30 JAHRE RICHTIG GUTE BÜCHER - ameis Buchecke
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24<br />
Christa Wolf,<br />
Ein Tag im Jahr<br />
1960-2000<br />
EUR<br />
Ein Tag<br />
im Jahr<br />
Sonja Engler<br />
seit Sommer 2000 in Hamburg.<br />
Dort beschäftigt im Kulturzentrum<br />
Zinnschmelze, Geschäftsführung<br />
und Stadtteilarbeit.<br />
Freiberuflich als Kulturmanagerin<br />
und Stadtführerin tätig.<br />
Ich hatte lange nichts mehr von Christa Wolf gelesen, nachdem ich als junge<br />
Erwachsene mehrere ihrer Bücher verschlungen habe. Letztes Jahr bekam ich<br />
“Ein Tag im Jahr” von einem langjährigen Freund geschenkt – und ich habe<br />
die 650 Seiten ebenso aufgesaugt wie die schmalen Erzählungen damals.<br />
Christa Wolf folgt dem Aufruf einer Moskauer Zeitung, einen bestimmten<br />
Tag des Jahres 1960, den 27. September, möglichst genau zu beschreiben.<br />
Und tut dies dann weitere vierzig Jahre lang.<br />
Viele Bücher von Christa Wolf sind autobiographisch gefärbt. Dieses ist es<br />
ganz explizit, es hat Tagebuchcharakter, ohne jedoch Tagebuch zu sein. Bei<br />
aller Privatheit ist es nie ganz intim, bei aller Nähe, die sich einstellt, bleibt<br />
stets die Distanz der künstlerischen Gestaltung.<br />
Zu Beginn, Wolf ist 31 Jahre alt, sind ihre zwei Töchter noch klein, die<br />
Leserin sieht sie Jahr um Jahr aufwachsen, erwachsen werden, eigene Kinder<br />
bekommen.<br />
Die Wechselfälle der Kulturpolitik der DDR, Freundschaften mit anderen<br />
KünstlerInnen aus Ost und West, die Auseinandersetzungen mit der SED<br />
und im Schriftstellerverband, die künstlerischen Fragen der Schriftstellerin<br />
an ihre eigenen Texte und Schreibprojekte – all dies steht gleichberechtigt<br />
neben protokollierten Tagesabläufen, Speisezetteln, Gesprächen mit<br />
ihrem Mann. Das private Leben ist eingebettet in die jeweilige Zeit, und so<br />
entfaltet sich ein Panorama der jüngsten deutschen Geschichte – subjektiv,<br />
hochreflektiert, warmherzig und anregend.<br />
“Wie kommt Leben zustande? Die Frage hat mich früh beschäftigt. Ist<br />
Leben identisch mit der unvermeidlich, doch rätselhaft vergehenden<br />
Zeit? Während ich diesen Satz schreibe, vergeht Zeit; gleichzeitig entsteht<br />
– und vergeht – ein winziges Stück meines Lebens. So setzt sich Leben aus<br />
unzähligen solcher mikroskopischen Zeit-Stücke zusammen? Merkwürdig<br />
aber, dass man es nicht ertappen kann.”<br />
Das Leben ist mehr als die Summe der Augenblicke, ist gelebte Zeit.<br />
Das wird in “Ein Tag im Jahr” ganz offenbar.