3.500 Abende auf der Bühne - Rondo
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Das Opernhaus des dänischen Architekten Jørn Utzon ist nach wie vor das<br />
Wahrzeichen von Sydney, das Gebäude wurde 2007 zum UNESCO-Welterbe<br />
daneben gibt es auch noch die 1999 eröffnete recital Hall mit einer ausgezeichneten<br />
Akustik zu entdecken, in <strong>der</strong> fast täglich hochrangige Kammermusik<br />
stattfindet – wenn das <strong>der</strong>zeit erfolgreichste ensemble des Kontinents,<br />
das fabelhafte Australian Chamber Orchestra, in Sydney Station<br />
macht, gastiert es hier und füllt jedes Mal locker das 1250-Plätze-Haus.<br />
Das ist ein vielfältigeres Klassik-Angebot, als etliche an<strong>der</strong>e Metropolen<br />
zu bieten haben. Aber vielleicht ist gerade das <strong>der</strong> Grund für die überschwängliche<br />
begeisterung, die die Philharmoniker hier auslösen. Dass sie<br />
hier <strong>auf</strong> ein Publikum treffen, das genau weiß, was es da bekommt – nämlich<br />
einen Sound, wie ihn <strong>der</strong>zeit wohl weltweit kein an<strong>der</strong>es Orchester<br />
Simon rattle<br />
AUStrALIen OHne KÄnGUrUS<br />
Konnte vom australischen Fisch<br />
gar nicht genug bekommen<br />
RONDO: Sir Simon, bei den Philharmoniker-Konzerten<br />
in Sydney<br />
schien etwas beson<strong>der</strong>es in <strong>der</strong> Luft<br />
zu liegen – eine Spannung, als hätten<br />
die Leute Jahrzehnte <strong>auf</strong> diesen<br />
Augenblick gewartet. Wie empfanden<br />
Sie das <strong>auf</strong> dem Podium?<br />
Simon Rattle: Hier muss wohl gerade<br />
Vollmond gewesen sein – das<br />
war ein echtes Vollmond-Publikum,<br />
auch was den Lärmpegel während<br />
<strong>der</strong> Konzerte anging. Das war eine<br />
spezielle erfahrung. nicht so wie in<br />
berlin, wo einem die Huster manchmal<br />
zeigen, dass das Publikum mit<br />
einem Werk Probleme hat. es war<br />
ganz an<strong>der</strong>s: Das Publikum hat einfach noch nicht gelernt, leise zu sein,<br />
aber dennoch war die Konzentration enorm. Und gleichzeitig haben<br />
wir sofort die Herzlichkeit und die Offenheit gespürt, die uns hier entgegengebracht<br />
wurden.<br />
RONDO: Wenn man sich das tägliche Leben in Australien anschaut, hat<br />
man allerdings nicht den eindruck, dass klassische Musik eine große<br />
rolle spielt.<br />
Rattle: natürlich sind wir keine football Player, deshalb waren wir ja<br />
auch so überrascht über den empfang, den uns die Australier bereitet<br />
haben. Aber es kommt nicht nur dar<strong>auf</strong> an, die Masse zu begeistern, als<br />
Solti und sein Chicago Symphony Orchestra hier Mahler gespielt haben,<br />
war das auch ein riesenerfolg. Doch für ein paar Dutzend Menschen<br />
war es mehr: ein erlebnis, das ihr ganzes Leben von Grund <strong>auf</strong> verän-<br />
hinkriegt. Denn fast wirkt es, als hätten sich rattle und seine berliner die<br />
fernreise im eigens gecharterten Luxus-Jumbo als belohnung für das gegönnt,<br />
was sie in den letzten Jahren zusammen erreicht haben.<br />
In Sydneys Opernhaus, dessen großer Konzertsaal akustisch durchaus<br />
<strong>der</strong> berliner Philharmonie ähnelt, zeigen die Philharmoniker das ergebnis<br />
<strong>der</strong> letzten acht Jahre Umbauarbeit: Der makellose, hell schimmernde<br />
Kara jan-Sound, den Kritiker bereits verloren wähnten, ist nicht nur wie<strong>der</strong><br />
da, er ist sogar noch geschmeidiger geworden. Hauchzarte, schwerelose<br />
Pianissimo-töne <strong>der</strong> Streicher in Mahlers »titan«, organisches, warmes<br />
Strömen bei brahms’ Zweiter, den geschliffenen Kristall-ton für bergs Jugendstil-eisblumen<br />
und die trockenen Pointen für eine Haydn-Sinfonie –<br />
die Philharmoniker können jetzt mit rattle einfach alles. Und die nächsten<br />
Orchester, die nach Australien kommen, werden es nicht einfach haben.<br />
<strong>der</strong>t hat. Das ist genauso wichtig – ich denke da an mein eigenes Urerlebnis,<br />
als ich zum ersten Mal mit ende 20 die Wiener Philharmoniker<br />
hörte. Das hat meine Idee von Klang völlig verän<strong>der</strong>t und mir zum ersten<br />
Mal die Idee von Musik als einer Wellenbewegung vermittelt. Und<br />
vielleicht ist uns hier ja auch so etwas gelungen.<br />
RONDO: Sie sind jetzt acht Jahre an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> berliner Philharmoniker.<br />
Klingt das Orchester jetzt so, wie Sie es sich 2002 vorgenommen<br />
hatten?<br />
Rattle: ein Orchester dieser Qualität entscheidet letztlich selbst, in welche<br />
richtung es sich entwickelt. Das ist wie ein großer fluss, <strong>der</strong> sich seinen<br />
Weg bahnt. Da schwimme ich mit wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e auch. Wenn ich<br />
manchmal mit geschlossenen Augen bei einem Philharmoniker-Konzert<br />
im Publikum sitze, denke ich an diese unglaublichen fischschwärme <strong>auf</strong><br />
den Malediven: An einem guten Abend spüre ich da das gleiche organische<br />
Gefühl für die gemeinsame bewegung, bei <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> einzelne<br />
Spieler völlig in <strong>der</strong> Gruppe <strong>auf</strong>löst und man nur noch die pure Musik<br />
als große Welle wahrnimmt. Und gleichzeitig kommen dann von einzelnen<br />
Spielern spontan im Konzert Dinge, denen die ganze Gruppe<br />
völlig organisch folgt. So etwas zu lernen braucht natürlich Zeit. Dazu<br />
muss man sich kennen und einan<strong>der</strong> vertrauen.<br />
RONDO: Welche eindrücke nehmen Sie aus Australien mit?<br />
Rattle: Das Licht! Und <strong>der</strong> fisch! Leute, esst fisch, wenn ihr hier seid!<br />
An unserem ersten Abend in Sydney habe ich hier so gut gegessen wie<br />
nur ganz selten in meinem Leben. Das war <strong>auf</strong> seine Art genauso eine<br />
Kunstausstellung wie die fotos von Annie Leibowitz, die ich mir hier angeschaut<br />
habe, weil ich in berlin nicht dazu gekommen bin. Verrückt!<br />
RONDO: Und die Kängurus? Die Koalas?<br />
Rattle: We<strong>der</strong> noch. Magdalena hat mich schon gefragt: »Soll das heißen,<br />
Du hast die ganze reise gemacht, ohne ein einziges Känguru o<strong>der</strong> einen<br />
Koala zu sehen?« Aber es hat sich einfach nicht ergeben. Auch weil ich<br />
hier alte freunde und Verwandte besucht habe, die das nicht für so wichtig<br />
hielten. ein Venezianer bringt einen ja auch nicht zum taubengucken<br />
<strong>auf</strong> den Markusplatz. Aber das hole ich beim nächsten Mal nach!<br />
Mit über 3,5 Millionen Einwohnern ist Sydney nicht nur die größte Stadt Australiens, son<strong>der</strong>n auch ein beliebtes Touristenziel. Will man den Darling<br />
Harbour (l.) besichtigen, nimmt man am besten die Monorail (M.). Einen solchen Blick (r.) <strong>auf</strong> Harbour Bridge und Opernhaus bietet sie allerdings nicht<br />
1/2011 RONDO 35