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Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell

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50 Jahre Arbeitsmigration in Bremerhaven<br />

Wanderung<br />

„Migration, das Wandern von Menschen und Gütern, ist keine<br />

neue Erscheinung. Immer wieder und unvermeidlich sind<br />

Menschen gereist, umgezogen, ausgewandert.“ 2 Wer wüsste<br />

das besser als die Bremerhavenerinnen und Bremerhavener,<br />

wanderten doch viele Menschen mit der Stadtgründung 1827<br />

nach Bremerhaven, um sich am Bau des neuen Bremer<br />

Hafens und dem sich damit entwickelnden Handel zu beteiligen.<br />

Darüber hinaus ist die Gründung der Stadt auch eng mit<br />

der bald einsetzenden millionenfachen überseeischen Auswanderung<br />

über den Bremer Hafen verbunden. Ebenfalls nicht<br />

unbekannt ist das Phänomen der saisonalen Arbeitsmigration<br />

von vielen insbesondere jungen Frauen aus dem Ruhrgebiet<br />

und vom Niederrhein, die während der Heringsfangsaison<br />

nach Bremerhaven zur Arbeit in der Fischwirtschaft kamen,<br />

oder das Phänomen der saisonalen Hollandgänger in früherer<br />

Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts aus dem Königreich Hannover<br />

und der Hansestadt Bremen, die in der holländischen<br />

Landwirtschaft, im Torfabbau oder Walfang arbeiteten. 3<br />

Neben die Auswanderung über und die saisonale Arbeitsmigration<br />

nach Bremerhaven, die Emigration aus der Region um<br />

Lehe, Geestendorf, Wulsdorf, Weddewarden und aus dem<br />

umliegenden Niedersachsen bzw. Königreich Hannover nach<br />

Holland tritt vor 50 Jahren die Wanderung ausländischer<br />

Menschen zum Zweck der ganzjährigen Arbeit nach Bremerhaven<br />

hinzu, aus der dann später großteils, wie wir erst aus<br />

der Retrospektive wissen, eine Einwanderung und ein Verbleib<br />

auf Dauer wurde.<br />

Welche Motive hatten diese Menschen zu migrieren, und<br />

warum führte sie der Weg ausgerechnet nach Bremerhaven?<br />

In lebensgeschichtlichen Gesprächen, die der Autor mit 15<br />

Migrantinnen und <strong>Migranten</strong> geführt hat, wurde danach<br />

gefragt, wie die Anwerbung erfolgte, wie diese Reise damals<br />

stattfand, wie sich der Empfang in Bremerhaven darstellte. Mit<br />

welchen Ängsten, Freuden, Erwartungen startete man den<br />

Neubeginn? Wie gestalteten sich die Arbeit und das Leben in<br />

der Fremde, mit welchen Erfolgen und Frustrationen waren sie<br />

verbunden? Welche Berufs- und Lebensbiografien und individuellen<br />

Strategien entwickelten sich daraus? Wie gestaltete<br />

sich das Alltagsleben in der Stadt, und welche Zukunftsperspektiven<br />

ergaben sich daraus? Die subjektive Perspektive,<br />

der Blick und die Interpretationen der Migrantinnen und<br />

<strong>Migranten</strong> selber, das Aufzeigen der Widersprüche in den<br />

Lebensstrategien und in ihren persönlichen Anschauungen<br />

stellen den Mittelpunkt der Gespräche dar. Mit dieser Publikation<br />

soll auch ein erster Ansatz gemacht werden, eine Lücke<br />

in der Stadtgeschichtsforschung Bremerhavens zu schließen.<br />

Staatsverträge, der Beginn und die kurze Zeit<br />

der Anwerbung<br />

Am 22. Dezember 1955 wurde das bilaterale Abkommen zwischen<br />

Deutschland und Italien über die Anwerbung von<br />

Arbeitsmigranten und -migrantinnen abgeschlossen. Italiens<br />

Politik setzte zur Unterstützung der wirtschaftlichen Krisenregionen<br />

Süditaliens und Siziliens große Hoffnungen in die<br />

Beschäftigung von einheimischen <strong>Migranten</strong> in Deutschland.<br />

Aber auch der damalige Bundeswirtschaftsminister, Ludwig<br />

Erhard, sah keine nach oben gesetzte Grenze für die Zahl italienischer<br />

Arbeitsmigranten insbesondere in der bundesdeutschen<br />

Bau- und Landwirtschaft. 4 Man prognostizierte, dass,<br />

bei Anhalten der positiven wirtschaftlichen Entwicklung sowohl<br />

in Deutschland allgemein als auch in Bremerhaven speziell,<br />

der Bedarf an zukünftig nötigen Arbeitskräften nicht<br />

mehr ausschließlich durch inländische Arbeiter und Arbeiterinnen<br />

zu decken sein würde. 5 Auch die zurückgekehrten<br />

Kriegsgefangenen und die vom Arbeitsmarkt aufgenommenen<br />

Flüchtlinge würden dann dafür nicht mehr ausreichen.<br />

In den ersten Jahren nach Abschluss dieses Abkommens und<br />

dieser optimistischen Prognosen war der Bedarf an Arbeitsmigranten<br />

jedoch zunächst noch gering. Bis 1959 waren weniger<br />

als 50 000 Italiener nach Deutschland gekommen. 6 Erst die<br />

Vollbeschäftigung Anfang der 1960er Jahre und der Mauerbau<br />

1961 ließen die Nachfrage nach Arbeitskräften aus den südeuropäischen<br />

Ländern und der Türkei schnell ansteigen.<br />

Dem ersten Abkommen 1955 folgten deshalb 1960 Verträge<br />

mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, mit Portugal<br />

1964 und in den folgenden Jahren bis 1968 weitere mit<br />

Jugoslawien und anderen Ländern. Damit begann die Zuwan-<br />

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