Migranten fuer PDF - Dr. Burkhard Hergesell
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echt?] Überall, wo ich hinhör, [ja?] über Russen und Polen.<br />
Wirklich! Diskotheken zum Beispiel: ‚Oh, da sind ja nur Russen<br />
und Polen.’ Gab’s Schlägerei: Wieder die Russen. Bestimmt<br />
Russen oder Polen! Früher hat man immer gesagt, die Türken.<br />
Letztens hab ich auf der Fahrt zur Arbeit einen Arbeitskollegen<br />
angesprochen, ich sag: Es hat eine russische Diskothek eröffnet,<br />
da würde ich gerne mal hingehen! Mal gucken, wie das<br />
so ist. Was? [Er macht die empörte Reaktion nach.] Du spinnst<br />
doch! Da sind doch nur Russen! ‚Da würde ich doch niemals<br />
hingehen! Da gibt’s doch bestimmt Schlägerei und so!’ Ich<br />
sag: ‚Das kannst du doch gar nicht beurteilen! Du warst ja<br />
noch nie da!’ [Genau!] Aber immer solche Sachen.“ 128<br />
Soziale und kulturelle Integration<br />
Serdar Büyükkayikci würde von sich selber sagen, dass er es<br />
auf eine Art schwerer hatte als noch seine Eltern. Man hatte<br />
den Verhaltenserwartungen der eigenen Eltern, der türkischen<br />
Community in Bremerhaven und der Aufnahmegesellschaft<br />
gleichzeitig zu genügen. Damit waren Anpassungs- und Integrationsleistungen<br />
an mehrere Kulturen in Übereinstimmung<br />
zu bringen. „Also ich kann das jetzt für mich sagen, ich hab’s<br />
wirklich schwer gehabt. [...] Wir standen damals unter der<br />
Obhut unserer Eltern. Unsere Eltern, die haben eine ganz<br />
andere Mentalität gehabt. Und da mussten wir uns anpassen,<br />
an unsere Eltern und an die deutsche Gesellschaft, und da<br />
standst du zwischendrin, mittendrin!“<br />
Aber es waren nicht nur kulturelle Unterschiede, es konnte<br />
ebenso die eigene soziale Schichtzugehörigkeit zu Problemen<br />
führen. „Ich bin zur Schule gegangen. Meine Eltern wollten<br />
zum Beispiel nicht, dass ich auf Klassenfahrt gehe. Und bei<br />
Mädchen damals war das ja noch schlimmer. […] Die durften<br />
ja überhaupt nicht.“<br />
Frage: „Wovor hatten die Angst, die Eltern?“<br />
S. B.: „Wegen, also überwiegend wegen Schweinefleisch.“ (Er<br />
lacht.)<br />
Frage: „Ach so, na das kann ich natürlich verstehen. Naja,<br />
o. k.“<br />
S. B.: „Und bei Mädchen war das eben halt so ...“<br />
Frage: „Jungs?“<br />
S. B.: „... Jungs. Und jetzt hat sich das alles geändert! Jetzt bei<br />
der dritten Generation ...“<br />
Frage: „Waren Sie denn sauer, wenn Sie nicht mitdurften?“<br />
S. B.: „Klar!“<br />
130<br />
Frage: „Und haben die Lehrer dann drauf Rücksicht genommen<br />
und auch drauf geachtet, dass es eben kein Schweinefleisch<br />
gab? War das damals schon so in Deutschland, dass<br />
man darauf Rücksicht genommen hatte?“<br />
S. B.: „Jaja, doch, haben sie. Die haben das auch ... Meine<br />
Lehrer, die waren auch ein paar Mal bei meinen Eltern und<br />
haben gesagt: Ja, wieso nicht? Weshalb kommt der nicht?<br />
Aber wir waren damals zu dritt, also meine jüngste Schwester,<br />
die war ja noch gar nicht auf der Welt, aber drei Kinder zur<br />
Schule, ich weiß nicht. Vielleicht war es für meine Eltern auch<br />
nicht möglich, jetzt alle drei auf Klassenfahrt zu schicken und<br />
finanziell auch nicht. [...] Das muss man auch berücksichtigen.<br />
Und dadurch hat man auch, schätz ich mal, Schwierigkeiten<br />
gehabt, sich anzupassen oder mit den anderen jetzt besser in<br />
Kontakt zu kommen.“<br />
Frage: […] „Gab’s denn mit den Eltern Konflikte im Laufe der<br />
Jahre?“<br />
S. B.: „Ja, klar!“<br />
Frage: „Jetzt nicht nur wegen Schule oder was?“<br />
S. B.: „Wegen Schule, wegen Klamotten, wegen Ausgehen,<br />
wegen alles eigentlich.“<br />
Frage: „Und Ihre Schwestern, hatten die auch Konflikte mit<br />
Ihren Eltern?“<br />
S. B.: „Die hatten noch mehr Konflikte.“<br />
Frage: „Worüber die?“<br />
S. B.: „Ja, auch wegen Ausgehen, die durften ja sowieso nicht<br />
ausgehen, nein! Klamotten, und die konnten nicht das anziehen,<br />
was sie wollten. Also was weiß ich, Minirock oder irgendwie<br />
so was. Das war in unserer Zeit wirklich schlimm, sehr<br />
streng. Aber wenn man jetzt die türkischen Mädchen draußen<br />
sieht, die sind viel freizügiger.“<br />
Frage: „Und wie sehen Ihre Eltern das heute?“<br />
S. B.: „Die sehen das auch lockerer. [Aha.] Jaja. Die sehen das<br />
auch lockerer. Meine Nichte zum Beispiel, die wohnt unter<br />
mir, die ist jetzt 16, die ist auch freizügiger. Die kann anziehen,<br />
was sie will. Und meine Eltern, die haben auch nichts dagegen.<br />
Also, die sagen auch nichts. Die sehen das viel lockerer<br />
jetzt. Naja, die lernen auch dazu, sag ich mal, oder die passen<br />
sich auch langsam an.“<br />
Es waren nicht immer kulturelle Unterschiede, die eine Teilnahme<br />
an Schulaktivitäten verhinderten. Serdar nimmt an,<br />
dass bei drei Kindern auch die knappen Finanzen die Beteiligung<br />
an Klassenfahrten verhinderten.<br />
Serdar ist sich sicher darin, dass keine der beiden Seiten,