3.500 Abende auf der Bühne - Rondo
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Miller<br />
Hilary Hahn<br />
»Ich brauche die<br />
Abwechslung«<br />
Hilary Hahn begann ihre Karriere als Wun-<br />
<strong>der</strong>kind. Inzwischen ist die Geigerin zu einer<br />
erwachsenen Künstlerin gereift, die zu den<br />
besten Interpretin nen ihrer Generation zählt.<br />
Lyrische eleganz und noble Leidenschaft –<br />
das sind die Markenzeichen <strong>der</strong> jungen Ame-<br />
rikanerin, <strong>der</strong>en Vorfahren aus <strong>der</strong> Pfalz<br />
stammen. Miquel Cabruja hat sich mit ihr in<br />
Düsseldorf zu einem Gespräch getroffen.<br />
RONDO: frau Hahn, in europa haben zeitgenössische Werke oft einen sehr<br />
elitären Anspruch. In den angelsächsischen Län<strong>der</strong>n hat man stattdessen<br />
den eindruck, dass neue Musik vorrangig für das Publikum komponiert<br />
wird. Gilt das auch für Jennifer Higdons Violinkonzert?<br />
Hilary Hahn: Jennifer Higdons Konzert ist wirklich für das Konzerterlebnis<br />
geschrieben. Ihre Musik lebt von <strong>der</strong> Kommunikation mit dem Publikum,<br />
braucht aber auch die präzise Interaktion <strong>der</strong> Musiker untereinan<strong>der</strong>. es<br />
gibt in dieser Partitur ungewöhnlich viele Soli und kammermusikalische<br />
Passagen, in denen die Orchestermusiker glänzen können. Die ersten Minuten<br />
des Konzertes sind eigentlich ein trio.<br />
RONDO: Das klingt so, als stelle Higdon an ihre Interpreten extrem hohe<br />
Ansprüche.<br />
Hahn: Man muss sich sehr genau mit <strong>der</strong> Partitur auseinan<strong>der</strong>setzen, damit<br />
<strong>der</strong> große bogen gelingt. Das Stück ist rhythmisch außerordentlich<br />
komplex und bietet viele freiheiten <strong>auf</strong> einem technisch sehr hohen niveau.<br />
Deswegen gibt es auch beim mehrmaligen Anhören und Interpretieren<br />
neues zu entdecken: Wann habe ich sonst schon Gelegenheit, mit<br />
Sie hat Tschaikowskys Konzert zehn Jahre liegen lassen, bevor sie es sich<br />
wie<strong>der</strong> vorgenommen und schließlich eingespielt hat<br />
einem Glockenspiel zusammen zu spielen, das mit Stricknadeln angeschlagen<br />
wird?<br />
RONDO: Wie kamen Sie dar<strong>auf</strong>, Higdons Konzert mit dem Klassiker von<br />
tschaikowsky zu kombinieren?<br />
Hahn: Ich finde, dass beide Konzerte, auch wenn sie aus verschiedenen epochen<br />
stammen, viele Gemeinsamkeiten haben. Mit tschaikowskys Konzert<br />
kam ich das erste Mal in berührung, als ich noch eine junge Schülerin<br />
am Curtis Institute war. Danach spielte ich es öfter, bevor ich es für<br />
ein, zwei Jahre beiseite legte, wie ich damals dachte. Stattdessen vergingen<br />
jedoch zehn Jahre.<br />
RONDO: Haben Sie sich bewusst für die Originalfassung von tschaikowskys<br />
Konzert entschieden?<br />
Hahn: Als ich zu tschaikowskys Konzert zurückkehrte, hatte sich meine<br />
Sicht vollkommen verän<strong>der</strong>t. Ich hatte ein Gespür für die feinen nuancen<br />
und die vielen facetten <strong>der</strong> Musik bekommen: diese verletzliche Wildheit,<br />
die sich hinter <strong>der</strong> Klassizität <strong>der</strong> form verbirgt ... Als junges Mädchen hatte<br />
ich die fassung von Leopold Auer gespielt, <strong>der</strong> zu Lebzeiten des Komponisten<br />
entscheidende Kürzungen und Ausschmückungen vornahm. Ich<br />
habe mich nicht bewusst für die Originalversion entschieden, habe jedoch<br />
in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Musik zunehmend gespürt, dass ich alle<br />
noten so spielen will, wie tschaikowsky sie geschrieben hat.<br />
RONDO: es geht Ihnen also weniger um historische Korrektheit?<br />
Hahn: Ich bin kein typ, <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> forschung verschreibt. Ich liebe es, mit<br />
Musikern zusammenzuarbeiten, die von <strong>der</strong> Alten Musik herkommen. es<br />
ist faszinierend, was die alles über Phrasierung, Strichtechnik und Ornamentierung<br />
wissen. Aber Musik funktioniert für mich an<strong>der</strong>s. Ich erarbeite<br />
meine Interpretationen instinktiv, so dass sie für mich Sinn ergeben. Ich<br />
muss für mich selbst herausfinden, was mich an einer Komposition anspricht,<br />
und daraus meine eigene Sicht entwickeln.<br />
RONDO: Klingt nach einer ausgeprägten neugier. Kommt daher auch Ihr<br />
Interesse an zeitgenössischer Musik?<br />
Hahn: für mich ist die Musik als Ganzes wichtig. Ich versuche, die ungeheuer<br />
reiche Landschaft <strong>der</strong> klassischen Musik für mich zu erschließen<br />
und alle Lücken zu füllen, die ich in meinem repertoire habe. Ich brauche<br />
die Abwechslung und möchte natürlich alle Werke spielen, die seit langem<br />
das Publikum begeistern. Gleichzeitig will ich aber auch jene großartigen<br />
Stücke kennenlernen, die noch weitgehend unbekannt sind. Wenn<br />
ich Higdon spiele und mich danach mit tschaikowsky beschäftige, habe<br />
ich eine ganz an<strong>der</strong>e Perspektive <strong>auf</strong> seine Musik. Diese form <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
macht meinen beruf für mich erst interessant.<br />
Hilary Hahn nach einem Konzert in <strong>der</strong> Londoner Royal Albert Hall (l.),<br />
Komponistin Jennifer Higdon mit Kater Beau (r.)<br />
Neu erschienen<br />
Peter Tschaikowsky & Jennifer Higdon<br />
Violinkonzerte<br />
DG/Universal 4778777<br />
Abonnenten finden einen Ausschnitt <strong>auf</strong><br />
<strong>der</strong> beiliegenden RONDO CD #43 Titel 8<br />
1/2011 RONDO 23