Uster 2011.pdf
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Dorfbadi <strong>Uster</strong> – Florastrasse 24<br />
Dorfbadi <strong>Uster</strong>: Ein Tag für die<br />
Männer, ein Tag für die Frauen<br />
Sommer 1893<br />
Die Sonne steht an diesem Sommertag des Jahres 1893, als Ju-<br />
lius Gujer diese Aufnahme macht, bereits tief am Himmel. In der<br />
Dorfbadi, der ersten öffentlichen Badeanstalt <strong>Uster</strong>s, herrscht<br />
ein munteres Treiben. Wie auch heute noch, besitzt die Badi nur<br />
ein Schwimmbecken aus Beton. Seine Masse haben sich über<br />
die Jahre zwar deutlich vergrössert, aber die grundlegende Form<br />
hat sich kaum verändert. Das Bassin wird von einer schlichten<br />
Holzkonstruktion eingerahmt, die alle wesentlichen Einrichtungen<br />
einer Badeanstalt enthält. Die Garderoben mit Liegeplattformen<br />
links und im Rücken des Fotografen sind offen, aber überdacht.<br />
Bei Bedarf können zwar Vorhänge an die hölzernen Dachträger<br />
gehängt werden, an diesem Tag hat man aber offensichtlich darauf<br />
verzichtet. Immerhin schirmt ein Palisadenzaun die Badenden<br />
vor neugierigen Blicken ab. Eine Liegewiese gibt es noch nicht.<br />
Gemäss den damaligen Gepflogenheiten herrscht strikte Geschlechtertrennung.<br />
Zum Zeitpunkt der Aufnahme befinden sich<br />
ausnahmslos Mädchen in der Badi. Wie es sich gehört, tragen<br />
alle sittsame Badekleider. Manche schützen zudem ihr Haar mit<br />
einer Badehaube. Als «Rastplatz» treibt ein Baumstamm im Wasser,<br />
der mit einem Tau an der Plattform festgebunden ist. Drei<br />
Mädchen halten sich daran fest, andere planschen und schwimmen<br />
im Wasser umher. An der hölzernen Wand im Hintergrund<br />
kleben die Badeordnung und Sicherheitshinweise. Auf die lang<br />
gezogene Bank darunter haben die Besucherinnen ihre Kleider<br />
drapiert.<br />
Wer damals in <strong>Uster</strong> an heissen Sommertagen eine erfrischende<br />
Abkühlung suchte, hatte zahlreiche Möglichkeiten. Abgesehen<br />
vom Greifensee gab es eine Vielzahl von Fabrikkanälen und<br />
Ausgleichsbecken, in die man kurz hineinspringen konnte. Die<br />
waren aber nicht ungefährlich. Manche wiesen eine beträchtliche<br />
Strömung auf, die einen leicht in eines der Wasserwehre<br />
ziehen konnte. Den Kindern war die Gefahr egal. Sie liebten die<br />
Planscherei in den Kanälen und scherten sich auch nicht um die<br />
Geschlechtertrennung. Die prüden Erwachsenen der damaligen<br />
Zeit sahen solcherlei Vergnügungen hingegen höchst ungern. Ihr<br />
Sittlichkeitsempfinden war in der Badeanstalt besser aufgehoben.<br />
Hier existierten klare Regeln, deren Einhaltung von einem<br />
Bademeister überwacht wurde. Erst ab den 1930er-Jahren verdrängen<br />
Familienbäder die konservative Sexualmoral. Die sittsa-<br />
men Gewänder weichen Badeanzügen, die zunehmend weniger<br />
Textilanteil aufweisen.<br />
Die Umstände, die zur Entstehung der <strong>Uster</strong>mer Dorfbadi führen,<br />
sind bemerkenswert. 1886, in einer sehr gesundheitsbewussten<br />
Zeit, bildet sich eigens für diesen Zweck eine Interessengemeinschaft.<br />
Um das nötige Geld zu beschaffen, wird sogar eine Aktiengesellschaft<br />
ins Leben gerufen. Die Suche nach einem geeigneten<br />
Grundstück wird zur grossen Herausforderung. Fast jedes<br />
freie Stück Land am Aabach oder an den Kanälen gehört einem<br />
Industriellen. Schliesslich erklärt sich Julius Gujer bereit, den<br />
Einlaufkanal seiner Spinnerei an der Florastrasse 18 zur Verfügung<br />
zu stellen. Das Bassin der Badeanstalt wird mit Wasser aus<br />
dem Kanal gespeist und danach wieder in diesen zurückgeführt.<br />
Rechts im Hintergrund des Bilds, unterhalb des Zauns, ist das<br />
Wehr zu sehen, das den Zufluss des direkt hinter der Palisade<br />
verlaufenden Kanals reguliert.<br />
Gujers Angebot ist ein kluger Schachzug: Die Fabrik erhält mit<br />
dem Bau der Dorfbadi ein kleines Reservoir, das den für die Antriebsturbinen<br />
wichtigen Zufluss des Wassers ausgleicht. Gleichzeit<br />
mehrt der Fabrikherr mit der neuen Einrichtung, die 1887 feierlich<br />
eröffnet wird, das Renommee seines Unternehmens.<br />
Die langen sittsamen Badekleider bauschen sich im Wasser auf.<br />
Die Badeordnung oben links bestimmt, was sich geziemt. Der Zugang zum Becken am Palisadenzaun ist besetzt.<br />
Ein Mädchen macht sich am Wehr zu schaffen, das den Wasserzufluss in das Badebecken regelt.