3.500 Abende auf der Bühne - Rondo
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Purcell<br />
O SOLITuDE<br />
(SONGS & ARIEN)<br />
Scholl, Dumaux, Accademia<br />
Bizantina, Montanati<br />
Decca/Universal 478 2262<br />
(77 Min., <strong>auf</strong>gen. 7/2010)<br />
Nach einer kurzzeitigen Rückkehr zum<br />
Label harmonia mundi, bei dem Andreas<br />
Scholl seine Karriere gestartet hatte, ist er<br />
wie<strong>der</strong> bei <strong>der</strong> traditionsreichen Decca<br />
gelandet. Doch statt den Neubeginn mit<br />
festlichen Pauken und fulminanter Kehlenakrobatik<br />
zu feiern, spinnt er den Ausdrucksfaden<br />
weiter, den er mit <strong>der</strong> CD<br />
»Crystal Tears« ausgelegt hatte. Stand da<br />
die ungekünstelt ausgekleidete Melancholie<br />
<strong>der</strong> elisabethanischen Epoche im<br />
Mittelpunkt, macht Scholl nun mit dem<br />
Recital »O Solitude« Henry Purcell zum<br />
einzigen würdigen Nachfolger von Dowland<br />
& Co. Die fast stille Feier <strong>der</strong> unmittelbarkeit<br />
und die schwerelose Natürlichkeit<br />
des Gesangs – das sind denn auch<br />
die zwei Seiten einer Interpretationsmedaille,<br />
die so nur ein Countertenor vom<br />
Schlage Scholl zu prägen versteht.<br />
Für seine Auswahl an Songs und Arien<br />
aus »King Arthur« und »Fairy queen« hat<br />
sich Scholl aber überraschen<strong>der</strong>weise<br />
nicht für ein englisches Spezialisten-Ensemble<br />
entschieden. Vielmehr hat er sich<br />
wie<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> italienischen Accademia<br />
Bizantina zusammengetan, die auch in<br />
den eingestreuten Instrumentalwerken<br />
(u. a. »The Gordian Knot unty´d«) für<br />
markante Binnenspannungen sorgt. Geradezu<br />
musiktheatralisches Profil bekommt<br />
ihr Spiel in solchen Höhepunkten<br />
wie dem berühmten »Cold Song«.<br />
Während Scholl das packend Gruselige<br />
dieser vokalen Zitterpartie bis zum letzten<br />
Atemzug durchzieht, holen sich die<br />
Streicher in <strong>der</strong> schneidenden Eiseskälte<br />
fast blaue Finger. Hartgesottene Alte Musik-Verfechter<br />
werden wahrscheinlich belehrend<br />
dar<strong>auf</strong> <strong>auf</strong>merksam machen, dass<br />
dieser Song eigentlich für Bass komponiert<br />
wurde, und auch bei »When I Am<br />
Laid in Earth« die rote Karte zücken wollen.<br />
Doch bei diesem »Dido’s Lament«,<br />
das für Mezzosopran geschrieben wurde,<br />
beweist Scholl einmal mehr, dass es nicht<br />
<strong>auf</strong> die richtige Stimmlage, son<strong>der</strong>n <strong>auf</strong><br />
die Seelenqualität eines Sängers an-<br />
kommt. und genau diese besitzt Scholl<br />
wie kein Zweiter. Guido Fischer<br />
Haydn<br />
ORGELKONZERTE<br />
Koopman, Manson, Amsterdam<br />
Baroque Orchestra<br />
Challenge Classics/SunnyMoon<br />
CC 72390<br />
(62 Min., <strong>auf</strong>gen. 9/2009)<br />
Ton Koopmans Orgelstil ist mit dem Ad-<br />
jektiv »quirlig« sicher nicht ganz unzutref-<br />
fend umschrieben. Manchmal, beson<strong>der</strong>s<br />
wenn er am Continuoinstrument sitzt,<br />
nervt seine un<strong>auf</strong>haltsame Eloquenz ein<br />
wenig; aber als Interpret konzertanter Or-<br />
gelpartien vermag er mit <strong>der</strong>selben Eigen-<br />
schaft immer wie<strong>der</strong> richtig zu begei-<br />
stern. Seine interpretatorische Eloquenz<br />
schlägt sich nie<strong>der</strong> vor allem <strong>auf</strong> den Ebe-<br />
nen <strong>der</strong> Artikulation und <strong>der</strong> Ornamen-<br />
tik; er lässt seine ungeheuer flinken Finger<br />
förmlich in die Tastatur hinein »explodie-<br />
ren« und bringt es dadurch zu einem ge-<br />
stochen scharfen, knackigen Non-Legato-<br />
Spiel. und seine Verzierungen, mit denen<br />
er immer sehr großzügig ist, klingen nie-<br />
mals klebrig o<strong>der</strong> ungenau, son<strong>der</strong>n sit-<br />
zen perfekt. Ideale Vorrausetzungen für<br />
eine sehr ansprechende Version <strong>der</strong> technisch<br />
gar nicht so einfachen Orgelkonzerte<br />
Joseph Haydns – und ebendiese liegt<br />
mit dieser beachtlichen CD nun vor. Die<br />
quellenlage <strong>der</strong> Stücke ist teils komplex<br />
– die Frage des tatsächlich gemeinten<br />
Tasteninstruments ist in einigen Fällen<br />
nicht leicht zu beantworten, und an <strong>der</strong><br />
Haydnschen urheberschaft gibt es vereinzelt<br />
auch Zweifel. Koopman wählte für<br />
seine Einspielung drei Werke aus, für die<br />
die Musikwissenschaft relativ klare Zuschreibungen<br />
machen konnte. Eines davon<br />
verlangt neben <strong>der</strong> Orgel noch eine<br />
Violine als weiteres Soloinstrument, in<br />
dieser Partie bewährt sich Catherine Manson,<br />
die langjährige Konzertmeistern des<br />
Amsterdam Baroque Orchestra. Ihr Spiel<br />
mischt sich in je<strong>der</strong> Hinsicht perfekt mit<br />
demjenigen ihres Chefs, und so wird gerade<br />
das reizende Doppelkonzert in F-<br />
Dur zum beson<strong>der</strong>s erfreulichen Mittel-<br />
punkt dieses Programms, das – man muss<br />
es nochmals betonen – deutlich wahr-<br />
nehmbar in je<strong>der</strong> Sekunde von <strong>der</strong> uner-<br />
schöpflichen interpretatorischen Energie<br />
Ton Koopmans lebt. Michael Wersin<br />
Chopin<br />
VIER BALLADEN, VIER<br />
SCHERZI<br />
Glemser<br />
Oehms Classics/harmonia mundi<br />
OC 758<br />
(73 Min., <strong>auf</strong>gen. 11/2009)<br />
Schleppen sich diese Künstler-Jubiläums-<br />
jahre ihrem Ende entgegen, fragt man sich<br />
doch, ob es überhaupt einmal Grund zum<br />
nachdenklichen Aufhorchen gab in all dem<br />
Trubel. Kurz vor <strong>der</strong> Jubiläumsdämme-<br />
rung kommt mit Bernd Glemser jemand,<br />
<strong>der</strong> in einer hinreißend gelungenen Einspielung<br />
aller Balladen und Scherzi einmal<br />
etwas gründlicher <strong>auf</strong> das Werk selbst geblickt<br />
und den Staub des Gewohnten ganz<br />
sacht fortgeblasen hat. Er bleibt den Eruptionen,<br />
<strong>auf</strong> die einige dieser Stücke zudriften,<br />
pianistisch nichts schuldig, aber mehr<br />
noch interessieren ihn die Beleuchtungswechsel<br />
<strong>der</strong> dramaturgischen Nahtstellen.<br />
Den Übergang zum Kin<strong>der</strong>lied-Mittelsatz<br />
des ersten Scherzos hat man lange<br />
nicht mehr so delikat und zugleich erwartungsgespannt<br />
hören können. Auch <strong>der</strong><br />
sich <strong>auf</strong>stauende Jubel vor <strong>der</strong> Coda des<br />
cis-Moll-Scherzos leuchtet geradezu vor<br />
Schönheit und Glück. Vielleicht sind diese<br />
›schönen Stellen‹ – man könnte noch<br />
einige nennen – gerade darum so magisch<br />
unter Glemsers Händen, weil er eigentlich<br />
immer ihren erzählerischen Sinn <strong>auf</strong>zeigt.<br />
In dieser Hinsicht krönt seine Version<br />
<strong>der</strong> zweiten Ballade die Produktion.<br />
Er begnügt sich nicht damit, zwei Aggregatzustände<br />
des Musikalischen zu kreieren,<br />
ein Andantino, zerbrechlicher und<br />
frösteln<strong>der</strong> als selbst bei Moravec, und<br />
ein Presto in glühendem Delacroix-Pinselstrich.<br />
Er spürt auch den rätselhaften<br />
Wechselwirkungen <strong>der</strong> Kräfte nach, und<br />
selten wohl war eine exakt ausgezählte<br />
Achtelpause ganz am Ende sprechen<strong>der</strong>:<br />
Wie ein Totenglöckchen fällt <strong>der</strong> monotone<br />
Andantino-Rhythmus – seltsam Ra-<br />
vels »Gibet« vorausahnend – dem form-<br />
losen Toben <strong>der</strong> Coda geradezu ins Wort<br />
und bringt es zum Schweigen. Ein großer<br />
Chopin-Moment. Könnte man die Kraft<br />
sorgsam ausgeleuchteter Details besser<br />
beweisen? Matthias Kornemann<br />
Diverse<br />
LETTERE AMOROSE<br />
Kožená, Private Musicke, Pitzl<br />
DG/Universal 477 8764<br />
(61 Min., <strong>auf</strong>gen. 9 & 10/2009)<br />
Magdalena Kožená ist immer mal wie-<br />
<strong>der</strong> für eine Überraschung gut. und nach-<br />
dem es in <strong>der</strong> Vergangenheit bei ihr lei<strong>der</strong><br />
auch manchmal fragwürdige Surprisen<br />
gegeben hat, sind wir froh, jetzt mit ei-<br />
ner richtig tollen konfrontiert zu wer-<br />
den: Die Sängerin hat sich erneut <strong>auf</strong> ihre<br />
Wurzeln im Bereich <strong>der</strong> Alten Musik be-<br />
sonnen und konnte ihr Label von einem<br />
CD-Programm mit ebensolcher Musik<br />
überzeugen. Es handelt sich bei den ein-<br />
gespielten Stücken weitgehend um früh-<br />
barocke Monodien, begleitet von einem<br />
üppigen Aufgebot kompetent zum Klingen<br />
gebrachter Continuo-Instrumente<br />
– ein Lob bei dieser Gelegenheit <strong>auf</strong> die<br />
kreativen Instrumentalisten von Private<br />
Musicke. und Magdalena Kožená schafft<br />
es, die sensationell-skandalöse Note, die<br />
dieser von den konservativen Theoretikern<br />
›verbotenen‹ Musik zur Zeit ihrer<br />
Entstehung anhaftete, auch für den<br />
heutigen Hörer noch mehr als nur erahnbar<br />
werden zu lassen. Das gelingt ihr<br />
<strong>auf</strong> dem Wege einer höchst intensiven<br />
und sehr stark am Wort und seiner Aussage<br />
orientierten Darbietung dieser Musik<br />
– womit sie auch hinsichtlich des eigentlichen<br />
historischen Anliegens dieser<br />
neuen Stilistik <strong>der</strong> ›seconda pratica‹ genau<br />
ins Schwarze trifft: Es geht um eine ganz<br />
neuartige Form des Ich-Ausdrucks; ein<br />
Individuum berichtet mit großer emotionaler<br />
Geste von elementaren Erfahrungen<br />
mit Liebe, Schmerz, Verzweiflung, Tod<br />
und ähnlichem. Die pure Schönheit und<br />
Expressivität von Magdalena Koženás<br />
Gesang fasziniert und bewegt den Hörer<br />
dieser CD. und das war zumindest<br />
für den Autor dieser Zeilen vor vielen Jah-<br />
1/2011 RONDO 27