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Passion Genuss 01/2016 - passion_genuss_01_2016.pdf

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GASTBEITRAG<br />

GASTBEITRAG<br />

Können Sie mir<br />

bitte mal das<br />

Wasser reichen<br />

„Das wichtigste Glas auf dem Tisch“, sagt<br />

Jancis Robinson, eine der weltweit bedeutendsten<br />

Weinexpertinnen, „ist das Wasserglas“.<br />

Text: Michael Schröder<br />

Recht hat die Herausgeberin des Oxford<br />

Weinlexikons. Denn zwingender<br />

als die fast schon philosophisch<br />

anmutende Diskussion über das exakt passende<br />

Glas zu Riesling, Chardonnay oder<br />

Pinot Noir ist doch, dass wir ausreichend<br />

Wasser zu den Mahlzeiten trinken. Entgegen<br />

der alten Volksweisheit, Wasser verdünne<br />

die Magensäure und schade deshalb der<br />

Verdauung, trifft nach Ansicht der meisten<br />

Ernährungsphysiologen eher das Gegenteil<br />

zu. Mit Wasser „rutscht“ das Essen einfach<br />

besser hinunter, und außerdem transportiert<br />

und löst es die Nährstoffe in unserem<br />

Körper. Jeder kennt ja die Frage, die der Service<br />

im Restaurant gleich zu Beginn eines<br />

schönen Mahls stellt: „Darf ich Ihnen schon<br />

mal ein Wasser bringen?“ In aller Regel fällt<br />

die Entscheidung zwischen einem Mineralwasser<br />

mit Kohlensäure, einem „Stillen“<br />

oder der Medium-Variante. Doch so einfach<br />

will es vor allem die gehobene Gastronomie<br />

dem Gast nicht mehr machen. Schließlich<br />

hat die Getränkeindustrie schon vor Jahren<br />

festgestellt, dass mit Premium-Wasser bei<br />

gleichem Inhalt in der Flasche weitaus höhere<br />

Margen zu erzielen sind. Schicke Designer-Bouteillen<br />

mit einem „Gourmet“-Label<br />

und Lifestyle-Image sind seitdem in Top-<br />

Lokalen so selbstverständlich, wie früher<br />

eine Flasche Selters das Maß aller Wässerchen<br />

war. Wer also glaubt, dass Wasser nur<br />

Wasser ist, wird dort ganz schnell mal eines<br />

Besseren belehrt.<br />

Es geht allerdings noch exklusiver – mit<br />

teuren Edelgetränken der Luxusklasse für<br />

die Welt der Schönen und Reichen. Norwegisches<br />

Voss etwa, 420 Below aus Neuseeland,<br />

Fiji von den Fidschi-Inseln oder<br />

das neunmal gefilterte Tennessee-Wasser<br />

Bling h 2 o mit Swarovski-Kristallen kosten<br />

mitunter mehr als eine Flasche Wein. Mal<br />

entspringt das Wasser aus vulkanischem<br />

Hochland, mal entstammt es einem Gletscher<br />

oder setzt sich wie das Cape Grim nur<br />

aus tasmanischen Regentropfen zusammen.<br />

Den Vogel schießt jedoch Rokko No<br />

Mizu ab, jenes Kult-Mineralwasser aus einem<br />

mystischen Jungbrunnen in der japanischen<br />

Kobe-Region, wo die berühmten<br />

Wagyu-Rinder grasen und die Menschen<br />

über 100 Jahre alt werden. „Über 100“ gilt<br />

auch für alle, die das kostbare Nass hierzulande<br />

trinken wollen – natürlich in Euro.<br />

Diesseits dieser versnobten Welt aus raffinierten<br />

Marketingstrategien und modischem<br />

Kult um ausländische Glamour-Produkte<br />

interessiert den Normalsterblichen<br />

allerdings mehr, was er schlicht und einfach<br />

bei der Wahl des Wassers zu einem Menü<br />

beachten sollte. Da darf man es mit Harald<br />

Schmidt halten, der in seiner Late-Night-<br />

Show den legendären Satz prägte: „Ich sage<br />

‚Ja!’ zu deutschem Wasser.“ Auch Wasser-<br />

Sommeliers, die sich inzwischen neben den<br />

Wein-Sommeliers in so einigen deutschen<br />

Sternerestaurants etabliert haben, bestätigen,<br />

dass heimische Produkte aus ökologischen<br />

Gründen immer beliebter werden.<br />

Wenn sie dann noch premium heißen und<br />

ein wenig teurer sind als die Discountmarken,<br />

freut sich auch der Gastgeber. Wasser<br />

spielt eben bei der Mischkalkulation keine<br />

unwesentliche Rolle in der Gastronomie –<br />

mit Getränken macht sie rund 40 Prozent<br />

ihres Umsatzes.<br />

Grundsätzlich liegt man mit einem stillen,<br />

milden Wasser fast immer richtig. Zwar<br />

schmeckt die bittere Kohlensäure als Durstlöscher<br />

erfrischender, sie kommt jedoch vor<br />

allem schweren, tanninreichen Rotweinen in<br />

die Quere, weil sie die adstringierende Wirkung<br />

der Gerbstoffe verstärkt. Zu trockenen<br />

Weißen passt ein ausgewogenes Wasser mit<br />

mäßiger Kohlensäure, während süße Tropfen<br />

eine spannende Liaison mit kräftiger Kohlensäure<br />

eingehen. Keine Angst muss man<br />

übrigens vor einem hohen Gehalt an Kalzium,<br />

Natrium oder Magnesium haben, was den<br />

Geschmack des Weins verfälschen könnte.<br />

Erstaunlicherweise entpuppten sich bei<br />

einer Untersuchung der Stiftung Warentest<br />

die meisten Mineralwässer trotz ihres Namens<br />

als mineralstoffarm.<br />

Und wie steht es mit Leitungswasser? Nach<br />

einer jüngsten Umfrage des Online-Reservierungsportals<br />

Bookatable unter 1.500 Restaurantgästen<br />

würden 66 Prozent der Befragten<br />

kein „Kranenwasser“ bestellen, weil<br />

es ihnen fordernd und unhöflich erscheint.<br />

Während es also in manch anderen Ländern<br />

obligatorisch ist, eine Karaffe neutrales Leitungswasser<br />

gratis auf den Tisch zu stellen,<br />

scheint dies hierzulande verpönt zu sein.<br />

Dabei zählt Leitungswasser in Deutschland<br />

zu den am besten kontrollierten Lebensmitteln.<br />

Noch hält die Gastronomie dagegen,<br />

dass ja auch diese Dienstleistung irgendwie<br />

bezahlt werden müsse. Trendlokale wie<br />

das angesagte Berliner Sternerestaurant<br />

Nobelhart & Schmutzig gehen da bereits<br />

andere Wege: Gefiltertes Leitungswasser<br />

mit und ohne Kohlensäure ist dort im<br />

Menüpreis bereits inbegriffen.<br />

Michael Schröder war bis 2<strong>01</strong>4<br />

stellvertretender Chefredakteur<br />

und Politikchef des Mannheimer<br />

Morgen. Er schreibt seit vielen<br />

Jahren regelmäßig über das Thema<br />

Essen und Trinken und ist Herausgeber<br />

von Büchern zu kulinarischen Themen.<br />

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