Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell
Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell
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„Die Wohnung“ ist eine wichtige Anlauf- und Kontaktstelle für<br />
die Bewohner in diesem sozialen Brennpunkt. Die Einrichtung<br />
bietet zwanglose Gesprächstreffen, Informationen, Beratungen,<br />
unbürokratische Hilfen, die Begleitung und Unterstützung<br />
von Familien, Kinder- und Erwachsenengruppen an. „Die<br />
langjährige und kontinuierliche Arbeit und des täglichen Miteinanders<br />
ließen eine Nähe zu den dort lebenden Anwohnern<br />
entstehen, die es ermöglicht, auf einer vertrauensvollen Ebene<br />
Kontakt zu den bekanntermaßen nicht leicht zugänglichen<br />
Menschen zu finden und damit Voraussetzungen für eine<br />
präventive Sozialarbeit zu schaffen. Die Mitarbeiter der ‚Wohnung‘<br />
haben dadurch die Chance, die Lebenssituation der<br />
Bewohner besser zu verstehen, ihre Benachteiligung zu erleben,<br />
ihre Bedürfnisse zu erfahren und durch diese Kenntnisse<br />
notwendige Veränderungen gemeinsam zu erkennen und<br />
umzusetzen, wichtige Voraussetzungen einer auf Integration<br />
und Akzeptanz orientierten Sozialarbeit.“ 53 Eine weitere<br />
pädagogische Ergänzung dieses Konzeptes bietet in unmittelbarer<br />
räumlicher Nähe der orientalisch gestaltete Kinderspielplatz.<br />
54<br />
Die Sozialeinrichtung „Die Wohnung“ und der Kulturladen<br />
Wulsdorf veranstalteten multikulturelle Feste wie die „Nacht<br />
der Lichter“ auf dem „Märchenspielplatz aus 2001 Nacht“.<br />
Dabei war es Manfred Klenner, dem Leiter der Sozialeinrichtung,<br />
und Jochen Hertrampf, dem Leiter des Kulturladens,<br />
gelungen, „die Wohnbevölkerung aktiv in die Planung und<br />
Durchführung dieses quartierbezogenen Festes einzubeziehen“.<br />
55<br />
In Antirassismus-Projekten fördert die Lehrerin Anne<br />
Schmeckies seit langem in den Kaufmännischen Lehranstalten<br />
über die künstlerische Kreativität auch die Sensibilität für<br />
Rassismus und Diskriminierung, ein nachhaltiger Beitrag,<br />
beide Phänomene zu bekämpfen. 56 In Kooperationsprojekten<br />
mit Künstlern und anderen Pädagogen gibt die Schulpädagogin<br />
Sabine Wilcken wie viele andere Lehrerinnen und Lehrer<br />
auch den <strong>Migranten</strong>kindern ihrer Klassen beispielsweise in<br />
ihrem pädagogisch sehr anspruchsvollen Deutschunterricht<br />
vielfältige Hilfen zur Integration. Beleg dafür sind die Texte der<br />
türkischen und deutschen Kinder ihrer vierten Klasse zum<br />
Krieg im Irak. 57 Gleichzeitig fördert sie unter den inländischen<br />
Kindern die Bereitschaft, diese Integration als Bereicherung zu<br />
erkennen und sich solidarisch zu verhalten. 58<br />
Die Frage nach der Integration wäre sicherlich für die verschiedenen<br />
Nationalitätengruppen unterschiedlich zu beant-<br />
worten. Während die Italiener als völlig integriert in die deutsche<br />
Kultur und Gesellschaft gelten, wird doch eine größere<br />
Distanz zwischen Deutschen und Türken festgestellt. Außerdem<br />
scheint auch innerhalb der Nationalitäten eine genauere<br />
Analyse nötig. Offensichtlich bedarf es aber auch eines Blicks<br />
mit größerer emotionaler Distanz zu einem weit verbreiteten<br />
deutschen Schuldkomplex, wie ihn eine Soziologin und Volkswirtin<br />
türkischer Herkunft einnimmt und den Fokus bei der<br />
Frage nach der Verantwortung für ein Scheitern der Integration<br />
mehr auf die eigenen Landsleute richtet. Für Necla Kelek<br />
ist es jedenfalls eindeutig eine Mehrheit von integrationsunwilligen<br />
Türkinnen in Deutschland, die das Problem für ein<br />
Misslingen der Integration darstellen. 59 „Wir brauchen die<br />
Deutschen nicht, hat mir die seit vielen Jahren hier lebende<br />
‚Importbraut‘ Shayize gesagt“ 60 , ist als ein ernüchterndes<br />
Resümee in dieser Beziehung zu lesen.<br />
Inzwischen sind 50 Jahre seit dem Anwerbevertrag mit Italien<br />
vergangen. Unter den circa 117 700 (Stand Juli 2004) Bremerhavenerinnen<br />
und Bremerhavenern leben heute ungefähr<br />
12 500 Migrantinnen und <strong>Migranten</strong> oder Menschen mit<br />
Migrationshintergrund und der zweiten und dritten Generation.<br />
Der Ausländeranteil im Jahre 2000 beträgt in Bremerhaven<br />
10,2 %. 61 Viele <strong>Migranten</strong> arbeiten immer noch in den<br />
Fischfabriken im Fischereihafen und auf den allerdings viel<br />
weniger und kleiner gewordenen Werften oder in der Baubranche,<br />
inzwischen aber auch in ihren eigenen Firmen der<br />
Dienstleistungs- und Informationsbranche, im Handwerk, einige<br />
wenige auch in Zukunftsbranchen wie dem Containerhafen<br />
und dem Flugzeugbau bei AIRBUS in Nordenham. Aber viele<br />
sind inzwischen auch arbeitslos. Während die Arbeitslosenquote<br />
im Jahre 1999 im Land Bremen für die Deutschen<br />
bei 14,3 % lag, betrug sie im selben Jahr bei den Ausländern<br />
29,5 %. 62<br />
Im Sinne von Max Frischs Diktum „Wir riefen Arbeitskräfte<br />
und es kamen Menschen“ stellen sich in diesem Buch 15<br />
Migrantinnen und <strong>Migranten</strong> vor und erzählen ihre persönlichen<br />
Migrationsgeschichten. Ziel des Buches ist es, jene Bremerhavenerinnen<br />
und Bremerhavener zu Wort kommen zu<br />
lassen, die ansonsten immer noch auch in der stadthistorischen<br />
Forschung und in der musealen Stadtgeschichtsdarstellung<br />
nicht vorkommen. So wird beispielsweise in keinem<br />
der Museen am Ort die Geschichte der Arbeitsmigration nach<br />
Bremerhaven in den Ausstellungen thematisiert. Während<br />
üblicherweise, wenn Integration gefordert wird, damit Forde-<br />
19