Natur, die schönen Seen und die erhabenen Berge, die ihn an seine frühe Jugend in den Lausitzer Bergen im Osten Deutschlands erinnerten.“ Diesen Winter werden Richters Werke in einer großen, von Schwarz kuratierten Ausstellung in drei Institutionen im Engadin zu sehen sein. Es ist die erste Ausstellung, die sich auf seine in dieser herrlichen Landschaft entstandenen Arbeiten konzentriert. Am bekanntesten ist wohl seine Sils-Serie aus übermalten, chromogenen Drucken der Berge Piz Lunghin, Piz Surlej and Piz Corvatsch, des Fextals und des Silsersees, denen er eine Art abstraktes Wetter verlieh. Dazu trug er Pigment- oder Ölfarbtropfen auf, die er trocknen ließ, um eine Art farbenfrohen Schneesturm zu erzeugen, oder er wischte, wirbelte und kratzte über das Bild, um es in etwas zu verwandeln, das weniger figurativ und vielmehr malerisch wirkt. „Wir haben eine ganze Kategorie von Gemälden, die sich auf das Engadin beziehen, und eine dreiteilige Skulptur, die nach den Bergen dort benannt ist“, sagt Giorgia von Albertini, Direktorin von Hauser FOTOS VON OBEN: © HOTEL CASTELL, PETER ROBERT BERRY II (1864–1942), © BERRY MUSEUM, ST. MORITZ 52 CENTURION-MAGAZINE.COM

FOTOS VON OBEN: GABRIELA ACKLIN, COURTESY THE ARTIST UND ART MUSEUM OF ESTONIA & Wirth St. Moritz (hauserwirth.com). Sie hat die Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Nietzsche-Haus (nietzschehaus.ch) in Sils Maria organisiert, wo eine Reihe noch nie ausgestellter Fotografien zu sehen sein wird. Und das Segantini-Museum (segantini-museum.ch) in St. Moritz erinnert an den italienischen neo-impressionistischen Maler von Alpenlandschaften Giovanni Segantini, einen weiteren Künstler, der sich vom Engadin inspirieren ließ und in Maloja niederließ. Wer monumentale Gebirgslandschaften liebt, sollte in St. Moritz auch das Berry Museum (berrymuseum. com) besuchen, das Segantinis Freund und Zeitgenosse Peter Robert Berry II. gewidmet ist. Im Dorf geboren, studierte er Medizin und heiratete in die Familie von Johannes Badrutt ein, quasi dem Erfinder des Wintersporttourismus und Besitzer des berühmtesten Palace Hotels im Ort. Berry ließ sich von Giovanni Giacometti, einem weiteren gebürtigen Engadiner und Vater des berühmteren Alberto Giacometti, zur Malerei inspirieren. Es gibt hier vielleicht kein herkömmliches Museum für deren Arbeiten, aber das Pensiun Aldier ( aldier.ch), ein Chalet-Hotel im Dorf Sent, zeigt etwa 200 Werke von Alberto, seinem Bruder Diego und deren Freund, dem Fotografen Ernst Scheidegger, zusammengetragen vom Sammler und Hotelier Carlos Gross. Mehrere Hotels im Tal sind reich an Kunstschätzen. Richter schenkte dem Hotel Waldhaus zwei kleine Gemälde und Julian Schnabel bedachte die Villa Flor ( villaflor.ch) mit einer Reihe von Leinwandbildern. Die Besitzerin des unscheinbaren, aber bezaubernden Hotels mit sieben Zimmern in S-chanf, Ladina Florineth, brachte ihm angeblich das Skifahren bei (sie ist ausgebildete Skilehrerin). Und der Künstler, Sammler und Unternehmer Ruedi Bechtler hat das Hotel Castell (hotelcastell.ch) in Zuoz mit Werken von Carsten Höller, Martin Kippenberger, Gabriel Orozco, Pipilotti Rist, David Shrigley, Lawrence Weiner, Erwin Wurm und Fischli/Weiss ausgestattet. Auf dem Gelände gibt es sogar einen Skyspace von James Turrell. Zwanzig Minuten von St. Moritz entfernt liegt Zuoz, wo jeweils Ende Januar die Engadin Art Talks (engadin-art-talks.ch) stattfinden. (Das Programm für 2024 stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest, aber letztes Jahr waren Ai Weiwei, Camille Henrot, Ernesto Neto und Uli Sigg unter den Rednern.) La Punt-Chamues-ch ist ebenfalls einen Besuch wert, nicht zuletzt für ein Essen in der Krone – Säumerei am Inn (krone-lapunt.ch), einem hervorragenden Sternerestaurant mit vergleichsweise preiswerten Zimmern, das im vergangenen Jahr eröffnet wurde und dem Investor und Kunstsammler Beat Curti gehört. Wer hier übernachtet oder zu Abend isst, stößt auf eine Vielzahl von Werken aus Curtis Sammlung, insbesondere auf die des Schweizer Künstlers Not Vital, der in Sent geboren wurde und Oben: Before Performance (1981) der estnischen Künstlerin Anu Põder, deren Werk nächstes Jahr im Muzeum Susch ausgestellt wird; ganz oben: im Inneren von James Turrells Skyspace Piz Utèr (2005) neben dem Hotel Castell Gegenüber, von oben: Roman Signers Wasserfenster (2011), das den Blick auf den Piz Mezzaun durch einen Wasservorhang auf dem Gelände des Hotels Castell in Zuoz einrahmt; undatiertes Gemälde eines Pferderennens in St. Moritz des lokalen Malers Peter Robert Berry II CENTURION-MAGAZINE.COM 53

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