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WOHLBEFINDEN © IVASHstudio - Fotolia.com TROTZT KRISEN Zwischen Windelbergen und Erziehungsstreit ein Paar sein? Schwierig, sagt Europas berühmtester Familientherapeut Jesper Juul in seinem aktuellen Buch. Aber so wichtig. Stefanie Lanin fasst die wichtigsten Punkte zusammen. Anne und Marco waren das typische unzertrennliche Paar. Studium, Arbeit, Alltag, Urlaub – nichts ging ohne den anderen. Am liebsten waren sie beieinander, quatschten bis tief in die Nacht, teilten Erlebnisse, Ideen und das Bett. Dann kamen die Kinder, drei an der Zahl. Und es ging die Romantik und schließlich die Liebe. Aber wie sollen Eltern angesichts brüllender Kinder, Wäscheberge, Abhol- und Bringedienste, Spielplatz-Routine und Arbeitskonferenzen Liebende bleiben? Indem sie gemeinsam wachsen, sich miteinander verändern und das „Wir“ wieder zu einem „Ich“ und einem „Du“ auseinanderdividieren. Das sagt der berühmteste Familientherapeut Europas, Jesper Juul. Nachdem der Däne mit Büchern wie „Nein aus Liebe“ oder „Dein kompetentes Kind“ die Sicht auf Erziehung revolutioniert hat, nimmt er sich in seinem neuen Buch eine der größten Baustellen im modernen Familienleben vor: Die Beziehung der Eltern als Paar. „Zweisamkeit ist Elternrecht“, schreibt Jesper Juul. Doch lässt er auf den folgenden Seiten keinen Zweifel daran, dass es letztlich Elternpflicht ist, sich um die Beziehung zu kümmern, anstatt alles auf das Wohl der Kinder auszurichten. Im Buch kommen echte Paare mit echten Problemen zu Wort. Sie haben in München bei dem Familientherapeuten Rat gesucht, die Gespräche lassen sich im Buch komplett nachlesen. Und alle kommen mit Sorgen um ihre Kinder an und gehen mit Ratschlägen für ihre Paarbeziehung wieder los. Dabei hat Jesper Juul für jedes besondere Problem eine Lösung: Für „entmannte“ Väter, die kaum am Familienalltag teilhaben, für sich einmischende Mütter, Männer, die Jungs geblieben sind, Frauen, die alles auf einmal wollen, binationale Beziehungen, depressive Elternteile, Alkoholiker oder Paare, die sich längst getrennt haben. In allen Gesprächen schimmert Allgemeines durch, das für alle Eltern gilt. Und alle sind inspirierend und bewegend – und zwar nicht nur, weil viel gelacht, gebrummelt, geseufzt und geweint wird. Das hat Jesper Juul schon ganz früh in seiner Ausbildung zum Therapeuten gelernt: „Die warmherzigsten Frauen sind alle wassergekühlt.“ Doch was hilft denn nun eigentlich dabei, Liebende zu bleiben? Zum Beispiel die Einsicht, dass wir sind, was wir sind, egal wie sehr sich der 62 | 63 kerngesund

andere wünscht, dass man anders wäre. „Wir können uns nicht einfach ändern, weil wir es möchten“, schreibt Jesper Juul. Aber es ist quasi unmöglich sich zu ändern, weil jemand anderes das möchte. Und so erteilt er vor allem den Hoffnungen der Frauen eine Absage, dass ihre Männer plötzlich kochen, mit den Kindern spielen, nach Montessori- Grundsätzen handeln und von alleine sehen, was zu tun ist. „Und das ist natürlich ein bisschen traurig, denn Verantwortung zu tragen ist viel mehr Arbeit als Aufgaben zu lösen.“ Was der Mann in diesem Falle aber tun könne, ist, zu fragen. Kein Feindbild aufbauen Viel zu oft gehe es aber darum, wer recht hat. „Doch niemandem geht es auf lange Sicht besser, nur weil er recht bekommen hat“. Als Familientherapeut schaut Jesper Juul vielmehr darauf, ob es funktioniert. Der Vater sagt zur Tochter, die im Auto mit den Füßen gegen den Fahrersitz donnert: „Wenn das so weitergeht, drehe ich um!“ Natürlich könne man jetzt darüber nachdenken, welche Erziehungsphilosophie dahinter steckt, ob dieser Umgang aggressiv oder angemessen ist. Auf wissenschaftlicher Ebene sei das vielleicht interessant, meint Jesper Juul. Doch in der Beziehung ist nur wichtig, ob sich die Beteiligten damit wohlfühlen. Er lädt die Paare dazu ein, den Erziehungsstil des anderen als Bereicherung und nicht als Feindbild zu sehen – oder zumindest damit zu leben, wie er ist. „Meine Frau lässt die Kinder an die heißen Kochtöpfe. Das finde ich schrecklich, aber so ist es eben.“ „Mein Mann lässt die Kinder beim Kochen nicht in die Küche. Das finde ich furchtbar. Aber so einen Mann habe ich eben.“ Auf die feinen Unterschiede zwischen Mann und Frau hat Jesper Juul in seinen Betrachtungen einen besonderen Blick. So nimmt eine Mutter die Ansage ihres Mannes „Wenn du jetzt nicht kommst, fahre ich ohne dich los“ als Drohung wahr. „Aber das ist es nicht. Es ist eine Tatsache“, erklärt Jesper Juul. Bei Frauen ist genau der gleiche Satz – zum Beispiel zum brüllenden Kind vor dem Supermarktregal – aber tatsächlich eine Drohung. Sie schafft es nicht einmal um die nächste Ecke, bevor sie zurückkehrt. In solchen Situationen helfe es wenig, den Partner zu kritisieren oder schlaue Ratschläge zu geben. Immerhin weiß der andere selbst, was möglich ist und was blöd. Was wir alle brauchen, ist jemand, der uns liebend und anerkennend zur Seite steht. Dann können wir uns manchmal tatsächlich ändern. Liebevolle und gleichwürdige Beziehungen – dafür steht Jesper Juul in seinem neuen Buch ebenso ein wie in all seinen anderen. Darüber hinaus ermutigt er dazu, lebendige und spannende Liebesbeziehungen zu leben – jenseits „naiv anmutender Begriffe wie der perfekten Ehe oder eines stets experimentierfreudigen, aufregenden Sexuallebens mit multiplen Orgasmen“. Für eines hat allerdings auch der berühmte Therapeut kein Patentrezept: „Wenn Mütter und Väter sagen, Eltern zu sein sei anstrengend, kann ich ihnen nur zustimmen. Ja, so ist es. Hierfür gibt es auch keine Lösung.“ Jesper Juul © Anja Kring BUCHTIPP Mit dem Recht auf Zweisamkeit Wie Eltern trotz Kind eine gute Beziehung führen, erklärt Familientherapeut Jesper Juul in seinem neuen Buch: Liebende bleiben. 251 Seiten. Beltz. 2017. 18,95 Euro. ISBN: 9783407864406 beltz.de Jetzt modernisieren! FÖRDERGELDER SICHERN • Wir planen, liefern & bauen für Sie: Solarstromanlagen, Batteriespeicher Solarwärmeanlagen Pellets und Holzheizungen Wärmepumpen Heizungsmodernisierung Sanitär- und Elektrotechnik • Alles aus einer Hand Fischergang 3 17252 Mirow Tel. 039833 20497 www.solarzentrummirow.de

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