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Uster 2011.pdf

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Primarschulhaus Dorf – Schulweg 6<br />

Fröhliche Schulkinder waren<br />

keine Selbstverständlichkeit<br />

Herbst 1893<br />

Es ist ein sonniger Tag im Frühling oder Herbst des Jahres 1893.<br />

Die Kinder der Dorfschule an der Schulstrasse 6 sind soeben<br />

von der Pausenglocke ins Freie entlassen worden. Trotz der<br />

freundlichen Sonne scheint es noch kühl zu sein. Die Kinder sind<br />

warm angezogen, und ein Junge vergräbt seine Hände in der<br />

Jackentasche. Julius Gujer, der ihr Treiben mit seiner Kamera<br />

einfängt, kümmert die Schülerinnen und Schüler offensichtlich<br />

nicht. Die meisten plaudern miteinander, spielen Ringelreihen,<br />

oder springen Seil wie die beiden Mädchen rechts im Bild und<br />

jenes, das im Hintergrund, zwischen den Portalen, mit dem<br />

Rücken zu uns steht. Einige Buben haben sich um die beiden<br />

Brunnen versammelt, die zusammen mit den Petroleumlaternen<br />

die Freitreppe flankieren.<br />

1893 war der öffentlichen Grundschule der Durchbruch<br />

gelungen. Der Erfolg stand am Ende eines langen Konflikts,<br />

an dessen Fronten sich die Fabrikherren, die Arbeiter und<br />

die Verfechter eines geregelten Schulsystems unversöhnlich<br />

gegenüberstanden. Die frühen Industriellen hielten ihre Arbeiter<br />

lohnmässig absichtlich auf dem Existenzminimum, damit sie ihre<br />

Not umso besser ausnutzen konnten. Kaum eine Arbeiterfamilie<br />

kam ohne die Fabrikarbeit ihrer Kinder aus. Die kargen Löhne, die<br />

ihre meist zahlreichen Sprösslinge nach Hause brachten, waren<br />

wichtiger als eine gute Schulausbildung, die auf kurze Sicht<br />

keinen Gewinn versprach. In <strong>Uster</strong> war dieser Grundsatzkonflikt<br />

nach 1820 virulent geworden, als am Aabach immer mehr<br />

Fabriken aus dem Boden wuchsen. Er verschärfte sich, als 1834<br />

– im Zuge des liberalen politischen Umbruchs im Kanton – die<br />

Sekundarschule ins Leben gerufen wurde. Plötzlich mussten<br />

die <strong>Uster</strong>mer Fabrikanten fürchten, dass ihre preisgünstigste<br />

«Humanressource» versiegen und folglich die fetten schwarzen<br />

Zahlen über dem Strich abmagern könnten. Kinderrechte gab es<br />

damals noch nicht. Die Mindestarbeitszeit für Fabrikkinder betrug<br />

satte 13 Stunden. An einen regelmässigen Schulbesuch war<br />

also kaum zu denken. Und wenn diese Kinder schon mal in der<br />

Schule auftauchten, sassen sie völlig übermüdet, oft krank und<br />

hustend in den Bänken.<br />

Erst die hartnäckige Sensibilisierungsarbeit in der Presse, in<br />

Vereinen und auf politischen Veranstaltungen der Opposition<br />

– etwa den Demokraten, denen die meisten Lehrer angehörten<br />

– führte langsam zu einem Umdenken, auch bei manchen<br />

Industriellen. Die Demokratiebewegung der späten 1860er-<br />

Jahre brachte das marode gewordene liberale System von<br />

Alfred Eschers Gnaden schliesslich zu Fall. Erst jetzt liessen<br />

sich Reformen durchsetzen, die in erster Linie anstrebten, die<br />

Kinderarbeit zu regeln und die Bildungsmöglichkeiten auf der<br />

Grundschulebene zu erhöhen. Schon früher, 1837 und 1859,<br />

waren im Kanton Zürich Fabrikgesetze erlassen worden, die zwar<br />

die Schulpflicht festschrieben, die Arbeitszeit der Fabrikkinder<br />

aber nicht unter 13 Stunden senkten. 1877 setzte der Bund<br />

schliesslich ein grundsätzliches Verbot von Kinderarbeit in<br />

Fabriken durch. Von dieser Errungenschaft profitieren die Kinder<br />

auf unserem Bild.<br />

Das 1856 eingeweihte Schulhaus Dorf ist das erste in <strong>Uster</strong>, das<br />

nach modernen Kriterien errichtet worden ist. Neue Erkenntnisse<br />

in der Hygiene förderten die Entwicklung dieser Bauten, die alle<br />

demselben Muster folgen: Grosse Fenster, um die Räume gut<br />

lüften zu können, ausreichendes Tageslicht, breite Aufgänge und<br />

genügend grosse Unterrichtsräume. Die engen, dunklen und<br />

schlecht gelüfteten Schulhäuser früherer Zeiten gehören damit<br />

der Vergangenheit an.<br />

Das Mädchen rechts hält hinter dem Rücken ein Springseil.<br />

Zwei Mädchen tollen auf dem Pausenplatz herum. Knaben spielen an einem der beiden Laufbrunnen.<br />

Ein Mädchen hantiert mit einem Springseil, andere hinter ihm spielen Ringelreihen. Mit skeptischem Blick nähert sich ein Junge.

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