Anne Frank - eine Geschichte für Darmstadt - Darmstädter Anne ...
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Selim Zillich-Ünal<br />
die Rede, von Stadtkämpfen und Widerstand der irakischen stolzen Republikanischen Garde.<br />
Bagdad, Mossul, Basra, die Städte wurden derzeit Opfer der Bomben. Dabei wurden noch weitere<br />
Schauplätze des Widerstands genannt. Die Städte Umm Kasr, Nasirja und Tigrit. 90 Kilometer<br />
noch, dann würde der Feind oder sonst wer die Innenstadt Bagdads erreichen.<br />
28. März 2003<br />
Schade, dass wir k<strong>eine</strong>n Fernseher haben, dann wüsste ich, wer angreift. Die Angriffe sind<br />
nämlich so gewaltig, dass ich diesen Befreier kaum feiern kann. Ich wurde heute früh geweckt,<br />
besser gesagt wir alle, durch die Sirenen. Eigentlich nichts Neues, mein Onkel schreit durch die<br />
Wohnung, dann haben sich alle binnen zwei Minuten an der Luftschutzbunkertür zu versammeln,<br />
dann wird abgezählt, wenn nicht alle vollzählig sind, muss mein Vater noch einmal suchen gehen,<br />
und den Ärger danach will wirklich k<strong>eine</strong>r haben. Alle müssen sofort den Eingang freimachen,<br />
damit wir k<strong>eine</strong> Zeit verlieren, und die Tür wird von m<strong>eine</strong>m Onkel verschlossen, der dann als<br />
letztes Platz nimmt und alle kritisch mustert. Drei Minuten, Rekordzeit, ich habe so ein bisschen<br />
das Gefühl, mein Onkel macht daraus <strong>eine</strong>n Wettbewerb. Training vor dem Ernstfall gibt es auch,<br />
eigentlich immer und zu jeder Zeit, wenn mein Vater <strong>eine</strong> Rakete gehört haben soll.<br />
Mein Onkel wurde heute Nacht von dieser Tür regelrecht weggefegt. Wir alle purzelten von<br />
den alten, quietschenden Bänken, fast hätte ich mir den Kiefer angeschlagen. Das Beben war so<br />
stark, dass die gut gesicherten und verstauten Einmachgläser von den Regalen fielen.<br />
Wir waren gerade dabei, uns zu sortieren, da hörten wir <strong>eine</strong>n dumpfen Schlag. Ich sah zur Decke.<br />
Allmählich bröckelte Putz von der Decke, ganze Stücke. - ,,Raus!“, schrie mein Vater. Wenn<br />
es mir jemals so gleichgültig war zu sterben, dann in diesem Treppenhaus.<br />
29. März 2003- Militärische Lage des Iraks<br />
,,Die US-Truppen haben am frühen Samstag ihre Angriffe auf Bagdad fortgesetzt. Am Abend zuvor<br />
hatte es bei <strong>eine</strong>r Detonation auf <strong>eine</strong>m Marktplatz mehr als 50 Todesopfer gegeben.“<br />
,,US-Bodentruppen liefern sich in Nadschaf und Nassirja immer noch heftige Kämpfe mit irakischen<br />
Verbänden.“<br />
1. April 2003 - Bagdad<br />
Ich stehe, ja ich stehe, noch. Ich stehe vor nichts, und es wird auch nichts kommen, auch wenn<br />
ein neuer Monat anfängt. Zwar gibt es noch m<strong>eine</strong>n Onkel, m<strong>eine</strong>n Vater, m<strong>eine</strong> Tante, da hört<br />
es schon auf. Ich stehe da und sehe vier Leichname in L<strong>eine</strong>n gewickelt, die Gräber sind schon<br />
ausgehoben. Es war ein Kraftakt, die Leichen zu bergen, deswegen hat es etwas länger mit der<br />
Beerdigung gedauert. Am Grab müsste ein Imam stehen und eigentlich müssten wir noch mit<br />
dem Begräbnis warten - traditionsgemäß. Wir können die Leichname nicht kühl halten und die<br />
Verwesung hat schon eingesetzt. Wir können nicht warten.<br />
Wir standen noch lange dort, nachdem sie schon vergraben waren. Möge Gott m<strong>eine</strong> Mutter,<br />
m<strong>eine</strong>n Bruder und m<strong>eine</strong> beiden Cousins sicher bei sich aufnehmen.<br />
2. April 2003 - Militärische Lage im Irak<br />
,,Nahe Kerbala sind am Morgen alliierte Truppen gegen den äußeren Verteidigungsring rund 80 Kilometer<br />
südlich von Bagdad vorgerückt.“<br />
,,Amerikanische Soldaten haben bei der Stadt Kut 170 Kilometer Kilometer südöstlich von Bagdad <strong>eine</strong><br />
strategisch wichtige Tigris-Brücke <strong>für</strong> den Vorstoß in die Hauptstadt gesichert.“<br />
3. April 2003 - Bagdad<br />
Eigentlich sollte ich trauern, anstatt hier hineinzuschreiben, was ich erlebt habe, aber heute habe<br />
ich etwas erlebt, was m<strong>eine</strong> Trauer vielleicht ein klein wenig lindern kann. Wir sind zu m<strong>eine</strong>m<br />
Onkel mütterlicherseits gezogen, dorthin, wo er s<strong>eine</strong> Werkstatt hat. Er hat tatsächlich überlebt,<br />
Selim Zillich-Ünal<br />
sowohl den Wundbrand als auch <strong>eine</strong>n Raketenangriff auf das Krankenhaus. Reparieren von<br />
Autos wird jetzt etwas schwieriger <strong>für</strong> ihn, der Arm musste amputiert werden.<br />
Als wir unsere wenigen Habseligkeiten aus <strong>eine</strong>m geklauten Lader ausluden, war ich gerade<br />
dabei, Heizöl zu transportieren, als mir ein Flugblatt vor die Nase wehte. Ich stellte den Kanister<br />
ab und las es mir durch. Da stand, dass das irakische Volk nicht länger unter der Knechtschaft<br />
ihres Diktators zu leiden hätte, wenn man folgende Punkte beachten würde. Eine weiße Fahne<br />
am Fenster, die Waffen vor die Tür, wenn möglich die Barrikaden entfernen, die man zum Schutz<br />
aufgebaut hatte und, und, und. Als letztes stand geschrieben, dass man nach dem Fall des Regimes<br />
ein Recht auf Entschädigung hätte, wenn man die genannten Punkte befolgen würde. Unterzeichnet<br />
von George. W. Bush. Ich glaube, mein Vater ist mir langsam <strong>eine</strong> Erklärung schuldig.<br />
4.April 2003 Militärische Lage - Schlacht um Bagdad<br />
,,Nach US-Angaben haben amerikanische Truppen den Flughafen der Hauptstadt, rund 20 Kilometer<br />
vom Stadtzentrum entfernt, erstürmt.“<br />
8.April 2003 Militärische Lage - Schlacht um Bagdad<br />
„Wichtige Teile des Regierungsviertels in West-Bagdad stehen unter Kontrolle von US-Truppen. Der<br />
Übergang in den Ostteil der Stadt über den Tigris ist heftig umkämpft.“<br />
8. April 2003<br />
Da sind sie, das Viertel m<strong>eine</strong>s Onkels befindet sich in der Hand des Feindes, Gegners, Befreiers,<br />
Heiligen, wie immer man ihn auch nennen darf. Weit aus dem Westen gekommen, um weit im<br />
Osten zu zerstören. Schon gestern hatte ich Soldaten gesehen, die nicht zur Republikanischen<br />
Garde gehörten. Nun sind sie da, in Massen, es kam so, wie es kommen musste. Ich stellte mich<br />
selbstbewusst <strong>eine</strong>m fremden Soldaten in den Weg. Der sah wohl, dass ich unbewaffnet war; ich<br />
hatte mein Hemd aufgeknöpft, sodass man sehen konnte, dass ich kein Selbstmordattentäter<br />
war. Ich griff auch nicht verdächtig zu m<strong>eine</strong>m Bein, um <strong>eine</strong> Pistole zu ziehen, nein, ich tat alles,<br />
was auf dem Papier stand. Er wollte mir die Hand reichen und ich, ich spuckte einfach nur vor<br />
s<strong>eine</strong> Füße, das war der mindeste Respekt, der ihm gebührte.<br />
Selim Zillich-Ünal, Jahrgangsstufe 12<br />
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