Harro Segeberg, - Medienwissenschaft
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VIDEO UND VIDEOZITÄT<br />
Zur Archäologie einer medialen Konstellation<br />
Textvorlage zum Vortrag an der Universität Hamburg im Rahmen der Ringvorlesung Film<br />
im Zeitalter Neuer Medien I: Fernsehen und Video, 24. Oktober 2006<br />
Begriffsfindungen<br />
Videozität meint die technologischen Möglichkeitsbedingungen<br />
ästhetischer Wahrnehmung, also aisthesis medialis (um hier einen<br />
Buchtitel von Bernhard Dotzler und Ernst Müller (Hg.) zu<br />
zitieren).<br />
Mein Beitrag "Gibt es eine spezifische Videozität" im Band Video<br />
als mediales Phänomen argumentiert primär mit dem ästhetischen<br />
Informationmaß des verrauschten Videobilds. Der ästhetische Kern<br />
der Videozität liegt in der differentiellen Verstörung des<br />
ikonisch auf Glattheit zielenden Film-(und Fernseh-)bildes;<br />
Störung und Rauschen werden hier "nicht als Unglück, sondern als<br />
ästhetischer Glücksfall" erlebt 1 . Mein Kronzeuge für diese These<br />
ist Bill Viola frühes halbstündiges Videowerk mit dem treffenden<br />
Titel Information (USA 1973), das nichts als das weiße Rauschen<br />
eines Fernsehbilds selbst zeigt (und sich von daher so sehr<br />
selbst erklärt, daß ich es nicht als Bildzitat vorzuführen<br />
brauche; die Referenz ist vielmehr selbstredend in unserer TV-<br />
Vorstellungskraft prozessual nachvollziehbar, als<br />
Bildkopfschmerz).<br />
Vergessen wir nicht, Videotechnologie wurde zeitgleich zur<br />
mathematischen Theorie der Information entwickelt, die nicht von<br />
Text und Interpretation, sondern von einer gleichberechtigten<br />
signal-to-noise-ratio aller Kommunikationsakte ausgeht; darauf<br />
rekurrieren auch Steina & Woody Vasulka in ihrem Video<br />
Noisefields (1974).<br />
Demgegenüber stelle ich heute den spezifischen Zeitcharakter des<br />
Videobilds in den Vordergrund, denn im Unterschied zum Medium<br />
programmierter Zeit (Fernsehen also) entwickelt Video die seiner<br />
medialen Verfaßtheit eigene Zeitqualität - was<br />
überraschenderweise die Brücke fort vom Bild hin zum Ton schlägt,<br />
denn Video ist eine Funktion analog (wenngleich mit markanten<br />
Unteschieden) zur akustischen Signalprozessierung. Und ein und<br />
dasgleiche technische Dispositiv, das Magnetband, hat Tonband wie<br />
Video generiert.<br />
1 Wulf Herzogenrath, Der Fernseher als Objekt. Videokunst und Videoskulptur in vier<br />
Jahrzehnten, in: ders. u. a. (Hg.), TV-Kultur. Das Fernsehen in der Kunst seit 1879,<br />
Amsterdam / Dresden (Verlag der Kunst) 1997, 110-123 (113)
Künstler: die wahren Medienarchäologen von Video<br />
Der Schauplatz von Video ist die menschlich Physiologie. Hier<br />
werden die Sinne des Menschen im Sinne McLuhans massiert; auf<br />
dieser (medienarchäologischen) Ebene liegt die eigentliche<br />
Botschaft des Mediums Video. Kennzeichnend an sogenannten<br />
Videospielen, die nun in allgemeine Computerspiele übergegangen<br />
sind, ist die Reaktionsgeschwindigkeit, also kleinste zeitliche<br />
Momente der Handlung, nicht die emphatische Markozeit narrativer<br />
Dramaturgie.<br />
Hier spielen sich Entscheidungen in einem mikrozeitlichen Fenster<br />
namens Echtzeit ab - ein Zeitfenster, das gar nicht mehr als<br />
Erstreckung, sondern neurophysiologisch als Gegenwart empfunden<br />
wird.<br />
Heinrich von Kleist beschreibt es in Das Marionettentheater: den<br />
Bär auf dem Jahrmarkt, der proleptisch immer im Kampf mit<br />
Menschen gewinnt, weil er Zeit- und Reaktionsmomente der Bewegung<br />
immer einen kleinen Schritt vorausberechnet 2 . Zeitkritische<br />
Algorithmen in hochleistungsfähigen Computern tun dies aufgrund<br />
der Mathematik Norbert Wieners (Zeitreihenanalyse) operativ,<br />
unsinnlich - als "machinic instanciation of video viszualized<br />
feedback" 3 .<br />
Das Jahr 1963 gilt als das Geburtsjahr der Videokunst, genauer<br />
gesagt die Wuppertaler Ausstellung „Exposition of Music -<br />
Electronic Television“, hier noch ganz Fernsehen.<br />
1963 war es Nam June Paik, der nach einer Phase experimenteller<br />
Zusammenarbeit mit Karlheinz Stockhausen im Kölner Studio für<br />
elektronische Musik in der Wuppertaler Ausstellung Fernseher im<br />
Kunstkontext ausstellte. Das Exponat „Partizipation TV 1“<br />
ermöglichte es dem Besucher bei einem präparierten Fernseher die<br />
Bilder zu manipulieren. Man gab beispielsweise als Input ein<br />
Audiosignal über ein Mikrophon ein, welches dann einen Output in<br />
Form von Bildmustern auf dem Monitor lieferte.<br />
Paik war dann der erste Künstler, der sich eine 1965 von Sony auf<br />
den Markt gebrachte mobile Videoeinheit „Portapak“ kaufte. 1965<br />
gab es das Videosystem für den Privathaushalt, den Portapak von<br />
SONY: Fernsehen wurde mobil.<br />
2 Dazu der Vortrag von Stefan Rieger auf der Konferenz When Cybernetics meets<br />
Aesthetics, im Rahmen der Ars Electronica Linz 31. August 2006, veranstaltet vom Ludwig<br />
Boltzmann-Institut für Medien.Kunst.Forschung<br />
3 (Cornelius Borck, Vortag ebd.
1969 entwickelte Paik zusammen mit dem Techniker Shuya Abe den<br />
ersten Synthesizer, ein Gerät mit dem man in der Lage war ein<br />
künstliches Ton- und Bildsignal zu erzeugen, außerdem konnte<br />
bereits vorhandenes Material manipuliert werden;<br />
das audiovisuelle objet trouvé wird zum objet à manipuler in<br />
einer Weise, die grundsätzlicher, elementarer ist als die<br />
filmische Montage, denn hier kommt es zum Spiel mit dem atomaren<br />
Bildelementen selbst.<br />
Das zeitkritische Wesen des Video/TV-Bildes<br />
"Paik sieht in der Videotechnologie eine Imitation "der Zeit,<br />
nicht der Natur" - so pointiert gleich eingangs zitiert in:<br />
Maurizio Lazzarato, Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im<br />
Postfordismus. 4<br />
Die spezifische Video-Ästhetik liegt im Zeitcharakter von Video -<br />
einmal als Speichermedium, aber dann auf Mikrozeitebene als<br />
Existenz des elektronischen Bildes aus Zeit.<br />
Eine zeitkritische Funktion hatte schon von jeher jeder von einer<br />
Fernsehstation zusätzlich mitausgestrahlte Synchronisierimpuls<br />
(den wir schon an den korrespondierenden Nipkow-Scheiben finden):<br />
elektrische, kurze Spannungssstöße, erzeugt im Taktgeber; diese<br />
beeinflussen den Zeilenablenkteil so, daß der Elektronenstrahl<br />
stets im richtigen Moment an den Anfang der nächsten Zeile<br />
geführt wird. Die Bildimpulse "regulieren die Tätigkeit des<br />
Bildablenkteils und veranlassen den pünklichen Beginn des<br />
nächsten Bildes" - ein kybernetischer Prozeß. 5<br />
Damit kommen wir zu einem zeitkritischen Begriff von Mimesis: Die<br />
Bildwelten elektronischer Medien (Fernsehen, Video) ahmen nicht<br />
Weltbilder, sondern Zeit nach.<br />
Zeitwe(i)sen elektronischer Bilder: Der Raum eines Bildes wird<br />
zur Zeit seiner Übertragbarkeit 6 durch Rasterung, also:<br />
Digitalisierung des Bildes Element für Element, das dann an<br />
Elektrizität übergeben und damit übertragbar wird. Mikro-<br />
Zeitmeßgeräte wie das auf dergleichen Technologie der<br />
Kathodenstrahlröhre basierende Oszilloskop machen dann<br />
Zeitunterschiede dadurch meßbar, daß sie dieselben in<br />
Raumunterschiede verwandeln. 7<br />
4 Berlin (b-books) 2002, 7<br />
5 Walter Conrad, Fernsehen, Leipzig/Jena (Urania) 1960, 61<br />
6 Christian Kassung / Albert Kümmel, Synchronisationsprobleme, in: Albert Kümmel /<br />
Erhard Schüttpelz (Hg.), Signale der Störung, München (Fink) 2003, 143-165 (149)<br />
7 Hermann von Helmholtz, Über die Methoden, kleinste Zeittheile zu messen, und ihre
"Ein prinzipieller Unterschied zwischen dem Fernseher und dem<br />
Rundfunk liegt also darin, daß beim Fernsehen die einzelnen<br />
Bildpunkte nacheinander, beim Rundfunk die einzelnen Töne<br />
gleichzeitig übertragen werden." 8 Hierin liegt eine<br />
signaltechnisch präzise Definition des ontologischen Unterschieds<br />
von Klang und Bild:<br />
Während beim Rundfunk nur Klang- oder Frequenzgemische übertragen werden, ist dies<br />
analog bei der Fernsehtechnik etwa in Form eines "Bildgemisches" nicht möglich. Ein<br />
Tongemisch wird gleichzeitig als Ganzes übertragen . Auch ein Bild wird von unserem<br />
Auge als Ganzes aufgenommen. Aber hier taucht nun die Frage auf, ob wir die<br />
verschiedneen Helligkeitwswerte oder gar Farbtöne eines Bildes ebenso gleiczhzeitig in<br />
Form von elektrogmatnetischen Wellen übertragen können. <br />
Bill Violas Definition des Videobildes als "Klang der Einzeilen-<br />
Abtastung" wäre also im Sinne des Frequenzbegriffs zu<br />
präzisieren.<br />
Nicht von ungefähr kommen Videokünstler wie Paik wie Viola vom<br />
Klang her:<br />
Video hören mit Viola<br />
Musikalisch gesprochen, ist die physische Erscheinung einer Sendung eine Art von<br />
Gesumme. Das Videobild wiederholt sich ständig selbst ununterbrochen im gleichen<br />
Frequenzbereich. Dieser neue allgemeine Zustand des Summens stellt eine bedeutende<br />
Verschiebung in unseren kulturell abgeleiteten Denkmodellen dar <br />
Das "Summen" erinnert zugleich an eine andere epistemologische<br />
Ruptur im Wahrnehmungs- und Wissenshaushalt der Moderne; Fourier<br />
entwickelt mit seinen Analysen, die sich auch auf nichtpriodische<br />
Funktionen anwenden lassen, ein Berechnungsmodell für<br />
ausdrücklich alle möglichen Naturerscheinungen (neben der Wärme<br />
auch "die Bewegungen der Gestirne, die Ungelichheiten ihrer<br />
Bahnen, und das Gleichgewicht und die Oscillationen der<br />
Meere, die harmonischen Vi9brationen der Luft und der tönenden<br />
Körper, die Transmission des Lichtes, die Capillarität, die<br />
Schwingungen der Flüsigkeiten, kurz die compliciertesten Effecte<br />
aller Naturkräfte"<br />
<br />
- ein Modell, "welches mit dem aus der greichischen Antike<br />
stammenden statsisch-atomistischen Materieverständnis radikal<br />
Anwendung für physiologische Zwecke, in: Königsberger Naturwissenschaftliche<br />
Unterhaltungen 2/2 (1851), 167-189 (173)<br />
8 Horst Hille, Fernsehen leichtverständlich, Leipzig (Fachbuchverlag) 1962, 49
icht und alle phyiskalischecn Phänomene prinzipiell als Summen<br />
von Schwingungen begreift" 9<br />
- ein Gesumme, das seit Mersenne (Schwingungsmodelle für<br />
'Saiten), Christiaan Huygens (mathematische Beschreibung der<br />
Bewegung von Pendeln) und Wellentheorie des Lichts - was sich<br />
gegen die Dominanz von Newtons Korpuskeltheorie des Lichts nicht<br />
durchsetzte. Die Quantenphysik hebt beide Wissensweisen auf - im<br />
in der Behauptung eines Dualismus von Welle und Teilchen.<br />
Was sich (mit Fourier) so analysieren läßt, läßt sich auch<br />
synthetisieren - und die Antwort ist Nam June Paiks "Video-<br />
Synthecizer" (der ja auch von der Musik her kommt).<br />
Wenn Viola seinen von mir zitierten Aufsatz suggestiv und<br />
überraschend "Der Klang der Einzeilen-Abtastung" nennt, ist diese<br />
Synästhesie zugleich geeignet, die Differenz zwischen<br />
medienkünstlerischer Poesie und medienarchäologisch strenger (im<br />
Sinne McLuhans sogar "kalter") Analyse darzulegen 10 .<br />
Die Encarta-online-Enzyklopädie definiert Videoaufzeichnung als<br />
"process of recording still or moving images electronically,<br />
rather than photochemically as in photographic film. The<br />
techniques used to record images on videotape are similar to<br />
those used to record sound 11 - und genau daran<br />
erinnert Bill Violas Begriff vom Video als dem "Klang der<br />
Einzeilen-Abtastung".<br />
Ein Klang kommt auf der Schallplatte oder schon im Phonographen<br />
Edisons etwa durch die Abtastung einer Folge von überlagerten<br />
Sinusschwingungen zustande (Fouriers Einsicht), während die<br />
Abtastung eines Video-, also Fernsehbilds Lichtintensitäten in<br />
Stromschwankungen umsetzt, später gar in ein elektrostatisches<br />
Mosaik aus Bildpunkten - im Sinne von Lessings Laokoon-Theorem<br />
(1766) zwei grundsätzlich verschiedene Operationen, auch in<br />
phyisologischer Hinsicht<br />
Die Verweildauer eines akustischen Eindrucks ist länger als der<br />
eines Bildeindrucks. Das Ohr - insofern es selbst ständig<br />
Fourier-Analyse leistet - ist das Organ humaner Zeitkritik.<br />
Hermann von Helmholtz schreibt es in Die Lehre von den<br />
Tonempfindungen als physiologische Grundlagen für die Theorie der<br />
9 Martin Donner, Medienepistemologische Konsequenzen der Fourier-Analyse, Hausarbeit<br />
Seminar für <strong>Medienwissenschaft</strong>, HU Berlin, September 2006<br />
10 In diesem Sinne Shintaro Miyazaki, Das Algorhythmische - medientheoretische und<br />
-philosophische Aspekte des Digitalen, Lizentiatsarbeit am Institut für <strong>Medienwissenschaft</strong><br />
der Universität Basel, August 2006, 91<br />
11 Leonard Feldman, "Video Recording," in: Microsoft® Encarta® Online Encyclopedia 2001<br />
Musik: "Das Ohr ist in eminentem Grade das Organ für kleine<br />
Zeitunterschiede. Es ist bekannt, dass wenn zwei Pendel<br />
neben einander schlagen, durch das Ohr bis auf ungefähr 1/100<br />
Secunden unterschieden werden kann, ob ihre Schläge<br />
zusammentreffen oder nicht. Das Auge würde schon bei 1/24 Sekunde<br />
scheitern" -<br />
pikanterweise das filmische Maß für Bewegungsillusion.<br />
---<br />
Die Umwandelung von Licht- und Schallwellen in ein elektrisches<br />
Signal, welches auch in Wellenform dargestellt werden kann, ist<br />
ein nicht nur technischer, sondern epistemologischer<br />
Hauptunterschiede zwischen Video und Film. 12<br />
Dieses Prinzip ist eher aus dem von Edison entwickelten<br />
Phonographen (1899), oder dem von Bell entwickelten „Bellschen<br />
Telefon“ (1877), welches das erste Medium war, das Schallwellen<br />
in ein elektrisches Signal umwandeln konnte, entstanden.<br />
Die Arbeitsweise einer Filmkamera entspricht der eines<br />
Fotoapparates: ein optisches Verfahren, bei dem Einzelbilder auf<br />
einem Filmstreifen belichtet werden. Dies geschieht ebenfalls 25<br />
mal pro Sekunde.<br />
In beiden Fällen ist Licht operativ; gegenüber der schlichten<br />
photochemischen Reaktion in Silberkolloiden der Photographie aber<br />
kommt im frühen Fernsehen ein photoempfindliches chemisches<br />
Element im ganz anderen Hinblick auf die elektrische<br />
Leitfähigkeit ins Spiel, das Selen (Se), 1817 von Berzelius<br />
entdeckt und nach der altgriechischen Mondgöttin benannt. 13<br />
Der Sprung von Film zu Fernsehen respektive Video ist keine<br />
weitere Eskalation im Fortschritt von Bildmediengeschichte,<br />
sondern vielmehr ein epistemologischer Bruch, eine Ruptur im<br />
Sinne der Wissenschaftstheorie von Canguilhem und Bachelard (den<br />
Lehrern Foucaults). Diese Bruchstelle wird mediengeschichtlich<br />
eher verblendet, da die historische Lesart die Kontinuiäten und<br />
12 Dominik Rzepka, Video - ein spezifisches Medium<br />
Fachbereich: Kunst - Computerkunst, Medienkunst<br />
Kategorie: Hauptseminararbeit<br />
Veranstaltung: Being inside a work of art<br />
Jahr: 2005<br />
Archivnummer: K26221<br />
Universität Konstanz<br />
Kunst- und <strong>Medienwissenschaft</strong><br />
Wintersemester 2004/ 05<br />
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/ku9/26221.html<br />
13 Chr. Ries, Die elektrischen Eigenschaften und die Bedeutung des Selens für die<br />
Elektrotechnik, Berlin (2. Aufl.) 1913, 1
Übergänge, Transformationen privilegiert, während<br />
Medienarchäologie als Methode das Augenmerk gerade auf solche<br />
Bruchstellen legt.<br />
Andererseits ist diese Opposition auch schon wieder zuende, mit<br />
dem digitalen Bild, in dem Film und Video als informatisiertes<br />
(d. h. vollständig mathematisiertes) Bild konvergieren.<br />
Doch eine ganze Welt liegt dazwischen - eine Welt des Wissens und<br />
der Ästhetik.<br />
---<br />
Die Allianz von Klang und Videobild auch bei Paik: Nicht von<br />
Ungefähr hieß Nam June Paiks legendäre Ausstellung in der<br />
Wuppertaler Galerie Parnaß vom 11. bis 20. März 1963 Exposition<br />
of Music - Electronic Television.<br />
<br />
---<br />
„Der `Raum´ der Ausstrahlung erinnert an den<br />
akustischen Raum der gothischen Kathedrale, in dem alle Töne,<br />
unabhängig davon, wie nahe, wie weit oder wie laut sie erklingen,<br />
von dem gleichen fernen Ort zu stammen scheinen“ .<br />
„Das Videobild ist ein stehendes Wellenmuster elektrischer<br />
Energie, ein Schwingungssystem, das sich aus spezifischen<br />
Frequenzen zusammensetzt.“ 14 Was wir auf der Kathodenstrahlröhre<br />
sehen, ist die Spur eines einzelnen, beweglichen, fokussierten<br />
Lichtpunkts aus einem Elektronenbündel. „Beim Video gibt es kein<br />
unbewegliches Bild“ , wie wir auf jedem angehaltenen<br />
Videobild, im Moment der STOP-Taste, als Flimmern erkennen -<br />
weshalb solche Bilder auch zeitbasiert heißen. Recht eigentlich<br />
gibt es also gar kein Video-Still. Quelle dieser ständigen<br />
Bewegung ist der aktivierte, ständig schweifende Elektronenstrahl<br />
- „der ständige Strom elektrischer Impulse aus der Kamera oder<br />
aus dem Videorecorder“, d. h. live oder aus dem Speicher. Auf<br />
dieser medienarchäologischen Ebene setzt das vielbeschworene<br />
streaming der Bilder (etwa im Internet) an, nicht erst auf der<br />
14 Bill Viola, Der Klang der Ein-Zeilen-Abtastung, in: Theaterschrift 4: The Inner Side of<br />
Silence, Brüssel (September 1993), 16-54 (18); urspr. publiziert in: Dan Lander / Micah<br />
Lexier (Hg.), Sound by Artists, Art Metropole & Walter Phillips Gallery, Canada, 1990
Ebene der Bildfolgen. Der Begriff streaming video ist für<br />
breitbandige Übertragung im Internet allerdings schon eine<br />
versöhnliche Metapher; gegenüber dem Video-flow der Wellen<br />
herrscht hier nämlich die logische, diskrete Zeit. „Die<br />
Aufteilungen in Zeilen und Rahmen sind nur zeitliche<br />
Aufteilungen, die Öffnung und Schließung zeitweiliger Fenster,<br />
die die Perioden der Aktivität innerhalb des Elektronenstroms<br />
abgrenzen“ - rein differentiell. „Mithin ist das Videobild<br />
ein lebendes dynamisches Energiefeld, eine Schwingung, die nur<br />
deshalb als fest erscheint, weil sie unsere Fähigkeit übersteigt,<br />
solche feinen Zeitabschnitte zu unterscheiden.“<br />
Das videospezifische Merkmal: Feedback und closed circuit<br />
Video erlaubt - im Unterschied zur filmischen Entwicklung von<br />
Zelluloid - das unmittelbare monitoring des Aufzuzeichnenden. Mit<br />
Video kehrt damit ein kybernetisch medienepistemisches Ding, die<br />
unmittelbare Rückkopplung (Feedback) in die Fernsehtechnik ein -<br />
ein Zeitprozeß, der im Zeitfenster der punktuellen Gegenwart<br />
verschwindet.<br />
Eine frühe Form der medientechnischen, kybernetischen<br />
Selbstreferenz von Video sind die closed circuit-Installationen.<br />
Hier spielt sich in wahrnehmbarer ästhetischer Makro-Dimension<br />
ab, was auf der Ebene von Mikroelektronik längst Praxis war: der<br />
geschlossene Schaltkreis, Schwingkreis und Rückkopplung.<br />
Figuren wie Nam June Paik haben mit zahlreichen closed circuit-<br />
Installationen die genuinen Eigenschaften eines Mediums zur<br />
Evidenz gebracht, das die menschliche Wahrnehmung in die visuelle<br />
Logik geschlossener Schaltkreise namens "closed circuit".<br />
Die sofortige Verfügbarkeit der Videobilder und ihre gleichzeitige Manipulationsmöglichkeit<br />
durch Verzögerung oder räumlich getrennte Wiedergabe ist eine besondere Eigenschaft von<br />
Video. Häufig wird zugleich ein Objekt oder eine Person seinem eigenen Abbild<br />
gegenübergestellt. Der Betrachter macht dabei die Erfahrung der Synchronität seiner<br />
Handlung mit deren Abbildung, ähnlich wie im Spiegelbild 15 ,<br />
doch diesmal als zeitversetztes Spiegelbild; im Kontrast zu Velaszquez´<br />
Gemälde Las Meninas dominiert hier nicht mehr das Spiel mit der Konstruktion<br />
des perspektivischen Raums, sondern das Spiel mit der Dekonstruktion von<br />
Zeit und Identität - und das nicht auf der Ebene der Erzählzeit (wie es die<br />
filmische Montage vollzieht, die ihrerseits als Kamerablock noch die Ästhetik<br />
der räumlichen Perspektive fortschreibt), sondern auf der Ebene der<br />
unmittelbaren Gegenwartserfahrung. Video als Medium, als "Zeitbild" (Giles<br />
Deleuze) steht für die Epoche jenseits der Renaissance.<br />
15
Zwischen 1969 und 1971 entwickelte Paik zusammen mit dem<br />
Techniker Shuya Abe den „Paik/Abe-Synthesizer“, ein Steuermedium,<br />
um Farbe, Form, Bewegung, die Raum- und vor allem - hier mein<br />
Akzent - auch die Zeitillusion des Videobildes zu manipulieren.<br />
Diese Technik verwendete er dann auch 1969 bei seiner ersten<br />
Closed Circuit Videoinstallation „Participation TV 2“, erstmalig<br />
in der Howard Wise Gallery in New York im Rahmen der Ausstellung<br />
„TV as a creative Medium“ präsentiert. Wir erkennen die Unschärfe<br />
in der Abgrenzung von Fernsehen und Video - denn ihre technische<br />
Möglichkeitsbedingung ist ein und dieselbe. Ein Monitor zeigte<br />
das Bild vom davor stehenden Betrachter phasenverschoben, in den<br />
drei Komplementärfarben rot, grün und blau. Auch Paiks Videoband<br />
Global Groove "sollte sowohl die Kunstinteressierten als auch den<br />
normalen Fernsehzuschauer ansprechen"; es wurde am 30. Januar<br />
1974 nicht in einer Kunstgalerie, sondern im amerikanischen<br />
Fernsehen gezeigt.<br />
Und schließlich seine Installation TV Buddha von 1974, wo Video<br />
auf das Prizip der Fernsehübertragung schon im Namen verweist.<br />
Feedback ist eine auf Echtzeit minimierte Zeitdifferenz zwischen<br />
Aufnahme eines Objekts und seiner Präsentation an sich selbst;<br />
die visuelle Information fließt gegen den Uhrzeigersinn durch die<br />
optischen und elekktronischen Übertragungs- und<br />
Wahrnehmungskanäle; wird potenziert durch delayed feedback.<br />
Auf operativer Ebene (eher die Ebene der Leibnizschen pétits<br />
perceptions denn die der kognitiven, ikonologischen und<br />
narrativen Hermeneutik) geschieht hier "immediate influence on<br />
future behaviour" - eine neue Zeitkultur auf Mikroebene. Der<br />
charakteristische Zug an closed circuit-Installation ist also der<br />
Zeitmoment, nicht die Raumsituation.<br />
Der Videokünstler Dan Graham zitiert 16 aus der Kybernetik von<br />
Bertalanffys: Feedback ist ein "kreisförmiger Prozeß, in dem ein<br />
Teil des Outputs als Information über das einleitende<br />
Herauskommend er Reaktion via Monitor in den Inoput zurückgeführt<br />
wird und das System so zu einem sich selbst regulierenden macht" 17<br />
- strenggenommen negativer Feedback.<br />
Dan Graham zeigte es mit seiner Video-Installation Present<br />
continuous past(s) 1974: Der Betrachter sieht sich selbst im<br />
Video-Monitor mit Zeitverzug. Betritt der Betrachter diesen Raum,<br />
sieht er sich zunächst in Spiegeln; tritt er dann vor die Kamera,<br />
wird er sich nicht, wie erwartet, als Live-Übertragung auf dem<br />
16 Dan Graham, Video in Bezug zu Architektur, in: ders., Ausgewählte SChriften, hg. v.<br />
Ulrich Wilmes, Stuttgart (Oktagon) 1994, 57-89<br />
17 Ludwig von Bertalanffy, General Systems Theory, New York (Braziller) 1978
Monitor sehen. Die Kamera registriert ihn zwar von dem Moment ab,<br />
wo er den Raum betreten hat, doch das Bildsignal wird erst mit<br />
acht Sekunden Zeitverzögerung auf dem Monitor gezeigt. Solche<br />
Zeitverzögerung derzeit ein Problem, da es die Technik des<br />
„Instant Replay“, wie es sie mittlerweile in jedem Heim-DVD-<br />
Player gibt, noch nicht gab.<br />
"Der Betrachter kann sich nun dabei betrachten, wie er selbst<br />
betrachtet. So hat er die Möglichkeit sich gleichzeitig in<br />
Gegenwart und in der Vergangenheit zu betrachten." <br />
Die Wahl der Zeitverzögerung von acht Sekunden hat keinen<br />
zeitphilosophischen, sondern einen neurophysiologischen Grund: Da<br />
sie die äußere Grenze des Kurzzeitgedächtnis ist, heißt das, dass<br />
der Betrachter kaum eine zeitliche Differenz wahrnimmt, sondern<br />
versucht, das Bild mit den gegenwärtigen Handlungen zu<br />
vergleichen (Rzepka).<br />
Im Anschluß daran ergeben weitere Frage nach der Eigenzeit von<br />
elektronischen Medien. Welchen Status hat etwa ein Röhrenradio<br />
vom Typ "Volksempfänger" aus den 30er Jahren, wenn es 2006 den<br />
aktuellen Mittel- oder Langwellensender empfängt - ein<br />
"historisches" Medium ist es dann gerade nicht. Für technische<br />
Medien gilt zwar die grundsätzliche Frage Martin Heideggers, doch<br />
in Form eines anderen, nämlich vielmehr operativen (denn<br />
ontologischen) Verhältnisses von Sein und Zeit.<br />
Die spezifische Videosäthetik von closed circuit-Installationen<br />
liegt in der Option und Ahnung einer anderen Zeitökonomie: An die<br />
Stelle der zentralperspektivischen Fluchtpunktästhetik (an der<br />
wissensgenealogisch das "historische Denken" hängt, der<br />
entwicklungsgeschichtliche Vektor) tritt Delta t, das Intervall,<br />
der Zwischenspeicher, der Aufschub.<br />
Present Continuous Past(s): "In gegenwärtig fortwährende<br />
Vergangenheit(en) sind zwei Zeitmodelle einander<br />
gegenübergestellt: die traditionelle, perspektivische, statische<br />
Jetztzeit der Renaissaance, die in dieser Arbeit als (Selbst-)<br />
Bild(er) im Spiegel (in den Spiegeln) zu sehen ist un die Zeit<br />
der Video-Feedback-Schleife" . Grahams<br />
Installation ist also das Gegenmodell zu Velaszquez´ Las Meninas,<br />
von Foucault so mustergültig interpretiert - verschoben in den<br />
elektronischen Raum.<br />
Lassen sich solche Videoszenarien, dynamisch wie sie sind,<br />
überhaupt archivieren? Photographisch werden sie gerade<br />
undynamisch dokumentiert, anders, als es Malerei mit<br />
perspektivischen Konstruktionen noch zu fassen vermag.<br />
<br />
18 http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/ku9/26221.html<br />
Zugriff 12-10-06: Dominik<br />
Rzepka,<br />
Video - ein spezifisches Medium (2005)
Hier entsteht ein neuer Typus von dynamischem Fluchtpunkt: Es<br />
ergibt sich eine Folge von ineinandergeschachtelten<br />
Darstellungen, die theoretisch sich solange fortsetzt, wie die<br />
Videoanalge in Betrieb ist, praktisch aber sich bald in der<br />
entropischen Dichte der Bildkörnung verliert.<br />
In Dan Grahams Videoinstallation »Present Continuous Past(s)«<br />
regiert eine Differenz (oder präziser mit Derrida: eine zeiträumliche, der<br />
Operativität von Schrift analoge différance), die derart allein im Medium Video<br />
möglich ist, genauer: mit Hilfe einer zeitlichen Verzögerung des Videobandes<br />
zwischen dem aufnehmenden Videorekorder und einem zweiten Videorekorder,<br />
der die aufgenommenen Bilder wiedergibt. Analog dazu Dan Grahams<br />
Videoinstallation mit dem selbstredenden Titel Time Delay Room<br />
(1974). 19<br />
Im akustischen Verzögerungsspeicher früher Computer war time<br />
delay auf eine unästhetische Weise Praxis - gerade weil unter<br />
Ausschluß der Wahrnehmung des Menschen, für die solche Prozesse<br />
viel zu rasch ablaufen. Hier kommt Mediekunst ins Spiel, indem<br />
sie solche Prozesse durch extreme Verlangsamung wieder in den<br />
Bereich der Aufmerksamkeit zu holen vermag; etwa die<br />
Insteallation Hello, World! (2004/05) von Yunchul Kim<br />
auf der Ars Electronica in Linz 2006. Hier war<br />
ein buchstäblicher "closed circuit" aufgebaut, doch in Hardware<br />
aus Kupfer: nicht Video, sondern Computer, Lautsprecher, 246<br />
langes Kupferrohr, Mikrofon - insgesamt ein System, in dem<br />
akustische Signale zirkulieren:<br />
"Zeichen aus dem Rechner werden als modulierte Wellen in das<br />
Röhrensystem geleitet, temporär gespeichert und am Ende mit einer<br />
Zeitverzögerung von 0,8 Sekunden von einem Mikrofon aufgenommen,<br />
decodiert und wieder an den Computer bzw. an einen Monitor<br />
geleitet. Der Kreislauf beginnt von Neuem, angereichert mit<br />
Klängen der Installationsumgebung".<br />
Und hier zurück zum Videobild: Dem Dela t als Wesenszug von Dan<br />
Grahams Videoinsteallationen entspricht auf der technischmedienarchäologischen<br />
Ebene der Verzögerungsspeicher in der<br />
sogenannten Williams Tube früher Computerzwischenspeicher, wo<br />
Video auf das Nachleuchten von Bildpunkten auf die nackte<br />
Existenz der vom Elektronenstrahl beschossenen Phosphorschicht<br />
des Monitors reduziert ist, medienarchäologisch kühl im<br />
Unterschied zur Imagination des emphatischen Videobilds.<br />
19 Siehe http://www.medienkunstnetz.de/werke/present-continuous-pasts (Zugriff 12-10-<br />
2006); ferner Doug Hall/Sally Jo Fifer, Illuminating Video – An Essential Guide to Video Art,<br />
New York 1990
Fundamentum in re: das Magnetband (Ton und Video)<br />
Gemeint ist mit dem Videobegriff in der Fernsehtechnologie also<br />
der reine Bildsignalverarbeitungsakt,<br />
<br />
reine Übertragung also, reiner technischer Kanal, gerade nicht<br />
die Speicherung, die mit dem Begriff Video im Sinne des<br />
Videorekorders, der Videobänder und der Videodiskurs gemeint ist.<br />
So wird ein Spannungsfeld manifest, das charakteristisch ist für<br />
die elektronische Medienkultur: die Spannung zwischen Übertragung<br />
und Speicherung. Während Alteuropas Kulturbegriff traditionell<br />
eher speicherfixiert ist, da seine kulturelle Identität als<br />
Gedächtnis sich an Archiven, Bibliotheken, Museen und Monumenten<br />
festmacht, tendiert die Gegenwart (von den USA aus, die<br />
traditionell raumgreifende Nachrichtentechniken zu entwickeln<br />
hatten, wie etwa Shannon es löste) zur Akzentuierung des<br />
Übertragungsakts. Selbst die emphatischen Endarchive werden<br />
zunehmend durch das Zwischenarchivische, die<br />
Kurzzeitspeicherungen ersetzt.<br />
Das Speichern elektronischer Bildsignale geschieht nicht erst mit<br />
dem Videorekorder, sondern schon im Prinzip des elektronischen<br />
Fernsehens, in der Zworykischen Bildspeicherröhre.<br />
Neben diesem internen Speichermechanismus, der mit einer solchen<br />
elektronischen Geschwindigkeit vonstatten geht, daß er von<br />
Menschen nicht als Verzögerung, sondern als Aktualität<br />
wahrgenommen wird, ist die charakteristische Differenz zum<br />
diskursiven Begriff von Video die Apparatur zur Aufzeichnung auf<br />
Magnetband oder Magnetplatte - ein materiales Dispositiv (bis daß<br />
es im digitalen Raum durch virtuelle Speicher ersetzt wird).<br />
Video = TV plus Gedächtnis, und das nicht erst seit der<br />
Einführung der MAZ ins Fernsehen.<br />
Resultierte daraus eine medienkulturelle Akzentverschiebung von<br />
der tele-elektronischen Übertragung zum Gedächtnis? Die Option<br />
der Aufzeichnung elektronischer Bilder war zugleich die<br />
Bedingung für Film- und Fernsehwissenschaft - wobei Filme fortan<br />
zumeist als Videoaufzeichnung analysiert wurden, was eine<br />
erhebliche techno-ästhetische Verschiebung, ja Mißdeutung<br />
gegenüber dem Apapratus Kino bedeutete.<br />
Frühe Bildaufzeichnung von Fernsehsignalen geschah auf<br />
Schellackplatten: John Logie Bairds Phonovision, jüngst digital<br />
restauriert (womit der Computer selbst zum aktiven
Medienarchäologen von prähistorischem Fernsehen wird).<br />
Der entscheidende Qualitätssprung, der elektronische Bilder zu<br />
speichern erlaubte, geschah in der Audiotechnologie. Das<br />
Magnetophon K 4 von AEG/Telefunken erlebte seinen Durchbruch<br />
1939/40; die technisch entscheidende Verbesserung geschah 1940<br />
durch den Physiker Walter Weber im Labor von Braunmühls bei der<br />
RRG Berlin: die Löschung und Vormagnetisierung mit Hochfrequenz<br />
anstelle (wie biswlang) mit Gleichstrom. Mit 60-70 dB Dynamik im<br />
Frequenbereich von 50 bis 10000 Hz erreichte das neue Tonband<br />
HiFi-Werte, und die menschlichen Ohren werden seitdem vollends<br />
betrogen, sehr konkret. Rundfunkhörer können seitdem nicht mehr<br />
unterscheiden, ob es sich um eine live- oder MAZ-Sendung handelt<br />
(eine Irritation, die später auch für Fernsehbilder gilt):<br />
"Englische und amerikanische Abhörspezialisten berichteten nach<br />
1945, daß ihnen als erstes auffiel, daß deutsche Sender selbst in<br />
ihren Nachrprogrammen scheinbar `live´ sendeten, weil die sonst<br />
üblichen Ne/bengeräusche fehlten" .<br />
Analog dazu ist - einem zeitkritischen Turing-Test und Maurice<br />
Blanchots Deutung des homerischen Sirenen-Motivs gleich - die<br />
hochqualitative Videoaufzeichnung zugleich eine Erschütterung der<br />
logozentrischen Autorität der live-Sendung: Auf Band ist die<br />
Fernsehkonserve bei der Ausstrahlung nicht mehr zu unterscheiden<br />
von der live-Sendung. 20<br />
Die Situation ist von jedem Anrufbeantworter, neuestens auch von<br />
der elektronischen mailbox her vertraut: Was weiß, ob die Stimme,<br />
die da auf Tastendruck spricht, ob die Worte, die sich da unter<br />
einem bestimmten, immer schon vergangenen zu entziffern geben,<br />
noch einem lebendigen Subjekt zugeschrieben werden können, oder<br />
ob nicht vielmehr der Tod die Übertragung der Botschaft schon<br />
eingeholt hat? Hier wird ins Zeitkritische (Sein und Zeit, aber<br />
differentiell verfaßt) verschoben, was Maurice Blanchot als das<br />
eigentlich Irritierende am Gesang der Sirenen (in Homers Odyssee)<br />
diagnostizierte: die technologisch bedingte Verunsicherung des<br />
Menschen, dessen Sinne nicht mehr zwischen natürlicher und quasinatürlicher<br />
Signalverarbeitung (Fourier Transformation,<br />
Abtasttheorem von Nyqist/Shannon) dessen, was sich an sie<br />
adressiert.<br />
Waren kulturhistorisch Bildarchiv und Evidenz bis hin zum<br />
Gerichtssaal strikt miteinander verknüpft, wird mit dem<br />
Magnetband der Speicher sublim. Im Magnetbandarchiv findet keine<br />
Evidenz im Sinne des menschlichen, sondern nur noch des<br />
maschinellen monitoring statt, denn nur noch Videorecorder<br />
vermögen diese Signale wieder in Bilder zu verwandeln. Man<br />
20 Dazu Samuel Weber, Mediauras, xxx
(englisch man) sieht dem Magnetband nicht an, was darauf<br />
gespeichert ist. Zwischen Gedächtnis und Auge tritt die<br />
Videotechnologie.<br />
Technisch rückte mit der Hochfrequenz-Vormagnetisierung des<br />
Toonbandes das Prinzip von Rundfunk (die HF-Trägerfrequenz) ins<br />
Ton- und später Videoarchiv selbst ein.<br />
An dieser Stelle eine medienarchäologische Erinnerung: Auch das<br />
von Oberlin Smith (und später Valdemar Poulsen) entworfene<br />
Magnetophon - entwickelt zunächst als Anrufbeantworter - kommt<br />
als neue elektromagnetische Speichertechnologie zunächst von<br />
einer Übertragungstechnik her, dem elektrischen Telephon (Reis /<br />
Bell), das zunächst noch ohne Elektronenröhren als<br />
Verstärkerelementen operiert, weil der Sprachstrom nicht über<br />
eine eigens erschaffene Trägerhochfrequenz drahtlos, sondern über<br />
den Draht unmittelbar elektrisch-analog transportiert wird.<br />
Diese medienepistemische Konstellation wird wiederum in Fernsehen<br />
und Video verdinglicht. Steht Fernsehen traditionell und aufgrund<br />
seiner technologischen Verfaßtheit für die Ästhetik des "live",<br />
also für den reinen Übertragungsakt, dessen Signale im Moment der<br />
Sendung auch verlöschen,<br />
erlaubt Video - im Sinne der Definition Siegfried Zielinskis -<br />
die Zeitmanipulation durch (Zwischen)Speicherung, noch präziser<br />
die zeitunabhängige TV-Programmspeicherung durch Videorecorder. 21<br />
Das technologische Dispositiv von Video - insofern "Video" vom<br />
Videorecorder (und heute vom Camcorder) her gedacht ist - ist die<br />
Tonaufzeichnung; deren Verdinglichung liegt in der<br />
Magnettonbandentwicklung.<br />
<br />
Jeder medienarchäologische Blick in einen klassischen<br />
Videorecorder - und das heißt, ihn aufzuschrauben, das Chassis<br />
von der Schutz- und Designumkleidung befreien - macht es evident:<br />
die Videoaufzeichnung ist ein Zwilling des Tonbands, technisch<br />
ermöglicht durch das von Schüller 1933 patentierte<br />
Schrägspurverfahren.<br />
Die rasche Verbreitung der deutschen Magnetophon-Technik in<br />
Amerika (1945 vom US-Offizier Jack Mullin über den Atlantik<br />
importiert) führte zu wesentlichen Fortschritten bei der<br />
Aufzeichnung vielfältigster elektrischer Signale auf Magnetband<br />
21 Dazu: Funk-Technik 39 (1984), Heft 1, 16f
(Ton, Bild, Datenträger in frühen Computern), vor allem aber in<br />
der Bildaufzeichnung. Jack Mullin entwickelte 1950 im Lauf seiner<br />
Arbeit für den TV-Produzenten Bing Crosby den ersten Prototyp<br />
eines Videorecorders, der mit 1-Zoll-Band und feststehenden<br />
Magnetköpfen arbeitete. Den ersten praxistauglichen Recorder<br />
entwickelte 1956 Ampex, den VR-1000, der einen rotierenden Kopf<br />
mit vier Systemen und Zwei-Zoll-Band benutzte, das Videoband<br />
„Scotch 179“ der Firma 3M.<br />
<br />
Im November 1956 wurde diese Technik zum erstenmal beim<br />
Fernsehen, in den CBS- Studios in New York eingesetzt, wo bislang<br />
TV-Aufzeichnung nur durch den Vorsatz einer 16mm-Filmkamera<br />
praktiziert worden war.<br />
So war das MAZ-Verfahren entwickelt worden, um Programme<br />
zeitversetzt ausstrahlen zu können (die Uhren an der Ostküste der<br />
USA gehen gegenüber denen an der Westküste drei Stunden vor) -<br />
Geburt der Videotechnik aus einer zeitkritischen Herausforderung.<br />
Da das konservierte Material nicht mehr - wie im<br />
Zwischenfilmverfahren des frühen Fernsehens - entwickelt werden<br />
mußte, schmolz die Spanne zwischen den Zeitpunkten der Ereignis-<br />
und der Sende- bzw. Rezeptionszeit auf einen minimalen Abstand<br />
zusammen. Hier spielt sich auf makrotemporaler Ebene ab, was die<br />
delay lines, also Verzögerungsspeicher in frühen Computern<br />
mikrotemporal vollzogen.<br />
In ästhetischer Konsequenz aber revolutionierte die „magnetische<br />
Bildaufzeichnung“ (MAZ), die von AMPEX eigentlich zu Zwecken der<br />
Aufzeichnung und Wiedergabe von TV-Sendungen entwickelt wurde,<br />
Produktions- und auch Postproduktionstechnik bei allen<br />
Fernsehsendern weltweit" (Engel). Die Privatisierung der TV-Zeit<br />
durch den Heimvideorecorder (Siegfried Zielinskis Argument) ist<br />
demgegenüber ein Sekundäreffekt, kulminierend 1978 in der<br />
weltweiten Einführung des VHS-Systems der japanischen JVC - "uses<br />
never anticipated by Ampex" (Lafferty).<br />
Es war der AEG-Magnetophon-Pionier Eduard Schüller, der bereits<br />
1953 das Patent DBP 927 999 für eine „Vorrichtung zur<br />
magnetischen Aufzeichnung und Wiedergabe von Fernsehbildern“<br />
erhielt, das die heute allgegenwärtige Technik mit rotierendem<br />
Kopfrad beschreibt.<br />
Videotechnik resultiert aus dem Wunsch, ein TV-Bildsignal<br />
elektrisch speichern zu können. Erste elektro-mechanische<br />
Versuche (die Logik des Nipkow-Fernsehens) unternahm im Jahr 1927<br />
John Logie Baird, der seine Fernsehbilder, welche aus ganzen 30
Zeilen aufgebaut waren, auf gewöhnlichen phonographischen<br />
Schallplatten aufnahm. Diese frühe Form von Videodisc nannte er<br />
Phonovision, sie ist aber nicht für komplexe Bildsignale<br />
verwendbar, sondern nur "for recording the low-definition signals<br />
of his mechanically-scanned television system" 22 .<br />
Die elektromagnetische Tonaufzeichnung - erst auf Stahldraht<br />
(Valedmar Poulsens Telegraphon), dann auch auf Stahlband (das<br />
Blattnerophon) kam als eines von vielen konkurrierenden Verfahren<br />
zum Einsatz im Tonfilm; die magnetophone Tonspur des Films<br />
emanzipierte sich dann als Speicherträger vom Gehilfen zum<br />
autonomen Bildsignalaufzeichnungsmedium im System Video.<br />
Das Magnetband aber ist indifferent gegenüber der Frage, ob<br />
darauf Ton- oder Bildsignale, oder schlicht: alphanumerisch<br />
kodierte Daten (Einsatz in frühen Computern bis hin zur Floppy<br />
Disc) gespeichert werde; auf dieser medienarchäologischen,<br />
hardwarenahen Ebene liegt die sogenannte "Intermedialität" von<br />
Film und Fernsehen respektive Video. In einer Podiumsdiskussion<br />
der Radio and Television Executives Society über die Vorteile von<br />
Videoband gegenüber Liveübertragung von Fernsehen und Filmeinsatz<br />
verkündete ein NBC-Produzent: "I've come not to praise live<br />
television nor destroy film but to bury both." Doch Filmeinsatz<br />
in der Fernsehproduktion überlebte "because of film's innate<br />
visual properties" 23 - bis zu HDTV.<br />
Die aufzeichnungstechnische Differenz von Film und TV: Timecode<br />
und time axis manipulation<br />
Erst jenseits der Nipkowscheibe wurde das Fernsehen wirklich<br />
elektronisch, d. h. eine Frage der Steuerung frei sich bewegender<br />
Elektronen im Raum (Vakuum, der Raum der Röhren, zumal der<br />
Bildröhren). Das meint einerseits die Wiedergabeseite (die von<br />
Manfred von Ardenne weiterentwickelte Elektronenstrahlröhre),<br />
andererseits die Aufnahme: das Ikonoskop von Zworykin (die<br />
Kameraröhre), das dem Videobild entspricht. Hier rutscht die vom<br />
Zwischenfilm vertraute Zwischenspeicherung der Bilder auf die<br />
mikrotemporale Ebene und wird selbst elektronisch-zeitkritisch -<br />
winzige Kondensatoren, Licht-Spiegel.<br />
22 Siehe F. von Okolicsanyi, "Fernsehen und Bildgrammofon," Fernsehen 1, no. 8 (August<br />
1930): 349-358; Boris Rtcheouloff, "Improved Means of Recording and Reproducing<br />
Pictures, Images, and the Like," British patent 288,680; registered 14 September 1927,<br />
granted 7 June 1928; William Latferty, "The Use of Steel Tape Magnetic Recording Media in<br />
Broadcasting," SMPTE Journal 94, no. 6 (June 1985): 676-682<br />
23 Siehe: "Is TV Tape Live or Film?" Broadcasting 57, no. 14 (5 October 1959): 79; "Less<br />
Live, More Live-on-Tape Ahead", Sponsor 17, no. 5 (4 February 1963): 34-36, 65
Das latente elektrostatische Bild entspricht also der<br />
Lessingschen Koexistenz eines Körpers im Raum; erst zum<br />
Übertragungszweck wird dieses Bild wieder linearisiert, d. h.<br />
verzeitlicht, eine Sukzession in der Zeit. Television erstreckt<br />
sich also genalogisch von der Morse-Telegraphie (der ersten<br />
buchstäblich digitalen Signalübertragung fast ohne<br />
Zeitverzögerung) und der daran anschließenden Bildtelegraphie bis<br />
hin zur Nipkow-Scheibe, zur Braunschen Bildröhre und Zworykins<br />
Ikonoskop. Und nun die medientheoretische Pointe: "Auf den ersten<br />
Blick scheint es so, als sei das Fernsehen ein naher Verwandter<br />
des Kinos" 24 ; genau demgegenüber aber wird der Unterschied von<br />
Speichermedium (Film: Zeitdifferenz von Aufnahme und Projektion -<br />
dadurch immerhin die ästhetische Option der ruhigen Montage) und<br />
live-Medium TV betont. Mit der Magnetaufzeichnung (MAZ) "war die<br />
elektronische Kamera nicht mehr dazu verurteilt, flüchtige Bilder<br />
direkt auf einen Monitor zu schicken" .<br />
Video existiert vom elektromagnetischen Ton(band) her, Film vom<br />
photographischen Bild.<br />
Mit Fernsehen (technisch Video) wird Film auch auf technischer<br />
Seite (nicht nur auf Wahrnehmungsseite des Betrachters) zu einer<br />
neuen Zeitqualität: Das Bild selbst (und nicht nur seine Rahmung<br />
durch Diskurs und Montage) wird in Zeit aufgelöst. In seiner<br />
extremen Fragilität (da in höchstem Maße von Synchronisation<br />
abhängig) übt jedes Fernseh- und Videobild jeden Moment praktisch<br />
Zeitkritik: denn entscheidend (buchstäblich "kritisch") ist der<br />
zeitliche Gleichklang in der Signalübertragung.<br />
Video ist nicht nur ein Medium der narrativen Zeitstrukturierung<br />
wie der Film, sondern (nahe an Deleuzes Begriff vom "Zeitbild",<br />
worin der Nachkriegsfilm der Videoästhetik schon nahekommt),<br />
sondern es ist genuin zeitstrukturiert.<br />
Nam June Paiks Videokunstinstallationen lassen sich u. a. auf<br />
Lessings Laokoon-Thesen zurückführen: "Die Videokunst macht die<br />
Natur nach, nicht ihr Aussehen oder ihren Stoff, sondern ihren<br />
inneren Zeitaufbau (...) nämlich den Prozeß des Altwerdens (eine<br />
bestimmte Art der Irreversibilität). 25 Paik verweist auf Lessing<br />
ausdrücklich in seinem "Input-Zeit und Output-Zeit" betitelten<br />
Aufsatz. 26<br />
Hier kommt der Timecode ins Spiel. Der Timecode ist eine<br />
24 Herbert Heinzelmann, Fernsehen, Nürnberg (Tessloff) 2005, 9<br />
25 Zitiert nach Herzogenrath (Hg.) 1982, in: Siegfried Zielinski, Audiovisuelle Zeitmaschine.<br />
Thesen zur Kulturtechnik des Videorekorders, in: ders. (Hg.), Video - Apparat / Medium,<br />
Kunst, Kultur. Ein internationaler Reader, Frankfurt a. M. u. a. (Lang) 1992, 91-114 (96)<br />
26 In: Schneider / Korot 1976, auszugsweise übers. im Katalog: Videowochen Essen ´79<br />
(1979), 8
äußerliche Zeitzuschreibung, parergonal, nicht im zeitbasierten<br />
Wesen der zeilenförmigen Aufzeichnung geboren (die eine andere<br />
Art der Registrierung, aber unmittelbar, erfordern und bieten<br />
würde). Zwischen diskreten Raum- und linearen Zeiteinheiten:<br />
Timecode is a scheme for identifying every frame with a unique number, in the form<br />
hour:minute:second:frame, similar in function to the sector and track numbers on computer<br />
disk drives. However, it can be madness dealing with a noncontinuous number system<br />
in a linear medium, particularly if frame accuracy is required. 27<br />
Im Film Timecode (Dir. Mike Figgis) kehrte diese mediale<br />
Zeitverfaßtheit auf dramaturgisches re-entry wieder ein.<br />
Das Entscheidende am neuen Medium Video war für das Filmverstehen<br />
nicht die Kamera, sondern das Aufzeichnungsgerät, der recorder.<br />
Er machte Schnitte erst sichtbar. Etwa der BK 3000 COLOR, ein<br />
Video-Kassetten-Recorder von Grundig:<br />
Mit diesem Gerät können jederzeit Farb- und Schwarzweiß-Fernsehsendungen<br />
aufgezeichnet und wiedergegeben werden. Die Schaltuhr und das eingebaute Empfangsteil<br />
ermöglichen Ihnen Aufnahmen, auch wenn Sie nicht zuhause sind oder gerade ein anderes<br />
Programm ansehen wollen. 28<br />
Damit erfolgt die Entkopplung von memoria und physikalischer<br />
Zeit; die loci memoriae werden meta-phorisch, d. h. übertragbar.<br />
Die TV-Bilder erhalten ein Gedächtnis durch time axis<br />
manipulation.<br />
Zeit- und Raumvorstellungen werden im maschinengestützten Sehen<br />
technologisch organisiert. Durch den Kunstgriff des Time-Code war<br />
schon das analoge Videoband auch digital, d. h. numerisch<br />
adressierbar. Die Kopplung von Bild und Zahl erfolgte zunächst im<br />
unechten, dem Speichermedium äußerlichen, prä-digitalen time<br />
code:<br />
Zeitbasierte (Schneide-)Maschinen steuerten die analogen,<br />
ihrerseits nicht digitalen Videobilder durch digitale Zeitcodes.<br />
Memory ist hier also Steuerungselement, nicht emphatisches<br />
Zeitbewußtsein. Demgegenüber ist der digitale Schnittplatz (AVID)<br />
eine Eskalation. Im Video Passing Drama von Angela Melitopoulos<br />
wird eine Datenbank mit einer linearen Zeitleiste gekoppelt, in<br />
Anlehnung an Henri Bergsons Gedächtnismodell -<br />
Zeitachsenmanipulation, die es erlaubt, im non-linearen Editing<br />
durch die Funktion cut and paste ganze Zeitstrukturen zu kopieren<br />
- Speichermanipulation. 29<br />
27 xxx Crockford, Integrating Computers and Television, in: Brenda Laurel (Hg.), The Art of<br />
Human-Computer Interface Design, (Apple) 1990, xxx, 464<br />
28 Bedienungsanleitung, o. O., o. D., 5.<br />
29 Angela Melitopoulos, Timescapes, in: Lab. Jahrbuch 1996/97 für Künste und Apparate, hg.<br />
v. d. Kunsthochschule für Medien Köln / Verein der Freunde der Hochschule, Köln (König)
Film-, Fernseh- und Videobilder sind je unterschiedliche<br />
Funktionen zeitkritischer Prozesse in der (Zwischen-)<br />
Bildspeicherung.<br />
"Beim Film war es 1921 Walter Ruttmann, der mit „Opus 21“ den<br />
ersten künstlerischen Film präsentierte. Eigentlich war Walter<br />
Ruttmann Maler, doch er wurde zunehmend unzufrieden mit ihren<br />
Begrenzungen, die der Malerei aufgrund ihrer Statik innewohnen.<br />
Für Ruttmann waren die Hauptmerkmale seiner Zeit Tempo und<br />
Geschwindigkeit, welche er nun mit den Mitteln der<br />
Kinematographie in eine künstlerische Form bringt" .<br />
Fernsehen operiert mit diskreten Speichermomentabschnitten, d. h.<br />
beim Speichern des Zeitablaufes erfolgt eine Transformation in<br />
eine zeitunabhängige Größe (Weg, Fläche, Volumen), wie sie<br />
bereits in der Einzelbildfotografie angelegt ist und im Film<br />
dynamisiert wird:<br />
Schon in der Chronophotographie wurden die Momentausschnitte zeitlich so dicht gelegt,<br />
daß sie subjektiv bei der Wiedergabe verschmelzen. Im Fernsehen aber potenziert sich<br />
dieses Verfahren; hier "werden in der Aufnahmeröhre die Einzelbildpunkte als Integration<br />
über den Zeitraum zwischen den Abtastungen durchgeführt und so als Mittelwerte einzeln,<br />
nacheinander oder aber periodisch gespeichert bzw. übertragen" 30 .<br />
Das elektronische Bild ist damit eine eine Funktion von Zeit, im<br />
Unterschied zum zeit-räumlichen Hybrid Film:<br />
Die televisionäre Wahrnehmung hat es zu tun mit optisch-elektronischen (Bild-)Prozessen,<br />
nirgends mit (Bild-)Zuständen, mit Bildpunkt-Rastern oder Mosaiken, nirgends mit<br />
homogenen Bildeinheiten, mit Beschleunigungen der Bildübertragung und des Bildaufbaus<br />
bis an den Grenzwert der Lichtgeschwindigkeit, nirgends mehr mit den langsamen Tempi<br />
der mechanischen Art. 31<br />
P.S. Verschwindet Video im Digitalen?<br />
"In der Technologie beschleunigt die derzeitige Verschiebung von<br />
den sequentiellen Analogwellen zu den neu zusammengesetzten<br />
Digitalkodes die Streuung des Blickwinkels . Wie ein<br />
Umwandlung der Materie gibt es eine Bewegung von der Greifbarkeit<br />
fester und flüssiger Zustände in den gasförmigen Zustand. Es gibt<br />
1997, 173-183; darin auch eine konische Illustration des Bergson´schen Gedächtnismodells<br />
(172).<br />
30 Horst Völz, Allgemeine Systematik und Grenzen der Speicherung, in: die Technik, 34. Jg.,<br />
Heft 12, Dezember 1979, 658-665 (658),<br />
31 Götz GrossklausGroßklaus, Das technische Bild der Wirklichkeit: Von der Nachahmung<br />
(Mimesis) zur Erzeugung (Simulation), in: Michael Titzmann (Hg.), Zeichen(theorie) und<br />
Praxis, Passau (Wissenschaftsverlag) 1993, 89-111 (101)
weniger Kohärenz", schreibt Viola <br />
- womit auch der Begriff streaming video für breitbandige<br />
Übertragung im Internet schon eine versöhnliche Metapher wäre.<br />
Gegenüber dem Video-flow der Wellen herrscht hier nämlich die<br />
logische, diskrete Zeit - und eine Zeit zumal, die sich nur noch<br />
digital, mit mathematischer Stochastik, als<br />
Wahrscheinlichkeitsrechnung meistern läßt - das mit Wieners<br />
Ergodentheorem inaugurierte Zeitalter der Wahrscheinlichkeiten.