Festschrift - Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung
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einer außerordentlich unterschiedlichen Betrachtungsweise<br />
in den eigenen Reihen in<br />
der Frage, was man wohl unter schwer geistig<br />
behindert zu verstehen hat, letztlich nicht<br />
wundern, wenn unsere Ministerialbürokratie<br />
auf dem Standpunkt steht, bei uns kommen<br />
alle in die Werkstatt und die paar Schwachen<br />
müssen eben leider in die Anstalt, denn irgendwo<br />
muss schließlich eine Grenze sein.<br />
Ich glaube nicht an diese Grenze, vor allem<br />
aber glaube ich nicht an die, die diese Grenze<br />
festlegen wollen und da<strong>mit</strong> über das Schicksal<br />
einzelner <strong>Menschen</strong> entscheiden und urteilen.<br />
Ich glaube vielmehr noch an das Engagement<br />
und den Einsatzwillen des einzelnen<br />
Mitarbeiters, der sich der <strong>Lebenshilfe</strong>-Arbeit<br />
verschrieben hat, denn einzig die Leistungskraft<br />
und der Einsatzwille des Einzelnen <strong>für</strong><br />
den Schwächsten ist das Maß aller Dinge,<br />
nicht eine Richtlinie. Und ich kann nur an die<br />
appellieren, die schon eine gute Arbeit <strong>mit</strong><br />
schwer geistig Behinderten machen: Lassen<br />
Sie sich nicht herausdrängen aus den Einrichtungen,<br />
aus den allgemeinen Förderungsangeboten,<br />
nicht von Ihren Kollegen, die Sie<br />
geringschätzig, vielleicht auch bedauernd<br />
ansehen, weil Sie ja in deren Augen nicht<br />
pädagogisch, sondern nur pfl egerisch tätig<br />
sind, nicht von den Eltern, die am liebsten<br />
möchten, dass ihr nicht so schwer behindertes<br />
Kind ja nicht zusammen <strong>mit</strong> solch<br />
Schwachen in einem Haus oder gar in einer<br />
Gruppe betreut wird und schon gar nicht von<br />
einer Behörde, die die Arbeit <strong>mit</strong> mehrfach<br />
behinderten <strong>Menschen</strong> vom grünen Tisch<br />
aus beurteilt und Regeln da<strong>für</strong> aufstellt, als<br />
wenn man das Leben eines schwer geistig<br />
behinderten <strong>Menschen</strong> nach dem „man<br />
nehme-Prinzip“ regeln könnte.<br />
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir unsere<br />
geistig Behinderten nicht in mehrere Gruppen<br />
unterteilen dürfen, weil dies das Ende<br />
jeglicher humaner Behindertenpolitik wäre<br />
und mir ist dabei eines deutlich: wenn ich<br />
heute den Schwächsten in einer Gruppe unten<br />
18<br />
<strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> schweren <strong>Behinderung</strong>en gehören dazu!<br />
herausnehme, ist in derselben Sekunde der<br />
Nächstschwächste der Schwächste und morgen<br />
der nächste und übermorgen der übernächste<br />
usw. usw., bis wir im Krebsgang dort<br />
angelangt sind, wo wir vor zwanzig Jahren angefangen<br />
haben. Dann haben wir die Lernbehinderten<br />
in unseren Leistungsbetrieben, weil<br />
sie Umsatz machen und die geistig Behinderten<br />
sitzen zuhause oder in den Anstalten.<br />
Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie dies<br />
alles nicht wollen und deshalb bitte ich Sie<br />
alle, diese Mitgliederversammlung als den<br />
höchsten Souverain dieses Landesverbandes<br />
der <strong>Lebenshilfe</strong> <strong>für</strong> geistig Behinderte in Niedersachsen,<br />
mir zuzustimmen, dass wir keine<br />
besonderen Einrichtungen oder besondere<br />
Gruppen in „einem besonderen Gebäudeteil“<br />
<strong>für</strong> unsere schwer geistig Behinderten wollen,<br />
sondern dass wir alle unsere Behinderten<br />
in einer Gemeinsamkeit sehen wollen, dass<br />
wir auch die Schwachen in die allgemeinen<br />
Programme <strong>mit</strong>einbeziehen wollen, dass wir<br />
unter dem Decknamen Fördergruppe keine<br />
Isolierstationen wollen, in der die Schwachen<br />
und Schwächsten nur noch unter sich sind,<br />
kontaktarm und kontaktunfähig, antriebsarm<br />
und ohne jeden Anreiz, von einem anderen<br />
etwas dazulernen, vor sich hindösen und<br />
dadurch erst zum Pfl egefall werden, wenn<br />
sie`s nicht schon sind.<br />
Selbstverständlich müssen den speziellen Bedürfnissen<br />
entsprechend auch entsprechende<br />
Hilfen, auch spezielles und auch zusätzliches<br />
Personal angeboten werden, auch wenn das<br />
Geld kostet und auch, wenn das Geld knapp<br />
ist. Schließlich haben wir auch Geld, wenn es<br />
darum geht, neue Behörden und Ministerien<br />
zu bauen, neue Beamtenstellen zu schaffen,<br />
um neue Richtlinien, Verordnungen und Gesetze<br />
zu machen. Dann müsste es uns auch<br />
ein paar Mark wert sein, aus unseren schwer<br />
geistig Behinderten durch bestmögliche Hilfestellung<br />
neue <strong>Menschen</strong> <strong>mit</strong> einem neuen<br />
gesellschaftlichen Wert in dieser unserer<br />
Welt zu machen.