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interview<br />

Alternativen erlebbar<br />

machen<br />

Den meisten Menschen, die in ländlichen Regionen leben, fehlen<br />

Erfahrungen mit Alternativen zum eigenen Auto, sagt die deutsche<br />

Umweltwissenschafterin Melanie Herget.<br />

Frau Herget, Sie haben das Mobilitätsverhalten<br />

von Familien in ländlichen Regionen<br />

untersucht. Unterscheidet es sich<br />

grundlegend von dem in der Stadt?<br />

Familien besitzen in ländlichen Räumen<br />

durchschnittlich mehr Autos als<br />

in der Stadt. Sie legen mehr Wege zurück,<br />

davon mehr Wege mit dem Auto<br />

und insgesamt größere Entfernungen<br />

als Eltern in der Stadt. Interessant<br />

ist jedoch, dass die Zeit, die Eltern in<br />

ländlichen Räumen täglich unterwegs<br />

sind, trotzdem deutlich kürzer ist als<br />

die von Eltern in der Stadt.<br />

Welche Mobilitätstypen gibt es?<br />

Im Rahmen meiner Interviews habe<br />

ich fünf verschiedene Mobilitätstypen<br />

identifiziert: Da sind erstens diejenigen,<br />

die sich bei stark steigenden<br />

Kraftstoffpreisen am ehesten mit Verwandten<br />

und Bekannten ihre Autos<br />

und Fahrten teilen würden, und zweitens<br />

diejenigen, die sich ebenfalls eine<br />

gemeinschaftlichere Autonutzung gut<br />

vorstellen können, zur Not aber auch<br />

in städtischere Wohnlagen umziehen<br />

würden. Dann gibt es drittens Eltern,<br />

die sich als Alternative in erster Linie<br />

einen Umstieg auf Bahn oder Bus vorstellen<br />

können – allerdings nur, wenn<br />

das Angebot verbessert würde, es also<br />

mehr und direktere Verbindungen zu<br />

ihren üblichen Zielen gäbe. Aus dieser<br />

Gruppe erwägen als vierter Mobilitätstyp<br />

einige wenige einen Umzug<br />

in die Stadt, falls sich ein alltagstaugliches<br />

Angebot öffentlicher Verkehrsmittel<br />

nicht realisieren lassen sollte.<br />

Der fünfte Mobilitätstyp schließlich<br />

vcö-hintergrundgespräch<br />

Foto: Bernhardt Link<br />

Melanie Herget<br />

Die Umweltwissenschafterin (36)<br />

forschte an der Technischen Universität<br />

Berlin im Fachgebiet Integrierte<br />

Verkehrsplanung vier Jahre zum Thema<br />

Familienmobilität im ländlichen Raum.<br />

besteht aus Müttern und Vätern, die<br />

vermehrt auf Fahrrad oder Roller umsteigen<br />

würden, wenn die Kosten der<br />

Autonutzung zu hoch werden. Ob<br />

die Wahl dabei eher aufs Rad oder<br />

auf ein motorisiertes Kleinstfahrzeug<br />

fällt, hängt stark von der Fahrradinfrastruktur<br />

vor Ort und den zurückzulegenden<br />

Entfernungen ab.<br />

Empfinden Eltern in ländlichen Regionen<br />

ihre Abhängigkeit vom Auto als störend?<br />

Eltern, die bereits seit Generationen<br />

nur die Autonutzung kennen, empfinden<br />

ihre Abhängigkeit als ganz normal<br />

und keinesfalls als störend. Eltern<br />

dagegen, die zeitweise in der Stadt gelebt<br />

haben und ein dichtes Netz des<br />

Öffentlichen Verkehrs kennen, sind<br />

da durchaus kritischer. Wenn sich<br />

das Autofahren fest in die Routine<br />

eingeschrieben hat, wird nicht mehr<br />

hinterfragt. Nur wer eine höhere Verkehrsmittelvielfalt<br />

erlebt hat und eine<br />

hohe Umweltschutzbereitschaft äußert,<br />

empfindet Autoabhängigkeit als<br />

störend.<br />

Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Bevölkerung<br />

in der Region zur Veränderung<br />

ihres Mobilitätsverhaltens ein?<br />

In der Psychologie wird davon ausgegangen,<br />

dass die Bereitschaft zur Verhaltensänderung<br />

zunimmt, wenn sowohl<br />

die Wahrnehmung einer Bedrohung<br />

hoch ist als auch wirkungsvolle<br />

Möglichkeiten zur Bewältigung dieser<br />

Bedrohung gesehen werden. Daher<br />

vermute ich, dass die Bereitschaft zur<br />

Veränderung des Verkehrsverhaltens<br />

bei der Bevölkerung in ländlichen Regionen<br />

erst dann größer wird, wenn<br />

ihre Problemwahrnehmung durch<br />

stark und dauerhaft steigende Spritpreise<br />

deutlich zunimmt. Parallel dazu<br />

müssten die Menschen die Möglichkeit<br />

bekommen, positive Erfahrungen<br />

mit Alternativen zum eigenen Auto<br />

machen zu können. Diese Alternativen,<br />

ein Busangebot, Rufbusse und<br />

sichere Radwege zum Beispiel für Pedelecs<br />

auf weiteren Wegen abseits der<br />

stark befahrenen Landstraßen müssten<br />

überhaupt einmal existieren.<br />

> Das Interview führte Uta Linnert. Es erschien<br />

erstmals im fairkehr-<strong>Magazin</strong> des VCD.<br />

> Literaturtipp:<br />

„Umwelt- und familienfreundliche Mobilität im<br />

ländlichen Raum“, Projekt der TU Berlin.<br />

Download unter: www.verkehrsplanung.<br />

tu-berlin.de/ufmhandbuch.pdf<br />

Feine Luft statt Feinstaub<br />

Wie steht es um die Luftqualität in Österreichs Ballungsräumen?<br />

Welche Maßnahmen sind nötig, um Verbesserungen zu erzielen? Diesen<br />

und weiteren aktuellen Fragen widmete sich das <strong>VCÖ</strong>-Hintergrundgespräch<br />

„Feine Luft statt Feinstaub“. Von Loris Knoll<br />

Maßnahmen wie strengereAbgasvorschriften<br />

für Neuwagen<br />

haben die Luftqualität in den<br />

Ballungsräumen in den vergangenen<br />

Jahren verbessert.<br />

Dieser politische Erfolg zeigt,<br />

dass gesetzliche Vorschriften<br />

die Luftqualität verbessern können.<br />

Aus medizinischer Sicht ist das bisher<br />

Erreichte aber noch nicht genug.<br />

Vor allem das Problem der besonders<br />

gesundheitsschädlichen ultrafeinen<br />

Partikel (PM01, PM2,5) ist ungelöst.<br />

Manfred Neuberger vom Institut für<br />

Umwelthygiene an der MedUni Wien<br />

forderte mehr PM2,5­Messstellen.<br />

Auch Dieselruß dürfe nicht unterschätzt<br />

werden. „Dieselruß ist giftig<br />

im Frühling, im Sommer, im Herbst,<br />

und im Winter.“ Nur wenn gleichzeitig<br />

Stickoxide und Feinstaub reduziert<br />

werden, verbessert das die Gesundheit.<br />

Die verstärkte Kooperation über<br />

Stadt­ und Bundeslandgrenzen hinweg<br />

und der Ausbau des Öffentlichen Verkehrs<br />

sind Voraussetzungen, um die<br />

Verkehrsprobleme zu verringern und<br />

die Luftqualität zu verbessern. Laut<br />

Rüdiger Maresch von den Grünen<br />

Wien sei daher der Ausbau des Öffentlichen<br />

Verkehrs, insbesondere der<br />

S­Bahn, zu forcieren. Auch die Bevorrangung<br />

öffentlicher Verkehrsmittel<br />

sei notwendig und werde gemeinsam<br />

mit den Wiener Linien vorbereitet.<br />

Sylvia Leodolter von der Arbeiterkammer<br />

sieht den Öffentlichen Verkehr<br />

als Lösung, die Feinstaubprobleme<br />

zu bekämpfen, ohne die Mobilität<br />

der Menschen zu gefährden. Verbesserungen<br />

wären auch bei Flotten von<br />

Lieferverkehren und Taxis sinnvoll.<br />

Das <strong>VCÖ</strong>­Hintergrundgespräch<br />

zeigte, dass viele Verkehrsmaßnahmen<br />

auch den öffentlichen Raum wieder<br />

fairer verteilen. Andrea Schnattinger<br />

von der Wiener Umweltanwaltschaft<br />

schlug vor, die Verkehrsflächen an die<br />

realen Verkehrsanteile anzupassen, in<br />

Wien wären demnach 71 Prozent der<br />

vcö-magazin 2013-01<br />

Foto: www.weissphotography.at<br />

3<br />

verkehr in EUropa<br />

Kann Regionalpolitik für<br />

Erdölunabhängigkeit sorgen?<br />

Von Ulla Rasmussen,<br />

<strong>VCÖ</strong>-Verkehrspolitik<br />

Die Entwicklung in den ländlichen Regionen spielt bei zahlreichen<br />

politischen Zielen der Europäischen Union eine entscheidende<br />

Rolle. So beim Klimaschutz, der aufgrund der<br />

bisherigen Untätigkeit zur Anpassung an den Klimawandel<br />

wird, den Bemühungen um Effizienz in den<br />

Bereichen Energie und Ressourcen und schließlich<br />

demografische Veränderungen. Viele dieser<br />

Heraus forderungen haben auch verkehrspolitische<br />

Relevanz und machen es notwendig, die Erdölab-<br />

»Energiewende im Verkehr schaffen«<br />

hängigkeit des Verkehrs zu verringern. Dazu ist eine dezentrale<br />

Versorgung mit erneuerbarer Energie nötig. Da allerdings die<br />

wenigsten Menschen von Windrädern, Wasserkraftwerken<br />

oder Photovoltaikparks vor ihrer Haustür begeistert sind, ist<br />

zuerst eine gewaltige Reduktion des Energieverbrauchs nötig.<br />

Es sind in den Regionen jene Infrastrukturprojekte zu fördern,<br />

die zur Verkehrsvermeidung beitragen. Mit anderen Worten:<br />

keine neuen Autobahnen und Regionalflughäfen, sondern gezielter<br />

Ausbau des Öffentlichen Verkehrs und mehr Schienenanschlüsse<br />

für Betriebe in ländlichen Regionen.<br />

Unternehmen und Regionen, die öffentliche Fördermittel und<br />

Geld aus EU-Fördertöpfen erhalten, sollen dazu verpflichtet<br />

werden, Verantwortung für den umweltfreundlichen Vertrieb<br />

ihrer Produkte und für die Mobilität ihrer Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter zu übernehmen. Unternehmen sollen sich stark<br />

machen für die Anbindung ihres Standortes an öffentliche<br />

Verkehrsmittel und für Infrastrukturen, die bewegungsaktive<br />

Mobilität auf dem Weg zur Arbeit ermöglichen.<br />

Es braucht eine Regionalpolitik, die mit den Mitteln verantwortungsbewusst<br />

umgeht, den Energieverbrauch reduziert und<br />

regionale Kreisläufe stärkt.<br />

> Ihre Meinung an: ulla.rasmussen@vcoe.at<br />

Flächen frei von Autos. Sibylla Zech,<br />

TU Wien, erklärte, dass Mobilität<br />

nicht losgelöst von Siedlungspolitik<br />

gesehen werden dürfe. Eine Stadt der<br />

kurzen Wege ermöglicht es, zeit­ und<br />

kostensparend ans Ziel zu kommen.<br />

Neben einer Reform der Wohnbauförderung<br />

wurde auch mehrfach<br />

eine Änderung der Pkw­Stellplatzverpflichtung<br />

gefordert.<br />

„Die Luftqualität wird sich in<br />

den kommenden Jahren durch den<br />

Technologieaustausch verbessern“,<br />

prognostizierte <strong>VCÖ</strong>­Experte Markus<br />

Gansterer abschließend, „aber<br />

es braucht Maßnahmen, die das beschleunigen<br />

und sicherstellen.“<br />

Hintergrundgespräch:<br />

Sylvia Leodolter<br />

(AK Wien), Sibylla<br />

Zech (TU Wien),<br />

Christian Gratzer (<strong>VCÖ</strong>),<br />

Rüdiger Maresch,<br />

(Grüne Wien), Andrea<br />

Schnattinger (Wiener<br />

Umweltanwaltschaft),<br />

Markus Gansterer<br />

(<strong>VCÖ</strong>) und weitere<br />

interessierte und<br />

fachkundige Personen<br />

diskutierten über<br />

Maßnahmen zur<br />

Verbesserung der<br />

Luftqualität.<br />

> Zum Autor:<br />

Loris Knoll ist Zivildiener<br />

beim <strong>VCÖ</strong>.

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