Mai – Juni 2012 - Evangelische Kirchengemeinde Langenfeld
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Thematischer Schwerpunkt<br />
Sehr unterschiedlich sind auch die Menschen, denen<br />
Schwester Silke und ich begegnen, und dementsprechend<br />
die Kontakte, die stattfinden. Gemeinsam ist eigentlich<br />
nur, dass alle den Besuch der Diakonieschwester als festen<br />
Punkt in ihrem Tagesablauf vermerkt haben. Mancherorts<br />
werden wir quasi schon mit der offenen Tür begrüßt; teils<br />
werden auch die Leistungen der Schwester von anwesenden<br />
Angehörigen routiniert unterstützt.<br />
Mit welcher Selbstverständlichkeit die Menschen<br />
akzeptieren (müssen), dass jemand in ihre Privatsphäre<br />
eindringt, wird mir nicht nur deutlich, als die bettlägerige<br />
Frau oder der bettlägerige Mann gewaschen werden. Es<br />
wird mir immer wieder neu schon dadurch klar, dass man<br />
sich einfach in fremde Wohnungen hineinbegibt. Nicht<br />
selten ist es den betroffenen Menschen nicht möglich, die<br />
Wohnungstür selbst zu öffnen. Dafür hat Schwester Silke<br />
dann ein Set an Wohnungsschlüsseln dabei. Und in den<br />
allermeisten Fällen heißt das Betreten der Wohnung noch<br />
vor persönlichem Kontakt doch schon Kontakt zu sehr<br />
persönlichen Vorlieben: Lange habe ich nicht mehr so viele<br />
verschiedene Eichenmöbel gesehen, und fast überall finden<br />
sich in der Wohnwand, auf dem Tisch oder an der Wand<br />
eine Reihe von Fotos, die vermutlich die Bewohnerinnen<br />
bzw. Bewohner selbst sowie deren Kinder, Enkel oder<br />
sonstige Verwandte und Freunde zeigen <strong>–</strong> bei Hochzeiten,<br />
Familienfesten, im Urlaub oder in Dienstkleidung.<br />
Unterschiedlich verlaufen auch die Kontakte. Mehrere<br />
zu pflegende Personen schütten Schwester Silke ihr<br />
Herz aus zu ihrer Tagesverfassung oder auch zu sonstigen<br />
Dingen, die ihnen „durch den Kopf gehen“. Andere sind<br />
zurückhaltender. Ich erfahre, dass Schwester Silke durch<br />
die Kontinuität im Diensteinsatz die meisten besuchten<br />
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(Foto: © Bachmaier)<br />
Personen bereits seit längerer Zeit und damit auch recht<br />
gut kennt. Teilweise hat sie sogar bereits deren Angehörige<br />
gepflegt. Ich erfahre zudem, dass das Gesprächsbedürfnis<br />
der älteren Menschen nicht selten auch aus einer gewissen<br />
Vereinsamung herrührt. Und wie wichtig es ist, den<br />
Menschen allen abrechnungsfähigen Zeiten zum Trotz in<br />
besonderen Situationen auch besondere Zeit zu widmen <strong>–</strong><br />
durch Zuhören, Trösten, Aufbauen. Dann wird der Spruch<br />
„... mehr als Pflege“ mit Inhalt gefüllt. Sicher ermöglichte<br />
dies im Jahr 2011 auch die zuverlässige finanzielle Unterstützung<br />
durch die Gemeinde.<br />
So wundert es mich denn auch nicht mehr, dass einige<br />
der betreuten Menschen unaufgefordert mir gegenüber<br />
äußern, wie zufrieden sie mit der Versorgung durch die<br />
Diakonieschwestern sind. Auch die Freude darüber, wenn<br />
die Frage bejaht wird, ob Schwester Silke auch am Folgetag<br />
wieder kommen wird, ist zu spüren. Und mir wird klar,<br />
dass es nicht verwunderlich ist, dass die Menschen sich in<br />
ihrer jeweils eigenen besonderen Situation so gut betreut<br />
fühlen: Schwester Silke ist nicht nur den Menschen zugewandt<br />
und zupackend, sondern strahlt auch eine Lebensfreude<br />
und Energie aus, die anstecken kann.<br />
Erstaunlich allerdings, dass die betreuten Menschen<br />
selbst auch eine negative Ausstrahlung vermissen lassen.<br />
Alle machen täglich die Erfahrung, dass sie im Alltag bei<br />
notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe von<br />
außen benötigen. Viele kommen kaum aus ihrer Wohnung<br />
heraus. Manche sind dauerhaft bettlägerig. Und doch<br />
gibt es niemanden an diesem Nachmittag und Abend, der<br />
eine gereizte oder irgendwie spürbare unausgeglichene<br />
Grundstimmung erkennen lässt. Im Gegenteil: Es bleibt<br />
der Eindruck, dass diese Menschen sich grundsätzlich mit<br />
der Situation, die ihre mobile Pflegebetreuung erforderlich<br />
macht, arrangiert haben. Manche machen sogar Witze. Die<br />
Dame, die zuletzt besucht wird, ist in ihrem Bedürfnis zu<br />
scherzen gar nicht zu bremsen. Es ist beeindruckend, wenn<br />
Menschen so mit ihrem Schicksal und ihren pflegenden<br />
Helferinnen umgehen können. Und doch darf man dies<br />
nicht verallgemeinern: Schwester Silke erzählt, dass es der<br />
gleichen Dame am Vortag stimmungsmäßig so schlecht<br />
ging, dass sie ein längeres Gespräch mit ihr führte.<br />
So zeigt sich, dass genau dieses christliche „Mehr“ die<br />
Stimmung umdrehen kann: Wenn es gelingt, dass Pflegerinnen<br />
trotz des anstrengenden Fließbandprinzips ihrer<br />
Arbeit den Menschen wahrnehmen und sich auf ihn einlassen,<br />
dann ist das ein wandelnder Segen!<br />
Jürgen Otte<br />
GeMeindeBrief 3/<strong>2012</strong> <strong>Mai</strong> <strong>–</strong> <strong>Juni</strong> <strong>2012</strong>