22.02.2013 Aufrufe

Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell

Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell

Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

zustimmten. Diese forderten auch „die Integration der hier<br />

heimisch gewordenen Ausländer“ unter Erhalt deren eigener<br />

Kultur, also ohne Forderungen zur Aufgabe deren eigener Kultur<br />

zu stellen. 34<br />

Offensichtlich gab es massive Widerstände im Land Bremen<br />

gegen diese Politik der Vertreibung, denn im Juni 1984 sah<br />

sich die Bremische Bürgerschaft gezwungen, eine zweitägige<br />

Anhörung durchzuführen. Die „Nordsee-Zeitung“ berichtete<br />

über die Anhörung folgendermaßen: „Hilflos und zwischen<br />

zwei Stühlen plaziert: So fühlten sich die sogenannten ‚Gastarbeiter‘<br />

durch das neue Rückkehrhilfegesetz der Bundesregierung<br />

in die Enge getrieben. Eben dieses Gesetz stand am<br />

zweiten Tag der Ausländer-Anhörung im Plenarsaal der Bremischen<br />

Bürgerschaft (Landtag) zur Debatte. Immer wieder<br />

wurde von den Anzuhörenden die Frage aufgeworfen, ob die<br />

Rückkehrförderung nicht eher einer Abschiebung gleichzusetzen<br />

sei. In diesem Zusammenhang sprach die Vertreterin der<br />

Institution ‚Haus der Familie‘ sogar von einer ‚Kopfprämie‘, die<br />

als Existenzgrundlage für ausländische Mitbürger nicht ausreiche<br />

und menschenunwürdig sei.<br />

Während der umfassenden Debatte wurde deutlich, daß<br />

besonders für zurückkehrende Türken und Griechen der ‚Zug<br />

in ihr Heimatland abgefahren‘ sei. Nur selten würden diese<br />

Heimkehrer wieder richtig Fuß fassen. Vertreter der evangelischen<br />

Kirche und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)<br />

lehnten es sogar grundsätzlich ab, daß Ausländer auf diese Art<br />

und Weise zur Heimkehr veranlaßt werden sollen.“ 35<br />

<strong>Migranten</strong> fühlten sich von dem neuen Gesetz unter <strong>Dr</strong>uck<br />

gesetzt und mit ihren Problemen allein gelassen. Der Artikel<br />

der „Nordsee-Zeitung“, aus dem hier zitiert wurde, fährt dann<br />

fort: „Das oberflächlich verlockende Angebot der Rückkehrhilfe<br />

lasse viele an eine freiwillige Heimkehr denken. Ihre Kinder<br />

jedoch seien zum Teil in der Bundesrepublik geboren und in<br />

diese Gesellschaft auch hineingewachsen. [...] Reise eine ausländische<br />

Familie jedoch nicht mit Kind und Kegel ab, verlösche<br />

auch der Anspruch auf Rückkehrhilfe. Die Summe von<br />

10 500 Mark, die nach dem Rückkehrförderungs-Gesetz jedem<br />

Ausländer gezahlt wird, wenn er freiwillig das Land mit<br />

seiner Familie verläßt, ist nach Meinung vieler ausländischer<br />

Arbeitnehmer im Vergleich zu den bereits erworbenen Sozialansprüchen<br />

nicht annehmbar. Seit zehn Jahren zahle er nun<br />

350 Mark Rentenbeitrag pro Monat, sagte ein Teilnehmer der<br />

Anhörung, und dann soll er mit 10 500 Mark abgespeist werden?“<br />

In den Jahren 1989 bis 1992 stieg die Zuwanderung nach<br />

Deutschland trotz Anwerbestopp und Rückkehrförderung<br />

durch Familienzusammenführung und Asylsuchende wieder<br />

stark an. 36 Gleichzeitig hatte sich die Stimmung, auch geschürt<br />

durch politische Wortmeldungen, diskriminierende und rassistische<br />

Darstellungen von Ausländern und insbesondere des<br />

Islam in den Medien 37 , in der Bevölkerung gegen die Migrantinnen<br />

und <strong>Migranten</strong> verschlechtert. Der Migrationshistoriker<br />

Klaus J. Bade sieht die zunehmende Aggressivität gegenüber<br />

Ausländern in Deutschland in der Konstellation einer trotz<br />

Anwerbestopp relativ ungehemmten Zuwanderung, einer Regierung<br />

und Opposition, die die jeweilige andere Seite des<br />

Versagens bezichtigten, aber nicht die Kraft zur politischen<br />

Lösung der Tatsache fanden, dass Deutschland schon lange<br />

ein Einwanderungsland geworden war, von Politikern und Medien<br />

in Umlauf gebrachte Vorurteile gegen Asylbewerber. 38<br />

Die Pogromstimmung durch Anschläge gegen <strong>Migranten</strong>familien<br />

und Asylunterkünfte in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen,<br />

Mölln und Solingen zwischen 1991 und 1993 war letztlich<br />

auch im selben Jahr noch in Bremerhaven angekommen.<br />

Schon fragten sich türkische Kinder im Evangelischen Sozialzentrum<br />

Finkenstraße: „Wird unser Haus nun auch angezündet?“<br />

39 Die „Nordsee-Zeitung“ berichtete unter dieser Überschrift<br />

von einer Stadtteilkonferenz, nach der Verstörung und<br />

Angst unter türkischen und deutschen Familien vor jugendlichen<br />

Gewalttätern in Grünhöfe herrschten.<br />

In Bremerhaven dominieren nach einer in den 1980er Jahren<br />

eher auf Vertreibung ausgerichteten Politik in den 1990er Jahren<br />

und bis heute anhaltend die Integration befördernden<br />

Initiativen in Pädagogik und Kultur. Sozial engagierte Pädagogiken<br />

verschiedener Ansätze fördern <strong>Migranten</strong> bei der Integration<br />

und sensibilisieren generell Bürgerinnen und Bürger,<br />

Einheimische wie <strong>Migranten</strong>, für Diskriminierung und Rassismus.<br />

Die Ansätze sind unterschiedlich und vielfältig. Der 1988<br />

eröffnete Kulturladen Grünhöfe bietet in Kooperation mit dem<br />

Solidaritätsverein Alphabetisierungskurse für <strong>Migranten</strong> an,<br />

Beratungen zu Rechtsfragen, Übersetzungsservice, Sprachkurse,<br />

Auslandsreisen, PC-Kurse für <strong>Migranten</strong>. 40 Der Solidaritätsverein<br />

ist unter dem Vorsitzenden Remzi Cengiz eine<br />

Selbsthilfeorganisation, die sich insbesondere um türkische<br />

Menschen kümmert und sehr erfolgreich integrative Seniorenarbeit<br />

leistet. Ergänzt wird das pädagogische Konzept<br />

durch Kulturveranstaltungen wie mit dem türkischen Frauen-<br />

Kabarett vom Kölner Arkadas-Theater 41 oder einem internatio-<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!